Jahresbericht
Jahresbericht
Jahresbericht
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
42<br />
Theatergruppe<br />
Auch die Requisiten werden mit klugen Regieeinfällen<br />
mehrfach besetzt: So werden die biederen Stühle<br />
aus der Lehrerkonferenz in der nächsten Szene von<br />
Jugendlichen durch das Aufsprayen von Graffitis in<br />
Beschlag genommen. Die Teenager hängen herum,<br />
versuchen sich mit einem Spiel abzulenken, protzen<br />
vor einander herum und knüpfen neue Bande. Nach<br />
einer überzeichneten Szene folgt also nun eine,<br />
die eine realistische Situation heutiger Jugendlicher<br />
abbildet. Man will einander mit einer grossen<br />
Taschenlampe beeindrucken, macht einander an,<br />
Eifersüchteleien spielen eine grosse Rolle, sexuelle<br />
Anspielungen, Langeweile, Unsicherheiten, Ausschluss<br />
aus der Gruppe oder Zugehörigkeit. Das<br />
sind die Themen, mit denen sich die Jugendlichen<br />
herumschlagen müssen – egal zu welcher Generation<br />
sie gehören.<br />
Dass Liebe auch mit grossen Ängsten zu tun hat,<br />
zeigt eine Szene aus Sibylle Bergs Stück «Helges<br />
Leben». Helge und Tina (Felix Keller, Sarah Baumgartner)<br />
werden von ihren Ängsten begleitet und –<br />
zu ihrem Leidwesen – beraten. Die Ängste werden<br />
von Cédric Ziegler und Ying-Ling Dang in weissen<br />
Ganzkörperanzügen gespielt. Auch ihre Gesichter<br />
sind weiss geschminkt, was sie klinisch wirken<br />
lässt und die Leblosigkeit einer in Angst lebenden<br />
Person unterstreicht. Sie kommentieren jeweils<br />
die Aussagen des potentiellen Liebespartners in<br />
wahnwitziger Weise. So wird etwa Helges zarte<br />
und sehr schüchterne Annäherung von Tinas Angst<br />
augenklimpernd dahingehend interpretiert, dass er<br />
doch nur ficken wolle. Die beiden Liebenden müssen<br />
ihre Ängste buchstäblich abschütteln, wenn sie mit<br />
dem anderen eine Chance haben wollen. Mutig,<br />
wie Sarah Baumgarnter einen langen Monolog<br />
wagt – trotz einer wenig tragenden Stimme. Doch<br />
gerade diese vermag die Gebrechlichkeit ihrer Figur<br />
auszudrücken, das Wagnis, das man eingeht, wenn<br />
man sich einem Partner in Liebe ausliefert.<br />
Die Figuren aus Laura de Wecks «Lieblingsmenschen»<br />
sind weniger zart besaitet. Die drei Freundinnen<br />
Lili, Jule und Anna (Katja Bernegger, Iris<br />
Halbeisen, Alexandra Zoller) sprechen frei darüber,<br />
wer nun mit wem guten Sex habe. Die Realität holt<br />
sie jedoch ein, als sich der Freund von Anna das<br />
Leben nimmt, nachdem sie ihn als zu langweilig<br />
abserviert hat. Die Szenen zeigen, dass das Sprechen<br />
über den «Funfaktor» einer Beziehung fatal sein<br />
kann. Anna hat sich falsche Vorstellungen einer aufregenden<br />
Beziehung gemacht. Hinter dem Geprahle<br />
ihrer Freundinnen mit gutem Sex stecken wohl eher<br />
Kränkungen und Unsicherheit. Ein guter Regieeinfall<br />
ist das seltsame Fitnessgerät, an welchem Jule ihre<br />
Wut darüber abarbeitet, dass Lili mit ihrem Exfreund<br />
geschlafen hat. Alexandra Zoller beweist ihr Können<br />
einmal mehr in einem Monolog, in dem sie über ihre<br />
Verblendung und vom Selbstmord ihres Freundes<br />
erzählt. Ihre Tränen sind echt, die Stimme bricht,<br />
man möchte sie in die Arme nehmen und trösten,<br />
so aufrichtig wirkt ihre Verzweiflung.<br />
Mit Fleissers «Die Pioniere in Ingolstadt» erwartet<br />
die Zuschauer nach der Pause die sprachlich happigste<br />
Kost des Abends. Im Programmheft steht:<br />
«Nicht die Liebe, sondern Machtspiele bestimmen<br />
die Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Illusionslos!»<br />
Dem kann man nur beipflichten. Ramona<br />
Breu glänzt in der Rolle der Berta, welche nicht von<br />
ihrem Geliebten lassen kann, obwohl sie gewarnt<br />
wird, dass sie ihn nicht immer so lieben solle. Janic<br />
Cavelti überzeugt in der Rolle des Korl, welcher Berta<br />
rüde zurückweist und mit seiner machohaften Art<br />
auf Distanz hält. «An uns muss man glauben. Dann<br />
muss man sich von uns verraten lassen. Dann darf<br />
man weinen, wenn man mag, und dann muss man<br />
erst recht an uns glauben.» So fasst Korl die Aussichten<br />
Bertas zusammen. Obwohl sie weiss, dass<br />
sie daran kaputt gehen wird, muss Berta Korl lieben.<br />
Der scheint schon mit der Liebe abgeschlossen zu<br />
haben – vielleicht auch mit dem Leben. Berührend<br />
spielt Anja Scheifele die Alma, welche von der<br />
grossen Freiheit träumt. Sie prostituiert sich und<br />
wird von verschiedenen Seiten angefeindet, hat<br />
sich aber eine fast schon kindliche Unbeschwertheit<br />
und Zuversicht bewahren können, was Anja<br />
Scheifele mit präzisen Gesten und überzeugender<br />
Anja Scheifele als Alma und Janic Cavelti in der Rolle des Korl