Neue Pflanzenschutz-PolitikWas auf EuropasBauern zukommtEuropa hat seine Pflanzenschutz-Politikneu geregelt. Am 13. Januar 2009 hat dasParlament eine Verordnung über die Zulassungvon Pflanzenschutzmitteln und eineRichtlinie für deren <strong>nach</strong>haltige Anwendungverabschiedet. Die Kurier-Redaktionsprach darüber mit dem Hauptgeschäftsführerdes Industrieverbands Agrar e.V.(IVA), Volker Koch-Achelpöhler.Kurier: Worauf müssen sich die europäischenBauern im Pflanzenschutz einstellen?K-A: Die neue Zulassungsverordnung giltdirekt in den Mitgliedstaaten. Sie wirdaber, wenn es <strong>nach</strong> Plan läuft, erst zumJahresbeginn 2011 wirksam. Dann müssenWirkstoffe bei der erstmaligen oderwiederholten Registrierung die neuen Anforderungenerfüllen, und dann erst wirdman sehen, wie sich das auf das Angebotan Pflanzenschutzmitteln auswirkt.Kurier: Kritiker der Zulassungsverordnungbemängeln den „Abschied vonParacelsus“.K-A: Die neuen Ausschlusskriterien fürPflanzenschutzwirkstoffe bedeuten denAbschied von der 500 Jahre alten Erkenntnisdes Paracelsus, dass die Dosis das Giftmacht. Es ist auch die Abkehr von einerPolitik der wissenschaftsbasierten Entscheidungsfindung.Eine hochentwickelteRegion wie Europa sollte nicht in dieserRichtung weitermarschieren. Die Wettbewerbsfähigkeitihrer Landwirtschaft könntesonst spürbar leiden.8 KURIER 1/09
Volker Koch-Achelpöhler, Hauptgeschäftsführerdes Industrieverbands Agrar e.V. (IVA).Kurier: Werden Produkte vom Marktverschwinden?K-A: Nicht von heute auf morgen. BestehendeZulassungen sind von der neuenVerordnung nicht berührt. Wie derzeit inder landwirtschaftlichen Praxis aber schonbreit diskutiert wird, gibt es eine Reihe vonStoffen, die möglicherweise bei ihrerWiederzulassung die neuen Anforderungennicht erfüllen. Ob es konkret der Fallsein wird, wird nicht zuletzt von den Ausführungsbestimmungenabhängen. Diemüssen erst noch definiert werden. Deshalbist derzeit keiner in der Lage, seriöseZahlen zum Verlust von Pflanzenschutzmittelnzu nennen.Zudem sagt die Zahl der gefährdetenSubstanzen nichts über derenBedeutung für die Praxis aus.Weil es unverzichtbare oder schwerersetzbare Wirkstoffe gibt, siehtdie Verordnung auch zahlreicheAusnahme- und Sonderregelungenvor. Das bedeutet wiederum programmierteIrritation; es wirdschwierig werden, im Regelungsdschungelden Überblick zu behalten.Kurier:Vielfach gibt es heute Resistenzenbei der Bekämpfungvon Schadorganismen. Einebreite Mittelpalette wirkt dementgegen.K-A: Und da könnte die neue Verordnungunnötige neue Problemeschaffen. Europaweit sollen nämlichzu „ersetzende Wirkstoffe“bestimmt werden, die gegenüberSubstanzen für den gleichen Anwendungsbereichals „schlechter“eingestuft werden. Die Mitgliedstaatensollen dann Pflanzenschutzmittel mit diesenWirkstoffen ersetzen, wenn günstigerevorhanden sind. Wir müssen befürchten,dass das Resistenzmanagement schwierigwird, wenn die Mitgliedstaaten diese Maßnahmeallzu häufig praktizieren.Kurier: Sie bewerten die neuen Anforderungenaus der Zulassungsverordnungals „forschungsfeindlich und innovationshemmend“.K-A: Künftig muss zum Beispiel bei derZulassung berücksichtigt werden, ob eineSubstanz zur Fernverfrachtung neigt, esmüssen ihre Auswirkungen auf die Artenvielfaltund das Ökosystem sowie kumulativeund synergistische Effekte von Mehrfachrückständenermittelt werden. Sie könnensich leicht vorstellen, dass dies für jedenneuen Wirkstoff umfangreiche undzeitraubende zusätzliche Studien nötigmacht. Und eine klare Definition dieserVorgaben fehlt bisher. Ziel der Verordnungwar die Förderung von Innovation. NeuePflanzenschutz-Wirkstoffe werden auchdringend gebraucht, wenn alte wegfallen.Wir können sie aber nicht schnell genugliefern, wenn die Entwicklung immerschwieriger wird.Kurier: Bedeutet die neue zonale Zulassungnicht auch eine Vereinfachung derZulassungspraxis?K-A: Innerhalb der jetzt eingerichtetendrei Zonen in Europa soll die gegenseitigeAnerkennung von Zulassungen erleichtertwerden. Auch Zonen übergreifend könnenbe<strong>nach</strong>barte Länder Zulassungen übernehmen.Ob die heutigen Wettbewerbsverzerrungenbeseitigt werden, die durch den inden verschiedenen Ländern unterschiedlichenZugang zu Mitteln hervorgerufenwerden, muss die Praxis zeigen.Auch Erzeugerverbände oder Behördenkönnen die Anerkennung einer Zulassungbeantragen. Die Zustimmung des Herstellersist dafür nicht erforderlich. Als Industriesind wir mit dieser Regelung nichtglücklich. Die Hersteller tragen die Verantwortungfür ihre Produkte; sie müssen mitentscheiden können, wo und wie diese eingesetztwerden.Kurier:Auf deutlich größere Zustimmungals die Zulassungsverordnung trifft dieRahmenrichtlinie für die <strong>nach</strong>haltigeAnwendung von Pflanzenschutzmitteln.K-A: Die Industrie hat sich immer dafüreingesetzt, die Risiken des Pflanzenschutzeszu minimieren. Rein quantitative Reduktionsprogrammesind dafür ungeeignet.Wir sind deshalb sehr froh, dass die Richtlinieeine Politik mit klarem Fokus auf Risikoreduktionzulässt.Die Richtlinie muss – anders als die Zulassungsverordnung– in den Pflanzenschutzgesetzender Mitgliedstaaten umgesetztwerden. Zur praktischen Umsetzung sindnationale Aktionspläne zu verabschieden.Zu den Vorgaben in diesem Rahmen gehörenzum Beispiel die Aus- und Weiterbildungvon Anwendern und Verkäufernsowie die genaue Beobachtung so genannter„bedenklicher“ Wirkstoffe. Bis 2014 mussaußerdem der Integrierte Pflanzenschutz inallen Mitgliedstaaten eingeführt werden.Maßnahmen wie der Sachkunde<strong>nach</strong>weisfür Landwirte oder der Spritzen-TÜV, diein Deutschland bereits umgesetzt sind, solleneuropaweit Standard werden.Die Industrie sieht eine wichtige Aufgabedarin, an der Weiterentwicklung des nationalenAktionsplans mitzuarbeiten. Es liegtin unserem ureigenen Interesse, die <strong>nach</strong>haltigeAnwendung unserer Produkte zufördern. Wir sind überzeugt, dass wir Handin Hand mit den Landwirten die ohnehinheute nur noch sehr geringen Risiken beider Anwendung von Pflanzenschutzmittelnweiter minimieren werden. ■1/09 KURIER 9