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Fritz Hellwig<br />

Interview mit<br />

Prof. Dr. Fritz Hellwig, Bonn-Bad Godesberg, 02.02.1999<br />

Interviewer: Prof. Dr. Wilfried Loth<br />

L: Herr Hellwig, Sie sind ja in der Phase des Schuman-Plans zum ersten Mal<br />

aktiv mit der Gestaltung der Europaischen Einigung befaf3t worden. In welche<br />

Richtung haben Sie damals als Experte in die Oiskussionen in den Reihen der<br />

COU eingegriffen?<br />

H: Fur uns war der Schuman-Plan ein erlbsendes Wort in den<br />

Auseinandersetzungen uber die Zukunft des deutschen Steinkohlebergbaus<br />

und der deutschen Stahlindustrie. Wir hatten ja, und das war meine erste<br />

Tatigkeit nach Ruckkehr aus der Kriegsgefangenschaft, unsere gror1en<br />

Probleme mit der Kontrolle der Kohle- und Stahl, der Kontrolle des<br />

Ruhrgebiets, der North German lron-and-Steel-Control - ich war damals<br />

speziell fUr die Alt-Gesellschaften der Eisen- und Stahlindustrie beratend tatig<br />

-, aber es war angesichts des Widerstands, vor allem der britischen<br />

Besatzungsorgane, zunachst noch absolut nicht klar, in welche Richtung die<br />

Verstandigung und die Neuordnung erfolgen sollten. Die deutschen<br />

Vorschlage fUr die Neuordnung wurden zwar bei uns schon heftig diskutiert.<br />

Es waren unsere Bemuhungen, die Zustandigkeit der Bundesregierung<br />

herbeizufUhren. 1m November 1949 war ja die beruhmte Debatte uber die<br />

Frage der Demontagen und des Beitritts zum Europarat. Die Saarfrage wurde<br />

zu diesem Zeitpunkt noch ausgeklammert. Wir waren bemuht, auch der<br />

Wirtschaftsausschur1 der CDU, unter dem Vorsitz von Etzel, der immerhin als<br />

Anwalt in Duisburg aufs Engste mit den Montanproblemen befar1t war, die<br />

Zustandigkeit der neuen Bundesregierung auch fUr die Wettbewerbsfragen,<br />

fUr die Entflechtung, mit einem Wort: fUr die Neuordnung des Kohlebergbaus<br />

und der Eisen- und Stahlindustrie herbeizufUhren. In diesen<br />

Auseinandersetzungen, die bis zu der Drohung eines Generalstreiks der<br />

© Archives historiques de l'Union européenne<br />

© Historical Archives of the <strong>European</strong> Union<br />

HAEU AHUE HAEU AHUE<br />

Gewerkschaften wegen der Mitbestimmung im Montanbereich fUhrten, im<br />

Winter 1950, war im Mai 1950 die Erklarung von Robert Schuman das<br />

erlbsende Wort. Sie erbffnete einen Weg, bei dem wir zwar gehofft hatten,<br />

dar1 man ihn finden wurde, aber bis dahin keine positive Reaktion auf<br />

franzbsischer Seite hatten. Ich meine, wenn ich von den Hoffnungen spreche,<br />

den sogenannten Arnold-Plan. Anfang 1949 hatten wir einen Plan von Arnold<br />

verbffentlicht, ich war damals mit tatig fUr das Deutsche Buro fUr<br />

Friedensfragen in Stuttgart, und von dieser Stelle aus haben wir die<br />

amerikanische Denkschrift publiziert, in deren Anhang der Arnold-Plan<br />

enthalten war. Es ging darum, das war der Kern des Vorschlags, wenn schon<br />

eine internationale Kontrolle der deutschen Kohle- und Stahlwirtschaft, dann<br />

sollte man die west-europaischen Lander der Kohle- und Stahlwirtschaft an<br />

dieser internationalen Kontrolle in einer gemeinsamen Organisation beteiligen.


Fritz Hellwig<br />

Aus dieser Stimmung heraus ist dann auch bei der Erklarung von Robert<br />

Schuman vom 9. Mai 1950 meine Stellungnahme in der Denkschrift vom<br />

Wirtschaftsausschur1 der CDU entstanden, die Mitte Mai der Fraktion<br />

vorgelegt wurde und die dann in unserem internen Kreis fOr die nachsten<br />

Wochen die Meinungsbildung zu diesem Thema etwas bestimmte.<br />

L: Gab es Einwande, Bedenken, sich am Schuman-Plan zu beteiligen?<br />

H: Bedenken waren vor allem auf der Seite nati..irlich der betroffenen<br />

Unternehmungen. Die betroffenen Unternehmungen haben daher auch schon<br />

in allerersten Gesprachen mit Bundeswirtschaftsminister Erhard und mit dem<br />

Bundeskanzler die Hoffnung geaur1ert, dar1 sie an den Verhandlungen<br />

unmittelbar beteiligt wOrden. Es ist nicht dazu gekommen. Die<br />

Verhandlungsdelegation wurde nicht der Industrie, gewissermar1en,<br />

Oberlassen, sondern Hallstein wurde mit der Leitung der deutschen<br />

Verhandlungsdelegation beauftragt. Er hatte aber neben der Kommission<br />

einige Sachverstandige heranziehen konnen, darunter nati..irlich auch die der<br />

betroffenen Industrie. Der andere Vorbehalt war der, in welcher Weise wird<br />

denn die deutsche Seite bei diesen Verhandlungen beteiligt. Es mur1 doch<br />

eine Gleichberechtigung geben in dieser Verhandlung, und das fOhrte zu dem<br />

berOhmten Auftritt von Jean Monnet bei der Alliierten Kommission auf dem<br />

Petersberg, als Jean Monnet die Angelegenheit dort vortrug und der<br />

Englander sagte, "Die Bundesregierung kann nicht der Verhandlungspartner<br />

sein, wir vertreten die Bundesregierung". Da antwortete Jean Monnet: "Wenn<br />

das Ihre Meinung ist, dann ist die Sache tot. Wir verhandeln nur mit der<br />

gleichberechtigten Bundesregierung". Damit sind die beiden Vorbehalte schon<br />

- glaube ich - doch sehr deutlich genannt. Der dritte Vorbehalt war,<br />

Voraussetzung, das Ziel in einer solchen Neuordnung mur1 sein, dar1 die<br />

Produktionsbeschrankungen, die der deutschen Seite auferlegt waren,<br />

aufhoren mOssen. Der deutschen Stahlindustrie war eine Hochstproduktion<br />

nur gestattet zunachst von etwas Ober 5 Mio. Tonnen und das war gerade<br />

kurz vorher auf 11 Mio. Tonnen heraufgesetzt worden. Dieser Vorbehalt der<br />

deutschen Seite, dann mur1 die Produktionsbeschrankung fallen, war also der<br />

dritte Einwand.<br />

L: Wie war das mit der Gefahr eines Verbots von ZusammenschWssen,<br />

Fusionen und Kooperationen, das ja als Zielsetzung in dem Monnet­<br />

Programm deut/ich zu erkennen war?<br />

H: Die Neuordnung der Stahlindustrie hatte so oder so nicht an der Frage der<br />

zulassigen Unternehmensgror1en oder vielleicht auch der sogenannten<br />

ROckverflechtung von zerschlagenen Konzerneinheiten vorbeigehen konnen.<br />

© Archives historiques de l'Union européenne<br />

© Historical Archives of the <strong>European</strong> Union<br />

HAEU AHUE HAEU AHUE<br />

DarOber war man sich von vornherein im Klaren. Die Aussichten, Ober die<br />

Kompetenz einer neuen Hohen Behorde vernOnftige Unternehmenseinheiten<br />

wieder zusammenzufOgen, waren besser aber auf diesem Wege, als wenn<br />

man alleine der britischen Kontrollmacht gegenOber gestanden hatte. 1m<br />

Obrigen war ja auch noch die Frage offen, inwieweit ein Sonderrecht fOr den<br />

Montanbereich gegen ZusammenschlOsse und gegen Kartelle bestehen<br />

sollte, oder ob es nicht in eine allgemeine deutsche<br />

Wettbewerbsgesetzgebung hinein gehorte. Die Amerikaner haben diese<br />

Bedingung gestellt, dar1 sie die Kontrollmoglichkeiten auf dem Gebiet des<br />

Wettbewerbs erst aufgeben wOrden, wenn eine adaquate Regelung im<br />

deutschen Recht vom Bundestag verabschiedet ware. Das war der<br />

Zusammenhang mit dem Entwurf, den ersten EntwOrfen des Gesetzes gegen<br />

Wettbewerbsbeschrankungen, an denen die Bundesregierung arbeitete. Der<br />

Zusammenhang ist mit dem amerikanischen Kartellverbot besonders deutlich


Fritz Hellwig<br />

in der Formulierung der Art. 65 und 66 des Montanvertrages, deren<br />

ursprunglicher Wortlaut im Entwurf im Englischen niedergeschrieben war und<br />

von dem Kartellreferenten in der amerikanische Besatzungskommission<br />

stammte.<br />

Jean Monnet hatte namlich selbst Zweifel, auf diesem Punkte die richtige<br />

Formulierung zu finden. Und daher sind die Beauftragten aus der<br />

Verhandlung bei dem amerikanischen Kartellreferenten vorstellig geworden<br />

und von dort haben sie dann den Entwurf mitgebracht.<br />

L: Nach dem was Sie sagen, gab es dann ja wahl in den FOhrungsgremien der<br />

COU und den Bundestagsfraktionen keine Einwande gegen den Vertrag von<br />

1951?<br />

H: Es waren doch eine ganze Reihe von mehr psychologisch bedingten<br />

Einwendungen, denn nicht nur fUr die breite Masse in der Bevolkerung,<br />

sondern auch fUr, nun sagen wir mal, die durchschnittliche politische Meinung,<br />

in Parteien, wie in der Wirtschaft, kam der Wechsel zwischen der<br />

Besatzungskontrolle und dieser neuen Initiative auf franzosischer Seite etwas<br />

zu plotzlich, und es war ein ganz gror1es Mir1trauen, es war ein gror1es<br />

Mir1trauen vor allem bei der SPD: Kurt Schumacher, der "Bundeskanzler der<br />

Alliierten", sein Zwischenruf im November 1949 und ein Mir1trauen naturlich<br />

auch bei den Gewerkschaften. Bei den Gewerkschaften in doppelter Hinsicht:<br />

einmal Fortbestand der muhsam erkampften Montanmitbestimmung und zum<br />

anderen auch naturlich die Schwierigkeiten, die die Produzenten selbst<br />

hatten, namlich dar1 die Demontagen zu Ende gehen mur1ten und dar1 die<br />

Produktionsbeschrankung aufhoren mur1te. Etwas anderes war naturlich die<br />

Frage der Lieferverpflichtungen bei Kohle, aber die hat in dem Fall nicht so<br />

stark eine Rolle gespielt.<br />

Wir haben damals dann auch den Weg beschritten, die offentliche<br />

Meinungsbildung durch das bis dahin etwas ungewohnte Vorgehen im<br />

vorparlamentarischen Raum zu beeinflussen. Es wurde damals ein Komitee<br />

fUr Europabildung, europaisches Bildungswerk, glaube ich, gegrundet. Herr<br />

von Ledebur machte das, und nach verschiedene andere<br />

Arbeitsgemeinschaften demokratischer Kreise fingen damals auch an. Ich<br />

habe Kohl daran erinnert, als der Vertrag von Maastricht da war und zwei<br />

Jahre diskutiert wurde, uber die Europaische Wahrungseinheit. Er hatte mir<br />

zu meinem 85. Geburtstag einen gratulierenden Brief - oder ich glaube es war<br />

zum 80. Geburtstag sogar, so lange ging ja die Diskussion schon - einen Brief<br />

geschrieben, und daran erinnert: ... in der Sache Maastricht, das mur1 ein<br />

Erfolg werden. Da hab ich ihm geschrieben, jetzt will ich Sie mal daran<br />

HAEU AHUE HAEU AHUE<br />

erinnern, was 1950 war. Da hatten wir in der offentlichen Meinung auch noch<br />

keine Mehrheit, aber wir haben die Meinungsbildung nicht der Opposition<br />

uberlassen. Warum uberlar1t die Bundesregierung die Meinungsbildung in der<br />

Euro-Frage heute den Gegnern? Wir sind damals in den<br />

vorparlamentarischen Raum gegangen mit einer Vielzahl von<br />

Veranstaltungen, Texten fUr Rednerdienste und was nicht alles ... , und warum<br />

geschieht heute nichts? Ich glaube, es sind dann ein paar<br />

Hochglanzbroschuren gemacht worden.<br />

L: Herr Hellwig, wie hat man in den FOhrungsgremien der COU das Scheitern der<br />

EVG am 30. August 1954 wahrgenommen? Enttauschung sicherlich, aber hat<br />

man neue Perspektiven gesehen oder war man zunachst fOr eine gewisse<br />

Zeit rat/os, wie es weitergehen sallte?<br />

© Archives historiques de l'Union européenne<br />

© Historical Archives of the <strong>European</strong> Union


Fritz Hellwig<br />

H: Ich glaube, man kann ruhig sagen, es war eine gewisse Ratlosigkeit. Naturlich<br />

traf der Ruckschlag, der von Paris kam, nicht nur uns in der CDU, sondern er<br />

traf auch eine deutliche Mehrheit in der Versammlung des Europarats. Ich war<br />

selbst in dieser Sitzung im Europarat in der Versammlung, als die Nachricht<br />

von Paris kam und es hat also erregte rednerische Szenen in der<br />

Versammlung des Europarats gegeben: Ich vergesse nie die erregte Rede<br />

von Gerstenmaier. Irgendein Gegner der EVG wagte, die Pariser Haltung zu<br />

erklaren und verstandlich zu machen. Da ist Spaak aufgetreten und hat also<br />

auch in ebenso erregter Weise aile diese Versuche zuruckgewiesen. Also<br />

diese Ratlosigkeit und Enttauschung war nicht nur eine deutsche Sache. Fur<br />

uns war sie naturlich noch besonders mit der Person von Brentano<br />

verbunden, als dem Vorsitzenden der ad-hoc-Versammlung, die dieses Statut<br />

einer Europaischen Politischen Gemeinschaft ausgearbeitet hatte. Aber die<br />

englische Initiative war es ja dann, ich glaube Eden, der sagte, wir mussen<br />

aber eine andere Form, einen Modus vivendi finden, und es ist ja<br />

uberraschend schnell gekommen mit dem Beitritt der Bundesrepublik zur<br />

NATO. Wie gesagt, das habe ich aus der Strar1burger Perspektive weit mehr<br />

erlebt, als aus der Fraktion im Bundestag.<br />

L: Diese Vorschlage von Monnet, von Spaak, von den Niederlandern, wie man<br />

}etzt weitergehen konnte, 1955, haben Sie die auch aus Straf3burger<br />

Perspektive erlebt oder mehr aus Bonner Perspektive?<br />

H: Ja, wir haben in Strar1burg eine Initiative selbst entwickelt, indem in<br />

Abstimmung mit der Versammlung und dem Wirtschaftsausschur1 das<br />

Generalsekretariat des Europarats ein Memorandum vorlegte uber die<br />

verschiedenen Schritte zur Europaischen Integration und die einzelnen Dinge<br />

miteinander verglich und im Grunde genommen sagte, aile Vorschlage<br />

wurden zu einer Zersplitterung fUhren. Es kommt darauf an, dar1 man einen<br />

zentralen Vorschlag macht, ... es ging um Agrar, es ging um Verkehr und<br />

verschiedene andere Zweige, wo man also Substitute gewissermar1en fUr die<br />

europaische Zusammenarbeit vorschlug und das Votum aus der Sicht des<br />

Europarats damals war, es mur1 eine zentrale Initiative sein, die die<br />

Gesamtheit des Wirtschaftsgeschehens umfar1t. Um Gottes Willen nicht die<br />

Montanunion alleine lassen, denn dann ist sie sehr schnell in der Sackgasse<br />

einer Teilintegration, wegen der die anderen Zweige Wahrung, Zoll,<br />

Aur1enhandel usw. ubergreifenden Probleme, die innerhalb der Sackgasse<br />

der Montanindustrie fUr Europa gar nicht zu Ibsen sind.<br />

L: Nun ist der Vorschlag der Wirtschaftsgemeinschaft }a auf starke Bedenken,<br />

um nicht zu sagen, Widerstand beim deutschen Wirtschaftsminister gestof3en.<br />

Hat diese Diskussion innerhalb der Bundesregierung und der fOhrenden<br />

Regierungspartei,<br />

gelahmt, 1956 .... ?<br />

hat diese Diskussion die Politik der Bundesregierung<br />

HAEU AHUE HAEU AHUE<br />

H: ... bis 1955. Hier hat eine - wie ich glaube sagen zu durfen - wesentliche Rolle<br />

gespielt Franz Etzel. Franz Etzel, der ja deutsches Mitglied, Vizeprasident der<br />

Hohen Behbrde war, und gleichzeitig nominiert war, in dem Komitee der<br />

sogenannten "Drei Weisen" hinsichtlich des Problems der kunftigen<br />

Energieversorgung dieser Gemeinschaft, und das Ergebnis dieser Studie<br />

dieses Dreierkomitees war ja dann der Vorschlag, dar1 eine europaische<br />

Atomgemeinschaft, dar1 also die Kernenergie entwickelt werden musse. Etzel<br />

hat aber auch noch in Bonn naturlich einen Fur1 gehabt, das war immer der<br />

Wirtschaftsausschur1 der CDU. Er hat in kleinstem Kreise auch im Landhaus<br />

von Muller-Armack in Munstereifel, die Leute zusammengeholt, unter dem<br />

Vorsitz von Etzel, vor allem Muller-Armack, von der Groeben und noch der<br />

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© Historical Archives of the <strong>European</strong> Union<br />

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Fritz Hellwig<br />

eine oder andere, und da sind dann die Ideen doch einer konzentrierten, also<br />

einer Wirtschaftsgemeinschaft zunachst beginnend mit einem gemeinsamen<br />

Markt, die Idee des gemeinsamen Marktes, entwickelt worden. Von<br />

hollandischer Seite kam, glaube ich, ein Parallelvorstor1 in diese Richtung, so<br />

dar1 zumindest bei zwei Mitgliedslandern - und bei Holland, glaube ich, kann<br />

man sagen, die sprachen auch schon fUr Belgien und Luxemburg naturlich mit<br />

-, dar1 eine gewisse Stor1richtung in Richtung Zollunion und Gemeinsamer<br />

Markt erkennbar war. Oas war der Fall, der dann auf der Messina-Konferenz<br />

nachher in einen konkreten Auftrag umgemOnzt wurde.<br />

L: Bedeutete das, daf!, Erhard re/ativ iso/iert war mit seiner Position?<br />

H: Es war noch zu frOh, um sich in irgendeiner Weise zu aur1ern. Hierzu einen<br />

makabren Vergleich: man soli nicht zu frOh entscheiden, dar1 die Frucht des<br />

Leibes abgetrieben werden mur1. Man kann nie wissen, was daraus wird.<br />

L: Wenn wir etwas weitergehen, a/so in die Zeit der Verhand/ungen 1956, wie<br />

wOrden Sie da die Bataillone einschatzen, die hinter Erhard standen? Wie<br />

stark war seine Position?<br />

H: Wir hatten 1956, bzw. bei der Unterzeichnung der Vertrage von Rom: Marz<br />

57, doch schon erkennbar eine Mehrheit im Bundestag. In dem die SPO nach<br />

den ersten Erfahrungen in der Montanunion durchaus gewonnen war, selbst<br />

Wehner, wahrend die FOP nun mit gesamtdeutschen Vorbehalt plbtzlich kam,<br />

und deswegen dagegen war. In den Phasen der Beratungen fUr die<br />

Ratifizierung im Bundestag MarzlAprii 1957, erinnere ich mich noch an ein<br />

Rundfunkgesprach zwischen Wehner, Mende und mir. Und da war die<br />

Frontstellung Wehner/Hellwig gegen Mende eindeutig. Es war der<br />

gesamtdeutsche Vorbehalt bei Mende, aber bei der FOP war naturlich noch<br />

manches andere. Pikant ist ja doch, dar1 Marjolin, der Hauptsprecher der<br />

FOP, gegen die neuen Gemeinschaften EWG und Euratom war und dann als<br />

deutsches Mitglied Nachfolger von Krekeler in der Euratom-Kommission<br />

wurde.<br />

L: /st im Wirtschaftsausschuf!, des Bundestages das Vertragspaket auch unter<br />

diesen po/itischen Gesichtspunkten, a/so auch gesamtdeutscher Vorbeha/te<br />

diskutiert worden oder hat man da nur die okonomischen Aspekte diskutiert?<br />

H: Ich habe jetzt den Wortlaut des Berichtes des Wirtschaftsausschusses nicht<br />

ganz vor mir. Die gesamtdeutsche Frage, das heir1t also die aur1enpolitische<br />

Seite, ist der Beitrag vom auswartigen Ausschur1 gewesen, also unter meinem<br />

Vorsitz im Wirtschaftsausschur1 waren es tatsachlich die wirtschaftlichen<br />

Probleme des Ganzen. Ich glaube, der Teil im Gesamtbericht, und dann<br />

Zollunion und Binnenmarkt, der stammte von mir und dann kamen einige<br />

andere Zweige, es war, wie gesagt, Gemeinschaftsarbeit. Ich kann nicht<br />

sagen, dar1 im Wirtschaftsausschur1 dieser Bericht in irgendeiner Weise<br />

umstritten gewesen ware.<br />

HAEU AHUE HAEU AHUE<br />

L: Eben. Man kann sich nicht vorstellen, daf!, unter wirtschaft/ichen<br />

Gesichtspunkten die libera/en Kollegen Einwande hatten formulieren konnen.<br />

H: Die Besorgnis war naturlich die, dar1 man von einer Zukunftstechnologie,<br />

deren Bedeutung fUr die Wettbewerbsfahigkeit der einzelnen<br />

Volkswirtschaften damals sehr vieI hbher eingeschatzt wurde, als es im<br />

Augenblick der Fall ist, dar1 man befUrchtete, durch Euratom von dieser<br />

Entwicklung abgeschnitten zu werden.<br />

© Archives historiques de l'Union européenne<br />

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Fritz Hellwig<br />

L: Wei! man die Kooperation mit den Amerikanern brauchte?<br />

H: Ja. Und es Iiegt ja eine gewisse Logik in dieser deutschen Haltung und<br />

unterstreicht die Perspektive der Zusammenarbeit mit den Amerikanern, dal1<br />

Krekeler, der vorher Botschafter in Washington war, das deutsche Mitglied<br />

der Euratom-Kommission wurde. Und er war ja derjenige, der fUr die<br />

auswartigen Beziehungen der neuen Euratom-Kommission zustandig war, der<br />

die ersten Abkommen zwischen der Euratom-Kommission und den USA, vor<br />

allem der American Atomic Energy Commission machte, das heil1t also die<br />

Obernahme der Verfahren, das beruhmte Leichtwasserreaktorverfahren usw.<br />

mit naturlich auch den Verpflichtungen, die der Euratomvertrag enthielt,<br />

hinsichtlich der Beschaffung des Materials und der Kontrolle der Verwendung<br />

des Materials. Das ist also in der Logik gewesen, dal1 das tatsachlich uber<br />

Krekeler lief.<br />

L: Die Bedenken ...<br />

H: Verzeihung, ich mul1 einflechten: Sehr zum Leidwesen der franzosischen<br />

Seite, denn das Obergewicht des amerikanischen Verfahrens wollten die<br />

Franzosen nicht haben, und die Franzosen haben ja ihre eigene Filiere<br />

entwickelt, Gas-Graphit-Reaktoren usw., und fUr Euratom wurde mit ISPRA<br />

eine eigene europaische Technologie verlangt, namlich der<br />

Schwerwasserreaktor (ORGEL) und der Fehlschlag kam, als die franzosische<br />

Electricite de France ablehnte, die zu teuren Verfahren, das, was die<br />

franzosische Kommission entwickelt hatte, in Cadarache und in Grenoble<br />

usw., zu ubernehmen, aber auch deutlich wurde, dal1 der<br />

Schwerwasserreaktor, das Verfahren von ISPRA zu teuer war und die<br />

Elektrizitatswirtschaft inzwischen das amerikanische Verfahren, das<br />

Leichtwasserreaktorverfahren ubernommen hatte. Und so wurden in<br />

Frankreich - und das war das Problem, als ich nun diesen Sektor von Euratom<br />

in der Kommission 67 ubernehmen mul1te -, dal1 die Franzosen sagten: wie?<br />

sollen wir noch eine Gemeinschaftsforschungsanlage finanzieren, wo wir jetzt<br />

Tausende von Leuten in unserer Kommission fUr die Energie atomique<br />

entlassen mussen. Weil der Gasgraphitreaktor, 20 Mrd. Franken hatten sie<br />

investiert, weil der von der Electricite de France nicht genommen wird. Das<br />

war das grol1e Problem, und dann haben wir die Weichen ja nachher<br />

umgestellt - das hat ein paar Jahre schwere Arbeit gekostet und ist auch<br />

heute glaube ich noch nicht so ganz akzeptiert - die Umwandlung von einer<br />

eigenen europaischen Reaktortechnologie in die Randgebiete<br />

Sicherheitsfragen, Service publique, Anwendung der Strahlentechniken in<br />

Landwirtschaft und Medizin usw. das waren so Randgebiete, aber vor allem<br />

die Entwicklung dann des sogenannten europaischen Referenzburos, die<br />

HAEU AHUE HAEU AHUE<br />

Entwicklung der Nomenklatur, der Mel1verfahren und der Werkstofforschung,<br />

Halbleiter, Erforschung neuer Werkstoffe, um zu verhClten, dal1 auf diesem<br />

Gebiet uberall nationale Verwendungs- und Sicherheitsvorschriften wieder<br />

entstehen, statt eines europaischen Systems. In dieser Richtung ist ja heute<br />

ISPRA umgewandelt.<br />

L: Das war auch zweifel/os das wesent/iche Verdienst von Euratom im Ergebnis.<br />

Nur noch einmal zurOck zu 1956/1957: Die Entwicklung war ja nicht so genau<br />

vorauszusehen. Was hat den Ausschlag gegeben fOr die Zustimmung, die<br />

deutsche Zustimmung zur Euratom: die Ermoglichung von Kooperationen mit<br />

der amerikanischen Seite in den Verhandlungen oder die Obergeordnete<br />

strategisch-politische Einsicht, daB man, um den Gemeinsamen Markt<br />

realisieren zu konnen, nun auch diese, sagen wir Krote Euratom schlucken<br />

muB?<br />

© Archives historiques de l'Union européenne<br />

© Historical Archives of the <strong>European</strong> Union<br />

6


Fritz Hellwig<br />

Hallstein vorschlagen. WOrden Sie mitmachen? "Wieso, wie komme ich dazu.<br />

Hat das Oberhaupt Aussichten?" Ich habe schon von jeher immer das<br />

Wortspiel gebraucht: In Bonn genannt zu werden ist genant. Dann erfuhr ich<br />

aber, dar1 in der Kabinettsitzung, in der Etzel als neuer Finanzminister war,<br />

von der Groeben vorgeschlagen wurde, weil man den Beamten, der an der<br />

Ausarbeitung des Vertrages beteiligt war, fOr den Erlar1 der ersten Regeln den<br />

Vorzug gab. Gut, ich habe dem nicht nachgetrauert. Es war nun wirklich kein<br />

Beinbruch.<br />

Ich war in Saas-Fee und kam Anfang August 1959 von irgendeiner Bergtour<br />

zuruck und in dem Hotel komme ich hinein und der Portier hatte eine Loge zu<br />

dem Eingang in dem Korridor und sagte: "Ah, Monsieur Hellwig, hier ist ein<br />

Telefongesprach fOr Sie". Und ich lasse mir den Harer reichen und da war auf<br />

der anderen Seite Globke und sagte: "Der Herr Bundeskanzler laBt Sie<br />

fragen, wOrden Sie eine Nominierung fOr die Hohe Behorde als Nachfolger<br />

von BlOcher annehmen?" "Herr Globke, ich stehe hier mitten im Hoteleingang,<br />

hier ist ein Kommen und ein Gehen. Ich kann also hier kein Telefongesprach<br />

mit Ihnen fOhren, aber ich will das mal Oberschlafen." Na schon! Was war<br />

geschehen? Nach dem Tod von Blucher hatte die Bundesregierung gemerkt,<br />

dar1 sie da eine Schwachung der deutschen Position riskierte, denn Blucher<br />

war schon schwer krank, er fiel schon in dem einen Jahr, welches er in<br />

Luxemburg war, haufig aus. Man hatte sich mit der Nominierung von Blucher<br />

sowieso ein halbes Jahr Zeit gelassen, nachdem Etzel ausgeschieden war.<br />

Blucher war Anfang 1958 dann schlier1lich nominiert worden, war aber durch<br />

Krankheit vielfach schon ausgefallen. Und dann hatte man sich zwischen dem<br />

Tod von Blucher bis zum Sommer 1959 Zeit gelassen. In der Zeit war die<br />

Kohlenkrise-Diskussion entstanden, und man hatte gemerkt, dar1 man in der<br />

Hohen Behorde unterlegen war. Potthoff hat sich ruhrend, aur1erst eifrig<br />

geschlagen in dieser Zeit, er hat also versucht, das Ressort von Etzel<br />

einigermar1en mit zu vertreten, war aber selbst gesundheitlich langst nicht<br />

mehr so gefestigt, dar1 er das allzu lange hatte machen konnen, und man hat<br />

in Bonn mit der Nominierung der Mitglieder einer neuen Hohen Behorde sich<br />

Zeit gelassen, weil man noch der Meinung war, jetzt mur1te eigentlich die<br />

Zusammenlegung mit den Organen der beiden neuen Gemeinschaften<br />

erfolgen. Warum sollen wir noch eine neue Hohe Behorde installieren, wenn<br />

in Brussel jetzt die Kommission fOr den Gemeinsamen Markt ist, dann sollten<br />

ja doch eigentlich diese Dinge allmahlich zusammengelegt werden.<br />

L: 1st das auch der Grund, warum die Obrigen Kollegen schon frOher nominiert<br />

wurden?<br />

H: Ja. Die Meinungen waren verschieden. Die von den ubrigen Landern waren<br />

schon nominiert, weil sie nicht der Meinung waren, dar1 das in die<br />

Zustandigkeit der Kommission kommen wurde und die Versuche und<br />

Bemuhungen einer Art ZusammenfOhrung haben ja zunachst nur dazu<br />

gefOhrt, erstens dar1 das Parlament fOr die drei Gemeinschaften zustandig<br />

wurde - ein wesentliches Verdienst kam da unserem Freund Hans Furler als<br />

Prasident des Montanparlamentes zu -, zum zweiten wurde der Gerichtshof<br />

fOr die drei Gemeinschaften zustandig, und zum dritten sind aus den<br />

Verwaltungsdienststellen drei Bereiche zusammengelegt worden, wenn auch<br />

mehr nominell Presse- und In<strong>format</strong>ion, der juristische Dienst und die<br />

Statistik. Diese drei Verwaltungen wurden schon zusammengelegt.<br />

HAEU AHUE HAEU AHUE<br />

L: Wir kommen auf das Problem der Fusion spater noch einmal zurOck. Aber<br />

zunachst zur Situation 1959.<br />

© Archives historiques de l'Union européenne<br />

© Historical Archives of the <strong>European</strong> Union<br />

.9


Fritz Hellwig<br />

© Archives historiques de l'Union européenne<br />

© Historical Archives of the <strong>European</strong> Union<br />

H: Ja, nun war die Bundesregierung noch bemOht - Westrick, hatte auch noch<br />

eine Zeitlang Interesse daran, deutsches Mitglied als Nachfolger von BlOcher<br />

zu werden. Das scheiterte aber an seiner Bedingung, dar1 er Prasident der<br />

Hohen Behorde werden mOsse. Das war bei den Proporz innerhalb der<br />

europaischen Institutionen witzlos, nachdem wir den Prasidenten der EWG­<br />

Kommission hatten. Aber Westrick, der in der Anciennitat als Staatssekretar<br />

noch vor Hallstein in Bonn rangierte, war nicht bereit, nur Mitglied der Hohen<br />

Behorde zu werden. Der Vizeprasident-Posten war ja auch schon weg. Er war<br />

von den Deutschen nicht mehr besetzt worden, und den haben die<br />

Niederlander mit Spierenburg besetzt. Coppe war von Anfang an als eine Art<br />

Supernumerar Vizeprasident geworden, um den Belgiern ein douceur zu<br />

geben, weil der zweite Vizeprasident im Vertrag nicht erwahnt wird. Das war<br />

Coppe geworden. Also die beiden Vizeprasidenten waren vergeben.<br />

Naja, ich wurde also in Saas-Fee mit dieser Frage Oberrascht und bekam<br />

dann in den nachsten Tagen neben einem Telefongesprach mit Globke, einen<br />

langen Telefonanruf von Pferdmenges. "Herr Hellwig, Sie mussen uns aus<br />

der Verlegenheit helfen! Auch die Montanindustrie bejaht das sehr Jl<br />

• "Ja, wer<br />

denn?" Und dann kam noch ein Anruf von Sohl, damals Vorsitzender der<br />

Wirtschaftsvereinigung usw. Ich sagte: "Liebe Leute, ich bin noch in den<br />

Ferien. Wenn ich zuruckkomme, werde ich das erst einmal mit meinem<br />

Vorsitzer des Kuratoriums im Oeutschen Industrieinstitut besprechen. Ich bin<br />

ja geschaftsfOhrender Oirektor des Oeutschen Industrieinstituts uvd ohne die<br />

kann ich mich hier nicht entscheiden".<br />

Das Ganze stand naturlich unter dem Vorzeichen der Diskussion, die im<br />

Februar 1959 entbrannt war, als eine Zeit lang die Frage anstand, dar1 Erhard<br />

als Wirtschaftsminister aufhoren wOrde, um Bundesprasident zu werden. Die<br />

Nominierung. In dieser Phase hatten die Gazetten immer von Hellwig,<br />

Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses, als dem moglichen Nachfolger von<br />

Erhard gefaselt. Alles ohne irgend mein Zutun. Ich sage ja, in Bonn genannt<br />

zu werden ist genant. Das hat aber zu einer erheblichen Diskussion im<br />

Prasidium des BDI gefOhrt. 1m Prasidium des BDI war es vor allem eine<br />

Gruppe um Otto A. Friedrich, - dem das sowieso die ganze Zeit mir1fiel, dar1<br />

Herr Hellwig sowohl als Direktor des Industrieinstituts wie als Abgeordneter<br />

tatig war - und hat also gesagt, diese Doppelfunktion sollte die Industrie<br />

eigentlich nicht weiter zulassen, denn Herr Hellwig wOrde dann immer als der<br />

Sprecher der Industrie angesehen und wenn er etwas anderes sagte, dann<br />

wOrde man das wieder der Industrie prasentieren usw., das ware ja nicht gut.<br />

Auf meiner Seite fOr die FortfOhrung dieser Verbindung standen zwar Fritz<br />

Berg, Carl Neumann und Beutler usw., aber es gab doch ein unterirdisches<br />

Grollen bei einigen Leuten. Ich habe deswegen Herrn Neumann ganz offen<br />

HAEU AHUE HAEU AHUE<br />

gefragt: "Herr Neumann, bitte sagen Sie mir: Wir stehen in der Mitte der<br />

Legislaturperiode. In zwei Jahren werden Neuwahlen zum Bundestag sein.<br />

Wird im BOI das Prasidium nach wie vor der Meinung sein, daf!, ich Oirektor<br />

des Instituts bleibe, auch wenn ich ein Bundestagsmandat wieder annehme?<br />

Konnen Sie mir das garantieren?" Er sagte: "Herr Hellwig, wenn Sie mich so<br />

offen fragen, muf!, ich Ihnen sagen, das kann ich Ihnen nicht mehr<br />

garantieren". Ich sagte: "Herr Neumann, das reicht mir. Ich nehme dann den<br />

Ruf nach Luxemburg an, denn alles andere wurde zu einer fOr Sie wie fOr<br />

mich auf!,erst argerlichen Situation fOhren. Wenn ich im Sommer 1961 bei der<br />

nachsten Bundestagswahl ein Bundestagsmandat ablehne, mit der<br />

Begrundung, ich will das Industrieinstitut weiter leiten, dann heif!,t es in der<br />

Offent/ichkeit sofort, das war die Pression des BDl. Und wenn ich umgekehrt<br />

aus dem Industrieinstitut ausscheide, wei! ich das Mandat annehme, heif!,t es<br />

auch, die Industrie hat Herrn Hellwig rausgesetzt, wei! er ihnen nicht folgen


Fritz Hellwig<br />

wol/te. Und einer solchen Situation mochte ich entgehen, und deshalb nehme<br />

ich die Sache in Luxemburg an." Dann war ich bei Fritz Berg und habe ihm<br />

das auch erklart. Und er sagte: "Herr Hellwig, das tut mir furchtbar leid, aber<br />

was haben Sie dort vor? Die Kohlenkrise ist doch kein Thema fOr Sie". Ich<br />

sagte: "Herr Berg, es gibt aber ein Thema; das ZusammenfOhren der drei<br />

Gemeinschaften. Das verlangt fOr viele Jahre eine sehr intensive Arbeit auf<br />

allen moglichen Gebieten. Ich gehe nicht nach Luxemburg, um der<br />

Sonderexistenz der Montanunion einen Ewigkeitswert zu bringen. "Da sagte<br />

er: "Wenn Sie das so sehen, dann haben Sie naWrlich eine Aufgabe". Das<br />

war also die Situation im Sommer 1959.<br />

L: Das ist sehr einleuchtend. In dem Buch von Spierenburg und Poidevin wird<br />

von Auseinandersetzungen um die neue Geschaftsverteilung der neuen<br />

Hohen Behorde berichtet und daf3 Sie etwas unzufrieden gewesen seien mit<br />

dem Ergebnis und man Ihnen dann weitere Versprechungen gemacht habe.<br />

Aber es wird nicht ganz deutlich, worum es eigent/ich geht.<br />

H: Nein, ich kann Ihnen den Vorgang erklaren. Ich habe ja erzahlt: Da war der<br />

erste Vorgang, der dann zu der L6sung Artikel 37 fUr Belgien fUhrte. Aber der<br />

zweite Vorgang war die Ressortverteilung. Wir sar1en, unter dem Vorsitz des<br />

schwachen, italienischen Prasidenten Malvestiti, wo auch die sprachliche<br />

Fahigkeit nicht sehr stark entwickelt war, und es ging darum, die<br />

Arbeitsressorts zu verteilen. In einem der ersten Gesprache in dieser Runde<br />

sagte Malvestiti: "Ich muf3 die Herren, die noch nicht Mitglied hier waren, auch<br />

darOber unterrichten, wir haben auch eine protokollarische Ordnung. Wir sind<br />

zwar aile gleichberechtigt, aber es gibt trotzdem gewisse Dinge, die nach der<br />

protokollarischen Ordnung der einzelnen Mitglieder zu behandeln siner. Da<br />

fragte ich: "Was fOr Dinge sind das denn?" Da sagte er: "Ja, beispielsweise<br />

bei einem Essen". Daraufhin fragte ich uber den Tisch: "Wieso, bekommen<br />

wir nicht das Gleiche dann zu essen?" Womit ich also die protokollarische<br />

Rangordnung sofort lacherlich gemacht hatte. Aber nun war die Verteilung der<br />

Ressorts. Und da ging es nach Arbeitsgruppen, wer den Vorsitz der einzelnen<br />

Arbeitsgruppen haben sollte. Und Malvestiti sagte: "Ich werde jetzt die<br />

Kollegen einzeln aufrufen nach der protokollarischen Rangordnung und dann<br />

sollen die sagen, welche Arbeitsgruppe sie Obernehmen wollen". Die<br />

Verteilung der Arbeitsgruppen hatte genau naturlich in einem einstimmigen<br />

Beschlur1 des Kollegiums erfolgen mussen, wie es auch in Brussel der Fall<br />

war, auch vorher. Denn es bestand ja daruber ein Einverstandnis. Ich sagte:<br />

"Herr Prasident, das ist im Widerspruch zu unserer Geschaftsordnung. Die<br />

protokollarische Rangordnung gilt nicht fOr Sachentscheidungen, sondern fOr<br />

Protokollfragen. Die Verteilung der Ressorts ist keine Protokollfrage." Da<br />

sagte er: "Ja! Ich rufe auf". Da hat Spierenburg gesagt: "Ich verzichte, ich will<br />

© Archives historiques de l'Union européenne<br />

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HAEU AHUE HAEU AHUE<br />

keine Arbeitsgruppe leiten". Er wollte namlich als der starke Vizeprasident den<br />

schwachen Prasidenten standig fUhren. Und Coppe sagte: "Herr Hellwig hat<br />

vollig recht. Ich ware der Erste, der zu wahlen hatte. Ich lehne es ab, als<br />

Erster zu wahlen. Herr Hellwig hat namlich recht!" Und dann haben die<br />

anderen, die schon vor mir da waren, die Ressorts gewahlt, die sie schon<br />

hatten, und es blieb ubrig: Markt, Kohle- und Stahlmarkt und Wettbewerb.<br />

Wettbewerb und Verkehr. Ich habe Kohle- und Stahlmarkt naturlich<br />

genommen und Wettbewerb und Verkehr hat dann Coppe als das, was ubrig<br />

blieb, genommen. Das war die Fairner1 von Coppe. Aber dar1 ich naturlich mit<br />

Kohle- und Stahlmarkt die Schlusselgruppe hatte, hatten die meisten<br />

zunachst eigentlich gar nicht so richtig mitbekommen. Ich hatte aber damit die<br />

Generaldirektion Kohle und die Generaldirektion Stahl in meinem Ressort,<br />

und die technischen Direktionen wurden aufgel6st und wurden in diese<br />

Generaldirektionen eingegliedert, beide, die vorher aile eigene Direktorate


Fritz Hellwig<br />

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waren. Ja, das andere, worauf Spierenburg nun - glaube ich - abhebt, ist der<br />

Konflikt - es betrifft nicht meine personliche Stellung - sondern die<br />

Reorganisation der Direktionen. Es waren, als ich nach Luxemburg kam, nicht<br />

weniger als 12 Direktionen noch mit dem Titel Direktor, aber A-1-Beamte, im<br />

Sinne, wie sie spater dann Generaldirektoren genannt wurden. Und diese 12,<br />

das war ein Wildwuchs. Jean Monnet hatte, wenn er fOr irgendein Ressort<br />

einen guten Mann wollte, hat er den als Direktor geholt, so daP.> fOr die Kohle<br />

gleich drei A-1-Beamte zustandig waren, der eine fOr den Markt, das war der<br />

Deutsche Dehnen, der andere fOr die Technik, das war der Oberbergrat a.D.<br />

Schensky, und der Dritte fOr die Arbeitsfragen im Bergbau, das war der<br />

Belgier Vinck. Und der richtige Gedanke der Reorganisation war, diese Zahl<br />

der Generaldirektionen zu reduzieren. Und da hat Malvestiti die etwas naive<br />

Oberlegung gehabt, es sind sechs Mitgliedslander, machen wir also sechs<br />

Generaldirektionen. Und dann hat jedes Mitglied einen Generaldirektor zu<br />

stellen. Und da habe ich widersprochen. Denn dann hatten wir nur die<br />

Generaldirektion Kohle gehabt, und die anderen waren aile in anderen<br />

Handen gewesen. Ich sagte: "Die Bundesrepublik zahlt uber 50 % fOr diesen<br />

Apparat. Und da wollen Sie sie mit einem Sechstel der administrativen<br />

Spitzenposition bedienen?" Und zu opfern war vor allem die siebte, um die es<br />

dann ging, die Generaldirektion Finanzen und Investitionen. Und da kamen<br />

auch aus der Beamtenschaft die kritischen Stimmen: "Um Gottes Willen, die<br />

Generaldirektion Finanzen und Investitionen ist }a unsere Bankabteilung, die<br />

das ganze Anleihegeschaft und die Verwaltung des Kreditvolumens und die<br />

Herausgabe der Kredite, die ist }a unsere Bankabteilung. Wenn wir die in<br />

irgendeine andere Generaldirektion eingliedern ... " und Malvestiti wollte sie in<br />

die Generaldirektion Verwaltung, Haushalt und Finanzen eingliedern, die ein<br />

italienischer Generaldirektor haben sollte. Und da war der Widerstand also<br />

sehr groP.> und da hat Malvestiti einen Fehler gemacht. Mittwochs Sitzung der<br />

Hohen Behorde und sagte: "Ich hoffe, daB Sie inzwischen einverstanden sind.<br />

Es bleibt bei der Sechser-Regelung usw. Herr Hellwig muB das wohl<br />

einsehen. 1m ubrigen habe ich einen Brief an den Bundeskanzler geschrieben<br />

und darauf aufmerksam gemacht, daB Herr Hellwig hier erhebliche<br />

Schwierigkeiten macht". Da sagte ich: "Herr Prasident, habe ich richtig gehort,<br />

daB Sie sich uber mich beim Bundeskanzler beschwert haben? Dann muB ich<br />

Sie an den Artikel soundso des Vertrags erinnern, daB wir weder eine<br />

Weisung erbitten, noch erfragen durfen. Das heiBt mit anderen Worten: Sie<br />

haben gegen unsere vertragliche Verpflichtung gehandelt. Ich uberlasse es<br />

dem Kollegium, daruber ein Urteil zu befinden, eine Beratung, an der ich mich<br />

nicht beteilige, ich verlasse daher die Sitzung und komme erst wieder, wenn<br />

das Kollegium sich daruber verstandigt hat." Das war also an diesen<br />

Vormittag und am Nachmittag um 17 Uhr wurde ich von Spierenburg<br />

verstandigt. Er kam zu mir und ich sagte: "Herr Spierenburg, ich mochte<br />

HAEU AHUE HAEU AHUE<br />

eigent/ich den Brief sehen, den er da an den Kanzler geschrieben hat". Da<br />

sagte er: "Um Gottes Willen, Herr Hellwig, verlangen Sie das nicht! Er hat den<br />

Brief dem Kollegium vorlegen mussen. Unmoglich. Der Brief ist unmoglich und<br />

es ware noch schlimmer, wenn Sie den Inhalt kennen." Ich sagte: "Na gut, ich<br />

vertraue dem Kollegium, daB Sie also ihre eigenen Rechte hier richtig<br />

vertreten." Inzwischen war ich natorlich ans Telefon gegangen und hatte<br />

Herrn Globke angerufen und gesagt - es war BuP.>- und Bettag in Bonn: "Herr<br />

Globke, da muB ein Brief unterwegs sein. Heute haben Sie }a keinen<br />

offiziellen Dienst, aber der Posteingang wird wahrscheinlich nicht auf dem<br />

Schreibtisch sein, aber morgen fruh wird der Posteingang auch bei Ihnen auf<br />

dem Schreibtisch sein. Da ist ein Brief von dem Prasidenten der Hohen<br />

Behorde. Was damit zu geschehen hat? Ich werde Sie auf dem laufenden<br />

halten. Das und das ist die Situation". Um 17 Uhr kam Spierenburg und sagte:<br />

"Also, lieber Herr Hellwig, kommen Sie, der Herr Prasident hat eine Erklarung


Fritz Hellwig<br />

L: Wenn man das mal betrachtet unter dem Aspekt der Integration<br />

unterschiedlicher nationaler BOrokratien oder nationaler<br />

Verwa/tungstraditionen: WOrden Sie sagen, das ist eher ein Mifl.erfolg, da hat<br />

die Hohe Behorde nicht viel geleistet?<br />

H: Man kann es vielleicht als Mir1erfolg bezeichnen. In einem solchen Apparat<br />

durchgreifend in die Personalien hineinzugehen, verlangt mehr als nur eine<br />

ad-hoc-Durchleuchtung durch eine Gruppe von, wie gesagt, vier<br />

Aur1enseitern. Sie mussen in solch einem Gremium mindestens ein Jahr tatig<br />

sein, um uberhaupt die vielen personellen und administrativen und sonstigen<br />

Verflechtungen zu durchschauen. Insofern war der Ansatz vielleicht nicht<br />

ausreichend. Aber wir haben ja dann doch auch mit diesem Ansatz eine, wie<br />

soli ich sagen, eine gewisse Erfahrung mitgebracht, als wir an die<br />

Zusammenlegung 1967 in Brussel gingen. Denn das Reorganisationsschema,<br />

mit dem wir dann 67 an die Arbeit gegangen sind, war eigentlich ein<br />

einmaliger Erfolg. Wo haben Sie bei der Zusammenlegung von Institutionen<br />

und schweren Apparaten dieses Umfangs sonst das Ergebnis, dar1 das<br />

Personal nicht mehr sondern weniger wird? Naturlich, also mit "goldenen<br />

handshakes" und mit verschiedenen Erleichterungen mur1 man schon<br />

arbeiten, aber das war eine einmalige, administrative Leistung, auch im<br />

Personalbereich.<br />

L: Ja, das Obef7eugt im Hinblick auf 1967. Ich denke, wir wenden uns jetzt etwas<br />

naher diesem Projekt der Fusion zu. 1st von Ihnen die Aufl.erung Oberliefert,<br />

dafl. das Parlament zu frOh die Initiative fOr die Fusion ergriffen habe, wei! das<br />

dann namlich der Hohen Behorde ihren Wert geschmalert habe in dem<br />

Verhandlungsprozefl. ?<br />

H: Ich kann mich nicht erinnern, dar1 das Parlament mehr als rhetorisch immer<br />

wieder diese Forderung erhoben habe. Es war ja auf halben Wege<br />

stehengeblieben. Erster Prasident des neuen Europaparlaments war Robert<br />

Schuman, und der zweite war dann Furler. Mein personliches Verhaltnis zu<br />

Furler: Das war eine enge Freundschaft, bis heute engste Freundschaft auch<br />

mit Frau Furler. Gestern noch kam ein langes Telefongesprach. Sie kam aus<br />

dem Urlaub zuruck, da hat sie noch mit meiner Frau telefoniert. Wir werden<br />

sie Ende Februar in Oberkirch besuchen.<br />

L: Wie sah denn Ihre Strategie fOr die Fusion aus?<br />

H: Unsere Strategie Luxemburg, Hohe Behorde war, das Thema ist nicht erledigt<br />

durch eine einfache Zusammenlegung der Exekutiven. Das war ja die<br />

Einengung, die immer kam. Und unsere Forderung war, die Fusion ja, aber<br />

dann auch die Verschmelzung der Vertrage. Wir hatten unter dem Vorsitz<br />

unseres Chefjuristen Krawelicki eine Arbeitsgruppe gebildet, die die beiden<br />

Vertrage, um deren Fusion es hier ging, auf die Verschmelzung der Vertrage<br />

hin uberprufte. Und damals kam ja auch die standige Charakterisierung der<br />

beiden Vertrage, um den Unterschied deutlich zu machen, gegenuber der<br />

Offentlichkeit: der Montanvertrag ist ein traite de regles und der EWG-Vertrag<br />

ist ein traite de cadre, dessen Kaderbestimmungen erst auszufUllen waren.<br />

Und dar1 die Schwierigkeiten, die beiden zusammenzufUhren, ganz wesentlich<br />

im Bereich des Wettbewerbsrechts lagen. Alles andere war eine Frage, die<br />

relativ einfach zu losen war. Erstens, der Montanbereich war keine Zollunion,<br />

sondern kannte nur die Harmonisierung der Zolle. Das aber in das System der<br />

Zollunion hinein zu bringen, war im Grunde genommen ein mehr technisches<br />

Problem geworden. Zweitens, die Sozialpolitik war in unserem Vertrag starker<br />

entwickelt worden, als im EWG-Vertrag. Da hatten Schwierigkeiten seitens<br />

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HAEU AHUE HAEU AHUE


Fritz Hellwig<br />

der Wirtschaft kommen kbnnen, dal1 die EWG-Kommission plbtzlich eine<br />

starkere sozialpolitische Kompetenz bekommen hatte, was ja bis heute eines<br />

der Probleme in den Kompetenzen der Gemeinschaft ist. Der dritte Punkt: die<br />

Finanzmasse der Hohen Behbrde. Mein Vorschlag betraf die Finanzabteilung,<br />

also die Bankabteilung der Hohen Behbrde mit dem Sondervermbgen, was<br />

entstanden war, aus der Anleihetatigkeit. Die Montanindustrie sagte, das ist<br />

aber ein Eigentum der Beitragszahler, d.h. der Kohle- und Stahlumlagezahler,<br />

das darf nicht einfach verfrOhsWckt werden. Mein Vorschlag war der, ich habe<br />

ihn sogar einmal mit Abs erbrtert, der mit Skribanowitz mal zu mir kam. Mein<br />

Vorschlag war der, fOr den ganzen Sektor, das Finanzpatrimoine der Hohen<br />

Behbrde als Sondervermbgen unter die Verwaltung der europaischen<br />

Investitionsbank zu stellen. Nach der Art des Sondervermbgens der<br />

Investitionshilfe in der Kreditanstalt fOr Wiederaufbau. Das Modell hatte ich ja<br />

im Kopt. Das ware auch gegangen. Das andere Sondervermbgen, das im<br />

Wohnungsbau usw., das war eine Spezialitat, das war kein Problem. Aber das<br />

Eigentliche war das Wettbewerbsrecht. Der gesamte Sektor Artikel 60 bis 66<br />

oder 67. Da gibt es Obrigens einen Vortrag von mir, den ich gegen Ende der<br />

Hohen Behbrde zu diesem Thema gehalten habe. Nach dem Luxemburger<br />

Kompromil1, der Krise, der Politik des leeren Stuhls usw. waren aile froh, dal1<br />

es wieder weiterging und dann hat man sich zuerst mit der Fusion der<br />

Exekutiven zufrieden gegeben, d.h. also nur der Fusion der Verwaltungen,<br />

und ist an das andere Thema Verschmelzung der Vertrage nicht mehr<br />

rangegangen. Ich habe damals also sehr salopp gesagt: Die Heiden waren<br />

mOde. Und so ist es bis heute geblieben. Heute ist seit zwei oder drei Jahren<br />

eine Arbeitsgruppe intern an der Arbeit mit der Frage, was soli mit dem<br />

Montanvertrag geschehen? 1m April 91 sind 40 Jahre vorbei. Und nun mul1 ich<br />

erst einmal Robert Schuman zitieren. Er war damals Prasident des<br />

Europaparlaments und war in einem ersten Interview von deutscher Seite<br />

gefragt worden: "Jetzt ist doch eigentlich das Ende der Europaischen<br />

Gemeinschaft fur Kohle und Stahl gekommen. Das geht doch al/es jetzt in die<br />

andere uber". Da sagte er: "Wo denken Sie hin? Der Vertrag ist fUr 50 Jahre<br />

abgeschlossen". Und heute sind wird da.<br />

L: Ja, aber es hatte schon in den 60er Jahren emlges entschieden werden<br />

mussen. Vor aI/em im Hinblick auf die Kompetenz fUr die Energiepolitik.<br />

H: Ja, das war naWrlich der andere Sektor, neben Wettbewerbsrecht, die<br />

Energiepolitik. Mehr schlecht als recht haben wir auf dem Gebiete, eigentlich<br />

seit 1959, eine interexekutive Energiegruppe gehabt, d.h. da waren schon die<br />

drei Kommissionen durch jeweils 3/3/2-Zusammensetzung: drei von der<br />

Hohen Behbrde, drei von der Kommission, Hallstein, zwei von Euratom,<br />

Sassen und de Groote, der Belgier. Von der Hohen Behbrde waren ein<br />

deutsches Mitglied, Potthoff hatte zuerst den Posten freigehalten fOr mich,<br />

aber neben mir waren noch Coppe, der Belgier und der Franzose Lapie und<br />

von der Kommission waren es von der Groeben, der Italiener Colonna und<br />

Marjolin. Es waren also zwei Deutsche, zwei Franzosen und die anderen je<br />

mit einem.<br />

HAEU AHUE HAEU AHUE<br />

L: Aber mangels Obereinstimmung im Ministerrat ist man uber schone Plane<br />

nicht hinausgekommen?<br />

H: 1m Ministerrat war also nichts zu machen.<br />

L: Ich habe bislang nirgends nachgelesen, wieso entschieden wurde, dal3 es nur<br />

zwei Kol/egen aus der Hohen Behorde waren, die dann als Kommissare in die<br />

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Fritz Hellwig<br />

ofters besucht, und Herr Globke und nachher Herr Vialoun haben immer<br />

wieder gesagt: "Herr Hellwig, der Bundeskanzler hat gefragt, }a der Herr<br />

Hellwig hat }a gar nicht mehr geschrieben. Sie mOssen dem alten Herrn mal<br />

wieder einen Brief schreiben." Er wollte wissen, wie das weitergeht. Ohne<br />

Einflur1 zu nehmen. Und als wir abgeschmiert waren, mit der letzten, der<br />

Zweier-Regelung und der gror1en Revision des Vertrags oder der kleinen<br />

Revision, Strukturkrisenkartelle und ahnliche Dinge mehr, da sar1 ich also mit<br />

Kattenstroth bis spat abends um 10.00 Uhr bei Adenauer und er sagte: "Wie<br />

soli es denn }etzt weitergehen?" Und da sagte ich: "Herr Bundeskanzler, }etzt<br />

mache ich mal einen Vorschlag. Ich weifJ nicht, ob ich das als Mitglied der<br />

Hohen Behorde dart, aber ich erbitte keine Weisung, sondern ich gebe eine<br />

Anregung: Jede Absprache der Kohlenzechen, einen<br />

Rationalisierungsverband zu grOnden usw. usw. wie sie es machen wollen,<br />

bedarf der vorherigen Genehmigung durch die Hohe Behorde und ist daher<br />

nicht genehmigungsfahig und daher auch nicht rechtswirksam. Sie konnen<br />

aber ein Gesetz machen. Die belgische Regierung hat ein Gesetz Ober das<br />

Direktorium der belgischen Kohle gemacht und die Hohe Behorde hatte das<br />

Nachsehen, denn gegen ein Gesetz, das wird wirksam, und die Hohe<br />

Behorde mufJ dann zunachst die Regierung auffordern, dieses Gesetz als<br />

vertragsunkonform abzuandern, und wenn sie das nicht tut, geht die Hohe<br />

Behorde vor Gericht. Und Sie konnen sich ausrechnen, das Ganze dauert<br />

mehrere Jahre. Wenn Sie ein deutsches Gesetz, ein Bundesgesetz mit einer<br />

GOltigkeitsdauer fOr fOnf Jahre machen, und einen Rationalisierungsverband<br />

qua Gesetz machen, nun dann konnen Sie sich ausrechnen, die fOnf Jahre<br />

Geltungsdauer dieses Gesetzes, in der Zeit konnen Sie arbeiten, bis ein<br />

Negativurteil des Eurapaischen Gerichtes kommt! Und da sagte der Alte:<br />

"Herr Kattenstrath, haben Sie gehort? Jetzt gehen Sie mal mit Herrn Hellwig<br />

raus, drOben in mein BOra, und schreiben Sie das mal gleich auf, wie so ein<br />

Gesetz aussehen konnte".<br />

L: Kommen wir }etzt zu Ihrer Zeit als Vizeprasident der Kommission. Was haben<br />

Sie sich denn als wichtigste Aufgabe vorgenommen fOr dieses Amt?<br />

H: Es war eine fOr mich schwierige Situation. Einmal war ich naturlich einer der<br />

WortfOhrer der ZusammenfOhrung und zum anderen aber auch der<br />

Erweiterung. Und bei der ersten Aufgabendiskussion in der Kommission habe<br />

ich als erstes ganz gror1en Wert auf die Sonderarbeitsgruppe gelegt, die den<br />

Antrag auf Beitritt von Gror1britannien usw. zu bearbeiten hatte, so bekam ich<br />

den Vorsitz der internen Arbeitsgruppe Vorbereitung von<br />

Beitrittsverhandlungen. Das lag in der Linie meiner vorigen Zusammenarbeit<br />

als Berichterstatter mit Roy Jenkins. Das andere aber war nun schwieriger,<br />

namlich dar1 ich nach meiner beruflichen und politischen Herkunft die<br />

© Archives historiques de l'Union européenne<br />

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HAEU AHUE HAEU AHUE<br />

allgemeine Wirtschaftspolitik anstrebte, das lag nahe. Aber gegenOber<br />

Raymond Barre, dem Franzosen, der auf diesem Gebiete als der Ordinarius<br />

an der Sorbonne usw. naturlich das erste Zugriffsrecht hatte, das war mir<br />

vollig klar. Aber was dann? Dann stand an die Industriepolitik - die es bis<br />

dahin kaum gab - oder die andere Arbeitsgruppe Verschmelzung der Vertrage<br />

im Ganzen als Arbeitsgruppe weiterzufOhren. Diese konnte nicht weitergefOhrt<br />

werden und der Einfall von Jean Rey war es, wir brauchen jemanden, der den<br />

notigen technischen Sachverstand mitbringt, um den gesamten Apparat von<br />

Euratom zu betreuen. Und so kam er denn dazu, das kann nur der Hellwig,<br />

der hatte namlich schon bei Kohle und Stahl die technischen Direktionen unter<br />

sich, auch technische Forschung und alles in seinem Bereich, also Herr<br />

Hellwig. Es war mir aber ziemlich klar, ich sagte das Herrn Rey, das ist ein<br />

Himmelfahrtskommando. Denn ich sah ja genau die Konflikte in der<br />

Kernreaktortechnologie vor der Haustur stehen, und wOrde das wOrde mich


Fritz Hellwig<br />

H: Nein. Es hat eine wohl ... naturlich haben sowohl Groeben wie ich, sowohl mit<br />

Kiesinger wie mit Straul1 Verbindung gehalten. Ich habe immer Wert darauf<br />

gelegt. Mein personlicher Draht zu Kiesinger, vor allem, war ja sehr eng und<br />

ich habe immer Wert darauf gelegt, wenn ein In<strong>format</strong>ionsgesprach<br />

notwendig war, um den Bundeskanzler zu unterrichten, dal1 ich die beiden<br />

anderen deutschen Mitglieder Haferkamp und von der Groeben daran<br />

beteiligte. Ich wollte nicht, dal1 der Verdacht entstand, der Herr Hellwig kann<br />

bei seiner Freundschaft zu Kiesinger hinter unserem Rucken Dinge<br />

besprechen, wo wir das nicht wissen. Mit Franz-Josef Straul1 war das<br />

Verhaltnis auch an und fUr sich sehr eng, er hat mir wiederholt in der Zeit das<br />

freundschaftliche Du angeboten, und das habe ich zunachst abgelehnt.<br />

Nachdem er im Arger ausgeschieden war, da habe ich ihm gesagt: "mein<br />

lieber Franz-Josef, jetzt, wo viele Freunde sich von Dir abwenden, jetzt<br />

akzeptiere ich das Du". Zu der bekannten Wahrungskonferenz auf dem<br />

Petersberg - Ende 1968 war das glaube ich - da hatte die Kommission mich<br />

beauftragt, uber diese Dinge mit Franz-Josef Straul1 zu sprechen, da habe ich<br />

mit ihm ein sehr bewegtes Telefongesprach gefUhrt. Er war ja ein Gegner der<br />

Freigabe der Wechselkurse usw., und auch Raymond Barre war ein heftiger<br />

Gegner der Freigabe der Wechselkurse, deswegen auch seine Vorarbeit fUr<br />

die Konferenz vom Haag, Zielrichtung mul1 nicht die Freigabe der<br />

Wechselkurse sein, sondern die Wahrungsunion.<br />

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