Die Zeitschrift für stud. iur. - Iurratio
Die Zeitschrift für stud. iur. - Iurratio
Die Zeitschrift für stud. iur. - Iurratio
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I S S N 1 8 6 7 - 6 6 0 X<br />
<strong>Die</strong> <strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>stud</strong>. <strong>iur</strong>.<br />
Titelaufsatz<br />
Gesetzlicher Schutz <strong>für</strong> geheimes Know-how –<br />
Nur gerecht oder auch wirtschaft lich sinnvoll?<br />
von Prof. Dr. Christoph Ann, LL.M. und Ass. jur. Björn Kalbfus (München)<br />
Ausbildung<br />
Willenserklärung ohne Erklärungsbewußtsein? Teil II<br />
von Prof. Dr. Martin Schwab (Berlin)<br />
Klausuren/Hausarbeiten, Technik und Tipps<br />
von cand. <strong>iur</strong>. Vivien Eckhoff (Bremen)<br />
Schwerpunkte<br />
Bilateral Investment Treaties (BITs) –<br />
An Eff ective Instrument of Investment Protection<br />
von Claus-Peter Knöller (Heidelberg)<br />
<strong>Die</strong> öff entliche Hand als Bieterin im Vergabeverfahren<br />
von Dipl.-Jur. Lars Wildhagen (Düsseldorf)<br />
Praxis<br />
Der Trend geht in Richtung Einfachheit<br />
Ein ein Interview mit Prof. Dr. Rolf Schmidt<br />
Wahlstation bei der GTZ in Ghana<br />
von Florian Lauscher (Düsseldorf)<br />
Ausgabe 3 + 4/2009 | www.IURRATIO.de<br />
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Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
wir freuen uns über das steigende Interesse an <strong>Iurratio</strong> und vor allem darüber, dass wir auch dieses Mal viele Autoren gewinnen konnten, die uns interessante<br />
Beiträge zu vielen aktuellen Themen zur Verfügung gestellt haben. <strong>Iurratio</strong> konnte nicht nur in Punkto Auflage wachsen, sondern das Vertriebsgebiet auch auf<br />
weitere Fakultäten ausweiten.<br />
Dabei ist es uns gelungen, Ihnen schon mal einen kleinen Vorgeschmack auf das zu geben, was wir uns <strong>für</strong> das nächste Jahr vorgenommen haben: <strong>Iurratio</strong> wird<br />
international. In dieser Ausgabe finden Sie deshalb zwei englischsprachige Beiträge. Claus-Peter Knöller hat sich in seinem Aufsatz mit bilateralen Investitionsab-<br />
kommen beschäftigt, ein grenzüberschreitend wichtiges und hochaktuelles Thema mit internationaler Bedeutung. Zudem ist es uns gelungen ein Interview mit<br />
der international bekannten Thriller-Autorin Jilliane P. Hoffman zu führen.<br />
So hochwertig sich auch diese Ausgabe der <strong>Iurratio</strong> – die <strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>stud</strong>.<strong>iur</strong>. wieder präsentiert, so schwierig war das Jahr 2009 <strong>für</strong> uns. In allen Segmenten<br />
sparten Unternehmen, Kanzleien und andere Institutionen insbesondere im Bereich Spenden und Werbung. Das bekommt auch nach wie vor unser Projekt emp-<br />
findlich zu spüren. Aus diesem Grunde haben wir uns entschlossen, die Ausgaben 3/2009 und 4/2009 zusammenzulegen. Wir bedauern, dass wir Ihnen deshalb<br />
erst heute eine neue Ausgabe von <strong>Iurratio</strong> – die <strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>stud</strong>.<strong>iur</strong>. vorlegen können. Sie halten da<strong>für</strong> ein etwas dickeres Heft in den Händen. Wir hoffen, dass<br />
sich die Wirtschaft und damit auch die Situation <strong>für</strong> <strong>Iurratio</strong> im nächsten Jahr so erholen, dass wir wie gewohnt im vierteljährlichen Rhythmus erscheinen können.<br />
Im Namen des gesamten <strong>Iurratio</strong>-Teams bedanke ich mich <strong>für</strong> das uns in 2009 entgegengebrachte Interesse und die hervorragende Zusammenarbeit mit allen Au-<br />
toren, Interviewpartnern und nicht zuletzt allen Freunden und Förderern des Projektes. Wir wünschen Ihnen geruhsame und schöne Weihnachtstage, einen an-<br />
genehmen Jahreswechsel und alles Gute <strong>für</strong> das Jahr 2010.<br />
Ihr<br />
Alexander Otto<br />
(Chefredakteur)<br />
Anwalt der Anwälte<br />
Vorwort<br />
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Inhalt / Impressum Titelaufsatz<br />
Fotos auf dieser Seite: fotolia.de<br />
S. 148<br />
Persönliche Vergeltung im<br />
Strafverfahren?<br />
S. 153<br />
Impressum Ausgabe 3 + 4/2009<br />
Herausgeber: Jens-Peter Thiemann (V.i.S.d.P.)<br />
herausgeber@<strong>iur</strong>ratio.de<br />
S. 133<br />
Chefredaktion: Alexander Otto; Vivien Eckhoff (Stellvertreterin)<br />
chefredaktion@<strong>iur</strong>ratio.de<br />
Redaktion: Marc Brade (Standortleiter Uni Jena); Christian Edler (Standortleiter Uni<br />
Osnabrück); Kiyomi von Frankenberg (Standortleiterin Uni Freiburg, Ressortleiterin<br />
Strafrecht), Dagmar Silvana Furmanek (Uni Bielefeld, Ressort LawLifeStyle); Christina<br />
Gehrig (Uni Erlangen-Nürnberg); Marcel Gellings (Standort Universität Frankfurt<br />
a.M.); Hanjo Hamann (Uni Hamburg); Ann-Kathrin Hausmann (Uni Erlangen-<br />
Nürnberg); Christoph Huppertz (Ressortleiter Zivirecht); Christian W. Jakob (Standort-<br />
leiter Uni Bayreuth); David Krätzig (Standortleiter Uni Münster); Markus Krüger<br />
(Uni Bielefeld); Stephanie Langenberg (Standortleiterin Uni Tübingen); Stefanie Löhr<br />
(Ressort Öffentliches Recht); Nader Mehrinfar (Standort Universität Frankfurt a.M.);<br />
Carolin Möhle (Uni Bielefeld); Marcel Niknafs (Standortleiter Freie Universität Berlin);<br />
Tobias Pesch (Standortleiter LMU München); Christian Schilling (Standortleiter<br />
Uni Passau, Ressort Zivilrecht); Max Stelz (Standortleiter Uni Marburg); Jan-Christoph<br />
Stephan (Standortleiter Uni Konstanz, Ressortleiter Praxis); Dirk Veldhoff (Ressort<br />
Praxis); Aimee Waldon (Standortleiterin Uni Bremen, Ressort Zivilrecht);<br />
Katharina Walter (Ressort Öffentliches Recht); Lars Wildhagen (Standortleiter Uni<br />
Düsseldorf); Hyrije Zeneli (Uni Bielefeld, Ressort Fallbearbeitung)<br />
redaktion@<strong>iur</strong>ratio.de<br />
Ausschluss: Namentlich gekennzeichnete Beiträge repräsentieren nicht unbedingt die<br />
Meinung der Redaktion.<br />
Lektorat: Annica Klemme, Susanne Bettendorf<br />
Layout & Satz: Susanne Günther, info@susanneguenther.de,<br />
layout@<strong>iur</strong>ratio.de<br />
Geschäftsführer: Eckart Pradel<br />
Anzeigenabteilung: Lydia Voß, Korinna Wagner, Marcel Gellings, Daniel Frey<br />
anzeigen@<strong>iur</strong>ratio.de<br />
Auslandskorrespondenz: Inga Thiemann (Englisch, Niederländisch), Marlene Alker<br />
(Französisch)<br />
Vertrieb: Michael Kretschmann, Christoph Neumann, Eva Maria Matt<br />
vertrieb@<strong>iur</strong>ratio.de<br />
Postanschrift: <strong>Iurratio</strong>, Arndtstraße 31, 33615 Bielefeld.<br />
Redaktionsanschrift: Postfach 1540, 26645 Westerstede<br />
Das Privileg des Wissens<br />
Druck: Gutverlag, Druck und Medien, Hörstel-Bevergern, www.gutverlag.com<br />
Urheber- und Verlagsrechte: Alle in dieser <strong>Zeitschrift</strong> veröffentlichten Beiträge sind<br />
urheberrechtlich geschützt. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken und<br />
ähnlichen Einrichtungen. Kein Teil dieser <strong>Zeitschrift</strong> darf außerhalb der engen Grenzen<br />
des Urheberrechtsgesetzes ohne schriftliche Genehmigung in irgendeiner Form<br />
reproduziert werden.<br />
Autorenhinweise: Ausführliche Autorenhinweise finden Sie auf unserer Homepage<br />
www.<strong>iur</strong>ratio.de<br />
Danksagung: Unser Dank gilt allen Autoren und Sponsoren, die zum Gelingen dieser<br />
Ausgabe beigetragen haben. Insbesondere gilt unser Dank der Fakultät <strong>für</strong> Rechtswissenschaft<br />
der Universität Bielefeld <strong>für</strong> vielseitige Unterstützung.<br />
Fakultät <strong>für</strong> Rechtswissenschaft<br />
S. 170<br />
4 Gewinnt – auch mit formellen Fehlern? EU erhängt Tabakwerbung!<br />
Titelaufsatz<br />
Gesetzlicher Schutz <strong>für</strong> geheimes Know-how<br />
ann / kalbfus Gesetzlicher Schutz <strong>für</strong> geheimes Know-how – 133<br />
Nur gerecht oder auch wirtschaftlich sinnvoll?<br />
Ausbildung<br />
eckhoff Klausuren/Hausarbeiten, Technik und Tipps 137<br />
schwab Willenserklärung ohne Erklärungsbewußtsein? (Teil II) 142<br />
Chefredaktionsinterview mit Jilliane P. Hoffman, 148<br />
bekannte Thriller-Autorin und Staatsanwältin ...<br />
Schwerpunkte<br />
knöller Bilateral Investment Treaties (BITs) – 150<br />
An Effective Instrument of Investment Protection<br />
wildhagen <strong>Die</strong> öffentliche Hand als Bieterin im Vergabeverfahren 153<br />
Lawlife Style 158<br />
- Citi Run Duisburg<br />
- Ein Besuch beim Bundesverfassungsgericht<br />
- 2. Gesprächskreis Wirtschaftskriminalität großer Erfolg<br />
- 40-Jahre Fakultät <strong>für</strong> Rechtswissenschaft an der Universität Bielefeld<br />
Fallbearbeitung<br />
sotiriadis<br />
Anfänger im Strafrecht: „<strong>Die</strong> Verhinderung des Weltuntergangs“ 160<br />
hiéramente Anfänger im Strafrecht: „Fußballfrust“ 164<br />
eichenhofer Fortgeschrittene im Zivilrecht:<br />
„Tollende Kinder und nachbarlicher Friede!“ 167<br />
herrmann / wollenschläger<br />
Examenskandidaten im Öffentlichen Recht: „Tabakwerbeverbot“ 170<br />
Praxis<br />
veldhoff Interview mit Prof. Dr. Rolf Schmidt 176<br />
„Der Trend geht in Richtung Einfachheit.“<br />
lauscher Wahlstation bei der GTZ in Ghana 178<br />
gutowski Praktikumsbericht: Grosskanzlei Lovells 179<br />
Studentisches<br />
barutta Schwerpunktbereich Internationales und Europäisches 181<br />
Privatrecht und seine historischen Grundlagen<br />
schlenkhoff / knöller Der Studiengang „LL.M. in 182<br />
Unternehmensrestrukturierung“ an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg<br />
kiesow Schwerpunktbereich Arbeits- und Sozialrecht im 184<br />
internationalen und supranationalen Kontext<br />
pannemann Schwerpunktbereich Rechtsgestaltung und 185<br />
Streitbeilegung im Zivilrecht<br />
gehrig Deutsch - französisches Recht 186<br />
A. EINFÜHRUNG<br />
Gesetzlicher Schutz <strong>für</strong> geheimes Know-how –<br />
Nur gerecht oder auch wirtschaftlich sinnvoll?<br />
Prof. Dr. Christoph Ann LL.M. und Ass. jur. Björn Kalbfus<br />
Das Know-how eines Unternehmens – verstanden als dessen gesamtes nicht<br />
allgemein zugängliches gewerblich anwendbares Wissen – bildet heute in vie-<br />
len Fällen sein wesentliches Kapital. Know-how kann technischer Natur sein,<br />
wie etwa Herstellungsverfahren, Konstruktionsprinzipien, Rezepturen und<br />
sonstige stoffliche Zusammensetzungen, oder kaufmännischer Natur, wie<br />
Kundendaten oder Marktforschungsergebnisse. Naturgemäß sind diese „in-<br />
tangible assets“ anfällig <strong>für</strong> Nachahmung und deshalb in besonderem Maß<br />
schutzbedürftig.<br />
Prof. Dr. Christoph Ann LL.M., Jahrgang 1962, ist Inhaber des Lehrstuhls <strong>für</strong> Wirtschaftsrecht und Geistiges Eigentum an der<br />
TU München sowie Mitglied im Managing Board des Munich Intellectual Property Law Centers.<br />
Ass. jur. Björn Kalbfus, Jahrgang 1978, ist Doktorand am Lehrstuhl und beschäftigt sich im Rahmen seiner Promotion mit<br />
dem Know-how-Schutz.<br />
<strong>Die</strong> Rechtsordnung stellt zu diesem Zweck eine ganze Palette an gewerbli-<br />
chen Schutzrechten bereit. Zu nennen sind insbesondere das Patent, die<br />
Marke, das Gebrauchs- und das Geschmacksmuster. Auch dem Urheberrecht<br />
kommt, wenngleich es nicht zum engeren Kanon der gewerblichen Schutz-<br />
rechte gehört, eine bedeutende wirtschaftliche Rolle zu. Allerdings hat der<br />
Kanon der Immaterialgüterrechte Grenzen. Bei weitem nicht <strong>für</strong> jede Art<br />
unternehmensrelevanter Information steht ein solches Recht zur Verfügung.<br />
Insbesondere kaufmännische Informationen sind nur sehr begrenzt schutzfä-<br />
hig. Und selbst wenn <strong>für</strong> eine Information die Anmeldung eines Schutzrechts<br />
in Betracht kommt, verzichten Unternehmen häufig aus guten Gründen dar-<br />
auf. Denn obwohl beispielsweise das Patent sehr umfassenden Schutz <strong>für</strong> Er-<br />
findungen gewährt, ist es auch mit einer Reihe von Nachteilen verbunden: Im<br />
Rahmen der Patentanmeldung muss die Erfindung so umfassend offengelegt<br />
werden, dass ein Durchschnittsfachmann sie versteht. Das Anmeldeverfahren<br />
verursacht meist hohe Kosten und kann jahrelang dauern. 1 Außerdem beträgt<br />
die Patentlaufzeit maximal 20 Jahre – gerechnet nicht ab Ertei-lung, sondern<br />
ab dem Tag der Anmeldung (§ 16 I S. 1 PatG).<br />
Will oder kann ein Unternehmen diese Nachteile nicht in Kauf nehmen,<br />
bleibt als Alternative oft nur der Weg der strategischen Geheimhaltung. Das<br />
Unternehmen muss dann versuchen, sein Wissen möglichst lange nicht nach<br />
außen dringen zu lassen, um so seinen Vorsprung gegenüber Mitbewerbern<br />
zu sichern. Allerdings ist auch diese Geheimhaltung mit Risiken verbunden:<br />
Anders als beim Patentschutz gibt es hier kein Recht auf Exklusivität. Kon-<br />
kurrenten können also nicht davon abgehalten werden, sich ähnliches oder<br />
gar identisches Wissen unabhängig zu erschließen und zu verwerten. Zudem<br />
1 Ann, GRUR 2007, 39 (40).<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
wird die Geheimhaltung dadurch erschwert, dass die Verwertung von Know-<br />
how stets Mitwisser erfordert: Eingeweiht werden müssen Arbeitnehmer und<br />
gelegentlich auch andere Unternehmen als Kooperationspartner, z.B. Lieferan-<br />
ten. Eine gewisse Verbreitung ist daher unvermeidlich. Das schafft erhebliche<br />
Risiken, denn nach einer Daumenregel des Geheimschutzes steigt das Risiko<br />
des allgemeinen Bekanntwerdens einer Information exponentiell zum Grad ih-<br />
rer Verbreitung. <strong>Die</strong> größte Gefahrenquelle sind hier Arbeitnehmer. Sie kön-<br />
nen Know-how verraten oder von Mitbewerbern ausgespäht werden.<br />
Während der erstgenannte Nachteil – fehlende Exklusivität – als wesensim-<br />
manente Schwäche der Geheimhaltung hinzunehmen ist, versucht die Rechts-<br />
ordnung, das zweite Risiko zu begrenzen: <strong>Die</strong> Geheimhaltung von Know-how<br />
ist durch eine Vielzahl von Rechtsvorschriften geschützt. Der folgende Bei-<br />
trag gibt einen kurzen Überblick über diesen gesetzlichen Schutz (II.) und<br />
befasst sich anschließend mit Sinn und Zweck der dazu bestehenden Vor-<br />
schriften (III.).<br />
B. GESETZLICHER KNOW-HOW-SCHUTZ IM ÜBERBLICK<br />
I. DER BEGRIFF DES BETRIEBS- UND GESCHÄFTSGEHEIMNISSES<br />
Der Ausdruck „Know-how“ findet zwar in etlichen Verordnungen des eu-<br />
ropäischen Kartellrechts Verwendung, nicht aber im deutschen Recht. Hier<br />
knüpfen die einschlägigen Know-how Schutznormen an den Begriff des Be-<br />
triebs- oder Geschäftsgeheimnisses an. <strong>Die</strong>ser nicht legaldefinierte Begriff<br />
wird von der Rechtsprechung verstanden als im Zusammenhang mit einem<br />
Betrieb stehende Tatsache, die nicht offenkundig, sondern nur einem eng<br />
begrenzten Personenkreis bekannt ist und nach dem bekundeten, auf wirt-<br />
schaftlichen Interessen beruhenden Willen des Betriebsinhabers geheim ge-<br />
halten werden soll. 2 Dabei werden unter einem Betriebsgeheimnis technische<br />
Informationen verstanden, während sich der Begriff des Geschäftsgeheimnis-<br />
ses auf Informationen kaufmännischer Art bezieht. Rechtlich kommt dieser<br />
Unterscheidung aber keine Bedeutung zu, da sich der gesetzliche Schutz glei-<br />
chermaßen auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse erstreckt. Häufig wird<br />
deshalb aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung auch der Oberbegriff<br />
des Unternehmens- oder des Wirtschaftsgeheimnisses verwendet.<br />
2 BGH GRUR 2009, 613 (614 Rn. 13) – Versicherungsuntervertreter;<br />
BGH GRUR 2006, 1044 (1046 Rn. 19) – Kundendatenprogramm; Harte-<br />
Bavendamm, in: Harte/Henning, UWG, 2. Aufl. 2009, § 17 Rn. 1.<br />
133
134<br />
Titelaufsatz<br />
II. DER RECHTLICHE SCHUTZ VON BETRIEBS- UND<br />
GESCHÄFTSGEHEIMNISSEN<br />
Der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ist kein in sich geschlos-<br />
senes Rechtsgebiet, sondern eine Querschnittsmaterie, die sich aus Normen<br />
unterschiedlichster Bereiche zusammensetzt. Einschlägige Vorschriften fin-<br />
den sich etwa im Handels- und Gesellschaftsrecht, im Arbeitsrecht und im<br />
Kernstrafrecht, ferner im Prozessrecht und in einer Vielzahl verwaltungs-<br />
rechtlicher Normen. 3 <strong>Die</strong> praktisch wichtigsten Vorschriften sind im Gesetz<br />
über den unlauteren Wettbewerb (UWG) enthalten. Namentlich die §§ 17<br />
und 18 UWG sehen <strong>für</strong> die bedeutsamsten Varianten denkbarer Geheimnis-<br />
verletzungen Sanktionen vor:<br />
§ 17 I UWG stellt den Geheimnisverrat durch Beschäftigte eines Unterneh-<br />
mens unter Strafe. Es handelt sich um ein Sonderdelikt, das täterschaftlich<br />
nur von dem genannten Personenkreis begangen werden kann. Verboten<br />
wird insbesondere Arbeitnehmern, die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse<br />
ihres Unternehmens weiterzugeben, etwa an Konkurrenten.<br />
§ 17 II Nr. 1 UWG untersagt demgegenüber die unbefugte Verschaffung oder<br />
Sicherung fremder Betriebsgeheimnisse und pönalisiert so die – faktisch vor<br />
allem mit technischen Mitteln geführte – Betriebsspionage. <strong>Die</strong>ses Delikt ist<br />
– im Unterschied zu § 17 I UWG – kein Sonderdelikt, sondern kann von je-<br />
dermann begangen werden. Tatbestandlich ist beispielsweise ein Angriff auf<br />
fremde Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse durch Ausspähen von Compu-<br />
terdaten oder durch Einsatz von Abhörgeräten oder Kameras. 4<br />
Im Verhältnis zu den beiden genannten Tatbeständen, die an Fälle der unlau-<br />
teren Informationsweitergabe, -verschaffung oder -sicherung anknüpfen und<br />
gleichsam Informationszugangsschutz gewähren, bildet § 17 II Nr. 2 UWG<br />
ein Anschlussdelikt. Strafbar ist nach dieser Vorschrift die Verwertung und<br />
jede weitere Mitteilung von Informationen, die bereits rechtswidrig erlangt<br />
wurden, insbesondere unter Verstoß gegen § 17 I oder § 17 II Nr. 1 UWG.<br />
Komplettiert wird der lauterkeitsrechtliche Geheimnisschutz schließlich<br />
durch § 18 UWG. <strong>Die</strong>se Norm bildet in gewisser Weise einen Paralleltatbe-<br />
stand zu § 17 I UWG, jedoch bezieht sie sich gerade nicht auf Beschäftigte ei-<br />
nes Unternehmens, sondern auf Außenstehende. Strafbar ist der Missbrauch<br />
im geschäftlichen Verkehr anvertrauter Vorlagen und technischer Vorschrif-<br />
ten. Tatobjekt ist hier also nicht jedes Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, son-<br />
dern sind lediglich die genannten Gegenstände; dies jedoch wiederum nur,<br />
soweit sie nicht offenkundig sind (anderenfalls ist ein „Anvertrauen“ nicht<br />
denkbar 5 ). Das können zum Beispiel Konstruktionszeichnungen sein, die ein<br />
Unternehmen dem anderen mit einer Geheimschutzauflage übergeben hat. 6<br />
Auffallend ist, dass es sich bei den genannten Vorschriften durchweg um<br />
Straftatbestände handelt. Das ist insofern nicht abwegig, als Handlungen wie<br />
Geheimnisverrat und Betriebsspionage als besonders schwerwiegende Wett-<br />
3 Vgl. exemplarisch §§ 93 I S. 3, 404 AktG, 85 GmbHG, 90, 333 HGB, 79,<br />
120 BetrVG, 203, 204 StGB, 172 Nr. 2 GVG, 30 VwVfG, 6 S. 2 IFG.<br />
4 Harte-Bavendamm, in: Harte/Henning, UWG, 2. Aufl. 2009, § 17 Rn. 22.<br />
5 BGH GRUR 1955, 468 (473) – Schwermetall-Kokillenguß; BGH GRUR<br />
1958, 297 (298) – Petromax I.<br />
6 BGH GRUR 1964, 31 – Petromax II.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
bewerbsverstöße angesehen werden und der Gesetzgeber deshalb seit jeher<br />
besonderen Wert auf eine gewisse Abschreckungswirkung legt. Allerdings ist<br />
dem Geschädigten damit noch nicht geholfen. Er ist regelmäßig vor allem da-<br />
ran interessiert, Ersatz <strong>für</strong> erlittene Schäden zu erhalten und den Täter zur<br />
Unterlassung weiterer Verletzungshandlungen zu verpflichten. Der Schutz<br />
von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen erfordert daher auch zivilrechtli-<br />
che Regelungen. Hier ist die Ausgestaltung des Schutzes fragmentarisch. Spe-<br />
zielle Vorschriften finden sich kaum. 7 Stattdessen bedarf es des Rückgriffs auf<br />
allgemeine Regelungen. In Näheverhältnissen kann zunächst das Vertrags-<br />
recht herangezogen werden. So begründet ein Geheimnisverrat regelmäßig<br />
eine schuldhafte Verletzung von Treuepflichten im Sinne von § 241 II BGB,<br />
die Schadensersatzansprüche gemäß § 280 I BGB auslösen kann.<br />
In Fällen der Betriebsspionage besteht meist allerdings weder ein Vertrag,<br />
noch ein vertragsähnliches Schuldverhältnis im Sinne von § 311 II BGB.<br />
Dann helfen die genannten Anspruchsgrundlagen nicht weiter, vielmehr ist<br />
zivilrechtlicher Schutz nur über das Deliktsrecht möglich. Zentrale Bedeu-<br />
tung kommt insoweit § 823 II BGB (und §§ 3 I, 4 Nr. 11 UWG) in Verbin-<br />
dung mit oben genannten Straftatbeständen zu, namentlich mit den §§ 17, 18<br />
UWG. Daneben wird Rechtsschutz vor allem über Generalklauseln – etwa<br />
§ 826 BGB und §§ 3 I, 4 Nr. 10 UWG – gewährt. 8 Umstritten ist schließlich,<br />
inwieweit Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse „sonstige Rechte“ im Sinne<br />
von § 823 I BGB bilden oder wenigstens als Ausschnitt des Rechts am einge-<br />
richteten und ausgeübten Gewerbebetrieb geschützt sind. 9<br />
C. ZUR ZWECKSETZUNG DES KNOW-HOW-SCHUTZES<br />
I. DIE ÜBERKOMMENEN BEGRÜNDUNGEN<br />
<strong>Die</strong> innere Rechtfertigung <strong>für</strong> die genannten Vorschriften scheint sich<br />
– nicht zuletzt nach dem in der Einleitung Gesagten – auf den ersten Blick<br />
ohne weiteres zu erschließen: Unternehmen sind in vielen Fällen auf wirk-<br />
samen Geheimschutz angewiesen, insbesondere wenn die Alternative einer<br />
Schutzrechtsanmeldung zwar besteht, jedoch nicht wirtschaftlich ist. Das<br />
Geheimschutzinteresse eines Unternehmens ist daher legitim. Spionage ist<br />
demgegenüber eine Handlung, durch die man in die Sphäre eines anderen<br />
eindringt, um sich die Früchte fremder Mühen anzueignen. Weil Arbeits-<br />
ergebnisse demjenigen, der sie durch eigene Investitionen erschlossen hat,<br />
gleichsam natürlich zurechenbar sind, gilt der Geheimnisverrat durch Ein-<br />
geweihte, etwa Mitarbeiter des Geheimnisträgers, gemeinhin als Vertrauens-<br />
bruch und damit – in der Sprache des Gesetzes – als „unlauter“ (§ 3 I UWG)<br />
bzw. „sittenwidrig“ (§ 826 BGB).<br />
II. KNOW-HOW-SCHUTZ IM VERGLEICH ZUM PATENTSCHUTZ<br />
So nachvollziehbar die genannten Erwägungen zunächst auch erschei-<br />
nen, so erstaunlich ist gleichwohl, dass die ökonomischen Folgen des Know-<br />
how-Schutzes jedenfalls in Deutschland kaum jemals eingehend hinterfragt<br />
worden sind. Für Patente verhält sich dies vollkommen anders. Schon vor In-<br />
krafttreten des ersten deutschen Patentgesetzes im Jahr 1877 wurde eine teils<br />
vehement ausgetragene Diskussion über Sinn und Unsinn von Patentschutz<br />
7 Vgl. Ohly, in: Piper/Ohly, UWG, 4. Aufl. 2006, Vor §§ 17-19 Rn. 10;<br />
Kraßer, GRUR 1977, 177 (195).<br />
8 Harte-Bavendamm, in: Harte/Henning, UWG, 2. Aufl. 2009, § 17 Rn. 44.<br />
9 Ann, GRUR 2007, 39 (42 f.).<br />
geführt. 10 Gegner wandten ein, es sei nicht gerechtfertigt, demjenigen, der<br />
eine Erfindung – vielleicht nur mit geringem Vorsprung – als erster gemacht<br />
habe, die Realisierung einer Monopolrente zu ermöglichen und alle Wettbe-<br />
werber mit Lizenzgebühren zur Kasse zu bitten. Schließlich einigte man sich<br />
auf den Kompromiss, der in seinen Grundzügen bis heute besteht: Solange<br />
eine Erfindung technisch, neu, erfinderisch und gewerblich anwendbar ist<br />
(§ 1 I PatG), gewährt das Patent unabhängig vom technischen Fortschritt oder<br />
dem Nutzen, den es bedeutet, ein Monopol; jedoch zeitlich beschränkt auf 20<br />
Jahre ab Anmeldung (§ 16 I S. 1 PatG) sowie mit der Möglichkeit zur Erteilung<br />
von Zwangslizenzen (§ 24 PatG). Nach Auslaufen des Schutzes ist die Ver-<br />
wertung einer Erfindung <strong>für</strong> jedermann frei. Weil der Patentanmelder seine<br />
Erfindung in der Anmeldung so offenlegen muss, dass jeder Durchschnitts-<br />
fachmann sie ausführen kann (§ 34 IV PatG), wird sein Wissensmonopol hier<br />
zu einem bloßen Verwertungsmonopol. Für die Allgemeinheit hat das den<br />
Vorteil einer erheblichen Mehrung des öffentlich zugänglichen technischen<br />
Wissens: Nach Schätzungen des Europäischen Patentamts finden sich heute<br />
rund 85% des technischen Wissens der Menschheit in Patentdatenbanken. 11<br />
Darüber hinaus soll das Patentsystem den technischen Fortschritt auch da-<br />
durch fördern, dass es Innovationsanreize setzt. 12 Auch hiervon profitiert<br />
letztlich die Allgemeinheit.<br />
Aus dieser Perspektive wirft der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheim-<br />
nissen natürlich Fragen auf: Er erstreckt sich auf jedwede Information, ohne<br />
dass es auf Technizität, Neuheit, Erfindungshöhe oder eine anders geartete<br />
Qualität ankommt. Geheimhaltung ist ferner – zumindest theoretisch – zeit-<br />
lich unbegrenzt möglich, entfaltet aber keinerlei Fremdnutzen: Außenste-<br />
hende profitieren nicht vom geheimen Know-how eines Unternehmens, weil<br />
es ihnen ja gerade vorenthalten wird. Zwar handelt auch der Patentanmelder<br />
keineswegs altruistisch, doch wird er gezwungen, seine Erfindung preiszu-<br />
geben, wenn er in den Genuss rechtlichen Schutzes kommen will. Der Ge-<br />
heimnisinhaber hat keine vergleichbare Gegenleistung zu erbringen. Er erhält<br />
seinen Schutz, wenngleich dieser auch weniger weit geht als der Patentschutz,<br />
zum Nulltarif. Warum aber gibt es Rechtsschutz <strong>für</strong> eine Geheimhaltung, die<br />
ausschließlich eigennützig erfolgt? Sollte nicht derjenige, der von einer Infor-<br />
mation profitiert, selbst da<strong>für</strong> sorgen, dass diese nicht an Dritte gelangt? Wer<br />
hier an der Vorbeugung spart, ließe sich einwenden, muss mit den Konse-<br />
quenzen leben. Wäre es zudem aus Wettbewerbsgründen nicht eher angezeigt,<br />
eine faktische Wissensmonopolisierung der Unternehmen zu begrenzen statt<br />
sie durch gesetzlichen Schutz auch noch zu fördern? <strong>Die</strong> überkommenen Be-<br />
gründungen, die mit Unlauterkeit bis hin zur Strafwürdigkeit von Geheim-<br />
nisverletzungen argumentieren, beantworten diese Fragen nicht hinreichend,<br />
weil sie auf rational nur schwer nachvollziehbaren Wertungen beruhen und<br />
außerdem in Grenzfällen keine verlässliche Interpretation einschlägiger<br />
Rechtsvorschriften ermöglichen. Lässt sich die Sinnhaftigkeit des gesetzlichen<br />
Geheimnisschutzes aber nicht auch treffender begründen?<br />
III. RECHTFERTIGUNG DES KNOW-HOW-SCHUTZES<br />
Einen Ansatzpunkt da<strong>für</strong> liefern die <strong>für</strong> den Schutz geheimen Know-hows<br />
aufzuwendenden Kosten: Weil der gesetzliche Schutz eben nur geheime In-<br />
formation umfasst, entbindet er Unternehmen nicht von ihrer Obliegenheit,<br />
10 Machlup, GRUR Int. 1961, 373 (374 ff.).<br />
11 Ann, FS Schilling (2007), 1 (10).<br />
12 Kraßer, PatentR, 6. Aufl. 2009, § 3 IV. (S. 42 ff.).<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
Titelaufsatz<br />
selbst angemessene Geheimschutzmaßnahmen zu treffen. Der in Deutsch-<br />
land gegenwärtig bestehende Know-how-Schutz setzt deshalb voraus, dass<br />
etwa das Firmenareal oder sensible Bereiche wie das IT-System so überwacht<br />
werden, dass dort auf rechtmäßigem Weg keine Information abfließen kann.<br />
Freilich müssen nur verhältnismäßige Maßnahmen ergriffen werden, also nur<br />
solche Maßnahmen, die in angemessener Relation sowohl zur Wahrschein-<br />
lichkeit einer Ausspähung als auch zum daraus drohenden Schaden stehen.<br />
Vorgabe ist also keineswegs die absolute Sicherheit geheimer Informatio-<br />
nen, sondern lediglich ein Sicherheitsniveau, das zu Kosten realisierbar ist,<br />
die gemessen am Nutzen des geheimen Wissens verhältnismäßig sind. <strong>Die</strong>ser<br />
Aspekt ist entscheidend, denn ohne den gesetzlichen Geheimnisschutz wür-<br />
den sich diese Relationen verschieben: Konkurrenzausspähung würde immer<br />
dann zur legitimen Handlungsoption <strong>für</strong> jedes rational agierende Unterneh-<br />
men, wenn sich dadurch die oftmals extrem teure eigene Forschung und<br />
Entwicklung einsparen lässt. Ohne gesetzlichen Know-how-Schutz würde<br />
deshalb die Zahl der Akteure und die Zahl der Spionagefälle signifikant zu-<br />
nehmen. Konkurrenzausspähung würde intensiviert und bezogen auf das<br />
herrschende, weithin unterschätzte Niveau auch nochmals professionalisiert.<br />
Damit stiege aus Sicht des Know-how-Inhabers <strong>für</strong> dessen kritische Informa-<br />
tionen die „Verlustwahrscheinlichkeit“. <strong>Die</strong> Folge: Der Standard der Sicher-<br />
heitsmaßnahmen müsste angehoben werden, um wieder ein angemessenes<br />
Verhältnis zwischen Prävention und (dann erhöhtem) Risiko herzustellen.<br />
Auf diese Weise droht eine Kostenspirale zwischen Spionage und deren Ab-<br />
wehr: Je höher die Zugangsbarrieren zu fremdem, relevantem Know-how,<br />
desto ausgefeilter und teurer werden auch die Mittel zur Überwindung dieser<br />
Barrieren und so fort. <strong>Die</strong> Erhöhung von Sicherheitsstandards führt deshalb<br />
gleichzeitig zu einer Weiterentwicklung der Spionagetechnik und umgekehrt.<br />
Ohne den gesetzlichen Schutz geheimen Know-hows käme es zu einer Kos-<br />
teneskalation, die zuweilen bildhaft als regelrechtes „Wettrüsten“ 13 dargestellt<br />
wird. Der Geheimnisverrat durch eigene Mitarbeiter ist dabei ein Kernpro-<br />
blem. Eigene Mitarbeiter bilden statistisch das größte Risiko <strong>für</strong> Unterneh-<br />
mensgeheimnisse und sind die ergiebigste Quelle <strong>für</strong> „Interessenten“. Keine<br />
technische Maßnahme – sei es das virtuelle Eindringen in ein IT-System oder<br />
auch schlichte Abhörmaßnahmen – können Geheimnisse so vollständig und<br />
umfassend offenbaren wie ein sachkundiger Mitarbeiter. Wären derart un-<br />
ternehmensschädliche Offenbarungen Arbeitnehmern gesetzlich nicht ver-<br />
boten, würden diese Vertraulichkeitsvereinbarungen womöglich nur gegen<br />
beträchtliche Zusatzentgelte unterzeichnen. Dann entstünde ein Bieterwett-<br />
bewerb zwischen Arbeitgebern und der an ihren Geheimnissen interessierten<br />
Konkurrenz. Volkswirtschaftlich bliebe ein solches Szenario nicht folgenlos,<br />
denn die durch Spionage und deren Abwehr entstehenden Kosten gingen ent-<br />
weder bei Forschung und Entwicklung verloren oder sie müssten an Abneh-<br />
mer „weitergereicht“ werden, was zu einer Verteuerung der Produkte führte.<br />
<strong>Die</strong> Umwälzungen, die ein Verzicht auf gesetzlichen Geheimnisschutz her-<br />
vorrufen würde, gingen jedoch vermutlich noch weiter. Um die genannten,<br />
kostenintensiven Maßnahmen zu vermeiden, würden gerade innovative Un-<br />
ternehmen möglicherweise dazu übergehen, ihre gesamte Organisations-<br />
struktur stärker an Belangen des Geheimnisschutzes auszurichten. Weil jeder<br />
Arbeitnehmer nur das verraten kann, was er auch weiß, wäre es denkbar, Auf-<br />
13 Ann, FS Schilling (2007), 1 (10).<br />
135
Titelaufsatz<br />
gabenzuschnitte so umzugestalten, dass immer nur wenige Mitarbeiter um-<br />
fassende Kenntnisse von zentralen Unternehmensgeheimnissen erlangen.<br />
Schlüsselpositionen könnten dann nur noch mit (mutmaßlich) besonders<br />
loyalen Mitarbeitern besetzt werden. Im Falle der Coca-Cola-Rezeptur, die<br />
auf diese Weise über Jahre hinweg nur zwei leitenden Angestellten vollstän-<br />
dig bekannt gewesen und im übrigen unter Verschluss gehalten worden sein<br />
soll, mag dies funktioniert haben. Auch aus der Automobilindustrie sind Ab-<br />
schottungen durch gestufte Informationsberechtigungen bekannt. Als breit<br />
eingesetzte, universelle Schutzmaßnahme stünde eine solche Reorganisation<br />
jedoch in diametralem Widerspruch zum Idealbild eines möglichst effizien-<br />
ten Informationsflusses innerhalb des Unternehmens.<br />
<strong>Die</strong> Vermeidung derartiger Fehlentwicklungen bildet den Kern des beste-<br />
henden gesetzlichen Geheimnisschutzes. Der rechtliche Know-how-Schutz<br />
ergänzt so die unentbehrlichen tatsächlichen Schutzvorkehrungen, indem<br />
er eine weitere – nennenswerte - Hürde gegen Konkurrenzausspähung und<br />
Wirtschaftsspionage errichtet: Deren Überwindung ist nur unter Verletzung<br />
von Strafbestimmungen möglich, erfordert also kriminelle Energie. Ebenso<br />
wie strafrechtliche Sanktionen erhöhen auch zivilrechtliche Unterlassungs-<br />
, Auskunfts- und Schadenersatzansprüche das Risiko <strong>für</strong> jeden, der sich ein<br />
fremdes Unternehmensgeheimnis rechtswidrig erschließt. Sein Handeln wird<br />
zum wirtschaftlichen Nullsummenspiel, wenn er die von ihm erlangten In-<br />
formationen nicht verwenden darf und im Fall der Zuwiderhandlung scha-<br />
denersatzpflichtig wird. Gesetzlicher Know-how-Schutz entfaltet also einen<br />
Präventiveffekt, der es Unternehmen erlaubt, Ressourcen primär auf die Er-<br />
schließung von Informationen und auf deren Nutzung zu konzentrieren und<br />
weniger auf deren Schutz. Für spionagegeneigte Wettbewerber sinkt im Ge-<br />
genzug die Attraktivität dieses Ansatzes bei gleichzeitig erhöhten Anreizen<br />
<strong>für</strong> eigene Forschung und Entwicklung.<br />
D. FAZIT<br />
<strong>Die</strong> Geheimhaltung von Know-how steht als legitime und in der Praxis un-<br />
entbehrliche Wettbewerbsstrategie neben den gewerblichen Schutzrechten.<br />
Rechtlicher Schutz von Know-how ist sinnvoll und wichtig. Seine Rechtferti-<br />
gung bezieht er keineswegs nur aus schwer greifbaren Gerechtigkeitsüberle-<br />
gungen. Zwar mag Wirtschaftsspionage auch schlicht ungerecht sein, der<br />
gesetzliche Know-how-Schutz erfüllt jedoch in erster Linie greifbare wirt-<br />
schaftliche Korrektivfunktionen. Andererseits ist er auch kein Patent „zweiter<br />
Klasse“, sondern ein aliud, dessen Zwecksetzung sich von derjenigen klassi-<br />
scher gewerblicher Schutzrechte deutlich unterscheidet.<br />
A. ALLGEMEINES:<br />
<strong>Die</strong> Bearbeitung von juristischen Sachverhalten während des Studiums erfor-<br />
dert Genauigkeit. Dabei ist es gerade bei komplexeren Sachverhalten oder<br />
Hausarbeiten wichtig, eine übersichtliche Struktur und Gliederung zu finden.<br />
<strong>Die</strong>s hat mehrere Funktionen. Zum Einen kann man damit komplexe Sach-<br />
verhalte „aufklaren“ und sich vor dem eigenen Auge besser verdeutlichen.<br />
Zum Anderen sollte es auch dazu führen, wichtige Einzelheiten nicht zu<br />
übersehen. Zuletzt kann es von Vorteil sein dem Korrekturassistenten mit<br />
einer systematischen Gliederung die Korrektur zu erleichtern. <strong>Die</strong>se Gliede-<br />
rung sollte sowohl in Klausuren, als auch in Hausarbeiten vorgenommen<br />
werden. In Klausuren muss dies aber nicht so feingliederig stattfinden, wie<br />
in Hausarbeiten.<br />
In Klausuren führt eine Gliederung zu Übersichtlichkeit. An dieser Gliede-<br />
rung können die oftmals mit nur sehr wenig Zeit ausgestatteten Korrekturas-<br />
sistenten erkennen, ob wichtige Kernprobleme angesprochen werden. Zudem<br />
sind übersichtliche Klausuren und Hausarbeiten besser zu lesen, was den<br />
Korrektor auch gegenüber der Arbeit freundlicher stimmen wird. Zudem hilft<br />
eine Gliederung jedem Prüfling bei der Strukturierung eines Sachverhalts<br />
und vermittelt eine Agenda, die kontinuierlich abgearbeitet werden kann.<br />
Ebenso wichtig ist aber das Werkzeug zur Darstellung juristischer Sachver-<br />
halte und deren gutachterliche Betrachtung. Auf die Einhaltung des Gutach-<br />
tenstils wird (gerade in den ersten Semestern) besonderer Wert gelegt.<br />
B. GUTACHTENSTIL:<br />
Im juristischen Studium bestehen die Prüfungen überwiegend aus Fallklausu-<br />
ren und Fallhausarbeiten. Man erhält einen Lebenssachverhalt, der juristisch<br />
betrachtet werden muss. <strong>Die</strong>se Begutachtung stellt nicht einen formlosen<br />
„Besinnungsaufsatz“ dar, wie man ihn vielleicht noch aus der Schulzeit kennt,<br />
sondern erfolgt in einer bestimmten Form. <strong>Die</strong> juristische Fallbearbeitung<br />
wird in der Ausformulierung im sog. Gutachtenstil vorgenommen. Der<br />
Gutachtenstil ergibt sich aus dem juristischen Syllogismus. Der Begriff des<br />
Syllogismus stammt von dem griechischen Wort: syllogismos ab welches „Zu-<br />
sammenrechnen“ und/oder „logischer Schluss“ bedeutet. Er ist also Bestand-<br />
teil von Argumentation und dem daraus folgendem Ergebnis. Der Syllogismus<br />
ist der Kerngedanke der Lehre von der Folgerichtigkeit, sog. Logik 2 und wird<br />
auch das Schlussverfahren genannt. 3 Das Denkschema des Syllogismus ist<br />
die Schlussfolgerung aus zwei Prämissen auf einen Schlusssatz, also auf eine<br />
Konklusion. 4 Mit dem Syllogismus kann man logisch beweisen, dass eine<br />
ganz bestimmte Ableitung aus dem Gesetz zu einem ganz bestimmten<br />
Ergebnis führen muss, wenn die Zwischenschritte jeweils richtig gebildet wor-<br />
den sind.<br />
Klausuren/Hausarbeiten, Technik und Tipps 1<br />
von cand. <strong>iur</strong>. Vivien Eckhoff (Universität Bremen)<br />
1 <strong>Die</strong>ser Beitrag ist meiner Hausarbeit bei Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano,<br />
Universität Bremen, mit dem Titel „Justizsyllogismus und Subsumtion“<br />
entsprungen. Danken möchte ich Herrn Rechtsreferendar Alexander Otto,<br />
ebenfalls Universität Bremen, der aus seinen Tätigkeiten als Korrekturassistent<br />
und Wissenschaftlicher Mitarbeiter einige Hinweise geben konnte.<br />
2 Schwintowski, Juristische Methodenlehre, S. 61.<br />
3 Dubischar, Grundbegriffe des Rechts, S. 15, §4.<br />
4 Joerden, Logik im Recht, S. 311.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
Ausbildung<br />
Der aus dem juristischen Syllogismus abgeleitete Gutachtenstil (auch: 4-Schritt-<br />
Methode) besteht, wie der Name es bereits sagt, aus vier Schritten, die immer<br />
„gegangen“ werden müssen.<br />
I. OBERSATZ<br />
II. DEFINITION<br />
III. SUBSUMTION<br />
IV. KONKLUSION/ERGEBNIS<br />
I. OBERSATZ:<br />
Der Obersatz bildet gemeinsam mit der Konklusion den Rahmen eines jeden<br />
Gutachtens und eines jeden Prüfungspunktes.<br />
Der Obersatz wirft eine Frage auf, die dann mittels der anderen Schritte (2 + 3)<br />
geklärt und im Rahmen der Konklusion beantwortet wird. <strong>Die</strong> Fragestellung<br />
wird nicht direkt getätigt, sondern in der Form des Konjunktivs.<br />
Der Obersatz wird nicht nur <strong>für</strong> das gesamte Gutachten geschrieben, sondern<br />
<strong>für</strong> jeden einzelnen Prüfungspunkt.<br />
Bsp.: A könnte sich gemäß § 240 StGB wegen Nötigung strafbar gemacht haben,<br />
indem er an einer Sitzblockade auf einer Bundesstraße teilgenommen hat und so<br />
den Autofahrern die Weiterfahrt verwehrte.<br />
→ So könnte der Obersatz <strong>für</strong> ein Gutachten lauten, indem geprüft werden<br />
soll, ob sich der A wegen (nicht: einer!) Nötigung strafbar gemacht hat.<br />
Bei der Begutachtung eines strafrechtlich relevanten Sachverhalts ist es immer<br />
erforderlich, die <strong>für</strong> die Strafbarkeit relevante Tathandlung im Obersatz<br />
kurz darzustellen (…, indem…). <strong>Die</strong> „indem“-Formulierung ist eine gängige<br />
Formulierung, die es ermöglicht, kurz und prägnant das wichtigste in einem<br />
Satz unterzubringen.<br />
Bsp.: Fraglich ist, ob der B den C an der Gesundheit geschädigt hat.<br />
→ So würde ein Obersatz <strong>für</strong> einen einzelnen Prüfungspunkt aussehen. Hier<br />
würde man prüfen, ob das objektive Tatbestandsmerkmal der Gesundheits-<br />
schädigung aus § 223 I StGB vorliegt.<br />
Man sollte allerdings nicht jedes Mal denselben Satzanfang wählen. Das ist<br />
zu monoton und liest sich schlecht. Wer immer „Fraglich ist, …“ schreibt,<br />
hat unter Umständen Punktabzug wegen erheblicher stilistischer Mängel zu<br />
be<strong>für</strong>chten. Besser ist es zu variieren:<br />
• Weiter ist zu prüfen, ob…<br />
• Zu prüfen ist…<br />
• B müsste des Weiteren den C auch…<br />
• Eine weitere Voraussetzung ist, dass…<br />
<strong>Die</strong>s sind nur einige wenige Beispiele <strong>für</strong> verschiedene Formulierungsmög-<br />
lichkeiten. Es gilt immer die aufzuwerfende Frage im Konjunktiv zu stellen,<br />
jedenfalls nicht in direkter Form. Ein Obersatz endet also niemals mit einem<br />
Fragezeichen. Einleitungen wie „Fraglich ist, ob…“ sollten auch nur dann<br />
zur Anwendung kommen, wenn der im Folgenden zu prüfende Kontext um-<br />
stritten ist, es Abgrenzungsschwierigkeiten gibt oder berechtigte Zweifel am<br />
Vorliegen der zu prüfenden Voraussetzung bestehen, deren Vorliegen also<br />
tatsächlich „fraglich“ ist.<br />
137
138<br />
Ausbildung<br />
II. DEFINITION:<br />
Mittels Auslegung des Gesetzestextes wird dieser konkretisiert und genauer<br />
umschrieben. Es wird abstrakt vom Sachverhalt, lediglich mit Rückgriff auf<br />
den Gesetzestext, ermittelt, welchen Inhalts beispielsweise ein bestimmtes Tat-<br />
bestandsmerkmal ist. <strong>Die</strong>se Definitionen findet man in allen gängigen Kom-<br />
mentaren, in der Rechtsprechung oder in Lehrbüchern. Für die Klausur ist es<br />
von Vorteil die gängigsten Definitionen auswendig zu beherrschen, das spart<br />
Zeit und Nerven!<br />
Bsp.: Eine Gesundheitsschädigung ist das Hervorrufen oder Steigern eines wenn<br />
auch vorübergehenden pathologischen Zustands. 5<br />
→So würde die Definition <strong>für</strong> das Tatbestandsmerkmal der Gesundheitsschä-<br />
digung aus § 223 I StGB aussehen.<br />
Es gibt auch noch einen weiteren „Typ“ von Definitionen, die sog. Legal-<br />
definitionen. Das sind Definitionen, die direkt im Gesetz zu finden sind.<br />
Teilweise sind sie daran zu erkennen, dass das Definierte in Klammern<br />
genannt wird.<br />
Bsp.: Unfallbeteiligter (§ 142 V StGB), Amtsträger (§ 11 I Nr. 2. StGB), Verbrau-<br />
cher (§ 13 BGB), Unternehmer (§14 BGB), Anspruch (§ 194 BGB), Polizei<br />
(§ 2 Nr.1 BremPolG).<br />
→ Das sind nur einige wenige Beispiele von Legaldefinitionen. <strong>Die</strong>se kann<br />
und sollte man in seiner Bearbeitung verwenden und dabei auch den entspre-<br />
chenden §§ benennen.<br />
In Hausarbeiten ist es erforderlich, Definitionen aus Rechtsprechung und<br />
Literatur zu belegen. Häufig lassen sich die Fundstellen <strong>für</strong> Definitionen in<br />
Kommentaren und Aufsätzen zu dem jeweiligen Thema finden.<br />
III. SUBSUMTION<br />
Als Subsumtion wird das unter eine Norm Einordnen eines Sachverhaltes ver-<br />
stan-den, welches auch als rechtliche Würdigung eines Umstandes beschrie-<br />
ben werden kann. Hinzu kommt die Vorstellung, dass der Sachverhalt die<br />
Merkmale des Gesetzes aufweist. 6 Es wird folglich mit Hilfe von Subsumtion<br />
eine Rechtsfolge <strong>für</strong> den konkreten Fall aus Rechtsnormen (auch aus Schrift-<br />
tum und Gewohnheitsrecht) hergeleitet. 7<br />
<strong>Die</strong> Subsumtion ist der wichtigste Teil einer jeden Klausur und Hausarbeit.<br />
An dieser Stelle kann man die meisten Punkte sammeln, muss demzufolge<br />
aber genau und schlüssig argumentieren. Im Rahmen der Subsumtion wird<br />
der konkrete Sachverhalt unter die abstrakte Definition subsumiert. Man<br />
prüft also, ob die konkreten Abläufe, Zustände und Handlungen mit der<br />
Definition vergleichbar sind. Man argumentiert zum Beispiel, warum eine<br />
bestimmte Handlung gerade die Anforderungen der Defini-tion erfüllt oder<br />
gerade nicht erfüllt.<br />
Bsp.: (Sachverhalt in Kurzform: Nach dem Besuch in seiner Stammkneipe will<br />
A mit seinem Fahrrad nach Hause fahren. Er glaubt, dass er trotz Genusses ei-<br />
niger Weißbiere noch in der Lage ist, sicher nach Hause zu kommen. Er wird<br />
auf dem Weg wegen eines defekten Rücklichts von der Polizei angehalten.)<br />
Fraglich ist, ob A ein Fahrzeug geführt hat (Obersatz). Ein Fahrzeug wird ge-<br />
führt, wenn der Fahrer das Fahrzeug selbst oder zusammen mit einem Anderen<br />
in Bewegung setzt oder in Bewegung hält von § 315c StGB werden nicht nur<br />
5 Tröndle/Fischer, StGB Kommentar, § 223, Rn. 6.<br />
6 Dubischar, Grundbegriffe des Rechts, S. 15, § 4.<br />
7 Rothfuß, Logik und Wertung bei der Subsumtion, S. 1.<br />
Kraftfahrzeuge gemäß § 1 II StVG, sondern auch andere Fahrzeuge ohne Motor-<br />
kraft erfasst (Definition).<br />
„A will nach dem Kneipenbesuch nach Hause fahren und benutzt dazu sein<br />
Fahrrad. Kennzeichnend <strong>für</strong> ein Fahrrad ist gerade, dass es vom Fahrer selbst,<br />
durch Treten der Pedale in Bewegung gebracht und gehalten wird. Deshalb<br />
fällt das Fahrrad trotz mangelnder Motorkraft unter den Fahrzeugbegriff des<br />
§ 315c StGB.“<br />
→ Der in Anführungsstriche gestellte Teil ist eine Subsumtion.<br />
Der Umfang einer Subsumtion ist unterschiedlich. Decken Definition und<br />
Sachverhalt sich eindeutig, unmissverständlich und ohne erkennbare Pro-<br />
bleme, sollte die Subsumtion eher kurz ausfallen. Und nicht unnötig proble-<br />
matisiert werden.<br />
Sind Sachverhalt und Definition im Verhältnis zueinander aber eher proble-<br />
matisch, so muss das Problem mit der Subsumtion in gegebenem Umfang<br />
gelöst werden. Das erfordert häufig eine Darstellung von Meinungsstreiten.<br />
Wenn ein Problem dies erfordert, muss eine kurze Darstellung des Meinungs-<br />
standes auch in einer Klausur erfolgen. In Hausarbeiten ist die Aufarbeitung<br />
von Meinungsstreiten die Kernarbeit.<br />
Herrschen zu einem zivilrechtlichen oder sonstigen juristischen Problem ver-<br />
schiedene Meinungen, so sind sie in einer Hausarbeit gegenüberzustellen.<br />
Man stellt zunächst die Auffassung dar, subsumiert den Sachverhalt unter<br />
die entsprechende Meinung und kommt dann zu einem Zwischenergebnis.<br />
<strong>Die</strong>sen Vorgang wiederholt man dann <strong>für</strong> alle darzustellenden Meinungen.<br />
Kommen alle Auffassungen zum gleichen Ergebnis, so ist eine Stellungnahme<br />
nicht erforderlich und sollte nicht erfolgen. Bei verschiedenartigen Ergebnis-<br />
sen muss man alle Argumente <strong>für</strong> und gegen die jeweiligen Meinungen dar-<br />
stellen und dann in der Stellungnahme den Streit entscheiden.<br />
Meinungsstreite können auch in einer komprimierten Form dargestellt<br />
werden (also erst Vorstellung aller verschiedenen Meinungen und dann eine<br />
zusammenfassende Subsumtion), diesen Weg sollte aber nur der geübte Bear-<br />
beiter wählen, da dies schnell zu Ungenauigkeiten, Unverständlichkeiten und<br />
Unübersichtlichkeit führen kann.<br />
Meinungsstreite sind allgemein nur darzustellen, wenn sie <strong>für</strong> den zu bearbei-<br />
tenden Fall von besonderer Bedeutung sind.<br />
In einer Hausarbeit bedient man sich dabei Literatur und Rechtsprechung.<br />
Bsp.: Fraglich ist, ob eine erste Hilfe auch erforderlich ist, wenn der Hilfsbedürf-<br />
tige trotz dieser, versterben würde. In diesem Fall ist sich die Literatur unein.<br />
Zum einen wird vertreten, dass „die Hilfeleistung dann nicht mehr erforderlich<br />
ist, wenn jede Hilfe aussichtslos ist, insbesondere beim sofortigen Tod des<br />
Verunglückten“ 8 .<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
Schließt man sich dem an, ist die Hilfe <strong>für</strong> O nie erforderlich gewesen. A hätte<br />
also keinerlei Hilfeleistungsversuche anstrengen müssen und wäre auch nicht<br />
wegen unterlassener Hilfeleistung gemäß § 323 c strafbar.<br />
Andererseits vertritt ein anderer Teil der Literatur, dass „die Erforderlichkeit der<br />
Hilfe dort zu bejahen ist, wo erst aus der Rückschau klar zu erkennen ist, dass<br />
der Verunglückte auch bei sofortiger ärztlicher Hilfe keine Überlebenschance<br />
hätte, die in Betracht kommende Hilfeleistung also vergeblich gewesen wäre“ 9 .<br />
Im vorliegenden Fall konnte man zum Unfallzeitpunkt lediglich erkennen,<br />
dass O u.a. erhebliche Kopfverletzungen erlitten hat. Eindeutige Todeszei-<br />
chen sind keineswegs erkennbar gewesen. Erst später wird lt. Sachverhalt fest-<br />
8 Küpper, Strafrecht BT 1, § 5, Rn. 80.<br />
9 Wessels/Hettinger, Strafrecht BT 1, § 23, Rn. 1046.<br />
gestellt, dass O nicht mehr zur Besinnung gekommen ist und auch mit<br />
umgehender notärztlicher Hilfe nicht mehr hätte am Leben erhalten werden<br />
können. Folgt man also der letzteren Auffassung wäre die Hilfe erforderlich<br />
gewesen.<br />
<strong>Die</strong>se Auffassung kommt der h.M. sehr nahe. Denn auch aus Sicht eines „ver-<br />
ständigen Beobachters“ 10 darf man zum Unfallzeitpunkt kein Spezialwissen an-<br />
nehmen, mit dem man schon an der Unfallstelle hätte erkennen können, dass<br />
jede Hilfe zu spät kommt. <strong>Die</strong>se Auffassung wird damit gerade dem u.a. präven-<br />
tiven Schutzcharakter einer Strafnorm gerecht. Denn geht man davon aus, dass<br />
die im Nachhinein, am Ort nicht erkennbare, nicht bestehende Möglichkeit der<br />
Hilfeleistung strafbefreiend wirkt, verleitet dies unter Umständen zu einem ge-<br />
ringeren Grad der Hilfsbereitschaft. Zudem würde dies dem besonderen Un-<br />
rechtscharakter dieser Tat nicht gerecht werden, wenn es straflos bleibt, dass ein<br />
Täter eine hilflose Person in dem Bewusstein ihr könnte vielleicht doch geholfen<br />
werden auf sich gestellt liegen lässt.<br />
Im Ergebnis ist also der letzteren Auffassung zu folgen und im vorliegenden Fall<br />
die Erforderlichkeit der Hilfe zu bejahen.<br />
→ <strong>Die</strong>ser Weg ist der, wie oben beschrieben, „sicherste“ Weg einen Meinungs-<br />
streit darzustellen.<br />
Beispiel <strong>für</strong> den komprimierten Weg:<br />
(Fall: Brandstiftung an einer Kneipe, an der im oberen Stockwerk eine Woh-<br />
nung an-geschlossen ist) „Ob diese Handlung <strong>für</strong> ein Inbrandsetzen einer Woh-<br />
nung reicht, ist umstritten. Es handelt sich hier um ein gemischt genutztes<br />
Gebäude, wobei nur der gewerblich genutzte Bereich als Start des Feuers dienen<br />
sollte. Gemäß der herrschenden Meinung reicht es <strong>für</strong> das Inbrandsetzen aus,<br />
wenn sich das Feuer auf die den Wohnzwecken dienenden Bereiche ausbreiten<br />
kann. Laut einer anderen Ansicht ist ein Inbrandsetzen erst dann verwirklicht,<br />
wenn sich die abstrakte Gefahr des Brandes derart zugespitzt hat, dass die<br />
Rechtsgutsverletzung unmittelbar bevorsteht. Für die zweite Ansicht spricht,<br />
dass es sich hier um einen Verbrechenstatbestand handelt, der zum Schutz des<br />
Beschuldigten restriktiv ausgelegt werden sollte; dieses Argument kann jedoch<br />
vorliegend nicht überzeugen. Der § 306 a ist als Gefährdungsdelikt dem Schutze<br />
der Allgemeinheit verpflichtet, sodass von einem Inbrandsetzen schon ausgegan-<br />
gen werden kann, wenn das Feuer nur auf den Wohnungsteil übertreten kann.<br />
Zudem wollte A nicht nur die gewerblichen Gebäudeteile, sondern auch die<br />
Wohnung in der S wohnt, niederbrennen und wusste auch, dass sich die Woh-<br />
nung dort befindet. Der ersten und herrschenden Ansicht ist somit zu folgen.“<br />
→ In diesen Beispielen führen die Meinungen zu verschiedenen Ansichten.<br />
Deshalb musste der Meinungsstreit entschieden werden.<br />
IV. ERGEBNIS/KONKLUSION<br />
An dieser Stelle beantwortet man kurz und prägnant die im Obersatz aufge-<br />
worfene Frage.<br />
Bsp.: A hat sich wegen Nötigung gemäß § 240 StGB strafbar gemacht, indem er<br />
an einer Sitzblockade auf einer Bundesstraße teilnahm und den Autofahrern die<br />
Weiterfahrt verwehrte.<br />
→ So könnte das Ergebnis/die Konklusion <strong>für</strong> ein Gutachten lauten, indem<br />
geprüft wurde, ob sich der B wegen (nicht: einer) Nötigung strafbar gemacht hat.<br />
Bsp.: Folglich hat B den C an der Gesundheit geschädigt.<br />
10 BGHSt 17, 166, 169.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
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→ So würde ein Ergebnis <strong>für</strong> einen einzelnen Prüfungspunkt aussehen. Hier-<br />
hätte man geprüft, ob das objektive Tatbestandsmerkmal der Gesundheits-<br />
schädigung aus § 223 I StGB vorliegt.<br />
<strong>Die</strong>se 4 Schritte werden sowohl auf das gesamte Gutachten, als auch auf jedes<br />
zu prüfende Detail angewandt.<br />
Hier noch ein kleines Beispiel <strong>für</strong> einen zivilrechtlichen Fall:<br />
Obersatz: Für einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung müsste<br />
der Schuldner die Pflichtverletzung auch zu vertreten haben.<br />
Definition: Der Schuldner hat gemäß § 276 I BGB grundsätzlich Vorsatz und<br />
Fahrlässigkeit zu vertreten. Vorsatz ist das Wissen und Wollen des<br />
rechtswidrigen Erfolges. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr<br />
erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.<br />
Subsumtion: A wusste vorliegend weder von der Reparatur, noch von einem<br />
Mangel. Er hat nichts zu der Unmöglichkeit (Pflichtverletzung)<br />
beigetragen.<br />
Ergebnis: Er hat diese somit auch nicht zu vertreten.<br />
C. PRÜFUNGSREIHENFOLGE:<br />
Neben dem Gutachtenstil und der Reihenfolge der vier Schritte, muss auch<br />
eine Prüfungsreihenfolge eingehalten werden. Hierbei ist insbesondere im<br />
Strafrecht und im Zivilrecht zu unterscheiden.<br />
Im Strafrecht kann man verschiedentlich verfahren. Entweder man prüft<br />
nach der Schwere der Taten, nach dem Verhältnis in dem die Taten zueinan-<br />
der stehen oder man bildet chronologisch Handlungskomplexe und prüft in<br />
diesen Komplexen in der o.g. Reihenfolge. Was die <strong>für</strong> den Fall „beste“ Vari-<br />
ante ist, hängt vom Fall ab und kann (leider) nicht pauschalisiert werden.<br />
Im Zivilrecht hingegen gibt es da starre Vorgaben. Es gilt: Vertragliche An-<br />
sprüche sind immer vor gesetzlichen Ansprüchen zu prüfen. Insgesamt gilt<br />
folgende Prüfungsreihenfolge:<br />
I. Vertragliche Ansprüche<br />
1. Primäransprüche<br />
2. Sekundäransprüche<br />
II. Quasivertragliche Ansprüche (z.B. § 280 I i.V.m. § 311 II BGB)<br />
III. Allgemeine gesetzliche Ansprüche (z.B. § 426 I BGB)<br />
V. Dingliche Ansprüche ( § 985 BGB)<br />
V. Deliktische Ansprüche (§§ 823 ff. BGB)<br />
VI. Bereicherungsrechtliche Ansprüche (§§ 812 ff. BGB)<br />
VII. Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB)<br />
<strong>Die</strong>se Reihenfolge ist sowohl in Klausuren, als auch in Hausarbeiten strikt<br />
einzuhalten. Hinsichtlich einzelner Punkte (insbesondere GoA und Bereiche-<br />
rungsrecht) herrscht die Prüfungsreihenfolge betreffend Uneinigkeit. Hier<br />
sollte man, soweit bekannt, auf die von dem jeweiligen Dozenten vertretene<br />
Auffassung oder einschlägige Literatur zurückgreifen.<br />
D. FORMALIEN EINER HAUSARBEIT:<br />
Eine Hausarbeit muss neben der eigentlichen Fallbearbeitung noch einige<br />
weitere Dinge enthalten, die wiederum in einer bestimmten Reihenfolge an-<br />
geordnet sein müssen.<br />
Ausbildung<br />
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140<br />
Ausbildung<br />
<strong>Die</strong> Hausarbeit besteht aus folgenden Elementen, die auch in folgender Rei-<br />
henfolge in der Hausarbeit enthalten sein müssen:<br />
1. Deckblatt (ohne Seitenzahl).<br />
2. Sachverhalt (römische Seitenzahlen, beginnend mit II.).<br />
3. Inhaltsverzeichnis/Gliederung (fortlaufende römische Seitenzahlen<br />
im Anschluss an den Sachverhalt).<br />
4. Literaturverzeichnis (Seitenzahlen wie beim Inhaltsverzeichnis).<br />
5. Lösung bzw. Fallbearbeitung (arabische Seitenzahlen).<br />
6. Versicherung der eigenständigen Anfertigung und das<br />
ausschließliche Verwendung der .angegebenen Quellen.<br />
7. Unterschrift .<br />
Soweit im Sachverhalt der Hausarbeit zu den Formalien nichts anderes<br />
angegeben ist, gilt:<br />
• Zeilenabstand: 1 1⁄2.<br />
• 1/3 Korrekturrand – also 7 cm (grundsätzlich rechts,<br />
kann aber je nach Dozent variieren).<br />
• Schrift größe: 12 Pt, bei Standardschrift arten → Arial, Times New Roman.<br />
• Fußnoten: 10 Pt, Schrift art wie im Gutachten selbst.<br />
E. GLIEDERUNG:<br />
Sowohl Klausuren, als auch Hausarbeiten sollten gegliedert werden. Klausu-<br />
ren sollten beispielsweise nach Anspruchsgrundlagen gegliedert werden. Es<br />
ist aber nicht erforderlich, dass sie so feingliederig ist wie in einer Hausarbeit.<br />
Es gibt zwei verschiedene „Gliederungssysteme“. <strong>Die</strong>s sind die Dezimalgliede-<br />
rung und die alphanumerische Gliederung. Grundsätzlich gilt: „Wer ‘a‘ sagt,<br />
muss auch ‘b‘ sagen“!<br />
1. Dezimalgliederung 2. Alphanumerische Gliederung<br />
1.<br />
2.<br />
2.1<br />
2.2<br />
3.<br />
3.1<br />
3.2<br />
3.2.1<br />
3.2.2<br />
3.3 usw.<br />
Standard<br />
in jur.<br />
Bearbeitungen<br />
A.<br />
I.<br />
II.<br />
1.<br />
2.<br />
a.<br />
b.<br />
a.<br />
b.<br />
B. usw<br />
aa.<br />
bb.<br />
cc.<br />
aaa.<br />
bbb.<br />
F. FORMALIEN EINER KLAUSUR:<br />
Eine Klausur muss mit einem Deckblatt versehen werden. Das Deckblatt<br />
muss folgende Daten enthalten:<br />
1. Name (ggf. Anschrift )<br />
2. Matrikelnummer<br />
3. Anzahl Fachsemester<br />
4. Datum der Klausur<br />
5. Titel der Veranstaltung<br />
6. Dozent<br />
7. Veranstaltungskennziff er oder -nummer<br />
<strong>Die</strong>ses Deckblatt muss als erstes Blatt der Klausur mitabgegeben werden oder<br />
als erste Seite angeheft et werden.<br />
Für die Gliederung gilt das oben bereits erwähnte Procedere.<br />
Innerhalb der Ausarbeitung sollten Zwischenergebnisse gemacht werden.<br />
<strong>Die</strong>s steigert die Übersichtlichkeit und ist somit ein wichtiger Bestandteil<br />
einer jeden Klausur. Jede Klausur endet mit einem Endergebnis, in dem prak-<br />
tisch die Zwischenergebnisse noch einmal zusammengefasst werden.<br />
Zudem muss immer ein Korrekturrand gelassen werden. In der Regel geht<br />
man von 1/3 der Seite aus und lässt diesen Rand auf der rechten Seite.<br />
Besondere Wünsche und Angaben des jeweiligen Dozenten sollten natürlich<br />
beachtet werden.<br />
G. HÄUFIGE FEHLER:<br />
Da Gutachtenstil und Argumentationstechnik ein wichtiges Handwerkszeug<br />
<strong>für</strong> Juristen sind, sollte bereits zu Beginn des Studiums versucht werden, bei<br />
der Anwendung dieser bisweilen nicht gerade sehr beliebten Methoden Sorg-<br />
falt walten zu lassen. Möglichst früh sollten typische Fehler behoben werden.<br />
I. OBERSATZ<br />
Obersätze werden häufi g zu oberfl ächlich formuliert und wichtige Bestand-<br />
teile ausgelassen. Da der Obersatz aber die zu prüfende Fragestellung aufwirft ,<br />
beschränkt und umschreibt, ist hier besondere Präzision erforderlich. Soweit<br />
es sich um den Obersatz <strong>für</strong> ein gesamtes Gutachten handelt sind alle wesent-<br />
lichen Bestandteile zu nennen. Im Zivilrecht beispielsweise sind dies die sog.<br />
W‘s (Wer will was von wem warum woraus). Häufi g werden Obersätze dies-<br />
bezüglich nicht genau genug formuliert. Angesichts der Umgrenzungsfunk-<br />
tion von Obersätzen sollte sich der Bearbeiter deshalb sorgsam überlegen,<br />
welche Fragestellung er beantworten möchte.<br />
Hinzu kommt, dass häufi g zu viele Prüfungspunkte in einen Obersatz inte-<br />
griert werden. So werden zum Beispiel gelegentlich von Klausurbearbeitern<br />
alle objektiven Tatbestandsmerkmale einer Körperverletzung gemäß § 223 I<br />
StGB in einen Obersatz gequetscht und im weiteren Verlauf auf Obersätze<br />
verzichtet. Das ist falsch. Jeder Prüfungspunkt muss mit einem eigenen Ober-<br />
satz eingeleitet werden. Das vermeidet Verwirrungen und trägt zur Übersicht-<br />
lichkeit eines Gutachtens bei.<br />
II. DEFINITION<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
Bei der Defi nition muss strikt darauf geachtet werden, dass es nicht zu einer<br />
Vermischung mit der Subsumtion kommt. Häufi g gelingt es Prüfl ingen nicht,<br />
diese beiden Schritte voneinander zu trennen.<br />
III. SUBSUMTION<br />
<strong>Die</strong> Liste möglicher Fehlerquellen im Rahmen einer Subsumtion ist lang. Hier<br />
soll nur auf die häufi gsten Fehler im Überblick eingegangen werden.<br />
1. ARBEIT MIT DEM SACHVERHALT<br />
Häufi g geht der Blick auf den Sachverhalt verloren. In den meisten Fällen ist<br />
es so, dass die Sachverhalte ausreichend Argumentationsmaterial liefern. Da-<br />
bei darf aber nicht der Fehler gemacht werden, dass der Sachverhalt lediglich<br />
wiedergegeben und nicht mit der Defi nition in Beziehung gesetzt wird. Es ist<br />
ja gerade die Aufgabe des Prüfl ings, den Sachverhalt unter die Defi nition zu<br />
subsumieren.<br />
Gelegentlich stehen die Bearbeiter einer Klausur oder Hausarbeit aber auch<br />
vor dem Problem, dass sie den Eindruck haben, der Sachverhalt liefere keine<br />
klaren Antwor-ten auf ihre Fragen und lasse wesentliche Aspekte aus. Um-<br />
stritten ist, wie damit umzugehen ist. Auf der einen Seite wird vertreten, dass<br />
der Sachverhalt in den Grenzen der sog. lebensnahen Auslegung interpretiert<br />
werden darf. <strong>Die</strong>s ist ein sehr schmaler Grad, bei dessen Beschreitung Vor-<br />
sicht geboten ist. Andererseits wird jegliche Sachverhaltsauslegung <strong>für</strong> unzu-<br />
lässig erachtet. Wichtig ist nur: Sollten Bearbeiter das Bedürfnis haben, einen<br />
Sachverhalt auszulegen, sollten Sie dabei sehr vorsichtig sein und mit derarti-<br />
gen Interpretationen sparsam sein. So ist die Auslegung, die an einer nord-<br />
deutschen Universität mal von einem Studierenden vorgenommen worden<br />
ist, dass alleinerziehende Mütter generell dazu neigen ein Problem mit Alko-<br />
holmissbrauch zu haben, fernab jeglicher lebensnaher Interpretation. Im<br />
Grundsatz gilt: „Der Sachverhalt ist heilig!“<br />
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2. UMGANG MIT MEINUNGSSTREITEN<br />
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via Internet, Telefon oder auch persönlich vor Ort sowie der Pflege unsers Kundenverwaltungssystems.<br />
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Ausbildung<br />
Auch der Umgang mit Meinungsstreiten enthält einige Fehlerquellen. Insbe-<br />
sondere die Darstellung von Meinungsstreiten überfordert einige Bearbeiter<br />
gelegentlich. Wichtig ist, dass jeder Meinungsstreit klar strukturiert darge-<br />
stellt und vermieden wird, verschiedene Meinungen wild durcheinander zu<br />
werfen. Ist ein Streitenscheid erforderlich, gelingt es vielen Bearbeitern bei der<br />
eignen Stellungnahme nicht, sich von den Argumenten anderer ausreichend<br />
zu distanzieren. Eine Stellungnahme darf nicht aus einer Zusammenfassung<br />
der gerade dargestellten Auff assungen bestehen.<br />
IV. ERGEBNIS/KONKLUSION<br />
Gelegentlich wird aus dem Blick verloren, welche Frage im Obersatz aufgewor-<br />
fen worden ist. Nur diese und nichts anderes sollte im Ergebnis beantwortet<br />
werden. <strong>Die</strong> Konklusion muss sich also eng an der Fragestellung im Obersatz<br />
orientieren.<br />
Unabhängig von diesen Fehlern im Bereich der 4-Schritt-Methode fällt auf,<br />
dass häufi g Schwerpunkte falsch gesetzt werden. In Klausuren und Hausar-<br />
beiten sollte die meiste Energie in problematische Punkte investiert werden.<br />
Unproblematisches kann kurz und prägnant abgehandelt werden.<br />
Viel zu häufi g wird den Fallfragen nicht gebührend Beachtung geschenkt. Ins-<br />
gesamt sollte ein Gutachten auf die Fallfrage fokussiert werden. In Kombina-<br />
tion mit den erkannten Problemen gibt diese den Weg <strong>für</strong> eine erfolgreiche<br />
und ausgewogene Prüfung vor und eröff net den Blick auf sich ggf. stellende<br />
Anschlussprobleme.<br />
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142<br />
Ausbildung<br />
V. STELLUNGNAHME<br />
1. DIE PRAKTISCHEN ERGEBNISSE DER VERSCHIEDENEN<br />
AUFFASSUNGEN<br />
<strong>Die</strong> bisherige Darstellung hat drei verschiedene Strömungen in der Diskus-<br />
sion zutage gefördert, von denen die dritte freilich nur eine Fortentwicklung<br />
der zweiten ist. Bevor in eine kritische Würdigung eingetreten werden kann,<br />
seien die praktischen Konsequenzen zur Klarstellung nochmals knapp zu-<br />
sammengefaßt:<br />
<strong>Die</strong> Ansicht, die aus § 118 I BGB die Notwendigkeit eines Erklärungsbewußt-<br />
seins schließen will, muß dabei zunächst in ihren Aussagen präzisiert werden.<br />
<strong>Die</strong> zum Ausgangspunkt der Argumentation deklarierte Scherzerklärung ist<br />
ungeachtet des Umstands, daß ihrem Urheber der Wille zu einer rechtserheb-<br />
lichen Erklärung fehlt, eine Willenserklärung. § 118 I BGB stellt nicht den<br />
Tatbestand der Willenserklärung in Frage, sondern setzt deren Existenz vor-<br />
aus und erklärt sie <strong>für</strong> nichtig. Da die Folgen einer Erklärung, die ohne Erklä-<br />
rungsbewußtsein abgegeben wurde, mit den Folgen der Scherzerklärung<br />
harmonisiert werden sollen, bietet es sich an, die hier wiedergegebene An-<br />
sicht im gleichen Sinne zu akzentuieren: Wenn das Erklärungsbewußtsein<br />
fehlt, mangelt es nicht schon an einer Willenserklärung an sich. <strong>Die</strong>se liegt<br />
vielmehr vor und ist entsprechend § 118 I BGB nichtig. Wir halten also fest:<br />
Nach der auf § 118 I BGB gestützten Auffassung liegt bei fehlendem Erklä-<br />
rungsbewußtsein immer eine Willenserklärung vor; diese ist aber immer<br />
nichtig. Mit dieser Deutung wird jene Auffassung im folgenden der weiteren<br />
Diskussion zugrunde gelegt.<br />
Nach Ansicht des BGH liegt eine Willenserklärung auch bei fehlendem Erklä-<br />
rungsbewußtsein vor, wenn dem Erklärenden bei Anwendung der erforder-<br />
lichen Sorgfalt klar sein mußte, daß seinem Verhalten von verständigen<br />
Dritten die Bedeutung einer rechtlich erheblichen Erklärung beigemessen<br />
wird. <strong>Die</strong>s führt zu einem zweigeteilten Ergebnis: Entweder es liegt gar keine<br />
Willenserklärung vor (wenn es nämlich an einer solchen „Erklärungsfahrläs-<br />
sigkeit“ fehlt) oder eine anfechtbare (wenn nämlich jene Erklärungsfahrlässig-<br />
keit gegeben ist): Im letzteren Fall ist die Erklärung von einem Inhaltsirrtum<br />
beeinflußt.<br />
Willenserklärung ohne Erklärungsbewußtsein?<br />
- Teil II -<br />
Prof. Dr. Martin Schwab (Freie Universität, Berlin)<br />
Prof. Dr. Schwab, Jahrgang 1967, <strong>stud</strong>ierte in Regensburg<br />
und Heidelberg Rechtswissenschaft und legte 1991 sein<br />
1. Examen ab. Es folgte das Referendariat am Landgericht<br />
Heidelberg, das er 1994 mit dem 2. Examen abschloss.<br />
Er promovierte 1997, 2002 habilitierte er. Seit Oktober 2003<br />
ist er Professor <strong>für</strong> Bürgerliches Recht, Verfahrens- und<br />
Insolvenzrecht an der Freien Universität Berlin.<br />
<strong>Die</strong> Ansicht, die generell das Willenselement der Willenserklärung durch Zu-<br />
rechnungskriterien ersetzen will, gelangt zu den gleichen praktischen Konse-<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
TEIL I DIESES AUFSATZES LESEN SIE IN<br />
AUSGABE 2/2009 VON IURRATIO AB SEITE 86.<br />
quenzen wie der BGH: Entweder die Erklärung ist ihrem Urheber zurechenbar;<br />
dann liegt eine Willenserklärung vor, die mangels Erklärungsbewußtseins<br />
abermals wegen Irrtums anfechtbar ist. Oder sie ist ihrem Urheber nicht zu-<br />
rechenbar; dann liegt überhaupt keine Willenserklärung vor.<br />
2. KRITISCHE WÜRDIGUNG<br />
Das aus § 118 I BGB gespeiste Argument ist von erheblichem Gewicht; es<br />
wirkt in seiner Stringenz geradezu unwiderlegbar: Wer ein Verhalten an den<br />
Tag legt, von dem er weiß, daß es als rechtlich bindende Erklärung ausgelegt<br />
werden kann, von dem er aber erwartet, daß dies nicht geschieht, gibt eine<br />
nichtige Willenserklärung ab. Er ist bereits kraft Gesetzes nicht gebunden –<br />
obwohl die Erklärung ihm in besonderem Maße zurechenbar ist: Der Erklä-<br />
rende hat hier gewissermaßen „mit dem Feuer gespielt“. Warum soll dann ein<br />
Verhalten, das ihrem Urheber in wesentlich geringerem Maße zurechenbar ist<br />
(weil dieser nämlich nur fahrlässig die Bedeutung als rechtlich bindende Er-<br />
klärung verkannt hat) zu einer – wenn auch anfechtbaren – rechtlich binden-<br />
den Erklärung führen können? Der Versuch, diesen Unterschied damit zu<br />
erklären, daß der unbewußt Handelnde noch die Chance erhalten soll, zu re-<br />
flektieren, ob er das solchermaßen Erklärte vielleicht doch gegen sich gelten<br />
lassen will, überzeugt jedenfalls dann nicht, wenn man mit dem BGH eine<br />
Willenserklärung nur bei „Erklärungsfahrlässigkeit“ annehmen will; denn –<br />
das ist zutreffend eingewandt worden (vgl. oben unter 3. b) – die Chance ei-<br />
ner solchen Reflexion müßte man dann auch dem schuldlos Handelnden<br />
zubilligen. 1 Im übrigen erweist sich die unter III. 1. wiedergegebene Ansicht<br />
im Schrifttum auch an dieser Stelle als überlegen: Versteht man sie nämlich<br />
wie hier in dem Sinne, daß die ohne Erklärungsbewußtsein abgegebene Er-<br />
klärung immer als Willenserklärung anzusehen, aber immer analog § 118 I<br />
BGB nichtig ist, steht dem Erklärenden die Möglichkeit offen, diese Erklärung<br />
nach § 141 I BGB zu bestätigen – und zwar ohne daß danach gefragt würde,<br />
ob er die rechtliche Relevanz seines Verhaltens hätte erkennen müssen oder<br />
nicht. Dem Erklärenden steht mithin sowohl nach der Rechtsprechung des<br />
BGH als auch nach der Gegenansicht in der Literatur ein Wahlrecht zu, ob er<br />
die Erklärung gelten lassen will oder nicht. Lediglich die Vorzeichen sind um-<br />
gekehrt: Nach der Rechtsprechung muß der fahrlässig Handelnde die Erklä-<br />
rung durch Anfechtung beseitigen; nach der Literaturmeinung muß der ohne<br />
Erklärungsbewußtsein Handelnde die Erklärung durch Bestätigung über-<br />
haupt erst in Geltung setzen.<br />
1 Brehmer, JuS 1986, 440, 444.<br />
<strong>Die</strong> aus § 118 I BGB gezogenen Folgerungen kann man daher nur dann noch<br />
aus dem Feld schlagen, wenn es gelingt, die Vorschrift als systemfremde Ano-<br />
malie im Recht der Willensmängel zu identifizieren. <strong>Die</strong>ser Versuch ist im<br />
neueren Schrifttum in der Tat unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte<br />
unternommen worden. 2 Und in der Tat leuchtet die in § 118 I BGB normierte<br />
Nichtigkeitsfolge nicht ohne weiteres ein. Denn bei Lichte betrachtet handelt<br />
es sich dort um einen besonderen Fall des Inhaltsirrtums: Der Erklärende<br />
weiß zwar, daß sein Verhalten als Willenserklärung gedeutet werden kann; er<br />
rechnet aber damit, daß sie unter den gegebenen Umständen nicht als Wil-<br />
lenserklärung gedeutet wird. Er irrt daher über den objektiven Erklärungs-<br />
wert seiner Erklärung an sich. <strong>Die</strong> Nichtigkeitsfolge mag man sich damit<br />
erklären, daß der Erklärende sich bereits entschlossen hat, das Erklärte nicht<br />
zu wollen. Gleichwohl ist die Nähe zu den Anfechtungstatbeständen offen-<br />
kundig. Dann sollte man aber in der Tat dabei bleiben, daß abgesehen von<br />
diesem Sonderfall eine irrtümlich abgegebene Willenserklärung nicht nichtig,<br />
sondern bloß anfechtbar ist.<br />
Damit ist freilich die Frage noch nicht beantwortet, ob ohne Erklärungsbe-<br />
wußtsein überhaupt eine Willenserklärung gegeben ist. In diesem Zusam-<br />
menhang ist zunächst auf die Lehre einzugehen, wonach das Erklärungs-<br />
bewußtsein lediglich einen (unselbständigen) Teil des Geschäftswillens dar-<br />
stellt. Wenn das richtig ist, darf man jedenfalls das Vorliegen einer Willenser-<br />
klärung nicht von besonderen Zurechnungselementen, insbesondere nicht<br />
von einem Verschulden des Erklärenden abhängig machen. Das zeigt der fol-<br />
gende Vergleich: Wenn sich jemand bewußt rechtlich binden will und dabei<br />
über den Inhalt der abgegebenen Erklärung irrt, wenn also (nur) der Ge-<br />
schäftswille im herkömmlichem, oben unter II. geschilderten Sinne fehlt, liegt<br />
eine Willenserklärung vor. Von ihr kann sich der Erklärende nur noch durch<br />
Anfechtung nach § 119 I BGB lösen – und zwar selbst dann, wenn der Irrtum<br />
nicht auf seinem Verschulden beruht. 3 <strong>Die</strong> mit Erklärungsbewußtsein abgege-<br />
bene Erklärung ist also immer eine Willenserklärung; auf besondere<br />
Zurechnungselemente kommt es nicht an. 4 Wenn man nun das Erklärungs-<br />
bewußtsein im Geschäftswillen aufgehen lassen will, muß man die ohne die-<br />
ses Bewußtsein abgegebene Erklärung im gleichen Sinne behandeln: Dann ist<br />
sie immer Willenserklärung und dann kann man sich von ihr immer nur<br />
durch Anfechtung nach § 119 I BGB lösen – unabhängig davon, ob die Un-<br />
kenntnis der Tatsache, daß das Handeln als Ausdruck des Willens zur rechtli-<br />
chen Bindung verstanden werden könnte, verschuldet war oder nicht.<br />
In der Tat scheint mir hier der Schlüssel zur richtigen Lösung zu liegen. Ein<br />
Handeln, das aus der verständigen Sicht des Erklärungsgegners als Ausdruck<br />
des Willens zur rechtlichen Bindung verstanden werden darf, ist ohne Rück-<br />
sicht auf ergänzende Zurechnungselemente als Willenserklärung anzusehen.<br />
Denn der Erklärende beherrscht das Risiko von Mißverständnissen grund-<br />
sätzlich besser als der Erklärungsempfänger: Er ist es, der den maßgeblichen<br />
Willen bildet oder zumindest den Handlungsentschluß faßt. Wenn man also<br />
<strong>für</strong> den Tatbestand der Willenserklärung überhaupt ein Zurechnungselement<br />
fordert (dazu sogleich unter IV.), so liegt es immer schon dann vor, wenn der-<br />
jenige, der den äußeren Tatbestand einer Erklärung gesetzt hat, überhaupt<br />
2 Thomale (Fn. 9), § 2 B II 2; in die gleiche Richtung schon Werba<br />
(Fn. 23), S. 63 f.<br />
3 Darauf weist zu Recht Kellmann, JuS 1971, 609, 614 f. hin.<br />
4 So auch Kellmann, JuS 1971, 609, 615 f.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
Ausbildung<br />
willensgetragen gehandelt hat. 5 Wo es ausnahmsweise anders ist, wo also der<br />
Empfänger das Risiko einer Fehlinterpretation besser beherrscht als der Er-<br />
klärende das Risiko, mit seinem Handeln einen falschen Eindruck zu erwe-<br />
cken, drängt sich mit Nachdruck die Frage auf, ob dem fraglichen Handeln<br />
aus dem objektiven Empfängerhorizont tatsächlich noch ein Erklärungswert<br />
zukommt. Dann aber ist auch die These des BGH, wonach ein Handeln<br />
ohne Erklärungsbewußtsein nur im Falle der „Erklärungsfahrlässigkeit“ als<br />
Willenserklärung anzusehen ist, abzulehnen. Wir halten also als Zwischen-<br />
ergebnis fest: (Jedenfalls) Jedes willensgetragene Verhalten, das objektiv als<br />
Ausdruck eines rechtlichen Bindungswillens gedeutet werden kann, ist<br />
Willenserklärung.<br />
D. EXKURS:<br />
WILLENSERKLÄRUNG OHNE HANDLUNGSBEWUSSTSEIN?<br />
<strong>Die</strong> bisherigen Überlegungen haben ergeben, daß eine Willenserklärung<br />
weder eines Geschäftswillens noch eines Erklärungsbewußtseins bedarf.<br />
Wenigstens beim Handlungswillen scheint sich demgegenüber jegliche Dis-<br />
kussion bereits im Ansatz zu verbieten: Ein Verhalten, das nicht wenigstens<br />
von einem „natürlichen“ Willen getragen ist, kann nicht Ausdruck einer<br />
freien Selbstbestimmung des Individuums sein. So wird dann auch die Not-<br />
wendigkeit eines Handlungswillens ganz überwiegend bejaht 6 und mit der<br />
Überlegung begründet, jemand, bei dem dieser Wille fehle, setze keinen<br />
zurechenbaren Tatbestand. 7<br />
<strong>Die</strong>se Auffassung sieht sich indes einem gewichtigen Einwand ausgesetzt:<br />
Nach § 105 II, 1. Alt. BGB ist eine Willenserklärung nichtig, die im Zustand<br />
der Bewußtlosigkeit abgegeben wird. Daraus wird nunmehr geschlossen:<br />
Wenn die Willenserklärung des Bewußtlosen nichtig sei, müsse sie überhaupt<br />
erst einmal tatbestandlich vorliegen. Offenbar gehe also das Gesetz davon aus,<br />
daß der Bewußtlose eine Willenserklärung abgeben könne – und dies,<br />
obwohl ihm nach herkömmlicher Lesart der Handlungswille fehle. Der<br />
Handlungswille könne daher nicht zum subjektiven Tatbestand der<br />
Willenserklärung gehören. 8<br />
<strong>Die</strong>jenigen Autoren, die einen Handlungswillen <strong>für</strong> unerläßlich halten, haben<br />
viele Versuche unternommen, um diesem Einwand zu entrinnen. So hat man<br />
die in § 105 II BGB gewählte Formulierung als sprachliche Ungenauigkeit ab-<br />
getan: Das Gesetz spreche von einer nichtigen, meine aber in Wirklichkeit<br />
eine nicht existente Willenserklärung. 9 <strong>Die</strong>se Deutung paßt indes nicht zu<br />
den übrigen Fällen, in denen das Gesetz eine Willenserklärung <strong>für</strong> nichtig er-<br />
klärt (etwa §§ 117 I, 118, 125, 134, 138, 142 I BGB): Dort ist eindeutig der Tat-<br />
bestand einer Willenserklärung erfüllt, und das Gesetz versagt ihr lediglich<br />
die Anerkennung. Dann mag nicht einleuchten, warum § 105 II BGB trotz in-<br />
soweit identischer Formulierung anders zu verstehen sein soll. Des weiteren<br />
5 Ebenso HKK-Schermaier, BGB, §§ 116-124 Rn. 17.<br />
6 BGH DB 1975, 2075 (keine Willenserklärung bei vis absoluta); Armbrüster<br />
(Fn. 11), Frage 158, S. 73; Bar-tholomeyczik (Fn. 9), S. 51, 59, 61,<br />
67; Bork (Fn. 4), Rn. 589; Brehm (Fn. 8), Rn. 130; Hübner (Fn. 12), Rn.<br />
673; Larenz/Wolf (Fn. 8), § 24 Rn. 3; D. Schwab/Löhnig (Fn. 8), Rn. 464.<br />
7 Bartholomeyczik (Fn. 9), S. 51, 59, 61, 67.<br />
8 Kellmann, JuS 1971, 609, 614; Leenen, JuS 2008, 577, 579 f.; gegen das<br />
Erfordernis eines Handlungswillens auch Brehmer, JuS 1986, 440, 443;<br />
ders., Wille und Erklärung, 1992, S. 240 f.; Neuner, JuS 2007, 881, 884;<br />
Werba (Fn. 23), S. 76 ff.<br />
9 Bartholomeyczik (Fn. 9), S. 51, 70 f.<br />
143
144<br />
Ausbildung<br />
wird gelehrt, die vollständige Bewußtlosigkeit falle nicht unter § 105 II, 1. Alt.<br />
BGB, weil es insoweit an einem Handlungswillen fehle; unter „Bewußtlosig-<br />
keit“ i. S. dieser Vorschrift seien vielmehr lediglich Fälle vorübergehender Be-<br />
wußtseinstrübung wie hochgradige Trunkenheit und Fieberdelirium zu<br />
verstehen. 10 Dem ist indes zu Recht entgegengehalten worden, daß diese Fälle<br />
sich bereits ohne weiteres unter die zweite Variante des § 105 II BGB subsu-<br />
mieren lassen: Es handelt sich hierbei um eine vorübergehende Störung der<br />
Geistestätigkeit. <strong>Die</strong> hier abgelehnte Argumentation führt letztlich dazu, daß<br />
<strong>für</strong> die erste Variante des § 105 II BGB, nämlich <strong>für</strong> die Willenserklärung im<br />
Zustand der Bewußtlosigkeit, kein einziger denkbarer Anwendungsfall mehr<br />
übrig bleibt. 11 Abgesehen davon ist daran zu erinnern, daß auch das Fieberde-<br />
lirium als Anwendungsfall des fehlenden Handlungswillens apostrophiert<br />
worden war; die Gegenansicht muß also einräumen, daß sie einen solchen<br />
Fall unter § 105 II BGB subsumieren muß, obwohl eigentlich auch hier man-<br />
gels eines Handlungswillens bereits im Ansatz keine Willenserklärung vorlie-<br />
gen dürfte. Schließlich wird darauf hingewiesen, daß § 105 II BGB nicht alle<br />
Fälle fehlenden Handlungswillens erfasse. 12 Aber damit ist immer noch nicht<br />
der Befund aus dem Weg geräumt, daß das Gesetz jedenfalls einen Sachver-<br />
halt, in dem der Erklärende keinen zurechenbaren Tatbestand gesetzt hat,<br />
gleichwohl als Willenserklärung begreift. Wie man es also dreht und wendet:<br />
Das Argument aus § 105 II BGB ist bislang nicht widerlegt worden.<br />
Dann aber spricht viel da<strong>für</strong>, den Tatbestand einer Willenserklärung über-<br />
haupt nicht mehr von subjektiven Merkmalen und insbesondere nicht von<br />
Elementen der Zurechenbarkeit abhängig zu machen. 13 Es bleibt daher als<br />
Tatbestand der Willenserklärung nur ein objektives Merkmal übrig: Eine Wil-<br />
lenserklärung liegt vor, wenn ein (nicht notwendig willensgetragenes) Verhal-<br />
ten äußerlich als Ausdruck des Willens zur rechtlichen Bindung erscheint. 14<br />
<strong>Die</strong>jenigen Fälle fehlenden Handlungswillens, die im Wortlaut des § 105 II<br />
BGB nicht unterzubringen sind (z. B. unwiderstehlicher Nervenreiz, Reflex,<br />
ggf. vis absoluta), kann man ohne weiteres dadurch bewältigen, daß man die<br />
Erklärung analog § 105 II BGB als nichtig ansieht. 15 <strong>Die</strong>se Deutung hat den<br />
Vorteil, daß sie dem Erklärenden die Chance läßt, die unter einer solchen Stö-<br />
rung zustande gekommene Willenserklärung zu bestätigen (§ 141 BGB): <strong>Die</strong>s<br />
wäre nicht möglich, wenn man schon den Tatbestand einer Willenserklärung<br />
verneinen würde. 16<br />
E. DIE UMSETZUNG DER THEORIE IN DIE KLAUSURPRAXIS:<br />
WAS MUSS MAN WISSEN UND WIE SCHREIBT MAN ES HIN?<br />
Wer immer sich mit einem Beitrag zum subjektiven Tatbestand der Willens-<br />
erklärung an ein <strong>stud</strong>entisches Publikum wendet, kämpft mit folgender<br />
Schwierigkeit: Der Autor findet erstens einen komplexen Streitstand vor; es<br />
wäre unseriös, dem Leser Teile des Diskussionsstandes vorzuenthalten.<br />
10 Bork (Fn. 4), Rn. 987; Erman/Palm, BGB, 12. Aufl. 2008, § 105 Rn. 5;<br />
D. Schwab/Löhnig (Fn. 8), Rn. 465.<br />
11 Zutreffend Leenen, JuS 2008, 577, 579 mit Fn. 29. Gegen die vorstehend wiedergegebene<br />
Interpretation des § 105 II BGB auch Neuner, JuS 2007, 881, 883 f.<br />
12 Bartholomeyczik (Fn. 9), S. 51, 70.<br />
13 Wie hier Brehmer (Fn. 43), S. 65 ff., 240 f.; Leenen, JuS 2008, 577, 580.<br />
14 Ähnlich HKK-Schermaier, BGB, §§ 116-124 Rn. 14. Schermaier trennt<br />
dabei den Tatbestand der Willenserklärung von der weiteren Frage, ob sie<br />
dem Erklärenden zugerechnet werden kann; vgl. ebenda Rn. 15 ff.; <strong>für</strong><br />
eine solche Trennung auch Werba (Fn. 23), S. 108 ff.<br />
15 In diese Richtung Lange, JA 2007, 687, 688.<br />
16 Zutreffend Neuner, JuS 2007, 881, 884.<br />
Zweitens wird der Autor um eine eigene Stellungnahme bemüht sein; zumin-<br />
dest wird er bestrebt sein, Ungenauigkeiten im bisherigen Diskussionsstand<br />
aufzudecken. Drittens aber kann niemand erwarten, daß sie soeben vorgetra-<br />
genen bzw. wiedergegebenen Überlegungen in allen Verästelungen in einer<br />
Klausur als präsentes Wissen bereitgehalten werden, und noch weniger kann<br />
verlangt werden, jene Überlegungen unter dem Druck der Prüfungssituation<br />
selbständig zu entwickeln. Wie also geht man in einer Klausur mit dem<br />
Problem um?<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
Erster Schritt: Wichtig ist, zunächst gründlich darüber nachzudenken, ob es<br />
auf das Problem überhaupt ankommt. Denn nicht jeder Fall, in dem Hand-<br />
lungswille oder Erklärungsbewußtsein fraglich erscheinen, wirft tatsächlich<br />
das Problem des subjektiven Tatbestands einer Willenserklärung auf. Das ha-<br />
ben wir deutlich im Fall 2 gesehen: Dort fehlte es schon am objektiven Erklä-<br />
rungstatbestand; es war <strong>für</strong> den Erklärungsgegner eindeutig, daß keine<br />
rechtliche Bindung eingegangen werden sollte. Oftmals lassen sich die Pro-<br />
bleme bereits auf dieser Ebene lösen. Das gilt übrigens auch <strong>für</strong> viele Fälle des<br />
fehlenden Handlungswillens: Wenn jemand während der Vertragsverhand-<br />
lungen einschläft und „ja, ja“ murmelt, 17 wird dem Verhandlungspartner<br />
kaum entgangen sein, daß der andere Teil eingeschlafen ist. Dann fehlt schon<br />
der objektive Tatbestand einer Willenserklärung, weil eben ein solches Ver-<br />
halten bei verständiger Beurteilung nicht als Ausdruck eines rechtlichen<br />
Bindungswillens verstanden werden darf. 18 Gerade die Fälle fehlenden Hand-<br />
lungswillens werden sich in den allermeisten Fällen auf dieser Ebene erledi-<br />
gen. Auf die oben unter IV. angestellten Überlegungen kommt es dann<br />
überhaupt nicht mehr an.<br />
Zweiter Schritt: Wenn man zu dem Ergebnis gelangt ist, daß der äußere<br />
Tatbestand einer Willenserklärung gegeben ist, tritt man dem Problem feh-<br />
lenden Erklärungsbewußtseins am besten näher, in dem man – gerne auch<br />
zunächst einmal unter Verzicht auf eine exakte juristische Ausdrucksweise –<br />
versucht, das Unrechtsempfinden der Beteiligten in Worte zu fassen. Dazu<br />
wiederum empfiehlt es sich, sich vorzustellen, man wäre selbst eine der Kon-<br />
fliktparteien oder deren Anwalt. Am Beispiel von Fall 3 würde man dann zu<br />
folgenden Überlegungen gelangen: Aus dem Blickwinkel der B würde man ar-<br />
gumentieren: „Ich habe keine Bürgschaft übernehmen wollen, ich war mir gar<br />
nicht darüber klar, daß ich eine Bürgschaft übernehme, ich habe nur nach den<br />
Schulden des S gefragt, weil ich dachte, ich hätte mich längst verbürgt.“ Aus<br />
dem Blickwinkel des G würde die Erwiderung dann wie folgt lauten: „Woher<br />
soll ich denn wissen, daß B keine Bürgschaft eingehen wollte? In dem Brief,<br />
den sie mir geschrieben hat, steht etwas anderes. Ich muß mich doch darauf<br />
verlassen können, daß B sich genau überlegt, was sie da schreibt.“<br />
Dritter Schritt: <strong>Die</strong> gefundenen Wertungen sind in juristische Argumente und<br />
Begriffe zu übersetzen. <strong>Die</strong> Frage lautet, ob eine Willenserklärung gegeben<br />
sein kann, obwohl der Erklärende überhaupt nicht gewußt hat, daß sein Ver-<br />
halten nach außen hin dahin interpretiert werden könnte, er wolle sich recht-<br />
lich binden. Der soeben unterstellte Vortrag der B läuft auf das Prinzip der<br />
Selbstbestimmung hinaus, der Vortrag des G auf das Prinzip des Vertrauens-<br />
schutzes. Wenn man auf dieser Ebene angelangt ist, fällt es nicht schwer, die<br />
17 <strong>Die</strong>ses Beispiel bringt Bork (Fn. 4) Rn. 590 <strong>für</strong> das Fehlen des Handlungswillens.<br />
18 Zutreffend Leenen, JuS 2008, 577, 580.<br />
Argumentation zu entwickeln: Selbstbestimmung und Vertrauensschutz<br />
geraten in einen unauflösbaren Konflikt und sind daher gegeneinander<br />
abzuwägen. Und diese Abwägung wird uns zu dem Ergebnis führen, daß das<br />
Vertrauen des G jedenfalls dann stärkeren Schutz verdient, wenn B selbst<br />
daran schuld ist, daß sie sich mißverständlich ausgedrückt hat. <strong>Die</strong> juristische<br />
Wertung führt uns also zunächst zu dem Ergebnis, das auch der BGH gefun-<br />
den hat: Eine Willenserklärung liegt vor. Wer in einer Klausur bis hierher<br />
kommt, hat bereits Erhebliches geleistet!<br />
Vierter Schritt: Für Studierende, die sich nicht mit einer solchen Interessenab-<br />
wägung zufriedengeben wollen (der ja zunächst einmal jegliche normative<br />
Anbindung fehlt), mag es sich jetzt anbieten, die Ebene der Wertung zu ver-<br />
lassen und zu fragen, ob das bisher gefundene Ergebnis auch dogmatisch<br />
richtig ist. <strong>Die</strong>s führt uns zu der Frage, welche Aussagen § 118 I BGB zu ent-<br />
nehmen sind. Wenn man die aus dieser Vorschrift gezogenen Folgerungen<br />
teilt (oben unter III. 1.), wird man folgern, daß die Erklärung der B im Fall 3<br />
nichtig ist. Wenn man diese Folgerungen nicht teilt, weil B um die rechtliche<br />
Relevanz ihrer Erklärung nicht gewußt habe und daher noch die Chance er-<br />
halten solle, darüber zu befinden, ob sie sich am Erklärten festhalten lassen<br />
will (oben unter III. 2.), wird man zu dem Ergebnis gelangen, daß eine wirk-<br />
same Willenserklärung der B vorliegt und zwischen G und B ein gültiger<br />
Bürgschaftsvertrag zustande gekommen ist. Im nächsten Schritt wäre dann<br />
eine Anfechtung wegen Erklärungsirrtums nach § 119 I BGB zu diskutieren.<br />
Mancher Leser wird sich fragen, warum er sich um dieses Ertrags willen<br />
durch die gesamten vorstehenden Ausführungen hindurchkämpfen mußte.<br />
<strong>Die</strong>se Frage sei mit folgendem Hinweis beantwortet: Wer eine gute Klausur<br />
schreiben will, muß davon überzeugt sein, daß das, was er gerade schreibt,<br />
richtig ist. <strong>Die</strong>se Überzeugung wird nur bilden können, wer sich in der Argu-<br />
mentation eine gewisse Selbstsicherheit aneignet. Der Weg zu dieser Selbstsi-<br />
cherheit führt zwingend über eine eigene kritische Auseinandersetzung mit<br />
dem Stoff; und dazu können die in Rechtsprechung und Schrifttum ausge-<br />
tauschten Argumente eine hilfreiche Handreichung bieten.<br />
F. DAS ERKLÄRUNGSBEWUSSTSEIN BEI BESONDEREN ARTEN<br />
VON WILLENSERKLÄRUNGEN<br />
I. EINWILLIGUNG UND GENEHMIGUNG<br />
In zahlreichen Fällen macht das BGB die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts<br />
davon abhängig, daß ein Dritter vorher einwilligt (prominentestes Beispiel: §<br />
107 BGB) oder das Geschäft nachträglich genehmigt (prominenteste Bei-<br />
spiele: §§ 108 I, 177 I BGB). Für derartige Zustimmungserklärungen hat der<br />
BGH zweierlei entschieden: (1.) Auch bei einer Einwilligung oder einer Ge-<br />
nehmigung bedürfe es keines Erklärungsbewußtseins. Vielmehr genüge wie<br />
sonst auch, ob der Erklärende bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt er-<br />
kennen konnte, daß sein Verhalten als Zustimmung aufgefaßt werden kann. 19<br />
(2.) Eine Genehmigung liege nur dann vor, wenn der Erklärende die Zustim-<br />
mungsbedürftigkeit des Rechtsgeschäfts gekannt oder sich zumindest der<br />
Möglichkeit bewußt gewesen sei, durch sein Handeln ein Rechtsgeschäft zu<br />
genehmigen. 20<br />
19 BGHZ 109, 171, 177; BGH NJW-RR 2000, 1583, 1584; NJW 2002, 2325,<br />
2327. Zustimmend Bork (Fn. 4) Rn. 1698; Köhler (Fn. 8) § 14 Rn. 4.<br />
20 BGH NJW 2002, 2863, 2864 und ständig.<br />
Beide Aussagen passen nicht zusammen. 21 Denn wenn jemand, von dessen<br />
Zustimmung ein fremdes Rechtsgeschäft abhängt, sich tatsächlich der Zu-<br />
stimmungsbedürftigkeit bewußt wird, ist schwer vorstellbar, daß sein an-<br />
schließendes Verhalten, wenn es denn objektiv als Zustimmung aufgefaßt<br />
werden kann, nicht von einem Erklärungsbewußtsein getragen ist. Der Wi-<br />
derspruch ist wie folgt aufzulösen: <strong>Die</strong> Einwilligung und die Genehmigung<br />
setzen bereits einen besonderen äußeren Erklärungstatbestand voraus: Das<br />
Verhalten des Zustimmungsberechtigten muß bei verständiger Betrachtung<br />
den Eindruck erwecken, daß der Erklärende sich der Zustimmungsbedürftig-<br />
keit bewußt gewesen ist. Ist dieses Erfordernis erfüllt, so bedarf es darüber<br />
hinaus keines Erklärungsbewußtseins; vielmehr liegt dann eine Zustim-<br />
mungserklärung vor. Ist die genannte Voraussetzung dagegen nicht erfüllt, so<br />
fehlt es an einer Zustimmungserklärung – aber nicht deshalb, weil dem Zu-<br />
stimmungsberechtigten das Erklärungsbewußtsein abging, sondern bereits<br />
deshalb, weil eine Erklärung des Inhalts, die Zustimmung werde erteilt, be-<br />
reits objektiv nicht vorliegt.<br />
II. BESTÄTIGUNG<br />
Nach § 141 BGB besteht die Möglichkeit, ein nichtiges, und nach § 144 BGB<br />
die Möglichkeit, ein anfechtbares Rechtsgeschäft zu bestätigen. <strong>Die</strong> Bestäti-<br />
gung drückt das Bestreben des Erklärenden aus, einem Geschäft, von dem er<br />
glaubt, daß es durch Nichtigkeits- bzw. Anfechtungsgründe infiziert ist, zur<br />
endgültigen Rechtsbeständigkeit zu verhelfen. <strong>Die</strong> Verwandtschaft zur Ge-<br />
nehmigung ist offenkundig: <strong>Die</strong> Genehmigung bezieht sich auf ein fremdes,<br />
die Bestätigung auf ein eigenes Geschäft. Daß beide Rechtsinstitute einander<br />
ähneln, zeigt nicht zuletzt § 108 III BGB: Danach kann der vormals Minder-<br />
jährige nach Eintritt der Volljährigkeit ein Geschäft „genehmigen“, das er<br />
selbst zuvor in schwebend unwirksamer Weise vorgenommen hat. Das Gesetz<br />
spricht hier von „Genehmigung“, obwohl es sich der Sache nach um eine<br />
Bestätigung handelt. 22<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
Ausbildung<br />
Aus diesem Grunde liegt es nahe, <strong>für</strong> die Bestätigung den gleichen äußeren<br />
Erklärungstatbestand zu fordern wie <strong>für</strong> die Genehmigung: Eine Bestäti-<br />
gungserklärung liegt nur vor, wenn das Verhalten des Erklärenden bei objek-<br />
tiver Betrachtung dessen erkennen läßt, er habe die Zweifel an der Wirksamkeit<br />
des Geschäfts gekannt und mit seiner (neuerlichen) Erklärung beseitigen<br />
wollen. 23 Bei der Annahme eines solchen Willens ist bisweilen Vorsicht gebo-<br />
ten. Wenn etwa der arglistig getäuschte Käufer in Kenntnis des Anfechtungs-<br />
rechts nach § 123 BGB Gewährleistungsansprüche geltend macht, deutet dies<br />
gerade nicht auf den Willen hin, den Anfechtungsgrund zu beseitigen. 24 Zwar<br />
setzen die Rechte aus § 437 BGB einen wirksamen Kaufvertrag voraus. Der<br />
Käufer, der Gewährleistungsrechte geltend macht, bekräftigt damit aber nicht<br />
die endgültige Bindung an den Kaufvertrag, sondern strebt eine Veränderung<br />
an – entweder (zunächst) in Gestalt der Nacherfüllung oder in Gestalt von Se-<br />
kundärrechten, welche die Bindung an den Kaufvertrag ganz (bei Rücktritt<br />
oder großem Schadensersatz) oder teilweise (bei Minderung oder kleinem<br />
Schadensersatz) wieder beseitigen sollen. Es ist kaum vorstellbar, daß der<br />
Käufer sich dabei des Rechts zur Arglistanfechtung begeben will.<br />
21 Zutreffend erkannt von Singer, Selbstbestimmung (Fn. 12), S. 136 f.;<br />
auch Brehm (Fn. 8) Rn. 496 bezeichnet die Aussage (2.) zu Recht als Abweichung<br />
von der Aussage (1.).<br />
22 Petersen, Jura 2008, 666.<br />
23 Wie hier Medicus (Fn. 7) Rn. 531.<br />
24 BGHZ 110, 220, 223.<br />
145
146<br />
Ausbildung<br />
III. WIDERRUF EINER VOLLMACHT<br />
1. BEISPIELSFALL<br />
Fall 4: 25 E lebt von seiner Ehefrau K, die er zur Alleinerbin eingesetzt hat, ge-<br />
trennt. Er nimmt die B als neue Lebensgefährtin in sein Haus auf. Zum Ver-<br />
mögen des E gehören Wertpapiere, die E seiner Tante C mit der Bitte übergibt,<br />
sie nach seinem Tode an B weiterzureichen. Der B erklärt er, falls ihm etwas<br />
passiere, sei <strong>für</strong> sie gesorgt; sie werde von C in seinem Auftrag ein wertvolles<br />
Paket an Wertpapieren erhalten. Als E stirbt, trifft K sich mit B und C in der<br />
Wohnung des E; auf Frage der K leugnen B und C, etwas vom Verbleib der<br />
Papiere zu wissen, und auch die anschließende Suche verläuft – wie sollte es<br />
anders sein – erfolglos. Wenig später übergibt und übereignet C im Namen<br />
des E der B die Wertpapiere. K verlangt von B Herausgabe. Mit Recht?<br />
2. DIE RECHTLICHE FRAGESTELLUNG<br />
<strong>Die</strong> Streitfrage bestand hier darin, ob B nach § 929 S. 1 BGB Eigentum an den<br />
Wertpapieren erworben hatte. 26 Das setzte eine dingliche Einigung zwischen<br />
B und E voraus. E hatte die hierauf gerichtete Willenserklärung nicht selbst<br />
abgegeben; es konnte aber die von C im Namen des E abgegebene Erklärung<br />
nach § 164 I 1 BGB <strong>für</strong> und gegen E wirken. C hatte von E eine entsprechende<br />
Vollmacht erhalten. <strong>Die</strong>se erlosch nach dem Willen der Parteien auch mit<br />
dem Tode des E nicht – sie sollte ja gerade nach dem Tod des E erst betätigt<br />
werden (§§ 672, 168 BGB). Allerdings wird in der Literatur vehement disku-<br />
tiert, ob in der Übereignung der Papiere nicht ein evidenter Mißbrauch der<br />
Vollmacht vorliegt, weil sich der B aufdrängen mußte, daß die Übereignung<br />
der Papiere den Interessen der Erbin K diametral zuwiderlief. 27 Der BGH<br />
steht demgegenüber auf dem Standpunkt, die Vollmacht könne selbst in Fäl-<br />
len wie dem vorliegenden ohne weiteres betätigt werden, es sei denn, es ge-<br />
linge der Erbin vorher, die Vollmacht zu widerrufen. 28 Und eben darum drehte<br />
sich die genannte Entscheidung: Es war zu fragen, ob K, indem sie in Anwe-<br />
senheit von B und C nach den Papieren fragte und suchte, konkludent die an<br />
C erteilte Übereignungsvollmacht widerrufen hatte.<br />
3. DIE ENTSCHEIDUNG DES BGH<br />
Der BGH verneinte das Vorliegen einer Widerrufserklärung mit der Begrün-<br />
dung, K habe im Moment der Nachfrage und Suche das Bewußtsein gefehlt,<br />
einen Widerruf der Vollmacht erklären zu wollen: Da K von der Existenz die-<br />
ser Vollmacht überhaupt nichts gewußt habe, habe sie auch nicht den Willen<br />
und das Bewußtsein bilden können, sie zu widerrufen. <strong>Die</strong> oben unter III. 2.<br />
geschilderte Rechtsprechung, wonach zum subjektiven Tatbestand einer<br />
Willenserklärung nicht notwendig ein Erklärungsbewußtsein gehöre, könne<br />
nicht zugunsten der K ins Feld geführt werden. Denn die hier<strong>für</strong> vorgetra-<br />
gene Argumentation sei ersichtlich auf den Schutz des Erklärungsempfängers<br />
in seinem Vertrauen auf den rechtlichen Bestand der Erklärung gemünzt ge-<br />
wesen und schließe es aus, dem Erklärenden selbst aus einem ohne rechtsge-<br />
schäftliches Bewußtsein an den Tag gelegten Verhalten rechtliche Vorteile<br />
erwachsen zu lassen. 29<br />
25 Sachverhalt nach BGH NJW 1995, 953.<br />
26 Der Einfachheit halber wird hier davon ausgegangen, daß es sich um<br />
Wertpapiere handelte, die nach § 929 BGB übereignet werden, und nicht<br />
um Wertpapiere, die nach § 952 BGB zusammen mit der Abtretung der in<br />
ihnen verbrieften Forderungen auf den Erwerber übergehen.<br />
27 Medicus, Bürgerliches Recht 21. Aufl. 2007, Rn. 399; Flume (Fn. 23),<br />
§ 51, 5b, S. 850.<br />
28 BGH NJW 1969, 1245.<br />
4. KRITIK<br />
<strong>Die</strong>se Argumentation steht, wie in der Anschlußliteratur 30 mit Recht bemerkt<br />
worden ist, in offenkundigem Widerspruch zu der oben III. 2. wiedergegebe-<br />
nen Rechtsprechung des BGH. Dort war die Wirksamkeit der ohne Erklä-<br />
rungsbewußtsein abgegebenen Erklärung unter anderem mit der Überlegung<br />
begründet worden, es müsse dem Erklärenden ein Wahlrecht eingeräumt wer-<br />
den, ob er das Erklärte nun – als ihm günstig – gegen sich gelten lassen wolle<br />
oder – als ihm nachteilig – nicht. Eben diese Möglichkeit, die Erklärung als<br />
vorteilhaft gelten zu lassen, hat der BGH im Fall 4 der K versagt.<br />
Gleichwohl hat der BGH im Ergebnis zu Recht das Vorliegen einer Wider-<br />
rufserklärung verneint. Wie <strong>für</strong> eine Genehmigung oder eine Bestätigung, so<br />
muß man nämlich auch <strong>für</strong> einen Vollmachtswiderruf verlangen, daß im äu-<br />
ßeren Erklärungstatbestand das Bewußtsein des Erklärenden zum Ausdruck<br />
kommt, daß der Eintritt oder Nichteintritt der Rechtsfolgen von seiner Ent-<br />
scheidung abhängt. Und das war im gegebenen Sachverhalt zumindest zwei-<br />
felhaft: Es ist unklar, ob K von der Vollmacht, die E der C erteilt hatte,<br />
überhaupt etwas wußte oder auch nur ahnte. <strong>Die</strong> Angaben im Sachverhalt<br />
sprechen eher dagegen. Dann aber mußten B und C bei objektiver Betrach-<br />
tung davon ausgehen, daß K um die Vollmacht nicht wußte und folglich auch<br />
keinen Widerruf dieser Vollmacht erklären wollte.<br />
G. ZUSAMMENFASSUNG<br />
Ungeachtet des Umstands, daß ich (oben unter V.) <strong>für</strong> die Fallbearbeitung<br />
eine eher dem „Mainstream“ entsprechende Argumentation empfohlen habe,<br />
sei hier die eigene Position in ihren wichtigsten Aussagen nochmals zusam-<br />
mengefaßt:<br />
1. Eine willensgetragene Handlung, die bei objektiver Betrachtung aus Aus-<br />
druck des Willens zur rechtlichen Bindung verstanden werden darf, ist selbst<br />
dann Willenserklärung, wenn sie ohne Erklärungsbewußtsein abgegeben<br />
wird. Auf einschränkende Zurechnungselemente kommt es nicht an. Insbe-<br />
sondere ist entgegen der Ansicht des BGH eine Willenserklärung nicht erst<br />
dann gegeben, wenn der Handelnde die rechtliche Relevanz seines Verhaltens<br />
bei pflichtmäßiger Sorgfalt hätte erkennen können.<br />
2. Wenn bei objektiver Betrachtung der Eindruck entsteht, daß eine rechtliche<br />
Bindung gewollt ist, liegt der Tatbestand der Willenserklärung darüber hin-<br />
aus selbst dann vor, wenn es am Handlungswillen fehlt. <strong>Die</strong> gegenteilige herr-<br />
schende Meinung kann § 105 II BGB nicht sinnvoll erklären.<br />
3. Der äußere Erklärungstatbestand von Einwilligung, Genehmigung, Bestäti-<br />
gung und Vollmachtswiderruf setzt voraus, daß der Handelnde bei objektiver<br />
Betrachtung den Eindruck erweckt, ihm sei bewußt gewesen, daß der Eintritt<br />
oder Nichteintritt der aus dem Geschäft resultierenden Folgen von seiner<br />
Entscheidung abhängt. Ein besonderes Erklärungsbewußtsein ist auch hier<br />
nicht erforderlich.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
29 BGH NJW 1995, 953; dem folgend Grigoleit/Herresthal (Fn. 8) Rn. 128<br />
mit Fn. 18.<br />
30 Habersack, JuS 1996, 585, 587.<br />
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148<br />
Chefredaktionsinterview<br />
Wer die Erfolgsromane „Cupido“ (Retribution), „Morpheus“ (Last Witness) und „Vater<br />
Unser“ (Plea of insanity) gelesen hat dem wird der Name dieser außergewöhnlichen<br />
Frau ein Begriff sein. Ihre Bücher zeichnen sich nicht nur durch fast unerträgliche<br />
Spannung, sondern auch durch Witz und vor allem juristisches Fachwissen aus. Sie hat als Staats-<br />
anwältin und Buchautorin in Ihrem Leben viel erlebt und wahrscheinlich macht gerade das ihre<br />
Bücher zu einem solchen Erfolg. <strong>Die</strong> <strong>Iurratio</strong>-Chefredaktion sprach mit Jilliane Hoffman über ihr<br />
Leben als Juristin und Bestsellerautorin.<br />
Jilliane P. Hoffman, geboren 1967 in Long Island, USA hat im Jahr 2004 ihren ersten Thriller Retribution<br />
veröffentlicht. In den Jahren 2005 und 2009 folgten zwei weitere, „Last Witness“ und „Plea of Insanity“.<br />
Jilliane Hoffman war als Referendarin beim Queens County District Attorney’s Office in New York verant-<br />
wortlich <strong>für</strong> mildere Delikte. Von 1992 bis 1996 war sie im State Attorney’s Office in Miami, Florida, als<br />
Staatsanwältin zuständig <strong>für</strong> die Auslieferung flüchtiger Gewalttäter zurück nach Florida. Außerdem<br />
war sie Anklägerin <strong>für</strong> schwere Gewaltverbrechen und schwerste Körperverletzungsdelikte. So hat sie<br />
z.B. die erfolgreiche Anklage des Serientäters Corey Lightsey geleitet.<br />
Im Florida Department of Law Enforcement und im Miami Regional Operations Center hat sie als regio-<br />
nale und alleinverantwortliche Staatsanwältin gearbeitet und dabei den Ermittlungsbehörden assistiert.<br />
Sie war deren juristische Beraterin (Police attorney). Dort war sie Mitverfasserin des Florida’s Public Safety<br />
Acts (1996) und hat dazu beigetragen den Mord an Gianni Versace aufzuklären.<br />
Bis heute ist sie rechtliche Beraterin und Analytikerin <strong>für</strong> Sexualstraftäter und Sexualstraftaten in „Good<br />
Morning America“, „The O’Reilly Factor“ und „Hannity & Colmes“.<br />
Für weitere Informationen über Jilliane Hoffman und ihre Bücher: http://www.jillianehoffman.com/.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Why did you change your career plans from being a prosecutor<br />
and attorney to an author? Was it a slow process or a clear cut?<br />
Hoffman: I loved being a prosecutor. It was the greatest job, and one of the<br />
most rewarding, yet emotionally draining experiences that I have ever had.<br />
There is a lot of pressure on prosecutors to make sure they do a great job every<br />
day, because someone else’s life might very well depend on it. The plot concept<br />
for my first novel, Retribution was conceived about three years into my career<br />
as a prosecutor. I was trying a serial rapist for the brutal rape of a young teen-<br />
ager and, after watching my victim testify on the stand, and to hear how affec-<br />
ted her life would always be from that one horrific 15 minute act, the idea<br />
popped into my head, much like a tagline to a movie: What if a victim had an<br />
opportunity to prosecute her offender? What would she do? Would she<br />
choose justice or retribution? And really, that was how Retribution was born.<br />
From there, the plot sprouted legs and arms and characters and subplots.<br />
Eventually, after a few years of growing in my head, it got to the point that I<br />
just had to write it down. I knew no one would do it for me, so I quit my job<br />
and wrote my first novel.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Why did you decide to become a lawyer in the first place?<br />
Hoffman: I decided to become a lawyer because I loved being in front of a<br />
jury, trying cases. I decided to be a prosecutor after I interned for a criminal<br />
Supreme Court Justice in New York. Trying criminal cases was a much more<br />
exciting and important career, in my opinion, than negotiating corporate con-<br />
tracts or practicing civil litigation. I couldn’t imagine doing anything else.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Are you planning on going back to the legal field?<br />
Hoffman: As long as I have stories in my head, and people continue to want<br />
to read them, I do not plan on returning to the practice of law. I would enter-<br />
tain running for judge some day.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Your novels are related to your former work field. Are you using<br />
some of your experiences as a lawyer for your stories?<br />
Hoffman: My stories are most definitely inspired by the crimes I prose-<br />
cuted as an Assistant State Attorney and investigated as a legal advisor with<br />
the Florida Department of Law Enforcement. While the plotlines are fictional,<br />
the characters and settings are flavored by my experiences.<br />
<strong>Iurratio</strong>: What is your interest in writing books? Do you only want to<br />
entertain or do you have another intention?<br />
Hoffman: My primary intention when I write a story is to entertain. I want<br />
the reader to be flipping the pages so fast that they can’t believe they’ve fini-<br />
shed a whole book in one day. But I think a good story can also educate. I like<br />
to read novels that teach me something I didn’t know when I started, which is<br />
why I really enjoy reading well-researched novels, or ones written by an<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
author who has actual experience in the field of which they are writing. It<br />
makes a fictional story all that much more authentic and believable.<br />
<strong>Iurratio</strong>: You give your reader an insight into the legal world by including<br />
a lot of legal problems into your books. Is that very important to you? Is it<br />
your concern to maybe even teach the legally non –experienced reader some-<br />
thing about the American legal system?<br />
Hoffman: Every criminal case has its own laundry list of potential legal<br />
problems that could hinder its prosecution. No case is ever a slam dunk or a<br />
sure thing. When I write a story, I want to take readers through the difficulties<br />
and challenges that a prosecutor faces in bringing a defendant to justice--wit-<br />
hout boring them, of course. As I stated above in number 5, I think you can<br />
entertain and educate at the same time.<br />
<strong>Iurratio</strong>: How do you explain your great success in Germany?<br />
Hoffman: I can’t, but I am grateful!<br />
<strong>Iurratio</strong>: Do you have any experiences with the German legal system? If<br />
yes, were you ever able to compare the American and German legal system?<br />
Hoffman: I do not have any experiences with the German criminal justice<br />
system.<br />
<strong>Iurratio</strong>: We believe you have seen a lot of brutality, fear and senselessness<br />
in your years as a prosecutor how have you been able to deal with those cases?<br />
Hoffman: I have seen many terrible things as a prosecutor. It is very distur-<br />
bing to see the calculated brutality with which some people inflict pain on<br />
others. As far as cases that I personally prosecuted, I know that I pushed for<br />
the harshest sentences under law. I did what I could to make sure truly evil in-<br />
dividuals will never get out of jail. It helps me sleep at night.<br />
<strong>Iurratio</strong>: On your homepage we can see that you sold the rights of Retribu-<br />
tion to Warner Brothers Pictures and Wells Productions. When is the movie<br />
coming out?<br />
Chefredaktionsinterview<br />
Justice or retribution?<br />
Ein Chefredaktionsinterview mit der Buchautorin und früheren Staatsanwältin Jilliane P. Hoffman<br />
Hoffman: I sold the movie rights to Retribution several years ago. Holly-<br />
wood has a mind and a timeline all of its own. I am told it is in “development,”<br />
which sometimes means years before a movie hits the big screen. Forest Gump<br />
was in “development” for eleven years. I can only hope that when John Wells<br />
does pick up a camera, that he does as good a job!<br />
<strong>Iurratio</strong>: And finally an obvious question: You are working on a new book.<br />
When can we expect it to be released in Germany?<br />
Hoffman: I have just finished The Portrait Painter, my fourth thriller. It will<br />
be published in Germany next summer.<br />
149
150<br />
Schwerpunkte<br />
Bilateral Investment Treaties (BITs)<br />
– An Effective Instrument of Investment Protection*<br />
von Claus-Peter Knöller (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg)<br />
Knöller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl<br />
von Prof. Dr. Dr. h.c. Werner F. Ebke, LL.M.,<br />
Institut <strong>für</strong> deutsches und europäisches Gesellschafts-<br />
und Wirtschaftsrecht, Ruprecht-Karls-Universität<br />
Heidelberg.<br />
Bilateral Investment Treaties (BITs) empower private investors to sue directly<br />
before international arbitral tribunals for damages in case of breaches of con-<br />
tract. Therefore, the extent of protection offered by these treaties and the ef-<br />
fectiveness of the judicial process are worth being analysed.<br />
A. THE IMPORT OF FOREIGN INVESTMENTS<br />
Foreign direct investments have grown in 2007 to a total amount of 1.83 trillion<br />
dollar worldwide 1 . This is the highest level of foreign direct investments, even<br />
higher than 2006 and the previous record year 2000 with a total amount<br />
of 1.3 trillion dollar – which accounts for 20 % of the world gross national<br />
product 2 . However, foreign direct investments were severelly affected by the<br />
financial crisis and fell to 1.69 trillion dollar in 2008 3 . In the 1990s, the world<br />
saw a tremendous expansion of cross-border investments 4 . These facts un-<br />
derscore the economic significance of foreign investments. They stimulate the<br />
economic growth in both developed and developing countries, effectively<br />
transferring assets and technology. This can be seen as the primary reason for<br />
developing countries to open their markets for cross-border investments, but<br />
with the investment comes the desire to protect them. In response, the num-<br />
ber of BITs has grown from a mere 385 in 1990 to about 2700 treaties today 5 .<br />
B. THE NEED FOR LEGAL CERTAINTY<br />
Cross-border investments face increased risks compared to domestic invest-<br />
ments. Not only are investors exposed to general business risks, but they also<br />
face difficult systemic issues, e.g., factors immanent to the distinct political<br />
and socio-cultural setting in the host country. The investor’s anxiety can be<br />
reduced to the threat of a promising business opportunity being ruined by po-<br />
litically motivated measures. To put it in a nutshell, the possibility of confis-<br />
cations without compensation or expropriations without loss compensation<br />
* Eine deutsche Langfassung dieses Beitrages erscheint demnächst<br />
in <strong>Iurratio</strong> - das ePaper <strong>für</strong> <strong>stud</strong>. <strong>iur</strong>.<br />
1 UNCTAD, World Investment Report 2008, 16 (http://www.unctad.org/<br />
en/docs/wir2008_en.pdf).<br />
2 UNCTAD, World Investment Report 2001, 9 (http://www.unctad.org/<br />
en/docs/wir2001_en.pdf).<br />
3 UNCTAD, World Investment Report 2009, 3 (http://wwwunctad.org/<br />
en/docs/wir2009_en.pdf).<br />
4 Sacerdoti, 269 Recueil des Cours 251, 265 (1997); Sidhu, 2004 ZEuS<br />
335, 337.<br />
5 UNCTAD, World Investment Report 2009, 32 (http://www.unctad.org/<br />
en/docs/wir2009_en.pdf).<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
are on the radar screen of current and potential investors 6 . Recently, cases<br />
have gained importance in which investors’ expectations had been disappoin-<br />
ted by adverse regulatory interventions (e.g., modifications of the tax regime) 7 .<br />
For these (and other) reasons, cross-border investments always cause the<br />
need for legal relief and call for the host country to provide a legal framework<br />
attractive, i.e., protective to foreign investors.<br />
C. REMEDIES AT HAND FOR INVESTORS: AN OVERVIEW<br />
Based on the foregoing observations, numerous protective measures have<br />
been put in place, mostly using BITs. Their footprint on the legal framework,<br />
which will be elaborated upon in this section, has been mostly appreciative of<br />
investors’ interests and highly visible in recent years.<br />
Investments are, in principle, subject to the law of the host country, so inves-<br />
tors are firstly protected by means of the legal system of the host country.<br />
This kind of protection is not, however, sufficient in the majority of cases<br />
because of the unilateral possibility to change the legal regulations by the host<br />
country 8 .<br />
Under customary international law, investment protection is limited to regu-<br />
lations for already existing investments and international minimum stan-<br />
dards 9 . Thus, in general, public international law provides a certain level of<br />
property protection against illegal confiscations without compensation 10 .<br />
What exactly this level of protection is has been a focal point of the discussion.<br />
For instance, the questions of the necessity and the amount of compensation<br />
to be paid to the frustrated investor illustrate the conceptual vagueness of the<br />
unwritten rule of international law. To remedy the shortcomings, states began<br />
to conclude bilateral treaties. Despite several efforts to conclude an extensive<br />
multilateral investment treaty, such attempts failed grandiosely 11 .<br />
Some progress has been made, however, and notable examples of treaties af-<br />
fording covering at least some investment-related issues are the Convention<br />
for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms (ECHR), the<br />
EC Treaty, the Energy Charter Treaty (ECT), several WTO agreements like<br />
GATS, GATT, TRIMs and TRIPs, as well as different regional agreements (e.g.,<br />
NAFTA Chapter 11, APEC, MERCOSUR, ASEAN and CAFTA), the<br />
ICSID Convention and several World Bank rules. Double taxation agree-<br />
ments are also suitable as they avoid double taxation and therefore secure the<br />
investment profitability without containing concrete investment protection<br />
regulations 12 .<br />
6 Schwartmann, Private im Wirtschaftsvölkerrecht, 2005, 85; Wegen/Raible,<br />
2006 SchiedsVZ 225, 227.<br />
7 Happ, 2006 IStR 649.<br />
8 Fischer, in: Festschrift <strong>für</strong> Seidl-Hohenveldern, 1988, 95, 102; Karl,<br />
1994 RIW 809, 810.<br />
9 Häde, 35 Archiv des Völkerrechts 181, 185 (1997); Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht,<br />
2006, § 3 para. 544.<br />
10 Ohler, 2006 JZ 875, 878; Wegen/Raible, 2006 SchiedsVZ 225, 228.<br />
11 Regarding the failure of the MAI, see Görs, Internationales Investitionsrecht,<br />
2005, 139 et seq.; Karl, 99 ZVglRWiss 143 (2000).<br />
12 Häde, 35 Archiv des Völkerrechts 181, 192 (1997); Schwartmann, Private<br />
im Wirtschaftsvölkerrecht, 2005, 90.<br />
Efforts were successful, however, on a bilateral level. The bilateral treaties are<br />
the core of today’s investment protection system. Building upon its predeces-<br />
sors, so-called friendship, commerce and navigation (FCN) Treaties 13 , BITs<br />
offer the highest level of protection seen so far.<br />
D. BILATERAL INVESTMENT TREATIES (BITs)<br />
BITs are international treaties between two sovereign states on the mutual<br />
promotion and legal protection of investments by private persons or compa-<br />
nies from one country in the other country 14 . BITs are concluded by a multi-<br />
tude of states, many of which have developed their own model treaty as a<br />
starting point for further negotiations. The structure and protection provided<br />
are, in general, quite similar. Using the German Model Treaty developed by<br />
the Federal Ministry of Economics and Technology in 2005 as a representa-<br />
tive example, I will now analyse the details of the protection regime.<br />
I. GERMANY: TREND-SETTER IN CONCLUDING BILATERAL<br />
INVESTMENT TREATIES<br />
Germany is one of the key actors in the field of BITs. Not only did Germany<br />
conclude the very first BIT – with Pakistan in 1959 – 15 , it is also a party to<br />
more such treaties, namely 139, than any other country in the world. The Ger-<br />
many-Pakistan BIT is a classic example in several respects since, traditionally,<br />
industrialised countries have concluded BITs with developing countries.<br />
Meanwhile many BITs have been concluded among two developing countries<br />
as well 16 . Thus far, there are practically no BITs between leading capital-ex-<br />
porting countries for their respective domestic legal orders offer protection<br />
far beyond what is afforded to investors under most BITs 17 .<br />
II. THE STATED PURPOSE OF THE BIT<br />
Two considerations are key to investors: (i) protecting existing business inte-<br />
rests, and (ii) market access for future investments 18 . This motivation of the<br />
contracting parties is regularly reflected in a preamble. Though not legally<br />
binding, the preamble frames the issues and serves as a good starting point for<br />
the construction of the treaty 19 . On its face, the language oscillates around<br />
mutual granting of rights and obligations. Regardless of this reciprocity from<br />
a legal perspective, the de facto purpose of these treaties is the protection of<br />
private investments from industrialised countries in developing countries 20 . It<br />
is a handy framework for the facilitation of cross-border business activities,<br />
improving the legal position of private investors who are, in a way, third-party<br />
beneficiaries with many substantial entitlements 21 .<br />
13 Füracker, 2006 SchiedsVZ 236; Sornarajah, The International Law on<br />
Foreign Investment, 2nd ed., 2004, 209.<br />
14 See Knöller, 2008 IStR 453.<br />
15 BIT between Germany and Pakistan, BGBl. II 1961, 793.<br />
16 Lowenfeld, International Economic Law, 2002, 473; Rao, 26 Commonwealth<br />
Law Bulletin 623, 624 (2000); Salacuse, 24 International Lawyer<br />
655, 658-659 (1990).<br />
17 Görs, Internationales Investitionsrecht, 2005, 181; Xiao, 2006 ZEuS<br />
441, 455.<br />
18 Salacuse/Sullivan, 46 Harvard International Law Journal, 67, 75 (2005);<br />
Vandevelde, 36 Columbia Journal of Transnational Law 501, 514 (1998).<br />
19 Dolzer/Bloch, in: Kronke/Melis/Schnyder, Handbuch Internationales<br />
Wirtschaftsrecht, 2005, 1066 para. 61.<br />
20 Ohler, 2006 JZ 875,881.<br />
21 Court of Appeals, OEPC v. Ecuador, EWCA Civ. 1116, para. 18-20;<br />
Happ, 2006 IStR 649, 650; Knöller, 2008 IStR 453.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
III. THE BIT’S SCOPE OF APPLICATION<br />
Schwerpunkte<br />
To be subject to the scope of application of a BIT, an investment which has ac-<br />
cess to the market of the host country by an investor from the other contrac-<br />
ting state is necessary. If no BIT was concluded between the contracting state<br />
of the investor and the host country, there are several possibilities of evasion,<br />
e.g., establishing a subsidiary in, or relocating the head office to, a third coun-<br />
try that has a BIT with the target country in place (so-called BIT- or Treaty<br />
Shopping) 22 . An investment is, in principle, defined very broadly to cover<br />
every kind of asset or interest, often going hand in hand with an illustrative,<br />
non-exhaustive enumeration of certain types of doing business considered in-<br />
vestments (cf. Art. 1 section 1 of the German Model Treaty). Aspects infor-<br />
ming the application of the general formula are, e.g., the duration of the<br />
business project, the amount of capital expenditures involved, the expectation<br />
of periodical profit, the risks involved as well as the relationship of the invest-<br />
ment and the host country’s desire to develop its economy 23 . An aspect not to<br />
be neglected is the retroactivity to already existing investments of BITs – so<br />
not only future investments are protected (cf. Art. 9 of the German Model Tre-<br />
aty). A lot of BITs, including the German model BIT, contain a general obliga-<br />
tion to admit foreign investments.<br />
IV. THE STANDARD OF PROTECTION AFFORDED<br />
The general protection standards mainly consist of a rule against discrimina-<br />
tion (cf. Art. 2 section 3 of the German Model Treaty), the principle of natio-<br />
nal treatment, and the most-favoured-nation clause (e.g., Art. 3 section 1 and<br />
2 of the German Model Treaty) 24 . National treatment means that foreigners<br />
must not be treated less favourable concerning their business activity than na-<br />
tionals of the host country. This does not necessarily require equal treatment<br />
as better protection for foreigners is always possible 25 . The most-favoured-na-<br />
tion clause prescribes that any treatment granted to a national of a third coun-<br />
try which is more favourable than national treatment or treatment under the<br />
BIT must also be accorded to an investor or an investment 26 . In general, BITs<br />
include regulations against direct and indirect expropriation as well as com-<br />
pensation for harm done to the investor (cf. Art. 4 section 2 of the German<br />
Model Treaty). Under the terms of the BIT, expropriations are not unlawful<br />
per se, but may be justified if they serve a public purpose and the investor is<br />
compensated. Almost every BIT contains, additionally, language mandating<br />
the fair and equitable treatment of investments but this standard’s implicati-<br />
ons remain vague and are subject to debate (cf. Art. 2 section 2 of the German<br />
Model Treaty). Most probably, it is to be regarded as a catch-all clause prohi-<br />
biting arbitrary treatment in general 27 . Arbitral tribunals interpret the fair and<br />
equitable treatment provisions mainly as an expression of the principles of<br />
good faith and fair dealing and of the protection of confidence 28 . More recent<br />
22 Knöller, 2008 IStR 453, 454; Oschmann, 1996 RIW 494; Schäfer, 2004<br />
BB 1069, 1070.<br />
23 Fedax N.V. v. Venezuela, ICSID ARB/96/3, para. 43; Salini Construttori<br />
S.p.A. and Italstrade S.p.A. v. Morocco, ICSID ARB/00/4, para. 52.<br />
24 Herrmann, in: Cordewener/Enchelmaier/Schindler, Meistbegünstigung<br />
im Steuerrecht der EU-Staaten, 2006, 29, 30.<br />
25 UNCTAD, Trends in International Investment Agreements, 60. (http://<br />
www.unctad.org/en/docs/iteiit13_en.pdf).<br />
26 OECD, Most-Favoured-Nation Treatment in International Investment<br />
Law, 2.<br />
27 Sidhu, 2004 ZEuS 335, 345.<br />
28 Tecmed v. Mexico, ICSID ARB(AF)/00/2, para. 154.<br />
151
152<br />
Schwerpunkte<br />
cases show that tribunals tend to base their decisions favouring investors<br />
more and more on this general standard since blatant expropriations are rare<br />
and more sophisticated ones are quite diffi cult to discern under the pure lan-<br />
guage of the anti-expropriation provisions 29 .<br />
V. DISPUTE SETTLEMENT<br />
Th e high standard of protection aff orded by BITs is not only a consequence of<br />
their substantial provisions, but also very much due to the convenient and po-<br />
werful enforcement procedures. Th ere are virtually no BITs without rule go-<br />
verning disputes that may arise between the inbound state and the outbound<br />
state (i.e., inter-state dispute) or an investor considered a citizen of the out-<br />
bound state (i.e., investor-state dispute) 30 . Th e BITs are embedded in an inter-<br />
national framework established under the guidance of the World Bank, with<br />
its affi liate ICSID as a cornerstone.<br />
Inter-state disputes are handled in an orthodox manner: In case of disputes<br />
between the contracting states, negotiations between the governments are the<br />
fi rst step. Aft er negotiations between governments (cf. Art. 10 section 1 of the<br />
German Model Treaty) have failed, the issue is usually submitted to an ad hoc<br />
arbitral tribunal (Art. 10 section 2 of the German Model Treaty).<br />
Investor-state disputes are more highly visible, having gained prominence not<br />
only among lawyers but also other stakeholders and the general public. Th is is<br />
mainly due to the novelty of the idea of the private enforceability of claims vis-<br />
à-vis a sovereign state. Th is option, which is extraordinarily attractive to pri-<br />
vate investors, is available if the host state is an ICSID member 31 . Key to the<br />
ICSID concept is the investor’s right to bring a case before an international ar-<br />
bitral panel even without the need to exhaust local remedies (see Art. 11 sec-<br />
tion 2 of the German Model Treaty).<br />
But investor protection goes even further than that: Th e international arbitral<br />
proceedings do not require an arbitral agreement between the investor and<br />
the host country (“arbitration without privity“) 32 . Moreover, pursuant to Art.<br />
26 section 1 of the ICSID Convention, the state party has eff ectively waived all<br />
other legal remedies. To put it diff erently, under this legal regime investors do<br />
not have to rely on diplomatic protection or other “toothless” traditional con-<br />
cepts of international law. Rather, the awards rendered by ICSID tribunals<br />
have the same legal power as fi nal decisions; i.e., they may neither be appealed<br />
nor be overruled by domestic courts (see Art. 54 section 1 ICSID-Conven-<br />
tion). An ICSID award may be put aside only by a special committee conve-<br />
ned by ICSID-Convention, and only under very limited circumstances. ICSID<br />
awards create binding obligations on the contracting states and are enforce-<br />
able to the fullest extent of domestic law (cf. Art. 11 section 3 of the German<br />
Model Treaty). In most cases, however, due to serious pressure by the out-<br />
bound state, the investment community and the media, contracting states<br />
voluntarily and expediently fulfi l their obligations to compensate arising un-<br />
der the award, so the question of sovereign immunity is of minor practical<br />
relevance 33 .<br />
29 OEPC v. Ecuador, LCIA UN 3467; cf. Knöller, 2008 IStR 453, 460; Schill,<br />
2005 SchiedsVZ 285, 291.<br />
30 See Knöller, 2008 IStR 453, 454.<br />
31 Regarding ICSID proceedings: Happ, 2005 SchiedsVZ 21, 25 et seq.;<br />
Lörcher, 2005 SchiedsVZ 11 et seq.<br />
32 Schäfer, 2004 BB 1069.<br />
33 Lörcher, 2005 SchiedsVZ 11, 20.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
Against the background of these attractive features, the rapid increase of the<br />
number of investor-state arbitral proceedings over the past years is easily un-<br />
derstandable 34 . Given these numbers, one might wonder about the rare use by<br />
German investors of ICSID proceedings, all the more considering the heft y<br />
investments made abroad by German companies and the almost “imperme-<br />
able umbrella” of more than 130 German BITs in force. Possible explanations<br />
include general scepticism towards international law among German practiti-<br />
oners, lack of knowledge in the business community about the protections<br />
under BITs 34 , the fear to weaken the traditional concept of diplomatic protec-<br />
tion 35 , and the lack of actuarial incentives for German companies (as opposed<br />
to US companies) 36 .<br />
VI. CONCLUSIONS<br />
Bilateral Investment Treaties have become a powerful tool in making cross-<br />
border business more effi cient and predictable. Th ey are benefi cial not only to<br />
the investors that are accorded market access, non-discrimination and equi-<br />
table treatment, but also for the country where the investment is made and its<br />
citizens, fulfi lling developmental goals, since BITs facilitate the transfer of<br />
tangible and intangible wealth (i.e., assets and know-how), call for trans-<br />
parency and fairness of public institutions, procedures and offi cials, and are<br />
strong enough to hold them accountable in case of non-compliance.<br />
States with inbound investments should pay close attention to their duties un-<br />
der existing BITs which may signifi cantly limit their margin of manoeuvre as<br />
to the exercise of governmental power. Th e broad scope of application and the<br />
vagueness of a variety of legal concepts enshrined in these treaties make them<br />
prone to interfere with what has long be considered the “pouvoir souverain”.<br />
Wir suchen Studierende, wissenschaftliche MitarbeiterInnen, die Lust<br />
haben, an der Gestaltung unserer Publikationen mitzuwirken. Der<br />
Aufgabenbereich umfasst u.a die Einwerbung von Beiträgen und das<br />
Entwickeln eigener Ideen <strong>für</strong> Titelthemen oder sonstige Beiträge.<br />
Ab sofort suchen wir <strong>für</strong> das Ressort „Strafrecht“<br />
2 Redakteure (m/w)<br />
Berwerbungen bitte per E-Mail an bewerbung@<strong>iur</strong>ratio.de<br />
34 UNCTAD, World Investment Report 2009, 34 (http://www.unctad.org/<br />
en/docs/wir2009_en.pdf); UNCTAD, International Investment Disputes<br />
on the Rise (http://www.unctad.org/sections/dite/iia/docs/webiteiit20042<br />
_en.pdf).<br />
35 Hauschka/Schramke, 2005 BauR 1550, 1551; Wegen/Raible, 2006<br />
SchiedsVZ 225.<br />
36 Dolzer/Bloch, in: Kronke/Melis/Schnyder, Handbuch Internationales<br />
Wirtschaftsrecht, 2005, 1083 para. 100.<br />
36 Escher, 2006 SchiedsVZ 95, 97.<br />
A. EINLEITUNG<br />
Beispiele:<br />
<strong>Die</strong> öffentliche Hand als Bieterin im Vergabeverfahren<br />
von Dipl.-Jur. Lars Wildhagen (Düsseldorf)<br />
a) Der als kommunaler Eigenbetrieb der Stadt D geführte Gartenbaubetrieb<br />
nimmt als Bieter am Vergabeverfahren der Stadt K teil, die einen Auft rag<br />
zur Rekultivierung von in städtischem Eigentum stehendem Brachland<br />
ausgeschrieben hat.<br />
b) <strong>Die</strong> Stadtwerke-GmbH, die im Alleineigentum der Gemeinde G steht,<br />
nimmt als Bieterin an einem Vergabeverfahren der Gemeinde K teil, die<br />
einen Auft rag zur Müllentsorgung im Gemeindegebiet ausgeschrieben<br />
hat.<br />
c) <strong>Die</strong> Gemeinde G hat die „Public Computer AG“ unter Verstoß gegen die<br />
kommunalrechtlichen Vorschrift en zur wirtschaft lichen Betätigung der<br />
Gemeinde gegründet. <strong>Die</strong>se nimmt als Bieterin an einem Vergabeverfah-<br />
ren das Landes S teil, das einen Auft rag zur Entwicklung und Wartung<br />
neuer Soft ware <strong>für</strong> die Finanzverwaltung in S ausgeschrieben hat.<br />
Anhand dieser Beispiele ergeben sich folgende Fragen, deren Beantwortung<br />
das Ziel dieses Beitrages ist:<br />
In welchem Rahmen darf sich die öff entliche Hand überhaupt wirtschaft lich<br />
betätigen? Ist die öff entliche Hand generell als Bieterin vom Vergabeverfah-<br />
ren auszuschließen oder hängt dies von der Rechtsform ab, in der die wirt-<br />
schaft -liche Betätigung erfolgt und wie reagiert das Vergaberecht auf eine<br />
rechts-widrige wirtschaft liche Betätigung der öff entlichen Hand?<br />
B. RECHTLICHER RAHMEN DER WIRTSCHAFTLICHEN<br />
BETÄTIGUNG DER ÖFFENTLICHEN HAND<br />
Der rechtliche Rahmen der wirtschaft lichen Betätigung der öff entlichen<br />
Hand wird im europäischen Mehrebenensystem auf jeder Stufe beeinfl usst.<br />
I. EUROPARECHTLICHE GRENZEN<br />
Gemäß Art. 86 I EG ist die Teilnahme öff entlicher Unternehmen am Wirt-<br />
schaft sgeschehen im Binnenmarkt in den Grenzen des Wettbewerbs- und<br />
Beihilfenrechts sowie der Grundfreiheiten und Gemeinschaft sgrundrechte<br />
zulässig. 1<br />
Auch die Vergaberechtskoordinierungsrichtlinie 2 schließt Angebote öff entli-<br />
cher Unternehmen nicht aus. 3 Vielmehr fordern der Wettbewerbsgrundsatz<br />
und das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 2 der Richtlinie als Ausprägung der<br />
Diskriminierungsverbote der Art. 6 EU, 28 ff . EG auch die Gleichbehandlung<br />
der öff entlichen Hand im Bieterwettbewerb. 4<br />
II. GRUNDGESETZLICHE GRENZEN<br />
Verfassungsrechtlich erfordert die wirtschaft liche Betätigung des Staates, wie<br />
jedes staatliche Handeln, einen öff entlichen Zweck. 5<br />
1 Vgl. Storr, Der Staat als Unternehmer, S. 269.<br />
2 RL 2004/18/EG, Abl. EG Nr. L 134/144.<br />
3 So <strong>für</strong> die vorangegangenen Richtlinien: Antweiler, VergabeR 2001,<br />
259 (260).<br />
4 Kus, in: Kulartz/Kus/Portz, GWB, § 97, Rn. 26; Hübner/Schliesky,<br />
VergabeR 2004, 380 (381).<br />
5 <strong>Die</strong>tlein, NZBau 2003, 141 (142).<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
Schwerpunkte<br />
Wildhagen <strong>stud</strong>ierte Jura an der Heinrich-Heine-Universität<br />
Düsseldorf. Im April 2008 legte er die erste Staatsprüfung ab.<br />
Seit August 2007 ist er Geschäftsführer des Freundeskreises<br />
der Düsseldorfer Juristischen Fakultät e.V.<br />
Im Grundgesetz fi nden sich in Art. 15, 74 I Nr. 15, 87d-f, 88, einzelne, nicht<br />
verallgemeinerungsfähige Aussagen zur wirtschaft lichen Betätigung der öf-<br />
fentlichen Hand, aus denen weder ein grundsätzliches Verbot noch eine<br />
grundsätzliche Subsidiarität der staatlichen Wirtschaft stätigkeit abzuleiten<br />
ist. 6<br />
Auch das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG schützt grundsätz-<br />
lich nicht vor Konkurrenz durch den Staat. 7 Gerade im vergaberechtlichen<br />
Zusammenhang ist Art. 12 I GG gemeinschaft srechtskonform auszulegen.<br />
Vor dem Hintergrund der gemeinschaft srechtlichen Grundsätze von Wettbe-<br />
werb und Gleichbehandlung darf eine extensive Auslegung eines nationalen<br />
Grundrechts nicht dazu führen, dass die öff entliche Hand durch die Eröff -<br />
nung einstweiligen Rechtsschutzes de facto vom Wettbewerb ausgeschlossen<br />
wird. Vielmehr kann Art. 12 I GG erst dann eingreifen, wenn der Wettbewerb<br />
durch eine unzumutbare Einschränkung oder durch Verhinderung der pri-<br />
vatwirtschaft lichen Betätigung verzerrt ist.<br />
Der Grundrechtsschutz aus Art. 14 I GG ist parallel zum Schutz aus Art. 12 I<br />
GG gewährleistet. 8 Er umfasst den eingerichteten und ausgeübten Gewerbe-<br />
betrieb nur in seiner Substanz, so dass ein Eingriff erst bei einer staatlichen<br />
Monopolstellung denkbar ist. 9<br />
Schließlich kommt die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 II 1 GG, die<br />
auch die wirtschaft liche Betätigung der Kommunen umfasst, als verfassungs-<br />
rechtliche Grenze in Betracht. 10 Das in der Selbstverwaltungs garantie statu-<br />
ierte Örtlichkeitsprinzip schließt in gemeinschaft srechtskon former Ausle-<br />
gung die überörtliche wirtschaft liche Betätigung der Gemeinde nicht aus. 11<br />
<strong>Die</strong> Selbstverwaltungsgarantie dient gerade nicht der Abgrenzung von Kom-<br />
petenzbereichen, sondern ausschließlich dem Schutz der Gemeinden und<br />
Gemeindeverbände. 12 Allein das Selbstverwaltungsrecht anderer Kommunen<br />
kann die wirtschaft liche Betätigung über das Gemeindegebiet hinaus verfas-<br />
sungsrechtlich begrenzen. 13<br />
6 Ronellenfitsch, HStR, IV, § 98, Rn. 33f.<br />
7 BVerwGE 39, 329 (336).<br />
8 BVerwG, NJW 1995, 2938 (2939).<br />
9 BVerfGE 17, 232 (248).<br />
10 Zacharias, Kommunalrecht, S. 249; Glahs/Külpmann, VergabeR 2002,<br />
555 (556).<br />
11 BVerfGE 79, 127 (152).<br />
12 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 28, Rn. 17.<br />
13 Burgi, in: <strong>Die</strong>tlein/Burgi/Hellermann, § 2, Rn. 409.<br />
153
154<br />
Schwerpunkte<br />
III. BUNDESRECHTLICHE GRENZEN<br />
Bundesrechtliche Grenzen ergeben sich im Wesentlichen aus dem Haushalts-<br />
recht. Nach § 65 I BHO ist <strong>für</strong> die Zulässigkeit der Beteiligung des Bundes an<br />
privaten Unternehmen neben einem wichtigen Interesse des Bundes erforder-<br />
lich, dass der angestrebte Zweck nicht besser und wirtschaftlicher auf eine an-<br />
dere Weise erreicht werden kann. Weiterhin müssen die Einzahlungsver-<br />
pflichtungen des Bundes begrenzt, seine Einflussmöglichkeit auf das Unter-<br />
nehmen angemessen sowie ein ordnungsgemäßer Jahresabschluss gesichert<br />
sein. 14<br />
Schließlich ist die öffentliche Hand bei ihrer wirtschaftlichen Betätigung nach<br />
dem Markteintritt ebenso wie ein Privater an das Wettbewerbs-, Gesellschafts-<br />
und Kartellrecht gebunden. 15<br />
IV. LANDESRECHTLICHE GRENZEN<br />
Im Landesverfassungsrecht kommen als Grenze die Art. 28 II 1 GG entspre-<br />
chenden Vorschriften in Betracht, die in Anlehnung an diesen auszulegen<br />
sind. 16<br />
Da die Landeshaushaltsgesetze der Sache nach den bundesrechtlichen Rege-<br />
lung entsprechen und die Grenzen von Wettbewerbs- und Kartellrecht auch<br />
<strong>für</strong> das Land gelten 17 , kann im Übrigen auf das zum Bundesrecht Gesagte ver-<br />
wiesen werden.<br />
Weitere Grenzen <strong>für</strong> eine wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand er-<br />
geben sich neben der Spezialmaterie der Landessparkassengesetze 18 aus dem<br />
kommunalen Wirtschaftsrecht der Gemeindeordnungen. 19<br />
So muss beispielsweise gemäß § 107 I 1 Nr. 1 GO NW ein öffentlicher Zweck<br />
die wirtschaftliche Betätigung erfordern. <strong>Die</strong> Tätigkeit muss also im Gemein-<br />
wohlinteresse geboten sein 20 und darf gemäß § 107 I 1 Nr. 2 GO NW die Ver-<br />
waltungs- oder Finanzkraft der Gemeinde nicht übersteigen. 21<br />
Schließlich darf der verfolgten Zweck gemäß der Subsidiaritätsklausel des<br />
§ 107 I 1 Nr. 3 GO NW durch private Unternehmen nicht ebenso gut oder<br />
wirtschaftlich erfüllen werden können.<br />
C. VERGABERECHTLICHE RELEVANZ DER WIRTSCHAFTLI-<br />
CHEN BETÄTIGUNG DER ÖFFENTLICHEN HAND<br />
Ausgangspunkt zur Beantwortung der Frage nach der vergaberechtlichen Re-<br />
levanz der öffentlichen Wirtschaftstätigkeit sind der Wettbewerbsgrundsatz<br />
und das Gleichbehandlungsgebot aus § 97 I, II GWB. Als Ausprägung der ge-<br />
meinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbote und des allgemeinen Gleich-<br />
heitssatzes des Art. 3 I GG fordert § 97 II GWB auch die Gleichbehandlung<br />
der öffentlichen Hand im Bieterwettbewerb. 22 Ausnahmen hiervon kommen<br />
gemäß § 97 II GWB nur in Betracht, sofern das GWB dies ausdrücklich<br />
vorsieht.<br />
14 Ronellenfitsch, (Fn. 6), Rn. 29.<br />
15 Vgl. § 130 I 1 GWB; Ronellenfitsch, (Fn. 6), Rn. 53f.<br />
16 Für Art. 78 Verf. NRW: <strong>Die</strong>tlein, in: <strong>Die</strong>tlein/Burgi/Hellermann,<br />
§ 1, Rn. 174.<br />
17 Ronellenfitsch, (Fn. 6), Rn. 53.<br />
18 Kämper/Heßhaus, NWVBl. 2001, 377 (380).<br />
19 Z.B. § 107 GO NW, § 85 GO Rhld.-Pf., Art. 87 BayGO.<br />
20 Reine Gewinnerzielungsabsicht reicht nicht aus: BVerfGE 61, 82 (107).<br />
21 Burgi, (Fn. 13), Rn. 404.<br />
22 Hübner/Schliesky, VergabeR 2004, 380 (381).<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
I. VERGABERECHTLICHE RELEVANZ DER RECHTSFORMWAHL<br />
DER ÖFFENTLICHEN HAND<br />
Ein möglicher Ausschluss kann sich unabhängig von der Frage nach der<br />
Rechtmäßigkeit der wirtschaftlichen Betätigung aus den auf Grundlage des<br />
§ 97 VI GWB i.V.m. §§ 1, 4 ff. VgV erlassenen § 8 Nr. 6 VOB/A und § 7 Nr. 6<br />
VOL/A 23 ergeben. 24<br />
1. DER AUSSCHLUSSGRUND DES § 8 NR. 6 VOB/A<br />
Gemäß § 8 Nr. 6 VOB/A sind Justizvollzugsanstalten, Einrichtungen der Ju-<br />
gendhilfe, Aus- und Fortbildungsstätten und ähnliche Einrichtungen sowie<br />
Betriebe der öffentlichen Hand und Verwaltungen zum Wettbewerb mit ge-<br />
werblichen Unternehmern nicht zuzulassen.<br />
a) BETRIEBE DER ÖFFENTLICHEN HAND<br />
Unklar ist, wie das Tatbestandsmerkmal „Betriebe der öffentlichen Hand“<br />
auszulegen ist. Fasst man hierunter nicht nur, wie allgemein angenommen,<br />
Regie- und Eigenbetriebe 25 , sondern auch juristische Personen des öffentli-<br />
chen Rechts und formell privatisierte juristische Unternehmen, so könnte<br />
dies de facto zu einem Ausschluss der öffentlichen Hand als Bieterin im Ver-<br />
gabeverfahren führen. 26<br />
aa) JURISTISCHE PERSONEN DES ÖFFENTLICHEN RECHTS<br />
Begründet wird ein genereller Ausschluss von juristischen Personen des öf-<br />
fentlichen Rechts zum Teil mit dem Wortlaut des § 8 Nr. 6 VOB/A. 27 <strong>Die</strong>ser<br />
spricht von „Betrieben“ der öffentlichen Hand. Der Begriff des Betriebes ist<br />
als Fachbegriff aus dem kommunalen Wirtschaftsrecht entlehnt 28 und erfasst<br />
nur Eigen- und Regiebetriebe, nicht aber juristische Personen des öffentli-<br />
chen Rechts. 29<br />
<strong>Die</strong> systematische und teleologische Auslegung zeigen, dass der Verordnungs-<br />
geber zur Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen lediglich solche Be-<br />
triebe ausschließen wollte, die primär öffentlichen Zwecken dienen und nicht<br />
erwerbswirtschaftlich tätig sind. 30 Öffentliche Unternehmen hingegen sollen<br />
konzeptionell sogar Erträge <strong>für</strong> die öffentlichen Haushalte erwirtschaften. 31<br />
Es besteht auch kein wettbewerbsrelevanter Unterschied zu privaten Konkur-<br />
renten auf Grund der Insolvenzunfähigkeit oder der besonderen Staatsnähe<br />
und -finanzierung der öffentlichen Unternehmen. 32 <strong>Die</strong> öffentliche Hand<br />
wird auf Grund ihrer Gewährträgerhaftung 33 den Betrieb einstellen, sofern er<br />
dauerhaft defizitär arbeitet. 34 Zudem können auch in privaten Konzernstruk-<br />
turen Weisungsgebundenheit und finanzielle Abhängigkeit bestehen. 35<br />
23 In der VOF fehlt eine solche Vorschrift, ein Ausschluss kann über<br />
§ 4 VOF erfolgen: Prieß/Hausmann, in: Motzke/Pietzcker/Prieß, VOB/A,<br />
§ 8, Rn. 160ff.<br />
24 OLG Celle, NZBau 2002, 400 (402).<br />
25 Prieß/Hausmann, (Fn. 23), Rn. 136.<br />
26 Zimmermann, (ZfBR. 2006), 220 (225).<br />
27 OLG Celle, NZBau 2002, 400 (402).<br />
28 Vgl. § 114 I GO NW; Zacharias, (Fn. 10), S. 260.<br />
29 Antweiler, VR 2002, 217 (218).<br />
30 Rusam, in: Heiermann/ u.a., VOB/A, § 8, Rn. 69.<br />
31 Vgl. § 109 I 2 GO NW; Antweiler, (Fn. 29), 217 (218).<br />
32 Zimmermann, (Fn. 26), 220 (221).<br />
33 Vgl. § 114a V GO NW.<br />
34 Antweiler, (Fn. 29), 217 (218).<br />
35 Vgl. grundlegend Ehricke, Das abhängige Konzernunternehmen in der<br />
Insolvenz, S. 101ff.<br />
Erwerbswirtschaftlich tätige juristische Personen des öffentlichen Rechts han-<br />
deln demnach nicht anders als private Konkurrenten und sind deshalb nicht<br />
stets, sondern nur im Einzelfall, wenn ihre Tätigkeit nicht erwerbswirtschaft-<br />
lichen Grundsätzen folgt, nach § 8 Nr. 6 VOB/A auszuschließen.<br />
bb) FORMELL PRIVATISIERTE UNTERNEHMEN<br />
Unternehmen, die auf Grund formeller Privatisierung von der öffentlichen<br />
Hand in Privatrechtsform geführt werden, sind keine „Betriebe der öffentli-<br />
chen Hand“ im Sinne von § 8 Nr. 6 VOB/A, der als Ausnahmevorschrift zu<br />
den Grundsätzen des europäischen Vergaberechts restriktiv auszulegen ist. 36<br />
<strong>Die</strong> Tatsache, dass öffentliche Unternehmen schon per definitionem einem<br />
öffentlichen Zweck und nicht allein erwerbswirtschaftlichen Zielen unterlie-<br />
gen, kann einen Ausschluss nicht rechtfertigen. 37 § 8 Nr. 6 VOB/A fordert<br />
keine ausschließliche Gewinnerzielungsabsicht <strong>für</strong> die Teilnahme am Verga-<br />
beverfahren 38 , was <strong>für</strong> den Staat auch nur unter Verstoß gegen den Grundsatz<br />
der Gemeinwohlverpflichtung möglich wäre.<br />
Formell privatisierte Unternehmen können auch nicht wie juristische Perso-<br />
nen des öffentlichen Rechts nach einer Einzelfallprüfung ausgeschlossen wer-<br />
den, weil die Gesellschaft von der öffentlichen Hand stets mit ausreichenden<br />
finanziellen Mitteln versorgt wird und ihr Insolvenzrisiko damit de facto ge-<br />
ringer ist. 39<br />
Wenn die Insolvenzunfähigkeit de <strong>iur</strong>e bei juristischen Personen des öffentli-<br />
chen Rechts keinen Ausschluss nach § 8 Nr. 6 VOB/A rechtfertigen konnte,<br />
kann dies eine einzelfallabhängige de facto Insolvenzunfähigkeit erst recht<br />
nicht. Das formell privatisierte Unternehmen steht damit privaten Konkur-<br />
renten gleich, da es im Übrigen auch denselben finanziellen Lasten unter-<br />
liegt. 40<br />
2. DER AUSSCHLUSSGRUND DES § 7 NR. 6 VOL/A<br />
In § 7 Nr. 6 VOL/A sind gegenüber dem ansonsten wortlautgleichen § 8 Nr. 6<br />
VOB/A „Betriebe der öffentlichen Hand“ und die „Verwaltung“ nicht er-<br />
wähnt.<br />
Eine trotz dessen unterschiedslose Anwendung der Vorschriften lässt sich<br />
dogmatisch im Hinblick auf die engere Regelungskonzeption des § 7 Nr. 6<br />
VOL/A 41 nicht begründen. 42<br />
Eine erweiternde Auslegung des § 7 Nr. 6 VOL/A scheidet im Hinblick auf die<br />
erheblichen Unterschiede der wirtschaftlichen Verhältnisse im Bau- und<br />
<strong>Die</strong>nstleistungssektor aus. 43<br />
Ebenso ist eine analoge Anwendung des § 8 Nr. 6 VOB/A im Rahmen des § 7<br />
Nr. 6 VOL/A mangels planwidriger Regelungslücke ausgeschlossen, da trotz<br />
Neufassungen der VOL/A die Vorschriften absichtlich nicht aneinander ange-<br />
passt wurden. 44<br />
36 Schröder, 596 (599). NZBau 2003<br />
37 So aber: Zimmermann, (Fn. 26), 220 (221f.).<br />
38 Schranner, in: Ingenstau/Korbion, VOB/A, § 8, Rn. 22.<br />
39 Prieß/Hausmann, (Fn. 23), Rn. 138; dagegen: Hertwig, NZBau 2008,<br />
355 (358).<br />
40 Willenbruch, VergabeR 2005, 256 (257).<br />
41 Zdzieblo, in: Daub / u.a., VOB/A, § 7, Rn. 74.<br />
42 VK Münster, VK 21/04, Rn. 188.<br />
43 OLG Düsseldorf, NZBau 2000, 155 (157).<br />
44 Horn, NVwZ 2001, 647.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
3. ÄHNLICHE EINRICHTUNGEN<br />
Schwerpunkte<br />
Gemäß § 8 Nr. 6 VOB/A und § 7 Nr.6 VOL/A sind auch „ähnliche Einrichtun-<br />
gen“ vom Verfahren auszuschließen, die ebenso wie die in den Vorschriften<br />
ausdrücklich genannten Einrichtungen vorwiegend sozialpolitischen Zwe-<br />
cken dienen und nicht erwerbswirtschaftlich handeln. 45<br />
<strong>Die</strong>s gilt jedoch nicht unabhängig von der Rechtsform des öffentlichen Unter-<br />
nehmens 46 , sondern nach dem Wortlaut der Vorschriften und im Vergleich<br />
mit den übrigen ausgeschlossenen Einrichtungen nur <strong>für</strong> öffentlich-rechtlich<br />
organisierte Einrichtungen. 47<br />
Ebenso kann es nicht alleine auf die sozialpolitisch motivierte Tätigkeit und<br />
die daraus folgenden steuerlichen Privilegien des Bieters ankommen. Das Er-<br />
fordernis einer konkreten Wettbewerbsverzerrung ist nicht verzichtbar. 48 Ei-<br />
nen Bieter auch dann auszuschließen, wenn der Wettbewerb gar nicht gefähr-<br />
det ist, verstößt gegen den Wettbewerbsgrundsatzes des § 97 I GWB. 49 Steuer-<br />
liche Privilegierung alleine kann ebenfalls nicht als Kriterium <strong>für</strong> einen<br />
Ausschluss herangezogen werden. Es wäre vielmehr widersprüchlich, Ein-<br />
richtungen steuerlich zu privilegieren, sie aber zugleich durch einen Aus-<br />
schluss vom Wettbewerb an einer Betätigung entsprechend dem Zweck der<br />
Privilegierung zu hindern. 50 Deshalb ist, wie schon zuvor, darauf abzustellen,<br />
ob durch die sozialpolitisch motivierte Tätigkeit der „ähnlichen Einrichtung“<br />
Nebenprodukte auf nichtgewerblichem und damit wettbewerbsverzerrendem<br />
Weg entstehen. 51<br />
II. RECHTSWIDRIGE WIRTSCHAFTLICHE BETÄTIGUNG DER<br />
ÖFFENTLICHEN HAND<br />
Nachdem nunmehr geklärt ist, dass die öffentliche Hand nicht per se als<br />
Bieterin durch die Vergabeseite ausgeschlossen werden kann, sollen im Fol-<br />
genden Ausschlussgründe bei rechtswidriger wirtschaftlicher Betätigung der<br />
öffentlichen Hand betrachtet werden.<br />
1. DER AUSSCHLUSS WEGEN WETTBEWERBSBESCHRÄNKEN-<br />
DEN VERHALTENS<br />
Gemäß den Verdingungsordnungen 52 können Bieter ausgeschlossen werden,<br />
die einen vergaberechtlichen Wettbewerbsverstoß begehen.<br />
<strong>Die</strong>s ist dann unproblematisch möglich, wenn die öffentliche Hand wie ein<br />
Privater einen Wettbewerbsverstoß im Markt begeht. 53 <strong>Die</strong> Frage hier ist hin-<br />
gegen, ob ein öffentlicher Bieter einen Wettbewerbsverstoß begeht, wenn er<br />
die rechtlichen Zulässigkeitsgrenzen der wirtschaftlichen Betätigung über-<br />
schreitet.<br />
So kann nach Ansicht des OLG Düsseldorf ein Verstoß gegen die Vorschrift<br />
§ 107 GO NW einen Ausschluss des öffentlichen Bieters rechtfertigen. 54<br />
<strong>Die</strong>ser Rechtsprechung könnten jedoch zwei Entscheidungen des BGH entge-<br />
genstehen 55 , in denen ausdrücklich festgestellt wird, dass die Vorschrift des<br />
45 Kullack/Zeiss, (Fn. 30), Rn. 121.<br />
46 So aber: Nielandt, VergabeR 2004, 457 (459f.).<br />
47 So auch: Hardraht, Vergabe R 2005, 530 (531).<br />
48 So aber: OLG Düsseldorf, VergabeR 2004, 379 (380).<br />
49 Hübner/Schliesky, (Fn. 22), 380 (381).<br />
50 Nielandt, VergabeR 2004, 457 (459f.).<br />
51 Hardraht, (Fn. 48), 530 (531).<br />
52 § 25 Nr. 1 II b) i.V.m. §§ 7 Nr. 5 c), 2 Nr. 1 II VOL/A, bzw. § 25 II i.V.m.<br />
§§ 8 Nr. 5 c), 2 Nr. 1 VOB/A und § 11 IV c) i.V.m. § 4 I VOF.<br />
53 Antweiler, (Fn. 3), 259 (265).<br />
54 OLG Düsseldorf, NZBau 2000, 155.<br />
55 BGH NJW 2003, 586.<br />
155
156<br />
Schwerpunkte<br />
§ 107 GO NW nicht die Lauterkeit des Wettbewerbs im Sinne von § 1 UWG<br />
a.F. 56 schützt.<br />
Das Festhalten des OLG Düsseldorf an seiner Rechtsprechung 57 ist nur auf<br />
Grundlage eines eigenen vergaberechtlichen Wettbewerbsbegriffs möglich. 58<br />
Ansonsten hätte das OLG nicht entscheiden dürfen, sondern die Sache gemäß<br />
§ 124 II 1 GWB dem BGH zur Entscheidung vorlegen müssen. 59<br />
Beim vergaberechtlichen Wettbewerbsbegriff handelt es sich um einen Begriff<br />
des europäischen Vergaberechts, der ein eigenes, vom UWG unabhängiges,<br />
Prinzip statuiert. 60<br />
Zudem besteht im Vergabeverfahren bereits eine konkrete Konkurrenzsitua-<br />
tion im Bieterwettbewerb, so dass die Verhinderung von Popularklagen, die<br />
Zweck der engen Auslegung des Wettbewerbsbegriffs im UWG ist, nicht not-<br />
wendig ist. 61 Im Rahmen des Vergaberechts reicht deshalb bereits ein Verstoß<br />
gegen eine Norm aus, die auch den privaten Konkurrenten schützt. 62 <strong>Die</strong>s<br />
trifft auf § 107 GO NW zu, nicht aber auf das im Übrigen einschlägige Haus-<br />
haltsrecht als reines Innenrecht der Verwaltung. 63<br />
Dennoch kann eine Verletzung kommunalen Wirtschaftsrechts in keinem<br />
Fall einen vergaberechtlichen Wettbewerbsverstoß darstellen. 64 <strong>Die</strong>s würde<br />
nämlich eine entsprechende Prüfungskompetenz der Vergabestelle vorausset-<br />
zen. 65 <strong>Die</strong> verfassungsrechtlich anerkannte rechtsstaatliche Zuständigkeits-<br />
ordnung weist aber die Prüfungskompetenz in Anlehnung an die Sachkom-<br />
petenz zu. 66 Demnach läge die nationale Prüfungskompetenz bei der kommu-<br />
nalen Rechtsaufsicht 67 und den Verwaltungsgerichten. 68 Gerade bei europa-<br />
weiten Vergabeverfahren hätte die Vergabestelle ansonsten auch ausländisches<br />
Kommunalrecht zu prüfen. 69<br />
Aus einer rechtswidrigen wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand<br />
kann sich ein Ausschluss wegen vergaberechtlich wettbewerbswidrigen Ver-<br />
haltens damit schon mangels Prüfungskompetenz der Vergabestelle nicht er-<br />
geben.<br />
2. DER AUSSCHLUSS WEGEN UNZUVERLÄSSIGKEIT<br />
Nach den Verdingungsordnungen 70 sind zudem unzuverlässige Bieter auszu-<br />
schließen.<br />
Schon auf Grund seiner Entsprechung in Art. 48 V der Richtlinie 71 ist der<br />
Begriff der Zuverlässigkeit gemeinschaftsrechtlich und nicht in Anlehnung an<br />
§ 35 GewO 72 auszulegen. 73 Unzuverlässig ist, wer durch sein vergangenes oder<br />
56 § 3 UWG n.F.<br />
57 Zuletzt: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.03.2006, Verg 77/05<br />
58 Glahs/Külpmann, (Fn. 10), 555 (563ff.).<br />
59 Glahs/Külpmann, (Fn. 10), 555 (563).<br />
60 Vgl. nur die Begründung zu RL 2004-18-EG, Rn. 2, Abl. EG Nr. L<br />
134/114.<br />
61 Glahs/Külpmann, (Fn. 10), 555 (563).<br />
62 OLG Düsseldorf, NZBau 2002, 626 (630f.).<br />
63 OVG Münster, NZBau 2005, 167.<br />
64 Antweiler, (Fn. 3), 259 (267).<br />
65 Burgi, (NZBau 2003), 539 (544).<br />
66 Burgi, (Fn. 66), 539 (544) m.w.N.<br />
67 Z.B. §§ 119ff. GO NW.<br />
68 So: Horn, (Fn. 45), 647.<br />
69 Burgi, (Fn. 66), 539 (544); dagegen Hertwig (Fn. 40), 355 (358).<br />
70 § 25 Nr. 2 I VOL/A und VOB/A, § 13 I VOF i.V.m. § 2 Nr. 1 VOB/A,<br />
bzw. § 2 Nr. 3 VOL/A und § 97 IV GWB.<br />
71 RL 2004/18/EG v. 31.03.2004, Abl. EG Nr. L 134/144.<br />
72 So aber: Glahs, in: Kapellmann/Messerschmidt , VOB/A, § 2, Rn. 13f.<br />
73 Zeiss, NZBau 2003,475.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
gegenwärtiges Verhalten nicht die Gewähr da<strong>für</strong> bietet, den Auftrag aus-<br />
schreibungsgemäß auszuführen. 74<br />
<strong>Die</strong> bloße Geltendmachung des Verstoßes gegen kommunales Wirtschafts-<br />
recht durch einen Konkurrenten und die daraus folgende potentielle Inter-<br />
vention der Kommunalaufsicht reichen hierzu nicht aus. 75 Andernfalls könn-<br />
ten Konkurrenten allein durch die Behauptung eines Rechtsverstoßes einen<br />
Ausschluss der öffentlichen Hand erreichen.<br />
Schon die Regelungen der Verdingungsordnungen selbst zeigen, dass die Zu-<br />
verlässigkeit nur bei besonders schweren Rechtsverstößen verneint werden<br />
kann. 76<br />
Zusätzlich müsste die Vergabestelle also noch die „Schwere“ eines Verstoßes<br />
prüfen, um hieraus Maßnahmen der Rechtsaufsicht oder der Verwaltungsge-<br />
richte prognostizieren zu können. 77 Wenn aber schon hinsichtlich der Vor-<br />
schriften des kommunalen Wirtschaftsrechts keine Prüfungskompetenz der<br />
Vergabestelle besteht, kann dies in Bezug auf Reaktionen von Aufsichtsbehör-<br />
den und Gerichten in 27 EG-Mitgliedsstaaten erst recht nicht gelten. Ein Ver-<br />
stoß gegen kommunales Wirtschaftrecht führt damit nicht zu einem Aus-<br />
schluss der öffentlichen Hand als Bieterin. 78<br />
D. FAZIT<br />
1. <strong>Die</strong> wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand ist gemeinschafts-<br />
rechtlich vorgesehen und durch das wirtschaftspolitisch neutrale Grundge-<br />
setz nicht ausgeschlossen. Grundrechtsschutz greift bei gemeinschaftsrechts-<br />
konformer Auslegung nur bei qualifizierten Verstößen ein. Einfachrechtlich<br />
setzen das Haushaltsrecht des Bundes und der Länder sowie die Vorschriften<br />
des Kommunalwirtschaftsrechts den Rahmen der wirtschaftlichen Betäti-<br />
gung der öffentlichen Hand.<br />
2. Allein auf Grund der Rechtsform sind gemäß § 8 Nr. 6 VOB/A nur Eigen-<br />
und Regiebetriebe vom Vergabeverfahren ausgeschlossen sowie juristische<br />
Personen des öffentlichen Rechts auszuschließen, wenn sie nicht erwerbswirt-<br />
schaftlich handeln.<br />
3. Vom Vergabeverfahren auszuschließende ähnliche Einrichtungen im Sinne<br />
von § 8 Nr. 6 VOB/A, § 7 Nr. 6 VOL/A sind nur öffentlich-rechtlich organi-<br />
sierte Einrichtungen, die im Einzelfall nicht erwerbswirtschaftlich handeln<br />
und dadurch den Wettbewerb verzerren. Unternehmen in privater Rechts-<br />
form sind von den Vorschriften nicht erfasst.<br />
4. Ein Ausschluss wegen vergaberechtlich wettbewerbswidrigen Verhaltens<br />
oder Unzuverlässigkeit kann sich schon mangels Prüfungskompetenz der<br />
Vergabestelle nicht aus einer rechtswidrigen wirtschaftlichen Betätigung der<br />
öffentlichen Hand ergeben.<br />
74 Zeiss, (Fn. 74), 475 (479).<br />
75 Schmidt-Wottrich/Harms, Vergabe R 2004, 691 (699).<br />
76 Vgl. § 8 Nr. 5 VOB/A; Glahs, (Fn. 73), Rn. 14.<br />
77 Schmidt-Wottrich/Harms, (Fn. 76), 691 (699).<br />
78 So im Ergebnis auch: Glahs, (Fn. 73), Rn. 17.<br />
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27. August diesen Jahres statt. <strong>Die</strong>ses Jahr sind mehr als 5000 Läu-<br />
fer aus mehr als 250 Unternehmen aus Duisburg und Umgebung<br />
angetreten, um die Strecke von 5,5 km zu bewältigen. Start und Ziel der Ver-<br />
anstaltung war das Theater, das sich im Herzen Duisburgs befindet.<br />
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ferinnen und Läufern der Unternehmen, Geld <strong>für</strong> den guten Zweck zu sam-<br />
meln. Durch die Teilnahme an dem von einem vielfältigen Programm einge-<br />
rahmten Lauf wurden lokale Projekte unterstützt.<br />
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fassungsgericht in Karlsruhe. Wer sich schon immer mal gefragt hat,<br />
wie das Bundesverfassungsgericht überhaupt arbeitet und welche Menschen<br />
hinter den Urteilen stehen, der sollte einmal versuchen, an einer Urteilsver-<br />
kündung des Bundesverfassungsgerichts teilzunehmen. Aber wie geht das?<br />
Ganz einfach den Newsletter des Bundesverfassungsgerichts unter www.bun-<br />
desverfassungsgericht.de abonnieren. <strong>Die</strong>ser enthält regelmäßig Hinweise auf<br />
mündliche Verhandlungen und Urteilsverkündungen des Gerichts und wie<br />
man sich <strong>für</strong> eine Teilnahme anmeldet.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Iurratio</strong>-Chefredaktion hatte vor einigen Monaten die Möglichkeit auf<br />
der Pressetribüne direkt im Sitzungssaal Platz zu nehmen, als unter Vorsitz<br />
des Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Andreas Voß-<br />
Ein Besuch beim Bundesverfassungsgericht<br />
2. Gesprächskreis Wirtschaftskriminalität großer Erfolg<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
kuhle das Urteil in Sachen „Vertrag von Lissabon“ verkündet wurde. Abgese-<br />
hen von der ohnehin schon interessanten Erfahrung der Urteilsverkündung,<br />
war es auch sehr interessant Vertreter aus Wissenschaft und Politik und die<br />
Verfahrensbeteiligten kennenzulernen. So waren u.a. auch Gregor Gysi, Frank-<br />
Walter Steinmeier, Volker Kauder und andere prominente Vertreter aus der<br />
Bundespolitik vertreten.<br />
Nach der Urteilsverkündung brach dann der Presserummel rund um alle Ver-<br />
fahrensbeteiligten im und rund um den Sitzungssaal aus, was zur Folge hatte,<br />
dass die <strong>Iurratio</strong>-Chefredaktion zwischenzeitig unfreiwillig zwischen Perso-<br />
nenschützern, Staatssekretären und Frank-Walter Steinmeier eingekeilt war<br />
und sich am Abend dann in der Tagesschau wiederentdecken musste.<br />
All‘ das lässt sich auch im Rahmen anderer wichtiger Urteilsverkündungen<br />
bei einem Besuch des Bundesverfassungsgerichts erleben.<br />
Schon zum zweiten Mal haben „Convent Kongresse“, die IHK Frankfurt und PriceWaterhouseCoopers gemeinsam den Gesprächskreis Wirt-schaftskri-<br />
minalität in der „Wirtschafts- und Finanzhauptstadt“ Frankfurt veranstaltet. Experten aus Unternehmen, Wissenschaft, Journalismus und Vertreter<br />
diskutierten dieses Jahr über aktuelle Punkte rund um das Thema Wirtschaftskriminalität. Nach einem Impulsreferat durch Bundesjustizministerin a.D.<br />
Brigitte Zypries befasste sich eine Gesprächsrunde mit aktuellen Erfahrungen<br />
aus Sicht des Gesetzgebers. Im Anschluss folgten Gesprächsrunden mit den<br />
Themen „Vorbeugen ist besser als Heilen: Haftungsvermeidung durch Gut-<br />
achten – Rettungsanker <strong>für</strong> Vorstände und Geschäftsführer“ und „Feigenblatt<br />
Compliance? Oder gibt es einen Wettbewerbsvorteil durch verantwortliche<br />
Unternehmensführung?. Teilnehmer aus Unternehmen, Wissenschaft, Öf-<br />
fentlichen Unternehmen, Verwaltung und aus Banken- und Investorenkrei-<br />
sen lobten im Nachhinein insbesondere die hochkarätige Besetzung der Ge-<br />
sprächsrunden, die interessanten Vorträge und die unmittelbare Einbindung<br />
des Auditoriums in die Diskussionen.<br />
40-Jahre Fakultät <strong>für</strong> Rechtswissenschaft<br />
an der Universität Bielefeld<br />
Vierzig Jahre Universität Bielefeld – Anlässlich dieses bedeutsamen<br />
Jubiläums feierte die Fakultät <strong>für</strong> Rechtswissenschaft als eine der<br />
drei Gründungsfakultäten ihr vierzigjähriges Bestehen, zu dem alle<br />
aktuellen und ehemaligen Studenten, Professoren, Praktiker und Freunde der<br />
Fakultät eingeladen waren.<br />
Nach einer Begrüßung der Gäste lud die Dekanin der Fakultät <strong>für</strong> Rechtswis-<br />
senschaft Frau Prof. Dr. Regina Harzer die Gäste zu einem Rückblick auf die<br />
Geschichte der Fakultät ein. Dabei stellte sie insbesondere die Vernetzung mit<br />
anderen Fakultäten, die eingliedrige Juristenausbildung sowie die Gründung<br />
des Zentrums <strong>für</strong> interdisziplinäre Forschung (ZiF) heraus.<br />
Anschließend hob der neue Rektor der Universität Bielefeld Prof. Dr. Gerhard<br />
Sagerer die Bedeutung der Fakultät <strong>für</strong> Rechtswissenschaft <strong>für</strong> die Geschichte<br />
der Universität Bielefeld hervor. So wurde insbesondere daran erinnert, dass<br />
der Lehrbetrieb an der hoch innovativen Universität Bielefeld mit einer Vor-<br />
lesung der altehrwürdigen „<strong>iur</strong>is prudentia“ aufgenommen worden war.<br />
Daran anknüpfend begeisterte der Gründungsdekan der Fakultät Prof. Dr.<br />
Dres h.c. Jochen Abr. Frowein, M.C.L. die Gäste mit seinem Festvortrag über<br />
die Entwicklung des Europäischen Menschenrechtsschutzes zwischen 1964<br />
und 2009.<br />
Im Folgenden wurden drei Ehrendoktorwürden an ehemalige Professoren der<br />
Fakultät verliehen, die sich insbesondere durch ihren langjährigen Einsatz an<br />
der Fakultät und die „<strong>iur</strong>is prudentia“ insgesamt ausgezeichnet hatten.<br />
Im Rahmen der feierlichen Verleihung der Ehrendoktorwürden wurde zu-<br />
nächst Prof. Dr. Dr.h.c. Ernst-Joachim Mestmäcker nach einer Laudatio von<br />
Prof. Dr. Wolfgang Oehler geehrt und die Ehrendoktorwürde überreicht.<br />
Anschließend erhielt Prof. Dr. Dr. h.c. Harm Peter Westermann nach einer<br />
Laudatio von Prof. Dr. Detlef Kleindiek die Ehrendoktorwürde. Dabei wurde<br />
an seinen großen Einsatz <strong>für</strong> das ZiF und die Fakultät erinnert und auf seine<br />
Verbundenheit mit der Stadt Bielefeld hingewiesen.<br />
Abschließend wurde Prof. Dr. Dr. h.c. Mult. Werner Maihöfer posthum, ins-<br />
besondere <strong>für</strong> sein Mitwirken beim ZiF mit der Ehrendoktorwürde ausge-<br />
zeichnet, die seine Tochter stellvertretend entgegen nahm, nachdem Prof. Dr.<br />
© IHK Frankfurt am Main/Goetzke V. l. n. r.: Prof. Dr. Wolfgang Schild / <strong>stud</strong>. <strong>iur</strong>. Shari Schuldheis<br />
Weitere interessante Berichte finden Sie auf unserer Homepage<br />
www.<strong>iur</strong>ratio.de<br />
Querflöte: Meike Korfmacher / Cello: Joanna Biernat-Heine V. l. n. r.: Prof. Dr. Wolfgang Oehler / Prof. Dr. Ernst-Joachim<br />
Mestmäcker / Prof. Dr. Gerhard Sprenger /Prof.in Dr. Regina Harzer<br />
(Dekanin ReWi) / Tochter Prof. Dr. Werner Maihöfer /<br />
Prof. Dr. Peter Westermann / Prof. Dr. Detlef Kleindiek /<br />
© Fotos auf dieser Seite: Fakultät <strong>für</strong> Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld<br />
Prof. Dr. Dres. h.c. Jochen Abr. Frowein, M.C.L.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
Professor Dr. Gerhard Sagerer (Rektor Uni Bielefeld)<br />
Gerhard Sprenger dem Leben Prof. Maihöfers, seiner Wandlungsbereitschaft,<br />
der Bedeutung seiner Werke <strong>für</strong> die Rechtsphilosophie, sowie seines immer<br />
in die Zukunft gerichteten Wirkens gedacht hatte.<br />
Beim anschließenden Empfang konnten Ehrengäste, Studierende, Lehrende<br />
und Praktiker wie sooft ohne Berührungsängste miteinander diskutierten.<br />
Gekrönt wurde der Abend durch einen knapp zweieinhalb stündigen Auftritt<br />
der Jura-Band der Fakultät, welche vor knapp zehn Jahren von Prof. Dr. Wolf-<br />
gang Schild gegründet wurde und sich aus aktuellen und ehemaligen Studie-<br />
renden sowie Professoren zusammen setzt. Hits von den Ärzten, Oasis,<br />
Westernhagen, Red Hot Chilli Peppers oder Survivour begeisterten die Gäste<br />
und machten die ohnehin gelungene Feier zu einem unvergesslichen Abend<br />
<strong>für</strong> alle Besucher.<br />
159
160<br />
Fallbearbeitung<br />
Anfänger im Strafrecht: „<strong>Die</strong> Verhinderung des Weltuntergangs“<br />
von Dr. Georgios Sotiriadis (Universität Bremen)<br />
SACHVERHALT<br />
Sotiriadis, Jahrgang 1979, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
am Lehrstuhl <strong>für</strong> Strafrecht einschließlich Grundlagen und<br />
Nebengebiete (Prof. Dr. Felix Herzog, Bremen). Sotiriadis<br />
<strong>stud</strong>ierte an der Aristoteles Universität zu Thessaloniki und<br />
an der Humboldt Universität zu Berlin. Es folgte ein Masterstu-<br />
dium (LL.M.) an der Freien Universität Berlin. Sotiriadis promo-<br />
vierte im Strafrecht an der Humboldt Universität zu Berlin.<br />
B ist Anführer einer „Weltuntergangssekte“. In der Nacht zum 21. Juni er-<br />
scheint ihm Gott im Traum und befiehlt, dass die jüngste Mutter der Ge-<br />
meinde getötet werden muss, um den Weltuntergang in der kommenden<br />
Nacht abzuwenden. Er weist deswegen das Gemeindemitglied M, den Ehe-<br />
mann der jüngsten Mutter der Gemeinde, an, seine Frau gleich nach dem Ein-<br />
schlafen mit dem Kissen zu ersticken und weiht den M ein, dass ansonsten<br />
der Weltuntergang drohe.<br />
Nach den Aussagen eines psychiatrischen Sachverständigen ist davon auszu-<br />
gehen, dass B tief davon überzeugt ist, dass Gott zu ihm gesprochen hat, und<br />
dass der M ein treu ergebenes Gemeindemitglied ist, das keinerlei Zweifel an<br />
der Wahrheit der Weissagungen des B hat.<br />
Um den Weltuntergang abzuwenden, tötet M am 21. Juni kurz nach 22 Uhr<br />
seine schlafende, nichts ahnende Frau, indem er ihr ein Kissen auf das Gesicht<br />
drückt.<br />
STRAFBARKEIT VON B UND M?<br />
Ausführungen zur Schuldfähigkeit i.S. des § 20 StGB sind nicht zu machen!<br />
Schwerpunkte/Problemstellung:<br />
Mordmerkmal der Heimtücke, Irrtümer, mittelbare Täterschaft<br />
A. STRAFBARKEIT DES M NACH §§ 211, 212 I<br />
M könnte sich des Mordes nach §§ 211, 212 I strafbar gemacht haben, indem<br />
er seine schlafende Frau mit einem Kissen erstickte.<br />
Dazu müsste er den Tatbestand vorsätzlich verwirklicht sowie rechtswidrig<br />
und schuldhaft gehandelt haben.<br />
I. TATBESTAND<br />
1. OBJEKTIVER TATBESTAND<br />
A. GRUNDTATBESTAND DES § 212 I<br />
Zunächst müsste der M einen anderen Menschen getötet haben. M hat seine<br />
Frau mit einem Kissen erstickt. <strong>Die</strong>se Handlung bewirkt den Tod als irrever-<br />
sibles Erlöschen der Hirntätigkeit. Somit ist die Handlung des M auch kausal<br />
<strong>für</strong> den Tod seiner Frau und dieser ihm objektiv zurechenbar.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
B. QUALIFIKATION DES § 211<br />
Zudem könnte der M ein Mordmerkmal verwirklicht haben. In Betracht<br />
kommt an dieser Stelle das Merkmal „heimtückisch“ aus der 2. Gruppe der<br />
Mordmerkmale, die sich durch die besondere Verwerflichkeit ihrer Bege-<br />
hungsweise auszeichnen.<br />
<strong>Die</strong>ses Mordmerkmal ist dadurch gekennzeichnet, dass der Täter dem Opfer<br />
in besonders niederträchtiger Weise seinen Schutz und seine Chance raubt,<br />
den Angriff auf sein Leben erfolgreich abzuwehren. Da die Bejahung eines<br />
Mordmerkmals eine besonders schwere Folge hat (lebenslange Freiheits-<br />
strafe), ist dabei besondere Vorsicht, das heißt eine restriktive Auslegung, ge-<br />
boten. Aus diesem Grund sind die Anforderungen im Einzelnen umstritten.<br />
Ausgangspunkt <strong>für</strong> die Prüfung ist jedoch das Verständnis von Heimtücke als<br />
das bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers 1 . Arglos ist<br />
dabei, wer sich zum Zeitpunkt der Tat keines tätlichen Angriffs auf seine kör-<br />
perliche Unversehrtheit oder sein Leben versieht 2 . <strong>Die</strong> Ehefrau schläft, als der<br />
M sie erstickt. Bei Schlafenden stellt sich jedoch die Frage, ob diese überhaupt<br />
arglos bzw. zum Argwohn fähig sein können. Der BGH stellt hier darauf ab,<br />
ob das Opfer seine Arglosigkeit „mit in den Schlaf genommen“ hat. <strong>Die</strong> Fä-<br />
higkeit zum Argwohn sei somit zu verneinen bei Personen, die vom Schlaf<br />
übermannt wurden 3 . Im Sachverhalt finden sich keine Hinweise da<strong>für</strong>, dass<br />
die Ehefrau von dem Vorhaben ihres Mannes wusste, so dass davon ausgegan-<br />
gen werden kann, dass sie sich ahnungslos schlafen gelegt hat. Demnach ist<br />
sie als arglos zu beurteilen.<br />
Weiterhin müsste sie auch wehrlos, also aufgrund ihrer Arglosigkeit in ihrer<br />
Verteidigungsbereitschaft und –fähigkeit eingeschränkt sein 4 . Infolgedessen<br />
dass die Ehefrau schläft, besitzt sie keinerlei Möglichkeit, sich zu verteidigen.<br />
Ihre Abwehrbereitschaft während des Schlafs ist nicht nur erheblich, sondern<br />
gänzlich verhindert. Folglich ist sie auch wehrlos. Das Mordmerkmal<br />
der Heimtücke erfordert weiter ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehr-<br />
losigkeit des Opfers in tückisch-verschlagener Weise. Ein solches liegt vor,<br />
wenn der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit nicht nur äußerlich wahrgenom-<br />
men, sondern sich die zugrunde liegenden Umstände <strong>für</strong> seine Tatbegehung<br />
gerade zu Nutze gemacht hat 5 . M ist sich im Klaren darüber, dass seine schla-<br />
fende Frau sich nicht wehren kann, und hat diese Situation, auf Anweisung<br />
des B, bewusst gewählt, um seinen „Auftrag“ durchzuführen. Ein bewusstes<br />
Ausnutzen ist also gegeben. (Anm.: <strong>Die</strong> subjektive Seite von diesem Merkmal<br />
kann alternativ auch erst im subjektiven Tatbestand geprüft werden)<br />
Zur Einschränkung des weiten Anwendungsbereichs dieses Mordmerkmals<br />
und zur besseren Erfassung des Elements der „Tücke“, die durch eine derar-<br />
1 Wessels/Hettinger, Strafrecht BT/1, Rn. 107; weitere Nachweise und aktuelle<br />
Rechtssprechung bei Geppert, Jura 07, 270.<br />
2 Vgl. BGHSt 28, 210; BGH NJW 06, 1008, 1010.<br />
3 Vgl. BGHSt 23, 119, 121; BGH NStZ 07, 523, 524; Fischer, StGB, § 211<br />
Rn. 20.<br />
4 Wessels/Hettinger, Strafrecht BT/1, Rn. 112.<br />
5 Wessels/Hettinger, Strafrecht BT/1, Rn. 115.<br />
tige Mordhandlung besonders zum Ausdruck kommt, verlangt eine Meinung<br />
in der Literatur, neben der oben erläuterten Formel ein Handeln in feindlicher<br />
Willensrichtung, um darüber Mitleidstötungen zum vermeintlich Besten des<br />
Opfers auszuschließen 6 . <strong>Die</strong>ser Fall ist hier jedoch nicht einschlägig.<br />
Schließlich verlangt die h.L. einschränkend einen besonders verwerflichen<br />
Vertrauensbruch, womit jedoch zum Beispiel der klassische Meuchelmord<br />
aus dem Anwendungsbereich fallen würde 7 . In Anbetracht dessen, dass vor-<br />
liegend das Opfer die Ehefrau des Täters ist und daher ein Vertrauensverhält-<br />
nis besteht, welches der M ausnutzt, kann der Streit jedoch offen bleiben. Das<br />
Drücken des Kissens während des Schlafs vom eigenen Ehemann und zwar<br />
ohne jeglichen, <strong>für</strong> die Frau erkennbaren Grund, stellt auf jeden Fall einen be-<br />
sonders verwerflichen Vertrauensbruch dar. Das Merkmal der Heimtücke<br />
kann daher bejaht werden. Weitere objektive Mordmerkmale sind nicht er-<br />
sichtlich.<br />
2. SUBJEKTIVER TATBESTAND<br />
In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz, also das Wissen und Wollen der Tatbe-<br />
standsverwirklichung, in Bezug auf die Tötung ebenso wie in Bezug auf das<br />
objektive Mordmerkmal der Heimtücke erforderlich.<br />
A. GRUNDTATBESTAND DES § 212 I<br />
M will seine Frau töten, um den Weltuntergang abzuwenden. Er handelte<br />
diesbezüglich also mit zielgerichtetem Erfolgswillen, dolus directus I. Grades.<br />
B. QUALIFIKATION DES § 211<br />
Dass er seine Frau im Schlaf mit dem Kissen erstickte, entsprach dem Tatplan,<br />
so dass die heimtückische Begehungsweise ebenfalls vom Vorsatz in Form des<br />
dolus directus I. Grades umfasst ist.<br />
Für subjektive Mordmerkmale liegen indes keine Anhaltspunkte vor. Insbe-<br />
sondere kann in Anbetracht der Motivation des M, den Weltuntergang zu<br />
verhindern, nicht von niedrigen Beweggründen, die sittlich auf tiefster Stufe<br />
stehen, gesprochen werden.<br />
II. RECHTSWIDRIGKEIT<br />
Weiterhin müsste die Tat des M rechtswidrig sein. Fraglich ist, ob der M, vor<br />
dem Hintergrund, dass er die Welt retten wollte, gerechtfertigt ist.<br />
Für eine Rechtfertigung nach § 32 fehlt es jedoch bereits an einem Angriff sei-<br />
tens der Ehefrau, so dass das Verhalten des M hier weder als Notwehr noch als<br />
Nothilfe ausgelegt werden kann.<br />
Mangels eines tatsächlich bevorstehenden Weltuntergangs liegt auch keine<br />
notstandsbegründende Gefahr nach § 34 vor. Vielmehr irrt der M gerade über<br />
die sachlichen Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes. Folglich wäre<br />
dieser als (Erlaubnis)Tatbestandsirrtum nach § 16 I (analog) zu behandeln,<br />
wenn die Umstände, über die der M irrt, im Fall ihres Vorliegens, zu seiner<br />
Rechtfertigung führen würden 8 . Stünde aber in der Tat ein Weltuntergang be-<br />
vor, käme es im Rahmen von § 34 bei der Verhältnismäßigkeit zu der Abwä-<br />
gung „Leben gegen Leben“. <strong>Die</strong>se ist jedoch unzulässig, so dass § 34 an dieser<br />
Stelle scheitern würde. Aber auch in dieser Hinsicht unterliegt der M einem<br />
6 So etwa Hassemer JuS 71, 626, 630; s. auch Fischer, StGB, § 211 Rn. 21;<br />
Otto Grundkurs Strafrecht Rn. 18.<br />
7 Schönke/Schröder/Eser § 211 Rn. 26 mwN.<br />
8 Heinrich, Strafrecht-AT II, Rn. 1123.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
Fallbearbeitung<br />
Irrtum. Er glaubt nicht nur fälschlicherweise an das Eintreten des Weltunter-<br />
gangs, sondern auch daran, dass der Tod der gesamten Menschheit, die Tö-<br />
tung seiner Ehefrau rechtfertigen würde. Hierbei handelt es sich um einen<br />
Irrtum auf der Wertungsebene. <strong>Die</strong> vorliegende Konstellation des sog. Dop-<br />
pelirrtums wird im Ergebnis als Verbotsirrtum nach § 17 behandelt und ist<br />
daher in der Schuld zu prüfen 9 .<br />
Möglich ist auch die Bejahung eines Verbotsirrtums. Ein solcher (direkter<br />
Verbotsirrtum) liegt vor, wenn der Täter die seine Tat betreffende Verbots-<br />
norm nicht kennt, sie <strong>für</strong> ungültig hält oder infolge unrichtiger Auslegung zu<br />
Fehlvorstellungen über ihren Geltungsbereich gelangt und aus diesem Grund<br />
sein Verhalten als rechtlich zulässig ansieht 10 . Aus dem Sachverhalt ergeben<br />
sich allerdings keine Anhaltspunkte <strong>für</strong> das Vorliegen eines solchen Verbots-<br />
irrtums. M scheint sich des Unrechts seiner Tat bewusst zu sein. Der M hat<br />
die faktische Lage (bezüglich des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale) rich-<br />
tig eingeschätzt. Er wusste, dass durch seine Handlung seine Frau sterben<br />
würde und wollte auch dieses Ergebnis. Er agiert lediglich, „um den Weltun-<br />
tergang abzuwenden“, er nimmt also irrig an, dass seine Handlung von einem<br />
Rechtfertigungsgrund gedeckt wäre, er irrt sich also hinsichtlich der rechtli-<br />
chen Bewertung der Umstände, die sein Verhalten rechtfertigen ließen. Somit<br />
handelt es sich dabei um einen indirekten Verbotsirrtum bzw. um einen Er-<br />
laubnisirrtum. Dessen Rechtsfolgen sind identisch mit denen des direkten<br />
Verbotsirrtums (§ 17) und auch auf der Ebene der Schuld zu prüfen.<br />
Somit hat M rechtswidrig gehandelt.<br />
III. SCHULD<br />
Schließlich müsste die Tat des M schuldhaft sein.<br />
Wie bereits festgestellt könnte die Schuld des M jedoch aufgrund eines Ver-<br />
botsirrtums gemäß § 17 ausgeschlossen sein. Danach entfällt die Schuld,<br />
wenn der Irrtum vermeidbar war. Entscheidend ist, ob dem Täter sein Vorha-<br />
ben unter Berücksichtigung seiner sozialen Stellung, seiner individuellen Fä-<br />
higkeiten und Kenntnisse hätte Anlass geben müssen, über dessen mögliche<br />
Rechtswidrigkeit nachzudenken oder sich zu erkundigen und er auf diesem<br />
Wege zur Unrechtseinsicht gekommen wäre 11 . Laut Sachverhalt handelte M<br />
als treu ergebenes Mitglied einer „Weltuntergangssekte“ auf Anweisung des<br />
Anführers B. Allein das Handeln auf Anweisung entbindet jedoch noch nicht<br />
von einer eigenen Gewissensanspannung. <strong>Die</strong> Tat des M entsprach den Vor-<br />
stellungen einer Glaubensgemeinschaft, es liegen jedoch keine Anhaltspunkte<br />
da<strong>für</strong> vor, dass <strong>für</strong> ihn keine Zweifel auftauchten, die ihm Grund geboten hät-<br />
ten, sein Verhalten in Frage zu stellen. Erkundigungen, zumindest innerhalb<br />
der Gemeinde, hätten allerdings kein anderes Ergebnis hervorgebracht. Inso-<br />
fern besteht ein Unterschied zu dem vom BGH entschiedenen „Katzenkönig-<br />
Fall“, in dem der Täter sich lediglich in einem „neurotischen Beziehungsge-<br />
flecht“ befand, welches keine Unvermeidbarkeit seines Irrtums begründete,<br />
da der Täter Polizist war und es ihm nach Ansicht des Gerichts zumutbar ge-<br />
wesen wäre, eine Vertrauensperson zu fragen 12 . Zudem ist insbesondere das<br />
psychiatrische Sachverständigengutachten zu berücksichtigen, wonach der M<br />
keinerlei Zweifel an seinem Auftrag hegte.<br />
9 Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 485; Heinrich, Strafrecht-AT II, Rn.<br />
1148.<br />
10 Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 461.<br />
11 Fischer, StGB § 17 Rn. 7; vgl. auch BGHSt 21, 18 ff.<br />
12 Vgl. BGHSt 35, 347 ff.<br />
161
162<br />
Fallbearbeitung<br />
Auf der anderen Seite stellt die Rechtsprechung strenge Anforderungen an die<br />
Unvermeidbarkeit. <strong>Die</strong>s gilt umso mehr, wenn es um die Tötung eines ande-<br />
ren Menschen geht. Dabei kann der Irrtum schwerlich vermeidbar sein, da es<br />
sich um das grundlegendste rechtliche sowie auch ethische Handlungsverbot<br />
handelt. Es kann daher angeführt werden, dass der M zwar in seiner Sekte<br />
stark integriert war, aber dennoch davon auszugehen ist, dass er die in<br />
Deutschland allgemein geltenden Gesetze kannte und somit auch um das<br />
Verbotensein der Tötung wusste.<br />
Im Ergebnis ist daher die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums anzunehmen,<br />
mit der Folge, dass der M auch schuldig gehandelt hat. Möglich ist jedoch eine<br />
Milderung der Strafe nach § 17 S. 2 i.V.m. § 49 I StGB.<br />
IV. ERGEBNIS<br />
M hat sich des Mordes nach §§ 211, 212 I strafb ar gemacht.<br />
B. STRAFBARKEIT DES B NACH §§ 211, 212 I, 25 I 2. ALT.<br />
B könnte sich des Mordes in mittelbarer Täterschaft nach §§ 211, 212 I, 25 I 2.<br />
Alt. strafb ar gemacht haben, indem er dem M dazu anwies, seine schlafende<br />
Frau mit einem Kissen zu ersticken.<br />
I. TATBESTAND<br />
1. OBJEKTIVER TATBESTAND<br />
Zunächst müsste der Tatbestand „durch einen anderen“ verwirklicht sein.<br />
Kennzeichen des Tatmittlers ist dabei seine unterlegene Stellung, die sich<br />
darin widerspiegelt, dass er nicht volldeliktisch handelt 13 . Im vorliegenden<br />
Fall begeht B die Tötung der Ehefrau nicht selbst, sondern lässt sie durch den<br />
M vornehmen. Wie unter A. III. festgestellt handelt jedoch dieser (der ver-<br />
meintliche Tatmittler) aufgrund eines vermeidbaren Verbotsirrtums schuld-<br />
haft , so dass er den <strong>für</strong> den Tatmittler erforderlichen Strafb arkeitsmangel<br />
nicht aufweist.<br />
Von der Regel des Strafb arkeitsmangels des Tatmittlers werden jedoch Aus-<br />
nahmen vor allem im Rahmen von Organisationsstrukturen statuiert (Stich-<br />
wort „Täter hinter dem Täter“). Maßgebend in solchen Fällen ist, dass der als<br />
Hintermann fungierende Befehlsgeber das Gesamtgeschehen kraft seiner<br />
„Organisationsherrschaft “ bedingungslos in die von ihm gewünschte Rich-<br />
tung lenken kann und der Vordermann quasi beliebig austauschbar ist 14 . Für<br />
die Begründung einer mittelbaren Täterschaft bedarf es beim Hintermann<br />
eine überlegene Stellung aufgrund seiner Tatherrschaft kraft überlegenen<br />
Wissens oder Wollens 15 .<br />
Handelt der Tatmittler in vermeidbarem Verbotsirrtum, stellt diese Vermeid-<br />
barkeit nach Ansicht des BGH und weiter Teile der Literatur kein Hindernis<br />
<strong>für</strong> die Annahme einer mittelbaren Täterschaft (Th eorie der eingeschränkten<br />
Verantwortlichkeit). Denn das Merkmal der Vermeidbarkeit verkörpert kein<br />
sicheres Abgrenzungskriterium <strong>für</strong> den Beitrag eines Tatbeteiligten. Denn<br />
dem in vermeidbarem Irrtum handelnden Täter fehlt es zum Tatzeitpunkt in<br />
jedem Fall an Unrechtseinsicht, mit der Folge dass auch in diesem Fall mittel-<br />
13 Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 535.<br />
14 Wessels/Beulke, Strafrecht At Rn 541; vgl. auch BGHSt 48, 77, 89.<br />
15 Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 535.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
bare Täterschaft grundsätzlich möglich ist. Entscheidend ist dann bei norma-<br />
tiver Betrachtung die Art und Tragweite des Irrtums sowie die Intensität der<br />
Einwirkung durch den Hintermann 16 .<br />
Innerhalb einer religiösen Sekte wie die unseres Sachverhalts entstehen eben-<br />
falls solche Hierarchien, die eine mittelbare Täterschaft rechtfertigen, wenn<br />
der Tatmittler aufgrund abergläubischer Ängste in einem vermeidbaren Ver-<br />
botsirrtum handelt.<br />
In Betracht könnte ebenso eine Anstift ung gem. § 26 kommen, so dass das<br />
Verhalten des B gegenüber einem bloßen Bestimmen abgegrenzt werden<br />
muss. Bedenken hinsichtlich der Überlegenheit des B bestehen hier insoweit,<br />
als dass dieser laut Sachverständigengutachten tief davon überzeugt ist, dass<br />
Gott ihm befohlen hat, die jüngste Mutter der Gemeinde töten zu lassen, so<br />
dass er dem gleichen Irrtum unterliegt wie der M. Im Rahmen der Abgren-<br />
zung zu § 26 wird gefordert, dass der Hintermann die Schuldunfähigkeit des<br />
Tatmittlers oder die Umstände kennt, die den Schuldvorwurf entfallen lassen,<br />
und dass er die von ihm richtig erfasste Situation zur Begehung der von ihm<br />
gewollten Straft at ausnutzt 17 . Dem steht nach Ansicht des BGH ein ebenfalls<br />
beim Hintermann vorliegender Verbotsirrtum nicht entgegen, solange dieser<br />
mit Täterwillen und Tatherrschaft handelt 18 .<br />
Im vorliegenden Fall weist der B den M an, seine Frau im Schlaf mit einem<br />
Kissen zu ersticken. Dabei kommt ihm bereits aufgrund seiner Position als<br />
Anführer der Sekte eine gewisse Macht zu, die er auch gegenüber M nutzt und<br />
die sich darin bestätigt, dass dieser die Tat, ohne sie in Frage zu stellen, aus-<br />
führt. Zudem handelt es sich bei dem M laut Sachverhalt auch um ein treu er-<br />
gebenes Gemeindemitglied. Für die Tatherrschaft des B spricht weiter, dass<br />
dieser dem M auch genau vorgibt, wie er seine Frau töten soll und dieser sich<br />
daran hält. Hätte z.B. der B vor der Tatbestandsverwirklichung dem M befoh-<br />
len, die Tötung der Frau doch nicht durchzuführen, hätte der M von seiner<br />
Tat abgesehen. Im Ergebnis fungiert der M daher wie ein Werkzeug in der<br />
Hand des B, so dass dieser als mittelbarer Täter im Sinne des § 25 I 2. Alt. zu<br />
qualifi zieren ist.<br />
Der objektive Tatbestand ist damit erfüllt.<br />
2. SUBJEKTIVER TATBESTAND<br />
Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, also das Wissen und Wollen der<br />
Tatbestandsverwirklichung.<br />
Zunächst müsste dieser die durch den Tatmittler begangene Tat umfassen. B<br />
wollte, dass der M seine Frau mit einem Kissen im Schlaf erstickt. <strong>Die</strong>sbezüg-<br />
lich hatte er also dolus directus I. Grades. Aufgrund dessen, dass er die Tat-<br />
ausführung auch genau vorgegeben hatte, erstreckt sich sein zielgerichteter<br />
Erfolgswille gerade auch auf das objektive Mordmerkmal der Heimtücke.<br />
Weiter müsste sich sein Vorsatz auch auf die eigene Tatherrschaft sowie die<br />
unterlegene Stellung des Tatmittlers beziehen. B ging davon aus, dass der M,<br />
16 BGHSt 35, 347, 351 f.; Otto Grundkurs Strafrecht, § 21, Rn. 84;<br />
Heinrich, Strafrecht-AT II, Rn. 1260.<br />
17 Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 538.<br />
18 BGHSt 40, 257, 267.<br />
als treu ergebenes Gemeindemitglied, seiner Auff orderung Folge leisten<br />
würde. Zudem teilte er selbst ihm mit, dass andernfalls der Weltuntergang<br />
drohe, so dass ihm auch die Umstände, die den Strafb arkeitsmangel des M be-<br />
gründen, bekannt waren. Folglich handelte er diesbezüglich mit dolus direc-<br />
tus II. Grades.<br />
Subjektive Mordmerkmale in der Person des B sind darüber hinaus nicht<br />
ersichtlich.<br />
Der subjektive Tatbestand ist somit ebenfalls zu bejahen.<br />
II. RECHTSWIDRIGKEIT<br />
In Bezug auf eine Rechtfertigung nach § 32 bzw. § 34 gelten die unter A. II. ge-<br />
machten Ausführungen zu M entsprechend, mit der Folge, dass kein Recht-<br />
fertigungsgrund greift und die Tat des B daher rechtswidrig ist.<br />
III. SCHULD<br />
Schließlich ist die Schuld des B festzustellen. Wie bereits erwähnt unterliegt er<br />
dem gleichen Irrtum wie der M, der als Verbotsirrtum nach § 17 zu behan-<br />
deln ist. Fraglich ist also dessen Unvermeidbarkeit. Im Vergleich zu M ergibt<br />
sich kein Unterschied daraus, dass der B Anführer der Sekte ist. Obwohl der<br />
Sachverhalt keine Anhaltspunkte da<strong>für</strong> liefert, dass B die Mitglieder seiner<br />
Sekte bewusst in einen Irrglauben führen würde, kann nicht ernsthaft<br />
Fallbearbeitung<br />
behauptet werden, dass er das Tötungsverbot der Rechtsordnung nicht kannte.<br />
Im Ergebnis ist daher auch im Fall des B von einer Vermeidbarkeit des<br />
Verbotsirrtums auszugehen, so dass er schuldhaft handelte, § 17 S. 1 (a.A.<br />
vertretbar).<br />
IV. ERGEBNIS<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
B hat sich nach §§ 211, 212 I, 25 I 2. Alt. strafb ar gemacht.<br />
Law, Life und Style oder Law und Lifestyle? Alles, was mit Law und<br />
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163
164<br />
Fallbearbeitung<br />
SACHVERHALT 1<br />
Hiéramente, Jahrgang 1983, ist Doktorand in der „Research<br />
School on Retaliation, Mediation and Punishment“ am<br />
Max-Planck-Institut <strong>für</strong> ausländisches und internationales<br />
Strafrecht in Freiburg.<br />
Er <strong>stud</strong>ierte Rechtswissenschaften an der Universität<br />
Hamburg und Paris-X Nanterre und promoviert zur Zeit auf<br />
dem Gebiet des Völkerstrafrechts.<br />
Anfänger im Strafrecht: „Fußballfrust“<br />
von Mayeul Hiéramente (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg)<br />
Der von der Saison 08/09 frustrierte Dortmund-Fan D ist zum Abendessen<br />
nach Gelsenkirchen eingeladen. D ist bewusst, dass dort viele, teilweise auch<br />
gewalttätige Anhänger des Erzrivalen Schalke 04 auf den Straßen zu finden<br />
sind. Trotzdem möchte er sein Lieblingstrikot anziehen. Zur Sicherheit ent-<br />
schließt sich D, sein altes Taschenmesser (Klingenlänge 7 cm) mitzu-nehmen,<br />
und macht sich auf den Weg. Als er auf dem Weg vom Bahnhof zu seinen<br />
Freunden in einer Seitenstraße den einsamen Schalke-Fan F erblickt, über-<br />
kommt ihn der Frust und er beschließt, diesem eine schmerzhafte Abreibung<br />
zu verpassen. Er rennt auf den ahnungslosen F zu, schlägt ihm mit der Faust<br />
ins Gesicht, zieht das Messer und sticht einmal mit Wucht in die Magenge-<br />
gend. D läuft davon. F wird kurz darauf von Passanten gefunden und ins<br />
Krankenhaus gebracht. Eine konkrete Lebensgefahr bestand nach Aussage<br />
der Ärzte zu keinem Zeitpunkt. Das Trikot des F ist allerdings zerstört.<br />
Währenddessen setzt D seinen Weg fort. Doch schon an der nächsten Ecke<br />
wartet weiteres Ungemach. Eine Gruppe alkoholisierter Schalke-Anhänger<br />
erblickt D und rennt mit erhobenen Fäusten und mit Bierflaschen bewaffnet<br />
auf D zu. <strong>Die</strong>ser erkennt die Gefahr sofort und tritt die Flucht an. Nach einer<br />
zehnminütigen Hetzjagd kann er in eine Seitenstraße abtauchen. <strong>Die</strong> Angrei-<br />
fer beenden daraufhin ihre Verfolgung und widmen sich wieder ihrem Bier. D<br />
hat das Ende der Jagd jedoch nicht bemerkt und sucht weiterhin panisch nach<br />
einer Möglichkeit, sich vor den Angreifern zu verstecken. Da sieht er, dass in<br />
einem der Wohnhäuser ein Fenster nur angelehnt ist. Um die vermeintlichen<br />
Angreifer abzuschütteln, klettert er durch das Fenster in die Wohnung. Nach-<br />
dem er sich versichert hat, dass dort niemand anwesend ist, kommt D lang-<br />
sam zur Ruhe. Er reinigt das Messer und entschließt sich, seinen Weg zur Ver-<br />
abredung fortzusetzen. Auf dem Weg zum Fenster sieht D eine antike<br />
Goldkette auf einer Kommode liegen. Da D vergessen hat, seinen Gastgebern<br />
ein Präsent mitzubringen, entschließt er sich kurzerhand, die Kette mitzu-<br />
nehmen, und steckt sie in die Innentasche seiner Jacke. Er klettert aus dem<br />
Fenster. Vor dem Fenster hält ihn der Wohnungsinhaber W von hinten an der<br />
Schulter fest. D, der be<strong>für</strong>chtet, dass W ihn bis zum Eintreffen der Polizei fest-<br />
halten will, zieht sein Messer und sticht dem W fünf Mal in die Brust. Er<br />
nimmt dabei billigend in Kauf, dass W sterben könnte, was auch geschieht. D<br />
war dabei klar, dass W aufgrund der Dunkelheit nicht in der Lage gewesen<br />
1 <strong>Die</strong>ser Fall wurde im SoSe 2009 an der Universität Freiburg von Prof. Dr.<br />
Hefendehl als Orientierungsklausur gestellt. Den Lehrstuhlmitarbeitern<br />
und meiner Kollegin Sarah Kiesel danke ich <strong>für</strong> Inspiration und Kritik.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
wäre, ihn im Nachhinein wiederzuerkennen. Es kam ihm in dem Moment des<br />
Zustechens nicht darauf an, die Kette zu behalten.<br />
WIE HAT SICH D NACH DEM STGB STRAFBAR GEMACHT?<br />
Eine Strafbarkeit wegen Aussetzung gem. § 221 StGB und Straftaten des 20.<br />
Abschnitts sind nicht zu prüfen.<br />
LÖSUNG<br />
ERSTER TATKOMPLEX: DER ÜBERFALL 2<br />
Eine Strafbarkeit wegen versuchten Totschlags gem. §§ 212 I, 22, 23 I StGB 3<br />
scheitert am Tötungsvorsatz (Hemmschwelle). Es besteht eine Strafbarkeit<br />
wegen gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2, 5, da das Ta-<br />
schenmesser als gefährliches Werkzeug verwendet wurde und die Behand-<br />
lung abstrakt (hM) lebensgefährlich war. Mangels Hinterlist ist Nr. 3 nicht<br />
einschlägig. Zudem ist § 303 I verwirklicht. 4<br />
ZWEITER TATKOMPLEX: IM WOHNHAUS<br />
A. STRAFBARKEIT WEGEN HAUSFRIEDENSBRUCH GEM.<br />
§ 123 I ALT. 1<br />
D könnte sich durch das Hineinklettern eines Hausfriedensbruchs gem.<br />
§ 123 I Alt. 1 strafbar gemacht haben.<br />
I. TATBESTAND<br />
Dazu müsste D vorsätzlich in eine Wohnung eingedrungen sein. 5 D hat<br />
gegen den Willen des Hausrechtsinhabers 6 die Wohnung betreten. <strong>Die</strong>s<br />
geschah auch willentlich und wissentlich.<br />
II. RECHTSWIDRIGKEIT<br />
Angesichts der Tatsache, dass die Angreifer bereits die Suche nach D<br />
beendet hatten, liegt weder ein gegenwärtiger Angriff (§ 32) noch eine<br />
gegenwärtige Gefahr (§ 34) vor. Rechtfertigungsgründe sind objektiv<br />
nicht gegeben.<br />
III. ERLAUBNISTATUMSTANDSIRRTUM (ETI) 7<br />
Zwar lag eine Rechtfertigungslage objektiv nicht vor, D hat sich aber vorge-<br />
stellt, er würde noch verfolgt. Er könnte sich damit eine Rechtfertigungslage<br />
iSd § 32 oder § 34 vorgestellt haben.<br />
1 Längere Strafrechtsklausuren sollten zur Übersichtlichkeit unbedingt<br />
in Tatkomplexe eingeteilt werden.<br />
3 Sofern nicht anders benannt, sind folgende §§ solche des StGB.<br />
4 Definitionen und Problemdarstellung in: <strong>iur</strong>ratio 1/2009, S.48ff.<br />
Bearbeiter in einer Anfängerklausur sollten im Übrigen darauf achten,<br />
den Gutachtenstil stärker zu verwenden als in dieser Lösung möglich.<br />
5 Das Merkmal „widerrechtlich“ in Alt. 1 ist nach allg. Ansicht ein<br />
Verweis auf Rechtfertigungsgründe.<br />
6 Zu den Voraussetzungen, Fischer, (56. Aufl.), § 123, Rn. 14.<br />
7 <strong>Die</strong> Einordnung des ETI in der Falllösung ist angesichts der vielen<br />
verschiedenen Ansichten zur rechtlichen Einordnung nicht ganz leicht.<br />
Folgt man, wie vorliegend, der hM, so ist eine Prüfung im Anschluss an<br />
die Rechtswidrigkeit zu empfehlen, da so eine fließende Überleitung<br />
möglich ist.<br />
D stellte sich einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff (§ 32 II) vor. Selbst<br />
bei tatsächlichem Vorliegen dieses Angriffs, hätte D hier aber nicht das Recht<br />
gehabt, Rechtsgüter Unbeteiligter zu beeinträchtigen 8 .<br />
Nach der Vorstellung des D hätte die Verfolgung aber die Voraussetzungen<br />
des § 34 S. 1 9 erfüllt, da diese einen Zustand, in dem aufgrund tatsächlicher<br />
Umstände die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines schädigenden Ereignis-<br />
ses 10 besteht, d.h. eine Gefahr darstellt. D hielt die Verfolgung <strong>für</strong> noch an-<br />
dauernd und daher gegenwärtig. Schließlich steht die Handlung (Verletzung<br />
des Hausrechts) auch im angemessenen Verhältnis zum drohenden Schaden<br />
und wäre, das tatsächliche Vorliegen der Notstandslage vorausgesetzt, ge-<br />
rechtfertigt. 11<br />
Umstritten ist aber, wie der ETI rechtlich einzuordnen ist 12 . <strong>Die</strong> früher vertre-<br />
tene strenge Vorsatztheorie, die das Unrechtsbewusstsein als Teil des Vorsat-<br />
zes einordnet, ist nicht mehr vertretbar, da § 17 diesen Fall normiert. Zum sel-<br />
ben Ergebnis kommt die modifizierte Vorsatztheorie, die das „Bewusstsein<br />
der Sozialschädlichkeit“ als Teil des Vorsatzes definiert. <strong>Die</strong> strenge Schuld-<br />
theorie ordnet den ETI dem § 17 zu 13 , verkennt aber, dass der Täter anders als<br />
bei § 17 über Tat“umstände“ irrt und nicht etwa eine falsche rechtliche Wer-<br />
tung vornimmt. Daher kommen die modifizierten Schuldtheorien im Ergeb-<br />
nis zu einer Verneinung des Vorsatzelementes. Nach der Lehre der neg. Tat-<br />
bestandsmerkale wird gem. §16 I S. 1 in direkter Anwendung der Vorsatz<br />
verneint, die eingeschränkte Schuldtheorie ieS wendet § 16 I S.1 an und<br />
schließt das Vorsatzunrecht aus. <strong>Die</strong> rechtfolgen-verweisende eingeschränkte<br />
Schuldtheorie (hM) wendet nur die Rechtsfolgen des § 16 I S. 1 an und ver-<br />
neint die Vorsatzschuld. 14 Ist nur die Strafbarkeit des Einzeltäters zu ermitteln,<br />
ist ein Streitentscheid zwischen den eingeschränkten Schuldtheorien zumeist<br />
entbehrlich. Im Ergebnis ist D nicht gem. § 123 I Alt. 1 zu bestrafen.<br />
IV. ERGEBNIS<br />
Keine Strafbarkeit gem. § 123 I Alt. 1.<br />
B. STRAFBARKEIT WEGEN HAUSFRIEDENSBRUCHS DURCH UN-<br />
TERLASSEN GEM. §§ 123 I ALT 1, 13 I 15<br />
Zwar wurde D nicht zum Verlassen der Wohnung aufgefordert, so dass Alt. 2<br />
nicht einschlägig ist. Es kann aber eine Unterlassenstrafbarkeit gegeben sein,<br />
da D sich noch etwas in der Wohnung aufgehalten hat. Zunächst erscheint es<br />
8 Zu Ausnahmen siehe Schönke/Schröder-Perron, (27. Aufl.), § 32, Rn. 32.<br />
9 Es ließe sich überlegen, ob nicht auch § 904 BGB zur Anwendung kommen<br />
könnte. <strong>Die</strong>ser wäre in der Prüfung vor §34 zu erörtern. Dagegen spricht<br />
allerdings, dass § 904 von „Einwirkung“ auf Sachen spricht, § 123 aber das<br />
über vermögensrechtliche Aspekte hinausgehende Hausrecht schützt.<br />
10 Fischer, § 34, Rn. 3.<br />
11 Beim ETI ist Vorsicht geboten. Vielen Bearbeitern ist der Meinungsstreit<br />
des ETI bekannt. Das führt in Klausuren oft dazu, dass sich die Bearbeiter auf<br />
den Meinungsstreit stürzen, ohne vorher subsumiert zu haben, ob nach der<br />
Vorstellung des Täters ein Rechtfertigungsgrund überhaupt einschlägig ist.<br />
12 Für einen ausführlichen Überblick siehe Wessels/Beulke, (38. Aufl.),<br />
Rn. 468ff.<br />
13 Mit der Konsequenz, dass die Vermeidbarkeit des Irrtums von<br />
Bedeutung ist.<br />
14 Stets beachtet werden sollte, dass damit eine Strafbarkeit wegen eines<br />
Fahrlässigkeitsdelikts unberührt bleibt (bei § 123 I aber ohne Bedeutung).<br />
15 <strong>Die</strong>s muss im vorliegenden Fall nicht zwangsläufig gesehen werden.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
Fallbearbeitung<br />
fraglich, ob ein Eindringen durch Unterlassen möglich ist. Der Begriff „Ein-<br />
dringen“ ist aktivitätsgeprägt, so dass Zweifel im Hinblick auf eine Entspre-<br />
chung (§ 13 I) bestehen. Auch normsystematische Gründe sprechen gegen ein<br />
Eindringen durch Unterlassen 16 . Schließlich regelt Alt .2 den Fall des Verwei-<br />
lens. Weiterhin erscheint fraglich, ob eine Garantenstellung besteht, wo<strong>für</strong><br />
einzig Ingerenz in Betracht kommt. <strong>Die</strong>s hängt davon ab, wie der ETI oben<br />
behandelt wurde. Jedenfalls aber hat D keinen Vorsatz bzgl. einer Ingerenzga-<br />
rantenstellung. Schließlich hielt D sein Verweilen in der Wohnung <strong>für</strong> ge-<br />
rechtfertigt, so dass der ETI auch hier einschlägig wäre. Eine Strafbarkeit gem.<br />
§§ 123 I Alt. 1, 13 ist demnach abzulehnen.<br />
C. STRAFBARKEIT WEGEN DIEBSTAHLS IN EINEM BESONDERS<br />
SCHWEREN FALL GEM. §§ 242 I, 243 I S. 2 NR. 1, 5<br />
Durch das Mitnehmen der Kette könnte D einen <strong>Die</strong>bstahl in einem beson-<br />
ders schweren Fall begangen haben.<br />
I. TATBESTAND<br />
Bei der Kette handelt es sich um eine fremde, bewegliche Sache, da diese nicht<br />
im Alleineigentum des D und nicht herrenlos 17 war. Da sich diese in der Woh-<br />
nung des W befand, hatte dieser zunächst Gewahrsam, da er einen generellen<br />
Herrschaftswillen bzgl. der Gegenstände in seiner Wohnung hat und ihm die<br />
Sachherrschaft nach der Verkehrsauffassung zukommt. Durch das Einstecken<br />
in die Innentasche der Jacke (Gewahrsamsenklave) hat D eigenen Gewahr-<br />
sam begründet. Der Wechsel des Gewahrsams erfolgte gegen den Willen des<br />
W und damit „durch Bruch“. Eine Wegnahme lag daher bereits mit Einste-<br />
cken vor.<br />
D handelte vorsätzlich und mit Enteignungsvorsatz, da er W dauerhaft aus<br />
seiner Eigentumsstellung verdrängen wollte. Einzig fraglich ist, ob er mit<br />
Selbstaneignungsabsicht handelte. Da er die Kette noch am selben Abend ver-<br />
schenken wollte und ansonsten kein Geschenk gekauft hätte, kommt Drittan-<br />
eignungsabsicht in Betracht. Da die Aneignung nicht dauerhaft sein muss,<br />
könnte man die Schenkung als Selbstaneignung ansehen, da sich D eine Ei-<br />
gentümerstellung anmaßt. 18 Da sich D aber nicht einmal eigene Aufwendung<br />
erspart 19 erscheint es vorzugswürdig, eine Drittaneignungsabsicht anzuneh-<br />
men. <strong>Die</strong> angestrebte Zueignung ist zudem rechtswidrig, da kein fälliger und<br />
einredefreier Anspruch besteht.<br />
II. RECHTSWIDRIGKEIT UND SCHULD<br />
Bzgl. des <strong>Die</strong>bstahls handelte D rechtswidrig und schuldhaft.<br />
III. STRAFZUMESSUNG, § 243 S. 2 NR. 1, 5<br />
Es ist weiterhin zu klären, ob eine Strafschärfung durch Verwirklichung eines<br />
Regelbeispiels vorliegt. Zwar ist D in ein Gebäude eingedrungen. <strong>Die</strong>s ge-<br />
schah aber nicht „zur Ausführung“ der Tat. <strong>Die</strong> antike Kette mag ggf. von ge-<br />
schichtlicher Bedeutung sein, ist aber nicht öffentlich ausgestellt.<br />
16 Dazu Kindhäuser, Strafrecht BT I, (3. Aufl.), § 33, Rn. 29ff.<br />
17 Das Merkmal “herrenlos” ist eine Gefahrenquelle in Anfängerklausuren.<br />
Herrenlos darf nicht mit Gewahrsamsverlust verwechselt werden. Herrenlos<br />
sind Sachen, an denen der Eigentümer bewusst das Eigentum aufgegeben<br />
hat oder z.B. wilde Tiere.<br />
18 Rengier, Strafrecht BT I, (11. Aufl.), Rn 72ff.<br />
19 Schönke/Schröder-Eser, § 242, Rn. 57.<br />
165
166<br />
Fallbearbeitung<br />
IV. ERGEBNIS<br />
D hat sich nur wegen <strong>Die</strong>bstahls gem. § 242 I strafb ar gemacht.<br />
D. STRAFBARKEIT WEGEN DIEBSTAHLS MIT WAFFEN UND<br />
WOHNUNGSEINBRUCHSDIEBSTAHLS GEM. §§ 242 I, 244 I NR. 1<br />
A), B), NR. 3 20<br />
Der von D begangene <strong>Die</strong>bstahl könnte aber gem. §§ 242 I, 244 I Nr. 1 a), b),<br />
Nr. 3 qualifi ziert sein.<br />
I. TATBESTAND<br />
Der Grundtatbestand des § 242 I ist erfüllt (s.o). Der Wohnungseinbruchs-<br />
diebstahl scheitert daran, dass beim Eindringen noch kein <strong>Die</strong>besplan vorlag.<br />
Das Taschenmesser ist zwar keine Waff e (s.o), kann aber ein gefährliches<br />
Werkzeug iSd Nr. 1 a) darstellen. Fraglich ist, wie dieses im Rahmen des § 244<br />
zu defi nieren ist. 21 Es ließe sich in einer subjektiven Interpretation auf die Ver-<br />
wendungsabsicht abstellen. Systematisch überzeugt dies angesichts der Nr .1<br />
b) nicht. Auch eine objektive Betrachtung ist nicht unproblematisch, da das<br />
Merkmal der Gefährlichkeit ohne konkreten Einsatz des Werkzeugs kaum zu<br />
beurteilen ist. <strong>Die</strong>se Ungewissheit lässt sich zumindest insofern einschränken,<br />
als dass man bei Gegenständen, die waff enähnlich sind, eine abstrakte Ge-<br />
fährlichkeit und eine Gefährlichkeit im Rahmen einer <strong>Die</strong>bstahlshandlung<br />
annimmt. 22 So fällt das Messer unter § 244 I Nr. 1 a), da es schnell einsetzbar<br />
ist und schwere Verletzungen hervorrufen kann. (a.A. vertretbar) <strong>Die</strong>ses hat<br />
D auch bewusst bei sich geführt. Nr. 1 a) ist demnach verwirklicht.<br />
Da D das Messer in der Beendigungsphase eingesetzt hat, spricht vieles da<strong>für</strong>,<br />
dass er auch eine Verwendungsabsicht iSd Nr. 1 b) hatte. Allerdings erscheint<br />
es fraglich, ob ein Beisichführen mit Verwendungsabsicht in der Beendi-<br />
gungsphase ausreichend ist. 23 Anders als bei Nr. 1 a) kommt es bei Nr. 2 b)<br />
nicht auf das Merkmal des Beisichführens an, sondern auf die subjektive Wid-<br />
mung als Nötigungsmittel. Daher bietet sich eine restriktive Interpretation an,<br />
die einen Verwendungsentschluss nach Vollendung als nicht mehr erfasst an-<br />
sieht 24 . Ansonsten drohten die Voraussetzungen (Beutesicherungsabsicht)<br />
des § 252 umgangen zu werden. Nr. 1 b) ist demnach nicht verwirklicht.<br />
II. ERGEBNIS<br />
D hat sich gem. §§ 242 I, 244 I Nr. 1 a) wegen <strong>Die</strong>bstahls mit Waff en strafb ar<br />
gemacht.<br />
20 <strong>Die</strong> Qualifikationsprüfung kann auch gemeinsam mit der Prüfung des<br />
Grundtatbestands erfolgen. Ist diese allerding kompliziert und kommen<br />
Regelbeispiele in Betracht, so kann die Prüfung geteilt werden, um<br />
Unübersichtlichkeit zu vermeiden.<br />
21 Eine überzeugende Lösung oder gar hM ist hier<strong>für</strong> nicht festzustellen.<br />
Es kommt daher in der Klausur darauf an, die wichtigsten Ansichten zu<br />
präsentieren, die Schwächen der Ansätze aufzuzeigen und sich dann mit<br />
vertretbaren Argumenten <strong>für</strong> eine Ansicht zu entscheiden. Wichtig ist<br />
dann eine saubere Subsumtion.<br />
22 Für einen Überblick, Fischer, § 244 Rn. 8ff.<br />
23 So Schönke/Schröder- Eser, § 244, Rn. 20, BGH NStZ-RR 2003, S. 202.<br />
24 SK-StGB-Hoyer, § 244, Rn. 28.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
DRITTER TATKOMPLEX: DIE TÖTUNG DES W<br />
A. STRAFBARKEIT WEGEN VERDECKUNGSMORDS GEM.<br />
§§ 212 I, 211 II 25 VAR. 9 26<br />
Durch das fünfmalige Zustechen in die Brustgegend, um unerkannt fl iehen<br />
zu können, könnte sich D wegen eines Verdeckungsmords strafb ar gemacht<br />
haben. Der Tod des W ist eingetreten und dem D auch kausal und objektiv<br />
zurechenbar. Da er den Todeserfolg „billigend in Kauf “ nahm, handelte er zu-<br />
dem mit Eventualvorsatz. Fraglich ist aber, ob Verdeckungsabsicht vorlag. Es<br />
kam dem D zwar darauf an, unerkannt zu verschwinden und damit seine Tä-<br />
terschaft zu verdecken 27 . Problematisch könnte aber sein, ob ein Täter mit<br />
Verdeckungsabsicht handeln kann, wenn er bzgl. der Tötung nur mit Eventu-<br />
alvorsatz handelte. Hier ist zu diff erenzieren. Ist der Todeseintritt relevant da-<br />
<strong>für</strong>, dass die Tat nicht aufgeklärt wird (etwas weil das Opfer den Täter persön-<br />
lich kennt), so ist Eventualvorsatz bzgl. der Tötung nicht ausreichend. Ist es<br />
<strong>für</strong> die Verdeckung der Tat, wie im vorliegenden Fall, aber irrelevant, ob das<br />
Opfer überlebt oder nicht, so ist Verdeckungsabsicht zu bejahen, da der Täter<br />
weiß, dass sein Vorgehen die <strong>für</strong> ihn erstrebte Geheimhaltung garantiert 28 . Da<br />
D auch rechtswidrig und schuldhaft handelte, ist eine Strafb arkeit wegen Ver-<br />
deckungsmord gem. §§ 212 I, 211 II Var. 9 gegeben.<br />
B. STRAFBARKEIT WEGEN GEFÄHRLICHER KÖRPERVERLET-<br />
ZUNG GEM. §§ 223 I, 224 I NR. 2, 5<br />
Durch die Stiche hat D ebenfalls eine gefährliche Körperverletzung begangen,<br />
da im Tötungsvorsatz der Verletzungsvorsatz mit enthalten ist. <strong>Die</strong> Körper-<br />
verletzung tritt jedoch hinter dem Verdeckungsmord zurück.<br />
GESAMTERGEBNIS UND KONKURRENZEN<br />
D hat sich wegen gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2, (5)<br />
in Tateinheit (§ 52) mit Sachbeschädigung gem. § 303 I strafb ar gemacht.<br />
Dazu in Tatmehrheit (§ 53) stehen ein <strong>Die</strong>bstahl mit Waff en gem. §§ 242 I,<br />
244 I Nr.1. a) und der Verdeckungsmord gem. §§ 212 I, 211 II Var. 9. Der ein-<br />
fache <strong>Die</strong>bstahl tritt hinter dem <strong>Die</strong>bstahl mit Waff en (Spezialität) zurück.<br />
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25 Durch das Mitzitieren des § 212 macht der Bearbeiter deutlich, dass er<br />
Mord entgegen der (noch) ständigen Rspr. als Qualifikation des Totschlags<br />
ansieht.<br />
26 Man kann (<strong>für</strong> eine bessere Übersicht) die Mordmerkmale auch nach<br />
Gruppen bezeichnen. Da diese aber nicht im Gesetz genannt werden, ist<br />
eine solche Zitierweise angreifbar.<br />
27 Vgl. Kindhäuser, § 2, Rn. 42.<br />
28 Fischer, § 211, Rn. 33.<br />
Fortgeschrittene im Zivilrecht:<br />
„Tollende Kinder und nachbarlicher Friede!“<br />
Prof. Dr. Dr. h. c. Eberhard Eichenhofer<br />
<strong>Die</strong> Aufgabe war ein Besprechungsfall meiner im Sommersemester 2009<br />
abgehaltenen Übung im BGB. Der Fall hat seinen Schwerpunkt im Recht der<br />
gesetzlichen Schuldverhältnisse.<br />
SACHVERHALT<br />
<strong>Die</strong> Eheleute A und B leben mit ihren Kindern in einem Zweifamilienhaus.<br />
Sie nutzen jeweils eine Wohnung und den gemeinsamen Garten. Im Sommer<br />
spielen dort ihre Kinder, die alle zwischen drei und sechs Jahre alt sind. Ob-<br />
wohl schon häufi ger beim Ballspiel das Grundstück der Nachbarn geschädigt<br />
- namentlich Blumen geknickt und Sträucher beschossen - wurden, boten die<br />
Eltern den Kindern keinen Einhalt.<br />
Eines Tages trat Bs 5jähriger Sohn Basti in einem unbeobachteten Augenblick<br />
seinen Ball auf Nachbars (N) Terrasse. <strong>Die</strong>ser traf dort die Kaff eekanne aus<br />
Meißener Porzellan, die vom Ball getroff en zu Boden stürzte und in viele Stü-<br />
cke zerschellte. Der Sammlerwert der Kanne liegt bei 800 €. <strong>Die</strong> Eltern A -<br />
wohl wissend, dass nicht ihr, sondern Bs Sohn Basti den Ball auf Ns Terrasse<br />
schoss - boten N, um den Frieden zu wahren und den Kindern ihr Spielpara-<br />
dies im Garten zu erhalten, 500 € als Entschädigung an, was N sofort dankend<br />
annahm, indes erwiderte, darin freilich nur eine Teilentschädigung zu sehen.<br />
Frage: Wie ist die Rechtslage?<br />
LÖSUNG<br />
A. ANSPRUCH N GEGEN B (§ 832)<br />
N könnte von B Schadensersatz in Höhe von 300 € nach §§ 832,249,251 ver-<br />
langen, falls B dem geschädigten N wegen Verletzung der Aufsichtspfl icht<br />
haft pfl ichtig geworden (1), die danach geschuldete Ersatzpfl icht auf Gelder-<br />
satz in Höhe von 800 € gerichtet (2) und der Anspruch durch die von A an N<br />
geleistete Zahlung von 500 € nur zum Teil erfüllt worden wäre (3).<br />
1.§ 832 begründet eine deliktsrechtliche Haft ung gegenüber dem Geschädig-<br />
ten <strong>für</strong> diejenigen, welche kraft Gesetzes zur Aufsicht über eine Person ver-<br />
pfl ichtet sind. <strong>Die</strong> Eltern trifft nach § 1626 die Pfl icht, <strong>für</strong> ihr minderjähriges<br />
Kind zu sorgen (Personensorge). <strong>Die</strong>se umfasst die Befugnis zur Beaufsichti-<br />
gung von Kleinkindern 1 und umschließt vornehmlich die Aufgabe, Kleinkin-<br />
der von der Schädigung Dritter beim Ballspiel abzuhalten 2 . Da Basti in einem<br />
unbeobachteten Augenblick den Schaden bei N anrichtete, haben die Eltern B<br />
ihre dem Kind gegenüber bestehende Aufsichtspfl icht verletzt.<br />
§ 832 begründet wie § 831 eine Haft ung <strong>für</strong> vermutetes eigenes Verschulden.<br />
<strong>Die</strong> deliktsrechtliche Haft pfl icht wird danach widerlegbar vermutet, so ein<br />
Verrichtungsgehilfe oder Minderjähriger eine rechtswidrige schädigende<br />
1 BGHZ 111,282; Gerd Wagner in Münchener Kommentar zu BGB, SchR<br />
BT II, 2009(5.Aufl.) § 832 Rn 26f; Palandt - Sprau, BGB, 2009 (68.Aufl.) §<br />
832 Rn 10,12.<br />
2 BGH NJW 1993,1003.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
Fallbearbeitung<br />
Eichenhofer, Jahrgang 1950, lehrt an der Friedrich-Schiller-<br />
Universität Jena Sozialrecht und Bürgerliches Recht.<br />
Eichenhofer, der 2003 von der Universität Göteborg die<br />
Ehrendoktorwürde verliehen bekam, ist derzeit Dekan der<br />
Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-<br />
Universität Jena.<br />
Handlung begehen; die Einstandspfl icht entfällt indessen, falls sich Ge-<br />
schäft herr oder Personensorgenberechtigter durch den Nachweis eigener<br />
Sorgsamkeit entlasten können. § 832 I 2 eröff net den Eltern also eine Entlas-<br />
tungsmöglichkeit, falls sie die erforderliche Aufsicht ausgeübt hätten. Im Hin-<br />
blick darauf ist die Erwägung wichtig: “Kinder erlernen den Umgang mit Ge-<br />
fahrenquellen und die Sorgfalt um Verkehr nicht durch permanente oder<br />
bloß punktuelle „Aufsicht“, sondern durch wiederholte Belehrung über Risi-<br />
ken und über den sachgerechten Umgang mit ihm, durch psychisches Un-<br />
möglichmachen gefährlicher Verhaltensweisen“ 3<br />
Da Bs Kinder aber bereits in der Vergangenheit des Öft eren Schäden auf dem<br />
Grundstück der Nachbarn verursachten, ohne dass die Eltern ihnen Einhalt<br />
geboten hätten, können sie sich daher nicht entlasten. Weil ein Mitverschul-<br />
den (§ 254) Ns ist nicht zu erkennen, sind B dem N also nach § 832 ersatz-<br />
pfl ichtig.<br />
2. Der demgemäß nach § 249 geschuldete Schadensersatz ist auf Naturalresti-<br />
tution gerichtet. Der schädigende Deliktsschuldner muss danach den vor<br />
Schädigung bestehenden ursprünglichen Zustand wiederherstellen 4 . Der auf<br />
Ns Terrasse geschossene Ball zerstörte eine Kaff eekanne aus Meißener Porzel-<br />
lan; sie fi el zu Boden und zerschellte dort .Eine Wiederherstellung kommt<br />
nicht in Betracht.<br />
Nach §§249, 251 ist bei Unmöglichkeit der Naturalrestitution der geschuldete<br />
Schadensersatz im Wege der Kompensation - also durch Wertersatz - zu leis-<br />
ten. Bei gebrauchten Sachen und Sachen mit Sammlerwert führt deren Zer-<br />
störung regelmäßig zur Unmöglichkeit der Naturalrestitution und damit bei<br />
einer durch Delikt begründeten gesetzlichen Haft ung zur Pfl icht zum Werter-<br />
satz 5 . <strong>Die</strong> Eltern B hätten danach 800 € an N zu zahlen<br />
3. <strong>Die</strong>ser Anspruch könnte aber in Folge der von den Eltern A an N erbrach-<br />
ten Zahlung insgesamt (a) oder zumindest in Höhe von 500 € getilgt worden<br />
sein(§362) (b).<br />
3 Gerd Wagner, in Münchener Kommentar zum BGB, SchR BT II, 2009<br />
(5.Aufl.), § 832 Rn 26.<br />
4 Hartmut Oetker, in Münchener Kommentar zum BGB ,SchR AT, 2007<br />
(5.Aufl.) § 249 Rn. 308ff.<br />
5 ebd., § 251 Rn 10.<br />
167
168<br />
Fallbearbeitung<br />
a) <strong>Die</strong> A wussten, dass Basti den Ball auf Ns Grundstück schoss und dadurch<br />
die Kaff eekanne zu Bruch ging .A bezweckten mit der Zahlung also nicht, ei-<br />
ner eigenen Haft pfl icht nachzukommen, sondern wollten vielmehr stattdes-<br />
sen, einen Beitrag zur Schadensregulierung leisten. <strong>Die</strong> A zahlten mithin auf<br />
eine Schuld der B.<br />
Weil aber Geldschulden – anders als <strong>Die</strong>nst- (§ 613), Gesellschaft s-(§ 713)<br />
oder Verwahrungsverträge(§ 691) – grundsätzlich nicht höchstpersönlich er-<br />
füllt werden müssen, können sie gemäß § 267 auch von Dritten getilgt werden.<br />
<strong>Die</strong>s setzt voraus, dass der Gläubiger mit der Schuldentilgung durch Dritte<br />
einverstanden ist. Allerdings ist der Gläubiger nicht zur Entgegennahme des<br />
zwecks Erfüllung angebotenen Geldes verpfl ichtet, falls der Schuldner einer<br />
Tilgung der Verbindlichkeit durch einen Dritten widerspricht (§ 267 II). Da<br />
die B keinen Widerspruch gegen die Zahlung der A an N erhoben, konnte N<br />
der Schuldentilgung durch die A nicht widersprechen ,so dass die Zahlung<br />
der A an N die bei diesem bestehende Schuld der B erfüllte und damit ver-<br />
minderte.<br />
b) Durch den von N nach Empfang erklärten Vorbehalt, in der Zahlung nur<br />
eine Teilentschädigung zu sehen, ist deutlich geworden, dass N die Zahlung<br />
nicht als vollen Schadensausgleich versteht. N hat also die Zahlung von 500€<br />
nicht an Erfüllung statt (§364 II) angenommen; vielmehr ist diese als Teilleis-<br />
tung anzusehen. Teilleistungen sind zwar grundsätzlich unstatthaft ; die von A<br />
erbrachte hat aber die ausdrückliche Billigung durch N gefunden .Trotz des<br />
grundsätzlichen Verbots der Teilleistung(§266) ist sie bei der Schadensersatz-<br />
leistung auch wegen der bei deliktsrechtlichen Haft ung regelmäßig bestehen-<br />
den Unsicherheit über die Verantwortung <strong>für</strong> Schadensentstehung und Er-<br />
satzauft eilung als grundsätzlich statthaft anzusehen 6 . Deswegen ist die Schuld<br />
der B durch die Zahlung der A jedenfalls in Höhe von 500 € erfüllt. N kann<br />
von B also noch 300 € verlangen.<br />
B. ANSPRUCH A GEGEN N AUF RÜCKZAHLUNG<br />
(§ 812 I 1, 1. ALT.)<br />
A könnte von N Rückgewähr von 500 € nach § 812 I 1, 1. Alt. verlangen, falls<br />
A an N ohne Rechtsgrund geleistet hätten. Zwar hatten A an N gezahlt. Sie be-<br />
zweckten mit der Zahlung jedoch, die Schuld der B zu tilgen. <strong>Die</strong> Zahlung der<br />
A sollte der Wahrung des Friedens zwischen A und B mit N und der Erhal-<br />
tung des Spielparadieses <strong>für</strong> die Kinder der A und B dienen. Deshalb be-<br />
zweckten A mit ihrer Zahlung in erster Linie die Befriedung des N durch eine<br />
Befriedigung der Verbindlichkeit der B gegenüber N.<br />
Des Weiteren stellte sich As Zahlung aus der <strong>für</strong> das Vorliegen eines Leis-<br />
tungsverhältnisses allgemein maßgeblichen Sicht des Empfängers der Leis-<br />
tung 7 nicht als diejenige der A, sondern als die Erfüllung der N gegenüber B<br />
zustehenden Forderung auf Schadensersatz dar.<br />
5 ebd., § 251 Rn 10.<br />
6 Wolfgang Krüger in Münchener Kommentar zum BGB, SchR AT,2007<br />
(5.Aufl), § 266 Rn 16.<br />
7 BGHZ 122,46, BGH NJW 2005,60;1999,1393.<br />
8 BGHZ 113, 62, 68, Martin Schwab in Münchener Kommentar zum<br />
BGB, SchRBT II, 2009 (5.Aufl), § 812 Rn 155.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
Ob diese Deutung auch gilt, wenn die Verbindlichkeit nicht besteht, ist zwar<br />
umstritten und wird in Judikat<strong>iur</strong> und Literatur überwiegend verneint 8 ; etwas<br />
anderes soll indessen auch nach h.M. gelten, wenn die Verbindlichkeit – wie<br />
hier - besteht 9 . A können daher mangels eigener Leistung an N nicht von die-<br />
sem die Rückzahlung nach § 812 I 1, 1.Alt verlangen, weil die getilgte Ver-<br />
bindlichkeit bestand und damit ein Rechtsgrund <strong>für</strong> die Leistung im Verhält-<br />
nis B zu N gegeben war.<br />
C. ANSPRÜCHE A GEGEN B<br />
I. AUS GESCHÄFTSFÜHRUNG OHNE AUFTRAG, GERICHTET<br />
AUF AUFWENDUNGSERSATZ (§§ 683, 677, 670)<br />
A könnten von B nach §§ 683, 677, 670 Zahlung von 500 € verlangen, wenn A<br />
mit der Zahlung ein Geschäft <strong>für</strong> B besorgten (a), das deren Willen oder Inte-<br />
ressen entsprach (b) und die zum Zweck des Schadensersatzes geleistete Zah-<br />
lung eine Aufwendung darstellte (c).<br />
a) Ein objektiv fremdes Geschäft liegt vor, wenn die Handlung des Geschäft s-<br />
führers den Geschäft skreis des Geschäft sherrn berührt 10 . <strong>Die</strong> Bezahlung einer<br />
Schuld ist eine den Schuldner treff ende Last, welche ihm eine Handlungs-<br />
pfl icht gegenüber dem Gläubiger auferlegt (§ 241). Deshalb stellt die Tilgung<br />
der Schuld der B bei N durch A ein objektiv fremdes Geschäft (§ 677) dar<br />
ganz ebenso wie eine Rettungshandlung, die A <strong>für</strong> ein in Gefahr geratenes<br />
Haus des B unternommen hätten. Beide Handlungen der A berührten den<br />
Geschäft skreis der B. Da A das Geschäft auch <strong>für</strong> B und nicht <strong>für</strong> sich selbst<br />
führen wollten, liegt darin weder eine Eigengeschäft sführung (§ 687 I), noch<br />
Geschäft sanmaßung (§ 687 II), sondern ein zugleich objektiv wie subjektiv<br />
fremdes Geschäft vor.<br />
b) Durch die Zahlung der Schulden der B durch A werden die <strong>für</strong> B bestehen-<br />
den Verbindlichkeiten gegenüber N aus § 832 zum Teil erfüllt und gleichzei-<br />
tig die Haft ung der B gegenüber N vermindert. <strong>Die</strong>s erfüllte den Tatbestand<br />
der berechtigten Geschäft sführung ohne Auft rag, falls die Handlung dem<br />
Willen und Interesse des Schuldners entsprechen würde. Weil durch jegliche<br />
Schuldentilgung die Verpfl ichtungen des Schuldners gegenüber seinem Gläu-<br />
biger vermindert werden und der Schuldner damit einen Zuwachs an Rech-<br />
ten in Gestalt der Verminderung von eigenen Verpfl ichtungen gegenüber an-<br />
deren erfährt ,ist regelmäßig davon auszugehen, dass eine Schuldentilgung im<br />
Wille und Interesse des Schuldners liegt 11 . Folgleich haben A als berechtigte<br />
Geschäft sführer ohne Auft rag gehandelt, weshalb A wie Beauft ragte nach<br />
§§683,670 Ersatz ihrer Aufwendungen verlangen können.<br />
c) <strong>Die</strong> Begleichung einer Schadensersatzpfl icht erfordert ein eigenes Vermö-<br />
gensopfer von dem Geschäft sführer. <strong>Die</strong> A opfern in Höhe von 500 € eigene<br />
Vermögenswerte zum Vorteil der B auf. Da Aufwendungen im Unterschied<br />
zum Schaden freiwillige, statt unfreiwilliger Vermögensopfer darstellen 12 ,<br />
9 ebd, Rn . 157.<br />
10 Palandt-Sprau, BGB , 2009 (68.Aul.), § 677 Rn 4, BGH ZIP<br />
2003,1399,1403; OLG Koblenz NJW –RR 1998,1516.<br />
11 BGHZ 47,370, , WM 1999,2032;1998,494.<br />
12 BGHZ 8, 222,229; BGH NJW 2000,3712,3715.<br />
liegt in der Zahlung des von B dem N geschuldeten Schadensersatzes eine<br />
Aufwendung (§ 670). <strong>Die</strong> A können also von B nach §§ 683, 677, 670 Aufwen-<br />
dungsersatz in Höhe von 500 € verlangen.<br />
II. ANSPRUCH AUF RÜCKZAHLUNG NACH § 812 I 1, 1. ALT.<br />
A könnten von B Zahlung von 500 € nach § 812 I 1, 1. Alt. verlangen, wenn sie<br />
an B geleistet hätten(a) und <strong>für</strong> die Leistung im Verhältnis zu B kein Rechts-<br />
grund bestünde(b)<br />
a) A bezweckten mit der Zahlung, die B von ihrer gegenüber N bestehenden<br />
Verbindlichkeit aus § 832 zu befreien. Indem die A an N zahlten, haben sie<br />
folglich an B geleistet, weil die A den B gegenüber den Zweck verfolgten, ei-<br />
nen letzterem nützliches Geschäft zu besorgen 13 . A handelten also N gegenü-<br />
ber mit Fremdtilgungswillen und trafen mit ihrer Zahlung auch eine entspre-<br />
chende Tilgungsbestimmung zugunsten des N 14 Mit der Tilgung ist jedoch<br />
ein Rechtsverhältnis nach § 677 zwischen A und B zustande kommen. <strong>Die</strong>ses<br />
bildet das Kausalverhältnis <strong>für</strong> die Leistungsgewährung 15 der B an N und in<br />
ihm liegt auch der Rechtsgrund <strong>für</strong> die von A und B erbrachte Leistung. Eine<br />
Leistungskondiktion zwischen A und B ist folglich nicht begründet.<br />
III. ANSPRUCH AUF RÜCKZAHLUNG NACH § 812 I 1, 2. ALT<br />
(RÜCKGRIFFSKONDIKTION)<br />
Da die Geschäft sführung der A den B einen Vermögensvorteil über 500 € ver-<br />
schafft en, könnten die B aber auf Kosten der A bereichert sein. B schuldeten<br />
daher den A einen Ausgleich in Höhe einer erlangten Bereicherung, falls<br />
durch die Zahlung an N eine Bereicherung der B in sonstiger Weise eingetre-<br />
ten wäre. <strong>Die</strong>se wäre zu verneinen, wenn wegen der Leistung der A an B ein<br />
Rückgriff im Wege der Nichtleistungskondiktion ausgeschlossen wäre (a), in-<br />
dessen zu bejahen, falls As Zahlung zwar N zufrieden stellte, aber im Ergeb-<br />
nis nicht B entlasten sollte (b) und die in § 684 enthaltene Regelung dem An-<br />
spruch nicht entgegensteht (c)..<br />
a) Ausweislich des Sachverhalts verfolgten die A mit Ihrer Zahlung an N den<br />
Zweck, die Folgen der Schädigung zu beseitigen, namentlich <strong>für</strong> Frieden zwi-<br />
schen N und den Eltern B und A zu sorgen. <strong>Die</strong> Zahlung sollte aber nicht zu-<br />
gleich bezwecken, dass A die B aus ihrer haft pfl ichtrechtlichen Verantwor-<br />
tung gegenüber N endgültig und auf deren eigene Kosten befreien sollte.<br />
Der mit der Schuldentilgung im Verhältnis B und N verfolgte Zweck war folg-<br />
lich mit der Absicht verbunden, B gegenüber A durch ein eigenes Rechtsver-<br />
hältnis der Geschäft sführung ohne Auft rag zu verbinden. <strong>Die</strong> von A an N ge-<br />
richtete Zahlung ist also nicht nur als eine mit Rechtsgrund erfolgende<br />
Leistung der B an N, sondern zugleich als eine mit Rechtsgrund erfolgende<br />
Leistung der A an B zu verstehen. Da <strong>für</strong> beide Vermögensübertragungen je-<br />
weils ein eigener Rechtsgrund vorliegt, bleibt <strong>für</strong> einen Ausgleich der Berei-<br />
cherungen mangels Bestehens einer Leistungskondiktion kein Raum.<br />
<strong>Die</strong> Gefahr einer möglichen Verdrängung einer begründeten Leistungskon-<br />
diktion durch eine Nichtleistungskondiktion besteht daher nicht. Weil im<br />
Verhältnis A zu B zwar eine Leistung vorliegt, diese aber mit Rechtsgrund er-<br />
13 BGH ZIP 2008,1703.<br />
14 Palandt-Sprau, BGB , 2009 ( 68.Aufl), § 812 Rn 63<br />
15 Harm Peter Westermann/ P Buck-Hueb, in Erman, BGB , 2008 (12.<br />
Aufl), § 812 Rn 26 ; Esser/Weyers, SchR BT, 1976 (4.Aufl.), § 48 III4.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
Fallbearbeitung<br />
ging, besteht vorliegend keine Konkurrenzlage zwischen Leistungs- und<br />
Nichtleistungskondiktion ,die nach der Vorrangregel: Leistungs- vor Nicht-<br />
leistungskondiktion! aufzulösen wäre.<br />
b) Der Tatbestand der Nichtleistungskondiktion wird nicht nur durch Akte<br />
des Eingriff s in die Rechtssphäre des Bereicherungsgläubigers erfüllt, sondern<br />
auch durch anderweitige Rechtshandlungen, welche den Zuweisungsgehalt<br />
eines fremden Rechts zwar berühren, in dieses aber nicht eingreifen 16 .<br />
<strong>Die</strong>s ist namentlich der Fall, wenn jemand <strong>für</strong> einen anderen Verwendungen<br />
oder Aufwendungen trifft , deren Ergebnis dem Rechtsinhaber zugute kommt.<br />
Unter dieser Voraussetzung besteht die Pfl icht zum Bereicherungsausgleich<br />
aufgrund einer Verwendungs- oder Rückgriff skondiktion – die ihrerseits als<br />
Unterfälle einer Bereicherung in sonstiger Weise anzusehen sind. 17 . Eine<br />
Rückgriff skondiktion ist regelmäßig dann gegeben, wenn ein Schuldner auf<br />
Kosten eines Dritten von einer eigenen Verbindlichkeit befreit wird. Da die A<br />
die B von der in § 832 begründeten deliktsrechtlichen Haft ung gegenüber N<br />
befreiten, ohne selbst die Zahlung endgültig zu tragen, sind im Verhältnis A<br />
zu B die Voraussetzungen einer Rückgriff skondiktion gegeben.<br />
c) § 684 steht diesem Anspruch nicht unmittelbar entgegen, weil die Bestim-<br />
mung <strong>für</strong> die unberechtigte, jedoch gerade nicht der § 683 genügende Ge-<br />
schäft sführungsmaßnahme gilt und deshalb <strong>für</strong> die vorliegende Fallgestal-<br />
tung nicht einschlägig ist. <strong>Die</strong> darin enthaltene Rechtsfolgenverweisung 18<br />
stellt aber im Gegenzug klar, dass selbst eine unberechtigte Geschäft sführung<br />
ohne Auft rag den Geschäft sherrn zum Bereicherungsausgleich verpfl ichtet.<br />
Hier liegt dagegen eine berechtigte Geschäft sführung ohne Auft rag vor. Ver-<br />
pfl ichtet aber schon jene zur Abschöpfung ungerechtfertigter Vermögensvor-<br />
teile des Geschäft sherrn zum Bereicherungsausgleich, so muss dieses umso<br />
mehr – argumentum a fortiori - <strong>für</strong> die berechtigte Geschäft sführung gelten.<br />
B schulden A folglich auch nach § 812 I 1, 2. Alt. Zahlung von 500 €.<br />
ERGEBNIS:<br />
N kann von B nach § 832 300 €, A können von N nichts, aber von B weitere<br />
500 € nach §§ 677,683,670 sowie § 812 I1,2. Alt. verlangen.<br />
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16 Martin Schwab, In Münchener Kommentar zum BGB, SchR BT II2009<br />
(5.Aufl), § 812 Rn 235ff.<br />
17 Ebd., Rn 317ff.<br />
18 BGH WM 1976, 1056, 1060.<br />
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170<br />
Fallbearbeitung<br />
SACHVERHALT<br />
Examenskandidaten im Öffentlichen Recht: „Tabakwerbeverbot“<br />
Prof. Dr. Christoph Herrmann, LL.M. / Akad. Rat Dr. Ferdinand Wollenschläger<br />
Der Autor Herrmann ist Inhaber der Lehrstuhls <strong>für</strong> Staats- und Vewaltungsrecht, Europarecht, Europäisches und Inter-<br />
nationales Wirtschaftsrecht an der Universität Passau, der Autor Wollenschläger Akademischer Rat am Lehrstuhl <strong>für</strong><br />
Öffentliches Recht und Staatsphilosophie (Prof. Dr. Peter M. Huber) der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-<br />
Universität München.<br />
Das Europäische Parlament und der Rat erlassen formell ordnungsgemäß<br />
eine Richtlinie über die Herstellung und Aufmachung von Tabakerzeugnissen<br />
sowie über die Werbung <strong>für</strong> diese (Tabakrichtlinie). <strong>Die</strong> Richtlinie wurde im<br />
Amtsblatt der EU vom 31.3.2009 veröffentlicht. In der Richtlinie werden<br />
Grenzen <strong>für</strong> den zulässigen Gehalt an Nikotin, Teer und Kohlenmonoxid ge-<br />
regelt und es wird die Anbringung von Warnhinweisen und Angaben über<br />
die Gehalte an o.g. Stoffen vorgeschrieben. Zudem enthält die Richtlinie ein<br />
Verbot der Werbung <strong>für</strong> Tabakwaren in Zeitungen und <strong>Zeitschrift</strong>en sowie<br />
durch Restaurantausstattungen (Sonnenschirme, Aschenbecher etc.). Zur Be-<br />
gründung wird angeführt, ein Handeln der EU auf diesem Gebiet sei ange-<br />
zeigt, da ansonsten infolge auseinander laufender Gesetzgebung in den Mit-<br />
gliedstaaten der Binnenmarkt <strong>für</strong> Tabakerzeugnisse ebenso wie der <strong>für</strong> Zei-<br />
tungen und <strong>Zeitschrift</strong>en beeinträchtigt würde. Bereits mehrere Mitgliedstaa-<br />
ten hatten angekündigt, dass sie ihre Vorgehensweise gegen das Rauchen ver-<br />
schärfen wollten und hierzu verschiedene Maßnahmen in Betracht ziehen,<br />
u.a. Werbeverbote sowie Einfuhrverbote <strong>für</strong> Zigaretten, die bestimmte<br />
Höchstwerte an Nikotin etc. übersteigen.<br />
<strong>Die</strong> Rauchgenuss AG, ein führender deutscher Hersteller von Tabakwaren,<br />
sieht sich durch die Richtlinie in erheblichem Maße wirtschaftlich beein-<br />
trächtigt. <strong>Die</strong> Richtlinie erleichtere den Handel zwischen den Mitgliedstaaten<br />
nicht, vielmehr verhindere sie ihn praktisch vollständig. Im Übrigen dürfe die<br />
EU im Bereich des Gesundheitsschutzes überhaupt nicht tätig werden. Zu-<br />
mindest sei es ihr diesbezüglich verboten, die Rechtsvorschriften der Mit-<br />
gliedstaaten zu harmonisieren. Das Vorgehen der EU stelle insoweit eine<br />
klare Umgehung dar.<br />
Auch die BRD sieht sich in ihren Zuständigkeiten rechtswidrig beschnitten.<br />
Genauso wie die Rauchgenuss AG hält sie die EU <strong>für</strong> unzuständig; jedenfalls<br />
widerspreche aber ein Tätigwerden der Union dem Subsidiaritätsgrundsatz.<br />
Schließlich verletzten die Verbote die Eigentums-, Berufs- und Meinungsfrei-<br />
heit.<br />
<strong>Die</strong> Rauchgenuss AG und die BRD erheben deshalb am 16.6.2009 Klage beim<br />
Gerichtshof.<br />
Bearbeitervermerk:<br />
Prüfen Sie gutachterlich die Erfolgsaussichten der Klagen.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
LÖSUNGSHINWEISE<br />
Vorbemerkung: Ungeachtet etwaiger Übergangsfragen beruht die Lösung<br />
auf dem Vertrag von Lissabon.<br />
A. EINSCHLÄGIGER RECHTSBEHELF<br />
<strong>Die</strong> BRD und die Rauchgenuss AG begehren die Nichtigerklärung einer EU-<br />
Richtlinie. Hier<strong>für</strong> kommt die Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUV in Be-<br />
tracht (vgl. Art. 264 AEUV).<br />
B. ZULÄSSIGKEIT DER KLAGEN<br />
I. ZUSTÄNDIGKEIT<br />
Für Klagen der Mitgliedstaaten sowie der Unionsorgane ist grundsätzlich der<br />
EuGH zuständig (Art. 256 I 1 AEUV i.V.m. Art. 51 Satzung EuGH; dort auch<br />
zu Ausnahmen). Für sonstige Klagen ist das EuG zuständig (Art. 256 I 1<br />
AEUV i.V.m. Art. 51 Satzung EuGH e contrario).<br />
II. KLAGEBERECHTIGUNG<br />
Klageberechtigt sind die Mitgliedstaaten, die Unionsorgane sowie natürliche<br />
und juristische Personen. <strong>Die</strong> BRD ist als Mitgliedstaat klageberechtigt, die<br />
Rauchgenuss AG als juristische Person i.S.d. Art. 263 IV AEUV (unions-<br />
rechtlich-autonomer Begriff 1 ).<br />
III. BEKLAGTER<br />
<strong>Die</strong> Klage ist gegen das Unionsorgan zu richten, welches den streitgegen-<br />
ständlichen Rechtsakt erlassen hat, d.h. hier gegen EP und Rat als Unionsge-<br />
setzgeber im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, dem Mitentscheidungs-<br />
verfahren (Art. 289, 294 AEUV).<br />
IV. KLAGEGEGENSTAND<br />
Als privilegiert klageberechtigter Mitgliedstaat kann die BRD ohne Weiteres<br />
eine Richtlinie anfechten.<br />
Natürliche und juristische Personen konnten gemäß Art. 230 IV EG gegen an<br />
sie und an Dritte ergangene Entscheidungen sowie gegen Entscheidungen,<br />
1 EuGH, Rs. 135/81, Slg. 1982, 3799, Rn. 10 – Groupement des agences<br />
de voyages; W. Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV-Kommentar,<br />
2007, Art. 230 (jetzt: Art. 263 AEUV), Rn. 27.<br />
die als Verordnung ergangen sind („Schein-Verordnung“) Klage erheben.<br />
Eine Schein-Verordnung ist ein der Form nach als Verordnung erlassener<br />
Rechtsakt, der allerdings keine allgemeine Geltung (vgl. Art. 249 UA 2 S. 1<br />
EGV, jetzt Art. 288 UA 2 S. 1 AEUV) aufweist und damit seinem Inhalt nach<br />
kein normativer Akt ist. Mit der Einbeziehung von Schein-Verordnungen in<br />
Art. 230 IV EG „sollte insbesondere verhindert werden, dass die Gemein-<br />
schaftsorgane allein durch die Wahl der Form der Verordnung die Klage eines<br />
Einzelnen gegen die Entscheidung ausschließen können, die ihn unmittelbar<br />
und individuell betrifft; es sollte klargestellt werden, dass die Wahl der Form<br />
die Rechtsnatur einer Handlung nicht ändern kann“. 2 Nach der Rechtspre-<br />
chung des EuGH konnten darüber hinaus sogar „echte“ Verordnungen mit<br />
der Nichtigkeitsklage angegriffen werden, wenn sie „bestimmte natürliche<br />
oder juristische Personen individuell betreffen und damit ihnen gegenüber<br />
Entscheidungscharakter haben“. 3 <strong>Die</strong>s war dann im Rahmen der Klagebefug-<br />
nis zu prüfen.<br />
Richtlinien waren vom Wortlaut des Art. 230 IV EG aber überhaupt nicht er-<br />
fasst. Daher war umstritten, ob sie Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein<br />
können. Gegen eine solche Möglichkeit sprach der eindeutige Wortlaut. Sah<br />
man hierin kein generelles Hindernis, so stellte sich weiter die Frage, ob –<br />
analog zum eben zu Verordnungen ausgeführten – nur sog. „Scheinrichtli-<br />
nien“ oder auch „echte“ Richtlinien angreifbar sein sollten. Jedenfalls „Schein-<br />
Richtlinien“ wurden überwiegend <strong>für</strong> angreifbar gehalten mit dem Argument,<br />
dass insoweit genauso wie bei Verordnungen die Gefahr des Formmiss-<br />
brauchs bestünde (Entscheidung im Gewande einer Richtlinie) und der Ge-<br />
meinschaftsgesetzgeber nicht mittels der Formwahl über Rechtsschutzmög-<br />
lichkeiten bestimmen dürfe. 4 Ob auch „echte“ Richtlinien erfasst waren, war<br />
genauso – wie bei „echten“ Verordnungen – umstritten. <strong>Die</strong> neuere Recht-<br />
sprechung des EuG bejahte dies; argumentiert wurde analog zur Problematik<br />
bei „echten“ Verordnungen. 5<br />
Der neu gefasste Art. 263 IV AEUV sieht vor, dass natürliche und juristische<br />
Personen „gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell<br />
betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter,<br />
die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach<br />
sich ziehen“ Nichtigkeitsklage erheben können. Da der Begriff der Handlun-<br />
gen auch Richtlinien umfasst (vgl. Art. 288 AEUV), stellen Richtlinien seit In-<br />
Kraft-Treten des Vertrags von Lissabon unproblematisch einen tauglichen<br />
Klagegegenstand dar.<br />
Zwischenergebnis:<br />
<strong>Die</strong> Tabak-Richtlinie ist mithin tauglicher Klagegegenstand.<br />
2 EuGH, Verb. Rs. 789 und 790/79, Slg. 1980, 1949, Rn. 7 – Calpak u.a.<br />
3 EuGH, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677, Rn. 36 – Unión de Pequeños<br />
Agricultores; ferner Rs. C-358/89, Slg. 1991, I-2501, Rn. 13 f. – Extramet;<br />
Rs. C-309/89, Slg. 1994, I-1853, Rn. 19 – Codorníu. Näher: W. Cremer, in:<br />
Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV-Kommentar, 2007, Art. 230, Rn. 30 ff.<br />
4 EuG, Rs. T-223/01, Slg. 2002, II-3259, Rn. 28 – Japan Tobacco Inc. u.a.;<br />
T-321/02, Slg. 2003, II-1997, Rn. 21 – Vannieuwenhuyze-Morin; Rs. T-<br />
310/03, Slg. 2006, II-36, Rn. 40 ff. – Kreuzer.<br />
5 EuG, Rs. T-135/96, Slg. 1998, II-2335, Rn. 67 f. – UEAPME; ferner verb.<br />
Rs. T-172, T-175–177/98, Slg. 2000, II-2487, Rn. 30 – Salamander; Rs. T-<br />
223/01, Slg. 2002, II-3259, Rn. 28 ff. – Japan Tobacco Inc. u.a.; Rs. T-<br />
321/02, Slg. 2003, II-1997, Rn. 21 ff. – Vannieuwenhuyze-Morin; T-<br />
310/03, Slg. 2006, II-36, Rn. 47 – Kreuzer; R. Streinz, Europarecht, 2008,<br />
Rn. 591; siehe aber auch Rs. T-99/94, Slg. 1994, II-871, Rn. 17 f. – Asocarne.<br />
I. E. str., näher: W. Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV-<br />
Kommentar, 2007, Art. 230 (jetzt: Art. 263 AEUV), Rn. 38 ff.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
V. KLAGEBEFUGNIS<br />
Fallbearbeitung<br />
Fraglich ist, ob die BRD und die Rauchgenuss AG klagebefugt sind. Insoweit<br />
ist zwischen ersterer als privilegiert (1.) und letzterer als nicht-privilegiert (2.)<br />
Klageberechtigten zu differenzieren. Sog. „privilegiert Klageberechtigte“ sind<br />
stets klagebefugt (Art. 263 II AEUV). Damit ist die Klagebefugnis der BRD<br />
ohne Weiteres zu bejahen. Für sog. „nicht-privilegiert“ Klageberechtigte muss<br />
die Klagebefugnis demgegenüber gesondert festgestellt werden. Natürliche<br />
und juristische Personen sind bei an sie gerichteten Handlungen stets klage-<br />
befugt. Im Übrigen ist eine unmittelbare (aa) und individuelle (bb) Betroffen-<br />
heit erforderlich.<br />
A) UNMITTELBARE BETROFFENHEIT<br />
<strong>Die</strong> angegriffene Maßnahme muss sich auf die Rechtsstellung des Betroffen<br />
unmittelbar auswirken, d.h. es dürfen entweder keine Vollzugsakte mehr er-<br />
forderlich sein (formelle Unmittelbarkeit) oder trotz Notwendigkeit eines<br />
Vollzugsakts keinerlei Ermessensspielräume bzgl. des „Ob“ und „Wie“ der<br />
Umsetzung bestehen (materielle Unmittelbarkeit). 6 Da Richtlinien einer Um-<br />
setzung in das nationale Recht bedürfen (vgl. Art. 288 III AEUV), kommt nur<br />
die zweite Alternative in Betracht. Bei der Umsetzung dürfte den Mitglied-<br />
staaten mithin kein Ermessensspielraum zukommen. <strong>Die</strong>s kann <strong>für</strong> die zwin-<br />
genden Vorschriften einer Richtlinie angenommen werden (str. mit Blick auf<br />
Umsetzungsbedürftigkeit). 7<br />
Hinsichtlich der Umsetzung des Werbeverbots besteht kein Spielraum <strong>für</strong> die<br />
Mitgliedstaaten. Damit ist eine unmittelbare Betroffenheit der Rauchgenuss<br />
AG zu bejahen.<br />
B) INDIVIDUELLE BETROFFENHEIT<br />
<strong>Die</strong> Rauchgenuss AG müsste aber auch individuell betroffen sein.<br />
Ausgangspunkt <strong>für</strong> die Bestimmung der individuellen Betroffenheit ist die<br />
sog. „Plaumann-Formel“ des EuGH. Danach erfordert die individuelle Be-<br />
troffenheit, dass die „streitige Vorschrift … den Kläger wegen bestimmter<br />
persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen<br />
Personen heraushebenden Umstände [betrifft] und … ihn daher wie den<br />
Adressaten einer Entscheidung [individualisiert]“. 8 Wann dies der Fall ist, ha-<br />
ben der EuGH und das EuG in ihrer Rechtsprechung <strong>für</strong> den Einzelfall kon-<br />
kretisiert. 9<br />
<strong>Die</strong> bloße (nachteilige) Betroffenheit durch einen Unionsrechtsakt qua Grup-<br />
penzugehörigkeit genügt damit nicht. Demnach wäre die Rauchgenuss AG<br />
nicht klagebefugt, da sie durch die Richtlinie lediglich als Tabakwarenherstel-<br />
lerin nachteilig betroffen ist. In der Rs. Jégo-Quéré hat das EuG das der Recht-<br />
sprechung des EuGH zugrunde liegende restriktive Verständnis der individu-<br />
6 W. Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV-Kommentar, 2007,<br />
Art. 230 (jetzt: Art. 263 AEUV), Rn. 46 ff. Siehe aber auch EuG, verb. Rs.<br />
T-172 und 175-177/98, Slg. 2000, II-2487, Rn. 54, 64 ff. – Salamander<br />
u.a.<br />
7 So auch U. Ehricke, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV-Kommentar, 2003,<br />
Art. 230 (jetzt: Art 263 AEUV), Rn. 49. Siehe demgegenüber aber auch<br />
EuG, verb. Rs. T-172 und 175-177/98, Slg. 2000, II-2487, Rn. 54, 64 ff. –<br />
Salamander u.a.; C. Herrmann, Examens-Repetitorium Europarecht/<br />
Staatsrecht, 2009, Rn. 225.<br />
8 EuGH, Rs. 25/62, Slg. 1963, 199 (238) – Plaumann.<br />
9 Vgl. EuG, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365, Rn. 32 ff. – Jégo-Quéré.<br />
171
172<br />
Fallbearbeitung<br />
ellen Betroffenheit kritisiert. 10 Eine individuelle Betroffenheit sei demgegen-<br />
über bereits dann anzunehmen, wenn eine Bestimmung des Unionsrechts die<br />
„Rechtsposition [einer Person] unzweifelhaft und gegenwärtig beeinträchtigt,<br />
indem sie ihre Rechte einschränkt oder ihr Pflichten auferlegt. <strong>Die</strong> Zahl und<br />
die Lage anderer Personen, deren Rechtsposition durch die Bestimmung<br />
ebenfalls beeinträchtigt wird oder werden kann, sind insoweit keine relevan-<br />
ten Gesichtspunkte.“ 11<br />
Der EuGH hat ungeachtet der Kritik des EuG in der Rs. Unión de Pequeños<br />
Agricultores 12 und in seiner Revisionsentscheidung in der Rs. Jégo-Quéré 13 an<br />
der Plaumann-Formel festgehalten. Zur Begründung führt der Gerichtshof<br />
aus, dass nach dem System des unionsrechtlichen Rechtsschutzes ein Indivi-<br />
duum – anders als die privilegiert Klageberechtigten – Verordnungen (jetzt:<br />
Handlungen) nur im Ausnahmefall angreifen kann, nämlich wenn diese ihn<br />
individuell in dem Sinne betreffen, dass sie ihm gegenüber Entscheidungs-<br />
charakter haben. Ein weites Verständnis der individuellen Betroffenheit, das<br />
lediglich eine Berührung in eigenen Rechten, aber keine besondere Individu-<br />
alisierung verlangt, stellt diesen vertraglich vorgezeichneten Ausnahmecha-<br />
rakter der Klagemöglichkeit Einzelner gegen Verordnungen (jetzt: Handlun-<br />
gen) in Frage und würde damit die Auslegungskompetenz des EuGH über-<br />
schreiten. Effektiver Rechtsschutz gegen Verordnungen (jetzt: Handlungen)<br />
sei damit auf mitgliedstaatlicher Ebene sicherzustellen; in diesem Rahmen<br />
kann dann der Gerichtshof angerufen werden, um über die Gültigkeit von Se-<br />
kundärrecht zu entscheiden. 14<br />
Nach der Neufassung des Art. 263 IV AEUV durch den Vertrag von Lissabon<br />
entfällt, wie bereits im Verfassungsvertrag (Art. III-365 IV VVE), das Erfor-<br />
dernis einer individuellen Betroffenheit bei Rechtsakten „mit Verordnungs-<br />
charakter“. Bei diesen handelt es sich aber nicht generell um alle Verordnun-<br />
gen i.S.d. Art. 288 UA 2 AEUV (früherer Art. 249 UA 2 EG), sondern ledig-<br />
lich um die Rechtsakte, die nicht im Rahmen des „ordentlichen Gesetzge-<br />
bungsverfahrens“ (Art. 289 I AEUV) bzw. eines „besonderen Gesetzgebungs-<br />
verfahrens“ (Art. 289 II AEUV) erlassen worden sind, da diese „Gesetzge-<br />
bungscharakter“ haben (Art. 289 III AEUV). Solchen „Verordnungscharak-<br />
ter“ weisen insbesondere die Durchführungsverordnungen (Art. 291 II<br />
AEUV) bzw. delegierten Verordnungen der Europäischen Kommission auf<br />
(Art. 290 AEUV). 15 Vorliegend handelt es sich jedoch um einen Rechtsakt, der<br />
im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen wurde, so dass es bei dem<br />
Erfordernis der individuellen Betroffenheit bleibt.<br />
Da die Rauchgenuss AG in keine der Fallgruppen der individuellen Betroffen-<br />
heit fällt und die Kriterien der Plaumann-Formel nicht erfüllt, ist sie nicht<br />
klagebefugt, ihre Klage damit unzulässig. <strong>Die</strong> BRD ist demgegenüber klage-<br />
befugt.<br />
10 EuG, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365, Rn. 41 ff. – Jégo-Quéré.<br />
11 EuG, Rs. T-177/01, Slg. 2002, II-2365, Rn. 51 – Jégo-Quéré.<br />
12 EuGH, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677, Rn. 32 ff. – Unión de Pequeños<br />
Agricultores.<br />
13 EuGH, Rs. C-263/02 P, Slg. 2004, I-3425, Rn. 29 ff. – Jégo-Quéré.<br />
14 EuGH, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677, Rn. 32 ff. – Unión de Pequeños<br />
Agricultores; Rs. C-263/02 P, Slg. 2004, I-3425, Rn. 29 ff. – Jégo-Quéré.<br />
15 <strong>Die</strong>s ergibt sich aus dem Vergleich mit den Vorschriften des Verfassungsvertrages,<br />
in dem der Begriff „Verordnung“ <strong>für</strong> Rechtsakte, die<br />
nicht in einem Gesetzgebungsverfahren erlassen worden sind, vorbehalten<br />
war (vgl. R. Streinz/C. Ohler/C. Herrmann, Der Vertrag von Lissabon<br />
zur Reform der Europäischen Union, 2008, S. 93 ff.).<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
VI. GELTENDMACHUNG EINES KLAGEGRUNDES<br />
Der Kläger muss mindestens einen der in Art. 263 II AEUV abschließend auf-<br />
gezählten Nichtigkeitsgründe geltend machen (Unzuständigkeit, Verletzung<br />
wesentlicher Formvorschriften, Verletzung der Verträge oder von Sekundär-<br />
recht, Ermessensmissbrauch). Eine schlüssige Darlegung genügt; die genaue<br />
Zuordnung und Bezeichnung des jeweiligen Nichtigkeitsgrundes ist nicht er-<br />
forderlich. 16 Hiervon kann vorliegend ausgegangen werden.<br />
VII. KLAGEFRIST<br />
Gemäß Art. 263 VI AEUV ist die Nichtigkeitsklage „binnen zwei Monaten zu<br />
erheben; diese Frist läuft je nach Lage des Falles von der Bekanntgabe der be-<br />
treffenden Handlung, ihrer Mitteilung an den Kläger oder in Ermangelung<br />
dessen von dem Zeitpunkt an, zu dem der Kläger von dieser Handlung Kennt-<br />
nis erlangt hat.“ Näheres regeln die VerfO von EuGH und EuG (Art. 80 f.<br />
VerfO-EuGH bzw. Art. 101 f. VerfO-EuG).<br />
Bei im Amtsblatt der EU veröffentlichten Maßnahmen – wie EU-Richtlinien<br />
– gilt Art. 81 § 1 VerfO-EuGH, der bestimmt: „Beginnt eine Frist <strong>für</strong> die Erhe-<br />
bung einer Klage gegen eine Maßnahme eines Organs mit der Veröffentli-<br />
chung der Maßnahme, so ist diese Frist im Sinne von Artikel 80 § 1 Buchstabe<br />
a vom Ablauf des vierzehnten Tages nach der Veröffentlichung der Maß-<br />
nahme im Amtsblatt der Europäischen Union an zu berechnen.“ In der Aus-<br />
legung des EuGH ordnet dies den Fristbeginn am 14. Tag nach Veröffentli-<br />
chung (hier: 31.3.2009) an, mithin am 14.4.2009. 17 Sie endet gemäß Art. 80 §<br />
1 lit. b VerfO-EuGH am 14.6.2009 (So). Eine Verschiebung auf den nächsten<br />
Werktag gemäß Art. 80 § 2 VerfO-EuGH kommt nicht in Betracht, da zu-<br />
nächst die pauschale Entfernungsfrist von 10 Tagen gemäß Art. 81 § 2 VerfO-<br />
EuGH zu addieren ist. 18 Fristende ist damit der 24.6.2009 (Mi).<br />
<strong>Die</strong> Klageerhebung am 16.6.2009 erfolgte damit fristgerecht.<br />
VIII. FORM (ART. 21 SATZUNG EUGH, ART. 37F.<br />
VERFOE-EUGH BZW. 43 F. VERFOE- EUG)<br />
Zwischenergebnis: Mangels Klagebefugnis ist die Klage der Rauchgenuss AG<br />
unzulässig; die Klage der BRD ist demgegenüber zulässig.<br />
C. BEGRÜNDETHEIT DER KLAGE DER BRD<br />
<strong>Die</strong> Klage ist begründet, wenn einer der in Art. 263 II AEUV abschließend<br />
aufgezählten Nichtigkeitsgründe vorliegt, nämlich die Unzuständigkeit (I.),<br />
eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften (II.), ein Ermessensmiss-<br />
brauch (III.) oder eine Verletzung der Verträge oder einer bei ihrer Durch-<br />
führung anzuwendenden Rechtsnorm (Sekundärrecht; IV.). Der Gerichtshof<br />
prüft allerdings nur die geltend gemachten bzw. von Amts wegen zu berück-<br />
sichtigenden Mängel. 19 Das folgende Schema ist demgegenüber umfassender<br />
angelegt.<br />
16 C. Herrmann, Examens-Repetitorium Europarecht/Staatsrecht, 2009, Rn. 230.<br />
17 EuGH, Rs. C-406/01, Slg. 2002, I-4561, Rn. 12 ff. – D/EP und Rat; ferner<br />
(<strong>für</strong> die VerfO-EuG) EuG, Rs. T-126/00, Slg. 2001, II-85, Rn. 14 f. –<br />
Confindustria u.a. Siehe auch W. Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.),<br />
EUV/EGV-Kommentar, 2007, Art. 230, Rn. 67.<br />
18 EuG, T-126/00, Slg. 2001, II-85, Rn. 18 – Confindustria u.a. (<strong>für</strong> die<br />
VerfO-EuG); W. Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV-Kommentar,<br />
2007, Art. 230 (jetzt: Art. 263 AEUV), Rn. 70.<br />
19 W. Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV-Kommentar, 2007,<br />
Art. 230 (jetzt: Art. 263 AEUV), Rn. 72.<br />
I. UNZUSTÄNDIGKEIT<br />
Bei der Zuständigkeit ist zwischen der Verbands- (EU oder Mitgliedstaaten),<br />
Organ-, räumlichen und sachlichen (Handlungsform) Zuständigkeit zu un-<br />
terscheiden. 20<br />
1. VERBANDSZUSTÄNDIGKEIT<br />
Nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 I 1 EUV)<br />
bedarf jedes Unionshandeln einer Rechtsgrundlage in den Unions-Verträgen.<br />
Hier kommt die Harmonisierungskompetenz des Art. 114 AEUV in Betracht.<br />
<strong>Die</strong>se ermächtigt zum Erlass von Maßnahmen zur Angleichung der Rechts-<br />
und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und<br />
das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben.<br />
A) REICHWEITE DER RECHTSETZUNGSERMÄCHTIGUNG<br />
DES ART. 114 AEUV<br />
Aus Art. 114 AEUV kann keine allgemeine Regelungskompetenz <strong>für</strong> den Bin-<br />
nenmarkt abgeleitet werden. Eine derartige Auslegung wäre nämlich weder<br />
mit seinem Wortlaut noch dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächti-<br />
gung (Art. 5 I 1 EUV) zu vereinbaren. 21<br />
Gedeckt sind vielmehr nur solche Maßnahmen, deren tatsächlicher Zweck es<br />
ist, die Voraussetzungen <strong>für</strong> das Funktionieren des Binnenmarktes zu verbes-<br />
sern (Verhinderung von Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrun-<br />
gen). Nicht ausreichend ist insoweit die bloße Existenz unterschiedlicher Re-<br />
gelungen in den Mitgliedstaaten oder die abstrakte Möglichkeit von Handels-<br />
hemmnissen bzw. Wettbewerbsverzerrungen. Vielmehr müssen die unter-<br />
schiedlichen nationalen Regelungen entweder zu Handelshemmnissen bzw.<br />
Wettbewerbsverzerrungen geführt haben oder solche mit einer bestimmten<br />
Wahrscheinlichkeit be<strong>für</strong>chten lassen und muss die Harmonisierungsmaß-<br />
nahme tatsächlich deren Beseitigung bezwecken. 22<br />
Handelshemmnisse resultieren aus der Beeinträchtigung des freien Waren-<br />
und <strong>Die</strong>nstleistungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten, Wettbewerbsver-<br />
zerrungen aus unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen <strong>für</strong> Unterneh-<br />
men in den einzelnen Mitgliedstaaten. Um ein Tätigwerden nach Art. 114<br />
AEUV zu legitimieren, müssen Wettbewerbsverzerrungen zudem spürbar<br />
sein. 23<br />
Unschädlich ist, wenn aufgrund von Art. 114 AEUV erlassene Regelungen<br />
auch maßgeblich Aspekte des Gesundheitsschutzes betreffen. Denn letzterer<br />
ist als Ziel im Rahmen der Binnenmarktregulierung mit zu berücksichtigen.<br />
Zum einen bestimmt Art. 168 I UA 1 AEUV: „Bei der Festlegung und Durch-<br />
führung aller Unionspolitiken und -maßnahmen wird ein hohes Gesund-<br />
20 W. Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV-Kommentar, 2007,<br />
Art. 230 (jetzt: Art. 263 AEUV), Rn. 73.<br />
21 EuGH, Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419, Rn. 81 ff. – Deutschland/EP<br />
und Rat; C. Herrmann, Examens-Repetitorium Europarecht/<br />
Staatsrecht, 2009, Rn. 236.<br />
22 EuGH, Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419, Rn. 84 ff. – Deutschland/EP<br />
und Rat; Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, Rn. 60 f. – British<br />
American Tobacco u.a.; verb. Rs. C-154 und C-155/04, Slg. 2005, I-6451,<br />
Rn. 27 ff. – Alliance for Natural Health u.a.; Rs. C-380/03, Slg. 2006, I-<br />
11573, Rn. 37 ff. – Deutschland/Rat und EP.<br />
23 EuGH, Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419, Rn. 106 f. – Deutschland/EP<br />
und Rat.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
Fallbearbeitung<br />
heitsschutzniveau sichergestellt“. Art. 114 III 1 AEUV verpflichtet zum ande-<br />
ren die Kommission, bei Vorschlägen <strong>für</strong> Harmonisierungsmaßnahmen nach<br />
Art. 114 I AEUV von einem hohen Schutzniveau im Gesundheitsbereich aus-<br />
zugehen. Der Gesundheitsschutz kann mithin im Rahmen von Harmonisie-<br />
rungsmaßnahmen nach Art. 114 AEUV berücksichtigt werden. 24<br />
Hinweis: Sobald die Harmonisierung vollständig erreicht ist, darf Art. 114<br />
AEUV auch zur Anpassung des Schutzniveaus genutzt werden, da die Mit-<br />
gliedstaaten ihre dahingehende Kompetenz nicht mehr ausüben könnten<br />
(Sperrwirkung der Harmonisierungsvorschrift). 25<br />
B) SUBSUMTION<br />
Es ist zwischen den einzelnen in der Richtlinie enthaltenen Maßnahmen zu<br />
differenzieren.<br />
AA) HÖCHSTGRENZEN UND ETIKETTIERUNGSVORSCHRIFTEN<br />
Angesichts der geplanten divergierenden mitgliedstaatlichen Normierung<br />
von Höchstgrenzen und Etikettierungsvorschriften sind Hemmnisse <strong>für</strong> den<br />
freien Warenverkehr zu be<strong>für</strong>chten. In einem Mitgliedstaat gemäß den natio-<br />
nalen Vorschriften hergestellte Tabakerzeugnisse wären nämlich nicht mehr<br />
unionsweit verkehrsfähig. 26<br />
BB) WERBEVERBOTE IN ZEITUNGEN UND ZEITSCHRIFTEN<br />
Werbeverbote in Zeitungen und <strong>Zeitschrift</strong>en sind geeignet, das Entstehen<br />
von Handelshemmnissen <strong>für</strong> diese zu verhindern, da die Mitgliedstaaten<br />
sonst den Verkehr mit Zeitungen und <strong>Zeitschrift</strong>en, in denen Tabakwerbung<br />
enthalten ist, unterbinden könnten. 27 <strong>Die</strong>se Produkte wären mithin ebenfalls<br />
nicht mehr unionsweit verkehrsfähig.<br />
CC) VERBOT DER RESTAURANTWERBUNG<br />
Das Verbot der Werbung durch Sonnenschirme, Aschenbecher etc. ist hinge-<br />
gen nicht von Art. 114 AEUV gedeckt, da die Richtlinie dadurch den Verkehr<br />
mit diesen Produkten vollständig unterbindet. 28<br />
Zwischenergebnis: Das Verbot der Restaurantwerbung kann nicht auf Art.<br />
114 AEUV gestützt werden; im Übrigen ist die Union zuständig. 29<br />
2. ORGANZUSTÄNDIGKEIT<br />
Für den Erlass von Harmonisierungsrichtlinien im ordentlichen Gesetzge-<br />
bungsverfahren gemäß Art. 114 I, 289 i.V.m. 294 AEUV sind das Parlament<br />
und der Rat zuständig.<br />
24 EuGH, Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419, Rn. 78, 88 – Deutschland/EP<br />
und Rat; Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, Rn. 62 – British American Tobacco<br />
u.a.; verb. Rs. C-154 und C-155/04, Slg. 2005, I-6451, Rn. 30 f. –<br />
Alliance for Natural Health u.a.; Rs. C-380/03, Slg. 2006, I-11573, Rn. 39,<br />
92 ff. – Deutschland/Rat und EP.<br />
25 EuGH, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, Rn. 76 ff. – British<br />
American Tobacco u.a.; C. Herrmann, Examens-Repetitorium Europarecht/Staatsrecht,<br />
2009, Rn. 236; R. Streinz, Europarecht, 2008, Rn. 925.<br />
26 EuGH, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, Rn. 63 ff. – British<br />
American Tobacco u.a.<br />
27 EuGH, Rs. C-380/03, Slg. 2006, I-11573, Rn. 44 ff. – Deutschland/Rat<br />
und EP. Siehe aber auch Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419, Rn. 96<br />
ff. – Deutschland/EP und Rat.<br />
28 EuGH, Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419, Rn. 99 – Deutschland/EP und Rat.<br />
29 Kritisch zur Entscheidung des EuGH T. Stein, EuZW 2007, S. 54 (55 f.).<br />
173
174<br />
Fallbearbeitung<br />
3. RÄUMLICHE ZUSTÄNDIGKEIT<br />
Der Rechtsakt entfaltet keine unzulässigen extraterritorialen Wirkungen.<br />
4. SACHLICHE ZUSTÄNDIGKEIT<br />
Art. 114 I S. 2 AEUV gestattet den Erlass von „Maßnahmen“ zur Rechtsanglei-<br />
chung; hierunter fallen auch Richtlinien (Art. 288 AEUV).<br />
Zwischenergebnis: <strong>Die</strong> Union ist <strong>für</strong> die erlassene Richtlinie nur teilweise zu-<br />
ständig.<br />
II. VERLETZUNG WESENTLICHER FORMVORSCHRIFTEN<br />
Vorliegend scheidet eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften aus, da lt.<br />
Sachverhalt die Richtlinie formell ordnungsgemäß erlassen wurde. Zu prüfen<br />
wären insbesondere Verfahren (Art. 294 AEUV), Begründung (Art. 296<br />
AEUV) und Veröffentlichung bzw. Bekanntgabe (Art. 297 AEUV), wobei<br />
Rechtsverstöße nur bei Wesentlichkeit zur Nichtigkeit des Rechtsaktes füh-<br />
ren. 30 Wesentlichkeit ist dann anzunehmen, wenn sich der Verstoß auf das<br />
Verfahrensergebnis inhaltlich auswirken kann. 31<br />
III. ERMESSENSMISSBRAUCH<br />
Fraglich ist, ob der Erlass von (auch) den Gesundheitsschutz betreffenden Re-<br />
gelungen auf der Grundlage von Art. 114 I AEUV als eine ermessensmiss-<br />
bräuchliche Umgehung des in Art. 168 V AEUV verankerten Harmonisie-<br />
rungsverbots im Bereich des Gesundheitsschutzes qualifiziert werden kann.<br />
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs „ist eine Rechtshandlung nur<br />
dann ermessensmissbräuchlich, wenn aufgrund objektiver, schlüssiger und<br />
übereinstimmender Indizien anzunehmen ist, dass sie ausschließlich oder zu-<br />
mindest vorwiegend zu anderen als den angegebenen Zwecken oder mit dem<br />
Ziel erlassen worden ist, ein Verfahren zu umgehen, das der Vertrag speziell<br />
vorsieht, um die konkrete Sachlage zu bewältigen.“ 32<br />
Demnach dürfen zwar „andere Artikel des EG-Vertrags (jetzt: AEUV) nicht<br />
als Rechtsgrundlage herangezogen werden …, um [das Harmonisierungsver-<br />
bot] zu umgehen“. 33 Von einer Umgehung kann jedoch dann keine Rede sein,<br />
wenn – wie hier (s. oben, C.I.1.a) – die Rechtsgrundlage eine Berücksichti-<br />
gung von Aspekten des Gesundheitsschutzes deckt und „die Richtlinie [nicht]<br />
ausschließlich oder zumindest überwiegend zu einem anderen Zweck als dem<br />
der Verbesserung der Bedingungen <strong>für</strong> das Funktionieren des Binnenmarktes<br />
<strong>für</strong> Tabakerzeugnisse erlassen worden ist.“ 34<br />
30 Näher W. Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV-Kommentar,<br />
2007, Art. 230, Rn. 74 ff.<br />
31 R. Streinz, Europarecht, 2008, Rn. 596.<br />
32 Siehe nur EuGH, Rs. 331/88, Slg. 1990, I-4023, Rn. 24 – Fedesa<br />
u.a.; ferner Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, Rn. 189 – British American<br />
Tobacco u.a.; W. Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV-Kommentar,<br />
2007, Art. 230 (jetzt: Art. 263 AEUV), Rn. 80.<br />
33 EuGH, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, Rn. 190 – British American<br />
Tobacco u.a.; ferner Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419, Rn. 79 – Deutschland/EP<br />
und Rat.<br />
34 EuGH, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, Rn. 190 f. – British American<br />
Tobacco u.a.<br />
IV. VEREINBARKEIT MIT PRIMÄR- UND SEKUNDÄRRECHT<br />
IM ÜBRIGEN<br />
1. VEREINBARKEIT MIT DEN GRUNDFREIHEITEN<br />
<strong>Die</strong> Grundfreiheiten binden nach überwiegender Auffassung nicht nur die<br />
Mitgliedstaaten, sondern auch den Unionsgesetzgeber (vgl. nunmehr auch<br />
Art.15 II, 51 GRC). 35<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
<strong>Die</strong> streitgegenständlichen Regelungen stellen eine Beschränkung der Waren-<br />
verkehrsfreiheit i.S.d. Art. 34 AEUV dar, da sie innerhalb der EU die Ver-<br />
marktung dieser Produkte untersagen bzw. an bestimmte Voraussetzungen<br />
knüpfen. 36 Darüber hinaus liegt eine Beschränkung der <strong>Die</strong>nstleistungsfrei-<br />
heit von Unternehmen, die unionsweit Werbedienstleistungen im Bereich der<br />
Tabakwerbung erbringen, vor.<br />
<strong>Die</strong> Beschränkung der beiden Marktfreiheiten könnte allerdings gerechtfer-<br />
tigt sein. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der EuGH dem Unionsgesetzge-<br />
ber im Kontext von Art. 114 AEUV einen weiten Ermessensspielraum zuge-<br />
steht und lediglich prüft, ob die Maßnahme zur Zielerreichung offensichtlich<br />
ungeeignet ist. 37 <strong>Die</strong>s ist allerdings nicht so zu verstehen, dass nur noch eine<br />
Eignungsprüfung stattfände; vielmehr prüft der EuGH die Verhältnismäßig-<br />
keit umfassend unter Berücksichtigung eines weiten Gestaltungsspielraums<br />
des Unionsgesetzgebers. 38<br />
Der Unionsgesetzgeber verfolgt mit den Beschränkungen – neben dem die<br />
Kompetenznorm begründenden Harmonisierungsziel – das Ziel des Gesund-<br />
heitsschutzes (Art. 36 S. 1 AEUV). <strong>Die</strong>ses Ziel ist auch legitim (vgl. Art. 114<br />
III AEUV) und muss bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung der Beschränkun-<br />
gen mit Berücksichtigung finden, auch wenn die Union primär zur Beseiti-<br />
gung von Handelshemmnissen tätig wird. <strong>Die</strong>se Hemmnisse resultieren aber<br />
aus Maßnahmen der Mitgliedstaten, welche ausschließlich gesundheitspoliti-<br />
sche Zielsetzungen aufweisen und regelmäßig auf Grundlage von Art. 36<br />
AEUV gerechtfertigt sind. Dann kann aber <strong>für</strong> die harmonisierende Maß-<br />
nahme der EU nichts anderes gelten, da es ansonsten zu einer – von Art. 114<br />
III AEUV – gerade nicht gewollten Absenkung der Gesundheitsschutzstan-<br />
dards käme. 39 <strong>Die</strong> vorliegenden Maßnahmen sind zur Zielerreichung geeig-<br />
net. Angesichts des gewichtigen Schutzgutes und dessen Bedrohung durch<br />
das Rauchen stellen sich die ergriffenen Maßnahmen – auch unter Berück-<br />
35 Siehe nur EuGH, Rs. 15/83, Slg. 1984, 2171, Rn. 15 – Denkavit; verb.<br />
Rs. C-154 und C-155/04, Slg. 2005, I-6451, Rn. 47 – Alliance for Natural<br />
Health u.a.; C. Herrmann, Examens-Repetitorium Europarecht/Staatsrecht,<br />
2009, Rn. 251; ablehnend T. Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.),<br />
EUV/EGV-Kommentar, 2007, Art. 28–30 EGV (jetzt: Art. 34–36 AEUV),<br />
Rn. 109 f.<br />
36 Vgl. <strong>für</strong> das Verbot der Vermarktung von Nahrungsmitteln mit bestimmten<br />
Nahrungsergänzungsmitteln EuGH, verb. Rs. C-154 und C-155/04, Slg.<br />
2005, I-6451, Rn. 49 – Alliance for Natural Health u.a.; ferner C. Herrmann,<br />
Examens-Repetitorium Europarecht/Staatsrecht, 2009, Rn. 251.<br />
37 EuGH, verb. Rs. C-154 und C-155/04, Slg. 2005, I-6451, Rn. 52<br />
– Alliance for Natural Health u.a.<br />
38 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-154 und C-155/04, Slg. 2005, I-6451,<br />
Rn. 53 ff. – Alliance for Natural Health u.a.<br />
39 Siehe zu dieser Mitberücksichtigung des Gesundheitsziels bei auf Art.<br />
114 I AEUV gestützten Maßnahmen auch C. Herrmann, <strong>Die</strong> Grenzen der<br />
Binnenmarktkompetenz in der jüngeren Rechtsprechung des EuGH, in:<br />
W. Schroeder (Hrsg.), Europarecht als Mehrebenensystem. Tagungsband<br />
zum 7. Österr. Europarechtstag 2007, 2008, S. 141 (155).<br />
sichtigung des weiten Gestaltungsspielraums des Unionsgesetzgebers – als er-<br />
forderlich und angemessen dar. Sie können damit nicht als zur Zielerreichung<br />
offensichtlich ungeeignet angesehen werden.<br />
Zwischenergebnis: Ein Verstoß gegen die Grundfreiheiten scheidet aus.<br />
2. VEREINBARKEIT MIT DEN<br />
GEMEINSCHAFTSGRUNDRECHTEN<br />
<strong>Die</strong> Richtlinie könnte des Weiteren die in der GRC verankerten (Art. 6 I UA 1<br />
EUV) Unionsgrundrechte der Berufs-, Eigentums- und Meinungsfreiheit, die<br />
zudem allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts (Art. 6 III EUV) dar-<br />
stellen, verletzen. Auch juristische Personen können sich auf die hier inmitten<br />
stehenden Grundrechte berufen. 40<br />
A) BERUFS- BZW. UNTERNEHMERISCHE FREIHEIT<br />
<strong>Die</strong> Berufsfreiheit ist in Art. 15 I GRC gewährleistet, die unternehmerische<br />
Freiheit in Art. 16 GRC. Sie sind zudem Teil der gemeinsamen Verfassungs-<br />
tradition der Mitgliedstaaten (vgl. nur Art. 12 GG) und zählen damit zu den<br />
Unionsgrundrechten. 41<br />
<strong>Die</strong> streitgegenständlichen Beschränkungen der unternehmerischen Tätig-<br />
keit stellen einen Eingriff dar. 42<br />
Freilich beanspruchen die Unionsgrundrechte keine uneingeschränkte Gel-<br />
tung; vielmehr sind Beschränkungen einer Rechtfertigung zugänglich, „so-<br />
fern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft<br />
entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unver-<br />
hältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten<br />
Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet“ (nunmehr Art. 52 I GRC). 43<br />
Angesichts der Bedeutung des Gesundheitsschutzes kann – auch unter Be-<br />
rücksichtigung des Gestaltungsspielraums des Unionsgesetzgebers – keine<br />
unverhältnismäßige, den Wesensgehalt verletzende Beschränkung angenom-<br />
men werden (siehe bereits oben).<br />
B) EIGENTUMSFREIHEIT<br />
Das Eigentumsrecht wird durch Art. 17 I GRC gewährleistet. Es ist zudem<br />
Teil der gemeinsamen Verfassungstradition der Mitgliedstaaten (vgl. nur Art.<br />
14 GG) und in Art. 1 des 1. ZP zur EMRK anerkannt. Damit zählt es zu den<br />
Gemeinschaftsgrundrechten. 44<br />
40 Vgl. D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten,<br />
2009, § 14, Rn. 43; R. Streinz, Europarecht, 2008, Rn. 769.<br />
41 EuGH, Rs. 4/73, Slg. 1974, 491, Rn. 14 – Nold; Rs. 44/79, Slg. 1979,<br />
3727, Rn. 32 – Hauer; verb. Rs. C-154 und C-155/04, Slg. 2005, I-6451,<br />
Rn. 126 – Alliance for Natural Health u.a.<br />
42 EuGH, verb. Rs. C-154 und C-155/04, Slg. 2005, I-6451, Rn. 127 – Alliance<br />
for Natural Health u.a.<br />
43 EuGH, verb. Rs. C-154 und C-155/04, Slg. 2005, I-6451, Rn. 126 – Alliance<br />
for Natural Health u.a.<br />
44 EuGH, Rs. 4/73, Slg. 1974, 491, Rn. 14 – Nold; Rs. 44/79, Slg. 1979,<br />
3727, Rn. 32 – Hauer; verb. Rs. C-154 und C-155/04, Slg. 2005, I-6451,<br />
Rn. 126 – Alliance for Natural Health u.a.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
Fallbearbeitung<br />
Vorliegend kann allerdings die Eigentumsfreiheit nicht <strong>für</strong> einschlägig erach-<br />
tet werden, da die Beschränkung die von der Berufsfreiheit geschützte wirt-<br />
schaftliche Betätigung am Markt und nicht eigentumskräftig verfestigte Posi-<br />
tionen betrifft. 45<br />
C) MEINUNGSFREIHEIT<br />
Schließlich ist auch die Meinungsfreiheit durch Art. 11 I GRC gewährleistet.<br />
Sie ist zudem Teil der gemeinsamen Verfassungstradition der Mitgliedstaaten<br />
(vgl. nur Art. 5 I GG) und in Art. 10 EMRK anerkannt. Damit zählt sie zu den<br />
Gemeinschaftsgrundrechten. 46<br />
Vorliegend kommt aufgrund der Hinweispflichten zum einen ein Eingriff in<br />
die negative Meinungsfreiheit in Betracht. 47 Zum anderen ist nach der Recht-<br />
sprechung des EuGH auch die – hier beschränkte – kommerzielle Werbung<br />
von der Meinungsfreiheit umfasst. 48<br />
Allerdings sind die Eingriffe – wie oben – gerechtfertigt. 49 Insoweit ist zudem<br />
zu berücksichtigen, dass die kommerzielle Werbung einen geringeren Schutz<br />
genießt als Äußerungen von allgemeinem Interesse. 50<br />
3. VERHÄLTNISMÄSSIGKEITS- (ART. 5 I 2, IV EUV) UND<br />
SUBSIDIARITÄTSGRUNDSATZ (ART. 5 I 2, III EUV)<br />
<strong>Die</strong> Maßnahme wahrt, wie aus der grundfreiheitlichen und grundrechtlichen<br />
Prüfung folgt, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Da die Beseitigung<br />
von Handelshemmnissen auf der Ebene der Union grundsätzlich besser zu er-<br />
reichen ist, und auch die Regelung durch den Unionsgesetzgeber nicht zu in-<br />
tensiv erscheint, ist auch der Subsidiaritätsgrundsatz gewahrt. 51<br />
Zwischenergebnis: Für das Verbot der Restaurantwerbung ist die Union un-<br />
zuständig und die Richtlinie insoweit nichtig. Im Übrigen ist die Richtlinie<br />
wirksam. <strong>Die</strong> Klage der BRD ist also nur teilweise begründet.<br />
D. GESAMTERGEBNIS<br />
<strong>Die</strong> Klage der Rauchgenuss AG ist bereits unzulässig; die der BRD zwar zuläs-<br />
sig, aber nur teilweise begründet. Nur insoweit bestehen mithin Erfolgsaus-<br />
sichten.<br />
Der EuGH wird die angefochtene Richtlinie teilweise <strong>für</strong> nichtig erklären<br />
(Art. 264 I AEUV). Eine Begrenzung der Nichtigkeitsfolgen gemäß Art. 264 II<br />
AEUV kommt nicht in Betracht.<br />
45 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-154 und C-155/04, Slg. 2005, I-6451, Rn. 128 –<br />
Alliance for Natural Health u.a.<br />
46 EuGH, Rs. C-71/02, Slg. 2004, I-3025, Rn. 48 ff. – Karner; Rs. C-380/03,<br />
Slg. 2006, I-11573, Rn. 153 ff. – Deutschland/Rat und EP.<br />
47 Vergl. zu dieser H. Pünder, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte<br />
und Grundfreiheiten, 2009, § 16.2, Rn. 13.<br />
48 EuGH, Rs. C-71/02, Slg. 2004, I-3025, Rn. 44 ff. – Karner; Rs. C-380/03,<br />
Slg. 2006, I-11573, Rn. 153 ff. – Deutschland/Rat und EP. Siehe ferner H.<br />
Pünder, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten,<br />
2009, § 16.2, Rn.10,13,23.<br />
49 Siehe auch EuGH, Rs. C-380/03, Slg. 2006, I-11573, Rn. 153 ff. –<br />
Deutschland/Rat und EP.<br />
50 EuGH, Rs. C-71/02, Slg. 2004, I-3025, Rn. 51 – Karner; Rs. C-<br />
380/03, Slg. 2006, I-11573, Rn. 155 – Deutschland/Rat und EP.<br />
51 Siehe auch EuGH, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, Rn. 177 ff.<br />
– British American Tobacco u.a.<br />
175
176<br />
Praxis<br />
PROF. DR. ROLF SCHMIDT<br />
„Der Trend geht in Richtung Einfachheit“<br />
Ein Interview mit Prof. Dr. Rolf Schmidt<br />
von Dipl.-Jur. Dirk Veldhoff (Doktorand an der Universität Bremen)<br />
<strong>Iurratio</strong>: Herr Schmidt, Sie haben Ihr Jura-Studium erst sehr spät<br />
aufgenommen. Was haben Sie vor dem Studium gemacht und wie kam<br />
es zu dem späten Entschluss, Jura zu <strong>stud</strong>ieren?<br />
Schmidt: Nun, ich war Offizier der Bundesmarine und dort als Marineflie-<br />
ger eingesetzt. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und der Beendi-<br />
gung des Kalten Krieges musste sich auch die Bundeswehr an die geänderten<br />
Rahmenbedingungen anpassen. Internationale Verträge verpflichteten die<br />
Bundesrepublik, und damit die Bundeswehr, die Präsenzstärke des Truppen-<br />
kontingents drastisch zu reduzieren. <strong>Die</strong>se Gelegenheit nahm ich wahr, um<br />
mit Hilfe von Übergangsgeldern meinem Wunsch nachzukommen und Jura<br />
zu <strong>stud</strong>ieren. <strong>Die</strong> Wahl des Fachs war auch schon deshalb naheliegend, weil<br />
ich neben der Fliegerei das Aus- und Fortbildungsreferat geleitet und in die-<br />
sem Zusammenhang aufgrund der internationalen Einsätze der Bundeswehr<br />
die jüngeren Offiziere im Staats- und Verfassungsrecht sowie im Völkerrecht<br />
unterrichtet habe.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Wie hat sich die Idee entwickelt einen eigenen juristischen<br />
Fachverlag zu gründen?<br />
Schmidt: Sie müssen wissen, dass das Lehrbuchangebot Mitte der neunzi-<br />
ger Jahre nicht so reichhaltig war wie es heute ist. Es gab wenige so genannte<br />
Standardwerke, die sich aufgrund praktisch nicht vorhandener Konkurrenz<br />
auch nicht <strong>stud</strong>entenfreundlich präsentieren mussten. Sie nannten sich zwar<br />
Lehrbücher, waren aber offensichtlich nicht <strong>für</strong> Studenten, sondern <strong>für</strong> Fach-<br />
kollegen geschrieben. Fälle mit Lösungsgesichtspunkten oder Prüfungssche-<br />
mata suchte man vergebens. Ich erinnere mich noch, als Ende der neunziger<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
In dem kleinen niedersächsischen Ort Grasberg bei Bremen befin-<br />
det sich in einem Gewerbegebiet der Dr. Rolf Schmidt Verlag.<br />
Rolf Schmidt (45) Geschäftsführer des Verlags und Professor an<br />
der Hochschule der Polizei Hamburg, ist vielen Jura<strong>stud</strong>enten<br />
in erster Linie wegen der von ihm verfassten Studienliteratur<br />
bekannt.<br />
Nachdem er sein juristisches Studium von 1994 – 1998 an der<br />
Universität Bremen absolvierte, gründete er noch im Jahr 1998<br />
den juristischen Fachverlag. Im Jahr 2004 promovierte er an der<br />
Humboldt-Universität zu Berlin und ist seit 2008 als Professor an<br />
der Hochschule der Polizei Hamburg tätig.<br />
Jahre meine ersten Auflagen der Bücher zum Verwaltungsrecht in einer Aus-<br />
bildungszeitschrift eines führenden juristischen Fachverlags zerrissen wur-<br />
den, weil sie sehr viele „fragwürdige“ Schemata enthielten, deren Nutzung<br />
zweifelhaft sei. Heute finden sich sogar auf Büchern dieses Verlages Stempel<br />
des Inhalts: „mit vielen Fällen und Aufbauschemata“.<br />
Nun ja, das in meinen Augen defizitäre Lehrbuchangebot Mitte der neunziger<br />
Jahre brachte mich schon während meines Studiums dazu, eigene Lehrunter-<br />
lagen zu verfassen, mit deren Hilfe ich dann 1998 auch überaus erfolgreich<br />
das erste juristische Staatsexamen absolvierte.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Wie lange hat die Anfertigung Ihres ersten Lehrbuchs<br />
gedauert?<br />
Schmidt: Das erste Buch konnte ich innerhalb eines Zeitraums von einem<br />
halben Jahr fertigstellen, da ich ja umfassend auf meine Studienskripte zu-<br />
rückgreifen konnte. Viel schwieriger war das Finden eines Fachverlags, weil<br />
die Lehrbuchlandschaft zur damaligen Zeit einfach noch nicht reif genug war<br />
<strong>für</strong> die Umsetzung meiner Idee. Stattdessen legte man mehr Wert auf die ver-<br />
meintliche wissenschaftliche Qualifikation des Autors. Heute ist das aufgrund<br />
des geänderten Marktverhaltens anders. So genannte Großlehrbücher finden<br />
sich zwar noch in Universitätsbibliotheken, kaum mehr aber im heimischen<br />
Bücherregal.<br />
Wie dem auch sei, eben weil Ende der neunziger Jahre die Philosophie der<br />
Verlage noch eine andere war, war kein von mir angeschriebener Verlag bereit,<br />
mein Manuskript anzunehmen. Da fasste ich den Entschluss, meine gesamten<br />
Ersparnisse, die ich während meiner Bundeswehrzeit aufgebaut hatte, in die<br />
Gründung eines eigenen Verlags zu investieren. Der Durchbruch gelang mir<br />
gleich im Jahre 1998, als im Zuge der 6. Strafrechtsreform das StGB umfas-<br />
send geändert wurde. Mit Hilfe einer ehemaligen Kollegin konnte ich sehr<br />
schnell reagieren und eine völlig neu bearbeitete, die 6. Strafrechtsreform<br />
vollumfänglich berücksichtigende Auflage meiner Strafrechtsbücher veröf-<br />
fentlichen. Damit war ich praktisch ein halbes Jahr konkurrenzlos – ein Um-<br />
stand, der heute praktisch unmöglich ist.<br />
In der Folgezeit vervollständigte ich dann sukzessive das Lehrbuchprogramm<br />
und übernahm Lehraufträge an der Universität Bremen, der Hochschule <strong>für</strong><br />
öffentliche Verwaltung Bremen und später an der Hochschule der Polizei<br />
Hamburg.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Ihre Bücher werden von einigen Ihrer Professorenkollegen<br />
abgelehnt. Wie erklären Sie sich das?<br />
Schmidt: <strong>Die</strong> Ressentiments stammen offenbar aus der Zeit, in der es in<br />
Fachkreisen nicht angesehen war, schwierige juristische Probleme in einer<br />
verständlichen Sprache <strong>stud</strong>entenfreundlich aufzubereiten. Offenbar musste<br />
ein bestimmtes Verständnis des eigenen Berufsstandes gewahrt werden. Doch<br />
das hat sich mittlerweile geändert. Vergleichen Sie die modernen Lehrbücher<br />
anderer Professoren mit den von mir verfassten; Sie werden feststellen, dass<br />
eine große inhaltliche und didaktische Annäherung an meine Konzeption<br />
stattgefunden hat. Daher würde heute wohl kaum ein Universitätsprofessor<br />
von dem Kauf eines (von einem Fachkollegen verfassten) Buches abraten, weil<br />
es Fälle mit Lösungsgesichtspunkten und Aufbauschemata enthält.<br />
Auch was die Zitierfähigkeit meiner Bücher betrifft, bestehen keine durch-<br />
schlagenden Argumente gegen meine Bücher. So finden sich in meinen Neu-<br />
auflagen Stellungnahmen zu Gerichtsurteilen, die in Fachzeitschriften oder<br />
anderen Büchern noch nicht behandelt wurden. Wenn ich dann ein halbes<br />
Jahr später dieselben oder ähnliche Argumente in den <strong>Zeitschrift</strong>en oder an-<br />
deren Lehrbüchern lese, freilich, ohne dass auf meine Bücher verwiesen wird,<br />
dürfte klar werden, dass die Debatte um meine Bücher und meine Person un-<br />
redlich ist. Sofern sie noch geführt wird, kann sie nur damit erklärt werden,<br />
dass einige Universitätsprofessoren immer noch alles ablehnen, was nicht von<br />
Mitgliedern ihres Standes verfasst wurde.<br />
Wenn mir dann von Studenten zugetragen wird, ihr Professor habe die Zitier-<br />
fähigkeit meiner Bücher mit der Begründung abgelehnt, ich sei nicht habili-<br />
tiert und hätte keinen Lehrstuhl inne, wird die Unredlichkeit überaus deut-<br />
lich. Denn mit dieser Argumentation müsste man auch einem Aufsatz des<br />
(ehemaligen) Generalbundesanwalts in der NStZ über die Verfassungsmäßig-<br />
keit des Brechmitteleinsatzes die Zitierfähigkeit absprechen. Bitte beurteilen<br />
Sie selbst derartige Äußerungen.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Wie haben sich die Bedürfnisse von Studenten an Lehrbü-<br />
cher im Laufe der Zeit verändert bzw. wie hat sich das Lernverhalten ge-<br />
ändert?<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
Praxis<br />
Schmidt: Der Trend geht in Richtung Einfachheit. Viele Studierende sind<br />
nicht mehr bereit, sich vertieft mit einer Problematik auseinanderzusetzen.<br />
Das merke ich insbesondere, wenn ich Prüfungen abnehme. Oft fehlt System-<br />
verständnis. Als Erklärung <strong>für</strong> die relativ schlechten Prüfungsergebnisse wird<br />
der Schwierigkeitsgrad der Prüfungsaufgabe angeführt oder es wird ein zu<br />
strenger Bewertungsmaßstab geltend gemacht. <strong>Die</strong> Einsicht, dass man sich<br />
nicht mit einem 120 Seiten umfassenden Skript zum Allgemeinen Verwal-<br />
tungsrecht die erforderlichen Kenntnisse aneignen kann, fehlt in weiten Tei-<br />
len. Ob dies den Studierenden vorzuwerfen ist, mag eine andere Frage sein.<br />
Denn das Angebot an Skripten ist überwältigend und viele suggerieren eine<br />
Einfachheit, die den tatsächlichen Prüfungsanforderungen nicht gerecht wird.<br />
Jura ist eine Wissenschaft, die man sich nicht mit Hilfe von Schmalspurskrip-<br />
ten oder kostenlosen Internet-Downloads erschließen kann. Wer etwas Gutes<br />
und redaktionell Betreutes anzubieten hat, wird dies nicht kostenlos im Inter-<br />
net veröffentlichen.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Seit dem vergangenen Jahr sind Sie Professor der Hoch-<br />
schule der Polizei Hamburg. Was unterscheidet die Arbeit mit Polizei-<br />
anwärtern von der Arbeit mit Jura<strong>stud</strong>enten?<br />
Schmidt: Es handelt sich um ein international anerkanntes Bachelorstu-<br />
dium. In einer Regel<strong>stud</strong>ienzeit von 6 Semestern (wobei aufgrund wesentlich<br />
kürzerer vorlesungsfreier Zeiten der Stundenaufwand mit einem 8-semestri-<br />
gen Universitäts<strong>stud</strong>ium vergleichbar sein dürfte) werden den Studierenden<br />
des gehobenen Polizeivollzugsdienstes und des Studienzweigs Kriminalpoli-<br />
zei neben allgemeinen rechtswissenschaftlichen Grundlagen insbesondere<br />
das Polizei- und Ordnungsrecht, das Versammlungsrecht, das Ausländer-<br />
recht, das Betäubungsmittelrecht, das Waffenrecht, das Gewerberecht, das<br />
Straßenverkehrsrecht, das Ordnungswidrigkeitenrecht sowie das materielle<br />
Strafrecht und das Strafverfahrensrecht vermittelt. Gerade das Strafverfah-<br />
rensrecht wird sehr viel ausführlicher behandelt als im Jura<strong>stud</strong>ium, weil fun-<br />
dierte Rechtskenntnisse <strong>für</strong> Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaften<br />
unabdingbar sind. Es stellt sich also als eine große Verantwortung und zu-<br />
gleich große Herausforderung dar, Polizeivollzugsbeamte und Kriminalbe-<br />
amte auszubilden.<br />
Insgesamt beinhalten die Studiengänge zwar nicht die Zahl an verschiedenen<br />
Rechtsgebieten, wie das bei einem Jura<strong>stud</strong>ium der Fall ist. <strong>Die</strong> Rechtsgebiete,<br />
die gelehrt werden, werden da<strong>für</strong> aber in größerer Tiefe und Breite behandelt.<br />
Herr Schmidt, wir danken Ihnen herzlich <strong>für</strong> dieses Gespräch.<br />
177
178<br />
Praxis<br />
Von Anfang Juni bis Anfang September 2007 absolvierte ich meine Wahlsta-<br />
tion des Referendariats bei der Deutschen Gesellschaft <strong>für</strong> Technische Zu-<br />
sammenarbeit (GTZ) GmbH in Accra, der Hauptstadt Ghanas, im Rahmen<br />
des Programms „Verbesserung der öffentlichen Finanzen“ (Good Financial<br />
Governance). Ziel des auf 13 Jahre angelegten Programms ist es, die ghanai-<br />
sche Regierung bei Steuer- und Haushaltsfragen zu unterstützen.<br />
DAS LAND<br />
Ghana gilt aus deutscher Sicht als Musterland Afrikas, sowohl was die politi-<br />
sche Stabilität als auch das Wirtschaftswachstum angeht. Das Land liegt in<br />
Westafrika am Golf von Guinea, der sogenannten Gold Küste. Im Osten<br />
grenzt es an Togo, im Norden an Burkina Faso und im Westen an die Elfen-<br />
beinküste. Ghana hat gut 23 Millionen Einwohner. Flächenmäßig entspricht<br />
es ungefähr der Größe der alten Bundesrepublik. Seit dem Jahr 1957 ist Ghana<br />
politisch unabhängig. Zuvor war es englische Kolonie. Amtssprache ist wei-<br />
terhin Englisch. Accra, eine direkt am Meer gelegene pulsierende Millionen-<br />
stadt, ist zugleich die größte Stadt des Landes. Staatlich organisiert ist Ghana<br />
als Präsidialrepublik. <strong>Die</strong> letzten Wahlen im Januar 2009, die mit einem Re-<br />
gierungswechsel verbunden waren, hat das Land friedlich überstanden. <strong>Die</strong><br />
Ghanaer sehen sich als friedliches und freundliches Volk, das stolz auf die po-<br />
litische Stabilität und das friedliche Zusammenleben der verschiedenen<br />
Volksgruppen ist. In Ghana besteht uneingeschränkte Pressefreiheit, was an<br />
der Zeitungs- und Meinungsvielfalt auch gut sichtbar wird. <strong>Die</strong>se Freiheit<br />
schätzen die Ghanaer sehr und machen rege davon Gebrauch. <strong>Die</strong> Infrastruk-<br />
tur Ghanas ist <strong>für</strong> afrikanische Verhältnisse gut. Das Land versorgt sich zu<br />
80 % mit Strom aus dem Wasserkraftwerk des Akosombo-Staudamms. Der<br />
angrenzende Volta-Stausee ist einer der größten Stauseen der Welt. Ghana<br />
verfügt über diverse Rohstoffe, wie Gold und Erdöl. Wichtigstes <strong>für</strong> den Ex-<br />
port bestimmtes landwirtschaftliches Produkt ist Kakao.<br />
DIE GTZ<br />
Das Geschäft der GTZ ist die internationale Zusammenarbeit <strong>für</strong> nachhaltige<br />
Entwicklung. Dabei ist die GTZ weltweit aktiv. Sie unterstützt komplexe Ent-<br />
wicklungs- und Veränderungsprozesse in Transformations- und Entwick-<br />
lungsländern. Ziel ist es die Lebensbedingungen und Perspektiven der Men-<br />
schen nachhaltig zu verbessern. <strong>Die</strong> GTZ ist ausführendes Organ im Rahmen<br />
der Technischen Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland. Sie<br />
übernimmt Aufträge des Bundesministeriums <strong>für</strong> wirtschaftliche Zusam-<br />
menarbeit und Entwicklung (BMZ) und anderer in- und ausländischer Stel-<br />
len zur Prüfung und Durchführung von Vorhaben der Technischen Zusam-<br />
menarbeit. Ghana ist Partnerland der deutschen und internationalen Ent-<br />
wicklungszusammenarbeit. Seit 1983 ist die GTZ mit einem Büro in Accra<br />
vertreten. Ihre Arbeit ist in die ghanaische Strategie zur Armutsbekämpfung<br />
eingebetet. Beabsichtigt ist, ein nachhaltiges, gerecht verteiltes Wirtschafts-<br />
wachstum und eine beschleunigte Armutsminderung in einem demokrati-<br />
schen Umfeld zu verwirklichen.<br />
DAS PROGRAMM<br />
Da das System öffentlicher Finanzen in Ghana nicht den Anforderungen gu-<br />
ter Regierungsführung entsprochen hat, ist es Ziel des Programms eine nach-<br />
Wahlstation bei der GTZ in Ghana<br />
Florian Lauscher* (Düsseldorf)<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
haltige Verbesserung zu unterstützen. Es handelt sich um ein Langzeitpro-<br />
gramm, das eine Laufzeit von September 2003 bis August 2015 hat. Auftrag-<br />
geber ist das BMZ. Das Programm besteht aus mehreren Teilbereichen. Im<br />
Rahmen der Steuerpolitik und Steuerverwaltung berät das Programm das<br />
ghanaische Finanzministerium bei der Einrichtung und strategischen Aus-<br />
richtung einer steuerpolitischen Grundsatzabteilung. Ziel ist es, die Steuer-<br />
einnahmen zu erhöhen. Zu diesem Zweck unterstützt das Programm auch die<br />
oberste ghanaische Steuerbehörde, die Verwaltung leistungsfähiger, transpa-<br />
renter und bürgernäher zu machen. Dementsprechend sollen die Verfahren<br />
in der Einkommensteuerverwaltung durch den Einsatz von IT-Systemen be-<br />
schleunigt werden. Daneben werden Ansätze verfolgt, die Steuermoral der<br />
Bürger zu verbessern. Ein weiterer Schwerpunkt des Programms ist, bei<br />
Staatseinnahmen aus dem Rohstoffsektor, eine gewisse Transparenz zu schaf-<br />
fen. Aus diesem Grund unterstützt es die Regierung bei der Umsetzung der<br />
Prinzipien und Richtlinien der internationalen Initiative <strong>für</strong> Transparenz in<br />
der Rohstoffwirtschaft (EITI-Initiative) bei deren Ziel, den Einnahmenfluss<br />
aus dem Rohstoffsektor lückenlos zu erfassen. Außerdem soll gewährleistet<br />
werden, dass ein Teil der Einnahmen der unmittelbar betroffenen Zivilbevöl-<br />
kerung zugutekommt, die oft stark durch den Rohstoffabbau beeinträchtigt<br />
wird. Das Programm setzt nicht nur bei der Einnahmenseite, sondern auch<br />
der Ausgabenseite an. Ein weiterer Schwerpunkt ist deswegen, die ghanaische<br />
Regierung bei der Reform des Haushalts- und Finanzwesens zu beraten.<br />
Wichtige von den Reformen betroffene Teilbereiche sind die öffentliche Haus-<br />
haltsplanung, der öffentliche Haushaltsvollzug, die öffentliche Rechenschafts-<br />
legung sowie das öffentliche Beschaffungswesen.<br />
DER ARBEITSALLTAG<br />
Das Büro, in dem das Programm untergebracht war, befand sich in einem der<br />
wenigen Hochhäuser in Accra. Wir haben in einem jungen ghanaisch-deut-<br />
schen Team aus Ökonomen, Soziologen, Informatikern und Juristen zusam-<br />
mengearbeitet. <strong>Die</strong>se Vielfalt in einem internationalen Team gewährleistete<br />
einen regen konstruktiven Dialog und Meinungsaustausch, der mitunter sehr<br />
unterhaltsam war. Zu meinen Kernarbeitsgebieten gehörte die rechtliche<br />
Würdigung sowohl steuerrechtlicher Sachverhalte in Ghana als auch interner<br />
Vertragsentwürfe bezüglich Kooperationsabkommen. Daneben bereitete ich<br />
den Besuch einer deutschen Expertengruppe vor und begleitete diese. <strong>Die</strong> Ex-<br />
pertengruppe war zur Unterstützung des Aufbaus der steuerpolitischen<br />
Grundsatzabteilung im ghanaischen Finanzministerium vor Ort. Außerdem<br />
war ich in die Zusammenarbeit mit der ghanaischen Sonderstaatsanwalt-<br />
schaft <strong>für</strong> Wirtschaftskriminalität (Serios Fraud Office) involviert. Im Rah-<br />
men dieser Zusammenarbeit haben wir untersucht, ob das ghanaische Recht<br />
eine Gewinnabschöpfung bei Wirtschaftsstraftaten ermöglicht, wenn ja, wie<br />
diese ausgestaltet ist und wie sie in der Praxis umgesetzt wird. Daneben war<br />
ich in die tägliche Projektarbeit eingebunden.<br />
<strong>Die</strong> Arbeit im Programm war sehr abwechslungsreich und spannend. Auch<br />
wenn drei Monate sehr kurz sind, erhielt ich doch einen ganz guten Eindruck<br />
über die Arbeit in einem Programm/Projekt der GTZ.<br />
Zusätzlich zum Referendargehalt zahlte die GTZ eine Aufwandsentschädi-<br />
gung von fünfhundert Euro im Monat und eine Reisekostenpauschale.<br />
* Florian Lauscher, Assessor, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in<br />
der Düsseldorfer Kanzlei Glade Michel Wirtz.<br />
DAS LEBEN<br />
Das Leben in Ghana unterscheidet sich sehr vom Leben in Deutschland. Ich<br />
brauchte eine gewisse Zeit um die völlig neuen Eindrücke zu verarbeiten und<br />
mich an die so andere Umgebung zu gewöhnen. Das Leben in Ghana spielt<br />
sich überwiegend auf der Straße ab. <strong>Die</strong> vielen Menschen, die einem dort be-<br />
gegnen sind sehr offen, nett und gastfreundlich. Geprägt ist das Leben der<br />
Ghanaer vor allem durch das schöne Wetter, die Musik und die verschiedenen<br />
Religionen. <strong>Die</strong> Betreuung durch die GTZ war sehr gut. So hatten Kollegen<br />
sich um eine Unterkunft <strong>für</strong> mich gekümmert und mich nach meiner An-<br />
kunft am Flughafen abgeholt. Bei der Unterkunft handelte es sich um ein mö-<br />
bliertes Wohngemeinschaftshaus in Osu, einem der lebendigsten Viertel Ac-<br />
cras. In diesem „Obruni-Compound“, wie es von den Einheimischen genannt<br />
wurde, wohnten insgesamt bis zu 25 Europäer und Amerikaner. <strong>Die</strong> meisten<br />
arbeiteten <strong>für</strong> Regierungs- oder Nicht-Regierungsorganisationen. Zwar sind<br />
die Lebenshaltungskosten in Ghana günstiger als in Deutschland, aber nicht<br />
wesentlich. Ghana hat einen hohen Freizeitwert. Es gibt traumhafte Strände<br />
und beeindruckende Sehenswürdigkeiten, die einen Besuch wert sind. Dem-<br />
entsprechend sind wir an den Wochenenden viel gereist, was auch problem-<br />
los möglich ist. Da<strong>für</strong> haben wir bevorzugt die sogenannten Tro-Tros benutzt.<br />
Dabei handelt es sich um alte Kleinbusse in denen je nach Größe zwischen 15<br />
und 40 Personen Platz finden. Wenn auch nicht ganz ungefährlich ist es doch<br />
die günstigste Variante im Land zu reisen. Da auch die meisten Ghanaer die-<br />
ses Fortbewegungsmittel nutzen, bietet es eine gute Gelegenheit mit ihnen in<br />
Kontakt zu kommen. An zentralen Orten in Accra gibt es sogenannte Tro-Tro-<br />
Stationen. Von hieraus brechen regelmäßig Kleinbusse ins ganze Land auf. In<br />
Bezug auf die Kriminalitätsrate unterscheidet sich Accra nicht wesentlich von<br />
A. EINLEITUNG<br />
Praktikumsbericht: Großkanzlei Lovells<br />
cand. <strong>iur</strong> Tobias Gutowski (Universität Bremen)<br />
Im Rahmen meines juristischen Pflichtpraktikums verbrachte ich in der Zeit<br />
von Februar bis April 2009 insgesamt 6 1⁄2 Wochen bei der internationalen<br />
Rechtsanwaltssozietät Lovells in Hamburg. Im Vorfeld des universitären Schwer-<br />
punkt<strong>stud</strong>iums „Europäisches Wirtschaftsrecht“, wollte ich die Chance nutzen,<br />
die tägliche Arbeit der Rechtsanwälte in einer Großkanzlei kennenzulernen.<br />
B. DIE KANZLEI<br />
Lovells gehört mit über 3000 Mitarbeitern an 27 Standorten rund um den<br />
Globus zu den größten Rechtsanwaltskanzleien weltweit. Regelmäßige hohe<br />
Platzierungen in den Rankings der Karrierezeitschrift AZUR/JUVE belegen,<br />
dass Lovells auf den Gebieten des nationalen und internationalen Wirtschafts-<br />
rechts mit zu den führenden Sozietäten zählt. In Deutschland ist die Kanzlei<br />
mit über 300 Anwälten in Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg und<br />
München vertreten. <strong>Die</strong> Beratungsschwerpunkte richten sich hierbei jeweils<br />
nach dem lokalen Bedarf. An den einzelnen Standorten existieren sogenannte<br />
„Praxis Groups“ <strong>für</strong> die verschiedenen Rechtsbereiche, z.B. im Arbeitsrecht,<br />
Gesellschaftsrecht/M&A (Corporate), Immobilienrecht, Kartellrecht oder<br />
auch Steuerrecht. Einen besonderen Schwerpunkt hat das Hamburger Büro<br />
im Bereich des Gewerblichen Rechtsschutzes gesetzt.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
C. DIE BEWERBUNG<br />
Praxis<br />
einer mitteleuropäischen Großstadt. Wie dort kann man sich in den meisten<br />
Stadtvierteln frei bewegen. <strong>Die</strong> Stadt zeichnet sich durch ein ausgeprägtes, ab-<br />
wechslungsreiches Nachtleben aus. <strong>Die</strong> Ghanaer halten sich <strong>für</strong> die Biertrin-<br />
kernation schlechthin. Recht gibt ihnen die Vielfalt an ghanaischen Biersorten.<br />
Allerdings ist das Leben nicht ganz unbeschwerlich. <strong>Die</strong> hohe Luftfeuchtigkeit,<br />
die enorme Hitze und die Abgase können einem zu schaffen machen. Außer-<br />
dem kann es zu Engpässen in der Strom- und Wasserversorgung kommen.<br />
DIE VORBEREITUNG<br />
Für einen Aufenthalt in Westafrika sollte man berücksichtigen, dass zahlrei-<br />
che Impfungen empfohlen werden. Für Ghana ist eine Gelbfieberimpfung<br />
zwingend erforderlich, ohne sie wird eine Einreise nicht gestattet. Da manche<br />
Impfungen über einen längeren Zeitraum erfolgen, sollte man früh genug<br />
damit beginnen. Außerdem sollte man eine Malariaprophylaxe in Betracht<br />
ziehen, da Ghana Malariagebiet ist. Des Weiteren ist <strong>für</strong> die Einreise ein<br />
Visum erforderlich, das bei der ghanaischen Botschaft zeitnah beantragt wer-<br />
den muss.<br />
DAS FAZIT<br />
Es waren drei spannende, wunderbare Monate in einem friedlichen und poli-<br />
tisch stabilen afrikanischen Land. Ich hatte Gelegenheit, einen mir bis dahin<br />
völlig fremden Teil der Welt zu entdecken. In dieser Zeit habe ich viele nette<br />
Menschen aus Ghana, Europa und Nordamerika kennengelernt. Außerdem<br />
ermöglichte mir die Arbeit bei der GTZ, einen ersten kurzen, aber guten Ein-<br />
blick in die staatliche Entwicklungszusammenarbeit zu erhalten.<br />
<strong>Die</strong> Bewerbung <strong>für</strong> ein Praktikum ist an allen vier deutschen Standorten<br />
ganzjährig möglich. Feste Bewerbungstermine oder –fristen gibt es nicht.<br />
Aufgrund der Arbeitsplanung empfiehlt es sich , seine Bewerbung drei bis vier<br />
Monate vor dem gewünschten Praktikumsbeginn per Post oder per E-Mail<br />
einzureichen. Neben Anschreiben und Lebenslauf sollte sie alle relevanten<br />
Zeugnisse beinhalten. Formelle Voraussetzungen sind, dass der oder die Be-<br />
werbende mindestens das fünfte Fachsemester aufgenommen und die ent-<br />
sprechenden Prüfungsleistungen erfolgreich absolviert hat. <strong>Die</strong>s ist von Be-<br />
deutung, um in den Praxisgruppen sinnvoll mitarbeiten zu können und ernst-<br />
haft in die Arbeit mit eingebunden zu werden. Das Praktikum sollte mindes-<br />
tens sechs Wochen dauern.<br />
Im Oktober 2008 hatte ich mich per E-Mail beworben und bekam innerhalb<br />
von wenigen Tagen eine Nachricht vom zuständigen Anwalt <strong>für</strong> die Einstel-<br />
lung von Referendaren, wissenschaftlichen Mitarbeitern und Praktikanten.<br />
Das darauffolgende Bewerbungsgespräch war eine lockere Unterhaltung, wel-<br />
che vorrangig dem Kennenlernen diente. Es ging nicht darum, in fachlicher<br />
Hinsicht zu überzeugen. Am Ende wurde ich gefragt, in welchem Bereich ich<br />
gerne eingesetzt werden würde und nannte mit Arbeitsrecht und Gesell-<br />
179
180<br />
Praxis<br />
schaft srecht zwei <strong>für</strong> mich interessante Rechtsgebiete. Ein Praktikumsplatz<br />
wurde nicht an Ort und Stelle zugesichert, aber nach ca. 1 1⁄2 Wochen bekam<br />
ich das Praktikumsangebot <strong>für</strong> den Bereich Arbeitsrecht per E-Mail.<br />
D. DAS PRAKTIKUM<br />
Das Praktikum begann mit einer Einweisung in organisatorische Abläufe und<br />
einer Führung durch die Räumlichkeiten, bei der ich von der zuständigen<br />
Human Resources Managerin begleitet wurde. Sie übergab mir ein Handbuch<br />
zum Umgang mit den kanzleiinternen PC-Anwendungen sowie meine<br />
PC-Zugangsdaten. Nachdem ich mir einen ersten Überblick über die Kanzlei<br />
verschaff en konnte, wurde ich zu meinem Arbeitsplatz geführt. An dem<br />
Schild an der Tür des Büros, welches ich mir mit einer Referendarin teilte,<br />
stand bereits mein Name.<br />
Sodann lernte ich auch meinen Praktikumsbetreuer kennen, einen Senior As-<br />
sociate (Angestellter Anwalt, der bereits einige Jahre in der Kanzlei arbeitet)<br />
aus der Praxisgruppe Arbeitsrecht. <strong>Die</strong>ser teilte mir eine Aufgabe zu und so<br />
war ich <strong>für</strong> die nächsten 1 1⁄2 Tage mit einer Rechercheaufgabe zum Tarif-<br />
und Streikrecht beschäft igt. <strong>Die</strong> Frage betraf ein aktuelles Mandat und hatte<br />
insofern Brisanz, als dass ein Streik im Betrieb des Mandanten kurz bevor<br />
stand und alles getan werden sollte, um diesen abzuwenden. Bei der Bearbei-<br />
tung bestand die Möglichkeit auf die umfangreiche Literatur in der Arbeits-<br />
rechtsbibliothek zurückgreifen und – oft mals als ersten Einstieg – die Portale<br />
Beck-online und Juris zu nutzen.<br />
Weitere Fragestellungen stammten ebenfalls vornehmlich aus dem Bereich<br />
des Arbeitsrechts. Ich konnte mich z.B. ausgiebig mit Problemen zur Kurzar-<br />
beit und zum Kündigungsschutz beschäft igen. Schnittstellen ergaben sich<br />
zum Sozialrecht und oft mals zum allgemeinen Zivilrecht (z.B. AGB-Kon-<br />
trolle im Arbeitsvertrag). Eine umfangreichere Aufgabe betraf eine Recht-<br />
sprechungsrecherche zum Th ema außerordentliche Kündigung aus „gering-<br />
fügigen Gründen“. Im März war der Fall einer Kassiererin, die wegen Unter-<br />
schlagung zweier Pfandbons entlassen worden war, in die Medien gelangt.<br />
Meine Aufgabe bestand darin, sämtliche ähnlich gelagerte Fälle der letzten<br />
Jahre systematisch aufzubereiten um so einen Mandantennewsletter, den<br />
mein Praktikumsbetreuer zu dem Th ema verfassen wollte, vorzubereiten.<br />
Neben arbeitsrechtlichen Fragestellungen befasste ich mich u.a. mit einem<br />
englischsprachigen Energielieferungsvertrag und kontrollierte, ob in einem<br />
neuen Gesellschaft svertrag eines Mandanten alle gewünschten Änderungen<br />
vorgenommen worden waren. Meine Ergebnisse hielt ich dabei meistens in<br />
Aktenvermerken fest, die ich gutachterlich aufb ereitete. In wenigen Fällen<br />
präsentierte ich meine Ergebnisse mündlich oder verfasste direkt einen E-<br />
Mail- Entwurf <strong>für</strong> den Mandanten, in dem diesem von ihm vorgelegte Rechts-<br />
fragen beantwortet wurden. Zeitdruck kam nur selten auf. Vielmehr wurde<br />
mir viel Zeit gegeben, mich in die oft mals <strong>für</strong> mich fremden Rechtsbereiche<br />
hineinzulesen.<br />
„Typische Praktikantentätigkeiten“ wie Kaff ekochen oder Kopieren wurden<br />
nicht von mir gefordert. Vielmehr wurde ich als Praktikant ebenso wie die Re-<br />
ferendare, die wissenschaft lichen Mitarbeiter und die anderen Nachwuchsju-<br />
risten, zu jeder Zeit ernst genommen und als Mitglied des Teams angesehen.<br />
Insofern fi el es mir nicht schwer, während der Arbeit mit einigen Anwälten<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
ins Gespräch zu kommen. Insbesondere fachliche Nachfragen waren fort-<br />
während möglich. <strong>Die</strong>s sei vor dem Hintergrund des enormen Arbeitspen-<br />
sums eines Anwalts in einer Großkanzlei wie Lovells besonders lobend her-<br />
vorgehoben.<br />
Meine Arbeitszeit war nicht von vornherein konkret festgelegt worden. Im<br />
Bewerbungsgespräch hieß es, dass Praktikanten regelmäßig um ca. 9 Uhr an-<br />
fangen und je nach Arbeitsaufk ommen bis ca. 18/19 Uhr blieben sollten. Je-<br />
doch wurde in Fällen, in denen eine Aufgabe dringend erledigt werden sollte,<br />
auch erwartet, dass man diese noch am selben Tag fertigstellte.<br />
Abwechslungsreich und kurzweilig war die Praktikumszeit auch nicht zuletzt<br />
wegen der besonderen Veranstaltungen, die die Kanzlei regelmäßig <strong>für</strong> Refe-<br />
rendare, wissenschaft liche Mitarbeiter und Praktikanten anbietet. Alle zwei<br />
Wochen fi ndet ein Workshop statt, bei dem ein Rechtsanwalt „seinen“ Rechts-<br />
bereich präsentiert. Auf diese Weise erhielt ich u.a. Einblicke in das Marken-<br />
und in das Medienrecht. Ebenfalls in zweiwöchigen Abständen bietet die<br />
Kanzlei einen sogenannten „Referendars-Lunch“ an. Hierbei kommen alle<br />
Referendare, Praktikanten und wissenschaft lichen Mitarbeiter zu einem von<br />
der Kanzlei ausgerichteten Mittagessen in den Kanzleiräumen zusammen,<br />
um sich gegenseitig näher kennenzulernen. Außerdem wurde einmal im Mo-<br />
nat in einem Hamburger Restaurant der sogenannte „Lawyer’s Event“ veran-<br />
staltet. Neben den Referendaren und Praktikanten waren beim „Lawyer‘s<br />
Event“ auch viele Anwälte zugegen und es stellte sich jeweils eine Praxis-<br />
gruppe mit ihrem Rechtsbereich vor.<br />
E. FAZIT UND AUSBLICK<br />
Insgesamt kann ich jedem Studenten im fortgeschrittenen Semester empfeh-<br />
len, ein Praktikum in einer Großkanzlei wie Lovells zu absolvieren. <strong>Die</strong>s gilt<br />
insbesondere deshalb, weil man die Gelegenheit erhält über den gesamten<br />
Praktikumszeitraum selbstständig juristisch zu arbeiten und damit sinnvoll in<br />
den Arbeitsalltag eingebunden zu werden. Nicht zuletzt ist diese Art von ju-<br />
ristischer Arbeit auch ein „training on the job“. Als einziger Kritikpunkt<br />
bleibt, dass sich die Praktikantentätigkeit auf die Arbeit im Büro beschränkte.<br />
<strong>Die</strong> Teilnahme an Treff en mit Mandanten oder an Gerichtsterminen war<br />
nicht vorgesehen.<br />
Hinsichtlich der Möglichkeiten, als Nachwuchsjurist bei Lovells zu arbeiten,<br />
sei noch erwähnt, dass überdurchschnittlich viele wissenschaft liche Mitarbei-<br />
ter beschäft igt werden, die nach der ersten schrift lichen Examenspfl ichtfach-<br />
prüfung die Zeit zur mündlichen Prüfung überbrücken wollen. Ebenso wer-<br />
den neben dem Ableisten von Referendariatsstationen auch Nebentätigkeiten<br />
<strong>für</strong> Referendare und promotionsbegleitende Mitarbeit angeboten.<br />
A. EINLEITUNG<br />
Wer schon immer mal einen Blick über den Tellerrand der nationalen Rechts-<br />
ordnung werfen wollte, dem ist der Schwerpunktbereich „Internationales und<br />
Europäisches Privatrecht und seine historischen Grundlagen“ des Fachbe-<br />
reichs Rechtswissenschaft en der Universität Osnabrück wärmstens zu emp-<br />
fehlen. In diesem Schwerpunkt bekommt man in zwei Semestern unter ande-<br />
rem einen kleinen Einblick in andere (europäische) Rechtsordnungen, er-<br />
fährt, wie man Sachverhalte mit internationalem Bezug zu beurteilen hat und<br />
welchen Einfl uss das Europarecht auf das nationale Privatrecht ausübt.<br />
B. VERANSTALTUNGEN<br />
In den zwei Semestern der Schwerpunktbereichsausbildung werden verschie-<br />
den Veranstaltungen mit Bezügen zum Internationalen Privatrecht (IPR), Eu-<br />
ropäischen Privatrecht (EPR), sowie zur Europäischen Rechtsgeschichte an-<br />
geboten. Feste Veranstaltungen sind dabei die drei Wahlpfl ichtfächer, in de-<br />
nen ein Überblick über die allgemeinen Regeln des IPR geboten, sich mit den<br />
Grundprinzipien des Vertragsrechts unter Berücksichtigung verschiedener<br />
Rechtsordnungen auseinander gesetzt und die Rezeption des römischen<br />
Rechts in Europa betrachtet wird.<br />
Zusätzlich zu den Wahlpfl ichtfächern werden verschiedene Wahlfächer ange-<br />
boten, von denen mindestens zwei zum Gegenstand der mündlichen Prüfung<br />
gemacht werden müssen. <strong>Die</strong>se Wahlfächer können sich mit der Rechtsver-<br />
gleichung, dem Internationalen Schiedsverfahrens- und Zivilprozessrecht,<br />
dem UN-Kaufrecht sowie europäischen Bezügen des BGB beschäft igen, oder<br />
den Stoff der Wahlpfl ichtfächer ergänzen und vertiefen.<br />
Soweit dies möglich ist, werden manche Veranstaltungen auch von ausländi-<br />
schen Gastdozenten im Rahmen von Blockseminaren gehalten.<br />
Des Weiteren muss im Rahmen eines Seminares eine häusliche Th emenarbeit<br />
(Seminararbeit) erstellt und präsentiert werden. In den Semestern werden<br />
meistens 2 – 3 rechtsvergleichende und ein rechtsgeschichtliches Seminar an-<br />
geboten.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
Praxis<br />
Schwerpunktbereich Internationales und Europäisches Privatrecht<br />
und seine historischen Grundlagen<br />
<strong>stud</strong>. <strong>iur</strong>. Anne-Kathrin Barutta (Universität Osnabrück)<br />
In den Lehrveranstaltungen wird sich zum Teil mit englischsprachigen oder<br />
anderen fremdsprachigen Texten beschäft igt. Zudem kann es im Rahmen der<br />
Seminar- und hinterher der Studienarbeit erforderlich sein, dass man sich mit<br />
einer ausländischen Rechtsordnung und daher mit fremdsprachiger Literatur<br />
beschäft igen und auseinandersetzen muss. Daher ist es durchaus hilfreich,<br />
wenn man ein gewisses Interesse an Fremdsprachen und ein solides Maß an<br />
Fremdsprachenkenntnissen mitbringt. Dabei ist es jedoch schon ausreichend,<br />
wenn man die englische Sprache einigermaßen sicher beherrscht.<br />
C. PRÜFUNG<br />
<strong>Die</strong> Schwerpunktsprüfung unterteilt sich in eine Studienarbeit und in eine<br />
mündliche Prüfung.<br />
Bei der Studienarbeit handelt es sich ebenfalls um eine häusliche Th emenar-<br />
beit, zu deren Anfertigung der Studierende vier Wochen Zeit hat und die an-<br />
schließend im Rahmen eines Seminars präsentiert werden muss.<br />
<strong>Die</strong> mündliche Prüfung besteht wiederum aus zwei Prüfungsgesprächen, wo-<br />
bei die Wahlpfl ichtkurse Gegenstand des ersten Prüfungsgesprächs, und zwei<br />
von dem Studierenden ausgewählte Wahlkurse Gegenstand des zweiten Prü-<br />
fungsgesprächs sind. In den Prüfungsgesprächen wird zudem auch Bezug zu<br />
den Pfl ichtfächern genommen.<br />
Eine Besonderheit dieses Schwerpunktes besteht darin, dass er noch einmal in<br />
zwei Teilschwerpunkte untergliedert ist. Der Studierende hat somit die Mög-<br />
lichkeit entweder einen Schwerpunkt auf die Europäische Rechtsgeschichte<br />
oder das IPR, EPR und Gemeinschaft sprivatrecht zu legen, was insbesondere<br />
Auswirkungen auf das Th ema der Studienarbeit hat.<br />
E. SCHLUSS<br />
Wer also Interesse an Fremdsprachen hat und schon immer mal gucken wollte,<br />
wie sich gewisse rechtliche Aspekte in anderen Rechtsordnungen darstellen,<br />
<strong>für</strong> den ist dieser Schwerpunkt genau richtig.<br />
<strong>Die</strong> Gruppe der Teilnehmer ist sehr überschaubar, was zu einer angenehmen<br />
Lern- und Arbeitsatmosphäre führt.<br />
Hinzu kommt, dass dem Studierenden in der Bibliothek des „European<br />
Legal Studies Institute“ (ELSI), die derzeit 55.000 Bände zum Internationalen<br />
und Europäischen Privatrecht sowie zum Gemeinschaft sprivatrecht umfasst,<br />
ein sehr umfangreiches Angebot ausländischer Literatur zur Verfügung steht,<br />
was sich insbesondere <strong>für</strong> das Anfertigen der Seminar- und Studienarbeit<br />
auszahlt.<br />
<strong>Die</strong> Dozenten, zu denen u.a. die Professoren Christian von Bar, Martin<br />
Schmidt-Kessel und Hans Schulte-Nölke gehören, sind zudem ausgewiesene<br />
Experten auf dem Gebiet des Internationalen sowie Europäischen Privat-<br />
rechts und des Gemeinschaft sprivatrechts.<br />
Wir suchen Studierende, wissenschaftliche MitarbeiterInnen, die Lust<br />
haben, an der Gestaltung unserer Publikationen mitzuwirken. Der<br />
Aufgabenbereich umfasst u.a die Einwerbung von Beiträgen und das<br />
Entwickeln eigener Ideen <strong>für</strong> Titelthemen oder sonstige Beiträge.<br />
Ab sofort suchen wir <strong>für</strong> das Ressort „Praxis“<br />
1 Redakteur (m/w)<br />
Berwerbungen bitte per E-Mail an bewerbung@<strong>iur</strong>ratio.de<br />
181
Studentisches<br />
Der Studiengang „LL.M. in Unternehmensrestrukturierung“<br />
an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg<br />
Philipp Schlenkhoff / Claus-Peter Knöller (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg)<br />
Seit dem Wintersemester 2008/09 bietet die Juristische Fakultät der Universi-<br />
tät Heidelberg den Studiengang „Legum Magister in Unternehmensrestruk-<br />
turierung (LL.M. corp. restruc.)“ <strong>für</strong> maximal 30 Studierende an. Es sollen<br />
Fachleute <strong>für</strong> die Unternehmensrestrukturierung, eine der schwierigsten Ma-<br />
nagement- und Beratungsaufgaben im Spannungsfeld von Rechts- und Wirt-<br />
schaft swissenschaft en, ausgebildet werden.<br />
Zu einer Unternehmensrestrukturierung zählen alle Maßnahmen, die geeig-<br />
net und notwendig sind, um ein Unternehmen in der Krise wieder auf den Er-<br />
folgsweg zu führen. Der Studiengang ist in sechs aufeinander aufb auende Mo-<br />
dule unterteilt, die entweder in einem oder berufsbegleitend in zwei Jahren<br />
absolviert werden können. <strong>Die</strong> ersten drei Module sind themen-, die letzten<br />
drei vertiefungs- bzw. prüfungsbezogen.<br />
Das erste Modul „Restrukturierungs-, Sanierungs- und Insolvenzrecht“ be-<br />
fasst sich mit den grundsätzlichen rechtlichen Fragen einer Unternehmensre-<br />
strukturierung. Daneben wird, da auch Wirtschaft swissenschaft ler zum Stu-<br />
dium zugelassen sind, ein Tutorium zur Einführung in das Wirtschaft srecht<br />
angeboten. Das Modul umfasst folgende Lehrveranstaltungen: Einführung in<br />
das deutsche, europäische & internationale Insolvenzrecht, M&A in Krise, In-<br />
solvenz & Sanierung und Liquidation bzw. Teilabwicklung/-stilllegung von<br />
Geschäft sbetrieben. <strong>Die</strong>se sollen bei den Studierenden Verständnis <strong>für</strong> die<br />
wichtigsten Insolvenzursachen und die grundlegenden rechtlichen und be-<br />
triebswirtschaft lichen Methoden und Instrumente zur strategischen Früher-<br />
kennung von Unternehmenskrisen wecken und ihnen die Grundlagen <strong>für</strong> die<br />
Erstellung von Konzeptionen zur Restrukturierung und Sanierung vermit-<br />
teln.<br />
<strong>Die</strong> Studierenden sollen darüber hinaus mit dem deutschen, europäischen<br />
und internationalen Insolvenzrecht vertraut gemacht werden, um die Insol-<br />
venz als eine mögliche Option der Sanierung einsetzen zu können. Dabei geht<br />
es um die Chancen und Risiken in der Insolvenz, die Regeln des Insolvenz-<br />
rechts zur Erleichterung der Restrukturierung und Sanierung, den Ablauf des<br />
Insolvenzverfahrens, den Insolvenzplan sowie die übertragende Sanierung<br />
bzw. die Reorganisation mittels Insolvenzplans. Ferner wird vermittelt, wie<br />
die Liquidation bzw. die Teilabwicklung/-stilllegung von Geschäft sbetrieben<br />
oder Geschäft szweigen die Restrukturierungs- und Sanierungs-<br />
ziele ergänzen können.<br />
<strong>Die</strong> Dozenten verstehen es, den Stoff didaktisch verständlich<br />
aufzubereiten und die Vorlesungen schnell auf ein Niveau zu he-<br />
ben, das sich mit dem aktuellen wissenschaft lichen und prakti-<br />
schen Stand der Diskussion deckt. So werden die Grundlagen<br />
<strong>für</strong> die Rahmenbedingungen einer Restrukturierung gelegt, die<br />
in späteren Lehrveranstaltungen vertiefend und im praktischen<br />
Zusammenhang behandelt werden.<br />
Das zweite Modul „Wirtschaft srecht“ mit Veranstaltungen zum<br />
Bilanz-, Handels-, Gesellschaft s-, Unternehmens-, Insolvenz-<br />
straf-, Bank-, Finanzdienstleistungs- und Steuerrecht sowie zu<br />
Rechtsfragen und Praxis der Personalrestrukturierung trägt der<br />
Tatsache Rechnung, dass eine Restrukturierung nahezu alle<br />
möglichen juristischen Problemfelder in einem Unternehmen<br />
berührt, und baut damit auf den zuvor gelegten Grundlagen auf.<br />
Den Studierenden werden die rechtlichen Grundlagen <strong>für</strong> das<br />
Erkennen von Überschuldungsrisiken sowie der Restrukturie-<br />
rungs- und Sanierungsbedarf vermittelt und die einschlägigen<br />
rechtlichen Instrumentarien <strong>für</strong> die Konzeption, Planung und<br />
Umsetzung von Restrukturierungs- und Sanierungsmaßnah-<br />
men an die Hand gegeben. <strong>Die</strong> Veranstaltungen umfassen daher<br />
die Maßnahmen der strukturellen Sanierung (insbesondere<br />
Fortführungsgesellschaft , krisenbedingte Betriebsaufspaltung,<br />
Eigentümerwechsel als strukturelle Sanierungsoption, Verände-<br />
rung der Organisationsstruktur, Beschäft igungs- und Qualifi -<br />
zierungsgesellschaft en, Management Buy-outs, Going Private in der Krise).<br />
Dabei spielen steuerrechtliche Konsequenzen, die bank- und fi nanzdienstleis-<br />
tungsrechtlichen Rahmenbedingungen und die Fragen der Personalrestruk-<br />
turierung mit individual- und kollektivrechtlichen Aspekten eine wichtige<br />
Rolle. Auch Haft ungsrisiken <strong>für</strong> das Management in der Unternehmenskrise<br />
(Geschäft sführer- bzw. Vorstandspfl ichten, zivilrechtliche Haft ung, straf-<br />
rechtliche Verantwortlichkeit) und deutsche sowie internationale Rechnungs-<br />
legungsgrundsätze, samt der Rolle des Abschlussprüfers in der Krise, werden<br />
mit einbezogen.<br />
<strong>Die</strong> Spannung der Vorlesungen profi tiert dabei von der Tatsache, dass die Stu-<br />
dierenden den aktuellen Entscheidungsträgern aus der Rechts- und Wirt-<br />
schaft spraxis in einer kleinen Gruppe gegenübersitzen. Dass diese die Studie-<br />
renden am Ende einer Lehrveranstaltung meist dazu auff ordern, sie bei Pro-<br />
blemen und Fragestellungen später im Beruf oder auch bei dem Berufsein-<br />
stieg zu kontaktieren, ist nicht selbstverständlich und liegt vielleicht auch an<br />
der entspannten und kollegialen Atmosphäre des Studiengangs.<br />
Das dritte Modul „Krisenmanagement und Kommunikation“ umfasst die<br />
Veranstaltungen Grundlagen der Finanzierung, Rechnungswesen, Control-<br />
ling, Finanzplanung, Krisen- und Sanierungsmanagement und Krisen- und<br />
Turnaround-Kommunikation. <strong>Die</strong>ses bildet den eher betriebswirtschaft lichen<br />
Teil des Curriculums. Dabei geht es zunächst um Maßnahmen zur fi nanzwirt-<br />
schaft lichen Sanierung unter Einsatz moderner Instrumente, wie etwa den<br />
Spielarten des Mezzanine-Kapitals oder dem Zugriff auf öff entliche Bürg-<br />
schaft en. Dann werden die zu ergreifenden strategischen, strukturellen und<br />
operativen Maßnahmen auf der leistungswirtschaft lichen Seite der Sanierung<br />
intensiv durchgearbeitet. Denn durch reine Kostensenkungen kann meist<br />
kein nachhaltiger Turnaround erreicht werden. Vielmehr sollte vor dem Hin-<br />
tergrund einer langfristigen Strategie geplant werden, um zukünft ige Er-<br />
folgspotentiale zu heben, getreu dem Motto: „In der Krise liegt auch eine<br />
Chance“. Der Strategie folgt die strukturelle Umsetzung, die z.B. eine Stand-<br />
ortoptimierung und Kapazitätsanpassung bedeuten kann. <strong>Die</strong>s wird von auch<br />
kurzfristig wirksamen operativen Maßnahmen begleitet, wie dem Working<br />
Capital Management mit bspw. Forderungseinzug oder Vorratsreduzierung.<br />
Bei der Planung und Umsetzung der genannten Maßnahmen ist nicht nur ein<br />
effi zientes Planungs- und Controlling Tool anzuwenden, sondern es ist auch<br />
immer der rechtliche Regelungsrahmen zu beachten. Den Studierenden soll<br />
weiter aufgezeigt werden, wie das Management dem großen internen und ex-<br />
ternen Kommunikationsbedarf in der Krise gerecht werden kann. Der Praxis-<br />
bezug wird immer wieder durch Fallbeispiele sichergestellt, die häufi g in kur-<br />
zen Gruppenarbeiten gelöst werden.<br />
<strong>Die</strong> in dem Studiengang vermittelten betriebswirtschaft lichen Inhalte dürft en<br />
<strong>für</strong> die meisten juristisch vorgebildeten Studierenden neu sein; die Notwen-<br />
digkeit der Beherrschung dieser Inhalte steht aber außer Frage. Denn auch<br />
wer sich auf eine juristische Sanierungs- bzw. Restrukturierungsberatung be-<br />
schränkt, muss sich der Interpendenzen mit dem wirtschaft lichen Umfeld zu-<br />
mindest bewusst sein. Dem wird praxisorientiert und (auch <strong>für</strong> Juristen) ver-<br />
ständlich Rechnung getragen.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
<strong>Die</strong> sich anschließenden Module vier und fünf bestehen aus einem interdis-<br />
ziplinären Planspiel, in dem das bisher Erlernte praxisnah umgesetzt werden<br />
soll, und der Magissterarbeit. Der Studiengang wird mit dem sechsten<br />
Modul, einer mündlichen Abschlussprüfung, beendet.<br />
Den Absolventen steht ein großer, gerade in der Krise sprunghaft wachsender<br />
Bedarf an qualifi zierten Nachwuchskräft en gegenüber (z.B. in Anwaltssozie-<br />
täten, Insolvenzverwalterkanzleien, Unternehmensberatungs-, Wirtschaft s-<br />
prüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft en, in der öff entlichen Verwaltung<br />
sowie den Workout-Abteilungen von Finanzinstituten). Aber auch nach einem<br />
Abfl auen der aktuellen Wirtschaft skrise werden Managementfehler, die ca.<br />
80 % aller Unternehmenskrisen verursachen, <strong>für</strong> stete Nachfrage sorgen.<br />
Schon bevor ich auf den Studiengang LL.M. corp. restruc. aufmerksam wurde,<br />
galt mein Interesse der Unternehmensrestrukturierung. <strong>Die</strong> Wahl dieses Stu-<br />
dienganges zur Vertiefung stellt sich daher <strong>für</strong> mich als ideal heraus. Gleiches<br />
gilt meiner Ansicht nach auch <strong>für</strong> Interessenten mit juristischem Hinter-<br />
grund, die häufi g den Erwerb eines LL.M. im Ausland einer postgradualen<br />
Ausbildung in Deutschland vorziehen. Hat man <strong>für</strong> sich noch keine spezifi -<br />
sche berufl iche Zielsetzung und wenig Auslandserfahrung, mag diese Einstel-<br />
lung richtig sein. Wenn man aber diese konkrete Karriereperspektive <strong>für</strong> sich<br />
entdeckt hat, gibt es meiner Ansicht nach keine bessere Vorbereitung da<strong>für</strong><br />
als die Teilnahme an dem Heidelberger Studiengang „LL.M. corp. restruc.“.<br />
Ich bin davon überzeugt, durch diesen Studiengang die bestmögliche Ausbil-<br />
dung <strong>für</strong> alle Bereiche des Wirtschaft s- und Beraterlebens zu erhalten. Denn<br />
wer hier eines der schwierigsten Problemfelder im Griff hat, beherrscht<br />
„einfachere“ Aufgaben erst recht.<br />
Studentisches<br />
Wir suchen Studierende, wissenschaftliche MitarbeiterInnen, die Lust<br />
haben, an der Gestaltung unserer Publikationen mitzuwirken. Der<br />
Aufgabenbereich umfasst u.a die Einwerbung von Beiträgen und das<br />
Entwickeln eigener Ideen <strong>für</strong> Titelthemen oder sonstige Beiträge.<br />
Ab sofort suchen wir <strong>für</strong> das Ressort „Studentisches“<br />
2 Redakteure (m/w)<br />
Berwerbungen bitte per E-Mail an bewerbung@<strong>iur</strong>ratio.de<br />
183
184<br />
Studentisches<br />
Schwerpunktbereich Arbeits- und Sozialrecht im internationalen und<br />
supranationalen Kontext<br />
cand.<strong>iur</strong>. Daniel Kiesow (Universität Bremen)<br />
I. EINLEITUNG<br />
<strong>Die</strong> Entscheidung <strong>für</strong> einen der Schwerpunktbereiche fällt mitunter gar nicht<br />
leicht. Ich wählte „Arbeits- und Sozialrecht im internationalen und suprana-<br />
tionalen Kontext“ an der Universität Bremen. Ausschlaggebend war <strong>für</strong> mich<br />
dabei ein, während der beiden Praktika entwickeltes, Interesse <strong>für</strong> das Ar-<br />
beitsrecht, die beiden sehr politisch geprägten Rechtsgebiete, als faire Prüfer<br />
empfundene Dozenten und auch die Relevanz des Arbeitsrechts <strong>für</strong> den staat-<br />
lichen Teil des Examens.<br />
Auch rückblickend bin ich damit zufrieden und werde daher versuchen im<br />
Folgenden einen kurzen Einblick in diesen Schwerpunktbereich zu geben.<br />
II. VERANSTALTUNGEN<br />
Während der zwei Semester finden insgesamt acht Vorlesungen á 2 SWS statt.<br />
Zeitlich werden das Arbeits- und das Sozialrecht dabei etwa zu gleichen Tei-<br />
len berücksichtigt.<br />
Im ersten Semester wird hauptsächlich Arbeitsrechtliches vertieft. „Das ar-<br />
beitsgerichtliche Verfahren“ bei Tilo Winter, einem Fachanwalt <strong>für</strong> Arbeits-<br />
recht vermittelt u.A. Kenntnisse im ArbGG, etwas Prozesstaktik und typische<br />
praxisrelevante Fallkonstellationen. „Vertiefung des kollektiven Arbeitsrechts“<br />
bei Dr. Katja Nebe, ist eine fallbezogene Veranstaltung, die die zentralen In-<br />
strumente des kollektiven Arbeitsrechts wie etwa das Betriebsverfassungs-<br />
recht und das Arbeitskampfrecht anhand von Gerichtsentscheidungen be-<br />
handelt. In „Strukturen des Sozialrechts“ bei Prof. Dr. Ursula Rust wird ein<br />
erster Überblick über die Sozialgesetzbücher, insbesondere das Sozialversi-<br />
cherungsrecht, geschaffen. Darüber hinaus werden in „Grundlagen des Euro-<br />
päischen Arbeits- und Sozialrechts“ die Bezüge der beiden Rechtsgebiete zur<br />
europäischen Ebene hergestellt.<br />
Für das zweite Semester liegt der Schwerpunkt dann auf dem Sozialrecht.<br />
„Steuerfinanzierte Grundsicherung“ bei Prof. Dr. Klaus Sieveking befasst sich<br />
mit dem SGB II, dem SGB XII und den zahlreichen problematischen Konstel-<br />
lationen der noch im entstehen befindlichen Rechtssprechung zu „Hartz IV“.<br />
„Forensische Praxis des Sozialrechts“ bei Renate Holst, der Direktorin des Bre-<br />
mer Sozialgerichts, behandelt das Sozialgerichtsgesetz und es werden typi-<br />
sche sozialrechtliche Fragestellungen anhand aktueller Entscheidungen des<br />
BSG besprochen. In „Arbeitsrechtliche Bezüge des Sozialrechts“ werden die<br />
zahlreichen Schnittstellen der Gebiete betrachtet und das im ersten Semester<br />
behandelte Sozialversicherungsrecht vertieft. „Kollisionsrecht und Europäi-<br />
sches Arbeitsrecht“ vertieft die europäische Dimension des Arbeitsrechts,<br />
insbesondere wird auf arbeitsrechtlich relevante Richtlinien und richtungwei-<br />
sende Entscheidungen des EuGH eingegangen.<br />
Durch die geringe Anzahl an Teilnehmern (ca.16 im SoSe 08 und WS 08/09)<br />
gestalteten sich die Vorlesungen allesamt sehr flexibel und es gab genügend<br />
Zeit <strong>für</strong> genauere Nachfragen und Diskussionen, auch Gruppenarbeiten und<br />
Referate der Studierenden zu einzelnen Themenkomplexen wurden einge-<br />
baut.<br />
Der Bezug zur Praxis erfolgte durch die prozessrechtlichen Veranstaltungen,<br />
die wie beschrieben von Praktikern gehalten wurden und Gerichtsbesuche<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
beim LAG Bremen und BSG in Kassel (Fahrtkosten wurden von der Uni<br />
übernommen). Dass viele der Studierenden, parallel zum Besuch der Veran-<br />
staltungen, schon in der Vorbereitung auf den staatlichen Teil des ersten Exa-<br />
mens stecken, wurde von den Dozenten berücksichtigt und so wurde vieles in<br />
den Veranstaltungen selbst erarbeitet.<br />
III. PRÜFUNGEN<br />
Um zur Schwerpunktbereichsprüfung zugelassen zu werden verlangt die Prü-<br />
fungsordnung zunächst die Anfertigung und das Bestehen einer Prüfungs-<br />
vorleistung, diese kann in Form einer vierwöchigen Themenhausarbeit (Um-<br />
fang ca. 25-30 Seiten) erbracht werden. Themen hier<strong>für</strong> werden sowohl nach<br />
dem ersten, als auch nach dem zweiten Semester ausgegeben. Zudem ist es<br />
möglich eine Seminararbeit, in Verbindung mit einem kurzen Referat über<br />
das auszuarbeitende Thema, als Prüfungsvorleistung anerkennen zu lassen.<br />
<strong>Die</strong>jenigen, die sowieso gerne eine Seminararbeit schreiben möchten können<br />
dieses also gut mit der Pflichtaufgabe der Prüfungsvorleistung verbinden.<br />
<strong>Die</strong> eigentliche Schwerpunktbereichsprüfung besteht, wie in allen Schwer-<br />
punktbereichen der Universität Bremen, aus einer vierwöchigen Themen-<br />
hausarbeit (Umfang ca. 50-60 Seiten) an deren Bestehen sich eine mündliche<br />
Prüfung anschließt. <strong>Die</strong> Themen <strong>für</strong> die Hausarbeiten werden aus einem Topf<br />
gelost, in dem sich Themen aus dem gesamten Spektrum des Schwerpunktbe-<br />
reichs befinden. Gleiches gilt auch <strong>für</strong> die mündliche Prüfung, wobei sich die<br />
Themen eingrenzen lassen, sobald die Prüfer <strong>für</strong> den konkreten Termin be-<br />
kannt sind.<br />
Hervorzuheben ist, dass mehrere Veranstaltungen stattfanden, in denen die<br />
Prüfungsanforderungen genau besprochen wurden, unter anderem gab ein<br />
erfolgreicher Kandidat aus dem vergangenen Durchgang Tipps und Hinweise<br />
zu seiner Arbeitsweise. Durch die Prüfungsvorleistung musste auch schon<br />
einmal mit einer, ansonsten eher ungewohnten, Themenhausarbeit umgegan-<br />
gen werden und auch die Simulation einer mündlichen Prüfung wurde von<br />
Prof. Dr. Ursula Rust und Renate Holst durchgeführt. Was ich als sehr positiv<br />
empfand.<br />
IV. SCHLUSS<br />
Abschließend kann ich diesen Schwerpunkt wirklich empfehlen. <strong>Die</strong> Kombi-<br />
nation der beiden Gebiete schult den Sinn <strong>für</strong> Zusammenhänge im Rechtssys-<br />
tem. Inhaltlich kann die Vertiefung der arbeitsrechtlichen Kenntnisse in Hin-<br />
blick auf das Examen, insbesondere die Zivilrecht III Klausur sinnvoll sein,<br />
aber auch als Einblick <strong>für</strong> die spätere Berufswahl dienen. Auch die Kenntnis<br />
von sozialrechtlichen Regelungen ist in vielen Lebenslagen nützlich. Über das<br />
Fachliche hinaus sorgte die Zusammensetzung der Studierenden (mehrheit-<br />
lich Staatsexamen, aber auch LL.M. und Nebenfach waren vertreten) und die<br />
individuelle Betreuung <strong>für</strong> eine angenehme Atmosphäre.<br />
Zwingende Voraussetzungen <strong>für</strong> den Besuch des Schwerpunktes gibt es<br />
kaum, der vorherige Besuch der Grundlagenvorlesung zum Arbeitsrecht ist<br />
natürlich empfehlenswert. Ebenso sind wie überall Interesse und Engagement,<br />
gern gesehen, insbesondere weil sich in einer kleinen Gruppe niemand<br />
verstecken kann.<br />
A. EINLEITUNG<br />
<strong>Die</strong> Universität Münster bietet im Bereich der Schwerpunktbereichprüfung<br />
acht verschiedene Schwerpunkte an. Der Schwerpunkt Rechtsgestaltung und<br />
Streitbeilegung im Zivilrecht zeichnet sich hierunter als einer der praxisnahs-<br />
ten Schwerpunkte aus. Soweit dies einen Studenten, der sich nach den ersten<br />
Semestern mit der strukturierten und schematischen Vorgehensweise der<br />
Rechtswissenschaften angefreundet hat, vielleicht abschrecken könnte, so<br />
bietet es doch auch gerade die Möglichkeit Jura schon zu einem frühen Zeit-<br />
punkt im Studium unter praktischen Gesichtspunkten zu entdecken.<br />
B. VERANSTALTUNGEN<br />
<strong>Die</strong> beschriebene Praxisnähe zeigt sich vor allem im Bereich der Veranstal-<br />
tungen. Nach der Schwerpunktordnung wird zwischen Pflicht- und Wahl-<br />
pflichtveranstaltungen unterschieden. <strong>Die</strong> drei Pflichtveranstaltungen wer-<br />
den zurzeit ausschließlich von Praktikern gehalten. Dabei bringen zum<br />
Beispiel Herr Peitscher (Hauptgeschäftsführer der Rechtsanwaltskammer<br />
Hamm) und Herr Sandkühler (Geschäftsführer der Westfälischen Notarkam-<br />
mer) den Studenten mit ihrem Erfahrungsschatz das Berufsrecht des Anwalts<br />
näher. Ein Einblick in die Verhandlungsstrategien und die forensische Taktik<br />
gibt Prof. Dr. Speckmann. <strong>Die</strong> Veranstaltung Rechtsgestaltung profitiert hin-<br />
gegen außerordentlich vom Wissen der vortragenden Rechtsanwälte Dr.<br />
Aderhold und Dr. Lenkaitis, die die Veranstaltung mit Anekdoten und span-<br />
nenden Fälle aus dem eigenen Berufsleben bereichern und auflockern.<br />
Gerade hierdurch entsteht eine interessante Symbiose aus dem Lernen des<br />
Stoffes unter gleichzeitiger Augenmerksetzung auf die praktische Relevanz.<br />
<strong>Die</strong> sonst im Laufe des Studiums teilweise aufgekommene Frage der Sinnhaf-<br />
tigkeit des Gelernten stellt sich daher im Schwerpunkt Rechtsgestaltung und<br />
Streitbeilegung nicht. Durch das im Rahmen der Veranstaltung erworbene<br />
Wissen beginnt eine Hinterfragung auch der Begebenheiten im alltäglichen<br />
Leben. Bei dem sonst einfach unbewusst getätigten Kauf eines Brötchens,<br />
wird der Blick nun auf das standardisierte Inventar gelenkt und es kommt die<br />
Frage auf, wie wohl hier der Franchisevertrag gestaltet ist. Bei dem sonst nur<br />
überflogenem Zeitungsartikel über eine Firmenübernahme, blitzen nun so-<br />
fort die Begriffe share- und asset deal auf. Im Verlauf des Schwerpunktes wer-<br />
den so vorher kaum beachtete Formularbücher auf einmal zum besten Freund<br />
des Studenten.<br />
Auch die Wahlpflichtfächer bestechen durch ihre Praxisnähe. Zum Einen<br />
werden diese auch von Praktikern gehalten. Zum Anderen bietet aber auch<br />
die Fächerauswahl vom Arzthaftungsrecht bis hin zum Versicherungsver-<br />
tragsrecht den Studenten die Möglichkeit über die normalen im Studienver-<br />
lauf vorgesehenen Fächer hinauszuschauen und hierbei eigene Interessen zu<br />
entdecken.<br />
C. PRÜFUNGEN<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
Studentisches<br />
Schwerpunktbereich Rechtsgestaltung und Streitbeilegung<br />
im Zivilrecht<br />
cand. <strong>iur</strong>. Jana Pannemann (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)<br />
Für den erfolgreichen Abschluss der Schwerpunktsbereichsprüfung müssen<br />
30 Credits gesammelt werden, was einem Umfang von 17 Semesterwochen-<br />
stunden entspricht. 18 Credits müssen dabei durch Klausuren in Pflicht- und<br />
Wahlpflichtveranstaltungen erreicht werden und 3 Credits werden <strong>für</strong> das<br />
erfolgreiche Bestehen einer zum Schwerpunktbereich gehörenden Klausur in<br />
einem Grundlagenfach angerechnet. <strong>Die</strong> dann noch fehlenden 9 Credits sind<br />
durch eine Seminararbeit zu erlangen. <strong>Die</strong>se kann im Bereich der Thematik<br />
des Grundlagenfaches oder der Pflicht- und Wahlpflichtveranstaltungen ge-<br />
schrieben werden. Der Umfang der dabei vorgesehenen Seitenanzahl, sowie<br />
die Schreibzeit variieren dabei zwischen den einzelnen Seminaren. Mit in die<br />
Bewertung der Seminararbeit fließt auch ein mündlicher Vortrag ein, bei dem<br />
der Vortragende sein Thema den anderen Seminarteilnehmern präsentiert<br />
und in einer anschließenden Diskussion die einzelnen Thesen näher erläutert<br />
werden.<br />
D. ZUSATZAUSBILDUNG ANWALTSRECHT<br />
Eine Besonderheit des Schwerpunktbereiches Rechtsgestaltung und Streitbei-<br />
legung ist die Möglichkeit des Erwerbs eines Zertifikates im Bereich des An-<br />
waltsrechts. <strong>Die</strong> Teilnahme an dieser Zusatzausbildung kann auch unabhän-<br />
gig von der Belegung des Schwerpunktes Rechtsgestaltung und Streitbeile-<br />
gung erfolgen, jedoch bietet die gleichzeitige Ablegung große Vorteile. <strong>Die</strong><br />
Zusatzausbildung setzt sich zusammen aus dem Besuch der Veranstaltungen<br />
und dem Schreiben einer Abschlussklausur. Umfasst werden dabei die Veran-<br />
staltungen Rechtsgestaltung I und II, Berufsrecht I und II, sowie Verhand-<br />
lungsstrategien und forensische Taktiken I und II. Zeitlich erstreckt sich die<br />
Zertifikatsablegung über zwei Semester. Vorteilhaft bei der gleichzeitigen Ab-<br />
legung mit dem Schwerpunkt ist, dass je nach Wahl eine der beiden Vorlesun-<br />
gen (I oder II) grundsätzlicher Pflichtfachstoff ist. Weiterhin kann die jeweils<br />
andere Klausur als Wahlpflichtfach gewählt werden, sodass es zu einer gleich-<br />
zeitigen Wertung <strong>für</strong> den Schwerpunkt und die Zusatzausbildung kommt<br />
und keine zusätzlichen Belastungen entstehen.<br />
E. SCHLUSS<br />
Insgesamt stellt sich der Schwerpunktbereich Rechtsgestaltung und Streitbei-<br />
legung im Zivilrecht als eine wirklich lohnenswerte Schwerpunktwahl dar.<br />
Einschränkend muss allerdings angeführt werden, dass es im Hinblick auf die<br />
Examensrelevanz des Stoffes an der Universität Münster andere Schwer-<br />
punkte (z.B. Staat und Verwaltung) gibt, bei denen im Rahmen der Schwer-<br />
punktvorlesungen das Wissen aus der Zwischenprüfung weiter vertieft wird<br />
und sich dies vorteilhaft in der Examensvorbereitung auswirkt. Jedoch sollte<br />
dringend davon abgeraten werden, diesen Aspekt als einziges Kriterium <strong>für</strong><br />
die Schwerpunktwahl zu nehmen. <strong>Die</strong> Entscheidung sollte immer nach dem<br />
Schwerpunkt des eigenen Interessenfeldes gefällt werden. Gerade <strong>für</strong> den<br />
Schwerpunkt Rechtsgestaltung und Streitbeilegung im Zivilrecht spricht da-<br />
bei neben dem zusätzlichen Highlight der Zertifikatserwerbung die außeror-<br />
dentliche Praxisnähe, die jedem Studenten individuelle Möglichkeiten bietet<br />
viele neue Sichtweisen und Einblicke zu gewinnen.<br />
185
186<br />
Studentisches<br />
Deutsch- französisches Recht<br />
<strong>stud</strong>.<strong>iur</strong>. Christina Gehrig (Universität Erlangen-Nürnberg)<br />
Seit dem Wintersemester 2007/2008 haben jedes Jahr ca. 20 Jura<strong>stud</strong>enten an<br />
der Universität Erlangen-Nürnberg die Möglichkeit nach dem 4. Semester<br />
eineinhalb Jahre in Rennes Rechtswissenschaft en zu <strong>stud</strong>ieren und dort den<br />
„Master 1“ und „Master 2“ zu absolvieren.<br />
Außerdem schreiben sie in Frankreich die Seminararbeit in deutsch-französi-<br />
schem Recht, deren Leistung gänzlich in Deutschland anerkannt wird. Nach<br />
dem 3-semestrigen Aufenthalt in Rennes kommen die deutschen Studieren-<br />
den wieder zurück nach Erlangen und schließen ihr Studium mit dem Staats-<br />
examen ab. Im Anschluss an den Aufenthalt der deutschen Studenten in Ren-<br />
nes, <strong>stud</strong>iert der französische Jahrgang drei Semester in Erlangen und absol-<br />
viert dort einen deutschen Master in Rechtswissenschaft en.<br />
Als Vorbereitung <strong>für</strong> das Studium in Frankreich, werden an der Universität<br />
Erlangen Sprachkurse, „francais juridique 1, 2 und 3“ angeboten, die einem<br />
einen Einblick in das französische Recht geben sollen. Außerdem kommt je-<br />
weils am Ende des Semesters ein französischer Professor an die Universität<br />
Erlangen, der im Rahmen von Blockveranstaltungen das öff entliche Recht<br />
und Zivilrecht in Frankreich vermittelt.<br />
<strong>Die</strong> Bewerbungen <strong>für</strong> diesen deutsch-französisch integrierten Studiengang<br />
müssen einen „lettre de motivation“ enthalten. Natürlich erhöhen längere<br />
Aufenthalte in Frankreich z.B. als Au-Pair oder Austauschschüler die Chance<br />
ausgewählt zu werden. Französisch Leistungskurs wird zwingend vorausge-<br />
setzt. Aber die französischen und deutschen Professoren, die die Auswahl<br />
treff en, wollen auch Begeisterung <strong>für</strong> das Land, seine Kultur und Menschen in<br />
der Bewerbung spüren.<br />
Anhand dieser Motivationsschreiben wird dann eine Vorauswahl getroff en,<br />
die besten Bewerber werden zu einem Auswahlgespräch eingeladen. Im Rah-<br />
men dieses Gesprächs, das sowohl deutsche als auch französische Dozenten<br />
und Professoren führen, wird besonders großen Wert auf die sprachlichen Fä-<br />
higkeiten gelegt.<br />
Als ich im zweiten Semester hörte, dass ab dem Wintersemester 07/08 ein<br />
deutsch- französisch integrierter Studiengang an der Universität Erlangen-<br />
Nürnberg angeboten wird, machte ich mich gleich am nächsten Tag an die<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
Arbeit um die Bewerbungsunterlagen fertig zu stellen. Ich wollte schon immer<br />
Sprachen in meinem Studium integrieren und eineinhalb Jahre in Frankreich<br />
hörten sich sehr verlockend an. Wie funktioniert das Rechtssystem in Frank-<br />
reich, welche Unterschiede gibt es zu dem in Deutschland? Fragen auf die ich<br />
eine Antwort haben wollte. Innerhalb dieses Programms würde ich die Mög-<br />
lichkeit haben, es herauszufi nden. Glücklicherweise sind auch Quereinstiege<br />
möglich. Jedoch konnte ich außer dem Leistungskurs Französisch keine be-<br />
sonderen Qualifi kationen wie längere Auslandsaufenthalte in Frankreich<br />
oder beste Abiturnoten in Französisch vorweisen. In meinem „lettre de moti-<br />
vation“ schrieb ich viel über meine Begeisterung <strong>für</strong> Frankreich, die zahlrei-<br />
chen, schönen Urlaube und den Sprachkurs, den ich dort im Rahmen eines<br />
Sprachenprogramms absolvierte. Ein Auswahlgespräch gab es in meinem<br />
Jahrgang noch nicht. Außer mir schafft en es ca. 15 weitere Bewerber sich <strong>für</strong><br />
das Programm zu qualifi zieren. Im ersten Semester nahmen wir an dem Kurs<br />
„écouter et entendre“ teil, der unsere Sprechfertigkeiten und das Hörverständ-<br />
nis schulen sollte. <strong>Die</strong> folgenden Semester belegten wir die Kurse „francais ju-<br />
ridique 1, 2 und 3“. Aber der Spaß kam auch nicht zu kurz: französische Filme,<br />
die in Erlangen vom deutsch-französischen Institut, gezeigt werden, schauten<br />
wir uns bei gemütlichem Zusammensein immer wieder an. Auch Diskussi-<br />
onsabende über deutsch-französische Beziehungen wurden besucht.<br />
Im Sommer 2008, ein Jahr vor unserem großen Aufb ruch nach Frankreich,<br />
reisten wir dann alle mit dem Bus nach Rennes um unsere zukünft ige Heimat<br />
kennen zu lernen. Dort durft en wir Wohnheimszimmer der Universität be-<br />
wohnen. In den darauf folgenden<br />
Tagen lernten wir unsere „Aus-<br />
tausch<strong>stud</strong>enten“ in Rennes kennen<br />
und nahmen die Stadt unter die<br />
Lupe. Außerdem hörten wir uns<br />
Vorlesungen an. Uns wurde klar,<br />
dass diese sehr anders waren als in<br />
Deutschland. Alle Studenten mach-<br />
ten während der Vorlesung ohne<br />
Unterbrechung Notizen und eine<br />
Orientierung <strong>für</strong> den Ablauf der<br />
Vorlesung mit Hilfe einer Power<br />
Point Präsentation gab es nicht. Natürlich machte es dies <strong>für</strong> uns Deutsche<br />
noch schwieriger den Ausführungen des Professors zu folgen. Nach diesen<br />
aufregenden vier Tagen in Frankreich, in denen wir unsere neue Heimat sehr<br />
viel besser kennengelernt haben, freuten wir uns auf schöne aber natürlich<br />
auch lernintensive eineinhalb Jahre in Rennes.<br />
Ich kann dieses Programm allen Studenten empfehlen, die die französische<br />
Sprache und das Land genauso mögen wie ich. Natürlich ist auch das Inter-<br />
esse <strong>für</strong> rechtsvergleichende Th emen sehr wichtig. Vor allem denjenigen, die<br />
sich vorstellen könnten später einmal in Frankreich bzw. auch in Deutschland<br />
in Unternehmen mit französischen Beziehungen zu arbeiten, vermittelt dieser<br />
Studiengang sehr gute Grundkenntnisse um diese Zukunft spläne verwirkli-<br />
chen zu können.<br />
Welche Ziele hat der Freundeskreises<br />
Juristische <strong>Zeitschrift</strong> <strong>Iurratio</strong> e.V.?<br />
Ziele des Freundeskreises Juristische <strong>Zeitschrift</strong> <strong>Iurratio</strong> e.V. sind die Förderung<br />
des wissenschaft lichen Nachwuchses, die Unterstützung der Universitäten<br />
und Hochschulen in Lehre, Wissenschaft und Forschung durch rechtswissen-<br />
schaft liche Studien, die im Magazin sowie im Internet <strong>für</strong> alle Studierenden<br />
und Nachwuchskräft e veröff entlicht werden. Dem Freundeskreis sollen<br />
Studierende, Professoren, Juristen und weitere Persönlichkeiten aus Wissen-<br />
schaft , Politik und Wirtschaft beitreten.<br />
Welche Vorteile bietet eine Mitgliedschaft<br />
in diesem Verein?<br />
Alle Mitglieder erhalten ein Abonnement der <strong>Zeitschrift</strong> <strong>Iurratio</strong>.<br />
Der Freundeskreis hat es sich zur Aufgabe gemacht, den kostenlosen Bezug<br />
der juristischen <strong>Zeitschrift</strong> insbesondere <strong>für</strong> seine Mitglieder und <strong>für</strong> alle<br />
juristischen Bibliotheken im ganzen Bundesgebiet sicherzustellen.<br />
So kümmert sich der Freundeskreis insbesondere um den regelmäßigen<br />
kostenlosen Versand der <strong>Zeitschrift</strong> an alle Mitglieder des Vereins sowie an<br />
die juristischen Bibliotheken in ganz Deutschland.<br />
Darüber hinaus trägt der Freundeskreis Juristische <strong>Zeitschrift</strong> <strong>Iurratio</strong> e.V.<br />
durch die Übernahme der Druckkosten <strong>für</strong> die Exemplare seiner Mitglieder und<br />
der juristischen Bibliotheken zum kostenlosen Erscheinen der <strong>Iurratio</strong> bei.<br />
<strong>Die</strong> Mitglieder des Freundeskreises Juristische <strong>Zeitschrift</strong> <strong>Iurratio</strong> e.V. werden<br />
auf unserer Homepage www.<strong>iur</strong>ratio.de unter dem Link „Freundeskreis“<br />
aufgeführt. Auf Wunsch kann die Mitgliedschaft anonym bleiben.<br />
Wie hoch ist der jährliche Mitgliedsbeitrag?<br />
Der jährliche Mitgliedsbeitrag beträgt fünfundzwanzig Euro. Der ermäßigte<br />
Beitrag <strong>für</strong> Schüler, Studierende und Referendare beläuft sich auf zehn Euro.<br />
Wie kann ich Mitglied werden und wie sehen die<br />
Satzung und die Beitragsordnung aus?<br />
Werden auch Sie Mitglied im Freundeskreis Juristische <strong>Zeitschrift</strong> <strong>Iurratio</strong> e.V.!<br />
<strong>Die</strong> Mitgliedschaft garantiert Ihnen zunächst den regelmäßigen Bezug der<br />
juristischen <strong>Zeitschrift</strong> <strong>Iurratio</strong>. Das Anmeldeformular fi nden Sie auf unserer<br />
Homepage und gleich hier.<br />
Freundeskreis Juristische <strong>Zeitschrift</strong> <strong>Iurratio</strong> e.V. Vorstand c/o Vivien Eckhoff , Graf-Moltke-Straße 18, 28203 Bremen<br />
Aufnahmeantrag Freundeskreises Juristische <strong>Zeitschrift</strong> <strong>Iurratio</strong> e.V.<br />
Hiermit trete ich dem Freundeskreis Juristische <strong>Zeitschrift</strong> <strong>Iurratio</strong> e.V. bei. Ich trete dem Verein bei als<br />
SchülerIn, StudentIn, ReferendarIn (ermäßigter Jahresmitgliedsbeitrag 10€,<br />
entsprechende Nachweise sind dem Vorstand jährlich vorzulegen),<br />
natürliche Person (Jahresmitgliedsbeitrag 25€),<br />
juristische Person (Jahresmitgliedsbeitrag 25€).<br />
Den <strong>für</strong> mich nach der Beitragsordnung gültigen Mitgliedsbeitrag zahle ich bei Eintritt in den Verein unverzüglich, danach gemäß § 2 Nr. 4 der Bei-<br />
tragsordnung jeweils zum 1. Januar des Kalenderjahres, auf das Konto des Vereins bei der Bremer Landesbank, Kontonummer 1051387004, BLZ 290<br />
500 00 ein. Das Erteilen einer Lastschrift ermächtigung ist auf einem gesonderten Formular möglich.<br />
Firma/Titel/Frau/Herr:<br />
Name, Vorname:<br />
Geburtsdatum:<br />
Beitrittsdatum:<br />
Ich möchte / möchte nicht als Förderer von <strong>Iurratio</strong> auf www.<strong>iur</strong>ratio.de genannt werden. (Unzutreff endes bitte streichen)<br />
<strong>Die</strong> aktuelle Satzung und die derzeit gültige Beitragsordnung vom 14.12.2008 habe ich zur Kenntnis genommen.<br />
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<strong>für</strong> Rechtsreferendar/in oder Student/in<br />
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z. Hd. Hans-Joachim Brockmeier<br />
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attraktiven Referendars- oder Praktikumsplatz? Dann sind Sie<br />
bei uns richtig. Sie erhalten bei uns eine zukunftsorientierte<br />
Weiterbildung.<br />
Wir legen besonderen Wert darauf, Sie mit der notwendigen<br />
Intensität zu betreuen. Unser Ziel ist es, Ihnen in unserer wirt-<br />
schaftlich- und privatrechtlich ausgerichteten Rechtsanwalts-<br />
und Notariatskanzlei einen vertieften Einblick in die juristische<br />
Praxis zu gewähren und Sie bei ihrem beruflichen Werdegang<br />
tatkräftig zu unterstützen.<br />
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Rechtsanwälte Brockmeier, Grotholt, Bietmeier, Faulhaber und Kollegen<br />
Büro Rheine | Humboldplatz 4 | 48429 Rheine