■ ■FilmspracheÜber weite Strecken ein Kammerspiel,vereint SOPHIE SCHOLL – DIELETZTEN TAGE Elemente von Filmbiografie,Kriminalthriller und Gerichtsfilm.Nach einem kurzen Blick in SophiesPrivatleben steigert sich dieSpannung sehr schnell. Ein ersterHöhepunkt ist die Flugblattaktion ander Universität mit der anschließendenVerhaftung. Danach beschränktsich die linear erzählte Handlung ausschließlichauf Innenräume. Die Folgeist eine Atmosphäre der Beklemmung,die Sophies emotionalenZustand reflektiert und bis zum dramatischenSchluss anhält. Für dieAuthentizität als Geschichtsfilm bürgenunterschiedlichste historischeQuellen wie Zeitzeugenberichte,Polizeiprotokolle und Gerichtsurteile.Auf geschickte, nur selten manipulierendeWeise bilden sie die Grundlagefür die den Film bestimmenden Dialoge.So wurden zum Beispiel aucheinzelne Textpassagen aus denFlugblättern der Weißen Rose denDarstellern/innen in den Mund gelegt.Diese tragen durch äußerst disziplinierteSchauspielleistungen wesentlichzum Gelingen des Films bei. IhrSpiel ist deutlich zurückgenommen.Denn Täter wie Opfer agieren in einerZeit, in der offen gelegte Emotionenden Tod bedeuten können. Besondersgilt dies für die Hauptfigur SophieScholl. Wie sie unter ungeheurempsychischem Druck die Selbstkontrollebewahrt, ist eigentlichesThema des Films. Nur in wenigenSituationen gestattet sie sich denAusbruch von Gefühlen. Wenn sieallein ist, kanalisiert sie Angst undWut in Weinen und lautem Brüllen.In den Verhören ist Sophies Körpersprachebemerkenswert: Während ihrOberkörper regungslos bleibt, streichenihre Hände unterhalb der Tischkante– unsichtbar – nervös über dieKnie. Sophies Glauben an die Freiheitund das Glück im Jenseits vermitteltdagegen das durchgängige Motiv vonFenstern und das durch sie einfallendeTageslicht, welches mit dem trübenelektrischen Licht in Zelle undVerhörzimmer kontrastiert. Ob in derZelle oder im Lichthof des Justizgebäudeskurz vor der Hinrichtung:Stets geht ihr mal bitterer, mal hoffnungsvollerBlick nach draußen. Ihreletzten Worte lauten: „Die Sonnescheint noch.“AusstattungIn einem Geschichtsfilm muss diebehandelte Zeit oft erst aufwändigrekonstruiert werden, da die einstigenSchauplätze nicht mehr existierenoder sich stark verändert haben.Gerade in Filmen über den Nationalsozialismusstellen Hakenkreuzflaggen,Naziuniformen sowie Kostümeund Frisuren im Stil der 1940er-Jahreoft den eigentlichen Schauwert dar.Dagegen fällt die Ausstattung inSOPHIE SCHOLL – DIE LETZTENTAGE fast minimalistisch aus, beiden Kostümen überwiegen gedeckteFarben, auffällige Zeitbezüge wurdenvermieden. Die Ludwigstraße vor dererhalten gebliebenen MünchnerUniversität musste lediglich für einpaar Stunden abgesperrt werden.Der Schauprozess wurde in einemSaal des Rathauses gedreht, dieAtmosphäre, insbesondere Erscheinungund Sprachduktus RolandFreislers, wurden jedoch mittels derFilmaufnahmen vom Prozess gegendie Männer des 20. Juli detailgetreurekonstruiert. Die übrigen Innenräume,insbesondere Verhörzimmer undZellen, wurden zwar eigens auf demGelände der Bavaria-Filmstudios aufgebaut.Doch die kahlen Wände undspärlichen Einrichtungen lenken zukeiner Zeit von den Darstellern/innenab. Sie erzeugen einen gewollt trostlosenEindruck.Kamera und SchnittDie Verhöre von Sophie, Herzstückdes Films, werden in der geläufigen■ Schuss-Gegenschuss-Technikabgebildet. Hier hat die von MartinLanger geführte Kamera nur wenig10Filmheft SOPHIE SCHOLL – DIE LETZTEN TAGE
■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■KameraperspektivenDie übliche Kameraperspektive ist dieNormalsicht. Sie fängt das Geschehenin Augenhöhe der Handlungsfigurenein und versucht, unsere ‘normale’perspektivische Wahrnehmungabzubilden. Aus der Untersicht/Froschperspektive aufgenommeneObjekte und Personen können mächtigund bedrohlich wirken, während dieAufsicht/Obersicht/VogelperspektivePersonen als klein, hilflos oder einsaminszenieren kann. Die Schrägsicht/gekippteKamera evoziert einenirrealen Eindruck und wird häufig inHorrorfilmen eingesetzt.Spielraum. Sie bleibt meist auf mittlererDistanz, ■ Großaufnahmen vonGesichtern sind den Szenen vonProzess und Hinrichtung vorbehalten.Nicht die Kamera, sondern das Spielder Darsteller/innen soll die Identifikationmit ihnen ermöglichen. ■ AufundUntersichten kommen nur begrenztzum Einsatz. So etwa bei derersten Vernehmung der Geschwisterdurch Mohr, der aus Sicht der sitzendenSophie bedrohlich wirkt. In denVerhören allerdings begegnen sichMohr und Sophie auf Augenhöhe.Eine Ausnahme vom ruhigen Schnittrhythmusdes Films bildet die spannungsgeladeneFlugblattaktion, diezur Verhaftung von Hans und Sophieführt. Hier wird auch die äußerstbewegliche ■ Steadycam verwendet.Sie vermag dem Weg der Geschwisterüber Treppen und Emporen zu folgenund fängt die hastige Aktion ausunterschiedlichsten Perspektivendynamisch ein. Die Scholls werdendabei in schnellen Schnittwechselnsowohl von hinten als auch von vorngezeigt. Außerdem findet ein ständigerWechsel von Auf- und Untersichtenstatt. Ersteres vermittelt jeweilsein bedrohliches Gefühl des Beobachtetwerdens.Letzteres zeigt dieGeschwister als Handelnde. ZurVerdeutlichung des Fenstermotivs,das für Sophies nie ausgesprocheneHoffnung steht, kommt gelegentlichdie ■ subjektive Kamera zum Einsatz.In der Prozesssequenz ist bemerkenswert,dass hier wie schon in denVerhören auf Auf- und Untersichtenverzichtet wird, Freisler also nichtübermäßig dämonisiert wird.Musik und TonDer Film beginnt mit Swingmusik(„Sugar“ von Billie Holliday ) aus demRadio, deren Melodie und Text dieAkteurinnen nachzusingen versuchen.Durch die ■ Realmusik wirdeine glaubwürdige und zugleich persönlicheAtmosphäre geschaffen, inwelcher Sophie Scholl als vergnügtejunge Frau erscheint. Danach wirdMusik nur sehr sparsam, aber dramaturgischhöchst effektiv eingesetzt.Ein dramatischer Streichersatz begleitetin der Anfangssequenz denDruck eines Flugblattes. Die anschließendeFlugblattaktion und später dieFahrt zum Prozess sind mit DrumBeats unterlegt. Hierbei handelt essich um einen bewussten Anachronismus,der auch einem jüngerenPublikum mit anderen Hörgewohnheitendie Dynamik der Situation vermittelnsoll und eine stärkere Identifikationmit dem Geschehen in derGegenwart ermöglicht – schließlichhat die Bedeutung des Widerstandsbis heute nicht an Aktualität eingebüßt.Spannung wird auch auf derTonebene erzeugt: Die Schritte derGeschwister hallen durch den leerenLichthof, aus einem Saal sind gedämpftPassagen aus einer staatstheoretischenVorlesung, vermutlichvon Prof. Kurt Huber, zu hören.Später werden besonders emotionale,auch religiöse Momente wieSophies Gebete, von einfachenKlaviermelodien und Chormusikuntermalt.Schuss-Gegenschuss-Technikbezeichnet eine Sequenz von Einstellungen,in denen die Darsteller/inneninsbesondere während eines Dialogsabwechselnd gezeigt werden. Dabeibewegt sich die Kamera auf nur einerBlickachse.Subjektive Kameraauch: Point of view shot. Die Kameranimmt die Position einer Figur ein. DasBild zeigt also, was die Person selbstsieht. Die Wirkung ist besonders suggestiv.Steadycamam Körper des Kameramanns/derKamerafrau befestigtes Tragstativ mitFederungssystem, das auch beischnellen Bewegungen eine ruhigeBildführung ermöglicht.MusikDas Filmerlebnis wird zu einem gehörigenTeil von der Filmmusik beeinflusst.Sie kann Stimmungen begleiten (Illustration),in eine bestimmte Richtunglenken (Polarisierung) oder im krassenGegensatz zu den Bildern stehen(Kontrapunkt). Eine extreme Form derIllustration ist die Pointierung (auch:Mickeymousing), die nur kurze Momenteder Handlung mit passendenmusikalischen Signalen unterlegt. BeiSzenenwechseln, Ellipsen, Parallelmontagenoder Montagesequenzenfungiert die Musik als akustischeKlammer, in dem sie die Übergängeals zusammengehörig definiert.Realmusikim Rahmen der Handlung eingespielteMusik, also z. B. Musik aus dem Radiooder bei einer Tanzveranstaltung. Weildie Figuren sie selbst wahrnehmen,wirkt sie authentischer als die Filmkomposition.Filmheft SOPHIE SCHOLL – DIE LETZTEN TAGE11