Die Zeitschrift für stud. iur. - Iurratio
Die Zeitschrift für stud. iur. - Iurratio
Die Zeitschrift für stud. iur. - Iurratio
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
146<br />
Ausbildung<br />
III. WIDERRUF EINER VOLLMACHT<br />
1. BEISPIELSFALL<br />
Fall 4: 25 E lebt von seiner Ehefrau K, die er zur Alleinerbin eingesetzt hat, ge-<br />
trennt. Er nimmt die B als neue Lebensgefährtin in sein Haus auf. Zum Ver-<br />
mögen des E gehören Wertpapiere, die E seiner Tante C mit der Bitte übergibt,<br />
sie nach seinem Tode an B weiterzureichen. Der B erklärt er, falls ihm etwas<br />
passiere, sei <strong>für</strong> sie gesorgt; sie werde von C in seinem Auftrag ein wertvolles<br />
Paket an Wertpapieren erhalten. Als E stirbt, trifft K sich mit B und C in der<br />
Wohnung des E; auf Frage der K leugnen B und C, etwas vom Verbleib der<br />
Papiere zu wissen, und auch die anschließende Suche verläuft – wie sollte es<br />
anders sein – erfolglos. Wenig später übergibt und übereignet C im Namen<br />
des E der B die Wertpapiere. K verlangt von B Herausgabe. Mit Recht?<br />
2. DIE RECHTLICHE FRAGESTELLUNG<br />
<strong>Die</strong> Streitfrage bestand hier darin, ob B nach § 929 S. 1 BGB Eigentum an den<br />
Wertpapieren erworben hatte. 26 Das setzte eine dingliche Einigung zwischen<br />
B und E voraus. E hatte die hierauf gerichtete Willenserklärung nicht selbst<br />
abgegeben; es konnte aber die von C im Namen des E abgegebene Erklärung<br />
nach § 164 I 1 BGB <strong>für</strong> und gegen E wirken. C hatte von E eine entsprechende<br />
Vollmacht erhalten. <strong>Die</strong>se erlosch nach dem Willen der Parteien auch mit<br />
dem Tode des E nicht – sie sollte ja gerade nach dem Tod des E erst betätigt<br />
werden (§§ 672, 168 BGB). Allerdings wird in der Literatur vehement disku-<br />
tiert, ob in der Übereignung der Papiere nicht ein evidenter Mißbrauch der<br />
Vollmacht vorliegt, weil sich der B aufdrängen mußte, daß die Übereignung<br />
der Papiere den Interessen der Erbin K diametral zuwiderlief. 27 Der BGH<br />
steht demgegenüber auf dem Standpunkt, die Vollmacht könne selbst in Fäl-<br />
len wie dem vorliegenden ohne weiteres betätigt werden, es sei denn, es ge-<br />
linge der Erbin vorher, die Vollmacht zu widerrufen. 28 Und eben darum drehte<br />
sich die genannte Entscheidung: Es war zu fragen, ob K, indem sie in Anwe-<br />
senheit von B und C nach den Papieren fragte und suchte, konkludent die an<br />
C erteilte Übereignungsvollmacht widerrufen hatte.<br />
3. DIE ENTSCHEIDUNG DES BGH<br />
Der BGH verneinte das Vorliegen einer Widerrufserklärung mit der Begrün-<br />
dung, K habe im Moment der Nachfrage und Suche das Bewußtsein gefehlt,<br />
einen Widerruf der Vollmacht erklären zu wollen: Da K von der Existenz die-<br />
ser Vollmacht überhaupt nichts gewußt habe, habe sie auch nicht den Willen<br />
und das Bewußtsein bilden können, sie zu widerrufen. <strong>Die</strong> oben unter III. 2.<br />
geschilderte Rechtsprechung, wonach zum subjektiven Tatbestand einer<br />
Willenserklärung nicht notwendig ein Erklärungsbewußtsein gehöre, könne<br />
nicht zugunsten der K ins Feld geführt werden. Denn die hier<strong>für</strong> vorgetra-<br />
gene Argumentation sei ersichtlich auf den Schutz des Erklärungsempfängers<br />
in seinem Vertrauen auf den rechtlichen Bestand der Erklärung gemünzt ge-<br />
wesen und schließe es aus, dem Erklärenden selbst aus einem ohne rechtsge-<br />
schäftliches Bewußtsein an den Tag gelegten Verhalten rechtliche Vorteile<br />
erwachsen zu lassen. 29<br />
25 Sachverhalt nach BGH NJW 1995, 953.<br />
26 Der Einfachheit halber wird hier davon ausgegangen, daß es sich um<br />
Wertpapiere handelte, die nach § 929 BGB übereignet werden, und nicht<br />
um Wertpapiere, die nach § 952 BGB zusammen mit der Abtretung der in<br />
ihnen verbrieften Forderungen auf den Erwerber übergehen.<br />
27 Medicus, Bürgerliches Recht 21. Aufl. 2007, Rn. 399; Flume (Fn. 23),<br />
§ 51, 5b, S. 850.<br />
28 BGH NJW 1969, 1245.<br />
4. KRITIK<br />
<strong>Die</strong>se Argumentation steht, wie in der Anschlußliteratur 30 mit Recht bemerkt<br />
worden ist, in offenkundigem Widerspruch zu der oben III. 2. wiedergegebe-<br />
nen Rechtsprechung des BGH. Dort war die Wirksamkeit der ohne Erklä-<br />
rungsbewußtsein abgegebenen Erklärung unter anderem mit der Überlegung<br />
begründet worden, es müsse dem Erklärenden ein Wahlrecht eingeräumt wer-<br />
den, ob er das Erklärte nun – als ihm günstig – gegen sich gelten lassen wolle<br />
oder – als ihm nachteilig – nicht. Eben diese Möglichkeit, die Erklärung als<br />
vorteilhaft gelten zu lassen, hat der BGH im Fall 4 der K versagt.<br />
Gleichwohl hat der BGH im Ergebnis zu Recht das Vorliegen einer Wider-<br />
rufserklärung verneint. Wie <strong>für</strong> eine Genehmigung oder eine Bestätigung, so<br />
muß man nämlich auch <strong>für</strong> einen Vollmachtswiderruf verlangen, daß im äu-<br />
ßeren Erklärungstatbestand das Bewußtsein des Erklärenden zum Ausdruck<br />
kommt, daß der Eintritt oder Nichteintritt der Rechtsfolgen von seiner Ent-<br />
scheidung abhängt. Und das war im gegebenen Sachverhalt zumindest zwei-<br />
felhaft: Es ist unklar, ob K von der Vollmacht, die E der C erteilt hatte,<br />
überhaupt etwas wußte oder auch nur ahnte. <strong>Die</strong> Angaben im Sachverhalt<br />
sprechen eher dagegen. Dann aber mußten B und C bei objektiver Betrach-<br />
tung davon ausgehen, daß K um die Vollmacht nicht wußte und folglich auch<br />
keinen Widerruf dieser Vollmacht erklären wollte.<br />
G. ZUSAMMENFASSUNG<br />
Ungeachtet des Umstands, daß ich (oben unter V.) <strong>für</strong> die Fallbearbeitung<br />
eine eher dem „Mainstream“ entsprechende Argumentation empfohlen habe,<br />
sei hier die eigene Position in ihren wichtigsten Aussagen nochmals zusam-<br />
mengefaßt:<br />
1. Eine willensgetragene Handlung, die bei objektiver Betrachtung aus Aus-<br />
druck des Willens zur rechtlichen Bindung verstanden werden darf, ist selbst<br />
dann Willenserklärung, wenn sie ohne Erklärungsbewußtsein abgegeben<br />
wird. Auf einschränkende Zurechnungselemente kommt es nicht an. Insbe-<br />
sondere ist entgegen der Ansicht des BGH eine Willenserklärung nicht erst<br />
dann gegeben, wenn der Handelnde die rechtliche Relevanz seines Verhaltens<br />
bei pflichtmäßiger Sorgfalt hätte erkennen können.<br />
2. Wenn bei objektiver Betrachtung der Eindruck entsteht, daß eine rechtliche<br />
Bindung gewollt ist, liegt der Tatbestand der Willenserklärung darüber hin-<br />
aus selbst dann vor, wenn es am Handlungswillen fehlt. <strong>Die</strong> gegenteilige herr-<br />
schende Meinung kann § 105 II BGB nicht sinnvoll erklären.<br />
3. Der äußere Erklärungstatbestand von Einwilligung, Genehmigung, Bestäti-<br />
gung und Vollmachtswiderruf setzt voraus, daß der Handelnde bei objektiver<br />
Betrachtung den Eindruck erweckt, ihm sei bewußt gewesen, daß der Eintritt<br />
oder Nichteintritt der aus dem Geschäft resultierenden Folgen von seiner<br />
Entscheidung abhängt. Ein besonderes Erklärungsbewußtsein ist auch hier<br />
nicht erforderlich.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 + 4 / 2009<br />
29 BGH NJW 1995, 953; dem folgend Grigoleit/Herresthal (Fn. 8) Rn. 128<br />
mit Fn. 18.<br />
30 Habersack, JuS 1996, 585, 587.<br />
Denken wie Unternehmer.<br />
Handeln als Anwalt.<br />
<strong>Die</strong> besten Voraussetzungen,<br />
um Karriere zu machen.<br />
Im engen persönlichen Kontakt zu<br />
Unternehmen und Untenehmern<br />
arbeiten wir zielorientiert – mit<br />
Lösungen, die durch Praktikabilität,<br />
Nachhaltigkeit und Kreativität überzeugen.<br />
Mit einem Team von derzeit<br />
rund 55 Anwältinnen und Anwälten<br />
untermauern wir dabei fortlaufend<br />
unseren Anspruch unabhängiger<br />
Full-Service-Rechtsberatung auf<br />
internationalem Spitzenniveau.<br />
Knüpfen Sie gemeinsam mit uns an<br />
eine 100-jährige Tradition erfolgreicher<br />
Rechtsberatung an – als<br />
Rechtsanwalt, Referendar, wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter oder Praktikant<br />
(m/w). Mit Begeisterung. Mit<br />
Ehrgeiz. Mit Präzision. Und mit<br />
einem hohen Maß an unternehmerischem<br />
Denken, das den Unterschied<br />
macht.<br />
www.oppenhoff.eu/karriere