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Man on Fire – Erinnerung an Tony Scott

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mals ein Film T<strong>on</strong>y <strong>Scott</strong>s ernsthafter rezipiert, was dem<br />

Drehbuchautor zu verd<strong>an</strong>ken war – Quentin Ta r<strong>an</strong> tino,<br />

kurz vor dem Sprung zum Regie-Superstar. Tar<strong>an</strong>tinos<br />

unverwechselbare popkulturgesättigte Dialoge würzten<br />

auch die Jagd auf ein frischverheiratetes Paar, das Kokain<br />

gestohlen hat. Aber <strong>Scott</strong> brachte nicht nur in charakterstarkem<br />

Casting und atemberaubenden Acti<strong>on</strong>-<br />

Arr<strong>an</strong>gements seine H<strong>an</strong>dschrift ein. Er setzte auch als<br />

»hoffnungsloser Rom<strong>an</strong>tiker« gegen Tar<strong>an</strong>tino ein<br />

Happy-End durch, das er der zentralen Liebesgeschichte<br />

als <strong>an</strong>gemessen empf<strong>an</strong>d.<br />

Mit DEJA VU drehte T<strong>on</strong>y <strong>Scott</strong> 2006 seine Variati<strong>on</strong><br />

auf Hitchcocks ultimative nekrophile Kinorom<strong>an</strong>ze VER-<br />

TIGO, und der zeitgerecht dunkle Untert<strong>on</strong> seines<br />

Werks war da längst nicht mehr zu übersehen. Bei den<br />

Agententhrillern ENEMY OF THE STATE (1997) und SPY<br />

GAME (2001) wurde nicht nur die Form seiner Filme<br />

immer gewagter, er beschäftigte sich auch mit aktuellen<br />

Krisenthemen wie Überwachungsstaat und Terrorismus.<br />

Der Qu<strong>an</strong>tensprung zu einer Art terroristischem<br />

Kino im formalen Sinne gel<strong>an</strong>g mit MAN ON FIRE<br />

(2004). Denzel Washingt<strong>on</strong>, der als <strong>Scott</strong>s Idealdarsteller<br />

seine beseeltesten, bewegendsten Leistungen erbrachte,<br />

spielt darin einen ehemaligen Marine und CIA-<br />

Spezialagenten, der durch Alkoholismus zum preiswerten<br />

Leibwächter heruntergekommen ist. In Mexiko City<br />

hütet er ein Kind aus den gesicherten Rückzugsgebieten<br />

der Reichen im Zentrum globaler Armut – und<br />

schreitet blutend zum blutigen Rachefeldzug, als sein<br />

Schützling entführt wird. Seinen Marsch durchs Fegefeuer<br />

der Slums und weiter orchestriert <strong>Scott</strong> als Delirium<br />

des Protag<strong>on</strong>isten: <str<strong>on</strong>g>M<strong>an</strong></str<strong>on</strong>g>n brennt, Film brennt. Die<br />

sensati<strong>on</strong>elle Sinnesüberflutung ist wie eine im Blockbuster-Maßstab<br />

durchgezogene Av<strong>an</strong>tgarde-Explosi<strong>on</strong>:<br />

überwältigende Repräsentati<strong>on</strong>en einer aus den Fugen<br />

geratenen Gegenwart: world out of order. Die US-Visi<strong>on</strong><br />

v<strong>on</strong> George Bushs New World Order dient nicht<br />

nur im provok<strong>an</strong>ten Psychogramm einer Nati<strong>on</strong> nach<br />

9/11, das MAN ON FIRE liefert, als Triebfeder. In DEJA<br />

VU ist es ein Terror-Anschlag, der Denzel Washingt<strong>on</strong><br />

durch die Zeit reisen lässt. Bei den Ermittlungen zum<br />

Attentat wird eine Science-Ficti<strong>on</strong>-Maschine (»Schneewittchen«)<br />

eingesetzt, die wie ein Live-Stream aus der<br />

Verg<strong>an</strong>genheit funkti<strong>on</strong>iert: ein Virtual-Reality-Update<br />

v<strong>on</strong> Hitchcocks REAR WINDOW, wobei sich der Held in<br />

eine Tote verliebt (m<strong>an</strong> denkt <strong>an</strong> VERTIGO oder Otto<br />

Premingers LAURA), und die unglaublichste Autoverfolgungsjagd<br />

der Filmgeschichte absolviert, vier Tage und<br />

sechs Stunden zeitversetzt. Die Zeit muss aus den<br />

Fugen geraten, damit die Wunden geheilt werden können:<br />

DEJA VU ist zugleich Liebeskrimi-Furioso, metaphorisches<br />

Nati<strong>on</strong>enbild und als <strong>an</strong>alytischer Essay<br />

zum Kino selbst gleichermaßen dek<strong>on</strong>struktiv und utopisch<br />

auf eine Weise, die sich Chris Marker ausgedacht<br />

haben könnte.<br />

Er ist somit auch die Kehrseite der Medaille des Vorgängers<br />

DOMINO (2005), in dem die Biografie einer<br />

Kopfgeldjägerin (Keira Knightley) im Medienfeuer förmlich<br />

atomisiert wird – der surrealste und unbeschreiblichste<br />

aller <strong>Scott</strong>-Filme, somit vielleicht sein zentraler.<br />

Geradezu klassisch, mit nur gelegentlichen bildmächtigen<br />

Geschwindigkeits-Abstrakti<strong>on</strong>skaskaden, dagegen<br />

sein Abschiedsfilm. UNSTOPPABLE (2010) war – wie<br />

davor das Remake THE TAKING OF PELHAM 1 23<br />

(2009) – ein soziales Zeitbild im Gew<strong>an</strong>d unprätentiöser<br />

Genre-Aktualisierung. Dabei ein virtuoser Hochsp<strong>an</strong>nungsthriller,<br />

der – g<strong>an</strong>z gegen die Hollywood-<br />

Tendenz – <strong>an</strong> die Gl<strong>an</strong>zzeit eines tatsächlich proletarischen<br />

Unterhaltungskinos <strong>an</strong>schließt. Wie in Hollywoods<br />

wendigen Depressi<strong>on</strong>szeit-Filmen der 1930er<br />

T<strong>on</strong>y <strong>Scott</strong><br />

63<br />

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