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EDITION . Ausgabe 2 . Familie Familie Breuninger hört auf<br />

138<br />

überall hin, von überall her. Die Milch wird eins mit den großen<br />

Warenströmen, die unaufhörlich den Planeten umfl ießen.<br />

Der Tag kommt, an dem alles restliche Futter verfüttert ist, alle<br />

Kälber geboren sind, es kein Hinauszögern mehr gibt. Vier Kühe<br />

und ein Kalb stehen am 12. August im Stall. Zu zweit gehen Vater<br />

und Sohn ein letztes Mal zum Melken. Es dauert fünf Minuten.<br />

Der Sohn sieht sich zum Vater um. „Hast du die schon?“, zeigt er auf<br />

die Kuh vor ihm. „Ha, ja“, murmelt der Vater. Für einen Moment<br />

schweigen sie. „So, das war`s dann“, sagt Rolf und verlässt den Stall.<br />

Die Mutter steht zur Mittagszeit im Esszimmer und wartet auf die<br />

Ankunft des Viehhändlers Anton Tittl. „Wir haben Erwin aufs Feld<br />

geschickt“, sagt sie. „Er soll nicht dabei sein, wenn es passiert.“ Durch<br />

das Fenster beobachtet Anneliese, wie ihr Mann nach dem Melken<br />

noch einmal zu den Kühen geht. Um Abschied zu nehmen. Anneliese<br />

fasst sich ans Kinn, beginnt plötzlich zu weinen. Flüchtet sich<br />

in Küchenarbeit, räumt Töpfe um, sortiert die Speisekammer neu.<br />

Sie sieht, wie ihr Sohn über den Hof zum Wohnhaus läuft, um sein<br />

Mittagessen zu holen. „Das darf er nicht sehen“, schluchzt sie, „der<br />

versteht das nicht.“ Hastig trocknet sie die Augen mit einem Geschirrtuch.<br />

„Was ist Mutter?“, fragt Rolf, als er am Tisch sitzt. „Bist du<br />

krank?“ „Ich fühl mich grad nicht wohl“, sagt sie und geht. Laut ruft<br />

ihr Rolf hinterher. „Jetzt mach doch wegen den Viechern kein Drama!“<br />

Als Tittl einige Minuten später mit seinem Transporter auf<br />

den Hof rollt, ist niemand da. Erwin arbeitet zur Ablenkung draußen<br />

auf dem Feld. Anneliese steht hinter den Gardinen und reagiert<br />

nicht auf Tittls Rufe. Sie telefoniert mit ihrer Tochter im Nachbarort<br />

und bittet sie zu kommen. Der Rolf bleibt verschollen, schließlich<br />

taucht er von irgendwoher auf, ausdruckslos. Mit dem Viehhändler<br />

leert er den Stall. „Ganz langsam. Wir haben Zeit“, sagt Tittl beim<br />

Treiben und beruhigt den Bauern wie das Vieh. 50 Milchbetriebe<br />

hat er in den letzten Jahren abgewickelt. Er fährt vom Hof, biegt ab<br />

zum Schlachthof, und Anneliese schaut ihm nach, bis er auf der<br />

Dorfstraße verschwindet.<br />

„Die Tiere gehen zuerst“, sagt sie später beim Kaffee. „Und bald<br />

gehen wir.“ Am Abend, gegen halb sechs, will Erwin wie immer in<br />

den Stall, um die Kühe zu melken. Ende. Aus. Vorbei.<br />

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