4 / Frauenrechte in <strong>Afghanistan</strong>TERRORTAKTIKEine Frau, die für eine der von Frauen geführten NGOs in der ProvinzHelmand arbeitet, berichtete <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong> Folgendes:„Ich habe zahlreiche Todesdrohungen von den Taliban erhalten. Einmal riefmich jemand an, um mir zu sagen, wenn ich mich weiterhin für Frauenangelegenheiteneinsetzen würde, würde er mich töten und meinen Körper in derStadt Lashkar Gah aufhängen. Ich hatte Angst und musste mit meiner Familiefür eine Weile nach Kabul fliehen. Jetzt sind meine Kinder in Kabul, währendich wieder in Helmand arbeite …Wir halten uns bedeckt, wir wagen es nicht, mit einem Schild auf unser Büroaufmerksam zu machen, und wir arbeiten in einem Privathaus. Wenn dieTaliban wüssten, wo wir unser Büro haben, würden sie es in die Luft sprengen.Auch Frauen, die mit uns arbeiten, bleiben lieber inkognito und unsichtbar.“Die Leiterin einer NGO in der Provinz Helmand berichtete Folgendes:„Wir müssen uns versteckt halten und von zuhause aus arbeiten, wir bringenkeine Schilder vor dem Büro an. Wir werden jeden Tag von den Taliban bedroht.Wenn sie wüssten, dass wir für Frauen arbeiten und uns fänden, würden sieuns töten.“Es ist daher keine Überraschung, dass sich im Süden <strong>Afghanistan</strong>s kaum 20NGOs für die Rechte von Frauen einsetzen. In der Provinz Zabul gibt es keineFrauenorganisation und in den Provinzen Kandahar und Helmand nur sehrwenige. Besonders gefährdet sind Frauenrechtlerinnen, die in von aufständischenTaliban kontrollierten Gebieten versuchen, Frauen und Mädchen Zugangzu Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen zu verschaffen. Gefährdet sindhier nicht nur die Arbeit und das Leben der LeistungsträgerInnen und desLehrpersonals, sondern auch das Leben der Schülerinnen.Ausbildung von Mädchen und den Zugang von Frauenzu staatlichen Grundleistungen seien in diesen Provinzenstark rückläufig.NACHTBRIEFEDie Taliban und andere aufständische Gruppen habendurch die von ihnen verbreiteten „Nachtbriefe“ ein Klimader Angst geschaffen. Dabei handelt es sich um Drohschreibenoder -plakate, die nachts an Bäume, Moscheenoder Türen angeschlagen werden. In den Schreibenwird vor Angriffen vermeintlicher „Spione“ gewarnt, diefür die internationalen Streitkräfte tätig seien, oder vorRegierungssympathisantInnen, darunter LehrerInnenund BeamtInnen. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlenverbreiteten die Taliban Nachtbriefe, in denen sie allen,deren Finger unauslöschliche Tintenspuren aufwiesen,mit dem Abschneiden ihres Fingers drohten. (Nach derStimmabgabe werden die Finger der Wählenden in denWahllokalen in Tinte getaucht, um wiederholte Stimmabgabenzu verhindern.)BILDUNG FÜR MÄDCHENEs gibt destruktive Elemente, die nicht wollen,dass Mädchen weiter zur Schule gehen.Aus einer offiziellen Stellungnahme des afghanischen BildungsministeriumsERNEUT IN GEFAHRNach dem Sturz der Taliban begannen Frauen und Mädchennach und nach, ihre grundlegenden Menschenrechtezurückzufordern: Sie suchten sich Arbeit, schicktenihre Töchter zur Schule und nahmen an lokalen undnationalen Wahlen teil. Einige stiegen unter großempersönlichen Risiko in die Politik ein. Doch seitdem es2005 wieder zu aufständischen Aktivitäten durch dieTaliban und andere regierungsfeindliche Gruppen kam,sind die Menschenrechte von Frauen und Mädchenerneut in Gefahr.Positive Entwicklungen für Frauen in Taliban-kontrolliertenGebieten rückläufig:<strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong> hat zahlreiche Personen zu denFolgen der Taliban-Aufstände in den Provinzen Ghazni,Logar und Wardak interviewt. Frauenbeauftragten inGhazni und Wardak zufolge machten direkte Drohungender Taliban und die Angst um die eigene SicherheitReisen in Gebiete außerhalb der Provinzhauptstädte unmöglich.Die positiven Entwicklungen in Bezug auf dieSeit 2006 haben die Taliban und andere aufständischeGruppen wiederholt Schulen mit Raketen, Bomben undSprengsätzen angegriffen. Ein klares gemeinsames Motivdieser Angriffe ist, die Autorität der Zentralregierung zuuntergraben und die Menschen vor Ort davor abzuschrecken,staatliche Leistungen in Anspruch zu nehmen. DieFolge sind neben Todesfällen und Verletzungen innerhalbder Zivilbevölkerung die ernsthafte Gefährdung einesbereits fragilen Bildungssystems.Bildungseinrichtungen für Mädchen wurden von denTaliban und anderen bewaffneten Gruppen besondershart getroffen. Sie griffen LehrerInnen und SchülerInnenan und attackierten Mädchenschulen.„Wir werden Sie nicht allein lassen, wirwerden Ihnen stets zur Seite stehen ... esist wichtig, dass die Rechte und Chancenvon Frauen im Versöhnungsprozess nichtgeopfert oder mit Füßen getreten werden.“US-Außenministerin Hillary Clinton in ihrer Rede vor weiblichen Mitgliedernder afghanischen Regierung 2010
<strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong>Frauenrechte in <strong>Afghanistan</strong> / 5Eine während der Herrschaft der Taliban in <strong>Afghanistan</strong> geflüchtete afghanische Lehrerin beim Unterricht an einer Grundschule im pakistanischen Peschawar.Sie durfte ihre Tätigkeit im eigenen Land nicht ausüben. © Fernando Moleres / Panos Pictures<strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong> liegen Informationen vor, nachdenen zwischen März und Dezember 2010 74 Schulenaufgrund von Gewalt zerstört wurden oder geschlossenwerden mussten, darunter Bombenangriffe, Giftanschlägeauf SchülerInnen, Brandstiftung und Drohungen. Vondiesen Angriffen richteten sich 26 gegen Mädchenschulen,13 gegen Jungenschulen und 35 gegen Schulen, die gemischteKlassen hatten oder nicht eindeutig als reine Mädchen-oder Jungenschulen identifiziert werden konnten.Derartige Angriffe und Bedrohungen schlagen Wellen undsorgen dafür, dass Schulen in der Umgebung geschlossenwerden oder die Anzahl von SchülerInnen sinken,da Eltern und SchülerInnen Angst vor weiterer Gewalthaben. Seit 2005 scheinen Nachtbriefe und Einschüchterungsversuchenoch allgegenwärtiger geworden zusein. Sie brachten LehrerInnen dazu, ihre Arbeit niederzulegen,und Eltern, ihre Kinder daheim zu behalten.In einem Nachtbrief hieß es: „Wenn ihr in der Welt undim Jenseits sicher sein wollt, dann begebt euch nicht indie Zentren, die von Ungläubigen geschaffen wurden.“Weiter heißt es: „Lehrergehälter werden von Ungläubigengezahlt. Solange ihr weiter von ihnen bezahlt werdet, seidihr für uns Marionetten der Amerikaner.“Das afghanische Bildungsministerium berichtete 2010,dass wegen mangelnder Sicherheit 34 Prozent der Schulenin Helmand und 61 Prozent der Schulen in Zabulgeschlossen blieben.In einem Telefoninterview mit <strong>Amnesty</strong> <strong>International</strong> behaupteteder Sprecher der Taliban, Qari Yousef Ahmadi,die Taliban würden Schulen „schließen“, deren „Bücherin den USA gedruckt worden“ seien und deren „Lehrplänevon Ausländern ausgearbeitet wurden“. Er versicherte,die Taliban seien „gegen die Lehrpläne, nicht gegenSchulgebäude“.POLITISCH<strong>ES</strong> LEBENIn der Politik tätige Frauen, darunter Parlamentsabgeordneteund Provinzrätinnen, sind Angriffen und Drohungenseitens der Taliban und anderer bewaffneter Gruppenausgesetzt. Dies ist nicht nur eine Gefährdung politischaktiver Frauen, sondern schränkt auch deren Möglichkeitenzur Verteidigung der Rechte aller afghanischenFrauen und Mädchen ein.Im April 2010 schwebte Nida Khyani, ein weiblichesMitglied des Provinzrats, in Lebensgefahr, nachdem siein Pul-e-Khumri, der Hauptstadt der Provinz Baghlan inNordafghanistan, aus einem vorbeifahrenden Auto angeschossenworden war.