Gisela Schwarze Westfalen Band II: Münsterland
Gisela Schwarze Westfalen Band II: Münsterland
Gisela Schwarze Westfalen Band II: Münsterland
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<strong>Gisela</strong> <strong>Schwarze</strong><br />
<strong>Westfalen</strong> <strong>Band</strong> <strong>II</strong>: <strong>Münsterland</strong>
<strong>Gisela</strong> <strong>Schwarze</strong><br />
<strong>Westfalen</strong><br />
<strong>Band</strong> <strong>II</strong>: <strong>Münsterland</strong><br />
Ardey 2006
Inhalt<br />
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />
Die Landschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />
Westfaliae Metropolis Monasterium – Münster<br />
Vom Ursprung der Stadt – der Dom . . . . . . . 15<br />
Ehr is Dwang nog – Die Stadt der Kaufleute . . 27<br />
Die Stadt Gottes in der Endzeit . . . . . . . . . 39<br />
Pax optima rerum . . . . . . . . . . . . . . . . . 48<br />
Die Stadt des Westfälischen Friedens von 1648 . 48<br />
Die gehorsame Hauptstadt des Fürstbischofs . . 55<br />
Das Bild der Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . 70<br />
Der dörfliche Kranz . . . . . . . . . . . . . . . . 78<br />
Die hartnäckigen Herrschaften<br />
Rund um Steinfurt . . . . . . . . . . . . . . . . . 95<br />
Von Tecklenburger Grafen, Hollandgängern,<br />
Tödden und einem dicken Kohleberg . . . . . 124<br />
Reise durch das Grenzland<br />
Grenzen – Burgen – Industrien . . . . . . . . . . 155<br />
Glocken, Kirchen der Edlen und immer wieder<br />
Moore . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179<br />
Wo das <strong>Münsterland</strong> zum Wandern einlädt<br />
Von den Kirchen und Schlössern des Baumberger<br />
Hügellandes bis zu den Wildpferden . . . . . . 225<br />
Ritter, Burgen und Gespenster in der Davert . . 256<br />
Zwischen Ems und Werse<br />
Rund um die Beckumer Berge . . . . . . . . . . 275<br />
Von Warendorfer Pferden und frommen Frauen 296<br />
5
Vom bäuerlichen Vest zur Industrielandschaft<br />
Das historische Zentrum – Recklinghausen . . . 315<br />
Das unterwanderte Bauernland beiderseits der<br />
Lippe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321<br />
Städte aus dem Schmelztiegel: Gladbeck –<br />
Bottrop – Gelsenkirchen – Castrop-Rauxel . . 338<br />
Literaturverzeichnis<br />
Gesamtdarstellungen <strong>Westfalen</strong> . . . . . . . . . . 357<br />
Gesamtdarstellungen <strong>Münsterland</strong> / Vest . . . . 360<br />
Periodika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360<br />
Einzelveröffentlichungen . . . . . . . . . . . . . 362<br />
Register<br />
Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369<br />
Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373<br />
Westfälische Geschichte im Überblick . . . . 377
Vorwort<br />
Wer die stillen Straßen sucht, findet sie im <strong>Münsterland</strong>. Abseits<br />
der Hauptverkehrslinien liegen kleine Chausseen, die<br />
durch die hohen Bäume am Rande noch schmaler wirken.<br />
Einsamer sind die Pfade, die sich an Äckern und Wiesen<br />
vorbei und durch Wälder schlängeln. Diese »Pättkes« werden<br />
immer mehr die letzte Zuflucht jener Menschen, die sich<br />
nicht von der Zivilisation vereinnahmen lassen wollen. Eine<br />
Wanderung durch das <strong>Münsterland</strong> zu Fuß oder mit dem<br />
Fahrrad führt in eine heitere Stille, in eine Landschaft, die<br />
lieblicher ist, als die norddeutsche Tiefebene, und die nicht<br />
die Erhabenheit des Gebirges besitzt. Äcker und Wiesen,<br />
mal durchzogen von einem Bach oder begrenzt von dichten<br />
Wallhecken, in denen es piepst und zwitschert, kleine Waldstücke,<br />
wo der Weg sumpfig wird und die Mücken ihre Opfer<br />
suchen, und sandige Heide, mit Birken und Wacholder<br />
bestanden, ändern immer wieder das Bild auf einem solchen<br />
Weg, machen ihn reizvoll und schaffen eine begrenzte Einsamkeit,<br />
in der sich der Wanderer nicht verloren fühlt.<br />
Doch lasse sich niemand von der Idylle Bauernland<br />
täuschen. Nur noch sechs Prozent der Bevölkerung verdienen<br />
ihr Geld in Land- und Forstwirtschaft. Mehr als<br />
die Hälfte arbeitet – wie anderenorts auch – in privaten<br />
und öffentlichen Dienstleistungsunternehmen. Daneben hat<br />
sich die seit Jahrhunderten ansässige Textilherstellung und<br />
-verarbeitung behauptet, nach Jahren der Rezession spezialisiert<br />
und personell verringert. Neue Industrien, insbesondere<br />
Maschinen- und Fahrzeugbau, siedelten sich an.<br />
Die zahlreichen Mittel- und Kleinstädte und Dörfer des<br />
<strong>Münsterland</strong>es sind nicht nur historisch gewachsene Siedlungen<br />
mit Handel und anderen Dienstleistungen, sondern<br />
auch industrielle Konzentrationen, die für ein wirtschaftliches<br />
Gleichgewicht sorgen.<br />
7
Wie eine Spinne im Netz der auf sie zulaufenden Verkehrsstränge<br />
und Kulturbeziehungen liegt Münster, die ehemalige<br />
Hauptstadt des gleichnamigen Fürstbistums, dessen<br />
Oberstift den größten Teil des heutigen Regierungsbezirkes<br />
ausmacht. Von 1815 bis 1946 war sie dann Hauptstadt der<br />
preußischen Provinz <strong>Westfalen</strong>. Nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
versuchten Sieger wie Anrainer, das Ruhrgebiet zu vereinnahmen.<br />
<strong>Westfalen</strong> gab seine Selbständigkeit auf, um dieses<br />
industrielle Zentrum für Deutschland zu erhalten: das<br />
rheinisch-westfälische Industriegebiet wurde Kern des Bindestrich-Landes<br />
Nordrhein-<strong>Westfalen</strong> und Düsseldorf Landeshauptstadt.<br />
Münster hatte gezahlt, aber nichts gewonnen.<br />
Die Verbitterung darüber ist noch gelegentlich zu spüren.<br />
Unterschiedliche politische Mehrheiten in der Stadt und im<br />
Land förderten die Distanz zu den Rheinländern.<br />
Ein hoher Lebensstandard wird in der traditionell von<br />
Verwaltungen, Banken, Versicherungen und der Universität<br />
geprägten Stadt sichtbar. Vor allem ist Münster mit seinen<br />
nahezu 54 000 Studenten eine jung wirkende Stadt, mehr<br />
als zwei Fünftel seiner Bevölkerung sind jünger als dreißig<br />
Jahre.<br />
Gelegentlich demontieren einige münsterische Wortführer<br />
sich selbst, indem sie ihre Geschichte verkitschen und<br />
verfälschen. Da werden Hausierer früherer Zeiten, die wandernden<br />
Kleinhändler des bäuerlichen Umlandes, als »Kiepenkerle«<br />
zum Symbol und Werbeträger einer alten Hansestadt<br />
gemacht. Eigenwillige Persönlichkeiten der Vergangenheit,<br />
die sich ihrer damaligen Gesellschaft nicht anpaßten<br />
und sich wohl auch der heutigen verweigert hätten, werden<br />
als »Originale« in folkloristischer Verkleidung vereinnahmt,<br />
weil man ihre enttäuschte Liebe zur Stadt und ihre<br />
böse Ironie in Münster oft nicht verstanden hat. Das mag<br />
daran liegen, daß man sich in alten Städten mit einer starken<br />
Tradition oft selbst genug ist und Vergleiche, lebendigen<br />
Austausch mit anderen Städten und Ländern scheut. Doch<br />
wäre es falsch, all dieses zu verallgemeinern. Das Sowohlals-auch,<br />
das <strong>Westfalen</strong> zum Land ohne Kategorien und da-<br />
8
mit gänzlich ungeeignet für Vorurteile gemacht hat, gilt auch<br />
für Münster. Neben dem üblichen Stadtmarketing gibt es<br />
die Werbung mit einem aus der Tradition nach 1945 wiedererstandenen<br />
Stadtbild, das Jahr um Jahr Zehntausende von<br />
Touristen anzieht, neben der Mäkeligkeit gegenüber Persönlichkeiten<br />
und eigenwilligen Zeitgenossen gibt es die Ausstrahlung<br />
der großen Universität. Die früher sprichwörtliche<br />
konfessionelle Intoleranz ist einem gelasseneren Miteinander<br />
gewichen, auch wenn mancher noch verstohlen auf Gesangund<br />
Parteibuch achtet.<br />
Auf eine neue Art gewinnt Münster seine zentrale Bedeutung<br />
in <strong>Westfalen</strong> zurück. Neben den traditionellen Zentralbehörden<br />
wie dem Landschaftsverband <strong>Westfalen</strong>-Lippe<br />
(Gemeinsame Selbstverwaltung der Städte und Kreise) und<br />
dem Regierungspräsidium (eine der Landesregierung untergeordnete<br />
Behörde), auch neben der viertgrößten deutschen<br />
Universität als westfälische Aushängeschilder entwickelte<br />
und formt Münster eine kulturelle Stadtstruktur, die offene<br />
Vielfalt zeigt und allen gesellschaftlichen Gruppen Raum<br />
gibt. Dabei schaffen erkennbare Gelassenheit und Toleranz<br />
jenes Klima für kreative Aktivität, das der »Provinz« so viel<br />
mehr Chancen für neue Ansätze und Entwicklungen gibt als<br />
mancher großen Metropole. Diese Mischung aus traditionellem<br />
Kulturleben und unkonventionellen Aktivitäten ist<br />
schon jetzt Vorbild für andere Städte in und außerhalb <strong>Westfalen</strong>s.<br />
Hierin liegt auch die Zukunftsperspektive der Stadt.<br />
Der südliche Teil des Regierungsbezirkes Münster, den<br />
dieser <strong>Band</strong> beschreibt, ist die Emscherlandschaft südlich<br />
der Lippe oder – historisch betrachtet – das ehemalige Vest<br />
Recklinghausen, einstmals ein bäuerliches Land. Seit der Industrialisierung<br />
mit Kohle und Stahl entwickelten sich im<br />
19. Jahrhundert die Städte Gelsenkirchen, Bottrop, Gladbeck<br />
und Recklinghausen zu Zentren der Montanindustrie.<br />
Mit der Nordwanderung der Kohleförderung über Emscher<br />
und Lippe hinaus verlagerte sich auch die Zechenlandschaft.<br />
1989 entfielen 40 Prozent der bundesdeutschen Steinkohleförderung<br />
auf den Regierungsbezirk Münster. Die geplante<br />
Vorwort 9
Einschränkung der Kohleproduktion macht Umstrukturierungen<br />
erforderlich, aber hierin hat man ja bereits Erfahrungen<br />
in angrenzenden Gebieten sammeln können.<br />
Dicht leben hier die Menschen zusammen: 1 047 000 Einwohner<br />
auf 966 km 2 im Vergleich zum <strong>Münsterland</strong>, wo sich<br />
die nicht viel größere Menge von 1 375 000 Menschen auf<br />
5935 km 2 ausbreiten kann. Die Wohndichte im Vest wird<br />
aber nicht negativ empfunden, weil auch im Gebiet zwischen<br />
Emscher und Lippe Grünzonen erhalten oder wieder<br />
geschaffen wurden. Vor allem aber ist bei allem Nebeneinander<br />
ein herzliches Miteinander kennzeichnend für die<br />
Menschen dieses Ballungsgebietes, deren Vorfahren aus allen<br />
Teilen Westdeutschlands, aus Schlesien, Polen, Kaschubenland<br />
und Ostpreußen kamen, um hier Arbeit zu finden.<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg folgten Hunderttausende von<br />
Vertriebenen, später holte die deutsche Wirtschaft »Gastarbeiter«<br />
aus Südeuropa und der Türkei, heute kommen Menschen<br />
aus vielen Notstandsgebieten der Welt hierher. Das Industriegebiet<br />
zwischen Emscher und Lippe bleibt damit weiterhin<br />
Vorbild für ein mögliches Miteinander unterschiedlicher<br />
Kulturen und Sprachen.<br />
Gelsenkirchen und Münster sind westfälische Städte mit<br />
nahezu gleicher Bevölkerungszahl, die eine im vorigen Jahrhundert<br />
aus einigen Dörfern explosionsartig entstanden,<br />
die andere in 1200 Jahren bewegter Geschichte gewachsen.<br />
Haben sie außer dem ähnlichen Klang der Sprache seiner<br />
Bewohner etwas gemeinsam? Es scheitert wieder einmal<br />
ein Definitionsversuch dessen, was »westfälisch« ist, weil<br />
die Gegensätze nicht größer sein können. Oder ist gerade<br />
das gelassene Miteinander bei aller Verschiedenheit »westfälisch«?<br />
10
Die Landschaft<br />
Das <strong>Münsterland</strong> nimmt den größten Teil der westfälischen<br />
Bucht ein, die im Osten und Nordosten durch die Bergrücken<br />
des Teutoburger Waldes und des Eggegebirges, im<br />
Süden durch den Haarstrang begrenzt wird. Im Westen und<br />
Südwesten fehlen markante Landschaftsgrenzen, so daß die<br />
Landesgrenze zu Holland dafür genommen wird. Die eiszeitlichen<br />
Ablagerungen, die heute – teilweise mit Löß vermischt<br />
– große Teile der Oberfläche bedecken, ordnen die<br />
Bucht der Norddeutschen Tiefebene zu, die darunterliegenden<br />
Kreide- und Karbonschichten zeigen dagegen in ihrem<br />
Aufbau die Zugehörigkeit zur Mittelgebirgsschwelle.<br />
Somit nimmt die Bucht eine Sonderstellung ein. Eine<br />
große Kreideschale, deren Schichten stufenartig ausgebildet<br />
sind, lagert über den nach Norden absinkenden Karbonschichten.<br />
Im Norden und Osten wurden die Ränder<br />
durch die saxonische Faltung hochgestellt und teilweise umgekippt,<br />
im Westen auf der Linie Ochtrup-Borken nur aufgewölbt.<br />
Der Haarstrang bildete sich erst im Jungtertiär.<br />
Das Absinken der Devon-Karbon-Schichten des variskischen<br />
Rheinischen Massivs unter diese Kreideschichten stellt<br />
die eigentlich südliche Buchtgrenze dar. Ein westlich-nordwestlich<br />
gerichtetes Flußnetz bildete die Schichtstufen aus,<br />
die heute trotz der eiszeitlichen Oberflächenveränderung<br />
noch charakteristisch für die Westfälische Bucht sind.<br />
In der Mitte der Bucht erhebt sich das Plateau des Kernmünsterlandes,<br />
dessen Kleiboden mit eiszeitlichen Sanden<br />
und Geschiebelehm vermengt ist. Es ist bis heute Bauernland<br />
geblieben. Es wird begrenzt von den Höhen um Haltern,<br />
den Beckumer Bergen und den Baumbergen. Die Höhen<br />
um Haltern – die Borkenberge, die Hohe Mark und die<br />
Haard – werden einer Schichtstufe zugeordnet, die durch<br />
eine spätere Zertalung ihre heutige Form erhielt. Sie besteht<br />
11
aus Halterner Sanden. Die Hügel und Wälder sind ein beliebtes<br />
Naherholungsgebiet des nördlichen Industriereviers.<br />
Die Kreideschichten der Baumberge zeigen durch Aufwölbungen<br />
und durch Aufsattelung harter Schichten einen besonderen<br />
geologischen Aufbau. Ihre Kalksandsteine dienten<br />
seit Jahrhunderten als freundlich heller Haustein dem Bau<br />
von Häusern, Kirchen und Burgen, die feinkörnigen Schichten<br />
seit dem frühen Mittelalter Generationen von Bildhauern<br />
als besonders gut zu verarbeitendes Material.<br />
Die Beckumer Berge gleichen in ihrem Aufbau einer »zerfransten<br />
Hochfläche«, die nach Nordwesten abdacht und<br />
nach Süden und Osten Steilwände aufweist. Die hier lagernden<br />
tonigen Mergel, mergeligen Kalke und Mergelkalksteine<br />
wurden bereits seit dem Mittelalter zu Kalk gebrannt. Mit<br />
dem Bauboom im Revier in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />
entstanden weitere Kalkwerke, und gegen Ende<br />
des Jahrhunderts wurden die ersten Zementwerke gegründet.<br />
Heute bestimmt die Zementindustrie im Raum Beckum,<br />
Neubeckum und Ennigerloh das wirtschaftliche Bild. Für<br />
die Landschaftsplanung stellen die großflächigen Steinbrüche<br />
und die Ansprüche der Zementindustrie große Probleme<br />
dar, die vor allem in der Vergangenheit durch fehlende<br />
Kopplung von Abbau und Rekultivierung entstanden.<br />
Sandablagerungen bestimmen die Oberfläche des nordwestlichen<br />
<strong>Münsterland</strong>es. Daneben gibt es stark vernäßte<br />
Böden. Weite Flächen sind Dauergrünland, das Milchviehwirtschaft<br />
begünstigt. Von den Borkenbergen bis Coesfeld<br />
und entlang der deutsch-niederländischen Grenze dehnten<br />
sich Hochmoore, die heute zum größten Teil kultiviert sind.<br />
Nur wenige Naturschutzgebiete wie das Amtsvenn und das<br />
Zwillbrocker Venn vermitteln noch einen Eindruck der ursprünglichen<br />
Landschaft.<br />
Die südlich der Lippe gelegene Emscherlandschaft war<br />
ursprünglich ein durch Mergel und Grünland ausgebildetes<br />
Bauernland mit Äckern, Grünland und Wäldern. In der<br />
weit ausladenden Emschertalung dehnte sich noch zu Beginn<br />
des 19. Jahrhunderts zwischen Osterfeld und Herten<br />
12
auf 25 km Länge das Emscherbruch, in dem Wildpferde lebten.<br />
Mit der Aufteilung der Gemeindemarken endete diese<br />
Pferdezucht. 1834 erschoß man den letzten Hengst. War das<br />
Emscherbruch anfänglich ein Hemmnis in der Entwicklung<br />
des rheinisch-westfälischen Industriegebietes, so wurde die<br />
Emscherzone gegen Ende des 19. Jahrhunderts Zentrum der<br />
zweiten großen Zuwanderungswelle.<br />
Schon im Mittelalter hatte man die in den Ruhrbergen<br />
oberflächennah anstehende Kohle abgebaut. Unter den preußischen<br />
Königen wurde im 18. Jahrhundert die Kohleförderung<br />
mit Verordnungen geregelt. Damit verbunden war eine<br />
Schiffbarmachung der Ruhr. 1837 gelang es Franz Haniel,<br />
mit einer Schachtanlage die Mergeldecke bei Essen zu durchstoßen.<br />
Nun war es möglich, die darunterliegende fettreiche<br />
Kohle auch weiter nördlich zu fördern. Weitere technische<br />
Erfindungen und vermehrter Kapitalzufluß bewirkten eine<br />
Ausweitung der Industrien, die nach 1870 ihren Bedarf an<br />
Arbeitskräften nicht mehr in Westdeutschland decken konnten.<br />
Werber fuhren nach Schlesien, West- und Ostpreußen<br />
und in den Posener Raum, und Hunderttausende kamen.<br />
Der Hauptstrom ergoß sich in das Vest Recklinghausen.<br />
Gelsenkirchen wuchs von 505 Einwohnern im Jahr 1818 auf<br />
20 289 Einwohner im Jahr 1885. 1927 lebten im erweiterten<br />
Stadtgebiet 207 200 Menschen. Heute sind es 271 767 (2004).<br />
Kohle bestimmt heute nicht mehr wie in den zurückliegenden<br />
hundertfünfzig Jahren den Charakter der Städte<br />
des Ruhrgebietes. Nur noch wenige Zechen fördern Steinkohle<br />
– auch zur technologischen Erprobung von Bergbautechnik,<br />
vornehmlich jedoch zur Verstromung und damit<br />
zur Absicherung heimischer Energieversorgung.<br />
Die Emscher war lange Zeit das ungeliebte Abwasser, die<br />
Industriekloake des Reviers. Inzwischen haben Kläranlagen<br />
Verbesserungen bewirkt. Ebenso gelang eine Verbesserung<br />
des Lippewassers, das vor allem als Kühl- und Brauchwasser<br />
für Kraftwerke, Chemische Industrie und Bergbau<br />
dient. Der Trinkwassergewinnung dienen die Steverwasser<br />
bei Haltern, die im Gegensatz zum Lippewasser, das be-<br />
Die Landschaft 13
eits salzig bei Lippspringe aus der Erde kommt, eine gute<br />
Wasserqualität aufweisen. 1930 entstand durch Ausbaggerung<br />
der Halterner Stausee mit einem Fassungsvermögen<br />
von 20,5 Millionen m 3 bei einer Wasserfläche von 307 ha.<br />
Der benachbarte Hullerner See mit 10 Mill. m 3 Stauvolumen<br />
und einer Wasserfläche von 150 ha dient der »stillen<br />
Erholung« und der Trinkwassergewinnung. Heute deckt die<br />
Gelsenwasser AG von Haltern aus den Trinkwasserbedarf<br />
zahlreicher Städte im <strong>Münsterland</strong> und im nördlichen Industriegebiet.<br />
Emscher und Lippe mit der Stever gehören zum Flußsystem<br />
des Rheins. Daneben entwässern das Ems-, Ijsselund<br />
Vechtesystem das <strong>Münsterland</strong>. Die Ems entspringt im<br />
Osten der Bucht und nimmt ihren Weg nach Nordwesten<br />
in Richtung Nordsee. Nach Westen weisen die Berkel und<br />
die Bocholter Aa, die in die Ijssel münden. Die Vechte nimmt<br />
die Dinkel und die Burgsteinfurter Aa auf und fließt in nordwestlicher<br />
Richtung zur Zuidersee. Alte Kulturbeziehungen<br />
mit dem Friesland, den Niederlanden und dem Niederrhein<br />
orientierten sich an der Richtung dieser Flußläufe.