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Das reizt mich. Ich biete der Inhaberin meine Dienste als Dekorateur an, erhalte den<br />
Auftrag und lerne so meine spätere erste Frau kennen. Alles läuft positiv. Allerdings<br />
vernachlässige ich mein Leichtathletiktraining und gebe es nach eine halben Jahr ganz<br />
auf. Im Training bleibe ich noch solange wie wir in Wuppertal wohnen. Roswitha<br />
wohnt mit ihrer Mutter auf dem Nützenberg - ich im Tal an der Wupper. Die Treppe<br />
hat gefühlte 500 Stufen.<br />
Meine Prüfung zum Schaufensterdekorateur bestehe ich mit Bestnoten in Theorie<br />
und Praxis. Das spart sechs Monate Lehre. Statt 70 DM Lehrgeld gibt es jetzt unglaubliche<br />
185 DM im Monat. Ich muss 70 DM zu Hause abgeben. Den Rest darf ich<br />
behalten. Angestachelt durch einen Kollegen fordere ich bereits nach sechs Wochen<br />
mehr und schaffe eine Steigerung auf 230 DM. Unser Substitut verdient zu der Zeit<br />
nach mehreren Praxisjahren eben mal 260 DM. Ich darf nicht darüber sprechen.<br />
Jetzt kann ich den Führerschein machen. Mit zwei Monaten Theorie und drei<br />
Fahrstunden bestehe ich die Prüfung auf Anhieb. Da hat „Fahren“ auf dem Betriebsgelände<br />
von Pierre‘s Vater doch etwas gebracht. Aus der Garage raus musste sofort nach<br />
rechts gelenkt werden, durch das Tor und sofort wieder rechts, um nicht in den Zaun<br />
des gegenüberliegenden Gartens zu fahren. Die Strecke von mindestens 15 Metern<br />
wurde eifrig genutzt. Raus vorwärts - rein rückwärts. Das übt.<br />
Dass meine beruflichen Leistungen sich herumsprechen (ich dekoriere doppelt<br />
so viele Fenster wie meine Kollegen) erfahre ich nach fünf Monaten Gesellenzeit. Der<br />
Chefdekorateur des Kaufhofs, der an der nächsten Ecke liegt, wirbt mich ab. 275 DM<br />
ist sein Angebot. Gereizt hat mich das nur bedingt - 45 DM mehr - aber die Möglichkeit,<br />
mehr zu lernen lässt mich zustimmen.<br />
Wußte ich doch, dass beim Kaufhof derzeit ein Bildhauer und ein Kunstmaler arbeiteten.<br />
In den folgenden Monaten gelingt es mir nicht nur, mein Gehalt auf 400 DM<br />
zu steigern, sondern ich lerne tatsächlich viel Neues kennen. Wir fertigen Figuren wie<br />
antike Speer- und Diskuswerfer aus Stereopur an. Formen Vasen aus Ton, machen Abgüsse<br />
und stellen mit den Formen mit Draht und Papier zig Exemplare her. Weiß gestrichen<br />
und mit Kunstblüten geschmückt werden sie dann in den Verkaufsetagen verkaufsfördernd<br />
aufgehängt.<br />
Mein erstes Gehalt macht mich zum stolzen Besitzer einer damals sehr modernen<br />
Wildlederjacke im James Dean Stil. Bar bezahlt in der Herrenabteilung ziehe ich<br />
sie sofort an und gehe damit in den Keller des Hauses, wo sich die Dekorationsabteilung<br />
befindet. In dem Arbeitsraum steht neben einer Kreissäge der riesige Arbeitstisch.<br />
Um ihn herum bereiten einige meiner Kollegen Schaustücke für die nächste<br />
Schaufensterdekoration vor. Da wird nicht nur fleißig gearbeitet sonder auch mal derb<br />
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