Harninkontinenz des älteren Menschen
Harninkontinenz des älteren Menschen
Harninkontinenz des älteren Menschen
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diplomfortbildung<br />
Tabelle 1<br />
Experimentell untersuchte Beteiligungen<br />
verschiedener Gehirnregionen an der Miktion<br />
Gehirnregion<br />
Beteiligung an der Miktion<br />
schlechte Blasenkontrolle korreliert mit einer<br />
frontal<br />
verminderten Aktivierung der orbitofrontalen<br />
Regionen<br />
Corona radiata (vorderer Anteil)<br />
haben hemmenden Effekt auf die Miktion<br />
kontrolliert Afferenzen der Blasenfüllung und<br />
Gyrus cingularis<br />
unterdrückt die Miktion während der Blasenfüllung<br />
Blasenkontrolle, Integration von autonomem<br />
hippocampaler Anteil <strong>des</strong> Gyrus cingularis<br />
Nervensystem und emotionaler Komponente<br />
Adaptiert, gekürzt und übersetzt nach Kuchl et al. 2009<br />
der Brücke (Pons) im Rückenmark oberhalb<br />
von TH 10 liegen und auch zu Sphinkter-Detrusor-Dyssynergien<br />
führen. Das<br />
sind Rückenmarkskompressionen durch<br />
Wirbelkörpereinbrüche, Vertebrostenosen<br />
oder komprimierende Knochenmetastasen.<br />
Es kommt zu ineffizientem Urinieren,<br />
was zu Reflux, Restharn oder auch zur<br />
Hydronephrose führen kann.<br />
Läsionen auf sakraler Höhe führen zu<br />
einer verminderten Innervation <strong>des</strong> Musculus<br />
detrusor und haben so eine atone<br />
Blase mit Restharnbildung und Ausbildung<br />
einer Überlaufblase zur Folge. Läsionen<br />
auf lumbaler Höhe führen zu einer<br />
verminderten Innervation <strong>des</strong> Musculus<br />
sphincter internus, was zu einem ineffizienten<br />
Verschluss führt. Dies kann zum<br />
Beispiel bei maligner Infiltration von Rückenmark<br />
oder Cauda vorkommen. Atone<br />
Blasenstörungen gibt es auch im Rahmen<br />
von Neuropathien, wie zum Beispiel diabetischer<br />
Neuropathie, oder auch paraneoplastischer<br />
Neuropathie.<br />
Studien zur cerebralen<br />
Steuerung der Miktion<br />
Aufgrund der cerebralen frontalen Kontrolle<br />
der Miktion wurden in einer MRI Studie<br />
die Korrelation zwischen Läsionen der<br />
weißen Substanz und <strong>Harninkontinenz</strong><br />
bei Heimbewohnern untersucht. Man<br />
weiß aus f-MRI Studien dass der Gyrus<br />
frontalis inferior während <strong>des</strong> Harnlassens<br />
aktiviert wird. Somit werden Entscheidungen<br />
über das Wo und Wann <strong>des</strong> Harnlassens<br />
frontal generiert. Man kennt auch<br />
eine Reihe anderer Gehirnzentren, welche<br />
an der Miktion beteiligt sind (Tabelle 1).<br />
Ergebnis dieser Studie war, dass frontale<br />
Läsionen der weißen Substanz als Prädiktoren<br />
einer <strong>Harninkontinenz</strong> und deren<br />
Ausprägung angesehen werden<br />
können. Ältere <strong>Menschen</strong> mit diesen Läsionen<br />
zeigen eine verminderte Fähigkeit<br />
eine unerwartete Detrusoraktivität zu<br />
kompensieren.<br />
Der natürliche<br />
Alterungsprozess der Harnblase<br />
Entsprechend anderer Organsysteme unterliegt<br />
die Harnblase einem natürlichen<br />
Alterungsprozess. Im Alter kommt es physiologischerweise<br />
zur vermehrten unwillkürlichen<br />
Detrusorkontraktion und einer<br />
verminderten Füllkapazität (Füllvolumen)<br />
der Harnblase. Die Blasenwand verliert an<br />
Kontraktilität. Daher kommt es bei verminderten<br />
Harnvolumina zu Harndrang<br />
mit reduzierten Harnflussvolumina, was<br />
wiederum zur langsamen Abnahme <strong>des</strong><br />
Blasenfüllvolumens führt. Aufgrund der<br />
verminderten Kontraktilität erhöht sich<br />
das Restvolumen nach Miktion. Gleichzeitig<br />
nimmt die allgemeine Nierenfunktion<br />
ab und die nächtlichen Filtrationsraten<br />
sind erhöht, was zur Nykturie mit all ihren<br />
möglichen Folgen, wie zum Beispiel<br />
nächtlichen Stürzen, führt. Auch die Kontinenzfähigkeit<br />
(„Harn zurückhalten“)<br />
nimmt im Alter physiologischerweise ab.<br />
Subtypisierung der<br />
<strong>Harninkontinenz</strong><br />
Entsprechend der möglichen Pathologien<br />
ergeben sich außerhalb <strong>des</strong> normalen Alterungsprozesses<br />
der Harnblase und der<br />
Nieren verschiedene Typen der Inkontinenz,<br />
denen unterschiedliche Krankheitsbilder<br />
zugrunde liegen können.<br />
Belastungsinkontinenz (Stressinkontinenz)<br />
beschreibt einen unfreiwilligen<br />
Harnverlust, zumeist nur kleiner Harnmengen.<br />
Getriggert wird die Inkontinenz<br />
durch erhöhten intraabdominellen Druck<br />
(zum Beispiel beim Lachen, Husten oder<br />
bei körperlicher Anstrengung mit Anspannung<br />
der Bauchmuskeln). Häufig liegt<br />
eine Beckenbodenschwäche mit einer veränderten<br />
optimalen Stellung der Harnröhre<br />
zugrunde, da die Harnröhrenposition<br />
einen Teil <strong>des</strong> mechanischen<br />
Verschluss-Mechanismus darstellt. Blasentraining<br />
kann zu einer Verbesserung<br />
der Symptomatik führen.<br />
Die Dranginkontinenz ist ein Unvermögen<br />
den Harndrang lange zurückzuhalten.<br />
Häufig leiden Patienten mit Dranginkontinenz<br />
auch unter Nykturie. Zumeist<br />
liegt eine Detrusorüberaktivität zugrunde.<br />
Zusätzlich können urogenitale Tumoren<br />
oder Pathologien assoziiert sein. Häufig<br />
sind auch zentralnervöse Pathologien, wie<br />
zum Beispiel demenzielle Prozesse oder<br />
Morbus Parkinson bei Dranginkontinenz<br />
zu evaluieren. Ein Training der Beckenbodenmuskulatur<br />
ist empfehlenswert, allerdings<br />
muss der Patient kognitiv in der Lage<br />
sein, das Training zu verstehen, anzunehmen<br />
und unter Anleitung durchzuführen.<br />
Eine Mischinkontinenz beschreibt das<br />
kombinierte Vorliegen einer Dranginkontinenz<br />
und einer Belastungsinkontinenz.<br />
Die Überlaufblase (Überlaufinkontinenz)<br />
liegt bei einer primären Erschlaffung<br />
<strong>des</strong> Detrusormuskels durch lumbosakrale<br />
Pathologien oder Obstruktionen<br />
der Harnröhre vor. Ersteres kann bei Diabetes<br />
mellitus und Rückenmarkspathologien<br />
resultieren, zweiteres kann bei Prostatapathologien,<br />
Harnröhrenstrikturen<br />
oder großen Zystozelen vorliegen. Oftmals<br />
ist bei solchen Krankheitsbildern eine urologisch<br />
chirurgische Intervention notwendig,<br />
wenn der Patient nicht in der Lage ist,<br />
sich regelmäßig selbst zu katheterisieren.<br />
Eine Reflexinkontinenz liegt bei Harnverlust<br />
durch Detrusorhyperreflexie vor.<br />
Die Blase verhält sich aufgrund von Denervation<br />
reflektorisch.<br />
Von einer funktionellen Inkontinenz<br />
spricht man bei Patienten, welche aufgrund<br />
physischer oder kognitiver Defizite<br />
oder auch einer inadäquaten Umgebung<br />
nicht rechtzeitig bei entsprechendem<br />
Harndrang zur Toilette gelangen. Diese<br />
Form der Inkontinenz findet man bei Demenz<br />
oder anderen kognitiv oder physisch<br />
einschränkenden neurologischen<br />
Erkrankungen. Hier kann man dem Patienten<br />
im Bedarf Verhaltenstraining, Verbesserung<br />
der Umgebungsstruktur oder<br />
Physiotherapie zur Verbesserung der Mobilität<br />
anbieten.<br />
In der Praxis findet man all diese Inkontinenzformen<br />
häufig durch eine psychogene<br />
Komponente verstärkt, welche<br />
auch entscheidende Ausmaße annehmen<br />
kann. Angst vor <strong>Harninkontinenz</strong> kann<br />
zur „nervösen“ Verstärkung führen. Obwohl<br />
Antidepressiva auch im Einzelfall<br />
focus neurogeriatrie © Springer-Verlag<br />
1-2/2009 27