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Barbara Stambolis, Britta Spies · Schützenfeste in Westfalen

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<strong>Barbara</strong> <strong>Stambolis</strong>, <strong>Britta</strong> <strong>Spies</strong> <strong>·</strong> <strong>Schützenfeste</strong> <strong>in</strong> <strong>Westfalen</strong>


<strong>Barbara</strong> <strong>Stambolis</strong><br />

<strong>Britta</strong> <strong>Spies</strong><br />

<strong>Schützenfeste</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>Westfalen</strong><br />

Bekannte Ansichten –<br />

ungewohnte E<strong>in</strong>blicke<br />

herausgegeben von der<br />

Volkskundlichen Kommission für <strong>Westfalen</strong><br />

Ardey-Verlag 2009


Alltagsgeschichte <strong>in</strong> Bildern <strong>·</strong> Band 5<br />

Herausgegeben von der<br />

Volkskundlichen Kommission für <strong>Westfalen</strong><br />

Landschaftsverband <strong>Westfalen</strong>-Lippe<br />

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek<br />

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation <strong>in</strong> der<br />

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische<br />

Daten s<strong>in</strong>d im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.<br />

ISBN 978-3-87023-266-5<br />

© 2009 Ardey-Verlag Münster GmbH<br />

Gesetzt von Wilhelm Krebs mit L A TEX<br />

aus der Stempel-Garamond 12/15.<br />

Hergestellt im Ardey-Verlag.<br />

Pr<strong>in</strong>ted <strong>in</strong> the Netherlands.<br />

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier ○∞ .<br />

Alle Rechte vorbehalten.


Vorwort<br />

Vorwort 4/5<br />

Über Schützen und <strong>Schützenfeste</strong> wurde und wird viel geschrieben: Angefangen<br />

mit den Berichten, die alljährlich <strong>in</strong> den Zeitungen ersche<strong>in</strong>en, über<br />

Festschriften und Vere<strong>in</strong>schroniken bis h<strong>in</strong> zu wissenschaftlichen Abhandlungen<br />

ist wohl kaum e<strong>in</strong> Aspekt der mannigfaltigen Schützenbräuche<br />

unberücksichtigt geblieben. Die Geschichte des Schützenwesens im Allgeme<strong>in</strong>en<br />

und e<strong>in</strong>zelner Vere<strong>in</strong>e im Besonderen, die Kleidung, die Musik,<br />

die Schützenzelte und -hallen und die Bedeutung des Festes im Kontext<br />

dörflichen und städtischen Feierns s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>gehend untersucht worden. Wie<br />

aber unterscheiden sich die <strong>Schützenfeste</strong> von anderen Veranstaltungen?<br />

Warum ist das Schützenfest-Wochenende für viele Menschen e<strong>in</strong> Anlass,<br />

alljährlich <strong>in</strong> ihren Heimatort zurückzukehren?<br />

Der ungewohnte Blick, den die Autor<strong>in</strong>nen dieses Fotobandes auf<br />

die <strong>Schützenfeste</strong> werfen, mag helfen, diese Fragen zu beantworten. Er<br />

ergibt sich größtenteils durch die von ihnen ausgewählten Fotografien,<br />

die – für sich genommen – bestimmte teils bekannte, teils unbekannte<br />

Aspekte <strong>in</strong>s Bild setzen. Nicht zuletzt ist es aber auch die Komb<strong>in</strong>ation der<br />

Bildquellen, die auf D<strong>in</strong>ge aufmerksam macht, die unserem Blick häufig<br />

entgehen: Festelemente, die uns als selbstverständlich ersche<strong>in</strong>en, erlangen<br />

<strong>in</strong> der Zusammenschau e<strong>in</strong>e ganz neue Bedeutung, das Agieren von allen<br />

Festteilnehmern (Erwachsenen und K<strong>in</strong>dern, Schützen und Publikum)<br />

ersche<strong>in</strong>t plötzlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ganz neuen Licht.<br />

Nicht selten s<strong>in</strong>d es gerade die verme<strong>in</strong>tlichen Nebensächlichkeiten, die<br />

sich als bezeichnend erweisen und die auf ihre Weise e<strong>in</strong>e Antwort geben<br />

auf die e<strong>in</strong>gangs aufgeworfene Frage, was denn die Besonderheit der <strong>Schützenfeste</strong><br />

ausmache.<br />

<strong>Schützenfeste</strong> polarisieren: Die Reaktionen der Zeitgenossen schwanken<br />

zwischen jubelnder Begeisterung und strikter Ablehnung. Dieser Band<br />

will ke<strong>in</strong>en Schützfestgegner e<strong>in</strong>es Besseren belehren und ke<strong>in</strong>en Schützenfestfreund<br />

vom Feiern abhalten. Hier geht es darum, das selbstverständlich<br />

Gewordene zu h<strong>in</strong>terfragen und auf Veränderungen aufmerksam<br />

zu machen, und dies kann – das mag teilweise verblüffen – durchaus auch<br />

auf visuellem Gebiet gel<strong>in</strong>gen. Die mit viel Sorgfalt ausgesuchten Bilder<br />

s<strong>in</strong>d nicht immer Produkte des fotografischen Schaffens von Profis. Oft<br />

s<strong>in</strong>d es dokumentarische Aufnahmen oder sogenannte Knipserbilder, die<br />

wesentliche Inhalte <strong>in</strong>s Bild setzen. Genau h<strong>in</strong>zuschauen und die Fotografien<br />

als Quellen ernst zu nehmen, ist das Anliegen dieses Bandes im Besondern<br />

und der Buchreihe »Alltagsgeschichte <strong>in</strong> Bildern« im Allgeme<strong>in</strong>en.<br />

Münster, im Juni 2009 Christiane Cantauw


Inhalt<br />

Vorwort ...................................... 5<br />

Schützenfest und Alltagsleben (<strong>Barbara</strong> <strong>Stambolis</strong>, <strong>Britta</strong> <strong>Spies</strong>) .. 9<br />

Historische Perspektiven:<br />

Schützengeschichte <strong>in</strong> <strong>Westfalen</strong> (<strong>Barbara</strong> <strong>Stambolis</strong>) ........ 15<br />

Geselligkeit und Festefeiern S. 15 Schützenfesttraditionen: patriotisch,<br />

monarchisch und pompös S. 17 Historisches zur Entwicklung<br />

der Schützenvere<strong>in</strong>e <strong>in</strong> der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts S. 20<br />

Schützenvere<strong>in</strong>e nach 1945 S. 22 Im Zentrum: Der Schuss auf den<br />

Vogel S. 27<br />

Der ethnografische Blick:<br />

Das Schützenfest zwischen Tradition und Wandel (<strong>Britta</strong> <strong>Spies</strong>) . 29<br />

Veränderung der Festformen S. 29 Festablauf S. 37 Requisiten S. 47<br />

Akteure S. 73 Lokale Schützentraditionen S. 97<br />

Bekannte Ansichten –<br />

ungewohnte E<strong>in</strong>blicke (<strong>Barbara</strong> <strong>Stambolis</strong>) .............. 109<br />

Der vergleichende Blick: Wie die Alten so die Jungen? S. 125<br />

Anhang ...................................... 140


Schützenfest und Alltagsleben 8/9<br />

Schützenfest und Alltagsleben<br />

von <strong>Barbara</strong> <strong>Stambolis</strong>, <strong>Britta</strong> <strong>Spies</strong><br />

<strong>Schützenfeste</strong> werden viele Menschen als typisch westfälisch bezeichnen.<br />

Es gibt Bilder, die alljährlich <strong>in</strong> der Tagespresse wieder aufgerufen werden:<br />

Volksfeststimmung, Festzüge, festlich gekleidete Paare, Könige und König<strong>in</strong>nen<br />

mit Hofstaat, mit Kutschen, festlich geschmückte Plätze und<br />

Straßen. Bei vielen, die teilgenommen haben, Schützenvere<strong>in</strong>en angehören<br />

oder sie aus nachbarschaftlicher Nähe kennen, rufen diese Bilder Er<strong>in</strong>nerungen<br />

an unbeschwerte Stunden und Tage wach.<br />

In privaten Fotosammlungen werden unzählige Bilder dieser für <strong>Westfalen</strong><br />

so zentralen Feste aufbewahrt; <strong>in</strong> Sammlungen von Berufsfotografen<br />

s<strong>in</strong>d sie ebenso zu f<strong>in</strong>den wie im umfangreichen Bildarchiv der Volkskundlichen<br />

Kommission für <strong>Westfalen</strong>. <strong>Schützenfeste</strong> fanden und f<strong>in</strong>den seit<br />

Jahrzehnten das Interesse der empirischen Kulturwissenschaft. <strong>Schützenfeste</strong><br />

nehmen e<strong>in</strong>en prom<strong>in</strong>enten Platz auf der volkskundlichen Karte der<br />

»Hauptfeste« <strong>in</strong> <strong>Westfalen</strong> e<strong>in</strong>, 1 sie reihen sich <strong>in</strong> »ländliches Brauchtum<br />

im Jahreslauf« e<strong>in</strong>. 2 Und auch die Geschichtswissenschaft befasst sich mit<br />

ihnen, oft unter lokal- und regionalhistorischem Blickw<strong>in</strong>kel. Im Mittelpunkt<br />

von sogenannten Mikrostudien, das heißt kle<strong>in</strong>räumig ausgerichteten<br />

Untersuchungen e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zelnen Geme<strong>in</strong>de, stehen oft wissenschaftliche<br />

Fragen nach der Lebenswelt »durchschnittlicher Zeitgenossen«, nach<br />

ihrem Alltag, zu dem eben auch der Festtag gehört.<br />

Die Reihe »Alltagsgeschichte <strong>in</strong> Bildern« der Volkskundlichen Kommission<br />

stellt lebensweltliche Aspekte der Vergangenheit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weit<br />

gefassten S<strong>in</strong>n vor. Der erste, 2003 veröffentlichte Band der Reihe, <strong>in</strong><br />

der auch dieses Buch ersche<strong>in</strong>t, trägt den Titel »Nicht nur sonntags.<br />

Vom Leben mit dem Glauben.« Da heißt es e<strong>in</strong>leitend: »Der Alltag der<br />

Menschen war früher viel stärker vom Glauben bestimmt als heute.« Ist<br />

Schützenfestgeschichte Alltagsgeschichte? Wenn man Alltag im S<strong>in</strong>ne all<br />

jener Zusammenhänge versteht, die das Denken und Handeln prägen,<br />

die regelmäßig wiederkehren, e<strong>in</strong>en festen Bestandteil des Jahreslaufs<br />

bilden, so ist Schützenfestgeschichte <strong>in</strong> <strong>Westfalen</strong> zweifellos Alltagsgeschichte.<br />

<strong>Schützenfeste</strong> s<strong>in</strong>d aus dem Leben zahlreicher Städte und ländlicher<br />

Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> <strong>Westfalen</strong> nicht wegzudenken, im Leben der Vere<strong>in</strong>s-<br />

Geme<strong>in</strong>sames Essen der Schützen und Gäste im Festzelt, Lippstadt 1950 (Foto: Nies).


Der neue Schützenkönig wird nach<br />

dem Vogelschuss von den Zuschauern<br />

gefeiert, Lippstadt 1950 (Foto: Nies).<br />

Schützenkönig und Schützenoberst auf<br />

dem Maiabendfest <strong>in</strong> Bochum 1961<br />

(Foto: Schmidthaus).<br />

mitglieder <strong>in</strong> Schützenhochburgen s<strong>in</strong>d sie geradezu lebensprägend; sie<br />

s<strong>in</strong>d maßgeblicher Bestandteil der Freizeit, sie bestimmen Geselligkeit und<br />

soziale Kontakte.<br />

Schützenfestfotografien s<strong>in</strong>d Fotografien vom Alltag und sie s<strong>in</strong>d sozialgeschichtliche<br />

wie auch geschlechtergeschichtliche Dokumente. Sie zeigen,<br />

wie Menschen mite<strong>in</strong>ander umgehen, wie sie sich darstellen, welchen<br />

Traditionen sie sich verbunden fühlen, und sie zeigen auch Veränderungen<br />

der Moden, der politischen Verhältnisse, der Umgangsformen und des<br />

Mite<strong>in</strong>anders von Erwachsenen und K<strong>in</strong>dern, von Männern und Frauen.<br />

Dies sei an e<strong>in</strong>em Beispiel verdeutlicht. 1989 äußerte sich e<strong>in</strong> Handwerksmeister<br />

aus dem Westmünsterland zum alljährlichen Schützenfest se<strong>in</strong>es<br />

Heimatortes rückblickend auf die Zeit zwischen den dreißiger und fünfziger<br />

Jahren des 20. Jahrhunderts folgendermaßen: »Für das Fest hatte man<br />

das ganze Jahr über gespart. Ansonsten war ja nicht viel los <strong>in</strong> Raesfeld.<br />

Wer Schützenkönig werden wollte, der musste schon e<strong>in</strong> bisschen tiefer<br />

<strong>in</strong> die Taschen greifen, obwohl der Schützenvere<strong>in</strong> etwas dazulegte. Aber<br />

König und König<strong>in</strong> zu werden war schon e<strong>in</strong>e große Ehre. Und wer zwei


Festzug mit Offizieren zu Pferde, Hemmerde 1961 (Foto: Balkenholl).<br />

Schützenfest und Alltagsleben 10 / 11<br />

Fanfarenzug aus Iserlohn mit Standarte<br />

beim Maiabendfest <strong>in</strong> Bochum 1961<br />

(Foto: Schmidthaus).


Der neue Schützenkönig verlässt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Kutsche den Schießstand, Coesfeld-Berg<br />

1960 (Foto: Brockpähler).<br />

Das Königspaar der St. Nikolaus<br />

Schützenbruderschaft Natzungen mit<br />

Hofstaat, Borgentreich, Kr. Höxter 1959<br />

(Foto: Wilhelms).<br />

Tage lang <strong>in</strong> der Kutsche durchs Dorf gefahren werden wollte, der sollte<br />

auch dafür bezahlen. Frauen tauchten <strong>in</strong> den Vere<strong>in</strong>en kaum auf. E<strong>in</strong>e<br />

verheiratete Frau durfte auch nicht ohne weiteres mit auf das Schützenfest[...]DieFrauenwarenimmer»unten«.Daswurdeauch<strong>in</strong>derSchule<br />

so gelehrt: »Mädchen, schlagt die Augen nieder, es geht e<strong>in</strong> junger Herr<br />

vorüber!« war e<strong>in</strong> Spruch, den die Lehrer<strong>in</strong> ihren Schüler<strong>in</strong>nen mit auf den<br />

Weg gab. Aber die meisten Mädchen haben doch gebl<strong>in</strong>zelt.« 3 In diesen<br />

wenigen Zeilen werden die lebens- und alltagsweltlichen Dimensionen der<br />

<strong>Schützenfeste</strong> anschaulich angesprochen: Es geht um Alltagsgeschichte <strong>in</strong><br />

<strong>Westfalen</strong>, und zwar als Sozial-, Freizeit- und auch als Geschlechtergeschichte.


Schützenfest und Alltagsleben 12 / 13<br />

Festwagen der Wirte von Nienberge beim Fest zum 300-jährigen Bestehen der St. Jakobi Schützenbruderschaft, Münster-Nienberge 1926.<br />

Dietmar Sauermann schrieb e<strong>in</strong>leitend zu e<strong>in</strong>em Buch über »ländliches<br />

Brauchtum«, es gehe darum, historische Veränderungen zu beschreiben;<br />

vieles, was als alt angesehen werde, habe sich erst um 1900 entwickelt,<br />

vieles sei um 1900 untergegangen. 4 Diese Fragerichtung lässt sich auch auf<br />

visuelle Schützengeschichte beziehen: Wie s<strong>in</strong>d die e<strong>in</strong>zelnen Festelemente<br />

fotografisch dokumentiert? Verändert sich ihre Gewichtung? S<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der<br />

Schützenbildgeschichte Zäsuren erkennbar, die politische und gesellschaftliche<br />

Veränderungen widerspiegeln? Lassen sich im 20. Jahrhundert Veränderungen<br />

<strong>in</strong> den Bildern feststellen, die auf e<strong>in</strong>en Wandel bürgerlichen<br />

und männlichen Selbstverständnisses h<strong>in</strong>deuten? Und – da Schützenvere<strong>in</strong>e<br />

Männerbünde s<strong>in</strong>d – welche Rolle nehmen Frauen auf den Bildern e<strong>in</strong><br />

und wie wandelt sich diese möglicherweise?<br />

Volkskundliche und historische Fragen an die Bilder verb<strong>in</strong>den sich<br />

<strong>in</strong> diesem Buch. Leser und Leser<strong>in</strong>nen mögen auf den ersten Blick viel<br />

Vertrautes erkennen. Sie sollen allerd<strong>in</strong>gs auch neugierig gemacht werden<br />

auf ungewohnte Sehweisen, die sich aus der wissenschaftlichen Beschäftigung<br />

mit <strong>Schützenfeste</strong>n ergeben und die auch für historische Laien <strong>in</strong>teressant<br />

se<strong>in</strong> dürften.

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