Erstsemester-Ausgabe - Iurratio
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Sonder-Ausgab<br />
Sonder-<strong>Ausgabe</strong><br />
Ihren Professorinnen und Professoren. Waren Sie noch in der Schule<br />
mit ca. 30 – in den Leistungskursen z. T. noch mit deutlich weniger –<br />
Mitschülerinnen und Mitschülern im Klassenraum unterrichtet worden,<br />
so werden Sie sich im ersten Semester in einem prall gefüllten<br />
Hörsaal mit mehreren hundert Studierenden wiederfinden. An vielen<br />
juristischen Fachbereichen kommt ein Professor auf über 100 Studierende.<br />
Diese sog. Betreuungsrelation ist zugegebenermaßen schlecht.<br />
Dieser Zustand ist aber nicht auf ein Versagen der Universitäten zurückzuführen,<br />
sondern politisch gewollt, weil die Kapazitätenverordnung<br />
entsprechende rechnerische Vorgaben macht. Der Unterricht<br />
ist für Ihre Professoren/innen eine von mehreren Aufgaben: Als<br />
Hochschullehrer/in muß man außerdem (und, wenn man ernst genommen<br />
werden will, in erheblichem Umfang) Forschung betreiben<br />
und sich darüber hinaus noch in der akademischen Selbstverwaltung<br />
engagieren. Das bedeutet für Sie zweierlei: Zum einen müssen Sie es<br />
Ihren Professoren/innen nachsehen, wenn sie nicht zu jeder beliebigen<br />
Zeit ansprechbar sind und wenn sie nicht auf jede Frage, die<br />
Sie zu Ihrem Studium oder zum Stoff der Vorlesung haben, sofort<br />
antworten. Zum anderen aber müssen Sie es auch nicht hinnehmen,<br />
wenn ein/e Professor/in zur Schau trägt, daß ihm/ihr Ihr persönlicher<br />
Werdegang und Ihr Studienerfolg bedeutungslos sind: Wer an<br />
einer Universität lehrt, ist selbstverständlich auch Dienstleister und<br />
als solcher dazu aufgerufen, Sie in einem wichtigen Abschnitt Ihres<br />
Lebens engagiert zu begleiten. Sie brauchen nicht in der Anonymität<br />
eines Massenstudiengangs zu versinken. Sie dürfen und sollen das<br />
individuelle Gespräch mit Ihren Professoren/innen suchen!<br />
Überhaupt möchte ich Sie gerne ermuntern, aktiv an Ihrem Fachbereich<br />
mitzuarbeiten. Sie haben sich, anders als in der Schule, das<br />
Fach, das Sie studieren, selbst ausgesucht – Grund genug, sich nicht<br />
nur die nötigen Kenntnisse anzueignen, sondern sich auch in jener<br />
Institution zu engagieren, die Ihnen diese Kenntnisse vermitteln soll.<br />
Sie dürfen von Ihren Professoren/innen erwarten, dass sie ein Interesse<br />
an Ihnen um Ihrer selbst willen haben. Daß ein solches Interesse<br />
keinesfalls überall selbstverständlich ist, zeigt die folgende Passage,<br />
die ich jüngst in einem von drei Tübinger Kollegen verfassten Lehrbuch<br />
gelesen habe: „Die Lehre macht neben der Forschung nur einen<br />
geringen Teil des Aufgabenbereichs von Professoren und Assistenten<br />
aus. Für die Karriere als Wissenschaftler zählen didaktische Kenntnisse<br />
wenig. Kein Professor wird z. B. nach Tübingen berufen, weil<br />
er gute Vorlesungen hält.“ (Kühl/Reichold/Ronellenfitsch, Einführung<br />
in die Rechtswissenschaft, München 2011, S. 31). Aus diesen Zeilen<br />
– vor allem aus dem letzten Satz – spricht eine bemerkenswerte<br />
Gleichgültigkeit gegenüber den Belangen der Studierenden. Wenn<br />
Sie das Gefühl haben, dass die Professoren/innen an der Fakultät, an<br />
der Sie das Studium aufgenommen haben, Ihnen mit einer solchen<br />
Haltung gegenübertreten, sollten Sie es dabei nicht bewenden lassen.<br />
An jedem Fachbereich gibt es organisierte Interessenvertretungen<br />
der Studierenden, die sog. Fachschaften. Diese werden sich um so<br />
erfolgreicher für bessere Studienbedingungen einsetzen, je breiter sie<br />
personell aufgestellt sind und je überzeugender das Mandat ist, das<br />
sie von den Studierenden erhalten haben; deshalb mein Aufruf an<br />
Sie: Gehen Sie unbedingt zu den Wahlen zur Fachschaft und zu den<br />
anderen akademischen Gremien, und stellen Sie sich, wenn es Ihre<br />
Zeit irgendwie zulässt, selbst für die Mitarbeit in diesen Gremien zur<br />
Verfügung!<br />
Vor Ihnen liegt ein spannender und bedeutsamer Lebensabschnitt.<br />
Sie werden eintauchen in eine große unbekannte Welt. Dies bedeutet<br />
aber nicht, daß Sie in dieser Welt untergehen müssen. Im Studium<br />
der Rechtswissenschaft darf man keine schnellen Erfolge erwarten.<br />
Es wird eine Zeitlang dauern, bis Sie hinter dem komplexen Gemenge<br />
von Vorschriften gedankliche Zusammenhänge erkennen. Sie<br />
dürfen und müssen also ein wenig Geduld mit sich haben. Ich wünsche<br />
Ihnen für Ihr Studium viel Erfolg und später für Ihren Beruf jenes<br />
Verantwortungsbewusstsein, das Sie benötigen werden, um den<br />
Menschen gerecht zu werden, deren Schicksal Ihnen anvertraut ist.<br />
Ihnen allen einen guten Start!<br />
Prof. Dr. Martin Schwab<br />
Wir danken den Sponsoren dieser <strong>Erstsemester</strong>-Sonderausgabe:<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
<strong>Erstsemester</strong>-<strong>Ausgabe</strong> 2011<br />
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