Die Zeitschrift für stud. iur. - Iurratio
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Praxis<br />
PROF. DR. ROLF SCHMIDT<br />
„Der Trend geht in Richtung Einfachheit“<br />
Ein Interview mit Prof. Dr. Rolf Schmidt<br />
von Dipl.-Jur. Dirk Veldhoff (Doktorand an der Universität Bremen)<br />
<strong>Iurratio</strong>: Herr Schmidt, Sie haben Ihr Jura-Studium erst sehr spät<br />
aufgenommen. Was haben Sie vor dem Studium gemacht und wie kam<br />
es zu dem späten Entschluss, Jura zu <strong>stud</strong>ieren?<br />
Schmidt: Nun, ich war Offizier der Bundesmarine und dort als Marineflie-<br />
ger eingesetzt. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und der Beendi-<br />
gung des Kalten Krieges musste sich auch die Bundeswehr an die geänderten<br />
Rahmenbedingungen anpassen. Internationale Verträge verpflichteten die<br />
Bundesrepublik, und damit die Bundeswehr, die Präsenzstärke des Truppen-<br />
kontingents drastisch zu reduzieren. <strong>Die</strong>se Gelegenheit nahm ich wahr, um<br />
mit Hilfe von Übergangsgeldern meinem Wunsch nachzukommen und Jura<br />
zu <strong>stud</strong>ieren. <strong>Die</strong> Wahl des Fachs war auch schon deshalb naheliegend, weil<br />
ich neben der Fliegerei das Aus- und Fortbildungsreferat geleitet und in die-<br />
sem Zusammenhang aufgrund der internationalen Einsätze der Bundeswehr<br />
die jüngeren Offiziere im Staats- und Verfassungsrecht sowie im Völkerrecht<br />
unterrichtet habe.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Wie hat sich die Idee entwickelt einen eigenen juristischen<br />
Fachverlag zu gründen?<br />
Schmidt: Sie müssen wissen, dass das Lehrbuchangebot Mitte der neunzi-<br />
ger Jahre nicht so reichhaltig war wie es heute ist. Es gab wenige so genannte<br />
Standardwerke, die sich aufgrund praktisch nicht vorhandener Konkurrenz<br />
auch nicht <strong>stud</strong>entenfreundlich präsentieren mussten. Sie nannten sich zwar<br />
Lehrbücher, waren aber offensichtlich nicht <strong>für</strong> Studenten, sondern <strong>für</strong> Fach-<br />
kollegen geschrieben. Fälle mit Lösungsgesichtspunkten oder Prüfungssche-<br />
mata suchte man vergebens. Ich erinnere mich noch, als Ende der neunziger<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
In dem kleinen niedersächsischen Ort Grasberg bei Bremen befin-<br />
det sich in einem Gewerbegebiet der Dr. Rolf Schmidt Verlag.<br />
Rolf Schmidt (45) Geschäftsführer des Verlags und Professor an<br />
der Hochschule der Polizei Hamburg, ist vielen Jura<strong>stud</strong>enten<br />
in erster Linie wegen der von ihm verfassten Studienliteratur<br />
bekannt.<br />
Nachdem er sein juristisches Studium von 1994 – 1998 an der<br />
Universität Bremen absolvierte, gründete er noch im Jahr 1998<br />
den juristischen Fachverlag. Im Jahr 2004 promovierte er an der<br />
Humboldt-Universität zu Berlin und ist seit 2008 als Professor an<br />
der Hochschule der Polizei Hamburg tätig.<br />
Jahre meine ersten Auflagen der Bücher zum Verwaltungsrecht in einer Aus-<br />
bildungszeitschrift eines führenden juristischen Fachverlags zerrissen wur-<br />
den, weil sie sehr viele „fragwürdige“ Schemata enthielten, deren Nutzung<br />
zweifelhaft sei. Heute finden sich sogar auf Büchern dieses Verlages Stempel<br />
des Inhalts: „mit vielen Fällen und Aufbauschemata“.<br />
Nun ja, das in meinen Augen defizitäre Lehrbuchangebot Mitte der neunziger<br />
Jahre brachte mich schon während meines Studiums dazu, eigene Lehrunter-<br />
lagen zu verfassen, mit deren Hilfe ich dann 1998 auch überaus erfolgreich<br />
das erste juristische Staatsexamen absolvierte.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Wie lange hat die Anfertigung Ihres ersten Lehrbuchs<br />
gedauert?<br />
Schmidt: Das erste Buch konnte ich innerhalb eines Zeitraums von einem<br />
halben Jahr fertigstellen, da ich ja umfassend auf meine Studienskripte zu-<br />
rückgreifen konnte. Viel schwieriger war das Finden eines Fachverlags, weil<br />
die Lehrbuchlandschaft zur damaligen Zeit einfach noch nicht reif genug war<br />
<strong>für</strong> die Umsetzung meiner Idee. Stattdessen legte man mehr Wert auf die ver-<br />
meintliche wissenschaftliche Qualifikation des Autors. Heute ist das aufgrund<br />
des geänderten Marktverhaltens anders. So genannte Großlehrbücher finden<br />
sich zwar noch in Universitätsbibliotheken, kaum mehr aber im heimischen<br />
Bücherregal.<br />
Wie dem auch sei, eben weil Ende der neunziger Jahre die Philosophie der<br />
Verlage noch eine andere war, war kein von mir angeschriebener Verlag bereit,<br />
mein Manuskript anzunehmen. Da fasste ich den Entschluss, meine gesamten<br />
Ersparnisse, die ich während meiner Bundeswehrzeit aufgebaut hatte, in die<br />
Gründung eines eigenen Verlags zu investieren. Der Durchbruch gelang mir<br />
gleich im Jahre 1998, als im Zuge der 6. Strafrechtsreform das StGB umfas-<br />
send geändert wurde. Mit Hilfe einer ehemaligen Kollegin konnte ich sehr<br />
schnell reagieren und eine völlig neu bearbeitete, die 6. Strafrechtsreform<br />
vollumfänglich berücksichtigende Auflage meiner Strafrechtsbücher veröf-<br />
fentlichen. Damit war ich praktisch ein halbes Jahr konkurrenzlos – ein Um-<br />
stand, der heute praktisch unmöglich ist.<br />
In der Folgezeit vervollständigte ich dann sukzessive das Lehrbuchprogramm<br />
und übernahm Lehraufträge an der Universität Bremen, der Hochschule <strong>für</strong><br />
öffentliche Verwaltung Bremen und später an der Hochschule der Polizei<br />
Hamburg.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Ihre Bücher werden von einigen Ihrer Professorenkollegen<br />
abgelehnt. Wie erklären Sie sich das?<br />
Schmidt: <strong>Die</strong> Ressentiments stammen offenbar aus der Zeit, in der es in<br />
Fachkreisen nicht angesehen war, schwierige juristische Probleme in einer<br />
verständlichen Sprache <strong>stud</strong>entenfreundlich aufzubereiten. Offenbar musste<br />
ein bestimmtes Verständnis des eigenen Berufsstandes gewahrt werden. Doch<br />
das hat sich mittlerweile geändert. Vergleichen Sie die modernen Lehrbücher<br />
anderer Professoren mit den von mir verfassten; Sie werden feststellen, dass<br />
eine große inhaltliche und didaktische Annäherung an meine Konzeption<br />
stattgefunden hat. Daher würde heute wohl kaum ein Universitätsprofessor<br />
von dem Kauf eines (von einem Fachkollegen verfassten) Buches abraten, weil<br />
es Fälle mit Lösungsgesichtspunkten und Aufbauschemata enthält.<br />
Auch was die Zitierfähigkeit meiner Bücher betrifft, bestehen keine durch-<br />
schlagenden Argumente gegen meine Bücher. So finden sich in meinen Neu-<br />
auflagen Stellungnahmen zu Gerichtsurteilen, die in Fachzeitschriften oder<br />
anderen Büchern noch nicht behandelt wurden. Wenn ich dann ein halbes<br />
Jahr später dieselben oder ähnliche Argumente in den <strong>Zeitschrift</strong>en oder an-<br />
deren Lehrbüchern lese, freilich, ohne dass auf meine Bücher verwiesen wird,<br />
dürfte klar werden, dass die Debatte um meine Bücher und meine Person un-<br />
redlich ist. Sofern sie noch geführt wird, kann sie nur damit erklärt werden,<br />
dass einige Universitätsprofessoren immer noch alles ablehnen, was nicht von<br />
Mitgliedern ihres Standes verfasst wurde.<br />
Wenn mir dann von Studenten zugetragen wird, ihr Professor habe die Zitier-<br />
fähigkeit meiner Bücher mit der Begründung abgelehnt, ich sei nicht habili-<br />
tiert und hätte keinen Lehrstuhl inne, wird die Unredlichkeit überaus deut-<br />
lich. Denn mit dieser Argumentation müsste man auch einem Aufsatz des<br />
(ehemaligen) Generalbundesanwalts in der NStZ über die Verfassungsmäßig-<br />
keit des Brechmitteleinsatzes die Zitierfähigkeit absprechen. Bitte beurteilen<br />
Sie selbst derartige Äußerungen.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Wie haben sich die Bedürfnisse von Studenten an Lehrbü-<br />
cher im Laufe der Zeit verändert bzw. wie hat sich das Lernverhalten ge-<br />
ändert?<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
Praxis<br />
Schmidt: Der Trend geht in Richtung Einfachheit. Viele Studierende sind<br />
nicht mehr bereit, sich vertieft mit einer Problematik auseinanderzusetzen.<br />
Das merke ich insbesondere, wenn ich Prüfungen abnehme. Oft fehlt System-<br />
verständnis. Als Erklärung <strong>für</strong> die relativ schlechten Prüfungsergebnisse wird<br />
der Schwierigkeitsgrad der Prüfungsaufgabe angeführt oder es wird ein zu<br />
strenger Bewertungsmaßstab geltend gemacht. <strong>Die</strong> Einsicht, dass man sich<br />
nicht mit einem 120 Seiten umfassenden Skript zum Allgemeinen Verwal-<br />
tungsrecht die erforderlichen Kenntnisse aneignen kann, fehlt in weiten Tei-<br />
len. Ob dies den Studierenden vorzuwerfen ist, mag eine andere Frage sein.<br />
Denn das Angebot an Skripten ist überwältigend und viele suggerieren eine<br />
Einfachheit, die den tatsächlichen Prüfungsanforderungen nicht gerecht wird.<br />
Jura ist eine Wissenschaft, die man sich nicht mit Hilfe von Schmalspurskrip-<br />
ten oder kostenlosen Internet-Downloads erschließen kann. Wer etwas Gutes<br />
und redaktionell Betreutes anzubieten hat, wird dies nicht kostenlos im Inter-<br />
net veröffentlichen.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Seit dem vergangenen Jahr sind Sie Professor der Hoch-<br />
schule der Polizei Hamburg. Was unterscheidet die Arbeit mit Polizei-<br />
anwärtern von der Arbeit mit Jura<strong>stud</strong>enten?<br />
Schmidt: Es handelt sich um ein international anerkanntes Bachelorstu-<br />
dium. In einer Regel<strong>stud</strong>ienzeit von 6 Semestern (wobei aufgrund wesentlich<br />
kürzerer vorlesungsfreier Zeiten der Stundenaufwand mit einem 8-semestri-<br />
gen Universitäts<strong>stud</strong>ium vergleichbar sein dürfte) werden den Studierenden<br />
des gehobenen Polizeivollzugsdienstes und des Studienzweigs Kriminalpoli-<br />
zei neben allgemeinen rechtswissenschaftlichen Grundlagen insbesondere<br />
das Polizei- und Ordnungsrecht, das Versammlungsrecht, das Ausländer-<br />
recht, das Betäubungsmittelrecht, das Waffenrecht, das Gewerberecht, das<br />
Straßenverkehrsrecht, das Ordnungswidrigkeitenrecht sowie das materielle<br />
Strafrecht und das Strafverfahrensrecht vermittelt. Gerade das Strafverfah-<br />
rensrecht wird sehr viel ausführlicher behandelt als im Jura<strong>stud</strong>ium, weil fun-<br />
dierte Rechtskenntnisse <strong>für</strong> Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaften<br />
unabdingbar sind. Es stellt sich also als eine große Verantwortung und zu-<br />
gleich große Herausforderung dar, Polizeivollzugsbeamte und Kriminalbe-<br />
amte auszubilden.<br />
Insgesamt beinhalten die Studiengänge zwar nicht die Zahl an verschiedenen<br />
Rechtsgebieten, wie das bei einem Jura<strong>stud</strong>ium der Fall ist. <strong>Die</strong> Rechtsgebiete,<br />
die gelehrt werden, werden da<strong>für</strong> aber in größerer Tiefe und Breite behandelt.<br />
Herr Schmidt, wir danken Ihnen herzlich <strong>für</strong> dieses Gespräch.<br />
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