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Schwerpunkt Balkan 4 Balkanien und Das Festival Balkanfever geht in seine dritte Runde. Grund genug, sich „Östlich-Wien“ vor die Türen zu holen. Eine etwas andere Zwischenschau und der Versuch über die Grenzen zu schielen. Gräbt man tief in die Köpfe der Menschen und wühlt in ihren Vorstellungen und Ängsten, so eröffnet sich dort die Welt jenseits von äußeren Kriterien. Ihre Berechtigung erhält sie durch das Individuum selbst, welches sich bereit erklärt, eine oder eine andere Idee für wahr zu halten. Viele dieser sich selbst denkenden Individuen subsummieren zu einem Volk – ein Begriff, der unumstritten zu den umstrittensten Termini gehört, die diesen Erdball je bevölkert haben. Und dieses Volk wiederum, das an sich glaubt („bestenfalls“ ideologisch), wird politisch zur Nation geweiht, die mit scheinbarem Recht ihren Status als souveräner Staat im Gefüge einer Welt-(Handels-)Politik zu behaupten hat. Linien werden gezogen, Staaten werden gemeißelt, eine Lebensrealität aus dem Boden gestampft und denen aufoktroyiert, die bar jeder Wahlmöglichkeit vor der Entscheidung stehen, zu bleiben oder ein anderes Leben zu suchen. Dass über die Jahrhunderte, zwischen gewissen Teilen der Welt in Beziehung zu anderen Teilen, ein Gefälle hinsichtlich Lebensqualität, Konkurrenzfähigkeit, Souveränität etc. entstanden ist, dürfte angesichts der immer wieder anschaulich unter Beweis gestellten Hungersnöte kaum zur Debatte stehen, wohl aber, dass uns diese Bilder nicht mehr dort berühren, wo ein Jahrzehnt zuvor wenigstens ein Auffl ackern ethischen Denkens zu vermerken war - obzwar klein, so doch auf einer philosophischen Richterskala einordenbar. Der Hunger, das sind die anderen, die wir als vergangene Nachrichtenbilder wahrnehmen. Die Randständigen, das sind jene, die sich außerhalb unseres Umfeldes befi nden. Die Marginalisierten sind nicht in Sichtweite, sondern auf unseren Bildschirmen. Sie alle stehen in der U-Bahn neben uns, sie alle leben nur wenige Autostunden von Österreich entfernt in einem uns fremden Land. Die gute Nachricht Sie lässt auf sich warten. Die Engstirnigkeit, derer sich die österreichische Regierung Schwarz-Blau/ Orange seit ihrem Antritt im Jahr 2000 bedient, ist wohl kaum zu überbieten. Hier wird eine Ortstafel nach der anderen versetzt, dort ein Gesetz verabschiedet, das sich der Regelung von Migration widmet und dabei vergisst, MigrantInnen als Men- Text & Interview: Gregor A. Grömmer die Europäische Union schen wahrzunehmen. Und täglich wird ein- und ausgeschlossen, wer nicht zu uns gehören darf, bestimmt über das Schicksal vieler zugunsten der Mehrheit. Ein Minderheiten(-schutz-)gesetz, das seit den 70er Jahren auf seine Umsetzung wartet, erscheint angesichts dieser Entwicklungen niemandem, der sich ernstzunehmende Gedanken über die Individuen dahinter macht, als ausreichend, um vor dieser ausgrenzenden Situation zu bestehen. Stehen wir heute einer wachsenden Population von Zweit- und Drittgenerationskindern gegenüber, die Probleme entwickeln, sich schulisch einzuordnen, so sind es größtenteils verabsäumte Integrationsversuche, die sich seit drei Jahrzehnten bemerkbar machen. War man Anfang der 70er noch der Meinung, ArbeiterInnen für niedrige Dienste ins Land holen zu können, um sie nach Beendigung selbiger wieder in ihre Ursprungsländer zu verfrachten, wurde man spätesten in den 80ern eines Besseren belehrt: Die Arbeiter blieben hier – schlimmer noch – sie holten ihre Familien ins Land, um sich ein neues, besseres Leben aufbauen zu können. Mitgebracht haben sie eine Kultur, die als Fremdes wahrgenommen wurde und sich nur mäßig zum Bild des Eigenen wandelt. Viele der hier aufwachsenden Jugendlichen kennen ihre Ursprungsländer nur aus zweiter Hand, aus dem Fernsehen, von Ausfl ügen und kurzen Begegnungen, aus Erzählungen von Eltern oder Freunden. Ihre Kultur ist die einer hybriden Generation, die sich zwischen die Stühle gesetzt sieht, dort fremd und hier. Ihre © Vasil Kerkelanov Konsequenz ist eine mehrdeutige Antwort auf die Fragen Woher? und Wohin? Tradition und Interpretation Die steigende Anzahl von Kulturvereinen, die sich als Wahrer einer Tradition des Ursprungslandes sehen, zeugt von einer wachsenden Organisierung der Minderheitengruppen in Wien. Es mag sein, dass sich einige dieser Vereine ausschließlich der Wahrung einer oftmals stilisierten Ursprungskultur verpfl ichten, die Mehrzahl der Organisationen jedoch stellt den Versuch dar, die Anerkennung von Minderheitengruppen weiter zu treiben und politisch-institutionell durchzusetzen, was schon lange allgemeines Verständnis sein sollte. Die Kunst schreitet der Politik wieder einmal um Jahrzehnte voran und feiert in sich eine neu erstandene Vielvölker-Welt, deren Ausformungen es auf die Bühne zu bringen gilt. Stilvermengung ist Stilprinzip und das Leben wird als großer Eintopf der Klänge Farben und Ethnien präsentiert. Bands bestehen plötzlich aus bunten Mitgliedern allerortes. Rekurse in die österreichische Kaiserzeit seien hier ebenso erlaubt wie die Beschwörung einer multikulturellen Lebensnische für diejenigen unter uns, denen die eigene mononationale Lebenswelt zu klein und farblos geworden ist. Die Vermischung von Volks- und Eventkultur der südosteuropäischen Länder ist so gesehen ein relativ junges Phänomen, das sich erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts seinen Weg in die LUBENOV Lubenov tritonus_new_fin.indd 4 24.04.2006 13:48:29
Plattenläden zu bahnen begann. Ähnlich dem ihr vorausgehenden Boom rund um kubanische Popularmusik, die ein partykompatibles „Bacardi-Feeling“ transportierte, hat sich die Musik Südosteuropas zu einem Verkaufsschlager gemausert, der seinen Platz in den Clubs und auf den Bühnen der westlichen Welt erspielt. Das „Balkan-Feeling“ wird begleitet von Bildern, die eine europäische Version von „Tausend und eine Nacht“ vorstellen. Balkan, das ist das Wilde, Ungezähmte, das Mafi ose und Blechbläserische. Balkan, das ist unser Mexiko, das ist unser Märchen, das ist unsere Gegenwelt. Die Event-Landschaft reagiert auf das wachsende Interesse des Publikums an (pseudo) ethnisch-orientierten Inhalten mit entsprechenden Festivals, die sich mehr oder weniger dem Diskurs um Minderheiten und ethnische Problematiken zu stellen haben. Ein Grossteil der Produktionen lassen jedoch eine ernsthafte und profunde Beschäftigung mit dem Dargebrachten vermissen. Das Festival In diesem Sinne ist Balkanfever eine angenehme Ausnahme. Das Team um den künstlerischen Leiter Richard Schuberth (siehe Interview S.6) und Norbert Ehrlich (Organisator u.a. von Salam.Islam/Orient und Focus on Israel) spannt nunmehr zum dritten Mal den Bogen von Wien (dem nördlichsten Ausläufer des Balkans) bis in die Türkei, Griechenland und Bulgarien. Das Festival widmet seine Aufmerksamkeit gerade zum Auftakt den Musikertalenten Wiens, ein Zeichen dafür, dass sich in der Donaumetropole so einiges tut. Das Adrian Gaspar Orchestra wird bei Erscheinen dieser Ausgabe mit einem fulminanten Auftakt und einer randvollen Bühne (30 Leute laut Adrian Gaspar selbst) bereits die Bretter der Szene Wien entstaubt haben. Der in Wien lebende Roma Adrian zählt gerade einmal 19 Lenze und ist Kopf eines Orkestars junger MusikerInnen verschiedenster Herkünfte, die sich ihre eigene Schneise durch die Musik des Balkans schlagen. Ihm folgt sein großes Idol Martin Lubenov, der mit Petar Ralchev und Stian Carstensen einen Akkordeonabend der besonderen Art bestreiten wird. Diese Hinwendung zu neuen Talenten zeichnet seit seiner Gründung 2003 das Festival aus und schlägt sich auch in diesem Jahr nieder: Im Verlauf werden fünf aktuelle Tonträger präsentiert, viele im Westen unbekannte Talente erhalten Auftrittsmöglichkeiten und stellen sich erstmals österreichischem Publikum vor. So kommen etwa Kries zu uns. Die Band um den Ethnomusikologen und Dudelsack-Spieler Mojmir Novaković hat sich der Wiederentdeckung traditionellen alt- und vorslawischen Liedgutes verschrieben, fi ndet jedoch ihren Weg auch in die Tanzhallen unserer Zeit, indem sie elektronische Beats in ihre Arbeit miteinbezieht. Ein schamanischer Abend archaischer Rhythmen und Klänge trifft hier auf die Clubbing-Gesellschaft und ergibt interessante Reibungspunkte. Wie immer ist dem bulgarischen Anteil am Balkanfestival ein gehöriger Raum geschaffen worden. Übliche Verdächtige wie Petar Ralchev, Martin Lubenov und Theodosii Spassov haben sich unter die illustren Gäste gemischt und bereiten die Bühne für eine weitere Generation hervorragender MusikerInnen, die zwischen Jazz und Volksmusik ihre eigene Spielwiese mähen. Der junge Kaval-Spieler Nedyalkov Nedyalkov macht in diesem Sinne die Bühne des Club Ost mit dem Ikadem Orkestar zu einem Experiment für unsere Gehörgänge. Dass wir aber nicht nur Experimentelles aus dem Bereich der Kreuz-über-Folklore präsentiert bekommen, sondern handfesten Hip-Electro-Ragga 2 Hop-Reggae-Step, dafür werden MistakeMistake aus Bukarest sorgen. Und spätestens, wenn Toni Kitanovski die E-Gitarre zückt und die Gypsy- Band Cherkezi den Auftakt macht, wissen wir, dass es wieder einmal Zeit ist, sich das Gehör verschieben zu lassen von einem Balkan-Fieber. Das Balkan Fever Festival 2006 in diversen Veranstaltungsorten fi ndet noch bis 14.05.06 statt. Infos: www.balkanfever.at. Wer sich die Konzerte der ver- i gangenen Balkan Festivals anhören möchte, kann dies unter www.emap.fm tun (Link: On Demand). Für all jene, die schnell genug zuschlagen, gibt es für folgende Veranstaltungen jeweils 1x2 Freikarten zu gewinnen: 6. 5. 06 (21.30 h) OST KLUB ARMEND XHAFËRI BAND 10. 5. 06 (20 h) JOE ZAWINUL’S BIRDLAND / LAKIS & ACHWACH 13. 5. 06 (21 h) PORGY & BESS GEORGI YANEV & BAND © Nedyalkov ON TONUS TRITONUS TRITO TONUS TRITONUS TRITONUS TRIT TONUS TRITONUS TRITONUS TRI TONUS TRITONUS TRITONUS TR ITONUS TRITONUS TRITONUS TR RITONUS TRITONUS TRITONUS TR Deine Freikarte Schick ein Mail mit dem Betreff „Balkanien“ an oeh-presse@mdw.ac.at! © Balkanfever Nedyalko Nedyalkov & Ikadem RITONUS TRITONUS TRITONUS TR RITONUS TRITONUS TRITONUS T S TRITONUS TRITONUS T US T tritonus_new_fin.indd 5 24.04.2006 13:48:34 Schwerpunkt Balkan 5
Seite 1 und 2: SCHWERPUNKT BALKAN Balkan Fever DRE
Seite 3: Editorial Liebe TRITONUS-Leserinnen
Seite 7 und 8: No Man’s Land? Text: Alexander Bo
Seite 9 und 10: Das Schwarze Brett Auswahlvorspiel
Seite 11 und 12: Eine Nordamerikanische Rockband, de
Seite 13 und 14: Musiker am Markt Normalerweise komm
Seite 15 und 16: © donaufestival Global Glue / Jazz

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