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Harninkontinenz des älteren Menschen

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diplomfortbildung<br />

rapiert. Im Verlauf ist auf Nebenwirkungen<br />

wie orthostatische Dysregulationen oder<br />

Müdigkeit und Fallneigungen zu achten.<br />

Bei Detrusorschwäche können Alphaadrenorezeptorenblocker<br />

wie zum Beispiel<br />

Phenoxybenzamin (Dibenzyran® )<br />

oder Parasympatikomimetika wie zum<br />

Beispiel Betanechol (Myocholine® ) verordnet<br />

werden.<br />

Bei Patienten mit überaktiver Blase<br />

müssen individuelle Toilett-Trainingsmodelle,<br />

welche aus Patientenbedarf und Betreuungsmöglichkeit<br />

bestehen, erarbeitet<br />

werden. Diese Modelle sind vor allem bei<br />

kognitiv beeinträchtigten oder pflegebedürftigen<br />

Patienten notwendig. Hilfestellung<br />

in regelmäßigen Intervallen bei Miktion<br />

(zum Beispiel im Beginn alle 2<br />

Stunden) lassen den Patienten so mit allen<br />

Lebensqualität verbessernden sozialen<br />

Vorteilen künstlich kontinent sein. Man<br />

kann auch Maßnahmen aus dem Verhaltenstraining<br />

einfließen lassen und die<br />

Miktion zum Beispiel vor den Mahlzeiten,<br />

vor dem Trinken oder vor dem Weggehen<br />

aus dem Wohnbereich ansetzen.<br />

Im geriatrischen Setting ist das Überprüfen<br />

<strong>des</strong> Wohnbereiches und der möglichen<br />

Wege zur Toilette auf gute Begehbarkeit<br />

(zum Beispiel Handläufe, kürzere<br />

Haltegriffe) und gute Ausleuchtung<br />

(eventuell Bewegungsmelderlichtquellen)<br />

sehr wichtig. Wenn es dem Patienten<br />

kognitiv möglich ist, so kann ein gutes<br />

Training der Beckenbodenmuskulatur<br />

zur Verbesserung der Inkontinenz-Situation<br />

führen.<br />

Sollten diese Maßnahmen in Kombination<br />

mit medikamentösen Interventionen<br />

nicht den gewünschten Erfolg bringen<br />

ist vor bei der Überlaufblase das<br />

Erlernen <strong>des</strong> intermittierenden Selbstkatheterisierens<br />

zu evaluieren. Bei Erfolglosigkeit<br />

muss man das Anlegen eines supra-<br />

oder infrapubischen Dauerkatheters<br />

indizieren. Eine Beratung über Pflegebehelfe<br />

sowie entsprechende Verordnungen<br />

zur Inkontinenzversorgung sind ein wichtiger<br />

Teil der ärztlichen Betreuung der geriatrischen<br />

Inkontinenz. Bei leichtgradiger<br />

<strong>Harninkontinenz</strong> wird ein offenes System<br />

mit verschiedenen Saugstärken verordnet,<br />

diese Einlagen werden in die Unterhose<br />

oder Netzhose eingelegt und festgeklebt.<br />

Es gibt für Männer und Frauen entsprechend<br />

geformte Einlagen.<br />

Für höhergradige Inkontinenz oder gemischte<br />

Harn- und Stuhlinkontinenz wird<br />

ein geschlossenes System verordnet, diese<br />

Systeme entsprechen Schutzhosen und<br />

können für Männer und Frauen gleich verordnet<br />

werden.<br />

Soziale Aspekte<br />

Die <strong>Harninkontinenz</strong> <strong>des</strong> alten <strong>Menschen</strong><br />

steht an Stelle vier jener Erkrankungen,<br />

welche die Lebensqualität entscheidend<br />

beeinflussen können. Eine sehr rezente<br />

Studie von Jye Wang untersuchte verschiedene<br />

Faktoren geriatrischer Patienten in<br />

Bezug auf deren Einfluss auf die Aktivitäten<br />

<strong>des</strong> täglichen Lebens (ATL). Die Blaseninkontinenz<br />

konnte in drei voneinander<br />

unabhängigen Rating-Skalen als<br />

deutlich ATL-limitierend verifiziert werden.<br />

Die Reduktion der ATL-Fähigkeit<br />

durch Miktionsstörungen war wesentlich<br />

drastischer als zum Beispiel jene durch<br />

Depressionen. Nykturie, welche im Rahmen<br />

von Inkontinenz vorkommt, hat einen<br />

deutlichen Einfluss auf die Erholsamkeit<br />

<strong>des</strong> Nachtschlafes und daher auf die Tagesverfassung<br />

der Patienten. Hier hat das<br />

wieder-Einschlafen-können nach dem Toilettgang<br />

eine große Bedeutung. Patienten,<br />

welche ein Problem beim wieder-Einschlafen<br />

im Rahmen von Nykturie haben,<br />

weisen oft assoziierte Erkrankungen wie<br />

zum Beispiel Restless Legs Syndrom, pathologische<br />

Atemmuster oder periodische<br />

Beinbewegungen auf. Diese Patienten leiden<br />

mit und ohne einer dieser assoziierten<br />

Begleit erkrankungen unter Tagesmüdigkeit<br />

mit Reduktion der Tagesaktivitäten.<br />

Aufgrund der stigmatisierenden Wirkung<br />

von <strong>Harninkontinenz</strong> und dem damit<br />

verbundenen sozialen Rückzug ist es wichtig,<br />

den Patienten entsprechen zu beraten,<br />

um ihm auch die Angst vor Problemen mit<br />

seiner Erkrankung zu nehmen. Dazu gehört<br />

neben der ärztlichen Beratung auch<br />

entsprechen<strong>des</strong> Wissen im Bereich der<br />

pflegerischen Inkontinenzversorgung, da<br />

der Arzt die entsprechenden Pflegebehelfe<br />

verordnen muss. Bei der Verordnung und<br />

bei Kontrolluntersuchungen sollte diese<br />

Versorgung wiederholt angesprochen werden.<br />

Der Patient oder seine Betreuungsperson<br />

sollten dazu aufgefordert werden<br />

anzugeben, ob eine bereits verordnete Versorgung<br />

suffizient ist oder ob eine andere<br />

Lösung gefunden werden muss. Entsprechend<br />

muss man sich für ein solches Gespräch<br />

Zeit nehmen und dem Patienten<br />

und seinen Bezugspersonen eine Normalität<br />

im Umgang mit dem Thema der Miktionsstörung<br />

vorleben.<br />

Probleme der<br />

geriatrischen <strong>Harninkontinenz</strong><br />

Viele geriatrische Patienten halten ihre<br />

<strong>Harninkontinenz</strong> für einen Teil <strong>des</strong> natürlichen<br />

Alterungsprozesses. Sie haben<br />

Hemmungen darüber zu sprechen beziehungsweise<br />

können sie aufgrund, beeinträchtigter<br />

kognitiver Fähigkeiten nicht<br />

oder nur inadäquat darüber berichten.<br />

In der ärztlichen geriatrischen Betreuung<br />

sollte wiederholt die Kontinenzfähigkeit<br />

hinterfragt werden. Bei älteren pflegebedürftigen<br />

<strong>Menschen</strong> ist die Pflegeperson<br />

eine wichtige Schlüsselfigur. Im Rahmen<br />

der Multidisziplinarität um den geriatrischen<br />

Patienten sollen auch das Pflegepersonal/die<br />

Betreuer im Rahmen der Erhebung<br />

der ADLs nach dem Toilettverhalten<br />

befragt werden. Selbst wenn der Patient zu<br />

diesem Thema Angaben macht, so muss<br />

mit einem Nivellieren oder Verheimlichen<br />

von <strong>Harninkontinenz</strong> gerechnet werden.<br />

Dem soll durch einen entstigmatisierenden<br />

Umgang im ärztlichen Gespräch entgegengewirkt<br />

werden. Konservative und medikamentöse<br />

Empfehlungen sollten überprüft<br />

und im Bedarfsfall adaptiert werden. Ein<br />

weiterer Punkt der multidisziplinären Patientenbetreuung<br />

ist das Hinterfragen der<br />

Vormedikamente auf Inkontinenz verstärkende<br />

Nebenwirkungen beziehungsweise<br />

bei Verordnung eines urologischen Präparates<br />

die Wahl eines nebenwirkungsarmen<br />

Medikamentes.<br />

Depressive Verarbeitung und sozialer<br />

Rückzug können die Mobilität und die körperliche<br />

Fitness reduzieren – somit kann es<br />

zur Verschlechterung der Ausgangssituation<br />

kommen. Harnwegsinfekte sind ein<br />

möglicher Ausgangspunkt von Sepsis oder<br />

Bakteriämie mit potentiell letalem Ausgang<br />

bei einem immunseneszenten Patienten.<br />

Aufgrund der möglichen Folgen von<br />

<strong>Harninkontinenz</strong> ist die ständige gemeinsame<br />

interdisziplinäre Weiterentwicklung<br />

eines State of the Art von Diagnose,<br />

Therapie und Hilfsmaßnahmen, sowie<br />

eine entsprechende Prävention von Folgeerkrankungen<br />

und das individuelle Patientenmanagement<br />

aus dem Alltag der<br />

<strong>Harninkontinenz</strong> <strong>des</strong> geriatrischen Patienten<br />

nicht wegzudenken. <br />

•<br />

Literatur beim Verfasser<br />

Korrespondenz<br />

Dr. Sabine Urbanits, MSc<br />

Neurologische Abteilung, SMZ-Süd, Kaiser Franz Josef Spital<br />

Kundratstrasse 3, 1100 Wien<br />

Sabine.urbanits@wienkav.at<br />

Lecture Board<br />

Prof. Dr. Franz Böhmer, Graz<br />

Prim. Dr. Dieter Volc, Wien<br />

Prof. Dr. Iglseder, Salzburg<br />

Herausgeber<br />

Haus der Barmherzigkeit, Abteilung für neurologische Geriatrie<br />

und Rehabilitation, Seeböckgasse 30a, 1160 Wien<br />

focus neurogeriatrie © Springer-Verlag<br />

1-2/2009 29

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