■ ■Exemplarische SequenzanalyseIn der fünften Sequenz vollzieht sichin quälender Länge ein wichtiger Stimmungsumschwung.Hier zerschlägtsich Sophies Hoffnung auf baldigeFreilassung, die ihr der Ermittler Mohrin der vorigen Sequenz in Aussichtgestellt hat. Angekündigt durch dasden Film beherrschende Fenstermotivund einen markanten Positionswechselder Kamera, wendet sich SophiesSchicksal nach und nach ins Unvermeidliche.Sie muss dem Tod ins Augeblicken und ihre Strategie ändern.Schauplatz der Sequenz ist zunächstder Gefängnistrakt des WittelsbacherPalais’, dann das graue Verhörzimmer,das die Zuschauenden schon kennen.Sie schließt mit einem bewegenden Aktder Selbsterkenntnis und Sophies Geständnisnach zermürbendem Verhör.Sophie wird in ihre Zelle aufgenommen.Die Registrierung erledigt die MitgefangeneElse Gebel. Noch immer hofftSophie, wie auch der uninformierteTeil des Publikums, auf einen gutenAusgang der Geschichte. Die Aufmerksamkeitgilt vor allem Else, dieviele Fragen stellt und auch einSpitzel sein könnte. Kurz darauf wirdSophie erneut nach oben gebracht.Der Beamte Locher soll ihr einenEntlassungsschein ausstellen. Sieist nur noch Sekunden von ihrerFreilassung entfernt. Sie blicktlächelnd auf ein Fenster, hinter demsie die Freiheit wähnt. In Wahrheitbefindet sich hinter den Gittern nurnoch eine weitere Mauer – eine Metapherfür den weiteren Verlauf derHandlung. In diesem Moment klingeltdas Telefon.Sophie wird erneut in Mohrs Verhörzimmergebracht. Es ist abgedunkelt,das Zeitgefühl geht immer mehr verloren.Das Verhör wird wie schon zuvorin Schuss-Gegenschuss-Technikabgebildet. Die Bildausschnitte zeigennur die jeweilige Person von Tischhöheaufwärts, meist mit dem Hinterkopfdes Gesprächspartners im Vordergrund– so wird eine beengendeAtmosphäre aufgebaut. Mohr stelltFragen zu den politischen Ansichtenvon Sophies Vater, ihrer Zeit beimBDM und ihrem Verlobten Fritz. Dannkonfrontiert er sie mit Beweisstücken,die dem Publikum aus einer vorigenSequenz bereits bekannt sind: Pistole,Munition und Briefmarken stammenaus Hans’ Schublade. Wegen derBriefmarken gerät Mohr in Rage. Erverliest Auszüge aus einem Flugblatt.Es wurde auf der Schreibmaschineder Scholls geschrieben. Bei dieserErklärung springt Mohr wütend auf,während die Kamera einen Positionswechselum 90 Grad unternimmt.Sie zeigt nun beide von der Seite,die Zuschauenden sind also auchbildlich mit einer neuen Situation kon-12Filmheft SOPHIE SCHOLL – DIE LETZTEN TAGE
■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■BeleuchtungIn Anlehnung an die Schwarzweißfotografieunterscheidet man grundsätzlichdrei Beleuchtungsstile: der Normalstilimitiert die natürlichen Sehgewohnheitenund sorgt für eine ausgewogeneHell-Dunkel-Verteilung. Der Low-Key-Stil betont die Schattenführung undwirkt spannungssteigernd (Kriminal-,Actionfilme). Der High-Key-Stil beleuchtetdie Szenerie gleichmäßig bisübermäßig und kann eine optimistischeGrundstimmung verstärken (Komödien).frontiert: Ein weiteres Leugnen machtkeinen Sinn mehr.Als Mohr den Raum kurz verlässt, wirddie Zimmerperspektive Schnitt fürSchnitt ausgeweitet. Man sieht nundie Protokolldame, den Beisitzer, imHintergrund Vorhänge. Zuvor nur verdächtigt,war Sophie von dieser Umgebungoptisch getrennt. Als überführteTäterin ist sie ihr als Teil des Ganzenschutzlos ausgeliefert. Mohr kehrtzurück und zeigt ihr ein zerrissenes,mühsam zusammengeklebtes Flugblatt(Großaufnahme). Er benenntChristoph Probst als Urheber. Auf diesenneuen Beweis folgt wiederum einPositionswechsel. Außerdem wirdMohr nun gelegentlich aus leichterUntersicht gefilmt, was seine gestärktePosition zum Ausdruck bringt. Unterder Beweislast gesteht Sophie. Nochimmer nimmt sie ihren Bruder undChristoph in Schutz.Auf wiederholte Bitte wird sie vonLocher auf die Toilette begleitet. Dortblickt sie bedrückt in den Spiegel.Die Zuschauenden sehen nun zweiSophies. Sie versinnbildlichen diekommende Trennung von Leib undSeele durch den Tod. Mit ihrem letztenSpiegelbild nimmt Sophie Abschiedvon sich selbst. Sie weint (leise Klaviermusik).Locher ruft sie heraus. Siewischt sich die Tränen ab, die niemandsehen soll. Im Verhörzimmeröffnet Mohr das Fenster. Es ist wiederTag. Sophie unterschreibt ihr Geständnis.EinstellungsgrößenIn der Filmsprache haben sich folgendeacht Einstellungsgrößen durchgesetzt:Detailaufnahme (Detail-Shot/Extreme-Close-Up) – umfasst nur bestimmteKörperteile einer Person, wie etwa dieAugen oder Hände, Großaufnahme(Close-Up) – umfasst den Kopf komplettoder leicht angeschnitten, Naheinstellung(Medium-Close-Shot/Medium-Close-Up) – erfasst bis zueinem Drittel des Körpers („Passfoto“),Amerikanische Einstellung (Medium-Shot/Knee-Shot) – häufig in Westernverwendet, erfasst eine Person ab Coltbzw. Hüfte an aufwärts, Halbnah (Mid-/Medium-Shot) – erfasst etwa zweiDrittel des Körpers, Halbtotale (Medium-Long-Shot/Full-Shot)– Personwird in ihrer Umgebung gezeigt, Totale(Long-Shot) – erfasst die maximaleBildfläche mit all ihren agierendenPersonen, wird häufig als einführendeEinstellung verwendet, Panorama/Weit (Extreme-Long-Shot) – Landschaftsaufnahme.Groß- und Nahaufnahmebetonen vor allem die Mimik,während Halbnah und Halbtotale dieGestik und Proxemik (Körpersprache)der Schauspieler hervorheben und indie unmittelbare Umgebung einbeziehen.Off-/On-TonIst die Quelle des Tons im Bild zusehen, spricht man von On-Ton, ist sienicht im Bild zu sehen, handelt es sichum Off-Ton. Beim Off-Ton ist zu unterscheiden,ob die Geräusche, Sprache,Musik zur logischen Umgebung in derSzene gehören (Türschließen, Dialog,Radiomusik) oder ob sie davon unabhängigaußerhalb der Szene eingesetztwerden (Erzähler-Kommentar, Filmmusik).Filmheft SOPHIE SCHOLL – DIE LETZTEN TAGE13