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Zusammenfassung der Studie (pdf) - Stiftung Melchior

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STIFTUNG MELCHIOREINE C-ORGANISATION DER GGG BASELPSYCHOSOZIALE DIENSTLEISTUNGENTREFFPUNKT • ANGEHÖRIGEN-SELBSTHILFETAGESSTÄTTE • WOHNHEIM PHOENIXTagesstrukturierende Angebote für psychisch kranke MenschenBedarf, Klientel, Ausrichtung und Nutzen tagesstrukturieren<strong>der</strong> Angebote aus Sicht <strong>der</strong>BesucherInnen, Zuweisenden und MitarbeitendenAutoren: Niklas Baer, Tanja Fasel, Fachstelle für Psychiatrische Rehabilitation Liestal, BLFelix Amsler, Amsler Consulting<strong>Studie</strong> im Auftrag <strong>der</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Melchior</strong>, Basel, 20. November 2007<strong>Zusammenfassung</strong> und Empfehlungen für die Praxis<strong>Stiftung</strong> <strong>Melchior</strong> stösst Forschung in vernachlässigtem Gebiet anTagesstätten und Treffpunkte sind unbestritten ein bedeutsamer Bestandteil <strong>der</strong> psychiatrischenVersorgung für schwer und chronisch psychisch kranke Menschen. Die Tagesstättentragen dazu bei, dass auch Patienten mit eingeschränkter Krankheitseinsicht, Belastbarkeitund Verlässlichkeit ausserhalb psychiatrischer Kliniken in ihrer vertrauten Umgebung lebenkönnen.Gleichzeitig sind Art und Ausmass <strong>der</strong> Wirksamkeit <strong>der</strong> Tagesstätten-Versorgung bishernoch wenig untersucht. Es ist nur wenig bekannt über Bedürfnisse, Zufriedenheit undProbleme <strong>der</strong> Besucherinnen und Besucher dieser Einrichtungen. Die <strong>Stiftung</strong> <strong>Melchior</strong> regtedeshalb im Jahr 2005 diese Untersuchung an und leistet damit einen wichtigen Beitrag zurfachlichen Diskussion und zur institutionellen Entwicklung in diesem wissenschaftlich bishervernachlässigten Versorgungsbereich.Ambulante Versorgung gewinnt an BedeutungSeit <strong>der</strong> Gründung des Treffpunkts „Demokratische Psychiatrie“ <strong>der</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Melchior</strong> 1980hat sich die psychiatrische Versorgung stark verän<strong>der</strong>t. War ein Klinikaufenthalt früher quasidie letzte und dauerhafte Massnahme nachdem alle Lösungsversuche fehlgeschlagenhatten, so ist die Klinik heute für die meisten auch schwerer kranken PatientInnen nur einekurze, eventuell wie<strong>der</strong>holte Durchgangsstation in ihrem Krankheits- und Gesundungsverlauf.Entsprechend hat die ambulante Versorgung psychisch Kranker, und damit auch dieTagesversorgung, stark an Bedeutung gewonnen.Fragestellung und MethodikDie Untersuchung sollte in erster Linie folgende Hauptfragen beantworten:1. Zielgruppe/Indikation: Welche Klienten haben Bedarf nach nicht-medizinischentagesstrukturierenden Angeboten?1


2. Qualitativer und quantitativer Bedarf: Welche Art von Unterstützung brauchen dieKlienten von tagesstrukturierenden Angeboten, und wie umfangreich ist in etwa <strong>der</strong>Bedarf nach solchen Angeboten in <strong>der</strong> Region?3. Nutzen/Wirkung: Welchen Nutzen haben BesucherInnen von tagesstrukturierendenAngeboten, wo liegen die Gründe, dass Klienten trotz Bedarf solche Einrichtungennicht besuchen und welche Effekte hat das Vorhandensein solcher Angebote auf dieInanspruchnahme <strong>der</strong> psychiatrischen Versorgung in <strong>der</strong> Region?4. Konzeption: Wie positionieren sich Tagesstätten und Treffpunkte fachlich und welcheAngebote bieten sie an?Die Untersuchung hat methodisch verschiedene Zugänge in einem zeitlichen Aufbauvorgenommen:• Qualitativer Untersuchungsteil mit teilnehmen<strong>der</strong> Beobachtung in Tagesstätte undTreffpunkt <strong>der</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Melchior</strong>, Workshops mit den Teams, Workshops mit an<strong>der</strong>enTagesstätten in <strong>der</strong> Schweiz, sowie Interviews mit BesucherInnen• Literaturrecherche zur Tagesversorgung• Einbezug von interessierten BesucherInnen <strong>der</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Melchior</strong>, welche gegenHonorierung IV-berentete Bekannte und Freunde anonymisiert befragten, um mehrüber diejenigen psychisch Kranken zu erfahren, die Unterstützung nötig hätten,solche aber nicht in Anspruch nehmen.• Schriftliche Befragung: Nie<strong>der</strong>gelassene Psychiater bei<strong>der</strong> Basel (Rücklauf 32%),25 Vertreter <strong>der</strong> psychiatrischen Kliniken, Tageskliniken und ambulanten Dienste inBasel-Stadt und Basel-Landschaft, 18 Tagesstätten in <strong>der</strong> SchweizDie wichtigsten ResultateAngebot erreicht Zielgruppe und umgekehrtDiejenigen Menschen, für welche diese Einrichtungen ursprünglich gedacht waren, werdenauch heute noch aufgenommen: Es handelt sich häufig um einsame, schwer und chronischpsychisch kranke Menschen, die sozial isoliert o<strong>der</strong> in einem Wohnheim leben, keinerBeschäftigung nachgehen, den Tag nicht strukturieren können und nicht mehr stationärbehandelt werden. Tagesstätten in <strong>der</strong> Schweiz werden vor allem von Menschen mitSchizophrenie, Depression, Persönlichkeitsstörung sowie Angst- und Zwangserkrankung inAnspruch genommen. Die BesucherInnen sind grösstenteils schon seit mehr als 10 Jahrenkrank. Viele sind psychisch instabil und rückfallgefährdet, leiden unter einem geringenSelbstwertgefühl, an mangelndem Lebenssinn und pflegen oft einen Lebensstil, <strong>der</strong> ihrekörperliche Gesundheit gefährdet.Am Wichtigsten: Beziehung, Zuwendung, Sozialkontakte, TagesstrukturDie persönliche Betreuung durch Teammitglie<strong>der</strong> und die in <strong>der</strong> Institution möglichen Sozialkontaktewerden von den BesucherInnen als hilfreichste Aspekte von Tagesstätten erlebt.Das "Einfach-dort-sein" wird als am wenigsten hilfreich empfunden. Beson<strong>der</strong>s wichtig ist fürdie BesucherInnen die erhaltene "Zuwendung", dass sie geschätzt und akzeptiert werdenund dass sie jemandem, <strong>der</strong> sich Zeit nimmt von ihren Problemen erzählen können. DieTagesstätte ist zudem für einen kleineren, 'treuen' Teil <strong>der</strong> Klientel eine Art Zufluchtsort, <strong>der</strong>in ihrem Leben existentielle Bedeutung hat. Für die Betroffenen selbst stehen demnach dieBeziehungen zum Personal und dessen Verständnis und Zuwendung an erster Stelle. Fürpsychiatrische Fachpersonen und Tagesstätten stehen dagegen eher Tagesstruktur, Sozialkontakte,Stabilisierung, Rückfallprophylaxe, Training und Selbstwertaufbau im Vor<strong>der</strong>grund.2


Quantitativer BedarfEs kann davon ausgegangen werden, dass es in <strong>der</strong> Region Basel einen Bedarf nachtagesstrukturierenden Angeboten gibt, <strong>der</strong> etwa doppelt so hoch ist wie die Anzahl <strong>der</strong>aktuellen BesucherInnen von Tagesstätten. Hier muss aber berücksichtigt werden, dassdieser Bedarf prinzipiell auch durch an<strong>der</strong>e Angebote gedeckt werden könnte, beispielsweiseArbeitsangebote. Zudem bezieht ein erheblicher Teil dieser Bedarfspatienten keine IV-Rente,was meist eine Voraussetzung für den Tagesstättenbesuch ist.Die Hauptgründe trotz Bedarf kein Angebot aufzusuchen sind: Ängste, Hemmungen undScham eine Tagesstätte zu besuchen. Scheu in Kontakt mit lauten o<strong>der</strong> störendenBesucherInnen zu kommen, finden das Angebot unattraktiv, erfüllen Aufnahmekriterien nicht(keine IV-Rente, Bestimmungen zu hochschwellig).Wirkung bestätigt: Tagesstrukturierende Angebote sind hilfreich und kostengünstigDie BesucherInnen von Tagesstätte und Treffpunkt <strong>der</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Melchior</strong> berichten, dass sieeinen sehr grossen Nutzen aus dem Besuch ziehen. Dies sehen auch die Professionellenso: 93% <strong>der</strong> privaten Psychiater und 90% <strong>der</strong> Vertreter psychiatrischer Institutionen nehmenbei ihren PatientInnen einen grossen o<strong>der</strong> sehr grossen Nutzen durch solche Angebotewahr.Der überwiegende Teil <strong>der</strong> psychiatrischen Fachleute geht zudem davon aus, dass beieinem Wegfall <strong>der</strong>artiger Einrichtungen die Inanspruchnahme <strong>der</strong> ambulanten wie auch <strong>der</strong>stationären Versorgung ansteigen würde und geht von einem mehr als 5 % Zuwachs <strong>der</strong>psychiatrischen Inanspruchnahme aus. Grob geschätzt würden allein die vermehrten stationärenHospitalisationen bei einem Zuwachs von 5% jährlich Kosten von rund 5 MillionenFranken ausmachen. Das ist in etwa dieselbe Grössenordnung wie die Gesamtkosten <strong>der</strong>Tagesstättenversorgung in <strong>der</strong> Region. Betrachtet man die doch markant behin<strong>der</strong>te Klientel,so wird verständlich, dass ein Wegfall <strong>der</strong> strukturierenden und Kontakt ermöglichendenEinrichtungen bei einem Teil <strong>der</strong> BesucherInnen relativ rasch zu Verwahrlosung und einemerhöhten Hospitalisierungs-Risiko führen könnte.Fachliche Positionierung tagesstrukturieren<strong>der</strong> AngeboteZum Angebot von Tagesstätten gehören: Selbstwertstärkung, Zuhören und Verstehen,För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> sozialen Zugehörigkeit in <strong>der</strong> Tagesstätte, Vermittlung von Aufgehobensein,Einüben erwünschter Verhaltensweisen, Ausleben kreativer und musischer Fähigkeiten,Perspektive geben, Hilfen zur Bewältigung von Stigmatisierung und Einüben von gesundheitsbezogenemVerhalten. Weniger oft bieten sie Unterstützung in folgenden Bereichen an:Praktische Unterstützung, Vermittlung von Arbeit und Beschäftigung, Teilnahme am öffentlichenLeben sowie Training von Arbeitsgrundfähigkeiten. Das bedeutet, dass Tagesstättenvor allem Hilfen anbieten, die sich auf das soziale Leben in <strong>der</strong> Tagesstätte beziehen undweniger Hilfen, die nach aussen gerichtet sind.PsychiaterInnen ihrerseits schätzen an Tagesstätten <strong>der</strong>en För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> sozialen Kontakte,<strong>der</strong>en Akzeptanz, Verständnis und Wertschätzung den Klienten gegenüber und <strong>der</strong>enstützende Funktion. Negativ erwähnen sie Tendenzen <strong>der</strong> "Ghettoisierung" und"Chronifizierung", die Anspruchslosigkeit und die teilweise mangelnde Vernetzung mitan<strong>der</strong>en Institutionen.Obwohl ein beträchtlicher Teil <strong>der</strong> Mitarbeitenden von Tagesstätten über eine Ausbildungo<strong>der</strong> über Arbeitserfahrung in <strong>der</strong> Psychiatrie verfügt und obwohl es sich bei <strong>der</strong> Klientel umoft schwer und chronisch kranke Menschen handelt, haben die Kenntnis <strong>der</strong> psychiatrischenVorgeschichte <strong>der</strong> BesucherInnen und <strong>der</strong>en Diagnose im Alltag <strong>der</strong> Tagesstätten keinensehr hohen Stellenwert. Man will oft bewusst nicht die 'kranke' Seite fokussieren, son<strong>der</strong>n die'gesunde' Seite <strong>der</strong> BesucherInnen.Dabei muss man sich aber fragen, wie man Ressourcen för<strong>der</strong>n kann, wenn man dieKrankheiten und Grenzen <strong>der</strong> Klientel nicht genau kennt.3


Die wichtigsten Empfehlungen und Entwicklungspotentiale• Rehabilitative und integrierende Wirkung verstärkenDie Tagesstätten könnten ihre rehabilitative und sozial integrierende Funktion nochweiter verstärken. Dies gilt nicht für alle KlientInnen, aber es könnte hilfreich sein,noch genauer abzuklären, welche weiteren Schritte bei einem Besucher in RichtungAutonomie kurz- o<strong>der</strong> langfristig möglich wären.• Klarere und vor allem auch benannte Leistungsgruppen für definierteKlientengruppen: Obwohl es eine klare „Kernklientel“ gibt, sind die BesucherInnendoch ziemlich heterogen und haben unterschiedliche Bedürfnisse. Unterscheidenliessen sich beispielsweise innnerhalb <strong>der</strong> Tagesstätte ein eher rehabilitativzielorientiertes Angebot und ein eher betreuungsorientiertes Kontaktangebot.• Kernkompetenzen, Angebote und Wirkung präziser formulieren und dadurch anProfil und Professionalität gewinnen.• Zwischenmenschliche Betreuung durch die Mitarbeitenden ist von zentralerBedeutung - auch hier den konkreten rehabilitativen Nutzen aufzeigen.• Nach aussen arbeiten: Zusammenarbeit mit rehabilitativ weiterführendenEinrichtungen sowie den psychiatrischen Fachleuten intensivieren.Fokus nicht nur auf <strong>der</strong> sozialen Integration innerhalb <strong>der</strong> Tagesstätte legen, son<strong>der</strong>nnoch stärker auf Bereiche ausserhalb <strong>der</strong> Tagesstätte. Beispielsweise könnte manvermehrt mit BesucherInnen trainieren, dass sie vermehrt in die Stadt gehen,gesellschaftliche und kulturelle Angebote nutzen, und die Tagesstätte nur nochzwischendurch benötigen.• Gezielter Einsatz psychiatrischer Kenntnisse in den Tagesstätten:Funktionseinbussen und Defizite <strong>der</strong> Besucher eruieren als Teil des Gesamtsicht undBasis für die gezielte rehabilitative För<strong>der</strong>ung.• Überprüfung potentieller, neuer Klientengruppen:Beispielsweise Menschen mit Migrationshintergrund• Interessierten Patienten Zugang erleichtern: Abbau von Schwellenängsten indemPatienten Angebot schon vor Austritt in <strong>der</strong> Klinik näher kennen lernen.• Prüfenswert: Praktische Hilfen im Alltag <strong>der</strong> BesucherInnen, beispielsweiseHausbesuche o<strong>der</strong> Begleitung bei Behördengängen etc. Anstatt die KlientInnen nur in<strong>der</strong> Tagesstätte zu empfangen könnte man sie vermehrt bei ihnen zu Hause sehen.Anmerkung:Sämtliche hier aufgelisteten Empfehlungen wurden geprüft, fliessen aktuell in die Konzepteund die Arbeitsweise <strong>der</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Melchior</strong> ein, o<strong>der</strong> sind als grössere Massnahmenpaketefür die Entwicklung und Umsetzung 2008 geplant.Die <strong>Stiftung</strong> <strong>Melchior</strong> überprüft zudem, inwiefern oben genannte Empfehlungen auch für ihrean<strong>der</strong>en Bereiche, für das Wohnheim Phönix und für den Angehörigen-SelbsthilfebereichRelevanz haben.4

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