Die Zeitschrift für stud. iur. - Iurratio
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Fallbearbeitung<br />
Anfänger im Strafrecht: „<strong>Die</strong> Verhinderung des Weltuntergangs“<br />
von Dr. Georgios Sotiriadis (Universität Bremen)<br />
SACHVERHALT<br />
Sotiriadis, Jahrgang 1979, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
am Lehrstuhl <strong>für</strong> Strafrecht einschließlich Grundlagen und<br />
Nebengebiete (Prof. Dr. Felix Herzog, Bremen). Sotiriadis<br />
<strong>stud</strong>ierte an der Aristoteles Universität zu Thessaloniki und<br />
an der Humboldt Universität zu Berlin. Es folgte ein Masterstu-<br />
dium (LL.M.) an der Freien Universität Berlin. Sotiriadis promo-<br />
vierte im Strafrecht an der Humboldt Universität zu Berlin.<br />
B ist Anführer einer „Weltuntergangssekte“. In der Nacht zum 21. Juni er-<br />
scheint ihm Gott im Traum und befiehlt, dass die jüngste Mutter der Ge-<br />
meinde getötet werden muss, um den Weltuntergang in der kommenden<br />
Nacht abzuwenden. Er weist deswegen das Gemeindemitglied M, den Ehe-<br />
mann der jüngsten Mutter der Gemeinde, an, seine Frau gleich nach dem Ein-<br />
schlafen mit dem Kissen zu ersticken und weiht den M ein, dass ansonsten<br />
der Weltuntergang drohe.<br />
Nach den Aussagen eines psychiatrischen Sachverständigen ist davon auszu-<br />
gehen, dass B tief davon überzeugt ist, dass Gott zu ihm gesprochen hat, und<br />
dass der M ein treu ergebenes Gemeindemitglied ist, das keinerlei Zweifel an<br />
der Wahrheit der Weissagungen des B hat.<br />
Um den Weltuntergang abzuwenden, tötet M am 21. Juni kurz nach 22 Uhr<br />
seine schlafende, nichts ahnende Frau, indem er ihr ein Kissen auf das Gesicht<br />
drückt.<br />
STRAFBARKEIT VON B UND M?<br />
Ausführungen zur Schuldfähigkeit i.S. des § 20 StGB sind nicht zu machen!<br />
Schwerpunkte/Problemstellung:<br />
Mordmerkmal der Heimtücke, Irrtümer, mittelbare Täterschaft<br />
A. STRAFBARKEIT DES M NACH §§ 211, 212 I<br />
M könnte sich des Mordes nach §§ 211, 212 I strafbar gemacht haben, indem<br />
er seine schlafende Frau mit einem Kissen erstickte.<br />
Dazu müsste er den Tatbestand vorsätzlich verwirklicht sowie rechtswidrig<br />
und schuldhaft gehandelt haben.<br />
I. TATBESTAND<br />
1. OBJEKTIVER TATBESTAND<br />
A. GRUNDTATBESTAND DES § 212 I<br />
Zunächst müsste der M einen anderen Menschen getötet haben. M hat seine<br />
Frau mit einem Kissen erstickt. <strong>Die</strong>se Handlung bewirkt den Tod als irrever-<br />
sibles Erlöschen der Hirntätigkeit. Somit ist die Handlung des M auch kausal<br />
<strong>für</strong> den Tod seiner Frau und dieser ihm objektiv zurechenbar.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
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B. QUALIFIKATION DES § 211<br />
Zudem könnte der M ein Mordmerkmal verwirklicht haben. In Betracht<br />
kommt an dieser Stelle das Merkmal „heimtückisch“ aus der 2. Gruppe der<br />
Mordmerkmale, die sich durch die besondere Verwerflichkeit ihrer Bege-<br />
hungsweise auszeichnen.<br />
<strong>Die</strong>ses Mordmerkmal ist dadurch gekennzeichnet, dass der Täter dem Opfer<br />
in besonders niederträchtiger Weise seinen Schutz und seine Chance raubt,<br />
den Angriff auf sein Leben erfolgreich abzuwehren. Da die Bejahung eines<br />
Mordmerkmals eine besonders schwere Folge hat (lebenslange Freiheits-<br />
strafe), ist dabei besondere Vorsicht, das heißt eine restriktive Auslegung, ge-<br />
boten. Aus diesem Grund sind die Anforderungen im Einzelnen umstritten.<br />
Ausgangspunkt <strong>für</strong> die Prüfung ist jedoch das Verständnis von Heimtücke als<br />
das bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers 1 . Arglos ist<br />
dabei, wer sich zum Zeitpunkt der Tat keines tätlichen Angriffs auf seine kör-<br />
perliche Unversehrtheit oder sein Leben versieht 2 . <strong>Die</strong> Ehefrau schläft, als der<br />
M sie erstickt. Bei Schlafenden stellt sich jedoch die Frage, ob diese überhaupt<br />
arglos bzw. zum Argwohn fähig sein können. Der BGH stellt hier darauf ab,<br />
ob das Opfer seine Arglosigkeit „mit in den Schlaf genommen“ hat. <strong>Die</strong> Fä-<br />
higkeit zum Argwohn sei somit zu verneinen bei Personen, die vom Schlaf<br />
übermannt wurden 3 . Im Sachverhalt finden sich keine Hinweise da<strong>für</strong>, dass<br />
die Ehefrau von dem Vorhaben ihres Mannes wusste, so dass davon ausgegan-<br />
gen werden kann, dass sie sich ahnungslos schlafen gelegt hat. Demnach ist<br />
sie als arglos zu beurteilen.<br />
Weiterhin müsste sie auch wehrlos, also aufgrund ihrer Arglosigkeit in ihrer<br />
Verteidigungsbereitschaft und –fähigkeit eingeschränkt sein 4 . Infolgedessen<br />
dass die Ehefrau schläft, besitzt sie keinerlei Möglichkeit, sich zu verteidigen.<br />
Ihre Abwehrbereitschaft während des Schlafs ist nicht nur erheblich, sondern<br />
gänzlich verhindert. Folglich ist sie auch wehrlos. Das Mordmerkmal<br />
der Heimtücke erfordert weiter ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehr-<br />
losigkeit des Opfers in tückisch-verschlagener Weise. Ein solches liegt vor,<br />
wenn der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit nicht nur äußerlich wahrgenom-<br />
men, sondern sich die zugrunde liegenden Umstände <strong>für</strong> seine Tatbegehung<br />
gerade zu Nutze gemacht hat 5 . M ist sich im Klaren darüber, dass seine schla-<br />
fende Frau sich nicht wehren kann, und hat diese Situation, auf Anweisung<br />
des B, bewusst gewählt, um seinen „Auftrag“ durchzuführen. Ein bewusstes<br />
Ausnutzen ist also gegeben. (Anm.: <strong>Die</strong> subjektive Seite von diesem Merkmal<br />
kann alternativ auch erst im subjektiven Tatbestand geprüft werden)<br />
Zur Einschränkung des weiten Anwendungsbereichs dieses Mordmerkmals<br />
und zur besseren Erfassung des Elements der „Tücke“, die durch eine derar-<br />
1 Wessels/Hettinger, Strafrecht BT/1, Rn. 107; weitere Nachweise und aktuelle<br />
Rechtssprechung bei Geppert, Jura 07, 270.<br />
2 Vgl. BGHSt 28, 210; BGH NJW 06, 1008, 1010.<br />
3 Vgl. BGHSt 23, 119, 121; BGH NStZ 07, 523, 524; Fischer, StGB, § 211<br />
Rn. 20.<br />
4 Wessels/Hettinger, Strafrecht BT/1, Rn. 112.<br />
5 Wessels/Hettinger, Strafrecht BT/1, Rn. 115.<br />
tige Mordhandlung besonders zum Ausdruck kommt, verlangt eine Meinung<br />
in der Literatur, neben der oben erläuterten Formel ein Handeln in feindlicher<br />
Willensrichtung, um darüber Mitleidstötungen zum vermeintlich Besten des<br />
Opfers auszuschließen 6 . <strong>Die</strong>ser Fall ist hier jedoch nicht einschlägig.<br />
Schließlich verlangt die h.L. einschränkend einen besonders verwerflichen<br />
Vertrauensbruch, womit jedoch zum Beispiel der klassische Meuchelmord<br />
aus dem Anwendungsbereich fallen würde 7 . In Anbetracht dessen, dass vor-<br />
liegend das Opfer die Ehefrau des Täters ist und daher ein Vertrauensverhält-<br />
nis besteht, welches der M ausnutzt, kann der Streit jedoch offen bleiben. Das<br />
Drücken des Kissens während des Schlafs vom eigenen Ehemann und zwar<br />
ohne jeglichen, <strong>für</strong> die Frau erkennbaren Grund, stellt auf jeden Fall einen be-<br />
sonders verwerflichen Vertrauensbruch dar. Das Merkmal der Heimtücke<br />
kann daher bejaht werden. Weitere objektive Mordmerkmale sind nicht er-<br />
sichtlich.<br />
2. SUBJEKTIVER TATBESTAND<br />
In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz, also das Wissen und Wollen der Tatbe-<br />
standsverwirklichung, in Bezug auf die Tötung ebenso wie in Bezug auf das<br />
objektive Mordmerkmal der Heimtücke erforderlich.<br />
A. GRUNDTATBESTAND DES § 212 I<br />
M will seine Frau töten, um den Weltuntergang abzuwenden. Er handelte<br />
diesbezüglich also mit zielgerichtetem Erfolgswillen, dolus directus I. Grades.<br />
B. QUALIFIKATION DES § 211<br />
Dass er seine Frau im Schlaf mit dem Kissen erstickte, entsprach dem Tatplan,<br />
so dass die heimtückische Begehungsweise ebenfalls vom Vorsatz in Form des<br />
dolus directus I. Grades umfasst ist.<br />
Für subjektive Mordmerkmale liegen indes keine Anhaltspunkte vor. Insbe-<br />
sondere kann in Anbetracht der Motivation des M, den Weltuntergang zu<br />
verhindern, nicht von niedrigen Beweggründen, die sittlich auf tiefster Stufe<br />
stehen, gesprochen werden.<br />
II. RECHTSWIDRIGKEIT<br />
Weiterhin müsste die Tat des M rechtswidrig sein. Fraglich ist, ob der M, vor<br />
dem Hintergrund, dass er die Welt retten wollte, gerechtfertigt ist.<br />
Für eine Rechtfertigung nach § 32 fehlt es jedoch bereits an einem Angriff sei-<br />
tens der Ehefrau, so dass das Verhalten des M hier weder als Notwehr noch als<br />
Nothilfe ausgelegt werden kann.<br />
Mangels eines tatsächlich bevorstehenden Weltuntergangs liegt auch keine<br />
notstandsbegründende Gefahr nach § 34 vor. Vielmehr irrt der M gerade über<br />
die sachlichen Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes. Folglich wäre<br />
dieser als (Erlaubnis)Tatbestandsirrtum nach § 16 I (analog) zu behandeln,<br />
wenn die Umstände, über die der M irrt, im Fall ihres Vorliegens, zu seiner<br />
Rechtfertigung führen würden 8 . Stünde aber in der Tat ein Weltuntergang be-<br />
vor, käme es im Rahmen von § 34 bei der Verhältnismäßigkeit zu der Abwä-<br />
gung „Leben gegen Leben“. <strong>Die</strong>se ist jedoch unzulässig, so dass § 34 an dieser<br />
Stelle scheitern würde. Aber auch in dieser Hinsicht unterliegt der M einem<br />
6 So etwa Hassemer JuS 71, 626, 630; s. auch Fischer, StGB, § 211 Rn. 21;<br />
Otto Grundkurs Strafrecht Rn. 18.<br />
7 Schönke/Schröder/Eser § 211 Rn. 26 mwN.<br />
8 Heinrich, Strafrecht-AT II, Rn. 1123.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
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Fallbearbeitung<br />
Irrtum. Er glaubt nicht nur fälschlicherweise an das Eintreten des Weltunter-<br />
gangs, sondern auch daran, dass der Tod der gesamten Menschheit, die Tö-<br />
tung seiner Ehefrau rechtfertigen würde. Hierbei handelt es sich um einen<br />
Irrtum auf der Wertungsebene. <strong>Die</strong> vorliegende Konstellation des sog. Dop-<br />
pelirrtums wird im Ergebnis als Verbotsirrtum nach § 17 behandelt und ist<br />
daher in der Schuld zu prüfen 9 .<br />
Möglich ist auch die Bejahung eines Verbotsirrtums. Ein solcher (direkter<br />
Verbotsirrtum) liegt vor, wenn der Täter die seine Tat betreffende Verbots-<br />
norm nicht kennt, sie <strong>für</strong> ungültig hält oder infolge unrichtiger Auslegung zu<br />
Fehlvorstellungen über ihren Geltungsbereich gelangt und aus diesem Grund<br />
sein Verhalten als rechtlich zulässig ansieht 10 . Aus dem Sachverhalt ergeben<br />
sich allerdings keine Anhaltspunkte <strong>für</strong> das Vorliegen eines solchen Verbots-<br />
irrtums. M scheint sich des Unrechts seiner Tat bewusst zu sein. Der M hat<br />
die faktische Lage (bezüglich des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale) rich-<br />
tig eingeschätzt. Er wusste, dass durch seine Handlung seine Frau sterben<br />
würde und wollte auch dieses Ergebnis. Er agiert lediglich, „um den Weltun-<br />
tergang abzuwenden“, er nimmt also irrig an, dass seine Handlung von einem<br />
Rechtfertigungsgrund gedeckt wäre, er irrt sich also hinsichtlich der rechtli-<br />
chen Bewertung der Umstände, die sein Verhalten rechtfertigen ließen. Somit<br />
handelt es sich dabei um einen indirekten Verbotsirrtum bzw. um einen Er-<br />
laubnisirrtum. Dessen Rechtsfolgen sind identisch mit denen des direkten<br />
Verbotsirrtums (§ 17) und auch auf der Ebene der Schuld zu prüfen.<br />
Somit hat M rechtswidrig gehandelt.<br />
III. SCHULD<br />
Schließlich müsste die Tat des M schuldhaft sein.<br />
Wie bereits festgestellt könnte die Schuld des M jedoch aufgrund eines Ver-<br />
botsirrtums gemäß § 17 ausgeschlossen sein. Danach entfällt die Schuld,<br />
wenn der Irrtum vermeidbar war. Entscheidend ist, ob dem Täter sein Vorha-<br />
ben unter Berücksichtigung seiner sozialen Stellung, seiner individuellen Fä-<br />
higkeiten und Kenntnisse hätte Anlass geben müssen, über dessen mögliche<br />
Rechtswidrigkeit nachzudenken oder sich zu erkundigen und er auf diesem<br />
Wege zur Unrechtseinsicht gekommen wäre 11 . Laut Sachverhalt handelte M<br />
als treu ergebenes Mitglied einer „Weltuntergangssekte“ auf Anweisung des<br />
Anführers B. Allein das Handeln auf Anweisung entbindet jedoch noch nicht<br />
von einer eigenen Gewissensanspannung. <strong>Die</strong> Tat des M entsprach den Vor-<br />
stellungen einer Glaubensgemeinschaft, es liegen jedoch keine Anhaltspunkte<br />
da<strong>für</strong> vor, dass <strong>für</strong> ihn keine Zweifel auftauchten, die ihm Grund geboten hät-<br />
ten, sein Verhalten in Frage zu stellen. Erkundigungen, zumindest innerhalb<br />
der Gemeinde, hätten allerdings kein anderes Ergebnis hervorgebracht. Inso-<br />
fern besteht ein Unterschied zu dem vom BGH entschiedenen „Katzenkönig-<br />
Fall“, in dem der Täter sich lediglich in einem „neurotischen Beziehungsge-<br />
flecht“ befand, welches keine Unvermeidbarkeit seines Irrtums begründete,<br />
da der Täter Polizist war und es ihm nach Ansicht des Gerichts zumutbar ge-<br />
wesen wäre, eine Vertrauensperson zu fragen 12 . Zudem ist insbesondere das<br />
psychiatrische Sachverständigengutachten zu berücksichtigen, wonach der M<br />
keinerlei Zweifel an seinem Auftrag hegte.<br />
9 Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 485; Heinrich, Strafrecht-AT II, Rn.<br />
1148.<br />
10 Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 461.<br />
11 Fischer, StGB § 17 Rn. 7; vgl. auch BGHSt 21, 18 ff.<br />
12 Vgl. BGHSt 35, 347 ff.<br />
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