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EDITION . Ausgabe 2 . Familie Familie Breuninger hört auf<br />
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überall hin, von überall her. Die Milch wird eins mit den großen<br />
Warenströmen, die unaufhörlich den Planeten umfl ießen.<br />
Der Tag kommt, an dem alles restliche Futter verfüttert ist, alle<br />
Kälber geboren sind, es kein Hinauszögern mehr gibt. Vier Kühe<br />
und ein Kalb stehen am 12. August im Stall. Zu zweit gehen Vater<br />
und Sohn ein letztes Mal zum Melken. Es dauert fünf Minuten.<br />
Der Sohn sieht sich zum Vater um. „Hast du die schon?“, zeigt er auf<br />
die Kuh vor ihm. „Ha, ja“, murmelt der Vater. Für einen Moment<br />
schweigen sie. „So, das war`s dann“, sagt Rolf und verlässt den Stall.<br />
Die Mutter steht zur Mittagszeit im Esszimmer und wartet auf die<br />
Ankunft des Viehhändlers Anton Tittl. „Wir haben Erwin aufs Feld<br />
geschickt“, sagt sie. „Er soll nicht dabei sein, wenn es passiert.“ Durch<br />
das Fenster beobachtet Anneliese, wie ihr Mann nach dem Melken<br />
noch einmal zu den Kühen geht. Um Abschied zu nehmen. Anneliese<br />
fasst sich ans Kinn, beginnt plötzlich zu weinen. Flüchtet sich<br />
in Küchenarbeit, räumt Töpfe um, sortiert die Speisekammer neu.<br />
Sie sieht, wie ihr Sohn über den Hof zum Wohnhaus läuft, um sein<br />
Mittagessen zu holen. „Das darf er nicht sehen“, schluchzt sie, „der<br />
versteht das nicht.“ Hastig trocknet sie die Augen mit einem Geschirrtuch.<br />
„Was ist Mutter?“, fragt Rolf, als er am Tisch sitzt. „Bist du<br />
krank?“ „Ich fühl mich grad nicht wohl“, sagt sie und geht. Laut ruft<br />
ihr Rolf hinterher. „Jetzt mach doch wegen den Viechern kein Drama!“<br />
Als Tittl einige Minuten später mit seinem Transporter auf<br />
den Hof rollt, ist niemand da. Erwin arbeitet zur Ablenkung draußen<br />
auf dem Feld. Anneliese steht hinter den Gardinen und reagiert<br />
nicht auf Tittls Rufe. Sie telefoniert mit ihrer Tochter im Nachbarort<br />
und bittet sie zu kommen. Der Rolf bleibt verschollen, schließlich<br />
taucht er von irgendwoher auf, ausdruckslos. Mit dem Viehhändler<br />
leert er den Stall. „Ganz langsam. Wir haben Zeit“, sagt Tittl beim<br />
Treiben und beruhigt den Bauern wie das Vieh. 50 Milchbetriebe<br />
hat er in den letzten Jahren abgewickelt. Er fährt vom Hof, biegt ab<br />
zum Schlachthof, und Anneliese schaut ihm nach, bis er auf der<br />
Dorfstraße verschwindet.<br />
„Die Tiere gehen zuerst“, sagt sie später beim Kaffee. „Und bald<br />
gehen wir.“ Am Abend, gegen halb sechs, will Erwin wie immer in<br />
den Stall, um die Kühe zu melken. Ende. Aus. Vorbei.<br />
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