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Der Aufsatz als pdf-Dokument - Beate-jonscher.de

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<strong>Der</strong> Ich-Erzähler in „Milaja Šura“ ist <strong>als</strong>o kein Autor-Erzähler. Und doch verhält er sich auktorial<br />

gegenüber <strong>de</strong>r Figur <strong>de</strong>r Aleksandra Ernestovna, er weiß von Anfang an mehr <strong>als</strong> ein außenstehen<strong>de</strong>r<br />

Beobachter, zum Beispiel, dass sie hat keine Kin<strong>de</strong>r gehabt hat.<br />

Das Faszinieren<strong>de</strong> an <strong>de</strong>r Geschichte ist <strong>de</strong>r Versuch <strong>de</strong>s Erzählers, mit Hilfe sprachlicher Suggestivkraft,<br />

die Vergangenheit zurückzuholen, damit die Frau doch noch ihren Geliebten treffen kann.<br />

Versuch zum Erzähler<br />

In <strong>de</strong>n zahlreichen Kritiken zu Tat'jana Tolstaja wird nicht zwischen Autor und Erzähler unterschie<strong>de</strong>n.<br />

Das hängt in erster Linie mit <strong>de</strong>m ungewöhnlich expressiven Stil zusammen, <strong>de</strong>r die Ebenen <strong>de</strong>s Textes<br />

überlagert.<br />

Jedoch kann auch bei dieser Schriftstellerin nicht von einem auktorialen o<strong>de</strong>r Autor-Erzähler gesprochen<br />

wer<strong>de</strong>n. Das lässt sich <strong>de</strong>utlich anhand einiger Texte belegen. So gibt es über die Figur <strong>de</strong>r Nina aus „Poėt<br />

i muza“ im gesamten Text keine abwerten<strong>de</strong> Bemerkungen o<strong>de</strong>r negative Einschätzung, obwohl sie zwei<br />

Menschen zugrun<strong>de</strong> richtet: erst ihre scheinbare Nebenbuhlerin, dann ihren Mann. Sonja aus <strong>de</strong>r<br />

gleichnamigen Erzählung wird - wie ein Kritiker richtig bemerkte - zugleich überhöht und verlacht. 13 Überhöht<br />

wird sie durch ihr Han<strong>de</strong>ln, verlacht durch die Worte.<br />

„Klar ist eines - Sonja war dumm“, heißt es im Text. <strong>Der</strong> Erzähler gibt eine frem<strong>de</strong> Meinung wie<strong>de</strong>r (die<br />

<strong>de</strong>r Figuren) und enthält sich seiner eigenen.<br />

In bei<strong>de</strong>n Fällen kann <strong>de</strong>r Charakter <strong>de</strong>r Heldin nicht aus <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Erzählers entnommen wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r<br />

Leser muss die Einschätzung selbst vornehmen, in<strong>de</strong>m er die Handlungsweise <strong>de</strong>r Figuren beurteilt.<br />

Die Schwierigkeiten bei <strong>de</strong>r Analyse <strong>de</strong>r Erzählweise <strong>de</strong>r Tolstaja resultieren auch aus <strong>de</strong>n Beson<strong>de</strong>rheiten<br />

<strong>de</strong>r Erzählperspektive. So sind ihre Texte in Bezug auf die Grenzen <strong>de</strong>r Figurenperspektive in sich<br />

„unlogisch“.<br />

Dies beginnt beim auktorialen Ich-Erzähler, etwa in „Dorogaja Šura“. Hier weiß <strong>de</strong>r Ich-Erzähler weitaus<br />

<strong>als</strong> das, was ihm die Frau erzählt. Ähnliches lässt sich in <strong>de</strong>m Text „Na zolotom kryl'ce si<strong>de</strong>li...“<br />

beobachten. Es wer<strong>de</strong>n Kindheitserinnerungen wie<strong>de</strong>rgegeben, jedoch hat <strong>de</strong>r Erzähler gegenüber <strong>de</strong>n<br />

an<strong>de</strong>ren Figuren ein Wissen, dass über seine Perspektive hinausgeht. Hier lässt sich dies aus <strong>de</strong>r Distanz<br />

<strong>de</strong>s erzählen<strong>de</strong>n zum erleben<strong>de</strong>n Ich erklären, in „Dorogaja „Šura“ ist das Verhalten <strong>de</strong>s Erzählers nicht<br />

motiviert, lässt sich aber erklären, weil es sich nicht um einen Autor-Erzähler han<strong>de</strong>lt, da nach <strong>de</strong>n<br />

Angaben von Tat'jana Tolstaja Anna Ernestovna eine rein fiktive Figur ist. Insgesamt ist <strong>de</strong>r Erzähler bei<br />

<strong>de</strong>r Tolstaja eine „starke Persönlichkeit“, <strong>de</strong>r durch sein spezifisches Erzählen allen Figuren seinen Stempel<br />

aufdrückt. Figurenre<strong>de</strong> und Erzählerre<strong>de</strong> können oft nicht auseinan<strong>de</strong>rgehalten wer<strong>de</strong>n, weil das Denken<br />

und Reflektieren <strong>de</strong>r Figuren (nicht die wörtliche Re<strong>de</strong>) <strong>de</strong>m <strong>de</strong>s Erzählers angepasst sind (und nicht<br />

umgekehrt, wie es beim auktorialen Erzähler zu beobachten ist 14 ). Die „Sprachgewalt“ <strong>de</strong>s Erzählers<br />

überträgt sich auf die Figuren, was irritiert, wenn es sich Kin<strong>de</strong>r (Petja aus „Svidanie s pticej“) o<strong>de</strong>r<br />

Kranke (Aleksej Petrovič aus „Noč'„) han<strong>de</strong>lt. Hinzu kommt, dass Dialoge oft graphisch nicht gekennzeichnet<br />

sind, <strong>de</strong>n Erzählfluss nicht unterbrechen. Ebenso können direkte und indirekte Re<strong>de</strong> miteinan<strong>de</strong>r<br />

verflochten sein.<br />

Die Träume und Alpträume, die die Figuren haben, ihre Vorstellungen und Phantasien (beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich<br />

in „Reka Okkervil'„, „Peters“, Noč'„) stellen eine faszinieren<strong>de</strong>, kaum aufzulösen<strong>de</strong> Mischung von<br />

Märchenhaftem, Grotesk-Romantischem, „russischem Leben“ und Abenteuerlichen dar, wobei sich<br />

bestimmte Motive in <strong>de</strong>n Texten wie<strong>de</strong>rholen.<br />

Tolstajas Figuren verfügen alle über viel Phantasie, haben ständig mehr o<strong>de</strong>r weniger (weniger zum<br />

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