News Und was nimmst du so? Der Dopingskandal diesen Sommer im Radsport war lediglich die Spitze des Eisbergs > von Eva Christina Scharbatke 04 05 Nach dem Skandal ist vor dem Skandal. Das gilt nicht nur im Leistungssport, hier aber ganz besonders. Die blamable Tour de France dieses Jahres mag beinahe vergessen sein, doch schon im kommenden Jahr wartet mit der Olympiade in Peking ein pharmakologisches Schaulaufen auf uns, das zu jeder Menge Diskussionen und den neuerdings modischen medialen Boykott-Drohungen Anlass geben wird. Schwimmen, Turnen, Radfahren, Gewichtheben... Wie viele Dopingfälle dürfen in China höchstens auftreten, bis auch dort die Öffentlich-Rechtlichen den Stecker ziehen? Zwei? Fünf? Sicherheitshalber lieber 75? Spätestens dann werden sich Zuschauer melden, die ihren Lieblingssport in Fernsehen, Internet und Radio verfolgen wollen, selbst wenn ihre Helden ein bisschen nachgeholfen haben. Und eventuell haben sie mit ihren Rundfunkgebühren darauf auch einen begründeten Anspruch erworben, denn die Nichtübertragung des größten weltweiten Sportereignisses wird sich kaum mit dem Anspruch medialer Grundversorgung vereinbaren lassen. Und für den Notfall gibt es Satelliten- und Pay-TV. Es ist müßig, bekannte Doping-Fälle hier aufzuarbeiten. Mit „Festina“ assoziiert wohl kaum jemand nur den spanischen Uhrenhersteller und Tour- Sponsor, sondern sicherlich genauso Wieviele Dopingfälle dürfen autreten? schnell das Hormon Epo. Jan Ullrich wird kein Nachwuchssportler sein Vorbild nennen. Von Erik Zabel wissen wir, dass wir ihn trotzdem lieben, denn zumindest ist der <strong>Junge</strong> ehrlich. Alle tun sie es: Heike Drechsler, Katrin Krabbe, Ludger Beerbaum (nur das Pferd, Gott sei Dank), weite Teile von Juventus Turin, etc. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Die meisten Spritzen und Pülverchen werden ohnehin im Breitensport konsumiert. Dort, wo es weder richtig verboten ist, noch je kontrolliert werden kann. In den abgeschiedenen Ecken des Fitness-Studios deines Vertrauens, wo die Hausapotheke gleich neben der Körperfettwaage steht. Würde ab morgen kein Berufssportler mehr dopen, bräuchten die Amateure wahrscheinlich keine zwölf Monate, bis sie die besseren Leistungen bringen könnten. Kaffee als Doping? Mehr Kontrolleure, Ehrenerklärungen, häufigere und teurere Kontrollen oder die Aufnahme von Doping ins Strafgesetzbuch werden am grundsätzlichen Problem nichts ändern, sondern nur die Fallzahlen in die Höhe treiben. Hauptursache ist wohl, dass es sich eben gerade nicht um ein isoliertes Problem des Sports oder gar nur des Leistungssports handelt, sondern der Sport zeigt uns eine allgemeine gesellschaftliche Entwicklung auf. Die unscharfe Abgrenzung zur Alltagswelt beginnt bereits mit einem Definitionsproblem: Was ist Doping? Ganz einfach, möchte man meinen: Der Gebrauch leistungssteigernder Medikamente ohne vorliegende Erkrankung. So zumindest in etwa die meisten offiziellen Definitionen, was die hohe Prävalenz behandlungsbedürftiger Lungen-Erkrankungen unter den Radprofis erklären mag. Wenn ein Büroangestellter ein geschwollenes Gelenk hat, ist er „krank“ und „darf“ Kortison draufschmieren. Und beim Pferd von Ludger Beerbaum? Da ist es Doping. Wenn Oma sich nicht mehr alles merken kann, ist sie dement und „darf“ dagegen Medikamente nehmen. Tue ich das vor dem Staatsexamen, ist es was? Doping? Gilt das auch für Kaffee? Baldrian? Muss es chemisch sein? Also wäre Kokain ok? Angeblich bis zu 10% der amerikanischen Studenten haben mindestens einmal in ihrem Studienleben Ritalin vor Prüfungen genommen und tatsächlich zeigt das Medikament unter Laborbedingungen eine messbare Leistungssteigerung der Probanden beim Grübelsport. Die deutsche Jura-Studentin begnügt sich in der Regel mit einem Mix aus Johanniskraut am Abend, Koffein am morgen, Taurin (verleit Flügel) und ggf. Nikotin für zwischendurch. Der <strong>jung</strong>e Chirurg ist da professioneller, hat er doch bereits als Student dem Chirurgielehrbuch entnommen, dass unter Betablockern die Hände nicht so zittern. Und, dass Kein naturbelassener Mensch mehr? sich vom Sportabzeichen niemand, der es Ernst meint, durch ein dickes Sprunggelenk abhalten lassen wird – wofür gibt es Sportmediziner? – das ist wohl Ehrensache. Es geht nicht mehr nur um bemitleidenswerte Gestalten wie Jan Ullrich, sondern wir müssen früher oder später einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs führen, über Leistungssteigerungen durch medizinischen Fortschritt. Eine der größten medizinischen Erfolgsgeschichten der letzten Jahre sind so genannte Cochlea-Implantate, die tauben Menschen das Hören ermöglichen können. Das ist eine wunderbare Sache. Es wird jedoch der Tag kommen, an dem der erste Implantatträger besser hört, als ein gesunder Mensch. Und wenig später wird der erste Gesunde so ein Teil haben wollen. Wo ist der Unterschied zur Brustvergrößerung? Und, nebenbei, darf man mit Innenohr- Implantat an der Tour de France teilnehmen? Vielleicht müssen wir uns von der Vorstellung des naturbelassenen Menschen verabschieden. Sie könnte schon begrifflich vollkommen unhaltbar sein. Moral ist kein naturwissenschaftliches Problem, man kann sie nicht Sportverbänden und Klinikkonzernen überlassen und ganz sicher kann man sie nicht durch ein paar mehr Urinproben erzwingen. Eva Christina Scharbatke (25) ist stv. Landesvorsitzende für Programmatik der JuLis Hessen. Ich erreicht sie unter eva-christina@gmx.net. Foto: Volker Loschek <strong>jung</strong> & <strong>liberal</strong> Ausgabe 3|2007