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Schättruum<br />
Fotos: Fotolia, Sybex, istock<br />
Am 14. April fand der erste<br />
bundesweite Jungen-Zukunftstag<br />
parallel zum Girls’ Day<br />
statt. Jungs hatten die Chance, in<br />
frauentypische Berufsbereiche<br />
hineinzuschnuppern, in denen<br />
bisher nur wenige Männer arbeiten.<br />
Philip Stegert aus Neumünster<br />
entschied sich zur Teilnahme<br />
am Aktionstag „Coole<br />
Jungs sind sozial“. Dieser Aktionstag<br />
wurde vom Zentrum<br />
für Berufliche Bildung der Diakonie<br />
Altholstein veranstaltet.<br />
Die Schättruum-Redaktion hat<br />
den 14-jährigen Schüler des<br />
Immanuel-Kant-Gymnasiums in<br />
Neumünster während seines Boys’<br />
Days begleitet.<br />
8.30<br />
Uhr<br />
Seminarraum 4 des<br />
Zentrums für Berufliche<br />
Bildung bei der<br />
Diakonie Altholstein<br />
in Neumünster.<br />
Philip<br />
Stegert sitzt an einem<br />
großen Konferenztisch<br />
– allein. Weil von den<br />
ursprünglich drei angemeldeten<br />
Jungs kurzfristig<br />
zwei abgesprungen<br />
sind, ist er an diesem<br />
Morgen plötzlich<br />
der einzige Teilnehmer.<br />
Nicole Rönnspieß, FachbereichsleitungQualifizierung,<br />
und Ausbildungsvermittler<br />
Auch für Jungs interessant: Thomas<br />
Rösner von der Bundesagentur für<br />
Arbeit gab Philip Hinweise zu<br />
mädchentypischen Berufsfeldern.<br />
Fotos: Bromm-Krieger<br />
Thomas Rösner von der Bundesagentur<br />
für Arbeit begrüßen ihn<br />
umso herzlicher. Sozialpädagogin<br />
Iris Lüder informiert Philip, welche<br />
Programmpunkte ihn erwarten.<br />
Mit dem Video „ Eigentlich wollte<br />
ich Fußballprofi werden“ startet er<br />
in seinen Aktionstag. In dem Kurzfilm<br />
geben fünf männliche Auszubildende<br />
über ihren Berufsalltag<br />
als Grundschullehrer, Altenpfleger,<br />
Tiermedizinischer Fachassistent,<br />
Erzieher und Bekleidungstechnischer<br />
Assistent Auskunft.<br />
Thomas Rösner<br />
Unter den Augen von Anleiterin<br />
Ursula Bruhn steht Philip das erste<br />
Mal am Bügelbrett.<br />
Redaktion: Ann-Katrin Gerwers<br />
Gestaltung: Sonja Langbehn<br />
Boys’ Day 2011<br />
Coole Jungs sind sozial<br />
merkt an, dass Jugendliche bei<br />
ihrer Berufsentscheidung meist<br />
nur die Top-20-Berufe im Blick<br />
haben. Jungen lernen beispielsweise<br />
Kfz-Mechaniker oder<br />
Maler, Mädchen Einzelhandels-<br />
oder Bürokauffrau<br />
und Erzieherin.<br />
„Durch den Boys’ und<br />
Girls’ Day wollen wir<br />
Jungs und Mädchen die<br />
Chance geben, ihren Horizont<br />
zu erweitern und<br />
<strong>neu</strong>e Berufe kennenzulernen,<br />
und zwar jenseits<br />
der Klischees, was für<br />
Jungs oder Mädchen<br />
typisch ist“, betont der<br />
Mann vom Arbeitsamt.<br />
9.15<br />
Uhr<br />
Sybille Pickert, Altenpflegerin<br />
und Lehrerin<br />
für Pflegeberufe, zeigt<br />
Philip, wie man sich<br />
fachgerecht die Hände des-<br />
infiziert. „Bevor du in der Pflege<br />
einen Menschen wäschst oder eincremst,<br />
musst du dir die Hände<br />
desinfizieren. Du darfst aufgrund<br />
der Hygienevorschriften und<br />
wegen der Verletzungsgefahr<br />
auch keine Uhr und keinen<br />
Schmuck im Dienst tragen“, erklärt<br />
Pickert. Philip sprüht sich ein<br />
Desinfektionsspray auf die Hände<br />
und verreibt es sehr sorgfältig,<br />
damit die Hände steril (keimfrei)<br />
werden. Das Spray klebt ein bisschen<br />
an den Fingern, und die<br />
Haut fühlt sich nach der Prozedur<br />
stumpf an. „Nach der Pflege<br />
immer die Hände eincremen,<br />
damit die Haut nicht austrocknet“,<br />
empfiehlt Pickert. Als Nächstes<br />
kommt die „Pulsuhr“ zum<br />
Einsatz. Mit ihr kann Philip kinderleicht<br />
den Pulsschlag einer Person<br />
ermitteln. „In der Altenpflege<br />
messen wir regelmäßig den Puls,<br />
um festzustellen, ob es dem alten<br />
Menschen gut geht. 60 bis 80<br />
Schläge pro Minute sind normal,<br />
wenn der Mensch ausgeruht ist“,<br />
weiß Pickert. Sei der Puls niedriger<br />
oder höher, könne das auf<br />
Muss man als Altenpfleger können:<br />
Philip misst mit der Pulsuhr, die eine<br />
Viertelminute läuft, den Puls von<br />
Lehrerin Sybille Pickert.<br />
eine Erkrankung<br />
hinweisen. Den Puls dürfe man<br />
selbstverständlich nicht mit dem<br />
Daumen messen, sonst spüre man<br />
nur seinen eigenen Puls. Mit drei<br />
Fingern misst Philip konzentriert<br />
eine Viertelminute lang den Puls<br />
von Frau Pickert. 19 Schläge zählt<br />
er. Um den Pulsschlag pro Minute<br />
zu errechnen, muss er die Summe<br />
mal vier nehmen. Frau Pickert
Philip schnupperte auch in den<br />
Berufsalltag eines Erziehers hinein.<br />
hat also einen Pulsschlag<br />
von 76. „Das Messen<br />
hast du prima gemacht“, lobt<br />
sie ihn. Dann will die Lehrerin<br />
noch schnell den Puls von<br />
Philip messen. Sein Puls ist<br />
durch die ganze Aufregung auf<br />
96 geklettert. Philip schmunzelt.<br />
Verdammt anstrengend, allein im<br />
Mittelpunkt zu stehen.<br />
Schon wieder erscheint<br />
ein <strong>neu</strong>es Gesicht in der<br />
Tür. Es ist Silke Runge,<br />
Ökotrophologin (Ernährungsfachfrau)<br />
und<br />
Lehrkraft im Zentrum<br />
für Berufliche Bildung. Sie<br />
10<br />
Uhr<br />
nimmt Philip mit in die Lehrküche.<br />
Dort soll er einen Obstsalat<br />
und eine Quarkspeise zubereiten.<br />
Doch zuerst: Hände waschen,<br />
Schürze umbinden, Kopftuch aufsetzen,<br />
damit keine Haare ins<br />
Essen fallen. Frau Runge zeigt<br />
Philip, wie er das Obst mit einem<br />
scharfen Messer in mundgerechte<br />
Stücke schneiden kann, ohne sich<br />
zu verletzten. Das Zauberwort<br />
heißt „Krallengriff“. Die Finger<br />
werden dabei so gehalten, dass sie<br />
der Klinge keine Angriffsfläche<br />
bieten. Beim Obstschnippeln lässt<br />
Philip an den Äpfeln die Schale<br />
dran – wegen der wertvollen Ballaststoffe<br />
und Vitamine. Etwas Zitronensaft<br />
sorgt dafür, dass die<br />
Obststückchen nicht braun werden.<br />
Philip verrät, dass dieses sein<br />
erster selbst hergestellter Obstsalat<br />
ist. Kurz schaut er einem jungen<br />
Mann über die Schulter, der für<br />
Tipp 1<br />
Beim Boys’ Day hat dir<br />
ein bestimmter Beruf ganz<br />
besonders gut gefallen? Dann<br />
mach doch einfach mal ein<br />
Praktikum. So findest du<br />
heraus, ob der Beruf<br />
wirklich zu dir<br />
passt.<br />
das Mittagessen frische Reibekuchen<br />
in einer Pfanne<br />
brät. Schon bald ist sein<br />
Obstsalat aus Äpfeln, Bananen<br />
und Trauben fertig,<br />
die Quarkspeise cremig<br />
gerührt und mit etwas<br />
Vanillezucker und Schlagsahne<br />
verfeinert. Die Anwesenden<br />
probieren und<br />
sind begeistert. Wieder<br />
kassiert Philip ein Lob. Er<br />
bleibt skeptisch. „Der Obstsalat<br />
meiner Mutter schmeckt<br />
mir eindeutig besser.“<br />
Abteilung Textilaufbereitung<br />
im Erdgeschoss. Hier<br />
werden Kleiderspenden<br />
aus der Bevölkerung aufbereitet,<br />
um sie dann<br />
preiswert in einem Second-<br />
Handshop an Leute mit kleinem<br />
Geldbeutel weiterzugeben.<br />
Die Kleidung wird von Teilnehmern,<br />
die in einer beruflichen<br />
Qualifizierungsmaßnahme sind, in<br />
der Textilwerkstatt sortiert, bei<br />
Bedarf ausgebessert und gewaschen.<br />
Philip erhält von Anleiterin<br />
Ursula Bruhn, die den Beruf der<br />
Directrice (Leiterin eines<br />
Schneiderateliers) erlernt<br />
hat, ein Oberhemd. An ihm<br />
fehlt ein Knopf. Philip lernt,<br />
wie er den Knopf an das<br />
Hemd nähen kann. Es fällt<br />
ihm schwer, den Nähfaden<br />
in das Mini-Nadelöhr einzufädeln.<br />
Doch Frau Bruhn<br />
hat einen Trick parat:<br />
„Mache es umgekehrt.<br />
Führe nicht den Faden zur<br />
Nadel, sondern die Nadel<br />
zum Faden.“ Philip fum-<br />
11<br />
Uhr<br />
melt, die Finger zittern<br />
ein wenig, aber schon<br />
bald ist der Faden im<br />
Nadelöhr, und das eigentliche<br />
Nähen beginnt.<br />
Was das für eine „Fisselarbeit“<br />
ist! Und dann stehen noch vier Erwachsene<br />
in der Gegend rum und<br />
schauen auf jeden seiner Handgriffe.<br />
Verschärfte Bedingungen.<br />
Als Philip fertig ist, geht er an den<br />
Bügeltisch. Dort hilft ihm eine Portion<br />
Wasserdampf, das zerknitterte<br />
Hemd glatt zu bügeln. Philip<br />
Spannende Einblicke in<br />
Ausbildung und Beruf<br />
gibt es in zahlreichen Filmen<br />
im Internet unter<br />
www.berufe.tv oder<br />
www.planetberuf.de<br />
erfährt, dass es eine bestimmte<br />
Reihenfolge der<br />
Arbeitsschritte beim professionellen<br />
Hemdenbügeln<br />
gibt. Und schon ist er mittendrin<br />
in der zweiten Premiere<br />
des Tages. „Das ist das erste<br />
Hemd, das ich bügle. Sonst<br />
macht das meine Mutter“,<br />
meint Philip stolz.<br />
11.45<br />
Uhr<br />
Evangelische Familienbildungsstätte,<br />
Am Alten Kirchhof 16,<br />
Neumünster, Schnuppergarten.<br />
Hier treffen<br />
sich Kinder im Alter von<br />
zwei bis drei Jahren mehrmals die<br />
Woche, um einige Stunden ohne<br />
ihre Mama zu sein – als Vorbereitung<br />
auf den späteren täglichen<br />
Kindergartenbesuch.<br />
Die sozialpädagogische Assistentin<br />
Amina Tavares gibt Philip<br />
einen Einblick in die Tätigkeitsbereiche<br />
eines Erziehers. Sie betont,<br />
dass sich alle Mitarbeiterinnen<br />
der Einrichtung über<br />
einen männlichen Kollegen freuen<br />
würden. „Leider entscheiden sich<br />
Männer nur selten, in der Kleinkinderbetreuung<br />
tätig zu<br />
Ökotrophologin Silke Runge zeigt Philip<br />
den „Krallengriff“. Diese spezielle Fingerhaltung<br />
verhindert Schnittverletzungen.<br />
sein. Hier arbeitet keiner“, bedauert<br />
sie.<br />
Philip lernt Schnuppergarten-<br />
Kind Chiara, zwei Jahre alt, kennen.<br />
Ihre Lieblingsbeschäftigung<br />
ist das Kneten. Philip setzt sich zu<br />
ihr an einen Minitisch mit Ministühlchen.<br />
Chiara reicht ihm spontan<br />
ein Stück Knete. Das heißt<br />
Tipp 3<br />
Tipp 2 Umfangreiche Infos zu<br />
den Themen Berufswahl<br />
und Jungen-Zukunftstag<br />
erhältst du unter<br />
www.<strong>neu</strong>e-wege-fuerjungs.de<br />
oder<br />
www.<strong>boys</strong>-<strong>day</strong>.de<br />
Selbst ist der Mann: Konzentriert näht<br />
Philip einen Knopf ans Hemd.<br />
ohne Worte: Hast du Lust, mit mir<br />
zu kneten? Für Philip ist diese Situation<br />
ungewohnt. Er lächelt<br />
Chiara etwas schüchtern, aber<br />
sehr nett an. Sie lächelt sofort zurück.<br />
Das Eis ist gebrochen. Jetzt<br />
kneten sie gemeinsam, und<br />
Chiara strahlt zufrieden.<br />
13<br />
Uhr<br />
Seminarraum 4 im<br />
Zentrum für Berufliche<br />
Bildung. Der<br />
Aktionstag geht zu<br />
Ende. Thomas Rösner<br />
überreicht Philip eine Teilnehmerurkunde<br />
und eine Infomappe<br />
über die Berufsbereiche<br />
Pflege, Hauswirtschaft und Kinderbetreuung.<br />
Philip zieht eine positive Bilanz<br />
seines Boys’ Days. „Hoffentlich<br />
machen im nächsten Jahr ein<br />
paar mehr Jungs bei dieser Aktion<br />
mit. Mir hat es jedenfalls Spaß gemacht,<br />
und ich habe eine Menge<br />
gelernt.“ Was er in ferner Zukunft<br />
beruflich machen wird, lässt Philip<br />
offen. „Ich hab’ bis zum Abi noch<br />
genügend Zeit, mir darüber Gedanken<br />
zu machen.“ Aber eines<br />
weiß er heute schon: Er wird sich<br />
den Blick auf seinen Wunschberuf<br />
nicht durch Sichtweisen wie „Das<br />
ist ein typischer Männerberuf“<br />
oder „Das ist aber ein typischer<br />
Mädchenberuf“ verengen lassen.<br />
Philip: „Ich werde das machen,<br />
worauf ich dann Lust habe.“<br />
Silke Bromm-Krieger<br />
schaettruum@bauernblattsh.de