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chen. Im Glauben, ein Offizier wohne bei uns, verschwindet der Eindringling sofort.<br />

Auf diese Weise entkommen meine Mutter und meine Tante den damals stattfindenden<br />

Vergewaltigungen.)<br />

Der Krieg ist zu Ende. Grimmen hat nichts abbekommen. Es gibt ein neues Spielzeug:<br />

zwei verlassene Flakgeschütze am Fuße der Mühle. Ich klettere auf den erhöhten<br />

Sitz und kann das Geschütz durch Drehen eines Rades um 180° Grad bewegen. Mein<br />

Karussell.<br />

Sommer 1945. Wir dürfen nicht bleiben. Alle Evakuierten werden aufgefordert,<br />

die Stadt sofort zu verlassen. Die beiden Lenkräder der Flak befinden sich plötzlich<br />

unter einer Kiste an der vorn eine Ziehstange montiert ist. Ein selbstgebastelter Transportwagen,<br />

auf dem einige unserer Sachen verstaut werden. Axel sitzt mit seinen jetzt<br />

anderthalb Jahren in einem weißen Korbwagen, der zusätzlich mit Taschen behängt<br />

ist. Meine Oma schiebt. Meine Mutter und Tante Lotte sind mit Rücksäcken bepackt<br />

und ziehen den Karren. Spielzeug dürfen wir nicht mitnehmen.<br />

Lang ist der Weg über staubige Feldwege. Rechts und links üppige Kornfelder, in<br />

die wir uns flüchten müssen, wenn eine Militärkolonne unseren Treck überholt. Es<br />

werden immer mehr Menschen. Die ersten Nächte verbringen wir im Freien. Es ist ein<br />

Jahrhundertsommer. Wurst, Schinken und Speck hatten uns unsere Freunde aus Papenhagen<br />

reichlich mitgegeben. Bei in der Nähe kampierenden russischen Soldaten<br />

erbettele ich Brot, das wir in der Dunkelheit heimlich mit unseren Vorräten verzehren.<br />

Meine Mutter weint darüber, dass ein Offizierssohn bei den Feinden betteln muss.<br />

Die Rucksäcke und der Karren wird schwerer je weiter wir kommen. Meine Mutter<br />

und Tante Lotte sortieren aus und werfen Sachen weg. Renate und ich sehen ein<br />

Paar Schuhe in das Kornfeld fliegen, holen sie zurück und verstecken sie heimlich in<br />

Axels Kinderwagen. Erst am Abend fällt das auf. Später wird diese Geschichte immer<br />

wieder gern erzählt.<br />

Es wird Abend. Eine Gruppe russischer Soldaten hält den Treck an. Wir sind vor<br />

einem großen Bauernhof. „Männer rechts – Frauen und Kinder links“ brüllt einer. Wir<br />

werden in eine riesige Scheune gebracht, einige hundert Menschen. Auf dem Boden ist<br />

Stroh ausgelegt. Wir müssen uns in Reihen nebeneinander legen. Ein schmaler Gang<br />

jeweils zwischen den Reihen. Das Tor wird verschlossen. Es ist stockfinster. Plötzlich<br />

hören wir Schreie von draußen, die sich dann in der Scheune fortsetzen. Ohrenbetäu-<br />

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