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Die Zeitschrift für stud. iur. - Iurratio

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162<br />

Fallbearbeitung<br />

Auf der anderen Seite stellt die Rechtsprechung strenge Anforderungen an die<br />

Unvermeidbarkeit. <strong>Die</strong>s gilt umso mehr, wenn es um die Tötung eines ande-<br />

ren Menschen geht. Dabei kann der Irrtum schwerlich vermeidbar sein, da es<br />

sich um das grundlegendste rechtliche sowie auch ethische Handlungsverbot<br />

handelt. Es kann daher angeführt werden, dass der M zwar in seiner Sekte<br />

stark integriert war, aber dennoch davon auszugehen ist, dass er die in<br />

Deutschland allgemein geltenden Gesetze kannte und somit auch um das<br />

Verbotensein der Tötung wusste.<br />

Im Ergebnis ist daher die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums anzunehmen,<br />

mit der Folge, dass der M auch schuldig gehandelt hat. Möglich ist jedoch eine<br />

Milderung der Strafe nach § 17 S. 2 i.V.m. § 49 I StGB.<br />

IV. ERGEBNIS<br />

M hat sich des Mordes nach §§ 211, 212 I strafb ar gemacht.<br />

B. STRAFBARKEIT DES B NACH §§ 211, 212 I, 25 I 2. ALT.<br />

B könnte sich des Mordes in mittelbarer Täterschaft nach §§ 211, 212 I, 25 I 2.<br />

Alt. strafb ar gemacht haben, indem er dem M dazu anwies, seine schlafende<br />

Frau mit einem Kissen zu ersticken.<br />

I. TATBESTAND<br />

1. OBJEKTIVER TATBESTAND<br />

Zunächst müsste der Tatbestand „durch einen anderen“ verwirklicht sein.<br />

Kennzeichen des Tatmittlers ist dabei seine unterlegene Stellung, die sich<br />

darin widerspiegelt, dass er nicht volldeliktisch handelt 13 . Im vorliegenden<br />

Fall begeht B die Tötung der Ehefrau nicht selbst, sondern lässt sie durch den<br />

M vornehmen. Wie unter A. III. festgestellt handelt jedoch dieser (der ver-<br />

meintliche Tatmittler) aufgrund eines vermeidbaren Verbotsirrtums schuld-<br />

haft , so dass er den <strong>für</strong> den Tatmittler erforderlichen Strafb arkeitsmangel<br />

nicht aufweist.<br />

Von der Regel des Strafb arkeitsmangels des Tatmittlers werden jedoch Aus-<br />

nahmen vor allem im Rahmen von Organisationsstrukturen statuiert (Stich-<br />

wort „Täter hinter dem Täter“). Maßgebend in solchen Fällen ist, dass der als<br />

Hintermann fungierende Befehlsgeber das Gesamtgeschehen kraft seiner<br />

„Organisationsherrschaft “ bedingungslos in die von ihm gewünschte Rich-<br />

tung lenken kann und der Vordermann quasi beliebig austauschbar ist 14 . Für<br />

die Begründung einer mittelbaren Täterschaft bedarf es beim Hintermann<br />

eine überlegene Stellung aufgrund seiner Tatherrschaft kraft überlegenen<br />

Wissens oder Wollens 15 .<br />

Handelt der Tatmittler in vermeidbarem Verbotsirrtum, stellt diese Vermeid-<br />

barkeit nach Ansicht des BGH und weiter Teile der Literatur kein Hindernis<br />

<strong>für</strong> die Annahme einer mittelbaren Täterschaft (Th eorie der eingeschränkten<br />

Verantwortlichkeit). Denn das Merkmal der Vermeidbarkeit verkörpert kein<br />

sicheres Abgrenzungskriterium <strong>für</strong> den Beitrag eines Tatbeteiligten. Denn<br />

dem in vermeidbarem Irrtum handelnden Täter fehlt es zum Tatzeitpunkt in<br />

jedem Fall an Unrechtseinsicht, mit der Folge dass auch in diesem Fall mittel-<br />

13 Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 535.<br />

14 Wessels/Beulke, Strafrecht At Rn 541; vgl. auch BGHSt 48, 77, 89.<br />

15 Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 535.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />

bare Täterschaft grundsätzlich möglich ist. Entscheidend ist dann bei norma-<br />

tiver Betrachtung die Art und Tragweite des Irrtums sowie die Intensität der<br />

Einwirkung durch den Hintermann 16 .<br />

Innerhalb einer religiösen Sekte wie die unseres Sachverhalts entstehen eben-<br />

falls solche Hierarchien, die eine mittelbare Täterschaft rechtfertigen, wenn<br />

der Tatmittler aufgrund abergläubischer Ängste in einem vermeidbaren Ver-<br />

botsirrtum handelt.<br />

In Betracht könnte ebenso eine Anstift ung gem. § 26 kommen, so dass das<br />

Verhalten des B gegenüber einem bloßen Bestimmen abgegrenzt werden<br />

muss. Bedenken hinsichtlich der Überlegenheit des B bestehen hier insoweit,<br />

als dass dieser laut Sachverständigengutachten tief davon überzeugt ist, dass<br />

Gott ihm befohlen hat, die jüngste Mutter der Gemeinde töten zu lassen, so<br />

dass er dem gleichen Irrtum unterliegt wie der M. Im Rahmen der Abgren-<br />

zung zu § 26 wird gefordert, dass der Hintermann die Schuldunfähigkeit des<br />

Tatmittlers oder die Umstände kennt, die den Schuldvorwurf entfallen lassen,<br />

und dass er die von ihm richtig erfasste Situation zur Begehung der von ihm<br />

gewollten Straft at ausnutzt 17 . Dem steht nach Ansicht des BGH ein ebenfalls<br />

beim Hintermann vorliegender Verbotsirrtum nicht entgegen, solange dieser<br />

mit Täterwillen und Tatherrschaft handelt 18 .<br />

Im vorliegenden Fall weist der B den M an, seine Frau im Schlaf mit einem<br />

Kissen zu ersticken. Dabei kommt ihm bereits aufgrund seiner Position als<br />

Anführer der Sekte eine gewisse Macht zu, die er auch gegenüber M nutzt und<br />

die sich darin bestätigt, dass dieser die Tat, ohne sie in Frage zu stellen, aus-<br />

führt. Zudem handelt es sich bei dem M laut Sachverhalt auch um ein treu er-<br />

gebenes Gemeindemitglied. Für die Tatherrschaft des B spricht weiter, dass<br />

dieser dem M auch genau vorgibt, wie er seine Frau töten soll und dieser sich<br />

daran hält. Hätte z.B. der B vor der Tatbestandsverwirklichung dem M befoh-<br />

len, die Tötung der Frau doch nicht durchzuführen, hätte der M von seiner<br />

Tat abgesehen. Im Ergebnis fungiert der M daher wie ein Werkzeug in der<br />

Hand des B, so dass dieser als mittelbarer Täter im Sinne des § 25 I 2. Alt. zu<br />

qualifi zieren ist.<br />

Der objektive Tatbestand ist damit erfüllt.<br />

2. SUBJEKTIVER TATBESTAND<br />

Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, also das Wissen und Wollen der<br />

Tatbestandsverwirklichung.<br />

Zunächst müsste dieser die durch den Tatmittler begangene Tat umfassen. B<br />

wollte, dass der M seine Frau mit einem Kissen im Schlaf erstickt. <strong>Die</strong>sbezüg-<br />

lich hatte er also dolus directus I. Grades. Aufgrund dessen, dass er die Tat-<br />

ausführung auch genau vorgegeben hatte, erstreckt sich sein zielgerichteter<br />

Erfolgswille gerade auch auf das objektive Mordmerkmal der Heimtücke.<br />

Weiter müsste sich sein Vorsatz auch auf die eigene Tatherrschaft sowie die<br />

unterlegene Stellung des Tatmittlers beziehen. B ging davon aus, dass der M,<br />

16 BGHSt 35, 347, 351 f.; Otto Grundkurs Strafrecht, § 21, Rn. 84;<br />

Heinrich, Strafrecht-AT II, Rn. 1260.<br />

17 Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 538.<br />

18 BGHSt 40, 257, 267.<br />

als treu ergebenes Gemeindemitglied, seiner Auff orderung Folge leisten<br />

würde. Zudem teilte er selbst ihm mit, dass andernfalls der Weltuntergang<br />

drohe, so dass ihm auch die Umstände, die den Strafb arkeitsmangel des M be-<br />

gründen, bekannt waren. Folglich handelte er diesbezüglich mit dolus direc-<br />

tus II. Grades.<br />

Subjektive Mordmerkmale in der Person des B sind darüber hinaus nicht<br />

ersichtlich.<br />

Der subjektive Tatbestand ist somit ebenfalls zu bejahen.<br />

II. RECHTSWIDRIGKEIT<br />

In Bezug auf eine Rechtfertigung nach § 32 bzw. § 34 gelten die unter A. II. ge-<br />

machten Ausführungen zu M entsprechend, mit der Folge, dass kein Recht-<br />

fertigungsgrund greift und die Tat des B daher rechtswidrig ist.<br />

III. SCHULD<br />

Schließlich ist die Schuld des B festzustellen. Wie bereits erwähnt unterliegt er<br />

dem gleichen Irrtum wie der M, der als Verbotsirrtum nach § 17 zu behan-<br />

deln ist. Fraglich ist also dessen Unvermeidbarkeit. Im Vergleich zu M ergibt<br />

sich kein Unterschied daraus, dass der B Anführer der Sekte ist. Obwohl der<br />

Sachverhalt keine Anhaltspunkte da<strong>für</strong> liefert, dass B die Mitglieder seiner<br />

Sekte bewusst in einen Irrglauben führen würde, kann nicht ernsthaft<br />

Fallbearbeitung<br />

behauptet werden, dass er das Tötungsverbot der Rechtsordnung nicht kannte.<br />

Im Ergebnis ist daher auch im Fall des B von einer Vermeidbarkeit des<br />

Verbotsirrtums auszugehen, so dass er schuldhaft handelte, § 17 S. 1 (a.A.<br />

vertretbar).<br />

IV. ERGEBNIS<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />

B hat sich nach §§ 211, 212 I, 25 I 2. Alt. strafb ar gemacht.<br />

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