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[t]akte<br />

30 [t]akte 2I2008<br />

Alchimistische<br />

Verwandlungen<br />

Der italienische Komponist Osvaldo Coluccino<br />

Osvaldo Coluccino (* 1963) bezeichnet Absum, eine elektroakustische<br />

Komposition aus dem Jahr 1999, als sein<br />

erstes Werk oder auch Quale velo (2000/01) für Ensemble.<br />

Das bedeutet jedoch nicht, dass er erst im Alter<br />

von 36 Jahren begonnen hätte zu komponieren, sondern<br />

es ist die Konsequenz künstlerischer Entscheidungen, einer<br />

Suche, die in ihrem Verlauf einen Fall für sich darstellt.<br />

Von 1989 bis 2003 widmete sich Coluccino gänzlich<br />

der literarischen Arbeit, schrieb Gedichte, Prosa und<br />

Verstragödien, denen von Kritikern und Wissenschaftlern<br />

Interesse und Bewunderung entgegengebracht<br />

wurde. Bereits in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre<br />

begann er autodidaktisch, sich mit Musik zu beschäftigen<br />

und zu komponieren. Heute sieht er seine literarischen<br />

Erfahrungen als abgeschlossen an und ist ein<br />

Komponist, der keinen Grund sieht, sich an seine Frühwerke<br />

zu erinnern. Sein Werkkatalog enthält Kompositionen,<br />

deren eigenständige kompromisslose Ästhetik<br />

von Anfang an fertig ausgeprägt erscheint. Ein Weg zum<br />

Verständnis dieser plötzlich eingetretenen reifen Eigenständigkeit<br />

und extremen Strenge in Coluccinos Musik<br />

führt über die Beschäftigung mit seinem literarischen<br />

Schaffen. Zu einer solchen Perspektive lädt eine Beobachtung<br />

des Musikwissenschaftlers und Komponisten<br />

Ramón Montes de Oca ein, der anlässlich der Aufführung<br />

des Bläserquintetts Diffratta aria (2002) beim Festival<br />

Cervantino 2004 in Guanajato/Mexiko über Coluccino<br />

schrieb:<br />

„Wenn man über die musikalische Ästhetik dieses<br />

wichtigen italienischen Künstlers spricht, muss man<br />

unbedingt auf seine bemerkenswerte dichterische<br />

Sprache verweisen, denn Osvaldo Coluccino war<br />

zunächst ein großartiger Dichter und hat sich danach<br />

in einen Komponisten herausragender neuer Musik<br />

verwandelt. Wir kennen das Interesse des Dichters für<br />

das Wort, das aus der Stille entspringt, und wir kennen<br />

ebenso das Interesse des Komponisten für die<br />

Stille, die sich aus dem Klang erhebt. Diesem intimen,<br />

vagen und kargen Klang, den der Künstler, abgeklärt<br />

wie ein Alchimist, in Reflexe aus Farben, Tonhöhen,<br />

Timbres, Wörtern und Stillen verwandelt, die ins<br />

Nichts zurückkehren.“<br />

Coluccino schreibt äußerst ausgewogen, bedachtsam,<br />

konzentriert auf das Wesentliche und definiert präzise<br />

jedes Detail, so als ob von der Wahl jeder Tonhöhe, jedes<br />

Intervalls, jeder Klangfarbe das Gelingen des Ganzen<br />

abhinge. Die so definierten Klangobjekte sind in Stille<br />

eingesenkt, in einen statischen, geheimnisvollen Raum,<br />

in dem die Bewegung des Alltäglichen aufgehoben ist.<br />

Es überrascht nicht, dass er Maler schätzt, die Objekte<br />

darstellen, die von Stille umgeben sind: Piero della Francesca,<br />

Cézanne, Morandi. Es sind die angehaltene Zeit<br />

und der statische Raum, für die Coluccino mit dem spä-<br />

Ausufernde Üppigkeit ist seine Sache nicht. Die Reduktion<br />

auf das Wesentliche ist eher Osvaldo Coluccinos<br />

Maxime. Ein Porträt des Komponisten, der<br />

spät zum Komponieren kam, nachdem er in der Literatur<br />

seines Heimatlandes bereits einen bekannten<br />

Namen hatte.<br />

Suche nach dem Wesen des Klangs: Osvaldo Coluccino<br />

ten Nono und mit Feldman verglichen worden ist. Mit<br />

diesem Vergleich treten jedoch die Unterschiede nur<br />

deutlicher hervor. Insbesondere gibt es keine Ähnlichkeiten<br />

zu den enorm gedehnten Tempi und dem Quasi-<br />

Minimalismus des späten Feldman, denn Coluccino behält<br />

stets die Kontrolle über seine Formverläufe, und<br />

Knappheit entsteht bei ihm aus einem Bedürfnis nach<br />

Konzentration auf das Wesentliche. Deshalb auch lotet<br />

er den Klang innerhalb eines dynamischen Bereiches<br />

aus, der nur sehr selten das Mezzopiano übersteigt, so<br />

dass magische Wirkungen entstehen, ein Effekt der alchimistischen<br />

Verwandlung seines ausgedünnten, ausgetrockneten<br />

Tonsatzes. Daraus entstehen verborgene<br />

Spannungen, festgehalten in einer Unbeweglichkeit, die<br />

jedoch unvorhersehbaren und unkonventionellen<br />

Formverläufen nicht im Wege steht. Manchmal spielen<br />

seine poetischen Titel auf diese Formen an. Ich denke<br />

beispielsweise an den Verlauf von Voce d’orlo (2006)<br />

oder an die Spreizung, die von der Kombination zweier<br />

Wörter suggeriert wird, die mit Geburt und Tod verbunden<br />

sind: Gamete stele (2007). Die Spreizung zwischen<br />

der Weichheit des Gallerts und der Härte des Steins<br />

drückt sich hier mit konzentrierter, jedoch anti-rhetorischer<br />

Dichte aus und führt zu einem sanfteren Ergebnis.<br />

Die Negation von Without Witness (2004) scheint<br />

schließlich nach dem Wesen des Klanges zu suchen und<br />

lädt den Komponisten ebenso wie den Hörer ein, loszulassen:<br />

das eigene Ego, die Schwere des Ichs.<br />

Paolo Petazzi<br />

(Übersetzung: Christine Anderson)<br />

Information: Die Kompositionen von Osvaldo Coluccino<br />

erscheinen bei RAI Trade (Vertrieb: Alkor-Edition)

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