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IFF-Info Nr. 27, 2004 - IFFOnzeit

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Impressum:<strong>IFF</strong> <strong>Info</strong>, Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrums21. Jg., <strong>Nr</strong>. <strong>27</strong>, <strong>2004</strong>ISSN 1611-230XInterdisziplinäres Frauenforschungs-ZentrumUniversität BielefeldPostfach 10 01 31, 33501 BielefeldFon: 0521-1064574, Fax: 0521-1062985Email: iff@uni-bielefeld.deRedaktion: Dr. Anina Mischau, Email: anina.mischau@uni-bielefeld.deLayout: Sonja NeußDruck: Zentrale Vervielfältigung der Universität BielefeldAuflage: 500


EDITORIALLiebe LeserInnen,im Oktober 2003 fand die Abschlusstagung des Projekts „VINGS – Virtual InternationalGender Studies“ statt. Das mit 2,3 Mio. Euro finanzierte Projekt führte dieUniversitäten Bielefeld, Bochum, Hannover und die FernUniversität Hagen mit demZiel zusammen, gemeinsam mediale Lerneinheiten der Geschlechterforschung in denSozial- und Kulturwissenschaften für das Internet zu konzipieren, zu produzierenund im Lehrbetrieb zu erproben. Die Konsortialführung für dieses Großvorhaben lagbei Prof. Dr. Ursula Müller, Geschäftsführende Direktorin des InterdisziplinärenFrauenforschungs-Zentrums (<strong>IFF</strong>). Fünf Mitarbeiterinnen arbeiteten am <strong>IFF</strong> drei Jahrelang an der Entwicklung und Umsetzung von VINGS und konnten so, gemeinsammit den Kolleginnen aus Bochum, Hannover und Hagen, u.a. ein Lehrangebot vonmehr als 40 SWS, also im Umfang eines Masterstudiengangs, entwickeln und erproben.Hervorzuheben ist sicherlich, dass VINGS das einzige thematisch auf „Gender“bezogene Projekt im Förderprogramm „Neue Medien in Bildung + Fachinformation“gewesen ist. Wir gratulieren allen an der Realisierung von VINGS Beteiligten undfreuen uns gemeinsam mit unseren Kolleginnen am <strong>IFF</strong>, dass VINGS zwischenzeitlichden 2. Preis für aktive Frauenförderung der Universität Hannover gewonnen hatund darüber hinaus im März <strong>2004</strong> als „Gender Good Practice-Projekt“ des BMBF-Begleitprojekts „Gender Mainstreaming“ ausgezeichnet worden ist. Ein detaillierterBericht über die Abschlusstagung findet sich in der Rubrik Berichte und Beiträge ausdem <strong>IFF</strong>.Allen Autorinnen dieser Nummer des <strong>IFF</strong> <strong>Info</strong>s sei herzlich für ihre interessanten,spannenden und informativen Beiträge gedankt. Für das nächste <strong>IFF</strong> <strong>Info</strong> möchtenwir schon jetzt wieder alle LeserInnen ermutigen, durch interessante Aufsätze, Forschungsberichte,Diskussionsbeiträge, Mitteilungen, Veranstaltungshinweise, Rezensionenoder Tagungsberichte daran mitzuwirken, das <strong>IFF</strong> <strong>Info</strong> zu einer lebendigen,interdisziplinären, anregenden und diskursfreudigen Zeitschrift der Frauen- und Geschlechterforschungund zu einem Forum frauen- und geschlechterpolitischer Diskussionenwerden zu lassen. Die nächste Nummer wird im Oktober <strong>2004</strong> erscheinen;Beiträge können bis 15. August eingereicht werden.Für diese Ausgabe wünschen wir allen LeserInnen eine anregende Lektüre!Anina Mischau, Redaktion<strong>Info</strong> 20.Jg. <strong>Nr</strong>.26/2003


<strong>IFF</strong> <strong>Info</strong>Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrums (<strong>IFF</strong>)21. Jahrgang / <strong>Nr</strong>. <strong>27</strong> / <strong>2004</strong>EDITORIALAUFSÄTZEUlrike MönigDie rechtlichen Schutzmöglichkeiten gegen häusliche Gewalt 7Sabine MarxGeschlecht kommunizieren 18Anina MischauMonoedukative Hochschulangebote für Frauen in technischen undingenieurwissenschaftlichen Fächern 28Kerstin PetersenFeministische Mädchenarbeit gestern und heute 43BERICHTE UND BEITRÄGE AUS DEM <strong>IFF</strong>Ursula Müller und Silja PolzinInnovation und Implementierung 57Kurzmeldungen aus dem <strong>IFF</strong> 68BERICHTE UND BEITRÄGE AUS DER UNIVERSITÄT UNDFACHHOCHSCHULE BIELEFELDPetra Dannecker und Anna SpiegelWie wird „Entwicklung“ gemacht? 69Christiane MaschetzkeFachtagung „Berufsorientierung in unübersichtlichen Zeiten“ 72Cornelia ThielsFrauenräume 75BERICHTE UND BEITRÄGE AUS NRWChristiane NackSchnupperstudium für Schülerinnen im natur- undingenieurwissenschaftlichen Bereich? 80Gisela Steins et al.Von der Mädchenschule zum Nobelpreis 83


TAGUNGSBERICHTAnina Mischau und Birgitta WredeWomen’s Studies in the New Milenium: Does the future belong to us? 91REZENSIONArlie Russell Hochschild: Keine Zeit. Wenn die Firma zum Zuhause wird undzu Hause nur Arbeit wartet (Mechtild Oechsle) 93Eszter Belinszki, Katrin Hansen, Ursula Müller (Hg.) Diversity Management.Best Practices im internationalen Feld (Karin Gabbert) 98Christiane Erlemann: Ich trauer meinem Ingenieurdasein nicht mehr nach.Warum Ingenieurinnen den Beruf wechseln – eine qualitative empirischeStudie (Anina Mischau) 100Hildegard Macha, Claudia Fahrenwald (Hg.): Körperbilder zwischen Natur undKultur. Interdisziplinäre Beiträge zur Genderforschung (Cornelia Muth) 102NEUERSCHEINUNGEN 103INFORMATIONEN 106


Ulrike MönigDie rechtlichen Schutzmöglichkeiten gegen häusliche GewaltDie rechtlichen Schutzmöglichkeiten gegen häuslicheGewaltEin Beitrag zum neuen GewaltschutzrechtIm Anschluss an die in dieser Zeitschrift 1 geführte Debatte zu Gewalterfahrungen von Frauen und Männern soll zurinterdisziplinären Abrundung der Thematik der Blick auf die aktuelle Gesetzeslage im Bereich häuslicher und familiärerGewalt gerichtet werden. Der gesetzliche Schutz in diesem Bereich ist mittlerweile deutlich verbessert worden. Was mitHilfe der neuen Regelungen erreicht werden kann, ist Gegenstand der folgenden Ausführungen. Darüber hinaus wirderstes aktuelles Zahlenmaterial über polizeiliche Einsätze bei häuslicher Gewalt in Nordrhein-Westfalen und im RaumBielefeld betrachtet.EinleitungNachdem in den neunziger Jahrendas Problem der häuslichen Gewaltund dabei insbesondere der Gewaltgegen Frauen und Kinder auch inder öffentlichen Diskussion breiterenRaum eingenommen hat 2 undGegenstand zahlreicher Fachveranstaltungenunterschiedlicher Disziplinengewesen ist, wurde schließlichauch die Gesetzgebung aktiv.Gesetzgeberische Maßnahmen sindsowohl auf Bundes- wie auf Landesebenegetroffen worden. Am1.1.2002 ist das Gesetz zur Verbesserungdes zivilrechtlichen Schutzes bei Gewalttatenund Nachstellungen sowie zurErleichterung der Überlassung der Ehewohnungbei Trennung in Kraft getreten.Es ist als Artikelgesetz konzipiert,das neben dem Kernstück derneuen Regelung, nämlich den zivilrechtlichenRegelungen zum Gewaltschutz– dem sog. Gewaltschutzgesetz(GewSchG) – flankierendeNeuregelungen, insbesondere auchVerfahrensvorschriften, enthält. Mitdem Gewaltschutzgesetz wurde derzivilrechtliche Rechtsschutz derOpfer häuslicher Gewalt insofernverbessert, als nunmehr der Grundsatzgilt: „Der Täter geht, das Opferbleibt“. Opfern häuslicher Gewaltbleibt es jetzt erspart, die gemeinsameWohnung verlassen zumüssen, während der Täter weiterhindie Annehmlichkeiten des gewohntenWohnumfeldes genießenkann. Angesichts der Tatsache, dassbislang ca. 45.000 Frauen jährlich ineinem der 435 Frauenhäuser inDeutschland Zuflucht vor der Gewaltihres Partners gesucht haben 3 ,stellt dies eine deutliche Verbesserungdar. 4Der Entwurf des Gesetzes gehtauf einen Aktionsplan der Bundesregierungzur Bekämpfung von Gewaltgegen Frauen zurück. 5 Obwohlursprünglich der Schutz von Frauenvor häuslicher Gewalt im Vordergrundstand (vgl. Fn. 5) und diesauch rechtstatsächlich der Hauptanwendungsbereichdes Gesetzes ist(vgl. Abschnitt C), geht der Anwendungsbereichder Neuregelungendarüber hinaus. Um im Rahmen eineseffizienten Gesamtkonzeptesdem Erfordernis sofortigen Schutzesder Opfer in der aktuellen Krisensituationbesser gerecht werdenzu können, sind gleichzeitig mit dengenannten bundesrechtlichen Regelungenin einigen BundesländernÄnderungen der Polizeigesetze inKraft getreten; für Nordrhein-Westfalenhandelt es sich dabei um § 34aPolizeigesetz NW. 6 Die nunmehrvorliegende Kombination polizeirechtlicher,zivilrechtlicher undstrafrechtlicher Instrumente kanninsgesamt gesehen durchaus alsneues Interventionsrecht gegenhäusliche Gewalt bezeichnet werden(vgl. Frommel 2001, S. 287f.). Fürden Bereich der häuslichen Gewaltliegen mittlerweile erste Zahlen undAuswertungen polizeilicher Einsätzeund im Anschluss eingeleiteterZivil-, Straf- und Verwaltungsverfahrenvor, die Hinweise auf diepraktische Umsetzung der neuenRegelungen liefern können.A. Zivilrechtlicher Schutz nachden NeuregelungenDas Gesetz zur Verbesserung des zivilrechtlichenSchutzes bei Gewalttaten undNachstellungen sowie zur Erleichterungder Überlassung der Ehewohnung beiTrennung beinhaltet im Wesentlichenzivilrechtliche Vorschriften, denenzum einen klarstellende Funktionim Verhältnis zur bisher geltendenRechtslage zukommt und die zumanderen einschneidende Interventionen,von denen die Wohnungszuweisungdie weitestgehende ist, zulassen.Darüber hinaus trägt es deut-<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>7


Ulrike Möniglich punitive Züge (vgl. Frommel2001, S. 288).I. Das GewaltschutzgesetzDas Gewaltschutzgesetz (GewSchG), bestehend aus nur vier Paragraphen,stellt das „Kernstück“der neuen zivilrechtlichen Regelungendar (vgl. BT-Drucks. 14/5429,S. 16). Es sieht Schutzmaßnahmennicht nur bei ausgeübter, sondernauch bei angedrohter Gewalt vor.Darüber hinaus regelt es die Strafbarkeitbei Zuwiderhandlungen.1. Schutzmaßnahmen beiausgeübter GewaltNach § 1 GewSchG hat das Gerichtbei einer vorsätzlichen und widerrechtlichenVerletzung des Körpers,der Gesundheit oder der Freiheiteiner Person die zur Abwendungweiterer Verletzungen erforderlichenMaßnahmen zu treffen. Dieseallgemein gehaltenen Voraussetzungenmachen deutlich, dass das Gesetzgrundsätzlich für jede in dieserForm verletzte Person gelten soll –unabhängig vom Geschlecht undauch unabhängig davon, ob sich umeine Verletzung im sozialen Nahraum,z.B. um einen Fall häuslicherGewalt, handelt oder kein besonderesNäheverhältnis besteht. Sofernim Zusammenhang mit dem Gewaltschutzgesetzdie rechtlichenVerbesserungen im Umgang mithäuslicher Gewalt in den Vordergrundgestellt werden, trifft dieszwar den Hauptanwendungsbereichder neuen Regelungen, ist aber insgesamtzu kurz gegriffen. Das Gerichthat die „zur Abwendung weitererVerletzungen erforderlichenMaßnahmen“ zu treffen. Die für diePraxis wichtigsten in Betracht kommendenSchutzanordnungen zähltdas Gesetz auf; hierbei handelt essich im Wesentlichen um Betretungs-,Kontakt- und Näherungsverbote.Das Gericht kann danachdem/der Täter/in insbesondereverbieten, die Wohnung des Opferszu betreten (<strong>Nr</strong>. 1), sich in einembestimmten Umkreis der Wohnungder verletzten Person aufzuhalten(<strong>Nr</strong>. 2), zu bestimmende andere Orteaufzusuchen, an denen sich dieverletzte Person aufhält (<strong>Nr</strong>. 3), Verbindungzur verletzten Person –auch über Fernkommunikationsmittel(nicht nur Telefon, sondernz.B. auch Fax, E-Mail, SMS) – aufzunehmen(<strong>Nr</strong>. 4) oder ein Zusammentreffenmit der verletzten Personherbeizuführen (<strong>Nr</strong>. 5). Der Katalogder möglichen Anordnungenist, wie durch die Verwendung desWortes „insbesondere“ deutlichwird, nicht abschließend, d.h. dasGericht kann – sofern es der Einzelfallerfordert – auch andere Maßnahmentreffen. Darüber hinaus istes auch möglich, mehrere Maßnahmennebeneinander anzuordnen.Zu berücksichtigen ist, dass Anordnungendurch das Gericht nurdann getroffen werden, wenn sie„zur Abwendung weiterer Verletzungen“erforderlich sind, d.h. esmuss eine Wiederholungsgefahr bestehen.Für die Feststellung einersolchen Gefahr künftiger Beeinträchtigungengilt im Interesse desOpfers jedoch eine Beweiserleichterung:Nicht das Opfer muss den– in der Praxis oft schwierigen – Beweisführen, dass auch zukünftigVerletzungen durch den/die Täter/Täterin in zu erwarten sind; vielmehrspricht eine tatsächliche Vermutungdafür, dass weitere Beeinträchtigungenzu besorgen sind, sodass es dem/der Täter/in obliegt,diese Vermutung zu widerlegen. 7Das zum Eingreifen des GerichtsAnlass gebende Verhalten indiziertalso die Wiederholungsgefahr(Palandt/Brudermüller <strong>2004</strong>, GewSchG § 1 Rn. 6). In dieser Beweisregelungliegt angesichts der Tatsache,dass über zukünftiges Verhalteneiner anderen Person nur schwerBeweis geführt werden kann, einebegrüßenswerte Begünstigung desOpfers.Gem. § 1 Abs. 1 S. 2 GewSchGsollen die gerichtlichen Anordnungenbefristet werden. Hierbei ist derGrundsatz der Verhältnismäßigkeitzu beachten, da in Rechtspositionendes Täters bzw. der Täterin eingegriffenwird. Insbesondere kommteine Einschränkung des Rechts auf„Kommunikations- und Bewegungsfreiheit“in Betracht (vgl. BT-Drucks. 14/5429, S. 28). Wenn nachAblauf der ursprünglichen Fristweitere Verletzungen zu befürchtensind, kann eine – unter Umständenauch mehrmalige – Fristverlängerungausgesprochen werden (Palandt/Brudermüller<strong>2004</strong>, GewSchG § 1 Rn. 7). Damit soll gewährleistetwerden, dass je nach Umständendes Einzelfalls auch längerfristigeSchutzmaßnahmen getroffenwerden können, insbesondere dann,wenn die Gewalteinwirkungen entsprechendschwer sind oder/undsich über einen längeren Zeitraumerstrecken (vgl. Palandt/Brudermüller<strong>2004</strong>).Nach § 1 Abs. 1 a.E. GewSchGsind bei der Anordnung der Maßnahmenberechtigte Interessen desTäters bzw. der Täterin, die einenKontakt mit dem Opfer unumgänglichmachen, zu berücksichtigen.Diese können z.B. vorliegen, wennder/die Täter/in seinen/ihren Arbeitsplatzin der Wohnung hat oderer bzw. sie zur Durchführung desUmgangsrechts mit gemeinsamenKindern in die Nähe der Wohnungkommen muss. Liegen solche Gegebenheitenvor, sind sie unter konkreterBezeichnung der Umständein der Anordnung zu benennen (vgl.Palandt/Brudermüller <strong>2004</strong>, GewSchG § 1 Rn. 9; BT-Drucks. 14/5429 S. 29).8


Die rechtlichen Schutzmöglichkeiten gegen häusliche Gewalt2. Schutzmaßnahmen beiangedrohter Gewalt, Verletzungdes Hausrechts undunzumutbaren BelästigungenSchutzmaßnahmen können nichtnur bei bereits eingetretenenRechtsgutverletzungen verhängtwerden, sondern auch in Fällen, dieunterhalb der oben geschildertenVerletzungsschwelle liegen. § 1 Abs.2 GewSchG erweitert den Opferschutzauf Fälle der angedrohtenGewalt, der Verletzung des Hausrechtsund unzumutbarer Belästigungen.Die oben genannten Schutzanordnungen(vgl. Abschnitt A.I.1.) könnennach § 1 Abs. 2 <strong>Nr</strong>. 1 GewSchGbereits getroffen werden, wenn einePerson widerrechtlich mit einer Verletzungdes Lebens, des Körpers,der Gesundheit oder der Freiheitgedroht hat; zu einer Beeinträchtigungder erwähnten Rechtsgütermuss es also noch nicht gekommensein. Ferner sind nach § 1 Abs. 2<strong>Nr</strong>. 2 a) GewSchG gerichtlicheMaßnahmen auch möglich, wenneine Person das Hausrecht einer anderenPerson widerrechtlich undvorsätzlich verletzt. Darüber hinauswurde auch gesetzgeberischerHandlungsbedarf für Eingriffe indie Privatsphäre durch unzumutbareBelästigungen gesehen. In diesemBereich fehlten zum einen klarezivilrechtliche Rechtsgrundlagen,zum anderen wirkte sich eine Strafbarkeitslückezum Nachteil der Betroffenenaus (vgl. BT-Drucks.14/5429, S. 11). Das Gewaltschutzgesetzsieht nunmehr in § 1 Abs. 2<strong>Nr</strong>. 2 b) vor, dass Schutzanordnungenauch beantragt werden können,wenn eine Person dadurch unzu-Viele Staaten ahnden inzwischen häusliche Gewalt. Von Österreich lernenVon Ulli SchauenDeutschland ist beim Schutz gegen häusliche Gewalt nicht gerade Vorreiter. Auf den beiden Karibikinseln Trinidad und Tobago,in einem Staat vereint, gilt schon seit 1991 ein Gesetz wie das vor zwei Jahren in Kraft getretene deutsche Gewaltschutzgesetz.Bereits in den siebziger Jahren wurde in den USA, in Australien, Neuseeland, Kanada, Schottland, England, den Niederlanden,Norwegen und Irland der zivilrechtliche – nicht der strafrechtliche – Schutz vor der Gewalt eines Partners verstärkt. Gerichtekönnen dort seither Anordnungen zum Schutz eines Opfers erlassen; wer als Täter dagegen verstößt, muss mit Strafe rechnen.Die europäischen Staaten sind sehr unterschiedlich mit Gewalt in Beziehungen umgegangen. So konnten sich die französischenMänner noch bis 1975 auf eine Bestimmung im Bürgerlichen Gesetzbuch berufen, die es ihnen erlaubte, Frauen zuschlagen. In Schweden dagegen wurde schon 1965 die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt (in Deutschland 1997). InGroßbritannien wies das Innenministerium bereits 1986 die Polizei zu einer neuen, härteren Gangart bei Fällen häuslicherGewalt an. 1997 folgte der Criminal Harassment Act, der Nachstellungen und Bedrohungen als Straftaten definiert.Mittlerweile verfolgen Spanien, Frankreich und Belgien, die lange der alten Sichtweise anhingen, dass „Familienstreit“ dochnicht so schlimm sei, häusliche Gewalt besonders streng. Die neuen Paragrafen in diesen Ländern werten es als strafverschärfend,wenn die Gewalttat nicht im öffentlichen, sondern im privaten Umfeld passiert. Direktes Vorbild für den deutschenGesetzgeber ist Österreich, wo im Mai 1997 das Bundesgesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie in Kraft trat, das die„Wegweisung“ des Täters vom Opfer beinhaltet. Es war von Anfang an eingebettet in ein Netz von „Interventionsstellen“, dieden Opfern beistehen sollen. Von Österreich übernahmen die Deutschen auch den „proaktiven“ Ansatz, dass Beratungsstellenvon sich aus auf die Opfer zugehen sollen.Fast alle Länder haben ihre Gesetze gegen häusliche Gewalt geschlechtsneutral verfasst, also Männer wie Frauen werden alspotenzielle Täter(innen) angesehen. Ausnahmen sind die USA, Bangladesch und Schweden. Die einschlägigen Gesetze dorterwähnen ausdrücklich Frauen als Opfer und Männer als Täter, wie zum Beispiel der Violence against Women Act der USA. InSchweden wurde dafür 1998 ein neuer Tatbestand geschaffen. Der Rechtsbegriff „grobe Verletzung der Integrität einer Frau“,kurz „Frauenfriedensbruch“, umschreibt wiederholte Straftaten, die von Männern an Frauen begangen werden, zu denen sieeine enge Beziehung haben. Die einzelnen Taten würden, für sich allein genommen, möglicherweise nicht verfolgt, insgesamtdagegen wiegen sie schwer genug für eine Bestrafung.Spezialgesetze haben auch viele US-Bundesstaaten und einige lateinamerikanische Länder geschaffen, während in Deutschlandfür „häusliche Gewalt“ keine neuen Paragrafen ins Strafgesetzbuch eingefügt wurden. In den USA gibt es außerdem einelandesweit einheitliche Telefonnummer für Opfer, ebenso in Südkorea, wo es den Kreisen und Provinzen überdies zur Pflichtgemacht wurde, ein Netzwerk von Beratungs- und Unterstützungseinrichtungen zu schaffen.Die Beweislage ist weltweit ein Problem. Großbritannien versucht das zu ändern, indem das Opfer zu einer Aussage gezwungenwerden kann. Aber dieser Paragraf wird Untersuchungen zufolge nur selten angewandt. In den USA verstärkte derKongress im Jahr 2000 die Anstrengungen gegen häusliche Gewalt, auch finanziell. Die neue Fassung des Violence againstWomen Act garantiert bis 2005 einen Etat von 3,3 Milliarden Dollar für Frauenhäuser, die Ausbildung von Polizei und Justiz,Rechtsberatung für Opfer sowie den speziellen Schutz von Studentinnen gegen Gewalt.Auch Immigrantinnen genießen den Schutz des Gesetzes, selbst wenn sie illegal ins Land kamen. Werden sie Opfer häuslicherGewalt, dann bekommen sie einen gesicherten Aufenthaltsstatus in den USA. Dem Parlament des US-Bundesstaats Washingtonliegt derzeit eine Gesetzesvorlage vor, dass Täter ein Bußgeld von bis zu 100 Dollar zahlen sollen, das in die Opferhilfefließt. Im Bundesstaat Kalifornien müssen verurteilte Täter in jedem Fall ein anger management-Seminar benutzen, wo sie lernensollen, ihre Gewaltneigung in den Griff zu bekommen.(c) DIE ZEIT 01.04.<strong>2004</strong> <strong>Nr</strong>.15<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>9


Ulrike Mönigmutbar belästigt wird, dass ihr gegenden ausdrücklich erklärten Willenwiederholt nachgestellt wirdoder sie unter Verwendung vonFernkommunikationsmitteln verfolgtwird. Die Regelung umfasstdamit Fälle des sog. „stalking“ 8 .Durch die Einbeziehung dieser Verhaltensweisenin den gesetzlichenSchutz wird deutlich, dass der Anwendungsbereichdes Gesetzes keineswegsnur auf Fälle häuslicherGewalt beschränkt ist. Mit der weitenFassung sollte der Eindruck vermiedenwerden, dass der zivilrechtlicheSchutz vor Gewalttaten außerhalbeiner häuslichen Gemeinschaftgeringer sei (vgl. BT-Drucks. 14/5429, S. 18).3. WohnungsüberlassungWenn die Konfliktparteien in einergemeinsamen Wohnung leben, kannes für das Opfer unzumutbar sein,die häusliche Gemeinschaft fortzusetzenund so möglicherweise weitererGewalt ausgesetzt zu sein. Bislangblieb dem Opfer oftmals nurder Ausweg, die Wohnung zu verlassen– ein Weg, der in immerhin ca.45.000 Fällen jährlich in eines der435 Frauenhäuser führte (vgl. BT-Drucks. 14/ 5429, S. 10f. sowie Fn.3). Nunmehr sieht das Gewaltschutzgesetzin § 2 vor, dass – unabhängigvon den rechtlichen Verhältnissenan der Wohnung – dem Opferdie Wohnung vorläufig überlassenwerden kann. Auch dann, wennder/die Täter/in alleinige/r Mieter/Mieterin oder Eigentümer/in ist,kann die Überlassung der Wohnungverlangt werden. Die rechtlichenVerhältnisse bezüglich der Wohnungsind nur hinsichtlich der Dauerder Überlassung relevant. Soweitsich das Gewaltschutzgesetz mit derWohnungsüberlassung befasst,unterscheidet es danach, ob in demvorausgegangenen Konflikt Gewaltbereits ausgeübt oder „nur“ angedrohtwar.a) Überlassung einer gemeinsamgenutzten Wohnung nach ausgeübterGewaltLiegt eine vorsätzliche Verletzungdes Körpers, der Gesundheit oderder Freiheit vor, hat also Gewalt bereitsstattgefunden, so kann das Opferverlangen, dass ihm die gemeinsamgenutzte Wohnung zur alleinigenBenutzung überlassen wird. Dabeispielt es keine Rolle, ob die Gewaltin der Wohnung oder anderswostattgefunden hat; ein Bezug derTat zur gemeinsamen Wohnungwird nicht vorausgesetzt. Vielmehrgeht § 2 GewSchG davon aus, dassein Bedürfnis nach Wohnungsüberlassungunabhängig vom Tatort besteht(vgl. Schumacher 2002, S. 650).(aa) Auf Dauer angelegtergemeinsamer HaushaltDer Anspruch auf Überlassung derWohnung setzt voraus, dass zumZeitpunkt der Tat ein „auf Dauerangelegter gemeinsamer Haushalt“mit dem/der Täter/in geführt wurde.Ob diese Voraussetzung im Einzelfallgegeben ist, kann sich im Hinblickauf die unterschiedlichen Formendes Zusammenlebens in derPraxis als problematisch erweisen.Der Begriff stammt aus dem Mietrechtsreformgesetzvom 19.07.2001; er wird in § 563 Abs. 2 S. 4BGB verwendet (Eintritt von Ehegattenund anderen Personen in dasMietverhältnis bei Tod des Mieters).In der Begründung dazu heißt es:„Unter dem Begriff ,auf Dauer angelegtergemeinsamer Haushalt’ ist eine Lebensgemeinschaftzu verstehen, die aufDauer angelegt ist, keine weiteren Bindungengleicher Art zulässt und sich durchinnere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitigesFüreinandereinstehen begründenund die über eine reine Wohn- undWirtschaftsgemeinschaft hinausgehen.Damit entspricht der Begriff den Kriteriender bisherigen Rechtsprechung zur ,eheähnlichenGemeinschaft’, ohne dass es allerdingsauf das Vorliegen geschlechtlicherBeziehungen zwischen den Partnern ankommt.Sowohl die hetero- oder homosexuellePartnerschaft wie auch das dauerhafteZusammenleben alter Menschen als Alternativezum Alters- oder Pflegeheim, dieihr gegenseitiges Füreinandereinstehen zumBeispiel durch gegenseitige Vollmachten dokumentieren,können daher grundsätzlichdiese Kriterien erfüllen.“ (BR-Drucks.439/00, S. 92f.) Die Begründungmacht deutlich, dass der Begriff beiAnwendung des neuen Mietrechtsoffenbar nicht zu weit ausgelegtwerden soll. Auch überrascht, dassgerade das in der Praxis noch eherseltene Zusammenleben alter Menschenhervorgehoben wird, währenddie weit verbreiteten Wohngemeinschaftenunter jungen Menschengar nicht erwähnt werden.Es ist allerdings nicht gerechtfertigt,die im mietrechtlichen Zusammenhangmöglicherweise sinnvolleDefinition unreflektiert auf ein anderesRechtsgebiet zu übertragenund den persönlichen Schutzbereichauch im Rahmen des Gewaltschutzesderart eng auszulegen. Berücksichtigtman den Kontext, in demder Begriff im Mietrecht verwendetwird, so ist festzustellen, dassdort von der Auslegung des Begriffes„auf Dauer angelegter gemeinsamerHaushalt“ der automatischeEintritt der betreffenden Person inein Mietverhältnis mit allen Rechtenund Pflichten abhängt, also auchmit ungewollten Belastungen einhergehenkann. Im Gewaltschutzgesetzhingegen wird lediglich einRecht des Opfers begründet, nämlichauf Überlassung der Wohnung.Dem Ziel, Opfer von Gewalt im sozialenNahraum möglichst umfassendzu schützen, läuft eine restriktiveAuslegung zuwider. 9 Einzubeziehenin den Schutzbereich sind dahergrundsätzlich auch Wohngemeinschaftenunter Studierendenund Auszubildenden, sofern sie10


Die rechtlichen Schutzmöglichkeiten gegen häusliche Gewalt„auf Dauer“ beabsichtigt sind – wobeieine begrenzte Zeitdauer genügenmuss, denn es heißt ja nicht „lebenslang“– und tatsächlich gemeinsamgewirtschaftet wird. Insbesonderebei den Wohnformen, die aufein Füreinandereinstehen hinweisen,z.B. wenn für Kinder vonWohngemeinschaftsmitgliedernVerantwortung in Form von Beaufsichtigungund Pflege übernommenwird, steht außer Frage, dass sie unterdas Gewaltschutzgesetz fallenmüssen. Insgesamt gesehen ist imHinblick auf den geschützten Personenkreisein großzügiger Maßstabanzulegen. 10(bb) Dauer der ÜberlassungLiegen die oben aufgezeigten materiellrechtlichenVoraussetzungenvor, so ist dem Opfer die Wohnungzu überlassen. Für welche Dauer dieÜberlassung durch das Gericht angeordnetwird, hängt nach § 2 Abs.2 GewSchG von den Rechtsverhältnissenan der Wohnung ab. Sind –wie es in der Praxis häufig der Fallist – Täter/in und Opfer gemeinsamberechtigt, haben sie also dieWohnung 11 z.B. gemeinsam gemietetoder sind sie Miteigentümer, soist die Nutzungsdauer zu befristen.Eine Höchstfrist ist im Gesetz nichtvorgesehen. Sinn und Zweck derBefristung liegt darin, während dervorläufigen Benutzung eine Regelungüber die endgültige Nutzungder Wohnung, an der ja beiden ParteienRechte zustehen, zu ermöglichen(vgl. BT-Drucks. 14/5429, S.31).Steht dem Täter allein oder gemeinsammit einem Dritten einRecht an der Wohnung zu, so kanndem Opfer für eine Frist von maximalsechs Monaten die Wohnungüberlassen werden. Da in diesemFall das Opfer nicht Mieter/in oderEigentümer/in der Wohnung ist,dient die Frist ausschließlich dazu,in dieser Zeit angemessenen Wohnraumzu zumutbaren Bedingungenzu beschaffen. Gelingt dies nicht,kann das Gericht die Frist um höchstensweitere sechs Monate verlängern,wenn nicht anerkennenswerteInteressen des/der Täters/Täterindagegen sprechen. Es kommtalso, wenn dem Opfer keinerleiRechte an der Wohnung zustehen,eine Nutzungsdauer von maximaleinem Jahr in Betracht. Aus dieserRegelung wird ersichtlich, dassdurch den Anspruch nach § 2GewSchG Rechtsverhältnisse nichtumgestaltet, neu begründet oderaufgehoben werden; es handelt sichin den genannten Fällen um eine nurvorläufige Regelung.Wenn das an der Wohnung alleinberechtigte Opfer den/die Täter/inin die Wohnung aufgenommen hatund dort mit ihm/ihr in einer nichtehelichenLebensgemeinschaft lebt,stehen dem/der Täter/in keinerleiNutzungsrechte an der Wohnung zu(vgl. BT-Drucks. 14/5429, S. 30).Diese Konstellation ist daher vonden Befristungsvorschriften in § 2Abs. 2 GewSchG nicht betroffen.Die gerichtliche Entscheidung überdie Überlassung der Wohnung andas Opfer beinhaltet in diesem Falleine endgültige Regelung der Nutzungsverhältnisse(vgl. BT-Drucks.14/5429, S. 30).(cc) Ausschluss des ÜberlassungsanspruchsDer Anspruch auf Wohnungsüberlassungist nach § 2 Abs. 3 GewSchG in drei Fällen ausgeschlossen:• wenn weitere Verletzungen nichtzu befürchten sind, es sei denn,die begangene Tat war so schwer,dass dem Opfer ein weiteres Zusammenlebennicht zuzumutenist; 12• wenn die verletzte Person eineFrist von drei Monaten nach derTat verstreichen lässt, ohne dieÜberlassung zu verlangen;• wenn schwerwiegende Belangedes/der Täters/Täterin entgegenstehen13 .(dd) Erschwerungs- undVereitelungsverbotHat das Gericht die Überlassung derWohnung an das Opfer angeordnet,so hat der/die Täter/in gem. § 2Abs. 4 GewSchG alles zu unterlassen,was geeignet ist, die Ausübungdieses Nutzungsrechts zu erschwerenoder zu vereiteln. Dies gilt sowohlin tatsächlicher als auch inrechtlicher Hinsicht (vgl. BT-Drucks. 14/5429, S. 31 und S. 33).Wenn der/die Täter/in also Alleinmieter/inder Wohnung ist, kanndas Gericht ihm/ihr untersagen, zueinem Zeitpunkt zu kündigen, zudem das Opfer noch zur Nutzungberechtigt ist (vgl. BT-Drucks. 14/5429, S. 31 und 33; Schumacher2001, S. 956).(ee) NutzungsvergütungKommt es zur Überlassung derWohnung an das Opfer, so stellt sichdie Frage, ob die Alleinnutzungdurch das Opfer auch zu vergütenist. Das Gewaltschutzgesetz bestimmtin § 2 Abs. 5, dass eine Nutzungsvergütungverlangt werdenkann, wenn „dies der Billigkeit entspricht“.Dies dürfte in der Regelder Fall sein, wenn z.B. der/die Täter/inaufgrund eines Mietvertrageszu Mietzahlungen verpflichtet ist 14 ,dagegen nicht, wenn die Wohnungskostenim Rahmen einer Unterhaltsregelungberücksichtigt sind (Palandt/Brudermüller<strong>2004</strong>, GewSchG § 2 Rn.13, Klein 2002, S. 3).b) Wohnungsüberlassung beiangedrohter GewaltBetrafen die vorherigen Ausführungendie Rechtslage bei bereits ausgeübterGewalt, so stellt sich nunmehrdie Frage, ob dem Opfer auch dann<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>11


Ulrike Mönigein Wohnungsüberlassungsanspruchzusteht, wenn ihm mit Gewalt„nur“ gedroht wurde. Aus § 2Abs. 6 GewSchG folgt, dass in denFällen, in denen mit einer Verletzungdes Lebens, des Körpers, derGesundheit oder der Freiheit gedrohtwurde (§ 1 Abs. 2 S. 1 <strong>Nr</strong>. 1GewSchG), die Überlassung derWohnung verlangt werden kann,wenn dies erforderlich ist, um eine„unbillige Härte“ 15 für das Opfer zuvermeiden. Die Schwelle für dieWohnungszuweisung an das Opferist hier also höher als in den Fällenausgeübter Gewalt. Zum Begriffder unbilligen Härte erwähnt dasGesetz ausdrücklich, dass sie auchdann gegeben sein kann, wenn dasWohl von im Haushalt lebendenKindern beeinträchtigt ist. Im Übrigenist angesichts der Vielgestaltigkeitder Lebensverhältnisse bewusstdavon abgesehen worden, einen Katalogvon Härtefällen aufzustellen(vgl. BT-Drucks. 14/5429, S. 32 und21). Bezüglich des Vorliegens einesauf Dauer angelegten gemeinsamenHaushalts, der Dauer der Wohnungsüberlassung,eines etwaigenAnspruchsausschlusses und einerNutzungsvergütung gelten die gleichenVoraussetzungen wie für dieFälle ausgeübter Gewalt (vgl. AbschnittA.I.3. a), aa-ee).4. Strafrechtliche KonsequenzenWie bereits dargestellt (vgl. AbschnittA.I.1.), kommen ganz unterschiedliche,dem jeweiligen Einzelfallangepasste Schutzanordnungendurch das Gericht in Betracht. Siedienen dem Schutz absoluter Rechtedes Opfers, wobei insbesonderein Betracht kommen: Körper, Gesundheit,Freiheit und das allgemeinePersönlichkeitsrecht. Angesichtsdes hohen Stellenwerts der verletztenRechte hat sich der Gesetzgeberentschlossen, einen Verstoß gegengerichtliche Anordnungen unterStrafe zu stellen. Zuwiderhandlungengegen vollstreckbare Anordnungenwerden nach § 4 GewSchGmit Geldstrafe oder Freiheitsstrafebis zu einem Jahr verfolgt. Verstößtder/die Täter/in z.B. gegen ein nach§ 1 Abs. 1 S. 3 <strong>Nr</strong>. 3 GewSchG verhängtesFernhaltegebot, so machter/sie sich allein wegen des Verstoßesgegen die Anordnung strafbar,selbst wenn er/sie dabei kein strafbaresVerhalten etwa in Form vonDrohungen oder Körperverletzungenzeigt. In § 4 GewSchG wird alsoein Verstoß gegen eine zivilrechtlicheAnordnung im Interesse hochrangigerSchutzgüter strafrechtlichsanktioniert. 16II. Die Neufassungen des §1361 b BGB und des § 14Lebenspartnerschaftsgesetz(LPartG)Wenn es sich bei den Konfliktparteienum Eheleute oder Lebenspartnerhandelt, die getrennt leben oderbei denen ein Partner dies will, geltenfür die Wohnungsüberlassungzusätzlich 17 Vorschriften außerhalbdes Gewaltschutzgesetzes, nämlich§ 1361 b BGB bzw. § 14 LPartG.Diese Vorschriften sind – systemkonform– ebenfalls durch das Gesetzzur Verbesserung des zivilrechtlichenSchutzes bei Gewalttaten und Nachstellungensowie zur Erleichterung der Überlassungder Ehewohnung bei Trennung inArt. 2 und Art. 14 geändert worden.1. Die „unbillige Härte“In beiden Vorschriften, die im Wesentlichengleichlautend sind, ist diebisherige Eingriffsschwelle der„schweren Härte“ insofern abgesenktworden, als nunmehr bereitseine „unbillige Härte“ die Wohnungsüberlassungrechtfertigt. Eine„schwere Härte“ lag nach bisherigerAuffassung der Rechtsprechungvor, wenn der Ehegatte, der aus derWohnung vollständig hinausgewiesenwerden soll, in grob rücksichtsloserWeise durch erhebliche Belästigungendas Wohnen für den anderenund/oder die Kinder nahezuunerträglich macht. 18 Ob mit derNeuformulierung tatsächlich eineErleichterung der Wohnungszuweisungerreicht werden wird, wird z.T.bezweifelt (vgl. Grziwotz 2002, S.872) und bleibt abzuwarten. Einenersten Hinweis zur Richtung derRechtsprechung könnte ein Beschlussdes Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzbergvom 5.9.2002 19 geben.Dort wird betont, dass sich derAnwendungsbereich der neuen Vorschriftnicht auf Gewaltanwendungund Drohung mit Gewalt beschränke,sondern dass auch Belästigungen,die zum regelmäßigen Erscheinungsbildeiner zerrütteten Ehe gehörten,im Zusammenspiel mit weiterenBegebenheiten ausreichenkönnten. 20 Auch die Begründungder Entscheidung (vgl. ebd.) gibtAnlass zu der Hoffnung, dass dasSignal des Gesetzgebers auch in derPraxis angekommen ist. Hervorzuhebenist, dass in der Neufassungdes § 1361 b Abs. 2 BGB und des §14 Abs.2 LPartG ausdrücklich erwähntwird, dass eine unbillige Härteauch dann vorliegen kann, wenndas Wohl von im Haushalt lebendenKindern beeinträchtigt ist.2. Die weiteren NeuerungenDie neben der Herabsetzung derEingriffsschwelle getroffenen Neuregelungenin § 1361 b BGB bzw. §14 LPartG sind in weiten Teilen denbereits erörterten Vorschriften desGewaltschutzgesetzes angeglichenworden. So ist nunmehr in § 1361 bAbs. 2 BGB und § 14 Abs.2 LPartGdie Wohnungsüberlassung bei Gewaltanwendungoder Androhungvon Gewalt in weitestgehend ähnlicherForm geregelt worden wie in §2 GewSchG (vgl. Abschnitt A. I. 3.).12


Die rechtlichen Schutzmöglichkeiten gegen häusliche GewaltEbenso enthalten die Vorschriftenjeweils in ihrem Absatz 3 ein Erschwerungs-und Vereitelungsverbot(vgl. Abschnitt A. I. 3. a), dd)sowie eine Regelung über die Vergütungspflicht(vgl. Abschnitt A. I.3. a), ee).B. Polizeilicher Schutz beihäuslicher Gewalt in derakuten KrisensituationDie beschriebenen Verbesserungenim zivilrechtlichen Rechtsschutz erfordernin jedem Fall eine Entscheidungdes zuständigen Gerichts, dieauch im Eilverfahren nicht soforterreicht werden kann. In Fällenhäuslicher Gewalt, die sich auch amWochenende oder zur Nachtzeit ereignen,ist jedoch häufig unverzüglichesEinschreiten notwendig. Zuständigfür Sofortmaßnahmen zumSchutz der Opfer, aber auch zurVerfolgung etwaiger Straftaten, sinddie Polizeibehörden der Länder.In der Regel wird die Polizei alserste Institution mit Vorfällen häuslicherGewalt befasst. Oft wird sievon den Opfern selbst oder vonNachbarn über den Notruf angefordert.Ihr obliegt es, alle eilbedürftigenMaßnahmen in die Wege zuleiten. Da das bisherige rechtlicheInstrumentarium des Polizeirechtszur Bewältigung der akuten Krisensituationin der Praxis für unzureichendbzw. für zu unklar erachtetwurde 21 , haben verschiedene Bundesländerflankierend zu den zivilrechtlichenVorschriften des GewaltschutzgesetzesÄnderungen ihrerPolizeigesetze beschlossen. 22Auch in den Bundesländern, diekeine polizeirechtlichen Spezialregelungengetroffen haben wie z.B. Baden-Württemberg,hat sich die Praxisim Umgang mit häuslicher Gewaltähnlich wie in den Ländern mitspeziellen Normen entwickelt.In Nordrhein-Westfalen ist die indiesem Zusammenhang wesentlicheNeuregelung in § 34 a Polizeigesetz(PolG) enthalten. Danach wird nunmehrausdrücklich die Möglichkeiteröffnet, als Sofortmaßnahmen eineWohnungsverweisung und einRückkehrverbot bis zu zehn Tagenauszusprechen. 23 Wird hiervon Gebrauchgemacht, hat die gefährdetePerson Zeit, einen Antrag auf Wohnungsüberlassungund evtl. weitereSchutzanordnungen nach dem Gewaltschutzgesetzzu stellen. ÜberBeratungsangebote, die ggf. auch zuvermitteln sind, ist sie nach § 34 aAbs. 4 PolG NRW durch die Polizeizu informieren. Mit den neuenRegelungen soll nach Aussage desInnenministeriums Nordrhein-Westfalen 24 erreicht werden, dass• „Täter erfahren, dass Gewalt inBeziehungen keine Privatangelegenheitist und sie zur Rechenschaftgezogen werden;• Opfer häuslicher Gewalt in demBewusstsein gestärkt werden,dass staatliche Stellen Hilfe leisten;• in der konkreten Situation weitereGewalt verhindert werden kann;• eine konsequente Strafverfolgunggewährleistet wird;• durch Vermittlung an Hilfe undBeratungseinrichtungen demOpfer Hilfe geleistet wird“.C. Aktuelle Zahlen zum polizeilichemEinschreiten bei häuslicherGewaltErstes Zahlenmaterial seit Inkrafttretendes neuen Gewaltschutzrechtsliegt inzwischen vor. Ausgehendvon der Überlegung, dass inder Masse aller Fälle, die staatlichenStellen überhaupt bekannt werden,als erste Institution die Polizei mitdem Vorgang befasst ist, wurden dieZahlen zu polizeilichen Einsätzenbei häuslicher Gewalt betrachtet.Wenn es nämlich zu einer Entfernungdes/der Täters/in aus der gemeinsamenWohnung kommt, geschiehtdies nach bisheriger Erfahrungdurchweg schon im Zusammenhangmit dem ersten Polizeieinsatz.Nur selten stellen Betroffenedirekt bei dem zuständigen Gerichteinen Antrag auf Wohnungsüberlassungnach dem Gewaltschutzgesetz,ohne dass zuvor die Polizei eingeschaltetwar.Zugrunde gelegt werden Datenfür Nordrhein-Westfalen, die dasJahr 2002 und das 1. Halbjahr 2003betreffen, sowie die detaillierterenAngaben der Großstadt Bielefeldfür das 1. Halbjahr 2003. Dabei wurdedas Augenmerk speziell auf dieAnordnung von Wohnungsverweisungenund Rückkehrverboten –den beiden wichtigen Neuregelungenim Polizeigesetz – , die angezeigtenDeliktsarten und die Anzahlder Anträge auf Erlass zivilrechtlicherAnordnungen gerichtet. DieZahlen aus dem PolizeipräsidiumBielefeld ermöglichen darüber hinauseine Aussage über die geschlechtsspezifischeVerteilung imTäter-Opfer-Verhältnis.I. Nordrhein-WestfalenDie nordrhein-westfälische Statistik25 enthält Angaben über Art undAnzahl der Straftatbestände, derpolizeilichen Verfügungen (insbesondereWohnungsverweisungenund Rückkehrverbote), der verwaltungsgerichtlichenEntscheidungensowie Zahlen über die Vermittlungder Opfer an Beratungsstellen undüber Anträge auf Erlass zivilrechtlicherAnordnungen. DetailliertereAngaben, z.B. über Altersstrukturund die geschlechtsspezifische Verteilungvon TäterInnen und Opfern,sind nicht vorhanden.Im Jahr 2002 wurde landesweitin insgesamt 14.300 Fällen häuslicherGewalt polizeilich eingeschritten,wobei in 4.894 Fällen Wohnungsverweisungenund Rückkehrverboteausgesprochen wurden. Im<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>13


Ulrike Mönigersten Halbjahr 2003 kam es zu8.284 Einsätzen, bei denen in 3.<strong>27</strong>9Fällen Wohnungsverweisungen undRückkehrverbote ausgesprochenwurden. Eine deutliche Steigerungder Zahlen von Quartal zu Quartalist dabei erkennbar; diese dürfte imWesentlichen auf eine erhöhte Anzeigebereitschaftin der Bevölkerungund auf eine gesteigerte Sensibilitätder Einsatzkräfte im Umgangmit häuslicher Gewalt zurückzuführensein. Wenn bereits im ersten Jahrnach Inkrafttreten des Gewaltschutzrechtsin gut einem Drittelund im folgenden Halbjahr in knapp40% aller Fälle Anordnungen bezüglichder Wohnung verfügt wurden,spricht dies dafür, dass dieNeuregelung im Polizeigesetz eineProblemlage trifft, die dringend einerInterventionsmöglichkeit durchöffentliche Stellen bedurfte. In 498(2002) bzw. 334 (1. Hj. 2003) allerpolizeilich bekannt gewordenenFälle häuslicher Gewalt, d.h. in ca.3,5% bzw. 4%, wurden innerhalbder 10-Tages-Frist zivilrechtlicheAnordnungen – hierunter fallen dienach dem Gewaltschutzgesetz möglichenMaßnahmen – beantragt. Warumder Prozentsatz so gering ist,ist bisher nicht hinreichend erklärbar.Bei den Straftatbeständen dominiertdie „einfache“ Körperverletzungnach § 223 StGB (2002: 9.134Fälle; 1. Hj. 2003: 5.238), gefolgt vonder gefährlichen Körperverletzungnach § 224 StGB (2002: 2.555 Fälle;1. Hj. 2003: 1.569 Fälle) und derBedrohung gem. § 241 StGB (2002:1.429 Fälle; 1. Hj. 2003: 787 Fälle).In immerhin 26 Fällen (2002) bzw.11 Fällen (1. Hj. 2003) wurden Tötungsdelikte(Versuche eingeschlossen)angezeigt.II. Raum BielefeldBei dem Polizeipräsidium in Bielefeldbesteht seit 1999 das Interventionsprojektgegen Gewalt vonMännern in Beziehungen 26 , dessenZiel es ist, ein Netzwerk zwischenPolizei, kommunalen Behörden, Beratungsstellen,Frauenhäusern undder Staatsanwaltschaft zu installierenund durch abgestimmtes Verhaltenaller Institutionen das Problemhäuslicher Gewalt besser zu bewältigen,als es bisher der Fall war. ImPolizeipräsidium Bielefeld, dessenZuständigkeitsbereich ca. 330.000Einwohner/innen umfasst, werdenseit 2003 mit Hilfe eines neuen<strong>Info</strong>rmations- und Ermittlungssystems(INES) konsequent verschiedeneDaten bei Einsätzenhäuslicher Gewalt erfasst. Das System,das in dieser Form inDeutschland nur in Bielefeld vorhandenist, ermöglicht eine detaillierteErfassung und Auswertungnach verschiedenen Merkmalen wiez.B. nach Geschlecht, Alter derOpfer und Täter/innen, Berufen,Uhrzeiten und Wochentage der Taten.An dieser Stelle soll nur auf einigeErgebnisse eingegangen werden,wobei die Daten für das 1.Halbjahr 2003 zugrunde gelegt werden.<strong>27</strong>Im 1. Halbjahr 2003 wurden insgesamt295 polizeiliche Einsätze inFällen häuslicher Gewalt erfasst. 28Wohnungsverweisungen und Rückkehrverbotewurden in 64 Fällen angeordnet,in einem Fall nur einRückkehrverbot. Vergleicht mandiese Zahlen mit denen für Nordrhein-Westfaleninsgesamt, so ist erkennbar,dass die Anzahl polizeilicherVerfügungen in Bielefeld mitca. 22% deutlich unter dem Landesdurchschnittvon ca. 40% liegt. DieUrsachen hierfür sind bisher nichterforscht.Die Deliktsverteilung im RaumBielefeld entspricht weitgehend derjenigenauf Landesebene (vgl. AbschnittC.I.). Das häufigste Deliktstellt die Körperverletzung nach §223 StGB dar (173 Fälle), gefolgtvon Bedrohung und gefährlicherKörperverletzung (jeweils 39 Fälle).In einem Fall bestand der Verdachteines Tötungsdelikts.Das Erfassungssystem ermöglichtdarüber hinaus u.a. Feststellungenzur geschlechtsspezifischenVerteilung im Täter-Opfer-Verhältnis:In 261 Fällen waren die Tatverdächtigenmännlichen Geschlechts,in 15 Fällen weiblich, in 19 Fällenhandelte es sich um „keine Angaben/unbekannt/Fehleingaben“(vgl. Fn. 28). Ordnet man die Fällemit unbekannter Angabe vollständigjeweils dem weiblichen odermännlichen Geschlecht zu, ergibtsich ein Anteil männlicher Tatverdächtigerzwischen 88,5% und94,9%. Bei den Geschädigten handeltees sich in 243 Fällen um weiblichePersonen, in 31 Fällen ummännliche Personen, in 21 Fällenwurde „keine Angaben/unbekannt/Fehleingaben“angekreuzt.Mindestens 82,4% und höchstens89,5% der Opfer sind also weiblich,während zwischen 10,5% und17,6% männlich sind.III. Die geschlechtsspezifischeTäter-Opfer-Verteilung imKontext anderer ErgebnisseEine Betrachtung der vorliegendenZahlen bestätigt die der gesetzgeberischenInitiative zugrunde liegendeAnnahme, häusliche Gewalt gehein der Regel von Männern aus. Opfersind nach dem zur Verfügungstehenden Zahlenmaterial ganzüberwiegend weibliche Personen.Auch wenn gelegentlich behauptetwird, Männer und Frauen seien inungefähr gleichem Umfang gewalttätig(vgl. Bock 2001, S. 5ff.;mwN) 29 , weisen die zum Bereichder häuslichen Gewalt bisher konkretvorliegenden Zahlen aus demHellfeld auf das Gegenteil hin (vgl.Abschnitt C. I. und II). Dies stimmt14


Die rechtlichen Schutzmöglichkeiten gegen häusliche Gewaltauch mit den Ergebnissen der polizeilichenKriminalstatistik für alleStraftaten überein (vgl. Bundeskriminalamt,2002): Danach sind unterallen Tatverdächtigen etwa dreimalmehr Männer als Frauen(76,5% männliche, 23,5% weiblicheTatverdächtige). Schlüsselt man weiternach Delikten auf, so ist erkennbar,dass der Schwerpunkt der Frauenkriminalitätbei Diebstahlsdeliktenliegt; hier beträgt ihr Anteil31,1%. Im Bereich der Körperverletzungsdeliktewerden hingegennur 15,4% der Delikte von Frauenbegangen. Gegenüber den Zahlenaus dem Hellfeld gehen Dunkelfeld-Untersuchungen zwar von einemhöheren Anteil weiblicher Kriminalitätaus, der auf ca. 35% an der Gesamtkriminalitätgeschätzt wird(Hell- und Dunkelfeld; vgl. Schwind2003, S. 79f.; mwN). Dieser Wertentspricht aber immer noch nicht –trotz steigender Tendenz (vgl.Schwind aaO) – dem Anteil vonFrauen an der Bevölkerung. Darüberhinaus sind deliktsspezifischeUnterschiede zu berücksichtigen(vgl. ebd.). Betrachtet man den Bereichinnerfamiliärer Gewalt, so sindhier Männer als Täter überrepräsentiert.Neuere kriminologische Forschungsergebnissezu Misshandlungs-Deliktenin der Familie habennach Schneider (2001) Folgendesergeben: „(...) Frauen-Misshandlung ist13mal häufiger als Männer-Misshandlung.Partner-Gewalt in der Familie istein asymmetrisches Phänomen. Männer-Misshandlung ist nicht nur seltener alsFrauen-Misshandlung. Männer fügen ihrenviel verletzbareren Frauen auch vielschwerere körperliche und seelische Schädenzu, und sie werden häufiger rückfällig.Frauen wenden Gewalt zumeist in fürsie ausweglosen Situationen, in Notwehrlagenan, und sie verursachen weit leichterekörperliche Verletzungen als Männer.Frauen-Gewalt wird von Männern häufigzur Rechtfertigung ihrer eigenen Gewalt-Anwendungbenutzt.“ (ebd., S. 208;mwN)D. Fazit und AusblickDas neue Gewaltschutzrecht ist einguter Anfang zur Entprivatisierunghäuslicher Gewalt. Seit Inkrafttretenreagieren Polizei und Justiz inzunehmendem Maße mit Interventionen,die allerdings nur ein Bausteinim entschlossenen Vorgehengegen häusliche Gewalt sein können.In diesem Bereich ist eine engeVernetzung aller beteiligten Stellenim Hilfesystem notwendig, um diebetroffenen Opfer wirksam darinunterstützen zu können, einenSchlussstrich unter den Gewaltkreislaufzu setzen. Hier bleibt nochvieles zu verbessern.Anmerkungen1 Vgl. <strong>IFF</strong> <strong>Info</strong> <strong>Nr</strong>. 24, 2002, S. 72 ff.2 Der Auffassung von Meder (2001, S.193), es sei „wie Kindesmissbrauch undVergewaltigung in der Ehe als Modethema“in der Presseberichterstattung sogar„teilweise überstrapaziert“ worden,kann allerdings nicht zugestimmt werden.3 Gesetzentwurf der Bundesregierung,BT-Drucks. 14/ 5429, S. 1, aus dem Jahr2001. Etwas ältere Schätzungen ausdem Jahr 1995 belaufen sich auf ca.40.000 Frauen (vgl. Schall/Schirrmacher1995, S. 11; mwN). Zutreffendwird sowohl von Peschel-Gutzeit (2001,S. 243) als auch von Schall/Schirrmacher(1995), darauf hingewiesen, dasses sich um Zahlen aus dem Hellfeldhandelt und das Dunkelfeld im Bereichkörperlicher Gewalt gegen Frauen alssehr groß einzuschätzen ist (vgl. hierzuSchall/Schirrmacher 1995, S. 11 ff.)4 Inwieweit sich die neuen Regelungentatsächlich auf die Anzahl der Inanspruchnahmevon Frauenhäusern auswirkt,wäre noch zu untersuchen.5 BMFSFJ, Aktionsplan der Bundesregierungzur Bekämpfung von Gewaltgegen Frauen. Zur Vorgeschichte desGesetzentwurfes vgl. auch: Hermann(2002, S. 3062; mwN), Schumacher(2001, S. 953f.) und Schweikert (2000,S. 168 ff.). Einen kurzen Überblick überdie Rechtslage in Österreich, an denensich die deutschen Neuregelungen orientieren,geben u.a. Hesse/Queck/Lagodny(2002, S. 68-70), Schumacher(2001, S. 954) und Schweikert (2000, S.169f.).6 Die Ausführungen im Folgenden konzentrierensich ausschließlich auf dasPolizeigesetz NW; sie lassen sich inhaltlichweitestgehend auf andere Bundesländer,die ebenfalls eine Spezialregelungeingeführt haben, übertragen. Ineinigen Bundesländern hingegen – wiez.B. in Baden-Württemberg – hat manauf die Einführung einer Spezialregelungverzichtet und stützt die entsprechendenMaßnahmen wie die Wohnungsverweisungauf die polizeilicheGeneralklausel. Die unterschiedlichegesetzliche Regelungstechnik muss m.E.keine Auswirkung auf die Effizienz polizeilicherSofortmaßnahmen haben.7 Palandt/Brudermüller <strong>2004</strong>, GewSchG § 1 Rn. 6, § 2 Rn. 17; BT-Drucks.14/5429 S. 19 mwN aus der Rechtsprechung,die an die Widerlegung der Vermutunghohe Anforderungen stellt.8 Der Begriff „to stalk“ stammt ausdem Englischen und bedeutet in der Jägersprache„heranpirschen, nachstellen“(Schumacher 2001, S. 955, Fn. 24).9 Für eine enge Auslegung jedochPalandt/Brudermüller <strong>2004</strong>, GewSchG§ 2 Rn. 2: Selbst wenn neben dem gemeinsamenWunsch, Wohnbedürfnissebilliger und/oder angenehmer zu befriedigen,eine gemeinsame Haushaltsführunghinzukommt, soll dies nichtausreichen.10 So auch Schumacher (2002, S. 650);zu weiteren Einzelfragen im Zusammenhangmit der Auslegung des Begriffess. ebda.11 Das Gesetz spricht zwar nur von„Wohnung“. Gemeint sind nach Sinnund Zweck des Gesetzes aber natürlich<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>15


Ulrike Mönigauch Häuser, die zu Wohnzwecken genutztwerden.12 Z.B. nach einer Vergewaltigung odereinem Tötungsversuch.13 Z.B. wenn der/die Täter/in behindertist und die Wohnung behindertengerechtausgestattet ist.14 BT-Drucks. 14/5429 S. 31f.; Palandt/Brudermüller(<strong>2004</strong>), GewSchG§ 2 Rn.13. Die Nutzungsvergütung richtetsich dann nach dem Mietwert, vgl.Schweikert/Baer (2002, Rn. 77).15 Der Begriff ist identisch mit demnunmehr in § 1361 b BGB verwendeten.16 Dass die Verletzung einer zivilrechtlichenVerpflichtung strafrechtlichpönalisiert wird, ist dem Gesetz durchausnicht fremd, wie die Existenz des §170 StGB zeigt.17 Widersprüchlich insoweit Palandt/Brudermüller noch in der 62. Aufl.(2003) zu § 1361 b Rn. 1 und § 2GewSchG Rn. 2; anders und klarer nunmehrin der 63. Aufl. (<strong>2004</strong>), wo es heißt,§ 1361 b sei die „weitergehende Vorschriftallgemein zur Lösung von Konfliktenunter Ehegatten“ (§ 1361 b Rn.1) und die Anwendungsbereiche könntensich überschneiden (§ 2 GewSchGRn. 2). M.E. müssen beide Vorschriftenim Interesse eines effektiven undmöglichst lückenlosen Opferschutzesnebeneinander anwendbar sein.18 Vgl. die zahlreichen Nachweise ausder Rechtsprechung bei Palandt/Brudermüller(2001, § 1361 b, Rn. 8); BT-Drucks. 14/5429, S. 11; (Grziwotz 2002,S. 872).19 AG Tempelhof-Kreuzberg, Beschlussvom 5.9.2002 – 142 F 3248/02– , in: Familie, Partnerschaft, Recht2003, S. 26-28.20 AG Tempelhof-Kreuzberg aaO, S.<strong>27</strong>f. Zu den konkreten Einzelheiten desFalles ebd.21 Zur bisherigen Rechtslage siehe BT-Drucks. 14/5429, S. 24 und Hermann(2002, S. 3063).22 Einen Überblick über die Rechtslagein den verschiedenen Bundesländerngeben Schweikert/Baer (2002, Rn. 381ff.).23 Nach der bis Ende 2001 geltendenRechtslage in NRW konnte die Polizeieinen Schutz der Opfer vor der gewalttätigenPerson nur in engen zeitlichenGrenzen gewährleisten. In Betracht kamenIngewahrsamnahme der gewalttätigenPerson bis zu einem Tag undPlatzverweis.24 IM NRW, http://www.im.nrw.de/sch/96.htm.25 IM NRW, http://www.im.nrw.de/sch/96.htm.26 Es steht unter Leitung der ErstenKriminalhauptkommissarin Heike Lütgertund der Gleichstellungsbeauftragtender Stadt Bielefeld, Ilse Buddemeier.<strong>27</strong> Für das 2. Halbjahr 2003 liegt eineAuswertung noch nicht vor; es zeichnetsich jedoch eine Steigerung der Einsatzzahlenab, wobei für das Gesamtjahrvon ca. 640 Einsätzen auszugehensein dürfte.28 Zu berücksichtigen ist, dass sich dasErfassungssystem Anfang 2003 in derAnlaufphase befand und noch nicht alleMitarbeiter/innen gleichermaßen mitdem Erfassungsbogen vertraut waren.Daraus erklärt sich die Rubrik „keineAngaben/unbekannt/Fehleingaben“.Es ist zu erwarten, dass sich die diesbezüglichenZahlen bereits im nächstenErfassungszeitraum deutlich reduzierenwerden.29 Bock (2001) kommt in seinem Gutachtenzum Gesetzesentwurf zu derEmpfehlung, ihn insgesamt abzulehnen.Seine Begründung stützt sich wesentlichdarauf, die Bundesregierung habemit ihrer Behauptung, häusliche Gewaltginge fast ausschließlich von Männernaus, ein „geschlechtsspezifisches Bedrohungsszenario“entworfen; der Gesetzentwurfsei „ausschließlich aufEnteignung, Entmachtung, Ausgrenzungund Bestrafung von Männern“gerichtet. Bock sieht hierin einen„Grundtenor“, der „eine zersetzendeWirkung ausüben“ werde „und damitnicht nur die demographische Entwicklungnegativ beeinflussen, sondern auchdie Lebensqualität der Bürger und diegesellschaftliche Integration“.LiteraturBock, Michael: Gutachten zum Entwurfeines Gesetzes zur Verbesserungdes zivilrechtlichen Schutzesbei Gewalttaten und Nachstellungensowie zur Erleichterung der Überlassungder Ehewohnung bei Trennungvom 15. 6. 2001, www.vafk.de/gewaltschutz[29.1.04].Bundeskriminalamt (Hg.): PolizeilicheKriminalstatistik 2002 BundesrepublikDeutschland, http://www.bka.de/pks/pks2002/index2.html[31.1.04].Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und Jugend (BMFSFJ;Hg.): Aktionsplan der Bundesregierungzur Bekämpfung von Gewaltgegen Frauen, Bonn 1999.Bundesrat (BR, Hg.): Gesetzentwurfder Bundesregierung. Entwurf einesGesetzes zur Neugliederung, Vereinfachungund Reform des Mietrechts(Mietrechtsreformgesetz), Drucksache439/00, Berlin 2000.Deutscher Bundestag (BT, Hg.): Gesetzentwurfder Bundesregierung.Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserungdes zivilrechtlichen Schutzesbei Gewalttaten und Nachstellungensowie zur Erleichterung der Überlassungder Ehewohnung bei Trennung,Drucksache 14/5429, Berlin2001.Frommel, Monika: Fußangeln auf demWeg zu einer verbesserten Präventiongegen häusliche Gewalt, in: Zeitschriftfür Rechtspolitik, 2001, S.287-291.Grziwotz, Herbert: Schutz vor Gewaltin Lebensgemeinschaften und vorNachstellungen, in: Neue JuristischeWochenschrift, 2002, S. 872-874 .Hermann, Ulrike: Die Umsetzung des„Gewaltschutzgesetzes“ in das Landespolizeirecht,in: Neue Juristische16


Die rechtlichen Schutzmöglichkeiten gegen häusliche GewaltWochenschrift, 2002, S. 3062-3065.Hesse, Dörthe/Queck, Nadine/Lagodny,Otto: „Hausverbot“ für prügelndeEhemänner (?), in: Juristen-Zeitung,2000, S. 68-72.Interdisziplinäres Frauen-Forschungs-Zentrum (Hg.): Gewalterfahrungenvon Frauen – und Männern!?, in: <strong>IFF</strong><strong>Info</strong>, Zeitschrift des InterdisziplinärenFrauenforschungs-Zentrums, Jg.19, <strong>Nr</strong>. 24, 2002, S. 72-83.Innenministerium Nordrhein-Westfalen(IM NRW, Hg.): Mehr Schutz vorhäuslicher Gewalt, Statistik „häusliche“Gewalt in NRW, http://www.im.nrw.de/sch/96.htm [2.2.04].Innenministerium Nordrhein-Westfalen(IM NRW, Hg.): Zahlen „HäuslicheGewalt“ für das Jahr 2002,http://www.im.nrw.de/sch/doks/hg_Jahreszahlen2002.pdf [31.1.04]Innenministerium Nordrhein-Westfalen(IM NRW, Hg.): Zahlen „HäuslicheGewalt“ für das 1. Halbjahr2003, http://www.im.nrw.de/sch/doks/hg_Jahreszahlen2003_1.pdf[31.1.04].Klein, Michael: Opferschutz – Alternativezur Flucht ins Frauenhaus, in:Familie und Recht, 2002, S. 1-6.Meder, Stephan: Häusliche Gewalt undeheliches Fehlverhalten als Kriterienfür die Wohnungszuweisung gemäߧ 1361 b BGB, in: Familie undRecht, 2001, S. 193-196.Palandt: Bürgerliches Gesetzbuch, 63.Aufl., München <strong>2004</strong>.Palandt: Bürgerliches Gesetzbuch, 62.Aufl., München 2003.Palandt: Bürgerliches Gesetzbuch, 60.Aufl., München 2001.Peschel-Gutzeit, Lore Maria: Gesetz zurVerbesserung des zivilrechtlichenSchutzes bei Gewalttaten und Nachstellungensowie zur Erleichterungder Überlassung der Ehewohnungbei Trennung (Gewaltschutzgesetz),in: Familie, Partnerschaft, Recht,2001, S. 243-245.Schall, Hero/Schirrmacher, Gesa: Gewaltgegen Frauen und Möglichkeitenstaatlicher Intervention, Stuttgart1995.Schneider, Hans Joachim: Kriminologiefür das 21. Jahrhundert, Münster2001.Schumacher, Silvia: Mehr Schutz beiGewalt in der Familie, in: Zeitschriftfür das gesamte Familienrecht, 2002,S. 645-660.Schumacher, Silvia: Der Regierungsentwurfeines Gesetzes zur Verbesserungdes zivilrechtlichen Schutzesbei Gewalttaten und Nachstellungensowie zur Erleichterung der Überlassungder Ehewohnung bei Trennung,in: Zeitschrift für das gesamteFamilienrecht, 2001, S. 953-958.Schweikert, Birgit: Interdisziplinär undkreativ: Das beabsichtigte Schutzgesetzgegen häusliche Gewalt, in: Familie,Partnerschaft, Recht, 2000, S.168-176.Schweikert, Birgit/Baer, Susanne: Dasneue Gewaltschutzrecht, Baden-Baden2002.Schwind, Hans Dieter: Kriminologie.Eine praxisorientierte Einführungmit Beispielen, 13. Aufl., Heidelberg2003.Prof. Dr. iur. Ulrike MönigFachhochschule BielefeldFachbereich SozialwesenKurt-Schumacher-Straße 633615 BielefeldE-Mail: ulrike.moenig@fh-bielefeld.de<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>17


Sabine MarxSabine MarxGeschlecht kommunizierenAnmerkungen zum Training sozialer KompetenzDer folgende Artikel thematisiert Kommunikation von Geschlecht im Hinblick auf Veränderungen von Organisationen.Er basiert auf Praxiserfahrungen in beruflich orientierten Beratungen und Kommunikationstrainings sowie einerUntersuchung zum Thema Kommunikation in betrieblichen Arbeitsteams. 1 Ausgehend von Beobachtungen in der Weiterbildungwird die Frage nach der Schnittstelle Kommunikation und Organisation gestellt. Theoretische Bezüge sindGeschlecht und Organisation sowie Methoden zur kommunikativen Organisationsforschung und -entwicklung. AmBeispiel einer Textanalyse aus der Studie werden diese Überlegungen verdeutlicht. Schlussfolgerungen zur Entwicklungvon Genderkompetenz in Organisationen schließen die Ausführungen ab.Als ich während eines Seminars aneiner technischen Hochschule (vgl.Kasten S. XX) die Szene eines Mannesund einer Frau am Esstisch, analysierenließ, stellte ich fest, dass diesich äußernden TeilnehmerInnenoffenbar die Worte „Mann“ und„Frau“ vermieden und stattdessenvon „linker“ und „rechter Person“sprachen. Auf meine Rückfrage hin,warum das so sei, antwortete einTeilnehmer mit ironischem Unterton,das läge am Einfluss derGleichstellungsbeauftragten, die vielfür die Sensibilisierung dem ThemaGeschlecht gegenüber getan habe.Es schloss sich eine Diskussion überGleichstellungspolitik in der Hochschulean. 2Seit 1998 führe ich Kommunikationstrainingsdurch, in Unternehmenebenso wie in Hochschulen.Teilgenommen haben dabei bis heuteschätzungsweise 700 Interessierte,Studierende und Führungskräfte,Ältere wie Jüngere, mehr Männerals Frauen; gelegentlich arbeiteich mit geschlechtshomogenenFrauen- wie Männergruppen. GuteKommunikationstrainings ermöglichenvielfältige Erfahrungen undsind sehr lehrreich und befriedigendfür die Beteiligten. TeilnehmerInnenbetonen in den Trainings als besonderspositiv das Erlebnis produktiverZusammenarbeit, die Orientierungan unterschiedlichen Kompetenzenund die Möglichkeit, miteinanderin einen offenen und anregendenAustausch zu treten.Kompetenzen werden „zumVerschwinden gebracht“Zugleich berichten die Beteiligtenaus ihren beruflichen Zusammenhängenhäufig von mangelhaftemAustausch und unproduktiven Arbeitsbeziehungen,wo das Wissenum die Möglichkeiten produktiverKommunikation und die entsprechendenKompetenzen 3 der Beteiligtenimmer wieder „zum Verschwinden“4 gebracht werden. Innerhalbvon Organisationen scheinenvielfach andere kommunikativeFaktoren am Werk zu sein, alsdie Grundorientierung am produktivenMiteinander. Diese Frage berührtdie Grundlagen von Organisationsentwicklungund -beratung,die um eine humane und effektiveGestaltung von Organisation bemühtsind. Daher wollte ich einensystematischen Blick hinter die Kulissenvon Organisation werfen undmich mit den Kommunikationsgepflogenheitenim „realen“ betrieblichenKontext befassen. Mich interessiertealso besonders die SchnittstelleKommunikation 5 und Organisation,der Blick nicht nur auf dieindividuelle Kompetenzerweiterung,sondern ebenso auf das Lernenvon Organisation 6 .„Softe“ Qualifikationen für die„harte“ TechnikMeine Untersuchungsgruppe bestandaus Ingenieurinnen und Ingenieuren,mit denen ich im Laufemeiner Trainingstätigkeit besondersviel zu tun hatte, und die als besondersförderungswürdige Gruppe inpunkto menschliche Kommunikationangesehen wird, werden dochden technisch definierten Arbeitsbereicheneher Defizite im kommunikativenBereich zugeschrieben.Hier scheint insofern Handlungsbedarfzu bestehen, als sich das Berufsbildvon IngenieurInnen derzeitstark verändert. Die IngenieurInnenvon morgen sollen nicht nur fachlichqualifiziert sein, sondern auchüber kommunikative und sozialeKompetenzen verfügen, sich in anderenSprachen und Kulturen zurechtfinden,offen sein für Veränderung.7 Die neuen Ingenieursarbeitsplätzeverändern ihr Gesicht undverlangen nach „soften“ Qualifikationen,die traditionell eher dem18


Geschlecht kommunizierenMiteinander reden...Geschlechterklischees im Kommunikationsmodell Schulz von ThunsWer heute ein Kommunikationstraining besucht, stößt beinahe zwangsläufig auf das „Quadrat der Kommunikation“,ein Modell, das Friedemann Schulz von Thun (1985) basierend vor allem auf Watzlawick etal. (1990) entwickelt hat. Die Werke, die als populärwissenschaftliche „Standardwerke“ zum Thema menschlicheKommunikation gelten, haben zahlreiche und hohe Auflagen erreicht. Allein deshalb lohnt ein Blickauf die propagierten Modelle zur besseren Verständigung. Demnach besteht menschliche Kommunikationaus dem „Senden“ und „Empfangen“ von „Nachrichten“ auf zwei Ebenen: der „Sach-“ und „Beziehungsebene“.Schulz von Thun hat die Beziehungsebene um die Aspekte „Selbstoffenbarung“ und „Appell“erweitert, auf denen wir sprechen und hören. Sehen wir uns eins der Beispiele an, mit dem er sein Modellerläutert (vgl. ebd., S. 62f):In der folgenden Illustration legt er das Beispiel unter dieLupe und analysiert es anhand seines „Quadrats der Kommunikation“,um das Entstehen von Missverständnissen zuerklären und sie in der („Meta“)Kommunikation aufzulösen:Augenfällig ist die Klischeehaftigkeit des Beispiels,in der ein Mann – ganz „urig“ – isst, waseine Frau gekocht hat und sich dabei – ganz„sachlich“ – nach den Essensbestandteilen erkundigt,woraufhin die Frau – in einer Art hysterischenÜberreaktion – die Machtfrage in der Beziehungstellt. Während er also sachlich ist, reagiert sie emotional („beziehungsorientiert“). Der Autor hatihm dabei die Senderrolle, also den „aktiven“ Part zugewiesen, während sie „passive“ Empfängerin ist.Dass der Mann dem „Grünen“ gegenüber skeptisch ist – sei es in Form gesunder Nahrung oder womöglichpolitisch gefärbten Inhalten – während sie diese Bestandteile ins Essen gemischt hat, und nun diesesGrüne zwischen den beiden problematisiert wird, fällt in den subtilen komischen Bereich der mit transportiertenVorurteile.Bei Schulz von Thun ebenso wie bei Watzlawick et al. finden sich zahlreiche ärgerliche Beispiele aus dem„Spiel der Geschlechter“ (weitere nörgelnde Ehefrauen etc.), die so eine Tendenz zur Verallgemeinerungerhalten. Doch auch wenn wir diese Art Beispiele verwerfen, bleibt die Frage, ob das Modell an sichtauglich bleibt.Prinzipiell ist es meines Erachtens eine nützliche Vereinfachung mit Werkzeugcharakter, um zwischenBeziehungs- und Sachebene von Kommunikation zu unterscheiden. Doch die Art, wie das Modell kommuniziertwird, ist problematisch. Die „sachliche“ Ebene wird als unverrückbar definiert, während emotionalebeziehungsorientierte Ebenen zur Verhandlung/Disposition ausgeschrieben werden. Es gibt jedochkeine „Sachen“, die aus sich heraus unzweifelhaft existieren, während Emotionen labil und flüchtig sind.Sind nicht emotionale Aspekte ebenso – oder: ebenso wenig – Tatsachen, die Gültigkeit besitzen? Basiertnicht Kommunikation gerade auf der Kompetenz der (intuitiven) Deutungen, auf Erfahrungen? Andersgefragt: reagiert die Frau in dem Beispiel vielleicht ganz stimmig aufgrund der gemeinsamen Beziehungsgeschichteund deutet die Frage des Mannes sehr präzise als Kritik? Welche Arrangements und Aushandlungsprozessefür Miteinander haben zwischen den beiden – entlang von Geschlechterlinien – stattgefundenund wie setzen sich diese beim Essen fort? Zu welchen Formen der Verständigung zwischen Menschenführt überdies die Reduktion des gemeinsamen Nenners auf ein Rudiment „Da ist was Grünes“, währenddas „übrige“ kommunikative Geschehen zur potenziellen Quelle von Missverständnissen erklärt wird? Ander Qualität des Modells sind also Zweifel angebracht, insbesondere wenn Geschlechtervorurteile damitverknüpft werden, wie das nach wie vor verbreitete, Männer neigten zur „sachlichen“, Frauen zur „emotionalen“Kommunikationsweise.<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>19


Sabine Marx„weiblichen“ Fähigkeitsspektrumzugeordnet werden. Zudem wird argumentiert,dass die Einbeziehungvon Frauen wie allgemein eine Orientierungan diversifizierten Fähigkeitender MitarbeiterInnen einenzusätzlichen Gewinn für die Unternehmenbringt. 8„Innovativ denken“, „lebenslanglernen“Diese angestrebten Veränderungenstehen im Zusammenhang mit demEntstehen neuer Organisationsformenund Managementhandeln. DieOrganisation der Zukunft soll eine„lernende Organisation“ sein, die inder Lage ist, flexibel in zunehmendturbulenten Umwelten zu agierenund fortzubestehen. Flache Hierarchien,dezentrale Organisationsstrukturen,vernetzte Kommunikationund Kundenorientierung gebendie Richtung der Entwicklung an.Alle Beteiligten werden aufgefordert,„innovativ“ zu denken und „lebenslangzu lernen“. Diese Leitgedanken,die an betriebliche Arbeitsbereicheund technisch-wirtschaftlicheAkteurInnen herangetragenwerden, lassen sich unschwer alsLeitideen einer allgemeinen politisch-gesellschaftlichenEntwicklungidentifizieren und es kann vermutetwerden, dass im Ingenieurbereichwie schon in der VergangenheitEntwicklungen vordenkend erprobtwerden, denen Tendenzen zurVerallgemeinerung innewohnen.Wenn Kommunikation ins Zentrumder Aufmerksamkeit betrieblicherOrganisation gerät, als neu zuentdeckende Ressource und Produktivkraftentwickelt werden soll,wie es derzeit der Fall ist, ist zu erwarten,dass die AkteurInnen sichdarin positionieren, Kompetenz(neu) verhandeln, Kommunikationim Verhältnis zu Geschlecht (neu)konstruieren und kontextualisieren.Wie dies geschieht, habe ich mittelsGruppendiskussionen, die konversationsanalytischausgewertet wurden,untersucht. Die zentrale Fragedabei war, welche Bedeutungszuschreibungendie AkteurInnen inBezug auf Kommunikation, Kompetenzund Geschlecht vornehmen.Theoretische Bezüge: Organisation,Sprache, GeschlechtZunächst sollen die theoretischenRelevanzbezüge der Untersuchungin ihren Grundzügen dargelegt werden.Dabei geht es um Theorien vonOrganisation und Geschlecht, umGeschlechtersprachforschung undpoststrukturalistische Organisationstheorie.Als erstes ist festzuhalten,dass trotz einer breiten internationalenForschungsszene zum ThemaOrganisation und Geschlechtder Mainstream der Organisationstheoriesich bis heute kaum mit folgendenPhänomenen und Fragenbefasst: 9• Wie kommt es, dass OrganisationenGeschlecht gegenüber alsneutral in Erscheinung tretenkönnen, obwohl sie nachweislichstrukturell vergeschlechtlichtsind? Männer 10 besetzen dieFührungsetagen, Frauen 11 sindauf den unteren Ebenen anzutreffen.Die selbst erzeugten Mythenüber Organisation als vernünftiges,aufgabenorientiertesUnterfangen können diese Phänomenenicht erklären.• Wie verhält sich Organisation zuihrer Umwelt/Gesellschaft?Während Männer mittels Organisationüber große gesellschaftlicheMacht verfügen, sind Frauenentlang der Achse öffentlichprivateher gesellschaftlich marginalisiertund vergleichsweiseschlecht mit Machtressourcenausgestattet.• Welche Folgen hat die offensichtlicheVergeschlechtlichung für dieKörper Organisation und die Körperder AkteurInnen: Wie äußertsich hier Geschlecht? Organisationenprägen Orte und Räumevon Gesellschaft in Form vonHäusern, Fabriken, Supermärkten,architektonischen Konzepten,der Gestaltung von Innenräumensowie der räumlichenOrganisation von Kommunikation.Frauen und Männer sinddabei im Allgemeinen äußerlichidentifizierbar und zu unterscheiden.• Wie werden Organisationende/konstruiert und welche Rollespielt dabei Sprach-Handlung? Gesprächesind ein zentraler Ort fürdie Herstellung von Organisationund damit auch für die Veränderungvon Strukturen, sie sindein Ort, wo Geschlecht täglichinszeniert und verhandelt wird.Von der Tradition zurDekonstruktionDiese Fragen sollen schlaglichtartigdie Relevanz feministischer Organisationsforschungbeleuchten. Eslassen sich drei Ansätze feministischerForschung zum Thema Geschlechtund Organisation unterscheiden.Diese folgen zeitlich aufeinanderin der Entwicklung derForschung, besitzen jedoch alle dreiauch weiterhin Gültigkeit in derTheorie und Praxis von Organisation.Dabei erscheint in der ersten PositionOrganisation als rationales,neutrales und damit auch geschlechtsneutralessoziales Gebilde.12 Die – offensichtliche – Unterrepräsentanzvon Frauen und hierarchischeVerteilung qua Geschlechtin Organisationen wird indieser Sichtweise nicht auf prinzipiellFrauen diskriminierende Strukturenzurückgeführt, sondern aufeine historisch gewachsene ungleicheMachtverteilung zwischen Männernund Frauen, die innerhalb der20


Organisation und mit den ihr eigenenMitteln abbaubar ist (Gleichstellungsprogramme,Qualifizierungsmaßnahmenetc.).Die zweite Position betont vor allemdie Parallelität zwischen gesellschaftlichenStrukturen und Organisationsmustern.Organisationen geltenin ihren Grundvoraussetzungenund Strukturen als von Männern geprägtund dominiert, mit entsprechendenAusschlussmechanismenund informellen Steuerungsinstrumenten,um Frauen in untergeordnetenPositionen zu halten. Organisationerscheint damit als Fortsetzunggesellschaftlicher Strukturenund wird im Zusammenhang mitProduktions- und Reproduktionsverhältnissengesehen. 13In der dritten Position erscheintOrganisation weder als dem Geschlechtgegenüber neutral, nochtritt Geschlecht als allgegenwärtigesStrukturmerkmal auf, sondern vielmehrwird Organisation als Prozesshandelnder Akteurinnen und Akteuresichtbar gemacht, auch in ihrerAmbivalenz und Widersprüchlichkeit.Geschlecht (gender) erscheintdamit als sozial konstruiert und konstruierend,nicht definitorisch gekoppeltan Biologie (sex) und auchnicht automatisch verknüpft mitGeschlechterkategorien (sex category)(West/Zimmermann 1987). Organisationenwerden definiert als Prozesshandelnder AkteurInnen, denenweitgehende Autonomie über ihrHandeln zugemessen wird. Der Zusammenhangzwischen Geschlechtund Organisation erscheint als doinggender while doing organization. 14Geschlecht kommunizierenGeschlechtersprachforschung:Dominanz, Differenz, DekonstruktionAn ähnlichen Theorielinien entlangentwickelte sich die Geschlechtersprachforschung.Dabei prägte inden siebziger Jahren die „Dominanz-Hypothese“den Diskurs. ImAnschluss an Sprachregelungen, diestrenge Trennungen zwischen Männernund Frauen kennen, wie siebeispielsweise in einigen afrikanischenSprachen vorzufinden sind,widmete frau sich der Frage, obauch in westlichen IndustrieländernStile und Sprechweisen von Frauenund Männern unterschieden werdenkönnen. Die traditionelle Soziolinguistikhatte Hinweise darauf geliefert,dass es Präferenzen für bestimmtesprachliche Eigenarten in Abhängigkeitvon Klasse und Geschlechtgab. Sprachsoziologischschlossen sich Studien an, die aufdie unterschiedliche Wertigkeit derBeiträge von Männern bzw. Frauenhinwiesen (Senta Trömel-Plötz:„Gewalt durch Sprache“). Der weiblicheSprechstil wurde als demmännlichen unterlegen betrachtet,die männliche Sprechweise als dominierendhervorgehoben.Der „Dominanz-Hypothese“schloss sich die Phase der Differenz-Gedankenan, es wurden diekommunikativen Vorteile betont,die die Besonderheiten des „weiblichen“Sprechstils haben könnten,also etwa der „kooperative“ im Vergleichzum „kompetitiven“ Stil. DieVerständigung zwischen Männernund Frauen erscheint aus dieser Perspektiveschwierig bis unmöglich(Deborah Tannen: „Du kannstmich einfach nicht verstehen“) - eineSichtweise, die derzeit in zweifelhafterRatgeberliteratur fröhlicheUrständ’ feiert.Eine stärker an traditionellenWissenschaftskulturen ausgerichteteFrauenforschung, wie sie in denneunziger Jahren entstand, nahmeine Abkehr von der Annahmezweier geschlechtsspezifischerSprachstile vor. In genaueren Untersuchungenhatte sich die Grundhypotheseder nachweisbaren Verschiedenheitvon Frauen- und Männerspracheals unhaltbar erwiesen.Das Interesse verlagerte sich nunzunehmend auf den Kontext vonKommunikation, wobei weniger dasgesellschaftlich von vornherein„Gegebene“ beleuchtet wurde.Geschlechtsidentität wurde nun alsErgebnis von Kommunikation betrachtet.Damit ist die „Wort“-Ebenein den Analysen verlassen wordenzugunsten der Analyse von Sequenzen,komplexeren sprachlichenGebilden. Im Zuge dieser Verlagerungdes Interessenfokus gerietenauch Männer und Männlichkeit stärkerins Blickfeld der Untersuchungen.Im Deutschen bürgerte sichder Begriff „Gender“ ein (vgl. zusammenfassendBaron 2001).Poststrukturalistische feministischeOrganisationstheorieWährend die frühe feministischeOrganisationstheorie Körper undSexualität primär unter dem Aspektder Gewalt betrachtete, suchen feministischepoststrukturalistischenAnsätze nach umfassenderen Antwortenauf die Frage, wie Körperund Sexualität ihren Ausdruck findenin den Bildern und Realitätenvon Organisationshandeln. Leonard(2002) skizziert eine solche Herangehensweiseauf der Ebene der Metaphernfeministischer Organisationstheorie,die sie im historischenKontext darstellt.Das Projekt der Moderne: Metaphernvon OrganisationSie beschreibt das Projekt der Moderneals Neuordnung von Raum,Zeit und Sexualität. Diese wird vomEntstehen neuer Metaphern begleitetund vorangetrieben. Der Kolonialismusfußte auf einer neuen Raumordnung,die die natürliche Umweltin Form von Landkarten abbildeteund einen visuellen, abstrakten Zugangzur Umgebung favorisierte.Für die Ordnung der Geschlechter<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>21


Sabine Marxwar als Folge die Trennung in „öffentliche“und „private“ Räumekennzeichnend. Frauen konntenauf diesem Wege aus der Teilhabean großen „sichtbaren“ Bereichenvon Gesellschaft ausgeschlossenwerden. Die Neuordnung von Zeitführte zum Primat linearer, objektiver,gleichmäßiger Vorstellungen,wie sie beispielsweise für Fabrikproduktionkennzeichnend sind. Auchdie Körper selbst bekamen eine neueBedeutung, der „Kopf“ wurde Leitorgan,Männern exklusiv „Geist“zugesprochen, Frauen über „Körper/Sexualität“definiert.Theorien von Organisation orientierensich bis heute an diesen(unbewussten) Leitvorstellungen:Organisationen gelten als öffentlicher,planbarer, hierarchischerRaum, der häufig in Form von Diagrammenund architektonischenPlänen dargestellt wird (Pyramide,Eiffelturm). Die entsprechende feministischeOrganisationstheorieortet Frauen auf diesen Plänen undmacht ihre untergeordnete Stellungsichtbar. Auf der Ebene Zeit werdenMänner mit zielorientierten, effizienten,berechenbaren Aspektenassoziiert, die zugleich als überlegeneManagementtechniken institutionalisiertwerden. Frauen dagegenwerden in die Nähe „organischer“Zeitvorstellungen gerückt, die mitihnen assoziierten Tätigkeiten wieKindererziehung und familienähnlicheBerufstätigkeiten gelten alsweniger plan- und berechenbar, siebleiben mit ihrer vermeintlich „zyklischen“Verfügbarkeit und Herangehensweiseein Fremdkörper inOrganisationen, womit mangelndeAufstiegschancen erklärt werden.Auch die Ordnung der Sexualitätenist eine spezifische, soweit Frauentendenziell als Opfer sexualisierterFormen von Belästigung und Gewaltin Organisationen auftauchen,Männer als Täter in Kombinationmit heterosexueller Potenz, die zumMerkmal überlegener Managementkulturstilisiert wird. 15Postmoderne UnordnungenDiese Stereotypisierungen und dualistischenEinordnungen bedürfendringend einer Revision. Es müssenunterschiedliche sexuelle Orientierungensowie Ethnizitäten im Rahmenvon Organisation thematisiertwerden, ebenso wie die Überlegenheitdes am weißen heterosexuellenMann orientierten Managementstils,der beispielsweise die Teilhabe an familiärenAufgaben weitgehend ausschließtund parallele niedrig entlohnteDienstleistungen etabliert,um überhaupt entsprechend „potent“in Erscheinung treten zu können.Frauen können dennoch nichtprimär als passive Opfer sexualisierterOrganisationskulturen angesehenwerden. Adäquater ist eineSichtweise auf Frauen als sexuell aktiveund umfassend fordernde Individuen.Leonard (2002) verdeutlicht,wie durch diesen Blick die Individuenwieder stärker als HandlungsträgerInnenin den Fokus der Betrachtunggelangen. Zeitmetaphernverändern sich weg von linearen Bildernwie der regelmäßig tickendenUhr hin zu Flüssen, Strömen, Gleichzeitigkeiten.Die Räume schließlichtauchen als „meeting place“ der AkteurInnenauf, als Bühne, auf derUnterschiede und Macht körperlichprozessual inszeniert werden, einAbschied von abstrakter Kartographie.Der Vorteil solcher Sichtweisenauf Organisationen ist, dass die Verschiedenheitender Beteiligten beschriebensowie unterschiedlicheEbenen von Handeln zusammengeführtwerden können. Dies ergibtein realistischeres Bild vom Geschehenin Organisationen und enthältzugleich visionäre Elemente. Machtund Hierarchie in Organisationenim Zusammenspiel mit einer zweigeschlechtlichenOrdnung lösensich jedoch nicht einfach auf, wennneue Metaphern als Folie auf dasHandlungsgeschehen gelegt werden.Problematisch erscheint überhauptdie generelle Abkehr vonOrdnungsvorstellungen, wie sieHierarchie enthält. Denn auf diesemWege kann nicht geklärt werden,ob und wie (hierarchische)Ordnung möglicherweise erwünschtist und befriedigend organisiertwerden kann; zudem werdenWir-Bildungen aufgelöst, mittels dererstrukturelle Ordnungen zumindestin der Vergangenheit erfolgreichinfrage gestellt werden konnten.Organisation im GesprächBis heute liegt kein Kommunikationsbegriffvor, der in der Lage wäre,die Ebenen Sprache und Organisationsinnvoll zu verklammern. ImHinblick auf einen Wandel von Organisationebenso wie von kommunikativemMiteinander, wie ich ihnam Beispiel der poststrukturalistischenfeministischen Organisationstheorieskizziert habe, ist dieEntwicklung einer solchen Begrifflichkeitjedoch von Bedeutung.Während sich die Sprachsoziologie– vereinfacht ausgedrückt – mitMacht über Sprache im Kontext Organisationbefasst, interessiert dieOrganisationssoziologie die Kommunikationvon Organisation, fasstalso Organisation selbst als Sprachformauf. So lässt sich beispielsweisedie Entkörperlichung und impliziteSexualisierung von Organisationals Sprache auffassen, in der dieMitglieder der Organisation miteinanderkommunizieren. Im direktenGespräch kommunizieren die MitgliederOrganisation, auch wenn sienicht über sie sprechen. 1622


Kommunikation im Arbeitsteam:Ingenieurinnen undIngenieure im GesprächIch möchte nun auf die empirischeUntersuchung eingehen, die ich mitmultiprofessionellen Teams ausgewähltermittlerer und großer Betriebevon 2000 bis 2002 durchgeführthabe. Die Teams wurden zu Gruppendiskussioneneingeladen, diekonversationsanalytisch ausgewertetwurden. Zugrunde gelegt werdendabei aufgezeichnete und transkribierteTexte, in diesem Fall Teamgespräche,die durch einen Gesprächsimpulsangeregt wurden.Die sich daran anschließende Diskussionverläuft weitgehend selbstgesteuert,wodurch eine spezifischeAnalyse der interaktionellen Handlungsmustermöglich wird. Ziel isteine strukturelle Beschreibung 17 überdie hermeneutische Interpretationder Texte hinaus. 18Eine Besonderheit meiner Methodenkonstruktionliegt im Zuschnittdes Instrumentariums aufdie Erfordernisse der Organisationsberatung.Dies dient dem Theorie-Praxis-Transfer,wie er in der angewandtenOrganisationsforschungan Bedeutung gewinnt. 19 TrainerInnen,SupervisorInnen und BeraterInnensteht damit ein theoriegeleitetesInstrument zur Verfügung, dasder sich entwickelnden Professioneinen systematischen wissenschaftlichenRahmen liefert, ohne auf dasaus der Praxis gewonnene Wissenund das damit verknüpfte intuititiveVorgehen verzichten zu müssen. Als„Nebeneffekt“ ist die Fein-Analysevon Texten hervorragend geeignet,um in Methoden der Organisationsberatungauszubilden und weiterzuqualifizieren.Die Auswertung der Gruppendiskussionenbesteht darin, die interaktionellenHandlungsmuster derBeteiligten zu eruieren, zu beschreibenund in einem zunehmend sichverdichtenden Interpretationsprozessimplizite wie explizite Kontextualisierungeneinzubeziehen. DieserProzess der Interpretation istselbst kommunikativ angelegt, dasheißt, er wird im Idealfall von einerGruppe durchgeführt und unter anderemim Feedbackgespräch einerValidierung unterzogen.Frau Neuhoff und Herr Althoffverändern OrganisationWie sich mein methodischer Ansatzfür die Interpretation der Gruppendiskussionenund – perspektivisch– die sich anschließende Beratungfruchtbar machen lassen, möchteich an einem Beispiel illustrieren. Esentstammt der Diskussion in einemTelekommunikationsunternehmen.Die leitende Ingenieurin ist mit derAufgabe befasst, Teamarbeit in ihrerGruppe einzuführen und fortgebildetin modernen Mitteln der Personalführung.Das Team, dessenLeiterin sie ist, umfasst insgesamt15 Personen. Für die Diskussion habensich sieben Personen gemeldet,die Teilnahme war freigestellt. Diefolgende Textsequenz ist der Anfangsphaseder Diskussion entnommen,sie folgt relativ bald auf denStimulus. Es meldet sich der MitarbeiterAlthoff zu Wort, er beschreibtseine Arbeitsaufgabe imTeam. Die Teamleiterin Neuhoffreagiert auf seinen Turn:Althoff: ah ich denke mal ich als Disponentah sehe meine Arbeit eigentlichhauptsächlich darin erstmal dass ich natürlich die Außendienstmitarbeitermit Arbeitversorge (...) also muss man sieständig an der Arbeit halten istnatürlich /schwierig/ dann auchweil ((atmet ein)) #0 im es siehteinfach so aus irgendwann ist derKommunikationsmarkt ausgereizt#1 ((atmet aus beim Sprechen))dann hat jeder ein ISDNTelefon und jeder hat n FaxgerätGeschlecht kommunizierenund #0 dann kann man halt nurnoch /hochrüsten/ #1 ((etwaslauter)) und dafür sind die Leutedann halt ich weiß nicht wie dasso weitergeht dann halt im AußendienstNeuhoff: #0 gibt es neue Produkte#1 ((leise)) 20Inhaltliche EbeneAlthoff beschreibt seine Tätigkeitals Disponent, die darin bestehe, dieAußendienstmitarbeiter mit Arbeitzu „versorgen“. Diesen Job qualifizierter als „schwierig“, da er auf unklarenZukunftsperspektiven beruhe,dem irgendwann womöglich„ausgereizten“ Kommunikationsmarkt,der es unsicher erscheinenlasse, wie es weitergehen werde. DieTeamleiterin entgegnet ihm mit demArgument, dass es dann eben neueProdukte geben werde, entwirft inhaltlichein aussichtsreiches und inBezug auf die geäußerten Bedenkenberuhigendes Zukunftsszenario.InteraktionsebeneWie interagieren die beiden Personen?Welche Rollenzuschreibungennehmen beide vor? Althoff schreibtsich eine leitende Rolle den Außendienstmitarbeiterngegenüberzu, die seiner tatsächlichen Aufgabeentspricht. Sein auf Unsicherheitverweisender Turn kann als Fragean ein Antwort gebendes Gegenüberverstanden werden. Neuhoffnimmt dieses Handlungsangebot anund positioniert sich als Antwort gebendeFigur gegenüber Althoff. Damitbesetzt sie zugleich die Leitungsposition,ihrer Funktion im Teamentsprechend. Der Mitarbeiter Althoffwendet sich auf der Beziehungsebenemit (seinen) Sorgen andie Chefin, er sucht bildlich gesprochen„Anlehnung“. Neuhoff begegnetAlthoff dabei nicht reziprok„umarmend“, sondern mit Widerspruch,sie weist das Argument und<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>23


Sabine Marxdamit den Mitarbeiter zurück. Dieseswidersprechende Verhalten wirdvon der Inhaltsebene überlagert undkonterkariert, auf der Neuhoff –scheinbar – auf die artikuliertenSorgen Althoffs eingeht. Damit hatihre Äußerung auch den Charaktereiner doppelten Botschaft.Ebene von TeamarbeitAlthoff präsentiert sich in diesemAusschnitt als „versorgende“ Leitungsfigur.Er definiert seine Rolleüber Fürsorglichkeit. Im weiterenGesprächsverlauf wird dieses nochdeutlicher, ebenso wie seine Rolleals „informeller Leiter“ im Team.Indem die Teamleiterin eine Tendenzzeigt, Althoff zu widersprechen– ein Muster, das im Gesprächwiederholt auftaucht – unterläuft siediese Funktion und entmutigt subtilAlthoffs Beiträge. Aus der Geschlechterperspektivewird sichtbar,dass Althoff durch Bezugnahmeauf einen fürsorglichen Leitungsstileher den stereotyp „weiblichen“Part übernimmt, während sich Neuhoffeher als dem „männlichen“Führungs-Stereotyp entsprechendpräsentiert und den emotionalenGehalt der Äußerung übergeht.Ebene von OrganisationAlthoff artikuliert in dem AusschnittZukunftsängste im Unternehmen.Er gibt die Sorgen von untennach oben weiter, bringt unklarePerspektiven zur Sprache. DieAnalyse der Gruppendiskussionverdeutlicht, dass dieses Thema –Zukunftsängste, Verunsicherung –im Team, wahrscheinlich weitergehendim Unternehmen, virulent ist.Neuhoff gibt ein Programm derOrganisationsentwicklung vor, dasan die Unternehmensleitung angelehntist, nach dem Motto „Zukunftdurch Innovation“. Zwar birgt diesesProgramm ein Potenzial von Beruhigung– die Leitung werde sichschon darum kümmern, dass dieLeute immer genug zu tun haben –doch es wirkt nicht überzeugend,zumindest nicht in der Diskussion,wo das Thema brisant bleibt. Hinzukommt, dass Neuhoff von ihremArgument selbst nicht richtigüberzeugt ist, wofür Hinweise an andererStelle sprechen, in der konkretenSituation weist das Absenkender Stimme darauf hin, dass sie womöglichZweifel am durch sie repräsentiertenUnternehmensprogrammhegt. Hier wird die Zukunftder Organisation verhandelt, wobeiüberzeugende Antworten fehlen.Althoffs Turn kann als Stimme dertraditionellen („patriarchalischen“)Organisation gehört werden, währendNeuhoff die moderne („phallokratische“)Sichtweise anklingenlässt. Im Subtext bringt Althoff damitals Mann die Überlegenheit deralten Ordnung gegenüber der neuenin Stellung und bringt Neuhoffin die zwiespältige Position, als jüngereFrau eine neue Ordnung einzuführen,ohne Belohnung durch alteSicherheiten bieten zu können. DieMachtfrage ist offen.Ebene von GesellschaftWas die AkteurInnen in dem Gesprächsausschnittverhandeln, sindweitergehend die Zukunft von Arbeitsverhältnissenund die Maßstäbeihrer Gestaltung. Hier interagierendie Unternehmen mit dem unberechenbarscheinenden Markt,den KundInnen und ihrem (inZweifel gezogenen) Bedarf an technischenKommunikationsgerätschaften.Eine Grenze dieses Marktesscheint denkbar, das Handeln indiesem Geschehen wird mit einerdem Krieg entlehnten Vokabel beschrieben(„hochrüsten“), was dieängstliche Färbung verstärkt. AmGegenhorizont dieses Bildes vomWirtschaften als kriegerischem Akt,taucht die Frage auf, wie Arbeit alsBeziehung von Produkten, HerstellerInnen,VertreiberInnen und KäuferInnenauf friedliche, dauerhafteArt und Weise organisiert werdenkönnte. Die Frage nach den lohnenswertenVisionen, von denen imManagementbereich doch so ausgiebiggesprochen wird, stellt sichhier, ohne das Echo einer Antwort.Das Feedbackgespräch mitFrau NeuhoffDie Ergebnisse wurden in einemFeedbackgespräch an die Gruppezurückgegeben. Hinzu kam ein ausführlichesEinzelgespräch mit FrauNeuhoff. Auf diesem Wege konntesie mehr über ihre Art der Gesprächsführungerfahren, also beispielsweiseihre Tendenz, Äußerungenvon Mitarbeiterin zu widersprechen.Solche Verhaltensweisen sindnicht als prinzipielle Inkompetenzzu bewerten, sie laufen eher „automatisch“ab, sind auf biographischeFaktoren zurückzuführen und invielen beruflichen Situationen sicherlichnützlich. Sie zu reflektierenund auf ihren Einsatz hin zu prüfen,erhöht den Handlungsspielraum.Im Falle von Frau Neuhoffwar es außerdem für sie erhellend,Althoffs informelle Leitungsfunktionim Team zu erkennen, die ihrbisher nicht so deutlich gewordenwar. In dem Gespräch bekundetesie, dass sie bewusst versuche, dasStereotyp der „weiblichen“ Führungskraftzu vermeiden, da es ihrnicht adäquat erscheine im Umgangmit den Mitarbeitern. Sie möchtenicht als „Weichei“ erscheinen. Hiersind Kollisionen zwischen Stereotypen,Vermeidungsstrategien und situativenAnforderungen angelegt,die zur Verhinderung einer produktiverenBeziehung zwischen Mitarbeiterund Leitung beitragen können.Die Gesprächsanalyse bot ihrreflexiv die Möglichkeit, ihr Verhaltensrepertoireanzureichern. 2124


Der Themenbereich erfordert einebesondere Kompetenz, damit Erfahrungen,Verhalten und Sichtweiseneiner eigenen „Sortierung“zugänglich gemacht werden können.Im Beispiel von Frau Neuhoffkönnen Dominanz, Differenz undDe/Konstruktion als Elemente derGeschlechterbeziehungen gleichermaßenals Quellen der Teamentwicklungnutzbar gemacht werden.Ihre – auf realem Erleben basierendenund durch Frauenbewegungskontextegestützte – Erfahrungenvon Unterordnung und Diskriminierungkönnen nicht „einfach“ zugunstendekonstruktiver Sichtweisenüber Bord geworfen werden.Auch eine generelle Leugnung vonDifferenz im alltäglichen Verhaltenzwischen Männern und Frauenwürde ihre Handlungsspielräumezukünftig nicht per se erweitern,sondern eher einschränken. Zugleichgeht es jedoch für sie darum,ihre erprobten Handlungsrahmenzu erweitern, wozu dekonstruktiveSichtweisen einen entscheidendenBeitrag liefern können. Hier wurdeim Feedbackgespräch eine Differenzierungzwischen stärkenden Erfahrungensowie schwächenden Verhaltensweisenangestoßen, wobeidie Geschlechterperspektive sich alsäußerst produktiv erwiesen hat.Vermittlung von Genderkompetenzals KommunikationstrainingWenn ich die beschriebene Sequenzin Trainingszusammenhängen analysierenlasse, bieten sich verschiedeneLerneffekte an: Sensibilisierungfür die Handlungsebene vonSprache, die Produktion von Beziehungenund weitergehend Gesellschaftim Gespräch. Im Traininglässt sich so eine mehrdimensionaleBetrachtung auf die Dynamik desGeschehens erarbeiten. Das genannteBeispiel illustriert anschaulich,wie Geschlecht konstruiertwird, wie es nicht auf „Tatsachen“basiert, sondern hergestellt wirddurch Betrachtung, Kontextualisierung,wechselseitige Interpretation.In der kommunikativen Umsetzungder Trainingssituation lernen die Beteiligten,Verhalten und Verhältnissezwischen Männern und Frauenzu besprechen, darauf angemesseneinzugehen und sie diskursiv zu verändern.Solche Gesprächsräume zueröffnen, ist eins der Ziele gutenKommunikationstrainings. So führtein meinem Eingangsbeispiel ander technischen Hochschule, dassituative „Stolpern“ über eine Begrifflichkeit(das Vermeiden derWorte Mann und Frau) zu einemproduktiven Austausch des derzeitigenStandes der Geschlechter-Diskussionunter den Beteiligten.Geschlecht kommunizierenSchlussfolgerungen: Genderkompetenzals Bestandteil vonOrganisationsentwicklungIch möchte nun die dargelegten Gedankenzusammenfassen im Hinblickauf die Konturierung möglicherGenderkomptenz, wie sie fürdie Entwicklung von Organisationenzukünftig meines Erachtensunabdingbar ist:Genderkompetenz als Bestandteilvon Organisationsentwicklung umfasst:• Wissen über strukturelle Gegebenheitender Hierarchisierung qua Geschlechtin Organisationen imRahmen von gesellschaftlicherStrukturierung.• Eine Richtungsentscheidung im Hinblickauf Geschlechtergerechtigkeit,die sich in der Erarbeitungentsprechender Programme niederschlägt(Gendermainstreamingetc.).• Wissen und Sensibilität im Umgangmit Differenz im Kontextvon Organisation. Das beinhaltetdie Kompetenz, Verschiedenheitenin der Teamarbeit und Personalführungals Potenziale zuerkennen und nutzbar zu machen.• Wissen über die Konstruiertheitdes Faktors Geschlecht undKompetenz im Umgang mitDe/Konstruktion und leitbildendenunbewussten Programmen.• Prozesswissen, also professionellesKnow-how zu Gruppenprozessen,Konfliktbearbeitung, Personal-und -organisationsentwicklung.Dies erfordert die Einführungneuer Verfahrensweisen inder Organisation, wie z.B. Kommunikationstrainingsin Verbindungmit Gender und Diversity.Anmerkungen1 Marx, Sabine: Kommunikation imArbeitsteam, Frankfurt Main/NewYork 20032 Im späteren Verlauf des Trainingswurden weitere Sätze mit der Geschlechterbrilleanalysiert, zum Beispiel„Nächste Woche ist Demo“ sowie„Mein Vater ist Ingenieur“. Die Assoziationender Beteiligten wurden gesammelt,je nachdem, ob der Satz von einerStudentin bzw. einem Studenten gesagtwurde. Interessant war dabei festzustellen,wie stark sich die Zuordnungenindividuell unterschieden, die keinesfallsqua Geschlechterklischee erfolgten,sondern auf einer Bandbreitevon Neutralität („stelle keinen Unterschiedfest“) bis Klischee („empfindestarken Unterschied“).3 Mertens (1974) führte den BegriffSchlüsselqualifikationen ein; s. zur DiskussionMarx (2003, S. 57ff.)4 Unter der Überschrift „DisappearingActs“ untersucht Joyce K. Fletcher(1999) dieses Phänomen: „Paradoxically,the very skills that give organizationsa competitive advantage may be preciselythose that prevent individualemployees – especially women – fromadvancing.“ (edd., S. 3)<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>25


Sabine Marx5 Zur Begrifflichkeit s. Marx (2003, S.25ff.).6 S. zum Lernen in Organisationen Argyris/Schön(1978), Senge (1998), zurKritik Giebeler (1997), aus feministischerSicht Riegraf (2000).7 Dabei sind die Verhältnisse zwischenden Geschlechtern in Bewegung geraten,auch im Ingenieurbereich. Zwarsind die Zahlen von berufstätigen Ingenieurinnenin Deutschland mit ca. 19Prozent im Osten (fallende Tendenz)sowie 7,3 Prozent im Westen (ansteigend)nach wie vor niedrig, doch gibtes Anzeichen, dass Frauen am Beginneiner Eroberung dieses Arbeitsmarktesstehen.8 S. zu Managing Diversity Belinszki etal. (2003), Koall (2001)9 Zusammenfassend Wilz (2001)10 Sofern ich im Folgenden von Männernbzw. Frauen spreche, meine ich diesoziale und nicht die biologische Kategorie.11 S. Fußnote 1012 Organisation behandelt demnachMenschen nicht als Personen, sondernin ihren Funktionen und tritt somit auchGeschlecht gegenüber neutral auf. DieseSichtweise von Organisation geht aufMax Webers Bürokratiebegriff zurück.Damit erscheinen moderne Organisationenauch als besonders geeignet, ummit der Zeit Frauendiskriminierungabzubauen. In der Frauenforschungwird dieser Ansatz herausragend vonRosabeth Moss Kanter (1977) repräsentiert,deren Werk den Beginn der neuerenfeministischen Organisationsdebattemarkiert.13 In der feministischen Organisationsdebatteist hier Ferguson (1984) als Vertreterinzu nennen. Hierhin gehörenauch Patriarchatskonzepte in Anlehnungan marxistische Analysen (Mies1989).14 S. zusammenfassend Müller (1999);Gottschall (1998); Riegraf (1996). Diedoing gender-Perspektive hat jedoch nichtsan der grundsätzlich hierarchischenPositionierung von Frauen- und Männerarbeitändern können, die im Verlaufder Industrialisierung erhalten gebliebenist (Gottschall 1998). Die Flexibilitätder Vergeschlechtlichung vonBerufsarbeit unabhängig von Inhalt undForm der Tätigkeit scheint geradezu einWesensmerkmal dieser historischenProzesse zu sein.15 Zu Beachten ist in diesem ZusammenhangCastell’s These vom informationellenZeitalter, das einen Raum derStröme etabliert, der beginnt, die ‚gutenOrte’ zu ersetzen und zu durchdringen(s. Marx 2003, S. 44ff.).16 Die Systemtheorie unterscheidetvom Begriff der Kommunikation dieInteraktion, klammert direkte Spracheund (körperliche) Wahrnehmung aus.Ich plädiere für einen Begriff von Kommunikation,der gerade auf die Verknüpfungverschiedener Ebenen undSprachen hin orientiert ist, sich also aufdie Schnittstellen und Verständigungsformenan Grenzen konzentriert undweniger auf die kommunikativen Prozesseinnerhalb der Grenzen kommunikativerSysteme.17 Zu diesem und anderen Fachbegriffender Konversationsanalyse s. Marx(2003, S. 100ff)18 S. zum Verfahren der Gruppendiskussion:Arbeitsgruppe BielefelderSoziologen (1976), Kallmeyer/Schütze(1976), Bohnsack (1997), Loos/Schäffer(2001). Zu erkenntnistheoretischenHintergründen aus gestalttheoretischerSicht zusammenfassend Rosenthal(1995, S. <strong>27</strong> ff.).19 In der Organisationsforschung werdenGruppendiskussionen als eigenständigeMethode noch wenig eingesetzt,trotz ihrer breiten Nutzung undRezeption in der empirischen Sozialforschung.S. zu Theorie und Methode:Loos, P./Schäffer, B.: (2001); Symon,G./Cassell, C. (1998); Kühl, S./Strodtholz(2002).20 Die vollständige Analyse s. Marx(2003, S. 110ff), Erklärung der Transskriptionszeichenebda (S. 107)21 Der Fokus in dem Gespräch wie inder Untersuchung lag nicht in der Beratungvon Frau Neuhoff und Methodender Beratung, dann hätte ein andererSchwerpunkt gewählt werden müssen.Hier stand vielmehr die Textanalyse(„Diagnose“) im Vordergrund; dennochsollte deutlich geworden sein, dassdiese beraterische Perspektiven enthält.LiteraturArbeitsgruppe Bielefelder Soziologen:Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftlicheWirklichkeit, Bd.1:Symbolischer Interaktionismus undEthnomethodologie, Reinbek 1976.Argyris, Chris/Schön, Donald A.: OrganizationalLearning. A Theory ofAction Perspective, MA 1978.Baron, Bettina: Sprache und Geschlecht,in: Müller-Franke, W. (Hg.),Berufswelt im Wandel – Frauen inMännerberufen am Beispiel derFrauen in der Polizei. Schrift zumSymposium an der FachhochschuleVillingen-Schwenningen, Hochschulefür Polizei, Villingen-Schwenningen2001, S. 8-17.Belinszki, Eszter/Hansen, Katrin/Müller,Ursula (Hgg.): Diversity Management.Best Practices im internationalenFeld, Münster 2003.Bohnsack, Ralf: Gruppendiskussionsverfahrenund Milieuforschung, in:Friebertshäuser, B./Prengel, A.(Hg.), Handbuch Qualitative Sozialforschung,München 1997, S. 492-502.Castells, Manuel: Das <strong>Info</strong>rmationszeitalter,Teil 1, Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft,Opladen 2001Ferguson, Kathy: The Feminist CaseAgainst Bureaucracy, Philadelphia1984.Fletcher, Joyce K.: Disappearing Acts.Gender, Power, and Relational Practice,Boston 1999.Giebeler, Cornelia: Sattelberger, T.(Hg.), Die lernende Organisation.Konzepte für eine neue Qualität derUnternehmensentwicklung (Rezensionsaufsatz),in: DGSv aktuell,26


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Anina MischauAnina MischauMonoedukative Hochschulangebote für Frauen intechnischen und ingenieurwissenschaftlichenFächernErwartungen – Erfahrungen – Akzeptanz – PerspektivenIm Juni 2002 wurde die Autorin vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit der Erstellung einesGutachtens zur „Akzeptanz monoedukativer Studiengänge/-elemente bei jungen Frauen – Bestandsaufnahme undexemplarische Befragung“ beauftragt. Neben der Auswertung vorhandener Akzeptanzstudien sollten auch bisherigeErfahrungen mit in Deutschland existierenden monoedukativen Hochschulangeboten zusammengefasst werden. BeideAspekte galt es, in den allgemeinen bildungs- und arbeitsmarktpolitischen Diskurs über Möglichkeiten und Chancenzur Steigerung des Frauenanteils in den Ingenieur- und Naturwissenschaften einzubetten. Der Schwerpunkt des Gutachtenslag jedoch in der Durchführung und Auswertung 34 qualitativer Interviews mit Schülerinnen und Studentinnen,die exemplarisch an zwei Hochschulorten durchgeführt wurden, an denen monoedukative Studiengänge angeboten werden.Das Gutachten nimmt eine Standortbestimmung der bildungspolitischen Diskussion um monoedukative Studienangebotevor und beschreibt auf dem Hintergrund der Ergebnisse aus den durchgeführten Interviews den sich ergebendenbildungs- und geschlechterpolitischen Handlungsbedarf. Das Gutachten wurde im Januar <strong>2004</strong> vom BMBF zur Veröffentlichungfrei gegeben und daraufhin in unveränderter Form in der Schriftenreihe des Interdisziplinäre Frauenforschungs-Zentrums (<strong>IFF</strong>) der Universität Bielefeld publiziert. Der Beitrag ist eine Zusammenfassung wesentlicher Punkte desGutachtens.1. Die Situation von Frauen inIngenieur- und Naturwissenschaften1.1. Zur geschlechtsspezifischenFächerwahl in derSchuleDer Anteil der jungen Frauen, diedie allgemeine Hochschulreife oderdie Fachhochschulreife erwerben,ist seit der Bildungsexpansion in den1970er Jahren bis heute kontinuierlichgestiegen und liegt derzeit beimAbitur bereits über, bei der Fachhochschulreifeknapp unter 50%(vgl. BLK 2002, S. <strong>27</strong>). Damit habensich auch die Zugangschancender Mädchen/Frauen zu weiterqualifizierendenBerufsausbildungenund Studiengängen in den letzten25 Jahren deutlich verbessert. Allerdingshat sich trotz dieser erhöhtenBildungsbeteiligung an der bekanntengeschlechtsspezifischen Wahlder Abiturprüfungsfächer nahezunichts geändert. Lässt man das FachBiologie unberücksichtigt, so zeigtsich bereits zum Ende der schulischenSozialisation eine mehr oderweniger ausgeprägte geschlechtsspezifischeFächerwahl: Jungenwählen noch immer deutlich häufigerals Mädchen Physik oder Chemieals Abiturprüfungsfach. In Mathematikgleichen sich die Anteilelangsam an, da dieses Fach zunehmendAbiturpflichtfach gewordenist (vgl. BLK 2002, S. <strong>27</strong>ff.). Die inder Wahl der Abiturprüfungsfächersichtbar werdende geschlechtsspezifischeFächerwahl hat offensichtlichKonsequenzen auf den weiterenBildungsverlauf oder die weitereBerufswahl von Frauen.1.2. Zur geschlechtsspezifischenWahl der StudienfächerDer Anteil von Frauen, die ein Studiumaufnehmen, ist in den letzten25 Jahren ebenfalls deutlich angestiegen.Im Wintersemester 2001/2002 lag der Anteil der Studienanfängerinnenbei 48,8%. Auch hierzeigt sich jedoch: Zwar hat sich derFrauenanteil an den Studierenden –aufgrund der allgemeinen Verschiebungder Geschlechterrelation – inallen Fächergruppen und Studienbereichenerhöht. An der hinreichendbekannten geschlechtsspezifischenWahl der Studienfächer hatsich aber kaum etwas verändert. Dieniedrigsten Anteile an Studienanfängerinnenund Studentinnen findensich nach wie vor in den FächergruppenMathematik und Naturwissenschaftensowie Ingenieurwissenschaften.In diesen Fächergruppenliegen die Anteile der Frauendeutlich unter ihrem allgemeinenAnteil an den Studienanfängern und-anfängerinnen bzw. Studierenden.Betrachtet man nicht nur die Frauenanteilein den jeweiligen Fächergruppen,sondern zusätzlich ihre28


Anina MischauZeit innerhalb der Ingenieur- und<strong>Info</strong>rmatikstudiengänge (und diesgilt bedingt auch für die Naturwissenschaften)vier große Ansätze verfolgt,um die Unterrepräsentanzvon Frauen in den entsprechendenStudiengängen zu verändern (vgl.Schwarze 2001):1. Die Einführung von Schnuppertagen,Studieren auf Probe, Sommerhochschulenusw. als spezielleVeranstaltungen für Schülerinnenund die Entwicklung vonMentoringprogrammen für Studentinnenund Absolventinnen,2. die Veränderung und NeuprofilierungingenieurwissenschaftlicherStudiengänge durch einenneuen „Fächermix“,3. die Durchführung monoedukativerStudienreformkonzepte und4. die Einrichtung monoedukativerIngenieur- oder <strong>Info</strong>rmatikstudiengänge.Im Ergebnis zeigt sich bisher: DieErfahrungen mit speziellen Veranstaltungenfür Schülerinnen sind gutund stoßen zunehmend auf Resonanz.Sie zeigen, dass es durchausgelingen kann, neue Gruppen vonStudentinnen für ein naturwissenschaftlichesoder technisches Studiumzu gewinnen – Studienbewerberinnen,die ohne diese Maßnahmenkein entsprechendes Studium ergriffenhätten. Mentoringprojekte oder-programme an Hochschulen, außeruniversitärenForschungseinrichtungenoder in der Wirtschaft stoßenbei Mentorinnen wie Menteesebenfalls auf eine positive Resonanz.Die inhaltliche Um- bzw. Neustrukturierungklassischer ingenieurwissenschaftlicherStudiengängedurch einen neuen Fächermixgeht nur „schleppend“ voran; ihrEffekt ist darüber hinaus bislangeher gering. Erfolge sind lediglichda zu verzeichnen, wo die neuenAnteile direkt im Namen des Studiengangszu erkennen sind (Umwelttechniketc.). Dort kommt es offensichtlichzu einer Steigerung der Anfängerinnenzahlen,in den klassischenDisziplinen hingegen zeigensich jedoch keine nennenswertenVeränderungen.Monoedukative Studienreformkonzeptewie z.B. die InternationaleFrauenuniversität „Technologieund Kultur“ (ifu) oder die <strong>Info</strong>rmaticaFeminale in Bremen stoßen zwar aufeine große Resonanz und sind in ihrerSignalwirkung auf Studienreformmaßnahmender sie betreffendenStudien- und Fachbereiche oderWissenschaftsgebiete unbestritten.Die Chancen der Integration oderUmsetzung dieser Studienreformkonzeptein die „normale“ Hochschulausbildungmüssen zumindestderzeit als schwierig und eher geringeingeschätzt werden. Die Entscheidung,Frauenstudiengänge inIngenieurwissenschaften und <strong>Info</strong>rmatikanzubieten, ermöglichtschnelle Steigerungsraten von Frauenin diesen Studiengängen und bietetFrauen zudem durch die „klassischen“Abschlüsse in diesen Studiengängengute berufliche Chancen.Erste Erfahrungswerte werdenim Folgenden noch genauer beschrieben.2.1. Koedukation und Monoedukationin der DiskussionDie Einrichtung monoedukativerStudiengänge/-elemente trifft bisheute in Politik, Wissenschaft, Wirtschaftund in anderen gesellschaftlichenBereichen nicht nur auf Befürworterund Befürworterinnen,sondern noch immer auf eine großeSkepsis, auf Vorurteile und Gegnerwie Gegnerinnen. Trotz ersterpositiver Erfahrungen und Evaluationsergebnissesind diese Hochschulreformprojektenach wie vorumstritten. Das „Für und Wider“der durch sie ausgelösten bildungsundgeschlechterpolitischen Diskussionenkonzentriert sich im wesentlichenauf die Idee einer Geschlechtertrennungin der Hochschulausbildung,die in unterschiedlichen Ausprägungenallen diesen Reformansätzenzugrunde liegt (vgl. z.B.Glöckner-Rist/Mischau 2000).Die Diskussion in Deutschlandum die Einrichtung monoedukativerStudiengänge/-elemente wurdesehr stark durch die schulische Koedukationsdebatteund Erfahrungenaus anderen Ländern, insbesondereden USA, beeinflusst (vgl.Kahlert/Mischau 2000). Zwei Aspektesind dabei hervorzuheben:1. Schulexperten und -expertinnensind sich inzwischen darin einig,dass Maßnahmen zu einer bewusstenreflexiven Koedukation,u.A. auch ein zeitweise getrennterschulischer Unterricht in den„Problemfächern“, oder monoedukativeAlternativangebote dazubeitragen können, Mädchenstärker für Mathematik, Naturwissenschaftenund <strong>Info</strong>rmatikzu interessieren, ihre Leistungenzu verbessern und ihr Selbstbewusstsein,auch in diesen Fächern„gut sein zu können“, zu stützen.2. Studentinnen der Women’s Collegesin den USA, dies zeigen Absolventinnenstudienimmer wieder,streben im Vergleich zu Studentinnenaus koedukativen Einrichtungenüberproportionalhäufig nach dem Undergraduate-Studium eine weitere wissenschaftlicheQualifikation an unddies gerade auch in naturwissenschaftlich-technischenFächern.Absolventinnen der Frauencollegessind weitaus häufiger alsAbsolventinnen anderer, koedukativerBildungseinrichtungen insog. frauenuntypischen Bereichen,d.h. in mathematisch-naturwissenschaftlichenoder technik-bzw. ingenieurwissenschaftli-30


Monoedukative Hochschulangebote für Frauenchen Berufsfeldern, tätig undnehmen dort auch weitaus häufigerFührungspositionen ein.2.2. Erfahrungen mit monoedukativenHochschulangebotenin DeutschlandZur Zeit der Erstellung des Gutachtensgab es in Deutschland sechs(teil-)monoedukative Hochschulangebote,die alle an Fachhochschulenangesiedelt sind (vgl. z.B. BMBF1999, Kompetenzzentrum 2002).Der erste Frauenstudiengang startetezum Wintersemester 1997/98 inWilhelmshaven, der „jüngste“ imSommersemester 2002 in Furtwangen,d.h. monoedukative Studienangeboteexistieren in Deutschlanderst seit fünf Jahren. Erste Erfahrungswertekönnen zwar einenEindruck vermitteln, eine (abschließende)Bewertung über den „Erfolg“dieser Studienangebote wärejedoch zum gegenwärtigen Zeitpunktverfrüht, zumal die für diemeisten Studienangebote initiiertenwissenschaftlichen Begleitforschungennoch nicht abgeschlossen sind.Aus den derzeit zur Verfügungstehenden Erfahrungsberichtenoder Evaluationsergebnissen (vgl.z.B. Knapp/Gransee 2002, Komoß2001 und 2002) lassen sich folgendeTendenzen nachzeichnen:• Die Mehrzahl der geplantenmonoedukativen Studienangebotekonnte aufgrund der vorhandenenNachfrage potentieller Studentinnenauch tatsächlich eingerichtetwerden.• Frauenstudiengänge erweisensich als bildungspolitisch geeigneteMaßnahme, um Zugangsschwellengegenüber männlich dominiertenStudiengängen – die darüber hinausmit einem nach wie vor männlichkonnotierten Technikimage behaftetsind – zu verringern oder abzubauen.• Erfahrungen der Frauenstudiengängemachen deutlich, dass dieStudienentscheidung junger Frauenoffensichtlich sehr wohl durch einzielgruppenspezifisches und attraktivesAngebot positiv in Richtungtechnischer oder ingenieurwissenschaftlicherStudiengänge beeinflusstwerden kann. Vorliegende Erkenntnissezur Motivation der Studentinnen,ein monoedukatives Studienangebotzu wählen, zeigen, dassdie inhaltliche Konzeption und Gestaltungder jeweiligen Studiengängezumeist einen ebenso großenEinfluss auf ihre Studienfachwahlhatten, wie die Tatsache der Monoedukation.• Die Einführung monoedukativerStudienangebote führte an allenHochschulen zu einem deutlichenAnstieg der Frauenanteile inden entsprechenden Fach- bzw. Studienbereichen.Auch die „Verbleibquoten“entwickeln sich überwiegendpositiv.• Erfahrungsberichte von Studentinnenaus den Frauenstudiengängenbelegen in der Mehrzahl einepositive Bewertung des geschlechtshomogenenLern- und Erfahrungsraums.Neben diesen positiven Erfahrungenund offensichtlichen Erfolgender Frauenstudiengänge gibt es auchnegative Erfahrungen, die jedoch inder Regel nicht verallgemeinerbarsind, sondern mit spezifischen Gegebenheitenan den jeweiligenHochschulorten zusammenhängen.Auf einen in diesem Zusammenhangsehr wichtigen und dabei dochverallgemeinerbaren Problempunktsei jedoch hingewiesen: MonoedukativeHochschulangebote treffennicht selten auf hochschulinterneDurchsetzungsprobleme, insbesonderedann, wenn deren Einrichtungoder die Fortführung eines als Modellversucheingerichteten Studiengangsinnerhalb der Hochschuleoder der entsprechenden Fachbereichemit Fragen der Ressourcenverteilungoder -bindung einhergehen.Hier ist ein Umdenken und ein unterstützendesHandeln dringendnotwendig, damit monoedukativeStudienangebote trotz ihrer nachweisbarenErfolge nicht deshalb zuscheitern drohen, weil die Finanzierungssystemefür Hochschulenderzeit keine explizite Honorierungdieser Reformansätze ermöglichen.3. Zur Frage der Akzeptanzmonoedukativer Hochschulangebote3.1. Ergebnisse bisherigerAkzeptanzstudienDie bislang „größte“ Akzeptanzstudiezu monoedukativen Hochschulangebotenwurde 1997-1999von Anina Mischau und AngelikaGlöckner-Rist im Auftrag des Ministeriumsfür Schule, Weiterbildung,Wissenschaft und Forschungdes Landes Nordrhein-Westfalendurchgeführt. Ziel dieser Studie wares, möglichst umfassend und detailliertBegründungen für Haltungenund Einstellungen aufzudecken, diein unmittelbar betroffenen gesellschaftlichenBereichen die Akzeptanzmonoedukativer Reformprojektefür Frauen in der Hochschulausbildungbeeinflussen würden.Hierzu wurden insgesamt 10 strukturierteGruppendiskussionen mit68 Vertretern und Vertreterinnenaus den Fokusbereichen Hochschule,Arbeitsmarkt und Schule durchgeführt.In dieser Studie konnte u.a. folgendesverdeutlicht werden (vgl.Glöckner-Rist/Mischau 2000):Wird die Einrichtung monoedukativerStudienangebote mit Studienreformmaßnahmenverknüpft, fördertdies die Akzeptanz monoedukativerHochschulangebote bei potentiellenNutzerinnen, aber auch<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>31


Anina Mischaubei potentiellen Arbeitgebern undArbeitgeberinnen. Darüber hinauszeigte sich, dass für die Studentinnenmonoedukativer Studienangebotemehrheitlich positive Effekte(z.B. hinsichtlich des Lernerfolgs,des Lernklimas, der Förderung fachlicherKompetenzen usw.) erwartetwerden.Geäußerte Bedenken der Teilnehmerund Teilnehmerinnen, dassAbsolventinnen monoedukativerEinrichtungen mit dem Vorurteileiner schlechteren oder defizitärenAusbildung begegnet werden könnte,und deshalb auch auf dem Arbeitsmarktweniger anerkannt würden,können durch eine entsprechendgute Realisierung dieser Ausbildungsangeboteund eine entsprechende<strong>Info</strong>rmationspolitik überwundenwerden. Befürchtungen,dass nicht genügend Studentinnenbereit wären, solche Einrichtungenzu besuchen, sind nach der Einschätzungder in dieser Studie befragtenTeilnehmer und Teilnehmerinnenunbegründet. Auch dieshängt jedoch von einer entsprechendguten und attraktiven Gestaltungdieser Ausbildungsangeboteund einer entsprechenden Öffentlichkeitsarbeitab.Übereinstimmend wurde jedochauch angenommen, dass Studentinnenund Absolventinnen monoedukativerHochschulangebote zumindestauf längere Zeit mit einem relativhohen Rechtfertigungsdruck(z.B. hinsichtlich der Qualität ihrerAusbildung oder ihrer sozialenKompetenzen) zu rechnen hätten,da das Studium in einem monoedukativenStudiengang in Deutschlandnicht „als normal“ angesehen werde.Ein ganz zentrales Ergebnis war,dass die Akzeptanz monoedukativerStudienangebote erst hergestelltwerden muss und nicht „per se“erwartet werden kann.Die Ergebnisse aus Akzeptanzstudiensind und bleiben nach wievor problematisch und ambivalent.Kleinere lokale Akzeptanzstudien,die zur Vorbereitung oder Planungetwaiger monoedukativer Studienangebotedurchgeführt wurden,bleiben in ihren Ergebnissen widersprüchlich.Einige zeigen, dass beider Mehrzahl der Befragten keineAkzeptanz zu finden ist, andere wiederumbestätigen eine vorhandeneAkzeptanz. Die bislang unbeantworteteFrage ist, wie viele Befragteüberhaupt monoedukative Studienangeboteakzeptieren müssen, damitsie bildungspolitisch legitimierbarsind.Darüber hinaus ist es offensichtlichnoch immer notwendig, daraufhinzuweisen, dass Akzeptanz hergestelltwerden muss, da die Gefahrder Produktion von Artefakten in„Akzeptanzerfragungen“ extremhoch ist. Dies ist ein aus der sozialwissenschaftlichenEinstellungsforschunghinreichend bekanntesund thematisiertes Problem, demjedoch bis heute – zumindest in derideologisch und politisch sehr aufgeladenenDiskussion um monoedukativeStudiengänge/-elemente– kaum Rechnung getragen wird.Gerade Frauen in den männerdominiertenBereichen der IngenieurundTechnikwissenschaften neigendazu, ihr Geschlecht möglichst „unsichtbar“zu machen. Ansätze, indenen das Geschlecht zum strukturbildendenMoment der jeweiligenFörderstrategie wird, erfahrendaher zunächst oft eine große Ablehnung.Häufig bewirken erst Erfahrungenmit entsprechendenFörderstrategien, d.h. in diesem Fallmit monoedukativen Studienangeboten,dass diese auf eine zunehmendeAkzeptanz treffen.3.2. Ergebnisse der vorliegendenAkzeptanzstudieIm Rahmen dieses Gutachtens wurdeninsgesamt 34 an den beidenHochschulorten Bremen und Wilhelmshavendurchgeführte Interviewsausgewertet. Folgende Gründewaren für die Auswahl dieser beidenHochschulorte als Befragungsorteausschlaggebend: An der FachhochschuleWilhelmshaven wurdemit dem „Frauenspezifischen Studiumzur Wirtschaftsingenieurin“zum Wintersemester 1997/98 dererste Frauenstudiengang inDeutschland eingerichtet. Damit liegenan dieser Fachhochschule dieumfangreichsten Erfahrungen mitmonoedukativen Studiengängenvor. Die Hochschule Bremen bietetseit dem Wintersemester 2000den „Internationale Frauenstudiengang<strong>Info</strong>rmatik“ an. Dies ist bislangder einzige Frauenstudiengangmit einer internationalen Ausrichtung,d.h. ihm kommt, auch unterdem Aspekt einer allgemeinen Diskussionüber die Notwendigkeit einerverstärkten Internationalisierungder deutschen Hochschulausbildung,eine besondere Bedeutungzu.Darüber hinaus bot die Auswahldieser beiden monoedukativen Studienangebotedie Möglichkeit, unterschiedlicheKonzepte (Parallelstudienangebotversus Exklusivstudienangebot)und Disziplinen in die„Akzeptanzfrage“ zu integrieren. InBremen und Wilhelmshaven wurdeninsgesamt 15 Schülerinnen, 10Studentinnen aus den jeweiligenFrauenstudiengängen und 9 Studentinnenaus koedukativen Studiengängendesselben oder eines inhaltlichähnlich gelagerten Studiengangsbefragt.Die strukturierten Leitfadeninterviewshatten in erster Linie dasZiel, noch einmal vertiefend Begründungenfür Haltungen und32


Monoedukative Hochschulangebote für FrauenEinstellungen aufzudecken, die dieAkzeptanz monoedukativer Studiengänge/-elementein technischenoder ingenieurwissenschaftlichenStudienfächern bei jungen Frauenbeeinflussen. In diesem Zusammenhangsollte mit den Interviewteilnehmerinnenauch diskutiertwerden, wie sie die Akzeptanz bestimmterPersonengruppen (z.B.Arbeitgeber, Schülerinnen) einschätzen,welche Erwartungen und„Kriterien“ sie an monoedukativeStudiengänge/-elemente knüpfenund, sofern es sich um Studentinnenaus bereits bestehenden monoedukativenStudiengängen handelt,welche Erfahrungen sie damit gemachthaben.Die Interviews dauerten zwischen45 und 90 Minuten, sie wurdenauf Tonband aufgenommenund anschließend nach den einfachstenTranskriptionsregeln verschriftet.Zur Auswertung der Interviewswurde ein exploratives, inhaltsanalytischesVerfahren angewendet. Diefür qualitative Studien durchaus respektableAnzahl von 34 Interviewsgewährleistet hierzu ein ausreichendesMaterial für fundierte wissenschaftlicheAuswertungen. Für dieInterpretation der Interviews ist anzumerken:Die durchgeführten Interviewsund damit die folgendenErgebnisse erheben keineswegs denAnspruch auf Repräsentativität. Siesind vielmehr als „Momentaufnahme“zu verstehen. Als solche gebensie jedoch ausreichend Anregungenund Antworten zur Frage (der Herstellung)einer Akzeptanz monoedukativerHochschulangebote beijungen Frauen. Sie verweisen darüberhinaus auf „akzeptanzfördernde“und „akzeptanzhemmende“Faktoren, die für weitere bildungspolitischeÜberlegungen relevantsind bzw. sein können.3.2.1. Einstellungen und Akzeptanzbei SchülerinnenDie Auswertung der im Rahmendieses Gutachtens durchgeführten15 Schülerinneninterviews zeigt hinsichtlichder Frage nach der Akzeptanzmonoedukativer Studiengänge/-elementedurch junge Frauenzusammenfassend folgende Ergebnisse:• Obwohl die Mehrheit der Schülerinnenzum Zeitpunkt des Interviewsnoch nie etwas von der Existenzvon Frauenstudiengängen gehörthatte, fiel ihre erste spontaneReaktion überwiegend positiv aus.Nur eine einzige Schülerin lehntemonoedukative Hochschulangebote,in welcher Form auch immer,völlig ab.• In den ersten spontanen Äußerungenzu monoedukativen Studiengängen/-elementenzeigte sich,dass die Konzeption eines Parallelstudiengangeswie in Wilhelmshavendeutlich stärker positiv bewertetwird als ein „Exklusivangebot“wie in Bremen oder eine Konzeption,die die Monoedukation nur aufdas Grundstudium beschränkt, wiez.B. bei dem Studiengang Technologiemanagementund -marketing inKiel.• Die Frage nach der Eigenakzeptanzvon monoedukativen Studiengängen/-elementenmachte deutlich,dass sich zwei Drittel der Schülerinnenzumindest vorstellen können,einen Frauenstudiengang zubesuchen. Hierunter waren gleichermaßenausgesprochene „Befürworterinnen“(teil-) monoedukativerHochschulangeboten wie Schülerinnen,die ein Studium in einem Frauenstudiengangvon der Konzeptiondes Studiengangs oder vom jeweiligenStudienfach abhängig machenwürden.• Die Frage, ob sich die Schülerinnenvorstellen könnten, dass sichgenügend Schülerinnen für monoedukativeHochschulangebote interessierenund dadurch vielleicht auchmehr Schülerinnen naturwissenschaftlich-technischeFächer studierenwürden, wurde von der Mehrzahlder Interviewpartnerinnen eindeutigpositiv beantwortet.• Die Fremdakzeptanz hinsichtlichpotentieller Arbeitgeber undArbeitgeberinnen wurde in derMehrheit sehr skeptisch und problematisch,wenn nicht sogar ablehnendeingeschätzt. Lediglich zweiSchülerinnen sahen keine Problemebei der Akzeptanz der Absolventinnenmonoedukativer Studiengänge/-elemente auf dem Arbeitsmarkt,wenn die Qualität der Ausbildunggut wäre. Alle anderen Schülerinnenrechneten mit Vorbehalten oderVorurteilen, die zumindest Arbeitgeberhaben werden. Vorbehalte,die vor allem die fachliche und diesoziale Kompetenz der Absolventinnenbetreffen. Die Akzeptanzvon Arbeitgeberinnen hingegenwurde positiver bewertet. Da jedochin der Realität im naturwissenschaftlich-technischenoder ingenieurwissenschaftlichenBereich Arbeitgeberinneneine Minderheit darstellen,fällt die bei ihnen vermutete besserAkzeptanz kaum ins Gewicht.• Auf die Frage, ob sie eine Ideeoder Vorstellung davon haben, wasman tun könnte, um die Akzeptanzzu erhöhen bzw. Vorurteile abzubauen,nannten die Schülerinnenvor allem zwei Aspekte:1. Die Ausbildungsinhalte müssenauf jeden Fall denen der koedukativenStudiengänge entsprechenund die Qualität der Ausbildungmuss „gleich gut“ oder„mindestens so gut“ sein.2. Es muss mehr <strong>Info</strong>rmationenüber diese Angebote geben undvor allem müssen die Arbeitgeberdarüber informiert werden,dass die Frauen genauso gut ausgebildetsind oder vielleicht so-<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>33


Anina Mischaugar zusätzliche Qualifikationenhaben. Darüber hinaus zeigtesich: Obwohl die Mehrheit derFrauen in ihren ersten Reaktionenein Parallelangebot u.a. wegender Vergleichbarkeit positiverbewertet hatten, als ein „Exklusivangebot“,wurde mehrfachgeäußert, dass Zusatzangebotezu den „normalen“ Studieninhalteneine Akzeptanz steigernkönnten.3.2.2. Einstellungen und Akzeptanzbei Studentinnenmonoedukativer HochschulangeboteDie Auswertung der im Rahmendieses Gutachtens durchgeführten10 Interviews mit Studentinnen desFrauenstudiengangs Wirtschaftsingenieurwesenin Wilhelmshavenund des Internationalen Frauenstudiengangs<strong>Info</strong>rmatik in Bremenzeigt hinsichtlich der Frage nach derAkzeptanz monoedukativer Studiengänge/-elementezusammenfassendfolgende Ergebnisse:• Bei der Mehrzahl der befragtenStudentinnen aus dem InternationalenFrauenstudiengang <strong>Info</strong>rmatikwar die Entscheidung, <strong>Info</strong>rmatikstudieren zu wollen, bereits gefallen,bevor sie etwas über den InternationalenFrauenstudiengang <strong>Info</strong>rmatikin Bremen gehört hatten.Sie entschieden sich nach eigenenAussagen primär für den InternationalenFrauenstudiengang <strong>Info</strong>rmatik,weil sie die inhaltliche Konzeptiondieses Studienangebotes angesprochenund überzeugt hätte. Entscheidendwar also das Curriculumdes Studienangebots, nicht etwa diedamit einhergehende Monoedukation.Nur eine interviewte Studentinschwankte zunächst in ihrer Studienfachwahlund entschied sichdann primär wegen der Monoedukationfür diesen Studiengang. Dieinterviewten Studentinnen aus Wilhelmshavenwaren deutlich unentschlossenerin ihrer Studienwahlgewesen. Von ihnen entschied sichdie Mehrzahl primär für den FrauenstudiengangWirtschaftsingenieurwesen,weil sie die Idee, nurunter Frauen zu studieren, angesprochenund überzeugt hatte. Fürsie war die Monoedukation letztlichdas entscheidende Kriterium, überhauptWirtschaftsingenieurwesenzu studieren. Nur eine Studentinentschied sich für das Fach Wirtschaftsingenieurwesen,weil sie dieKombination von wirtschaftlichenund technischen Anteilen überzeugthatte. Dass sie einen Frauenstudiengangwählen konnte, fand sie toll,letztlich hätte sie sich aber wohlauch für einen koedukativen Studiengangeingeschrieben, wenn siekeine Auswahlmöglichkeit gehabthätte.• Die überwiegende Mehrheit derhier befragten Studentinnen bewerteteihre bisherigen Erfahrungen inden jeweiligen Studiengängen positiv.Ihre Erwartungen hinsichtlicheines besseren und offeneren Lernklimasunter Frauen, eines stärkerenZusammenhalts in der Gruppe,des Leistungsniveaus und der Lerninhaltehatten sich weitgehend erfüllt.• Die allgemeine Einschätzungoder Bewertung der Konzeption einesmonoedukativen Studienangebotsals Exklusivangebot wie in Bremenim Vergleich zu einem Parallelangebotwie in Wilhelmshavenbrachte ein erstaunliches Ergebnishervor: Ungeachtet ihrer eigenenStudiengangwahl und ihrer persönlichenErfahrungen bewertete diegroße Mehrzahl der befragten Studentinneneine Parallelkonzeptionzu einem koedukativen Studiengangpositiver als ein Exklusivangebotnur für Frauen.• Die Frage, ob durch die Einrichtungmonoedukativer Ausbildungsangebotemehr Frauen naturwissenschaftlich-technischeoder ingenieurwissenschaftlicheFächerstudieren würden, wurde von allenStudentinnen übereinstimmend bejaht.• Auch die hier interviewten Studentinnenwaren über die Akzeptanzauf dem Arbeitsmarkt geteilterMeinung. Nur drei Studentinnensahen keine Probleme bei späterenArbeitgebern. Eine von ihnen wiederholtedas bereits bekannte Argument,dass es nur auf die Leistungund die Qualität der Ausbildung ankommenwürde, dann wäre die Tatsache,ob man monedukativ oderkoedukativ studiert hätte, unerheblich.Zwei führten ihre positive Einschätzungder Akzeptanz auf eigeneErfahrungen bei der Suche nacheinem Praktikumplatz oder bei sonstigenFirmenkontakten zurück. AlleStudentinnen waren sich darineinig, dass die Akzeptanz potentiellerArbeitgeber nicht von vornehereinbestehen wird, sondern erst hergestelltwerden muss.• Von allen im Rahmen des Gutachtensinterviewten Zielgruppenkonnten erwartungsgemäß die Studentinnender Frauenstudiengängeam konkretesten und am umfassendstenKriterien und Maßnahmenbenennen, die ihrer Ansicht nachdie Akzeptanz monoedukativerHochschulangebote fördern (würden).Dabei hatten sie sowohl potentielleNutzerinnen im Blick, fürdie in erster Linie das Angebot attraktivsein muss, wie auch potentielleArbeitgeber und Arbeitgeberinnen,für die die Einstellung der Absolventinnenattraktiv sein muss. Imwesentlichen können die genanntenKriterien und Maßnahmen in dreiAspekte eingeteilt werden: die „organisatorischenRahmenbedingungen“eines solchen Studienangebots,die inhaltliche Gestaltung und diefür den Prozess der Herstellung von34


Monoedukative Hochschulangebote für FrauenAkzeptanz notwendige Öffentlichkeitsarbeit.Als wesentliche akzeptanzförderndeAspekte bei den organisatorischen Rahmenbedingungenwurden folgendePunkte genannt:• Für potentielle Nutzerinnenkann ein monoedukativer Studiengangnach Ansicht der hier befragtenStudentinnen attraktiv sein, weiler im Gegensatz zum sonstigenHochschulbetrieb ein Studium inkleineren Gruppen anbietet. Diesermöglicht nicht nur eine intensiverefachliche Ausbildung und Betreuung,sondern auch einen stärkerenZusammenhalt zwischen den Studentinnenund ein offenes und kooperativesLernklima.• Eine starke Präsenz von Frauenim Lehrkörper steigert nach Meinungeiniger Studentinnen ebenfallsdie Attraktivität monoedukativerStudienangebote für potentielleNutzerinnen. Weibliche Vorbilderund Identifikationsmodelle sind fürden eigenen Berufsweg für Schülerinnenund Studentinnen nicht nurwichtig, sie werden auch zunehmend„eingefordert“, d.h. Frauenwünschen sich zunehmend, auchvon Frauen unterrichtet zu werden.• Frauenstudiengänge sollten, sodie Mehrzahl der Studentinnen, indie jeweiligen technischen oder ingenieurwissenschaftlichenFachbereichintegriert sein und nicht etwaisoliert werden oder sich sogarselbst isolieren. Das Angebot oderdie Förderung gemeinsamer Veranstaltungen,Projekte oder fachlicherWettbewerbe mit Studierenden ausdemselben oder einem fachlich ähnlichenkoedukativen Studiengangwürde auch die Attraktivität steigernund vorhandene Vorurteile, monoedukativeStudentinnen hätten nichtgelernt mit Männern umzugehenoder könnten sich nicht durchsetzen,entkräftigen.Als wesentliche akzeptanzförderndeAspekte bei der inhaltlichen Ausgestaltungwurden folgende Punktehervorgehoben:• Monoedukativer Studiengängesollten, so die einheitliche Meinung,das gleiche Niveau und die gleichenfachlichen Ausbildungsinhalte haben,wie vergleichbare koedukativeStudiengänge.• Die deutliche Mehrheit der Studentinnenbegrüßte Studienreformmaßnahmenwie eine noch stärkerePraxisorientierung und eine stärkereinternationale Ausrichtung technischerund ingenieurwissenschaftlicherStudiengänge, wollte diese jedochauch in koedukativen Studiengängenintegrieren.• Darüber hinaus begrüßte etwadie Hälfte der Studentinnen, dassZusatzangebote in das Curriculumintegriert werden, um besondersFrauen zu fördern bzw. ihre Potentialezu stärken.Zur Öffentlichkeitsarbeit als zentraleAufgabe zur Herstellung von Akzeptanzwurde angemerkt, dass dieStudentinnen aus eigenen Erfahrungenwissen, wie wichtig und notwendigeine gute <strong>Info</strong>rmationspolitikund eine zielgerichtete Öffentlichkeitsarbeitist, um Vorbehalteund Vorurteile gegenüber monoedukativenStudienangeboten, derenStudentinnen und deren Absolventinnenabzubauen und damiteine breitere gesellschaftliche Akzeptanzherzustellen. Notwendig seihierbei eine Zielgruppenspezifische<strong>Info</strong>rmationspolitik für potentielleNutzerinnen und potentielle Arbeitgeberund Arbeitgeberinnen.3.2.3. Einstellungen und Akzeptanzbei Studentinnenkoedukativer StudiengängeDie Auswertung der im Rahmendieses Gutachtens durchgeführten9 Interviews mit Studentinnen ausdenselben oder den monoedukativenStudienangeboten vergleichbarenkoedukativen Studiengängen ander Fachhochschule Wilhelmshavenund der Hochschule Bremenzeigt hinsichtlich der Frage nach derAkzeptanz monoedukativer Studiengänge/-elementezusammenfassendfolgende Ergebnisse:• Die Mehrzahl der hier befragtenkoedukativen Studentinnen hatsich bewusst gegen den an ihrerHochschule existierenden monoedukativenStudiengang entschiedenund lehnte monoedukative Studienangebotezumindest für sich selbstkategorisch ab. Die ablehnende Haltunghat dabei nichts mit etwaigenInhalten dieser Studienangeboteoder mit deren Konzeption zu tun,sondern äußert sich als generelleAblehnung einer Geschlechtertrennungin der Hochschulausbildung.Häufig wurde zur Begründung dashinreichend bekannte Argumentvorgebracht, dass man im Berufslebenja auch mit Männern zusammensei und deshalb ein Studiumnur unter Frauen realitätsfremd wäre.Sie begründeten ihre Ablehnungauch mit den Argumenten, es würdemehr Spaß machen, gemeinsammit Männern zu studieren, Männerwären im Umgang unkomplizierterund hilfsbereiter, während Frauenunter sich sehr problematisch und„zickig“ wären. Darüber hinauszeigte sich, wie bereits bei einigenSchülerinnen, dass sich auch die koedukativenStudentinnen deutlichvon Nutzerinnen monoedukativerAngebote abgrenzten, da sie dieseStudiengänge nicht „nötig hätten“und diese Angebote ihrer Ansichtnach nur für jene Frauen eingerichtetwürden, die unsicher seien odersich das Studium mit Männern gemeinsamnicht zutrauten. Eine Ausnahmebildeten drei in Wilhelmshavenbefragte „Wechslerinnen“, dieihr Studium im Frauenstudiengangbegonnen und dann, da die Monoedukationinzwischen nur noch auf<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>35


Anina Mischaudas Grundstudium beschränkt ist,in den koedukativen Parallelstudiengangwechseln mussten.• Die allgemeine Einschätzungoder Bewertung der Konzeption einesmonoedukativen Studienangebotsals Exklusivangebot wie in Bremenim Vergleich zu einem Parallelangebotwie in Wilhelmshavenbrachte dasselbe Ergebnis, das sichbereits bei den monoedukativenStudentinnen zeigte. Ungeachtet ihrereigenen Wahl eines koedukativenStudiengangs und der Ablehnungmonoedukativer Studiengänge fürsich selbst oder ihrer Situation als„Wechslerin“ und damit der eigentlichenBefürwortung monoedukativerStudiengänge, bewerteten allebefragten Studentinnen eine Parallelkonzeptionzu einem koedukativenStudiengang eindeutig positiverals ein Exklusivangebot nur fürFrauen.• Die Frage, ob die Studentinnen,wären sie in dieser Entscheidungsposition,monoedukative Studienangeboteeinrichten würden, wurdeüberraschenderweise von der Mehrzahlbejaht. Lediglich eine Studentinhält monoedukative Hochschulangebotefür einen „totalenQuatsch“ und meinte, man solltesich lieber anstrengen, die Frauenfür einen koedukativen Studiengangzu gewinnen. In der Mehrzahl wurdejedoch aus allgemeinen bildungspolitischenGründen die Einrichtungvon monoedukativen Hochschulangebotenbefürwortetet. AlleStudentinnen betonten jedoch nocheinmal, dass ihr positives Votumnicht für ein Exklusivangebot, sondernnur für einen Parallelstudienganggelten würde.• Die Frage, ob durch die Einrichtungmonoedukativer Ausbildungsangebotemehr Frauen naturwissenschaftlich-technischeoder ingenieurwissenschaftlicheFächerstudieren würden, wurde von dergroßen Mehrheit der koedukativenStudentinnen bejaht.• Auch die koedukativen Studentinnenund die „Wechslerinnen“schätzten die Akzeptanz der Absolventinnenvon monoedukativenStudiengängen bei späteren Arbeitgebernund Arbeitgeberinnen alseher problematisch oder sogar ablehnendein. Mehr als die Hälfte warder Ansicht, die Akzeptanz würdesehr stark von dem jeweiligen Arbeitgeberselbst abhängen. Möglicherweisewürde es einige wenigegeben, die hier offener reagiertenoder es sogar gut fänden. Einigewürden sich vielleicht auch in Vorstellungsgesprächenvon der fachlichenQualität, der Leistungsfähigkeitoder der Person selbst überzeugenlassen, sofern sie diese Frauenüberhaupt einladen würden. Dieüberwiegende Anzahl der Arbeitgeberwürde jedoch nach Ansicht dieserStudentinnen eher skeptisch undmit Vorurteilen reagieren.• Einzelne Studentinnen bezogendie Frage nach der Fremdakzeptanzvon sich aus auch auf die hochschulinterneAkzeptanz. Damit werdennatürlich in erster Linie spezifischeProbleme oder Akzeptanzschwierigkeitenan den jeweiligenHochschulen angesprochen, die inder Regel nicht so einfach zu verallgemeinernsind. Auf zwei der genanntenAspekte soll jedoch hiereingegangen werden, da hiermit inder Tat verallgemeinerbare akzeptanzhemmendeFaktoren benanntwerden, die es für die Herstellungeiner hochschulinternen Akzeptanzbei zukünftigen Planungen zur Einrichtungenmonoedukativer Studienangebotezu vermeiden gilt. AusBremen wurde berichtet, dass dieStudentinnen des InternationalenFrauenstudiengangs <strong>Info</strong>rmatik vielbesser ausgestattet seien und sichselbst völlig isolierten. Beides würdedie Atmosphäre an der Hochschuleund einen „normalen“ Umgangmiteinander erheblich störenbzw. erschweren. Aus Wilhelmshavenwurde berichtet, dass sich koedukativeStudentinnen wie Studentennicht nur genervt, sondern auchbenachteiligt fühlten, weil die Frauenaus dem Frauenstudiengang ständigin der Presse und an der Hochschuleherausgehoben und ins Rampenlichtgestellt würden. Auch dieWerbemaßnahmen hätte die Frauen,die koedukativ studieren, irgendwie„runter gemacht“, weil überallbetont wurde, die Frauen, die imFrauenstudiengang studieren, wärenetwas ganz besonderes und bekämendort eine einmalige tolle „Top-Ausbildung“. Auch wenn sich dieseSituation inzwischen in Wilhelmshavenetwas normalisiert hätte, sohätten diese „Aktionen“ die Problemein der Hochschule erst richtig„hochgekocht“ und man müsstesich nicht wundern, wenn es dannin der Hochschule an Akzeptanzmangele.• Auf die Frage, ob sie eine Ideeoder Vorstellung davon haben, wasman tun könnte, um die Akzeptanzzu erhöhen bzw. Vorurteile abzubauen,nannten die koedukativenStudentinnen die folgenden Aspekte,die bereits aus den anderen Interviewsdeutlich wurden: Die Ausbildungsinhaltemüssten auf jedenFall denen der koedukativen Studiengängeentsprechen. Eine internationaleAusrichtung und eine starkePraxisorientierung könnten vielleichtdie Akzeptanz bei Arbeitgebernsteigern. Dies gilt auch für gemeinsameKurse mit Männern, dievon Anfang an in das Studium integriertwerden sollten. Zur Herstellungeiner größeren Akzeptanz wärees notwendig, in Schulen mehr <strong>Info</strong>rmationsveranstaltungenzu machenund/oder direkt in Unternehmenden Kontakt und Austausch zusuchen.36


Monoedukative Hochschulangebote für Frauen4. Folgerungen und HandlungsempfehlungenIm Zentrum des Gutachtens standdie Frage der Akzeptanz monoedukativerStudiengänge/-elemente beijungen Frauen. Auf der Basis einerReflexion und Standortbestimmungder bildungspolitischen Diskussionum monoedukative Studienangebotein Deutschland und vor demHintergrund aktueller Ergebnisseaus exemplarisch durchgeführtenqualitativen Interviews gilt es, Folgerungenund den sich ergebendenHandlungsbedarf bzw. Handlungsempfehlungenzu formulieren.Hierzu werden zunächst die wichtigstenErgebnisse aus den Interviewseiner zielgruppenübergreifendenBetrachtung unterzogen, da ersteine gemeinsame Ergebnisanalyse,die auf Unterschiede und Gemeinsamkeitenzwischen den Zielgruppeneingeht, erlaubt, Folgerungenzu ziehen und Handlungs- und Umsetzungsempfehlungenzu beschreiben.4.1. ZielgruppenübergreifendeErgebnisse4.1.1. Zur Einschätzung der„Nachfrage“Die erste bildungspolitische Frage,die es zu beantworten gilt, ist:„Lohnt“ sich die Einrichtung monoedukativerStudienangebote, d.h.wird es genügend potentielle Nutzerinnengeben, um die (weitere)Einrichtung monoedukativer Studienangebotebildungspolitisch zulegitimieren?Dabei ist zu beachten: MonoedukativeHochschulangebote sind immer„alternative“ Angebote im ansonstenbreitgefächerten Spektrumkoedukativer Studiengänge. MonoedukativeStudiengänge/-elementewerden im deutschen Hochschulsystemauch perspektivisch nicht dieRolle eines „Massenangebotes“ einnehmen,müssen vor diesem Hintergrundalso auch nicht von der „breiten“Masse der Studierwilligen akzeptiertwerden.In der durchgeführten Akzeptanzstudiewurde deutlich: MonoedukativeStudienangebote treffenbei den hier befragten Schülerinnenauf eine hohe Eigenakzeptanz.Zwei Drittel der Schülerinnen konntensich vorstellen, alternativ auchein monoedukatives Studienangebotzu besuchen. Die Frage, ob sichdie Teilnehmerinnen vorstellenkönnten, dass sich genügend Schülerinnenfür monoedukative Hochschulangeboteinteressieren und dadurchvielleicht auch mehr Schülerinneningenieur- oder naturwissenschaftlichebzw. technische Fächerstudieren würden, wurde von dergroßen Mehrheit der Schülerinnen,der „koedukativen“ Studentinnenund von allen „monoedukativen“Studentinnen eindeutig positiv beantwortet.Folgende Begründungenwurden für diese Einschätzungenvor allem mit Blick auf ingenieurwissenschaftlicheund technischeStudiengänge genannt:• Monoedukative Hochschulangebotekönnten für Frauen, die inihrer Studienfachwahl unentschlossenoder hinsichtlich ihrer fachlichenKompetenz unsicher sind, dieHemmschwelle zur Aufnahme einesingenieurwissenschaftlichen odertechnischen Studiums erheblichsenken.• Auch für Frauen, die von ihrerfachlichen Kompetenz überzeugtsind, vor einem technischen oder ingenieurwissenschaftlichenStudiumaber zurückschrecken, weil sie dortin der Minderheit wären, würdenmonoedukative Studienangeboteneue Perspektiven und Optioneneröffnen.• Darüber hinaus wird es einerseitsFrauen geben, die die inhaltlicheKonzeption des jeweiligen Studiengangsüberzeugen wird und diesich deshalb entscheiden werden,ein solches Angebot zu nutzen, fürdie aber die Monoedukation nichtdas entscheidende Kriterium seinwird. Andererseits wird es Frauengeben, die sich explizit wegen derMonoedukation für einen solchenStudiengang entscheiden, obwohlsie vorher überhaupt nicht über einStudium dieser Richtung nachgedachthaben.Diese Ergebnisse lassen daraufschließen, dass es auch in Zukunftgenügend Interessentinnen und potentielleStudentinnen für monoedukativeStudienangebote gebenwird. Inwieweit diese potentiellenNutzerinnen solche Angebote auchwählen werden, kann aber von derKonzeption und der Qualität desjeweiligen Hochschulangebotes abhängigsein.4.1.2. Die Bewertung unterschiedlicherModelle monoedukativerStudienangeboteDie zweite Frage, die für bildungspolitischePlanungen zur (weiteren)Einrichtung monoedukativer Studienangeboteausschlaggebend ist,lautet: Welches Modell hat die„größten Erfolgschancen“ sowohlseine Attraktivität und Akzeptanzbei potentiellen Nutzerinnen alsauch die Akzeptanz seiner Studentinnenoder Absolventinnen aufdem Arbeitsmarkt betreffend?Dabei ist zu beachten: Die möglichePräferenz eines bestimmtenModells spricht in erster Linie dieorganisatorische Umsetzung einessolchen Angebots an und bewertetnicht die damit möglicherweise zusammenhängendeinhaltliche Konzeptionbestehender AngeboteAus den Interviews wurde deutlich:In allen Zielgruppen wurde dieKonzeption eines Parallelstudiengangesgegenüber einem koedukativenStudiengang deutlich positiver<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>37


Anina Mischaubewertet wurde als ein „Exklusivangebot“nur für Frauen. FolgendeBegründungen wurden für dieseEinschätzung genannt:• Durch ein Parallelangebot wiein Wilhelmshaven bleibt die Optionzum Wechseln offen, egal ob undaus welchen Gründen diese genutztoder eben nicht genutzt wird. Beieinem Exklusivangebot muss man,sollte man feststellen, ein Frauenstudiengangist doch „nicht dasRichtige“, entweder eine andere Studienfachrichtungwählen oder imschlimmsten Fall sogar noch einmalneu mit einem anderen Studium beginnen.Bei einer nur auf einGrundstudium beschränkten Monoedukationist man gezwungen,dann koedukativ weiter zu studieren.Dies hätte den „Beigeschmack“,dass Frauen erst ein bisschenNachhilfe brauchen, bevor sie„normal“, d.h. koedukativ, studierenkönnen.• Die Konzeption als Parallelangebotermöglicht eine Vergleichbarkeitim Leistungsniveau, in den Ausbildungsinhaltenund damit auch inder Qualität der Ausbildung bzw.hinsichtlich der erworbenen fachlichenKompetenz, die für das eigeneSelbstbewusstsein, aber auch füreine Beurteilung durch spätere Arbeitgeberund Arbeitgeberinnen,von Bedeutung sein kann.• Ein Exklusivangebot wie inBremen eröffnet zwar die Chance,zusätzliche arbeitsmarktrelevanteKompetenzen zu erwerben. Eskann jedoch nach Ansicht der Teilnehmerinnendie eigene Unsicherheitund den Rechtfertigungsdruckgegenüber potentiellen Arbeitgebernhinsichtlich der „eigentlichen“fachlichen Qualifikation erhöhen.• Zusätzlich wurde von den „koedukativen“Studentinnen angeführt,dass ein Exklusivangebot demPostulat „Gleiche Bildungschancenfür alle“ entgegenstehen und „Männerbenachteiligen“ würde.Die Ergebnisse, die sich hinsichtlichder Bewertung unterschiedlicherModelle monoedukativer Studienangebotegezeigt haben, lassen daraufschließen, dass eine organisatorischeUmsetzung als Parallelstudiengangam erfolgversprechendstenist, zumindest was die Frage derAkzeptanz betrifft.4.1.3. Die Einschätzung derFremdakzeptanz bei potentiellenArbeitgebern und ArbeitgeberinnenEine entscheidende bildungs- undarbeitsmarktpolitische Frage ist:Führen monoedukative StudienangeboteStudentinnen oder Absolventinnenarbeitsmarktpolitischmöglicherweise in eine „Sackgasse“,da sie schlechtere Berufschancen alsAbsolventen und Absolventinnenkoedukativer Studiengänge haben,oder eröffnen sie ihnen zumindestdie gleichen oder sogar bessere Berufschancen?Die Einrichtung monoedukativerStudienangebote zurSteigerung der Frauenanteile in natur-und ingenieurwissenschaftlichenwie technischen Fächernmacht nur dann Sinn, wenn dieseFrauen anschließend auch vom Arbeitsmarktangenommen werden.Dabei ist zu beachten: Bei derEinschätzung der Fremdakzeptanzdurch potentielle Arbeitgeber undArbeitgeberinnen handelt es sichnicht um etwaige Erfahrungswerte,sondern bei den meisten der hier befragtenPersonen um „reine Vermutungen“,da sie weitgehend selbstnoch keine entsprechenden Kontaktemit dem Arbeitsmarkt hatten.Diese Einschätzungen müssen alsonicht unbedingt mit der Realitätübereinstimmen. Veränderungen inder Arbeitswelt führen auch zu Umdenkungsprozessenin Unternehmen,die jedoch die Wahrnehmungund das Vorhandensein „alter Vorurteile“und „bisheriger Handlungsweisen“nur sehr langsam aufbrechen.Im Ergebnis zeigte sich: DieMehrzahl der Schülerinnen und dieMehrzahl der „koedukativen“ Studentinnenschätzen die Akzeptanzder Absolventinnen monoedukativerStudiengänge auf dem Arbeitsmarktsehr skeptisch, zumindestproblematisch, wenn nicht sogar ablehnendein. Auch die „monoedukativen“Studentinnen waren sicheinig, dass die Akzeptanz potentiellerArbeitgeber und Arbeitgeberinnennicht von vorne herein besteht,sondern erst hergestellt werdenmuss, aber auch hergestellt werdenkann. In der Tendenz bewertetensie damit die Akzeptanz leichtbesser als die beiden anderen Zielgruppen.Folgende Begründungenwurden für diese Einschätzungenangeführt:• Die Befragten aller drei Zielgruppenrechnen mit Vorbehaltenoder Vorurteilen vor allem seitensder Arbeitgeber, die möglicherweisedie fachliche und die sozialeKompetenz der Absolventinnenbetreffen. Hinsichtlich der fachlichenKompetenzen werden Absolventinnenmonoedukativer Studiengängesicherlich mit dem Vorurteilkonfrontiert werden, dass sie in einem„Studiengang-light“ oder„Schonstudiengang“ studiert unddamit eine defizitäre Ausbildunghätten. Hinsichtlich der sozialenKompetenzen wird ihnen ggf. entgegengebrachtwerden, dass sie sichnicht gegen Männer durchsetzenkönnten, nicht in männerdominierteBetriebe integrieren ließen oder sogar„Angst vor Männer hätten“.• Vor allem die Schülerinnen und„koedukativen“ Studentinnen argumentierten,dass aus den genanntenGründen Arbeitgeber, sofern sieüberhaupt Frauen einstellten, wohllieber Absolventinnen koedukativer38


Monoedukative Hochschulangebote für FrauenStudiengänge nehmen würden, dasie dann wüssten, die haben dieselbeAusbildung wie Männer und habenauch gelernt, sich mit bzw. gegenMännern „durchzubeißen“. Die„monoedukativen“ Studentinnenhingegen vertraten die Meinung,dass die Absolventinnen monoedukativerStudiengänge zumindest derzeitnoch einem höheren Erklärungsbedarfoder Rechtfertigungsdrucküber ihre fachlichen und sozialenKompetenzen ausgesetzt seien.Unter der Voraussetzung, dasseine entsprechende <strong>Info</strong>rmationspolitikstattfindet und Kontakte undKooperationen zwischen den Studiengängenund Firmen aufgebautund verstärkt werden, war jedochdie Mehrzahl der Studentinnen derMeinung, dass Absolventinnen monoedukativerHochschulangebotezumindest perspektivisch die gleichen,vielleicht sogar eher bessereChancen auf dem Arbeitsmarkt habenwürden als Absolventinnen auskoedukativen Studiengängen.Die geäußerten Einschätzungen derFremdakzeptanz bei potentiellenArbeitgebern (und Arbeitgeberinnen)lassen darauf schließen, dasshier nach wie vor die größten Problemegesehen bzw. vermutet werden.Dies sind Probleme, die vor allemVorurteile und Vorbehalte betreffen,mit dem Bildungsangebotselbst aber nur wenig zu tun haben.Sie verweisen in erster Linie auf dieNotwendigkeit, bildungspolitischeEntscheidungen eng mit flankierendenMaßnahmen auf dem Arbeitsmarktzu verknüpfen, um ihren Erfolgnicht zu gefährden. Darüberhinaus heben sie besonders deutlichhervor, dass Akzeptanz nichts „Naturgegebenes“ist, sondern immererst hergestellt werden muss. Dieser„Herstellungsprozess“ erst wirdes ermöglichen, nicht nur vermuteteoder tatsächlich vorhandene Vorbehalteund Vorurteile potentiellerArbeitgeber und Arbeitgeberinnenabzubauen, sondern in der Folgeauch offensichtlich noch vorhandeneScheren in den Köpfen potentiellerNutzerinnen oder andererGruppen zu überwinden.4.1.4. AkzeptanzförderndeKriterien und MaßnahmenDie bildungs- und arbeitsmarktpolitischenFragen, die hinter derFrage nach möglichen Kriterienoder Maßnahmen zur Förderungder Akzeptanz monoedukativer Studienangeboteund deren Studentinnenbzw. Absolventinnen stehen,betreffen einerseits die Frage der„Qualitätskriterien“ der Studiengängeselbst und andererseits die Fragenach unterstützenden Maßnahmenim Prozess der Herstellung von Akzeptanz.Dabei ist zu beachten: Der Fokusdes Gutachtens liegt auf derFrage der Akzeptanz monoedukativerStudienangebote bei jungenFrauen. Daher wurde die Frage nachmöglichen akzeptanzförderndenKriterien oder Maßnahmen auch inerster Linie mit Blick auf die Attraktivitätdieser Bildungsangebote fürpotentielle Nutzerinnen gestellt.Darüber hinaus wurde die Frage aufden Arbeitsmarkt erweitert, da einefehlende Akzeptanz bei potentiellenArbeitgebern unmittelbar das„Wahlverhalten“ potentieller Nutzerinnenbeeinflussen kann. D.h. bildungspolitischrichtige und wichtigeStudienangebote werden auchnur dann von potentiellen Nutzerinnenangenommen werden, wenndiese davon überzeugt sein können,damit auch eine gute Arbeitsmarktperspektivezu erhalten.Da von den Zielgruppen selbstdie Akzeptanz auf dem Arbeitsmarktproblematisiert wurde, ist esnur folgerichtig, ihre Vorstellung zurErhöhung der Akzeptanz bei potentiellenArbeitgebern und Arbeitgeberinnenin die Betrachtung zu integrieren.Der eigentlich notwendige,ergänzende Blick von Seiten derArbeitgeber und Arbeitgeberinnenwar nicht Gegenstand dieses Gutachtens,soll an dieser Stelle aber alsForschungsdesiderat hervorgehobenwerden. Dies gilt auch für Kriterienoder Maßnahmen für (dieHerstellung) eine(r) hochschulinterne(n)Akzeptanz.Im Ergebnis zeigte sich: Von allenim Rahmen des Gutachtens interviewtenZielgruppen konnten erwartungsgemäßdie Studentinnender Frauenstudiengänge am konkretestenund am umfassendsten Kriterienund Maßnahmen benennen,die ihrer Ansicht nach die Akzeptanzmonoedukativer Hochschulangebotefördern (würden). Auch dieSchülerinnen und die „koedukativen“Studentinnen griffen dieseFrage auf, blieben in ihren Ausführungenaber relativ allgemein. FolgendeKriterien und Maßnahmenwurden übereinstimmend genannt:• Um das Vorurteil, Frauenstudiengängewären „Schonprogramme“oder „Studiengänge-light“ zuentkräftigen und die Attraktivitätmonoedukativer Studiengänge fürpotentielle Nutzerinnen und derenAbsolventinnen für potentielle Arbeitgeberund Arbeitgeberinnen zuerhöhen, sollten, so die einheitlicheMeinung in allen Zielgruppen, diesezumindest das gleiche Niveau unddie gleichen fachlichen Ausbildungsinhaltehaben, wie vergleichbarekoedukative Studiengänge. Damitwird indirekt noch einmal diePräferenz eines Parallelstudiengangshervorgehoben, denn nur in dieserorganisatorischen Konzeption kanneine Vergleichbarkeit des Ausbildungsniveausund der Ausbildungsinhaltegewährleistet werden.• Dies bedeutet keineswegs, dassdie jeweiligen Ausbildungsinhalteunverändert bleiben sollten. Die<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>39


Anina MischauMehrzahl der Befragten verwies darauf,dass Studienreformmaßnahmenwie eine Praxisorientierungund eine internationale Ausrichtung,die Attraktivität monoedukativerStudienangebote bei potentiellenNutzerinnen steigern würden.Dies gilt ihrer Ansicht nachauch für die Attraktivität der Studentinnenund Absolventinnen aufdem Arbeitsmarkt.• Teilnehmerinnen aus allen dreiZielgruppen verwiesen darauf, dass„Zusatzangebote“ zu der rein fachlichenAusbildung ebenfalls akzeptanzförderndwären. In diesem Zusammenhangwurden vor allemKurse zur Förderung von sozialenKompetenzen, Managementfähigkeitenoder kommunikativen Kompetenzengenannt. Diese Zusatzqualifikationenerhöhen vor allemdie Akzeptanz der Absolventinnenauf dem Arbeitsmarkt, da diese damitnicht nur die fachlichen Kompetenzen,sondern auch die von derIndustrie und Wirtschaft seit längeremeingeforderte „soft-skills“ mitbringen.Um mögliche Hemmschwellenpotentieller Nutzerinnenvor einem technischen oder ingenieurwissenschaftlichenStudium zuverringern, könnten darüber hinaus,so ein Vorschlag der „monoedukativen“Studentinnen, in monoedukativenStudienangeboten zu Beginndes Studiums „Förderkurse“oder „Vertiefungskurse“ eingerichtetwerden, die mögliche fachlicheDefizite ausgleichen und in kurzerZeit aufholen lassen.• Monoedukative Studienangebotesollten, so die Mehrzahl der„monoedukativen“ und einige der„koedukativen“ Studentinnen, in diejeweiligen technischen oder ingenieurwissenschaftlichenFachbereicheintegriert sein und nicht isoliertwerden oder sich selbst isolieren.Das Angebot oder die Förderunggemeinsamer Veranstaltungen, Projekteoder fachlicher Wettbewerbemit Studierenden aus koedukativenStudiengängen würde auch die Attraktivitätsteigern. Außerdemkönnte man damit zwei möglichenVorurteilen aktiv vorbeugen bzw.begegnen: Vermutete Vorbehaltevon potentiellen Nutzerinnen oderInteressentinnen, dass dort nurFrauen studieren, die vielleichtAngst davor haben, sich mit Männernzu messen, könnte man mit integriertenkoedukativen Bausteinenentkräften. Vermutete Vorbehaltebei potentiellen Arbeitgebern, Frauenaus monoedukative Studiengängehätten nicht gelernt, mit Männernumzugehen und könnten sichin (bislang noch) männerdominiertenBetrieben und Unternehmennicht durchsetzen, wären ebenfallsentkräftet. Für die Studentinnenselbst hätten solche Veranstaltungenoder gemeinsame Projekte zusätzlichden Vorteil, dass sie die Chanceeröffnen würden, ihre fachlicheQualifikation mit denen der koedukativStudierenden zu vergleichen.Auch für die hochschulinterne Akzeptanzund den Abbau gegenseitigerVorbehalte wären gemeinsameProjekte von Vorteil.• In allen drei Zielgruppen wurdemehrheitlich für eine deutlichstärkere <strong>Info</strong>rmationspolitik undÖffentlichkeitsarbeit votiert, damitüberhaupt Akzeptanz hergestelltwerden kann. Potentielle Nutzerinnenmüssen durch verstärkte <strong>Info</strong>rmationsveranstaltungenin Schulenerst einmal die Chance haben, vondiesen Angeboten zu erfahren undsich ggf. mit deren Studentinnenauszutauschen. Potentielle Arbeitgeberund Arbeitgeberinnen müssendarüber informiert werden, dassdiese Studentinnen die gleiche fachlicheAusbildung erhalten wie Studierendein koedukativen Studiengängenund darüber hinaus nochZusatzqualifikationen vorweisenkönnen. Notwendig ist aber auch,dass potentielle Arbeitgeber und Arbeitgeberinnenmit diesen Studentinnenoder Absolventinnen positiveErfahrungen machen, um evtl.vorhandene Vorbehalte abbauen zukönnen. Frühzeitige Firmenkontakte,ein kontinuierlicher Austauschund enge Praktikums- oder Projektkooperationenzwischen den Studiengängenund Unternehmen könnendabei unterstützende Maßnahmensein. Darüber hinaus sahen einzelneSchülerinnen und Studentinnenin der Erstellung und stärkerenVerbreitung von Evaluationsergebnissenaus den Studiengängenselbst, aber auch über die Leistungender Studentinnen und Absolventinnenim Berufsleben, wichtigeflankierende Maßnahmen derÖffentlichkeitsarbeit.Die Ergebnisse, die sich hinsichtlichder Einschätzung akzeptanzfördernderKriterien und Maßnahmengezeigt haben, lassen darauf schließen,dass in der Öffentlichkeitsarbeitdeutliche Defizite vermutetwerden oder vorhanden sind. Dieswird dadurch bestätigt, dass dieüberwiegende Mehrzahl der befragtenSchülerinnen, die alle aus Schulenan Hochschulorten kommen, andenen monoedukative Studienangeboteexistieren, diese nicht gekannthaben. Bei den eher inhaltlichen„Qualitätskriterien“ werdenüberwiegend Aspekte genannt, denenin einzelnen Modellen monoedukativerStudiengänge bereitsRechnung getragen wird. AndereKriterien gilt es zu überdenken undggf. perspektivisch in die jeweiligenKonzepte zu integrieren. Diese zuallgemeingültigen Kriterien zu erklärenund in (weiteren) bildungspolitischenPlanungen umzusetzen,wäre ein erstrebenswertes Ziel, danicht nur die Attraktivität dieserAngebote für potentielle Nutzerinnen,sondern offensichtlich auch die40


Monoedukative Hochschulangebote für Frauenvermutete Attraktivität deren Absolventinnenfür potentielle Arbeitgeberin einem engen Zusammenhangmit der inhaltlichen Ausgestaltunggebracht wird.4.2. Handlungsempfehlungen4.2.1. Ausweitung monoedukativerStudienangeboteDie beschriebenen positiven Erfahrungenund Erfolge mit bestehendenmonoedukativen Studienangebotenin Deutschland, aber auch dieErgebnisse aus den Interviews lassenden Schluss zu: MonoedukativeStudienangebote sind eine bildungspolitischgeeignete Maßnahme, umZugangsschwellen gegenübermännlich dominierten Studiengängenzu verringern oder abzubauen.Die Studienentscheidung jungerFrauen kann offensichtlich sehrwohl durch ein zielgruppenspezifischesund attraktives Angebot positivin Richtung technischer oderingenieurwissenschaftlicher Studiengängebeeinflusst werden. Damitsind monoedukative Studienangeboteein wichtiger bildungspolitischerBaustein, um das gesamtgesellschaftlicheZiel, den Abbau derUnterrepräsentanz von Frauen iningenieurwissenschaftlichen undtechnischen Studiengängen wie Berufsfeldern,zu erreichen. Eine Ausweitungdieser Studienangebote „indie Fläche“ kann nur empfohlenwerden. Hierzu sollten verstärkt Anstrengungenunternommen werden,monoedukative Studienangeboteauch in den Bundesländern einzurichten,in denen es bislang kein entsprechendesAngebot gibt. Zu prüfenwäre, inwieweit eine Ausweitungdieser Angebote im Zuge allgemeinerStudienreformmaßnahmenauch auf Universitäten möglich ist.4.2.2. Umsetzung und QualitätskriterienBei der Einrichtung neuer, aberauch der Weiterführung bestehender,monoedukativer Studienangebotesollten die in den Interviewsdeutlich gewordenen akzeptanzförderndeninhaltlichen KriterienBerücksichtigung finden. Dies giltauch für die sichtbar gewordenePräferenz einer organisatorischenUmsetzung als Parallelstudiengangzu einem koedukativen Studiengang.Empfehlenswert wäre die Erstellungund Umsetzung eines allgemeingültigen„Kriterienkatalogs“ alsqualitätssichernde Maßnahme, wieer bereits von der BLK (2002, S. 79)formuliert wurde.4.2.3. Finanzielle Ressourcenund FörderungDie Einrichtung monoedukativerStudienangebote kann nicht zum„Nulltarif“ erfolgen. Wie dargestellt,treffen monoedukative Hochschulangebotenicht selten auf hochschulinterneDurchsetzungsprobleme,insbesondere dann, wenn derenEinrichtung oder die Fortführungeines als Modellversuch eingerichtetenStudiengangs innerhalbder Hochschule oder entsprechenderFachbereiche mit Fragen derVerteilung/Bindung von Ressourceneinhergehen. Hier ist ein Umdenkenund ein unterstützendesHandeln dringend notwendig. FürHochschulen, die monoedukativeStudienangebote (auf Dauer) einrichten,müssten finanzielle Ressourcenbereitgestellt werden. Erforderlichist vor allem eine ausreichendeBetreuung der Studentinnenund eine intensive Öffentlichkeitsarbeit.Die Vergabe von Lehraufträgenan Dozentinnen bzw. die zusätzlicheEinrichtung mindestenseiner Professorinnenstelle sollte ermöglichtwerden.4.2.4. ÖffentlichkeitsarbeitDie <strong>Info</strong>rmationspolitik über monoedukativeStudienangebote ist sowohlauf lokaler, regionaler wieüberregionaler Ebene zu verstärken.Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit,zu denen hier in den Interviewseinige Vorschläge genannt wurden,müssen sich vor allem an die beidenZielgruppen der potentiellenNutzerinnen und der potentiellenArbeitgeber und Arbeitgeberinnenund nicht so stark wie bislang an die„Fachöffentlichkeit“ richten. Ohneeine entsprechende <strong>Info</strong>rmationspolitikund Öffentlichkeitsarbeitkann keine breitere gesellschaftlicheAkzeptanz für monoedukative Studienangebotehergestellt und kannauch keine ausreichende Anzahl zukünftigerStudentinnen gewonnenwerden.4.2.5. Forschungs- und HandlungsfelderDie Forschungslage über monoedukativeStudiengänge ist gut und dienoch zu erwartenden Ergebnisseder bislang noch nicht abgeschlossenenwissenschaftlichen Begleitforschungenan einzelnen Studienortenrunden dieses Bild hinreichend ab.Weitere Forschung und bildungspolitischeAktivitäten sollten sich daherauf folgende Felder richten:• Die Durchführung einer Studieüber Erfahrungen von Unternehmenmit Studentinnen (z.B. imPraktikum) und Absolventinnen (alsBerufseinsteigerinnen) monoedukativerHochschulangebote und umgekehrtdie Erfahrungen der Studentinnenund Absolventinnen mitund in Unternehmen (z.B. bei derPraktikums- oder Arbeitsplatzsuchebzw. im Praktikum und in der erstenArbeitsstelle).• Die Initiierung eines Programmszur Intensivierung derKommunikation und Vernetzungzwischen den jeweiligen Studien-<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>41


Anina Mischaugängen und Vertreterinnen und Vertreternaus der Wirtschaft, der Industrieund entsprechenden Berufsverbänden.Dieses Programm solltemit einer wissenschaftlichen Begleitungund Auswertung verbundenwerden. Hiervon könnte aucheine Signalwirkung auf weitere Studienreformmaßnahmenund auf dieallgemeine Integration von Frauenin diesen Berufsbereichen ausgehen.• Empfehlenswert wäre auch, bisherigeErfahrungen in den bereitserfolgreich existierenden monoedukativenStudienangeboten, aberauch in den „gescheiterten“ Vorhabenzu bündeln und einer gemeinsamenBetrachtung und Auswertungzu unterziehen. Der eigentlichnotwendige und ergänzende Blickvon Seiten der Vertreter und Vertreterinnender jeweiligen (realisiertenoder geplanten) Hochschulangeboteist für die Erarbeitung vonQualitätskriterien für (weitere) monoedukativeStudienangebote, aberauch für Fragen der Herstellung einerhochschulinternen Akzeptanzwichtig. Ein solcher Austauschkönnte z.B. ebenfalls in Form eines„Runden Tisches“ erfolgen und miteiner wissenschaftlichen Begleitungund Auswertung verbunden werden.LiteraturBMBF – Bundesministerium für Bildungund Forschung (Hg.): Frauenstudiengängein Ingenieurwissenschaftenund <strong>Info</strong>rmatik – Chancenfür die Zukunft. Dokumentation derFachkonferenz vom 14.-15. Dezember1999 in Bonn.BLK – Bund-Länder-Kommission fürBildungsplanung und Forschungsförderung(Hg.): Frauen in deningenieur- und naturwissenschaftlichenStudiengängen, Materialien zurBildungsplanung und zur ForschungsförderungHeft 10, Bonn2002.DIHK – Deutscher Industrie- undHandelskammertag: Arbeitskräftemangeltrotz hoher Arbeitslosigkeit.Ergebnisse einer DIHK-UnternehmensbefragungHerbst 2001.Glöckner-Rist, A./Mischau, A.: Wahrnehmungund Akzeptanz von Frauenhochschulenund Frauenstudiengängenin Deutschland. Eine empirischeStudie, Baden-Baden 2000.Kahle, I./Schaeper, H.: Bildungswegevon Frauen. Vom Abitur bis zum Berufseintritt,hrsg. v. Hochschul-<strong>Info</strong>rmations-System(HIS), Hannover1991.Kahlert, H./Mischau, A.: Neue Bildungswegefür Frauen. Frauenhochschulenund Frauenstudiengänge imÜberblick, Frankfurt/New York2000.Knapp, G.-A./Gransee, C.: Abschlussberichtder wissenschaftlichen Begleitungdes „FrauenstudiengangsWirtschaftsingenieurwesen“ an derFachhochschule Wilhelmshaven,Hannover 2002.Komoß, R.: Modellstudiengang InternationalerFrauenstudiengang <strong>Info</strong>rmatik(IFI) an der Hochschule Bremen.1. Zwischenbericht, Bremen2001.Komoß, R.: Arbeitsbericht zum InternationalenFrauenstudiengang <strong>Info</strong>rmatikin Bremen, unveröffentl. Manuskript,Bremen 2002.Kompetenzzentrum frauen in informationsgesellschaftund technologie(Hg.): Innovative Studienreformprojektefür Frauen, Bielefeld 2002.Minks, Karl-Heinz: Frauen aus technischenund naturwissenschaftlichenStudiengängen. Ein Vergleich derBerufsübergänge von Absolventinnenund Absolventen. Hrsg. v. derHochschul-<strong>Info</strong>rmations-SystemGmbH (HIS), Hannover 1996.Preuss, E.: Die Frau als Manager: Vorurteile,Fakten, Erfahrungen, 1997.Ruchatz, T.: VDI-Nachrichten, <strong>Nr</strong>. 42,1993, S. 5.Schwarze, B.: Studienreform-Maßnahmenfür Frauen im Ingenieur- und<strong>Info</strong>rmatikstudium, Vortragsmanuskript,Bielefeld 2001.Schwarze, B.: Reformimpulse für Frauenin Ingenieur- und Naturwissenschaftennutzen – Wettbewerb undBenchmarking um die Besten imLande, unveröffentl. Manuskript,Bielefeld 2002.Statistisches Bundesamt: Bildung imZahlenspiegel 2001, Wiesbaden2001.Sordon, E.: Frauen in Führungspositionenin Großunternehmen, 1995.Tischer, U.: Arbeitsmarkt für Akademikerinnen– Entwicklungen, Tendenzen,Handlungsfelder, in: VorbereitungsgruppeHannover (Hg.): 23.Kongreß von Frauen in Naturwissenschaftund Technik, 9. bis 11. Mai1997 in Hannover. Dokumentation,Darmstadt 1997, S. 43-49.VDI – Verein Deutscher Ingenieure(Hg.): Ingenieure und Ingenieurinnenin Deutschland. Situation undPerspektiven, Düsseldorf 2002.Wissenschaftliches Sekretariat für dieStudienreform im Land Nordrhein-Westfalen (Hg.): Ingenieurinnen erwünscht!Handbuch zur Steigerungder Attraktivität ingenieurwissenschaftlicherStudiengänge für Frauen,Bochum 2002.Anina MischauInterdisziplinäres Frauenforschungs-Zentrum (<strong>IFF</strong>)Universität Bielefeld,Postfach 100131, 33501 BielefeldEmail: anina.mischau@uni-bielefeld.de42


Feministische Mädchenarbeit gestern und heuteKerstin PetersenFeministische Mädchenarbeit gestern und heuteVor gut 30 Jahren begannen Pädagoginnen feministische Mädchenarbeit als ein eigenständiges pädagogisches Prinzip zuentwickeln. Die feministische Mädchenarbeit wird bis heute immer wieder neu von Theoriedebatten der Frauen- undGeschlechterforschung beeinflusst; eine „Beeinflussung“ die sie selbst immer wieder zur kritischen Reflexion ihrer eigenentheoretischen Prämissen und Praxis „zwingt“. Im Mittelpunkt dieses Beitrages steht die Frage, ob und wie die beidenTheorierichtungen der Konstruktion bzw. De- Konstruktion von Geschlecht in die Praxis feministischer Mädchenarbeitund die Diskurse ihrer Akteurinnen Eingang gefunden haben. Ausblickend wird skizziert, inwieweit der theoretischeAnsatz eines geschlechtshierarchischen Verdeckungszusammenhangs neue Anregungen für die pädagogische Praxis undfür einen anderen Umgang mit der Kategorie „Mädchen“ geben kann.1. Grundlagen und Prämissenin den Anfängen der feministischenMädchenarbeitDie theoretischen Grundlagen feministischerMädchenpolitik- undMädchenarbeit bauen auf der in den1970er Jahren entwickelten feministischenTheorie und Gesellschaftsanalyseauf, die sich nach einemBuchtitel von Ursula Scheu (1977)folgendermaßen zusammenfassenlässt: „Wir werden nicht als Mädchengeboren – wir werden dazu gemacht.“Zwei Erkenntnisse dieser(frühen) feministischen Gesellschaftsanalyseprägten lange Zeit dietheoretische wie praktische Entwicklungder feministischen Mädchenarbeit,die in ihren Anfängenauch als „kleine Schwester der Frauenbewegung“bezeichnet wurde(vgl. Boller/Mirsch 1996). Diesewaren:1. dass die in der BRD vorherrschendeGesellschaftsform alsPatriarchat zu bezeichnen warund ist, und dass zur Aufrechterhaltungdieses Machtsystems offeneund subtile Gewalt angewendetwurde und wird, und2. dass das gesellschaftliche hierarchischeGeschlechterverhältniskomplexe Folgen für das Lebenvon Frauen und Mädchen hat.Die Veränderung bzw. Überwindunggeschlechtshierarchischer, patriarchalerMachtstrukturen in derGesellschaft avancierte daher auchin der Selbstdefinition der feministischenMädchenpolitik zu einemzentralen Ziel. Sie beschränkt sichdabei nicht nur auf die Benennungder Reduzierung, Diskriminierungund Zurichtung des weiblichen Geschlechts,sondern versucht darüberhinaus zu ergründen, wie die bestehendenStrukturen die Abwertungund Funktionalisierung von Frauenund Mädchen und die Herstellungder männlichen Gattung alsüber Frauen verfügende Herrschendeermöglichen (vgl. Heiliger 1993).In den 1980er Jahren beeinflusstendie psychoanalytische Identitätstheorievon Nancy Chodorow und daskognitionstheoretische Konzept derweiblichen Moral von Carol Gilligandie Praxis und Konzeptentwicklungder Mädchenarbeit sehr stark (vgl.Chodorow 1986, Gilligan 1991).Durch sie wurden weitere wichtigeAspekte und Prämissen der feministischenMädchenpolitik, die bereitsin ihren Anfängen formuliert wurden,konkretisiert. Diese sind: dieEntwicklung der eigenständigenund unabhängigen Persönlichkeitvon Mädchen, ihrer Individualität,Ganzheitlichkeit und Selbstbestimmtheit,die Gewährleistung ihrerkörperlichen und seelischen Integritätund ihrer Widerstandskraft,die positive Bewertung vonWeiblichkeit jenseits patriarchalerNormen, sowie die Unterstützungbei der Überwindung und Heilungvon oft schon erfolgten tiefen Verletzungen.Die Umsetzung diesersomit gleichsam als Ziele einer feministischerMädchenpolitik formuliertenPrämissen erfolgen in derPraxis der feministischen Mädchenarbeit:• durch das Aufzeigen und Entlarvendes Mythos von männlicherStärke und Überlegenheit undder Ideologie von der Allgemeingültigkeitpatriarchaler Normen;• im Aufbrechen der Magie derUnterwürfigkeit und der Zerstörungder Idee von auswegloserAbhängigkeit und Angewiesenheitvon Mädchen und Frauenauf das männliche Geschlechtund• durch ein präventives Eingreifenin den Prozess der Aneignungvon weiblichen Rollenbildernund Rollenausgestaltung und Zurichtungsmechanismen(vgl. Heiliger1993).Das für die Anfänge der Frauenforschungformulierte Postulat derParteilichkeit (vgl. Mies 1984) entwickeltesich sehr schnell auch zum<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>43


Kerstin Petersenpolitischen und pädagogischenPrinzip der feministischen Arbeitmit Mädchen. 1 Parteilichkeit wurdevon Mitarbeiterinnen in FrauenundMädchenprojekten als Kernstückihrer grundsätzlichen Frauenorientierungbenannt, wobei dieparteiliche Haltung der Pädagoginnicht etwa so verstanden werdensollte, dass die Pädagogin vorbehaltlosalles, was Mädchen machen, alsgut und richtig erachten muss. Siebeinhaltet vielmehr, dass sie dieMädchen als Unterdrückte und Gewordenein ihrem Ist-Zustand vorurteilsfreiannimmt (vgl. Klees/Marburger/Schumacher 1989).Zentrale Aspekte der parteilichenHaltung einer Pädagogin sind demnach:• Mädchen zum Mittelpunkt despädagogischen Handelns zu machen;• den Mädchen jegliche Unterdrückungvon Frauen und Mädchenaufzuzeigen und diese zubekämpfen;• das Empfinden, Denken, Handelnund Verhalten der Mädchenzum jetzigen Zeitpunkt als dasmaximal Mögliche zu akzeptierenund wertzuschätzen;• die Bedürfnisse, Interessen,Wünsche, Lebensvorstellungenund Zukunftspläne von Mädchenaus deren Perspektive wahrund ernst zu nehmen;• pädagogische Hilfe zum Entdekkender eigenen Bedürfnisse undInteressen der Mädchen, zum Erwerbund zur Erweiterung derFähigkeit zur Selbst-Definitionund Selbst-Organisation und zurDurchsetzung ihrer Belange anzubieten;• ganzheitliche Gegenerfahrungenzu alltäglichen Diskriminierungenzu ermöglichen, damit dasSelbstvertrauen der Mädchenwächst, um beispielsweise eigeneLebenspläne zu entwerfen,oder über vorhandene Lebenspläneeigenständig entscheidenzu können.Die parteiliche Haltung der Pädagoginbeinhaltet damit, dass sie sich inihrer Zielsetzung, ihrem Verhaltenund Handeln an die Seite der Mädchenstellt, mit der Absicht, der täglichenoffenen und subtilen Diskriminierungvon Frauen und Mädchenentgegenzuwirken (vgl. Klees/Marburger/Schuhmacher 1989).Ein wesentlicher Punkt der Parteilichkeitals pädagogischem Grundsatzist, dass Frauen und Mädchenaus der Opferrolle herausgeführtwerden und von individuellenSchuldzuschreibungen, z. B. bei Gewalterfahrungen,befreit werden(vgl. Bitzan 1993a). Parteilichkeit bedeutetin diesem Zusammenhangaber auch, dass die gesellschaftlicheZuordnung von Eigenschaften, Fertigkeitenund Fähigkeiten von Menschenin „weibliche“ und „männliche“und die sich anschließende Abwertungweiblicher Eigenschaftenund Kompetenzen, durchbrochenund überwunden werden muss. Daim feministisch-pädagogischen Ansatzdavon ausgegangen wird, dassmenschliche Eigenschaften undKompetenzen nicht an einen männlichenoder weiblichen Körper gebundensind, ist es einerseits Aufgabeeiner feministischen Mädchenarbeit,den Mädchen Handlungsspielräumezu eröffnen, in denen sie sichsogenannte männliche Eigenschaftenund Kompetenzen aneignenkönnen, da diese Kapazitäten bislangnur durch die Erziehung zurWeiblichkeit in ihrer Person unterdrücktwurden. Anderseits ist esaber auch notwendig, die sogenanntenweiblichen Fähigkeiten der Mädchenaufzuwerten, um so das Selbstvertrauen,und das Selbstwertgefühlder Mädchen zu stärken. Damit diesepädagogischen Ziele erreicht werdenkönnen, bedarf es einerseits Pädagoginnen,die sich der formuliertenParteilichkeit „verpflichtet fühlen“(vgl. Klees/Marburger/Schuhmacher1989), anderseits aber auchneue (Frei-)Räume für eine solcheparteiliche pädagogische Arbeit.Konsequenterweise avanciertedamit der Anspruch, dass feministischeMädchenarbeit in geschlechtshomogenenRäumen und Gruppenstattfinden sollte, zu einer weiterenzentralen Prämisse des eigenenSelbstverständnisses. Als Vorteil einerpädagogischen Arbeit mit Mädchenin geschlechtshomogenenGruppen und Räumen wurde angesehen,dass die Mädchen lernenkönnen, sich gegenseitig wahrzunehmenund anzuerkennen. Durchdie Abwesenheit von Jungen entfälltdie ständige Präsenz männlicherWerte, Normen, Erwartungen undAnforderungen. Dass die geschlechtshomogenenGruppen undRäume frei von Jungen sind, bedeutetzwar nicht, dass das Klima in derMädchengruppe zwangsläufig harmonischist, doch sind Mädchen ingleichgeschlechtlichen Gruppeneher bereit, sich mit ihrer persönlichenEigenart und der Art andererMädchen auseinander zu setzen.Hier können sie eigenen Bedürfnissen,Empfindungen, Interessen,Kränkungen und Verletzungen Beachtungschenken, untereinanderProbleme und Schwierigkeiten austauschenund sich darüber gegenseitiganerkennen und bestätigen. Ingeschlechtshomogenen Gruppenbesteht für die Mädchen die Möglichkeit,sich von gesellschaftlichenRollenzuweisungen zu lösen. DiesenFreiraum können sie nutzen, umneue Verhaltensweisen auszuprobieren,ihre Handlungsmöglichkeitenzu erweitern und dadurch ihrSelbstbewusstsein und ihr Selbstvertrauenin ihre eigene Kompetenz zustärken. Mädchen, die so gestärkt inden Alltag gehen, können, so die44


Feministische Mädchenarbeit gestern und heuteAnnahme, mit den sie alltäglich umgebendenunterdrückenden Strukturenanders umgehen (vgl. Klees/Marburger/Schuhmacher 1989).2. Neuere theoretische Einflüsseauf die feministische MädchenarbeitDie feministische Mädchenarbeitwird bis heute – und dabei gleichsamimmer wieder von neuem – vontheoretischen Strömungen aus derFrauen- und Geschlechterforschungbeeinflusst; eine „Beeinflussung“die die feministische Mädchenarbeitselbst immer wieder zurkritischen Reflexion ihrer theoretischenPrämissen und ihrer praktischenUmsetzung „zwingt“. SeitAnfang der 1990er Jahre haben diebeiden Theorierichtungen der Konstruktionbzw. Dekonstruktion vonGeschlecht zunehmend Eingang inund Einfluss auf die Diskurse undTheorieentwicklungen der deutschenFrauen- und Geschlechterforschunggefunden. MöglicheKonsequenzen dieser theoretischenDebatten und des damit einhergehendenPerspektivenwechsels aufdie feministische Mädchenarbeitwurden bislang noch wenig beachtetund diskutiert. In den folgendenAbschnitten 3 und 4 soll diese Diskussionaufgenommen und einigezentrale und weiterführende Gedankenreflektiert werden. Zunächstjedoch werden noch einmal dieTheorierichtungen der Konstruktionund Dekonstruktion von Geschlechtzusammenfassend skizziert.2.1. Theorieansätze zur (De-)Konstruktion von Geschlecht(De-)konstruktivistische Theorieansätzefinden ihren Ausgangspunktdarin, dass sie die in der westlichenWelt vorherrschende Alltagstheorieder kulturellen Zweigeschlechtlichkeitin Frage stellen; eine Alltagstheorie,die davon ausgeht, dass dieGeschlechtszugehörigkeit eindeutig,naturhaft und unveränderbar ist: Imtäglichen Umgang wird ohne bewusstesÜberlegen impliziert, dassjeder Mensch entweder weiblichoder männlich ist, und dass das Geschlechtim Umgang eindeutig erkennbarist (Eindeutigkeit). Im Weiterensei die Geschlechtszugehörigkeitkörperlich begründet (Naturhaftigkeit)und gelte als angeborenund könne sich nicht ändern (Unveränderbarkeit).Diesem „unreflektierten“Alltagsdenken zufolge, „haben“Menschen ihr Geschlecht alsoein Leben lang, sie sind Männerund/oder Frauen, Mädchen und/oder Jungen. Es besteht weder dieMöglichkeit, einem anderem alsdem männlichen oder weiblichenGeschlecht anzugehören, noch gibtes die Möglichkeit, gar keinem Geschlechtanzugehören oder das Geschlechtzu wechseln (vgl. Kessler/McKenna 1978).Der Theorieansatz zur Konstruktionvon Geschlecht, wie er imdeutschen feministischen Kontextverwendet wird, steht in der Theorie-und Forschungstradition derEthnomethodologie, die ihr Forschungsinteresseauf die interaktiveKonstruktion von Zweigeschlechtlichkeitrichtet. Auf derEbene von Alltagwissen und Alltagshandelnfragt sie nach den Konstruktions-und Selbstkonstruktionsprozessenvon Geschlechtszugehörigkeitbei InteraktionsteilnehmerInnen.Die ethnomethodologischeGeschlechtersoziologie fandihren Ausgangspunkt bei Garfinkel(1967) und seiner Studie über„Agnes“, einer Mann-zu-FrauTranssexuellen. Dem ethnomethodologischenSelbstverständnis folgend,die eigene Gesellschaft hinsichtlichihrer alltagsweltlichen Normalitätzum erklärungsbedürftigenGegenstand zu machen, analysierteGarfinkel mit dieser Studie das Geschlechtzum ersten Mal als sozialproduzierte Kategorie. 1978 wurdedann die erste explizit feministischausgerichtete ethnomethodologischeStudie von Susanne J. Kesslerund Wendy McKenna vorgelegt. Inihrem Buch „Gender. An EthnomethodologicalApproach“ geht es denAutorinnen um eine generelle Perspektiveauf die Konstruktion vonGeschlecht in heutigen Gesellschaften.Dabei konkretisieren die beidenAutorinnen den Begriff des „doinggender“, ein Begriff, der in den darauffolgenden Diskursen der Frauen-und Geschlechterforschung denWeg zu einem völlig neuen Verständnisvon „Geschlecht“ eröffnenund prägen sollte.Der Theorieansatz der sozialenKonstruktion von Geschlecht gehtdavon aus, dass Geschlecht nichtetwas ist, was Individuen habenoder sind, sondern etwas, was sietun. Danach wird Geschlecht in jederalltäglichen Interaktion durchden Prozess der Geschlechtsdarstellung,der Geschlechtswahrnehmungund der Geschlechtszuschreibungkonstruiert, wobei das wahrnehmendeund einordnende Gegenüberden Hauptteil der „Konstruktionsarbeit“leistet. In diesem Ansatzwerden gesellschaftliche Machtverhältnisseauf die Ebene der sozialenKontrolle von InteraktionsteilnehmerInnenverlagert und sozialstrukturelleBedingungen ausschließlichunter dem Gesichtspunktder sozialen Handlungen vonIndividuen betrachtet (vgl. Wartenpfuhl1996). Aus dieser Sichtweiseheraus ist Geschlecht nicht etwas,was wir „haben“ oder sind, sondernetwas, was wir machen (vgl. Hagemann-White1993). In der westlichenWelt bewegen und verständigenwir uns nicht nur in einem„symbolischen System der Zweigeschlechtlichkeit“(Hagemann-<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>45


Kerstin PetersenWhite 1984), sondern wir wirken beidessen kultureller Konstruktion täglichmit (vgl. Hagemann-White1993). Bei der täglichen Interaktionhandeln Individuen geschlechtlich,dabei konstruieren sie eine Sozialordnungund Systeme von Dominanzund Unterordnung (vgl. Lorber1987). Wenn die Individuen täglichin der Interaktion beim „doinggender“ die Zweigeschlechtlichkeitherstellen, vollziehen und bestätigensie deren immanente Hierarchie.Diese Hierarchie beinhaltet, dass dieHöherwertigkeit des Männlichen inder Interaktion symbolisch als Dominanzund Weiblichkeit als Subordinationvollzogen wird, dass alsoIndividuen täglich bei der Fortschreibungpatriarchaler Ungleichheitmitwirken (vgl. Hagemann-White 1993).Im Gegensatz zur Idee der Eigenverantwortlichkeitder Individuenbei der interaktiven, normativenHerstellung von Geschlecht gehtder dekonstruktive Ansatz nachButler (1991) – in Anlehnung anFoucault (1979) – davon aus, dassdurch Sprache die Konstruktionvon Geschlecht hervor gebrachtwird. Butler verfolgt hierbei denProzess, in dem Sprache die Konstruktionvon Geschlecht jeweilshervorbringt und dabei zugleich alsontologische Kategorie wieder verschleiert.Butler räumt damit derSprache einen wahrheits- und wirklichkeitserzeugendenStatus ein. Dasbedeutet, dass die Sprache, in derwir denken und die auch die Sprachejener kritischen Diskurse ist,schon immer von den Machtstrukturender Gesellschaft durchdrungenist und diese zwar ungewollt,aber wirksam, reproduziert. In diesenvorhandenen Machtverhältnissenwird auch Sexualität konstruiertund es gibt kein vor, außerhalb oderjenseits dieser Macht (Butler 1991).Foucault (1979) richtete sein Augenmerkdarauf, wie sich „der Gebrauchder Lüste“ im Verlauf derGeschichte veränderte und wie dieKörperidentitäten kulturell geprägtwurden. Butler geht darüber hinaus:Der Körper wird ihrer Ansicht nachnicht nur überformt, sondern existiertnur im und durch den Diskurs.Während jedoch bei Foucault dieBeschreibung der Materialität alsunkenntlich gewordene Wirkungvon Macht eine erkenntnisreichePointe hat und die Limitiertheit unseresErkenntnisvermögens beschreibt,nimmt diese Argumentationbei Butler eine ontologischeRichtung: Für Butler existiert keinevorgegebene Natur. Ihr zufolge sindnatürliche Gegebenheiten Materialisierungdiskursiver Praktiken (vgl.Butler 1991). Damit verwendet sieden Begriff des „Konstruierens“ imSinne von „erzeugen“ (Nagl-Docekal1999).Aus dieser Perspektive ist es folgerichtig,die Behauptung aufzustellen,dass nicht nur „gender“ also dassoziale Geschlecht, sondern auch„sex“, also das biologische Geschlecht,performativ hergestelltwird. In diesem Zusammenhang istGeschlechtsidentität weder wahrnoch falsch, weil sie auf keiner innerenIdentität mehr beruht. Geschlechtsidentitätist diesem Diskurszufolge eine auf den Körper geschriebene„Phantasie“. So schreibtButler (1991): „Wenn die innereWahrheit der Geschlechtsidentitäteine Fabrikation/Einbildung ist unddie wahre Geschlechtsidentität sichals auf der Oberfläche der Körperinstruierte und eingeschriebenePhantasie erweist, können die Geschlechtsidentitätenscheinbar wederwahr noch falsch sein. Vielmehrwerde sie lediglich als Wahrheits-Effekte eines Diskurses über die primäre,feste Identität hervorgebracht.“(ebd., S. 201).Die Kritik des dekonstruktivenTheorieansatzes an der gesellschaftlichenKonstruktion von Geschlechtgeht über den theoretischenKonstruktionsansatz der KategorieGeschlecht insofern hinaus,da er einen normativen Zusammenhangzwischen Geschlechtszugehörigkeitund Heterosexualität herstellt.Butler (1991) stellt die gesellschaftlichevorgebende heterosexuelleMatrix in Frage. Die gesellschaftlichesanktionierte Funktionder Heterosexualität ist, dass sie dieKontrolle der Sexualität sichert unddamit die Reproduktion der Gesellschafterhält. Dieses geht einher mitder Ausgrenzung von Homosexualität,da diese im Sinne der Reproduktionnicht sinnvoll ist. Demnachist Heterosexualität eine spezielleVariante der Sexualität, aber keinenatürliche Notwendigkeit von zweibinär organisierten Körpern.Beide Theorieansätze gehen davonaus, dass die Geschlechtszugehörigkeitnicht biologisch vorgegebenist, sondern durch wiederholteHandlungen und Darstellung normativer,kultureller Vorgaben hergestelltwird. In diesem Zusammenhanghat Butler die Idee „Parodieals Politik“ entwickelt. Durch eineVerschiebung der symbolischen Systeme„Männlichkeit“ bzw. „Weiblichkeit“,durch subversive Wiederholungen,kann eine Neuverhandlungsowie eine Erweiterung von geschlechtlichenZuschreibungs- undDarstellungsformen geschehen.Butler bezieht sich an dieser Stelleauf Geschlechterparodie, Travestiesowie auf Stilisierungen sexuellerIdentitäten, wie sie im angloamerikanischenUmfeld der „queer politics“entwickelt wurden (vgl. Butler1991). Durch die Theorien der(De-) Konstruktion von Geschlechtwird die Frage aufgeworfen, woraufdas feministische Identitätssubjekt„Frau“ denn beruht, wenn Weiblichkeitan keinen weiblichen Kör-46


Feministische Mädchenarbeit gestern und heuteper gebunden ist (vgl. Hagemann-White 1993, Butler 1991); eine Fragemit weitreichenden Folgen nichtnur für den feministischen Theoriediskurs,sondern auch für eine feministischePolitik oder Praxis z.B.in der Mädchenarbeit.3. Auswirkungen des Perspektivenwechselsauf die feministischeMädchenarbeitUnter Bezugnahme auf die theoretischenAnsätze der (De-)Konstruktionstellen sich für die Mädchenarbeitderzeit u.a. folgende Fragen:Was ist oder macht überhaupt einMädchen aus? Und welche Auswirkungenhat dieses nicht mehr eindeutigeWissen darüber, was einMädchen ausmacht, auf die Pädagogikin der Mädchenarbeit? Mitdiesen Fragen steht das Verhältniszum anderen Geschlecht – bisherstrukturell ein sehr wichtiger Punktfür die Theorie der feministischenMädchenarbeit – wieder zur Disposition.Eine Auseinandersetzung übermögliche Konsequenzen des Perspektivenwechsels,der sich aus denTheorien der (De-)Konstruktionvon Geschlecht für die Praxis feministischerMädchenarbeit ergibtoder ergeben könnte, scheint dringendnotwendig. Dies vor allem infolgender Hinsicht: Bisher wurde inder Mädchenarbeit von der Möglichkeiteiner eindeutigen Definitionvon „Mädchen“ ausgegangen.Diese Eindeutigkeit wird durch diekonstruktivistische wie die dekonstruktivistischeTheoriediskussionin Frage gestellt. Feministische Mädchenarbeitmuss sich dem „Vorwurf“stellen, dass sie bislang Differenzeninnerhalb des Begriffes„Mädchen“ vernachlässigt und sichzudem an der Affirmation des binärenGeschlechtersystems beteiligthabe (vgl. Voigt-Kehlenbeck 2001).Darüber hinaus scheint auch dieLegitimation der in der feministischenMädchenarbeit bisher zentralverfolgten Maxime, die pädagogischeArbeit in geschlechtshomogenenGruppen, durch die konstruktivistischeund dekonstruktivistischeTheoriediskussion neu zur Dispositiongestellt. Auch deshalb musssich die feministische Mädchenarbeiteinem kritischen Selbstreflexionsprozessstellen und eine neuePositionsbestimmung vornehmen.Mögliche Konsequenzen der konstruktivistischenund der dekonstruktivistischenPerspektive auf dieMädchenarbeit zu skizzieren unddamit Ansatzpunkte und Anregungenfür weitergehende Diskussionenzu beschreiben, ist das Anliegender folgenden Betrachtung.3.1. Mögliche Auswirkungender Ansätze zur (De-)Konstruktionvon Geschlecht auf diefeministische MädchenarbeitEin zentrales Prinzip der feministischenMädchenarbeit war es bisher,Weiblichkeit aufzuwerten. Diesesbeinhaltete u.a., dass Geschlechtshomogenitätin der Mädchenarbeiteine wichtige Stellung einnahm.Durch die aktuellen gesellschaftlichenEinflüsse auf die KategorieGeschlecht hat sich herausgestellt,dass die Unterschiede zwischenMädchen und Jungen zum Teil geringersind als beispielsweise zwischenprivilegierten und nicht privilegiertenMädchen. Bei der Anwendungder (de-) konstruktivistischenTheorien auf die feministischeMädchenarbeit geht es nichtdarum, eine ganz neue Mädchenarbeitzu erfinden, sondern um eineWeiterentwicklung des feministischpädagogischenAnsatzes.Die (De-)Konstruktionsansätzekönnten insoweit Auswirkungenauf die Praxis der feministischenMädchenarbeit zeigen, als eine veränderteHaltung gegenüber Mädcheneingenommen, und der Ausschlussvon Jungen aufgehobenwird. Für die Angebote in der Praxiswürde dies bedeuten, dass siezwar weiterhin an den Interessender Mädchen ausgerichtet würden;die Frage der Geschlechtszugehörigkeitjedoch marginalisiert würde.Um diesen Umgang mit der KategorieGeschlecht angemessen in einenpädagogischen Begriff zu fassen,plädiert z.B. Voigt-Kehlenbeck(2001) für eine Weiterentwicklungder geschlechtsdifferenzierendenPädagogik hin zu einer geschlechterreflektierendenPädagogik: „Einegeschlechterreflektierende Pädagogikgibt den Verweis auf die besonderenProbleme und Unterstützungsbedürftigkeitvon Mädchenauf und konzentriert sich statt dessenauf den Unterstützungsbedarfim Prozess der Herstellung im Prozessdes doing gender.“ (Voigt-Kehlenbeck2001, S. 251).Damit erlangt die kritische Reflektionder und die Auseinandersetzungmit den Konsequenzen desHerstellungsprozesses des „doinggender“, eine zentrale Bedeutung innerhalbeiner geschlechterreflektierendenPädagogik. Was ist darunterzu verstehen? In der westlichen Kulturbesteht für Individuen die Notwendigkeit,sich innerhalb einerdurch die Zweigeschlechtlichkeit geprägten„Alltagskultur“ als ein Geschlechtinszenieren zu müssen.Diese Inszenierung des weiblichenoder männlichen Geschlechts trägtzugleich aber auch zur Ausweitung,Verunsicherung und Wandlung desGeschlechterverhältnisses selbstbei. Der Prozess der Herstellung derGeschlechtsidentität birgt auf dereinen Seite das Potenzial zur Veränderungder Geschlechter und zurAuflösung eindeutiger Geschlechtszuschreibungen.Auf der anderenSeite wird damit aber auch das Konfliktpotenzialbenannt, worin die<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>47


Kerstin PetersenBewältigung der Schwierigkeitenund Widersprüche der Geschlechtszuschreibungenfür die einzelne Personliegt. Die Herausforderung aneine geschlechterreflektierende Pädagogikliegt in der Begleitung derKinder und Jugendlichen bei diesemProzess. Wenn die Herstellung derGeschlechtsidentität als zentrale Bewältigungsanforderunggesehenwird, die als ständiger Zwang zurSelbstinszenierung bzw. Selbststilisierungwirksam wird, so stellt diesePerspektive neue Anforderungenan eine feministische Mädchenarbeit(vgl. Voigt-Kehlenbeck 2001).Es kann davon ausgegangen werden,dass jeder Mensch unabwendbarseine Geschlechtsidentität eigenständigherstellen muss, dabeibleibt der Einzelne lebenslangenVeränderungen unterworfen (vgl.Maihofer 1995). Bei dem Bewältigungsprozessder jeweiligen Herstellungdes „doing gender“ sollteeine begleitende Sozialpädagogikeine Haltung der begleitenden Offenheiteinnehmen (vgl. Voigt-Kehlenbeck 2001). Dies bedeutet:Es ist notwendig, sich von der Vorstellungzu verabschieden, dassMenschen eine stabile Geschlechtsidentitäterreichen und lebenslanghaben. Vielmehr ist davon auszugehen,dass Individuen mit lebenslangenvariablen und diversen Selbstentwürfenjonglieren (vgl. Bilden/Keupp 1989). Für die pädagogischePraxis könnte daraus folgen, dassdie pädagogische Begleitung derAdressatInnen nicht mehr auf dieStabilisierung von Geschlechtsidentitätausgerichtet sein kann. Stattdessenmuss berücksichtigt und anerkanntwerden, dass die Identität vonMenschen wandlungsfähig ist, undWidersprüche der Geschlechterzuschreibungimmer neu bewältigt,variiert und ausgehandelt werdenmüssen. Dies hat aber auch zur Folge,dass die zu bewältigenden Konfliktejeder einzelnen Person ggf.auch zu unterschiedlichen Zeitenunterschiedliche Unterstützungsleistungenerfordern (vgl. Voigt-Kehlenbeck2001). „Das doing gender(Hervorhebung im Original) lässtdeutlich werden, dass grundsätzlichvon einer konflikthaft und widersprüchlichangelegten Geschlechterordnungauszugehen ist, die für beideGeschlechter eine Bewältigungsstrukturdarstellt. Methodisch erforderteine geschlechterreflektierendeHaltung nicht nur eine sorgfältigeAnalyse der jeweils divergierendenProblemfelder der verschiedenenMädchen- beziehungsweise Jungenlebenswelten.“(Voigt-Kehlenbeck2001, S. 251f.)Diese veränderte Sichtweise aufGeschlechtsidentität hat auch spezifischeAuswirkungen auf die pädagogischeProfessionalität. Da nichtmehr davon gesprochen werdenkann, „das brauchen Mädchen“oder „das brauchen Jungen“, mussder Blick stärker auf die Unterschiedebei der Herstellung der Geschlechtsidentitätin den Geschlechtergruppenselbst gerichtet werden,also z.B. auf Unterschiede im Herstellungsprozesszwischen privilegiertenund nicht-privilegiertenMädchen oder Jungen. Für das pädagogischeFachpersonal ist dieSelbstreflexion eine sehr wichtigeVoraussetzung, um eine adäquatepädagogische Haltung einnehmenzu können, die dem „Klientel“ vorallem einen (pädagogischen) Raumanbietet, in dem dieses die Herstellungvon Geschlechtsidentität ausprobierenkann, damit eine Gleichzeitigkeitvon Veränderung, Wandelund Problemlösung stattfindenkann. Für Pädagoginnen bedeutetdies, dass eine pädagogische Begleitungimmer zwischen den Erfordernissenpädagogischer Unterstützungsleistungenund der Bereitstellungvon pädagogischen Freiräumenschwanken wird. „Diese Kunst, dieKonflikte und Probleme der Kinderund Jugendlichen im Umgangmit der Zuschreibung qua Geschlechtzu erkennen – und ihnenzugleich Raum für eigene Lösungsversuchezu gewähren – ist meinesErachtens die eigentliche Professionalisierungsherausforderungeinergeschlechterreflektierenden Pädagogik“.(Voigt-Kehlenbeck 2001,S. 252)Am Beispiel von lesbischen Mädchenwird ein zentraler Aspekt dermöglichen Auswirkungen der Dekonstruktionvon Geschlecht aufdie feministische Mädchenarbeit inZusammenhang mit der „QueerTheory“ deutlich. Diese 2 bietet einetheoretische Grundlage, die es gestattet,Geschlecht und Sexualitätvon einer dekonstruktiven Sichtweiseher zu analysieren. Bisherwurde die Kategorie Sexualität inder Mädchenarbeit, verstanden alsheterosexuelle Norm, zumeist nichtweiter kritisch hinterfragt. Sexualitätwar auf das System der Zweigeschlechtlichkeitgestützt und dabeimit vielen für selbstverständlich gehalteneNormen und Werten verbunden.Durch die „Queer Theory“wird der Effekt des Natürlichen der(Hetero-) Sexualität in Frage gestellt.Dabei ist Queer keineswegs als neuesexuelle Identität im vertrauten Sinnezu verstehen, also als Folge vonHeterosexualität, sondern wird jenseitsvon Identitätsstrukturen, d. h.ohne Ein- und Ausschlüsse oderNormierungen, als verbindendesElement gesehen (vgl. Howald2001). In diesem Sinne gilt es, dasMädchenbild in der Mädchenarbeitzu dekonstruieren, um vorhandeneimplizite Normen (wie etwa Heterosexualität)aufdecken zu können.„Den Begriff Mädchen (Hervorhebungim Original) zu dekonstruierenbedeutet, die Existenz der KategorieGeschlecht zwar als gesell-48


Feministische Mädchenarbeit gestern und heuteschaftliche Realität zu erkennen,aber nicht mehr definieren zu können,was Mädchen (Hervorhebungim Original) sind.“ (Howald 2001,S. 304f.)Damit eröffnet sich für die Praxisder Mädchenarbeit die Möglichkeit,mit einer Vorstellung von Geschlechtund Sexualität jenseits vonfestschreibenden Identitätskonstruktionenzu arbeiten (vgl. Howald2001). Welche Auswirkungenkönnte dies auf die Arbeit der Pädagoginnenhaben?Die neuen Perspektiven, die sichaus der dekonstruktivistischen Theorieauf Macht, Geschlecht undSubjekt ergeben und sich auf pädagogischeHandlungspraxen derMädchenarbeit auswirken, könnendazu beitragen, die normativen Vorstellungen,die Pädagoginnen vonMädchen haben, zu überprüfen.Diese normativen Vorstellungenvon Pädagoginnen könnten beinhalten,dass sie ein feministischesIdeal (etwa vom starken, selbstbewusstenMädchen) konstruiert habenund darauf hinarbeiten. Dieseidealen Vorstellungen können sichunter anderem in einem verdecktenandrozentristischen Maßstab widerspiegeln,entlang dem Mädchen bestehensollen. Dieser Maßstab beinhaltetauch bestimmte Vorstellungenüber bestimmte Identitäten, diedie Mädchen ausformen, beziehungsweiseannehmen sollen. Stattdessenplädiert z.B. Schmidt (2001)für ein „Denken der Unentscheidbarkeit“:„Um die Perspektive derMädchen im Sinne von Akzeptanzund Anerkennung wach halten zukönnen, ist das poststrukturalistischeDenken der Unentscheidbarkeitvon Bedeutung. Die Akzeptanzdessen, die Mädchen nicht einordnenzu können, weder ihre Auswirkungenauf das eigene Handelnnoch die Wirksamkeit des eigenenHandelns auf die Mädchen berechnenzu können, bedeutet einen Abschiedvon einer pädagogischen Fiktion,Menschen nach Idealbildernformen zu können. Poststrukturalismusund Dekonstruktion auf pädagogischePraxis zu beziehen, heißtnicht Handlungsfähigkeit, sonderneine Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten,indem Widersprücheund Brüche eben nicht geglättetwerden, sondern eine Erweiterungvon Handlungsmöglichkeiten, indemWidersprüche und Brücheeben nicht geglättet werden, sondernindem sie aufgegriffen undpädagogische Prozesse initiiert werdenkönnen.“ (ebd., S. <strong>27</strong>8f.)Innerhalb der dekonstruktivistischenSichtweise auf Macht, Subjektund Geschlecht kann die PädagoginVerhaltensweisen und Selbstinszenierungenvon Mädchen akzeptierenund nicht, wie bisher,als veränderungsbedürftig und defizitärbegreifen. Die Deutungenvon pädagogischen Interaktionensollten sich nicht nur ausschließlichin der Kategorie Geschlecht erschöpfen,vielmehr muss ihre Verwobenheitmit anderen Kategorienberücksichtigt werden. Für die Praxisder feministischen Mädchenarbeitkann diese Sicht auf Mädchendarüber hinaus bedeuten, dass diePädagogin die eigenen Ansprüche,das eigene Tun und die eigenenIdentifizierungen und Abwehrmechanismenimmer wieder reflektierenmuss. Feministische Mädchenarbeitmit Mädchen ist ein von derjeweiligen persönlichen Betroffenheitbestimmtes Feld. Das heißt, inder Arbeit mit Mädchen sind Pädagoginnenmit ihren eigenen Lebensgeschichtenund ihren eigenenEmanzipationsprozessen konfrontiert.Auf diesem Hintergrund erscheintes sinnvoll, neue Konzeptefür die feministische Mädchenarbeit,bezogen auf die Anforderungenan die Pädagoginnen, zu entwerfen.„So würden nicht neue Forderungenund mithin Zuschreibungenan Mädchen im Mittelpunktkonzeptioneller und praktischerÜberlegungen stehen, sondern einenoch weitergehende Fundierungvon Handlungs- und Reflexionskompetenzenvon Pädagoginnen.“(Schmidt 2001, S. <strong>27</strong>9)Aus den Theorierichtungen der(De-)Konstruktion von Geschlechtergibt sich anschließend die Frage,ob Parteilichkeit, in den Anfängender feministischen Mädchenarbeitals eine ihrer zentralen Prämissenformuliert, noch ein wichtiges Prinzipsein soll oder kann.3.2. Die aktuelle feministischeDiskussion zur „Parteilichkeit“und ihre Auswirkungen auf diefeministische MädchenarbeitZiel feministischer Theorie und Sozialarbeitwar und ist es, Parteilichkeitfür Frauen und Mädchen in denMittelpunkt des feministischen Erkenntnisinteressesund ihrer Praxiszu stellen, um jegliche Herrschaftsverhältnisseüberwinden zu können.Aus der zweiten Frauenbewegungist sowohl eine hohe Aufmerksamkeitfür Ausgrenzungs- und Benachteiligungsmechanismenvon Frauenund Mädchen, als auch eine wachsendeSensibilität für geschlechtsspezifischeSegmentierungen undRollenzwänge entstanden. DieHoffnung, die am Anfang in derFrauenbewegung vorherrschte, dassaufgrund der gemeinsamen Betroffenheitvon Gewalt und Unterdrükkungeine schwesterliche Solidaritätaller Frauen zu einer Überwindungder Männerherrschaft führen könnte,hat sich nur zum Teil erfüllt (vgl.Hartwig/Weber 2000). Im Laufeder Jahre hat sich die Prämisse derSolidarität innerhalb der FrauenundMädchenprojekte von der solidarischenzur parteilichen Arbeitshaltungweiterentwickelt. Dies führ-<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>49


Kerstin Petersente dazu, dass der Ansatz der Betroffenheitoder Solidarität in eine „bewussteParteilichkeit“ (vgl. Tatschmurat1996) überführt worden ist.Der Ansatz der „bewussten Parteilichkeit“meint, dass sich eine Frauemphatischer als ein Mann in die Situationeiner anderen Frau hineinversetzenkann, die in einer Gewaltsituationwar oder ist. Auch wenndie Beraterin in einer anderen, z.B.finanziellen Situation als die Ratsuchendeist (und sich so ein anderesHilfssystem aufbauen kann), sokann sie als Frau die Gewaltsituationdoch eher nachvollziehen, da in dieserGesellschaft immer noch potenziellalle Frauen von Gewalt bedrohtsind. Eine parteiliche Haltung wurdeweiterhin als unumgänglich begriffen,da vom Prinzip her die Differenzenunter Frauen nicht der geteiltengesellschaftlichen Machtlosigkeitund dem Ausgeliefertsein anGewaltverhältnisse von Frauen insgesamtüberwiegen (vgl. Tatschmurat1996). „Die `Betroffenheit´ lässtsich dann überführen in eine bewussteParteilichkeit, (Hervorhebungim Original) (...). Aus diesergemeinsamen Betroffenheit, der imPrinzip geteilten Machtlosigkeit unddem Ausgeliefertsein an Gewaltverhältnisse(wenn auch aus hierarchischunterschiedlichen gesellschaftlichenPositionen heraus),aber auch aus dem unterschiedlichgroßen Aktionsradius der je konkretenFrau und der verfügbaren Ressourcenresultiert Parteilichkeit auchin der feministischen Sozialen Arbeit.“(Tatschmurat 1996, S. 13)Einen weiteren Einfluss auf dieDiskussion hatten die Thesen überdie Dominanzkultur von BirgitRommelspacher (1995) und die vonChristina Trümmer-Rohr (1989)initiierte Debatte über Mittäterschaftder Frau im Patriarchat.Durch deren Thesen wurde deutlich,dass eine gesellschaftliche Einbindungund Mitverantwortung derFrauen an den existierenden Lebensverhältnissenbesteht, ohne dabeidie gesellschaftliche Vormachtstellungdes Mannes oder die realeGewaltausübung von Männern zuleugnen. Um die Gewalttätigkeitenvon Frauen nicht ausblenden odertabuisieren zu müssen, hilft eineSicht auf die Eingebundenheit vonFrauen in patriarchale Logik undAktion (vgl. Kavermann 1997).3.2.1. Die feministische parteilicheHaltung der PädagoginAls professionelle Haltung ist Parteilichkeiteine politische, d.h. patriarchatskritischeund auf gesellschaftlicheVeränderung angelegtePerspektive. Die Umsetzung derHaltung geschieht in der direktenArbeit mit dem Klientel. Dabei wirddie Geschlechterhierarchie als zentraleKategorie von Frauenunterdrückungbenannt, die es u.a. mitden Mitteln der professionellen Sozialarbeitabzubauen gilt. Ziel parteilicherFrauen- und Mädchenarbeitist die Selbstbestimmung undAutonomie der einzelnen Frau oderdes Mädchens bei gleichzeitigempolitischem Engagement für das gesellschaftlicheZiel der Chancengleichheit.Eine wichtige Anforderungan die parteiliche Haltung derPädagogin ist, dass sie bei professionellerHilfestellung keine Lösungenvorgibt. Des Weiteren ist einwichtiger Bestandteil dieser parteilichenHaltung, Widersprüche imweiblichen Lebenszusammenhangaufzudecken, die sie als Beraterinnicht auflösen kann, zu thematisierenund auch auszuhalten. Diesesbesagt auch, dass Frauen und Mädchenvon der Pädagogin weder idealisiertnoch als bedürftige Opfer gesehenwerden sollen (vgl. Hartwig/Weber 2000). Von Anfang an hat diefeministische Theorie darauf hingewiesen,dass Parteilichkeit auf keinenFall eine völlige Identifikationz.B. zwischen Beraterin und Projektnutzerinbedeutet. Die Identifikationkann sicher immer nur eineTeilidentifikation sein, d. h., sich aufdas Erkennen von Gemeinsamkeitenund Trennendem beziehen (vgl.Mies 1984). Sollte dieses nicht geschehen,läuft professionelle Hilfeauf der einen Seite Gefahr, Mädchenund Frauen auf ihre Geschlechtszugehörigkeitzu reduzierenund sie in ihrer Individualität mitihren biografischen, kulturellen, sozialenetc. Erfahrungen nicht ernstzu nehmen. Auf der anderen Seitedroht seitens der Beraterin die Beschränkungder eigenen Wahrnehmung,in dem nur das Gemeinsameund Verbindende angesprochenwird. So sollte sich jede Fachfrau ihreseigenen Standorts bewusst bleiben,damit sie sich der Ratsuchendenals ernstzunehmende Gesprächspartnerinanbieten kann (vgl.Hartwig/Weber 2000).Ursula Müller entwickelte für diesePerspektive und Standortbestimmungden Begriff „Blick von derSeite“ (vgl. Müller 1991), der vonder feministischen Parteilichkeitsdiskussionaufgenommen wurde.Die Umsetzung des „Blickes vonder Seite“ findet in der Form statt,dass die Fachfrau sich den ratsuchendenFrauen und Mädchen solidarischzur Seite stellt, dabei aberfür die subjektive Situation der Frauoder des Mädchens wachsam ist unddie einwirkenden Faktoren und deneigenen Standpunkt nicht aus denAugen verliert (vgl. Kavermann1997).3.2.2. Denkanstöße aus demDiskurs der (De-)Konstruktionvon Geschlecht auf die ParteilichkeitsdiskussionDas Postulat der Parteilichkeit istnoch immer ein wichtiger Bezugspunktder feministischen Mädchen-50


Feministische Mädchenarbeit gestern und heutearbeit. Dennoch ist festzuhalten:Zurzeit existiert innerhalb der feministischenMädchenarbeit keine allgemeingeteilte Definition des Parteilichkeitsbegriffs(vgl. Bitzan2000). Es scheint daher sinnvoll, die(de-)konstruktivistische Kritik aneinem einheitlichen Begriff „Frau“bzw. „Mädchen“ aufzugreifen undnicht nur für die feministische Mädchenarbeitinsgesamt zu reflektieren,sondern auch deren Auswirkungenauf die Debatte um eine feministischeParteilichkeit und derenPotential für eine Neudefinition derselbenzu betrachten. Dieser Diskurssteckt jedoch bislang noch „inden Kinderschuhen“. Im Folgendensollen Denkanstöße, die sich aus der(de)-konstruktivistischen Theorieergeben, skizziert und damit zu einerneuen Diskussion „eingeladen“werden.Durch die (de)-konstruktivistischenTheoriediskurse wurde einekritische Auseinandersetzung umdie „Neudefinition“ der feministischenParteilichkeit angeregt. DieKategorie Geschlecht würde, so derenImpulse, als alleiniges Differenzierungsmerkmalkeinesfalls ausreichen.Die Lage der Frauen sei zuindividuell und vom gesellschaftlichenStatus her wenig vergleichbar,zudem gäbe es kulturelle, ethnische,schichtspezifische und biographischeUnterschiede. Das alle verbindendeKennzeichen „Frau als potentiellesOpfer“ reiche nicht (mehr)aus (vgl. Hartwig/Weber 2000 ).Der neue Ansatz in der feministischenParteilichkeitsdiskussion gehtdaher davon aus, dass die Unterschiedlichkeitenzwischen Frauen,zwischen Mädchen sowie zwischenFrauen und Mädchen zu erkennenund anzuerkennen sind. Eine „reflektierende“Parteilichkeit mussdemzufolge ein Nebeneinander vonGleichheit und Ungleichheit zwischenFrauen und Mädchen zulassen.„So universell die Unterdrükkungvon Frauen in dieser männlichdominierten Gesellschaft auchist, so unangemessen ist jede Analyse,die nicht neben der Hervorhebungder Gemeinsamkeiten die Differenzengenau betrachtet.“ (Kavermann1997, S. 195)Das Prinzip der Parteilichkeit hatsich in der feministisch orientiertenSozialarbeit bislang bewährt undsollte als grundlegende Prämisse einerfeministischen Mädchenarbeitauch keinesfalls „aufgegeben werden“.Gleichwohl ist ein Umdenkungsprozessund eine Neuorientierungnotwendig, da durch die Diskussionender Ansätze zur (De-)Konstruktion von Geschlecht immerunklarer geworden ist, wer mitwem und warum parteilich sein sollte.„Als Orientierung für die Gegenwartund die nächste Zukunft bleibtzunächst nur dies: Es ist notwendig,die Aporie zu leben zwischender Schwierigkeit, theoretisch genaubestimmen zu können, was „Frau“ist und gleichzeitig so zu handeln,als ob dies zweifelsfrei feststünde.“(Tatschmurat 1996, S. 22).Eine andere, sich durch die Erkenntnisseder (de-)konstruktivistischenAnsätze eröffnende Umgangsweisemit dem Thema Geschlechtin der Parteilichkeitsdiskussionwäre, die Differenzperspektiveabwechselnd ernst zu nehmen(in der Praxis) und wieder außerKraft zu setzen (in der Theorie).Damit ist gemeint, dass einerseitsdie Unterscheidbarkeit und die vermeintlicheDifferenz von Frauen gegenüberMännern vorausgesetztwerden muss, sich andererseits aberauf deren einfühlsame Beschreibungeingelassen werden muss (vgl.Hagemann-White 1993).4. Zur Pluralisierung der Geschlechtsidentitätenund demAnsatz des geschlechtshierarchischenVerdeckungszusammenhangsIm Zuge sozialer Entstrukturierungs-und Individualisierungsprozessehat sich auch die Heterogenitätinnerhalb der Geschlechtergruppen(noch einmal) vergrößert. Individualisierung,verstanden als „Herauslösung“der Individuen aus traditionellenBindungen und Vorgaben,d.h. auch aus geschlechtsspezifischenVorgaben, meint jedochkeinesfalls eine „Entnormierung“der Gesellschaft. Vielmehr habensich „Normalitäten“ vervielfältigt;Individuen haben die Möglichkeit,zwischen diesen Normalitäten zuwählen und zu wechseln. Dadurchentstehen aber auch neue Zwänge.Die Individuen kreieren nun unterschiedlichstegeschlechtsspezifische– womöglich wechselnde – Stile. Siesind nicht mehr auf zwei oder wenigeGeschlechternormalitäten festgelegt,sondern der/dem BetrachterInbietet sich ein vielfältiges Bildvon geschlechtlichen Selbstinszenierungen(vgl. Rose 2000). Eine soverstandeneFlexibilisierung vonNormalitäten innerhalb der Gesellschaftbedeutet jedoch nicht, dasssich die biographische Aufgabe dergeschlechtsspezifischen Normalisierungverflüchtigt hat. Sehr wohlhaben Jugendliche sich immer nochals Mädchen oder Junge zu inszenieren.Im Gegenteil: Es scheint eherso, dass die geschlechtsspezifischenMarkierungen gerade angesichts dergesellschaftlichen Aufbrüche undZerfaserungen zu einer der letzten„Sicherheiten“ im Pluralismus gewordensind (vgl. Preuss-Lausitz1996). „Wo die alten schicksalhaftensozialen Verortungen qua Geburtals identitätsstiftende Kennzeichnungwie auch als biographischeLandkarte zerfallen, kann das<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>51


Kerstin PetersenGeschlecht zu einem letzten klarenBezugspunkt werden, kann derRückgriff auf rigide polarisierte undtraditionelle Geschlechterbilder zueiner sichernden Zuflucht werden.“(Rose, 2000 S. 245)Rose (2000) stellt eine soziale Widersprüchlichkeitfest: Neben derDurchmischung von Geschlechternormalitätenfinden gleichzeitigProzesse der Wiedereinsetzung traditionellerGeschlechternormalitätenstatt. Gerade weil die Geschlechterkonturenihre Eindeutigkeitverlieren, erhalten Geschlechterbildermit besonders scharfemProfil eine besondere Attraktivität.Entscheidend ist bei alledem, dassjenes, was das „richtige“ Mädchenausmacht, nicht mehr in die Wiegegelegt wird, sondern persönlich entdecktund gebastelt werden muss,ganz im Sinne der „Patchworkidentität“(vgl. Keupp 1988). Allerdingsvermutet z.B. Preuss-Lausitz(1996), dass die Chancen der persönlichenMöglichkeiten von Mädchenbei der Darstellung von Geschlechtgrößer sind als bei Jungen.Dabei sollten aber auch andere sozialeDifferenzierungen berücksichtigtwerden. Zwar hat sich die Chance,die eigene geschlechtliche Identitätzu basteln, für Heranwachsendenaller regionalen, schichtspezifischenund ethnischen Herkünfte inDeutschland erhöht, aber mit unterschiedlicherIntensität und mitunterschiedlichen Konflikten.In einer kritischen Auseinandersetzungmit den Thesen einer zunehmendenPluralisierung von Geschlechtsidentitätenund der Freisetzungvon Frauen aus traditionellenGeschlechterrollen hat Bitzan(2000) den Ansatz des geschlechtshierarchischenVerdeckungszusammenhangsentwickelt. Dieses Theoremist eine offene Denkfigur, diebestimmte Analysen- und Handlungsperspektivennahe legt. Es versucht,das moderne Geschlechterverhältnisin einer Methode zu theoretisieren,in der nicht Ist-Zuständeals statische Gegebenheiten, sondernmoderne Lebenslagen als subjektiveHerausforderungen und (sozial-)politischeAnsprüche beschriebenwerden. Dieser Ansatz thematisiertKompetenzen, Bedingungenund Voraussetzungen für Bearbeitungs-und Bewältigungsmöglichkeiten,ohne sie aus dem Zusammenhangherauszulösen und isoliertzu debattieren (vgl. Bitzan/Daigler2001). In der reflexiven Moderne,mit den viel beschriebenen Pluralisierungs-und Individualisierungsmöglichkeitenund -zwängen, kommenUngleichheiten in anderen Erscheinungsformenvor. Dieses stelltsich in einer eng verstrickten Vermischungvon ChancengleichheitsundMachbarkeitssuggestionen, sowiein tabuisierten Begrenzungserfahrungendar (vgl. Beck 1993).Die aktuelle Bedeutung des Geschlechterverhältnissesist weder inseinen hierarchischen Verstrickungennoch in seinen prägenden Orientierungsfunktionenso offensichtlichund erkennbar, wie z.B. nochin den 1970er Jahren, als sich dieneue Frauenbewegung in der BRDals neue soziale Kraft entwickelnkonnte. Vielmehr ist die neue Frauenbewegungselbst Teil dieser Modernisierung,die Mädchen u. a. dieMöglichkeit eröffnet, neue, andereund mehr Ansprüche zu stellen (vgl.Bitzan/Daigler 2001).In aktuellen Untersuchungenüber Lebenslagen, Einstellungenund Orientierungen von Mädchenund jungen Frauen wird beschrieben,dass sich Optionen erweiterthaben und sich nicht mehr unter dieklassischen weiblichen Lebensentwürfesubsumieren lassen. Für dasLeben junger Frauen ist prägend,dass sie sich mit den Widersprüchenauseinandersetzen, die aus den Ansprüchenan Erwerbs- bzw. Berufstätigkeitund an ein Leben mit Kindernerwachsen, und dass es dafürkeine ausreichenden gesellschaftlichenLösungen gibt (vgl. Oechlse2000). In unserer Gesellschaft sindin den meisten Fällen immer nochFrauen für die Reproduktionstätigkeitzuständig. Dieses bedeutet, dassFrauen für die praktischen und pflegerischenTätigkeiten zuständig unddamit auch verantwortlich für diePlanung eines Lebens sind, in demdiese Aufgaben und Ansprüche einenPlatz haben. Daran neu ist, dassdie Reproduktionstätigkeit als individuellesProblem, als Thema der individuellenWahl und Entscheidungbehandelt, und nicht im Zusammenhangmit ungeeigneten und daherdiskriminierenden Strukturendiskutiert wird (vgl. Diezinger/Rerrich 1998). Darüber hinaus bestehtweiterhin für Mädchen dieNotwendigkeit Gewalterfahrungenzu bewältigen, deren Verbreitungund Bedeutung für den Alltag verschwiegenwird. Außerdem müssensich junge Frauen mit einer absolutkörperorientierten sexuellen Identitätsanforderungauseinandersetzen,die in gleicher Weise in die individuelleBearbeitung und Verdrängunggeschoben wird (vgl. Bitzan/Daigler 2001).„Die heutigen Anforderungen anMädchen (und sie sind nicht gleich,je nach sozialer Herkunft, ethnischerOrientierung, Bildungsstandetc. differierend) lassen sich zusammenfassenals Anspruch, erfahrbareund erlebte Diskrepanzen allein bewältigenzu müssen (Hervorhebung imOriginal) – Diskrepanzen zwischenden Gleichheitsversprechen derModerne, die Mädchen entsprechendselbstverständlich für sich inAnspruch nehmen, und derenNichtrealisierung, die im Gewandeindividuellen Nicht-Gelingens (Hervorhebungim Original) daherkommen.52


Feministische Mädchenarbeit gestern und heuteDie Botschaft heute lautet: alles istmachbar, du musst selbst kompetentdafür sein. Damit zurechtzukommenmacht stark und einsam!“(Bitzan/Daigler 2001, S. 207).Dadurch werden Mädchen mindestenszwei Botschaften vermittelt:1. Ein modernes Bild von einer erfolgreichenJugend. Die Mädchenwollen und müssen demBild entsprechen, um „cool“ zusein. Dieses bedeutet für sie, dasssie Widersprüche zudecken undUnsicherheiten tabuisieren, umKompetenz und Souveränität zuzeigen.2. Im Weiteren sind die Mädchenmit weiblichen Vorbildern (Mütter,Pädagoginnen, Lehrerinnen)konfrontiert, die vorgeben, allesindividuell geregelt zu haben und,die öffentlich und gegenüberTöchtern, Schülerinnen undAdressatinnen negieren, was siedie Bewältigung des modernenweiblichen Alltages an Lebensqualitätkostet.Damit werden Erscheinungen undErfahrungen von Zurücksetzungen,von Gewalt und Übergangenwerdenzugedeckt, genauso wie Ansprüche,und Vorstellungen an einbesseres Leben, die nicht im Mithaltenaufgehen (vgl. Bitzan/Daigler 2001). Die eben aufgeführtenVerhältnisse beschreiben Funk/Schwarz (1999) als Derealisierungen.Darüber hinaus wird Mädchendurch aktuelle Mädchenbilder – u.a.in den Medien – suggeriert, dassMädchen stark sein sollten, was dieVerunsicherungen, den Verlust desSelbstbewusstseins durch diffuse,sich widersprechende Anforderungenan das Mädchen-Sein, durchden aufgesetzten und von außenerlebten Druck, unterstützt. DieseMädchenbilder können den Mädchenauf der einen Seite Unterstützungbieten, auf der anderen Seitekönnen sie aber auch eine erdrükkendeWirkung haben (vgl. Stauber1999). Danach sind diese ineinanderverwobenen Prozesse zwischenAngleichung der Chancen und Verhaltensweisenvon Mädchen undJungen fortgesetzte (De-)Thematisierungensozialer Notwendigkeiten,Erlebnisweisen und Zurücksetzungen.Diese Benachteiligungender Mädchen stellen sich in der modernenLebenslage äußerst unterschiedlichdar, je nach Ressourcenfür materielle und psychische Unterstützung,sowie regionalen und subjektivenLebenswelten. Bitzan/Daigler (2001) zufolge besteht fürdie Theorie und Praxis feministischerMädchenarbeit die Notwendigkeit,eine Vorgehensweise zu entwickeln,die gefundene und von denMädchen präsentierte Lösungen ihrerLebenssituation als Bewältigunginterpretiert, und dieses als Ergebniseines inneren Austarierens vonWidersprüchen und ambivalentenHerausforderungen sieht. „Mädchenlernen, so zu tun, als ob – dasheißt, sie sind aktiv, sie integrierenetwas und sie lernen, den schwankendenBoden, auf dem sie stehen,als Normalfall zu begreifen und zuignorieren“ (Bitzan/Daigler 2001, S.208).In dieser Betrachtungsweise stelltGeschlecht eine fundamentale aberambivalente Bewältigungsform dar.Für die „Mädchen“ bedeutet dieRückbeziehung auf Weiblichkeit,dass sie in eine bekannte Formschlüpfen können, die sie entlastet,weil sie allgemein anerkannt ist.Folglich können durch die Bezugnahmeirritierende Erfahrungennormalisiert werden. Zugleich bedeutet„Mädchen-Sein und Frau-Werden“ eine Anforderung an diePerson, die zunehmend diffuserwird. Die Mädchen sollen etwaswerden, von dem in der heutigenZeit nicht (mehr) klar ist, was eswirklich bedeutet. An dieser Stellefindet eine Verschränkung alter undneuer Widersprüchlichkeiten derGeschlechtsidentität statt. Für diefeministische Theorie und Praxisstellt sich an dieser Stelle die Frage:Wie können Probleme und Konfliktevon Mädchen erkannt werden,wenn ihre Bewältigung für das Erscheinungsbildverschwiegen werdenmuss, weil sie nach außen hindarstellen, dass sie keine Problemehaben, nicht benachteiligt sind unddass sie kompetent sind?„Hierausfolgt, den Begriff „Mädchen“ alspolitische Kategorie zu betrachten,mit der bestimmte Prozesse thematisiertwerden können. Auf dieserEbene bewegt sich u.E. feministischeMädchenarbeit – ein Zurechtkommenmit gemachten Unterschieden,ein Bewältigen und Unterstützenvon Überschreitungen“(Bitzan/Daigler 2001, S.212).6. Zusammenfassung/AusblickDer Beitrag gibt einen Überblicküber die Entwicklung der feministischenMädchenarbeit in den letztenJahren. Auf die Grundsätze der feministischenMädchenarbeit undauf die Entwicklung der Parteilichkeitinnerhalb der feministischenSozialarbeit wurde eingegangen,weil dies originäre Leistungen derFrauenbewegung und Frauenforschungsind. Die theoretischenDiskurse der Frauenbewegung undder Frauen- und Geschlechterforschunghatten – insbesondere inden 1970er bis Anfang der 1990erJahre – starke Einflüsse auf die feministischeMädchenarbeit. Einwichtiger Einfluss zu Beginn der feministischenMädchenarbeit warenTheorien der geschlechtsspezifischenSozialisation; wobei sicherlichUrsula Scheu (1977) mit ihremBuch: „Was geschieht mit kleinenMädchen“ als wegweisend herauszustellenwäre. Das Innovative anihrem Ansatz war, dass sie Ge-<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>53


Kerstin Petersenschlecht als sozial hergestellt betrachteteund nicht, wie damals gängig,als biologische Kategorie.In aktuellen Diskussionen überfeministische Mädchenarbeitscheint ein Perspektivenwechselstattgefunden zu haben, ausgelöstdurch neue theoretische Diskussionender Frauen- und Geschlechterforschunghinsichtlich der KategorieGeschlecht (vgl. Plößer 2002).Diese Ansätze tragen, wie aufgezeigtwurde, derzeit zu einer Veränderungund Infragestellung des Verständnissesaktueller feministischerMädchenarbeit bei. Inbesondere der(de-)konstruktivistische Theoriediskurshat einerseits die Wahrnehmungdafür geschärft, dass die Unterschiedezwischen Mädchen größersein können als die zwischeneinem Mädchen und einem Jungen,andererseits aber darauf aufmerksamgemacht, dass durch die Erweiterungdes Spielraums der Kategorie„Mädchen“, die Eindeutigkeitdarüber, was ein Mädchen ausmacht,verloren gegangen ist. Auswirkungendieser Sichtweise auf diePraxis einer feministischen Mädchenarbeitwurden u.a. hinsichtlichder Weiterentwicklung des Parteilichkeitsbegriffesbehandelt. Für diePraxis der Mädchenarbeit ist der dekonstruktivistischeAnsatz eineChance, jene Ausschlussverfahrenaufzudecken, mittels derer Mädchenarbeitnur für weiße, heterosexuelleMädchen gedacht und praktiziertwurde. Diese Sichtweise ermöglicht,verschiedene Gruppenvon Mädchen (wie z.B. behinderte,lesbische u.a.) intensiver als bisherin die Betrachtungsweise der praktischenpädagogischen Arbeit einzubeziehen(vgl. Schmidt 2001). Bislangsteht eine Umsetzung der(de-)konstruktivistischen Ansätze inder praktischen feministischenMädchenarbeit noch aus. Beachtenswertbei der praktischen Umsetzungist der Widerspruch zwischeneiner parteilicher Haltung fürdie Mädchen und den theoretischenAnforderungen an die Auflösungder Geschlechtertrennung. DiesenWiderspruch hat bereits Hagemann-White(1993) so formuliert,dass einerseits Zweigeschlechtlichkeittheoretisch hinterfragt werdensoll, andererseits aber Zweigeschlechtlichkeitals soziale Realitätdie Praxis bestimmt. Für Pädagoginnenin der feministischen Mädchenarbeitbedeutet dies, diesenWiderspruch in der alltäglichen Arbeitaushalten zu können. Hilfreichist dafür m.E. der Leitsatz von Tatschmurat:„parteilich handeln –dekonstruktivistisch denken“ (Tatschmurat1996).Der letzte Punkt des Beitragesstreifte noch kurz den relativ neuenDiskursstrang um den Ansatz desgeschlechtshierarchischen Verdeckungszusammenhangs,der – dieIndividualisierungs- und Pluralisierungsdebattenaufnehmend – davonausgeht, dass geschlechtsspezifischeDiskriminierungen sich nur verschobenhaben und nicht mehr offensichtbar sind. Diskussionen,welche Auswirkungen dieser Ansatzperspektivisch für das Selbstverständnisder feministischen Mädchenarbeitund deren Praxis hat,haben erst begonnen, deuten jedochin der Tendenz eher eine erneute„Repolitisierung“ derselben und damitmöglicherweise eine „Wiederaufnahme“der Prämissen und Diskussionender „ersten Jahre“ an.Anmerkungen1 Sehr bald wurde erkannt, dass die w e-sentlichen Prozesse und Strukturen fürgeschlechtstypisches Verhalten in derKindheit begründet waren (vgl. Bitzan1993a). „Die Sozialisation der Mädchen,ihre gesellschaftliche wenig wahrgenommePosition, ihre Schwierigkeitenund ihre Fähigkeiten sollen fortan beachtetund positiv beeinflusst werden.“(Bitzan 1993a, S. 199)2 Die Absicht der „Queer Theory“ istes nicht, Kategorien abzuschaffen, sondernNormierungen in Bezug auf Geschlechtund Sexualität aufzudeckenund damit hegemoniale gesellschaftlicheMachtverhältnisse in Frage zu stellen(vgl. Howald 2001).LiteraturBeck, Ulrich: Die Erfindung des Politischen,Frankfurt 1993.Bilden, Helga/Keupp Heiner: Verunsicherungen.Das Subjekt im gesellschaftlichenWandel, Göttingen/Toronto/Zürich1989.Bitzan, Maria: Parteilichkeit zwischenPolitik und Professionalität, in: Heiliger,Anita/Kuhne, Tina (Hgg.): FeministischeMädchenpolitik, München1993a, S. 196-206.Bitzan, Maria: In Widersprüchen ganzheitlicharbeiten? Methodische Überlegungenaus der Gemeinwesenarbeitmit Frauen, in: Rauschenbach,T./Ortmann, F./Karsten, M. (Hgg.):Der sozialpädagogische Blick. LebensweltorientierteMethoden in dersozialen Arbeit, Weinheim 1993b, S.129-155.Bitzan, Maria: Veränderte Mädchenweltenund Parteilichkeit. Neue Herausforderungen,in: LandesarbeitsgemeinschaftMädchenarbeit inNRW e.V., 3.Rundbrief: ErsterVernetzungskongress „Mädchenarbeitin NRW“, 2000, S. 9-17.Bitzan, Maria: GeschlechtshierarchischerVerdeckungszusammenhang.Überlegungen zur sozialpädagogischenMädchen- und Frauenforschung,in: Lemmermöhle, Doris/Fischer, Dietlind/Klika, Dorle/Schlüter, Anne (Hgg.): Lesarten desGeschlechts. Zur De-Konstruktionsdebattein der erziehungswissenschaftlichenGeschlechterforschung,Opladen 2000, S. 146-160.Bitzan, Maria/Daigler, Claudia: Eigensinnund Einmischung. Einführung54


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Tagung VINGS: Innovation und ImplementierungUrsula Müller und Silja Polzin„Innovation und Implementierung“Als ungewöhnlich erfolgreich und anregend empfanden die über 60 Teilnehmendendie große Abschlusstagung des Projekts „VINGS – Virtual International Gender Studies“,die am 30. und 31. Oktober 2003 in der Universität Bielefeld stattfand. Das mit2,3 Mio. Euro finanzierte Projekt führte die Universitäten Bielefeld, Bochum, Hannoverund die FernUniversität Hagen mit dem Ziel zusammen, gemeinsam mediale Lerneinheitender Geschlechterforschung in den Sozial- und Kulturwissenschaften für dasInternet zu konzipieren, zu produzieren und im Lehrbetrieb zu erproben. Die Konsortialführungfür dieses Großprojekt lag bei Prof. Dr. Ursula Müller vom InterdisziplinärenFrauenforschungs-Zentrum (<strong>IFF</strong>) der Universität Bielefeld.Das Projekt VINGS – Virtual International Gender Studies – ist ein Kooperationsprojektder Universitäten Bielefeld, Bochum, Hannover sowie der FernUniversitätHagen. Es realisiert zwei bundesweit einmalige Online-Studienangebote: das StudienprogrammVINGS im Bereich der Internationalen Frauen- und Geschlechterforschungund das Weiterbildungsangebot „VINGS Qualifizierung Gleichstellung“. VINGS istdas einzige Gender-Projekt im Projektverbund „Neue Medien in der Bildung + Fachinformation“und wird von einem wissenschaftlichen Beirat begleitet, dem Frau Prof.Dr. Britta Schinzel (Vorsitzende), Frau Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel, Herr Prof. Dr.Norbert Eder, Frau Prof. Dr. Brigitte Young, Herr Prof. Dr. Matthias Albert sowieFrau Prof. Dr. Heidi Schellhowe angehören.Der erste Tag der Tagung widmete sich der gender-bezogenen Mediendidaktik sowieden Möglichkeiten der Integration virtueller Lehre in Präsenzuniversitäten. ImRahmen einer Podiumsdiskussion mit Vertreterinnen und Vertretern aller Gruppen,in deren Handlungsbereich die virtuelle Lehre an Präsenzuniversitäten fällt, wurdendie vielschichtigen Aspekte der Implementierung von E-Learning deutlich. Am zweitenTag beleuchtete eine Präsentation von Konzepten und Produkten von VINGS dieVielfalt medialer Umsetzungen computergestützter Lehre in den Sozial-, Kultur- undGeisteswissenschaften. Die Einbettung in einen Kontext thematisch benachbarter Projektedes Förderprogramms eröffnete einen breiten Reflexionsrahmen. Diese Projektepräsentierten sich ferner, zusammen mit VINGS-Studieren und VINGS-Qualifizie-Tagung des <strong>IFF</strong>-Projektes VINGSDer Rektor der Universität Bielefeld, Prof. Dr. Dieter Timmermann, und Projektleiterin Prof. Dr. Ursula Müller eröffnen die Tagung.Von links: Prof. Dr. Britta Schinzel, Prof. Dr. Brigitte Young, Prof. Dr. Ilse Lenz, Prof. Dr. Michiko Mae und Cornelia Schneidervom Projektträger „Neue Medien in der Bildung + Fachinformation“.<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>57


Berichte und Beiträge aus dem <strong>IFF</strong>ren, in einer zweistündigen Open-Space-Veranstaltung, die es allen Teilnehmendengestattete, sich im Detail und praktisch mit diesen Konzepten und Produkten bekanntzu machen. Der abschließende Teil der Tagung war dem Gender-Mainstreaming imBereich des virtuellen Lehrens und Lernens gewidmet; hier wurden erste Ergebnisseaus dem entsprechenden Begleitprojekt des Förderprogramms vorgestellt.Paradebeispiel für interdisziplinäre ForschungIn seiner Begrüßungsansprache betonte Rektor Prof. Dr. Dieter Timmermann, dieUniversität Bielefeld fühle sich durch den Erfolg des Projekts VINGS darin bestärkt,die Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität hervorzuheben und dieMöglichkeit von Lehren und Lernen im Internet verstärkt zu erproben. Gender Studiesseien geradezu ein Paradebeispiel für interdisziplinäre Forschung, der sich die UniversitätBielefeld in besonderem Ausmaß verschrieben habe – genauso wie der hochschulübergreifendenKooperation, die auch in VINGS gepflegt werde. Bielefeld habeeine lange Tradition in der Frauenforschung, was sich nicht zuletzt in einer Reihe vonFrauenforschungsprofessuren ausdrücke, und nehme die praktische Gleichstellungsarbeitsehr ernst. Beides wäre ohne die jahrzehntelange Arbeit des InterdisziplinärenFrauenforschungs-Zentrums (<strong>IFF</strong>) nur schwer bewegt worden, weshalb es ihn besondersfreue, dass das <strong>IFF</strong> diese Rolle mit der Konsortialführung von VINGS weiterführeund dabei viel sichtbare, aber auch viel unsichtbare Arbeit leiste. Deutschlandbelege im E-Learning keineswegs einen Spitzenplatz; dies liege nicht zuletzt an einerSkepsis gegenüber Vorstellungen einer grundlegenden Revolutionierung des Lehrbetriebsdurch E-learning. Diese zurückhaltende Sicht gehe weiterhin von der grundlegendenBedeutung der face-to-face-Kommunikation im Lernprozess aus. Unumstrittensei aber mittlerweile, dass E-Learning eine wertvolle und zunehmend unentbehrlicheErgänzung des Hochschulbetriebs sei – sowohl für Studierwillige, denen eine physischeAnwesenheit im Hörsaal nicht möglich sei, wie auch bezogen auf das lebenslangeLernen.Einziges Gender bezogenes Projekt im FörderprogrammDie anschließenden Eröffnungsworte von Prof. Dr. Ursula Müller, KonsortialführungVINGS und Geschäftsführende Direktorin des <strong>IFF</strong>, stellten den prozessualenund kontextuellen Charakter von VINGS in den Mittelpunkt. VINGS, das einzigethematisch auf „Gender“ bezogene Projekt im Förderprogramm „Neue Medien inBildung + Fachinformation“ habe in seiner knapp dreijährigen Laufzeit ein Lehrangebotvon mehr als 40 SWS, also im Umfang eines Masterstudiengangs entwickelt, sowie 18SWS für wissenschaftliche Weiterbildung.Hierzu hatte das Projekt auf vielfältige Weise Grundlagen- und Entwicklungsarbeitzu leisten. Als ein innovatives Ergebnis in VINGS nannte sie das von didaktischenErwägungen geleitete funktionale und gestalterische Design der Lern- und Kursumgebungsowie die mediale Umsetzung des Gegenstandsbezugs in den sozial- undkulturwissenschaftlichen Gender Studies. Die Curriculum- und Content-Entwicklungsei im Bereich der virtuellen Lehre in den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaftenimmer noch Neuland.VINGS qualifiziere aber nicht nur Studierende für die und mit der Online-Lehre,sondern auch Lehrende; es habe ein flexibles Konzept von begleitenden Kompetenzteamsentwickelt, die Lehrende im Prozess der Kursentwicklung und -durchführungqualifizieren. Das versetze Lehrende – auch im Sinne der Nachhaltigkeit – in die Lage,sich eigenständig neue Räume in der virtuellen Lehre zu eröffnen. Zusammengefasstsei VINGS ein Projekt mit einer Vielzahl für die universitäre Lehre konkret nutzbarerErgebnisse, aber auch mit hohem Anregungscharakter, das insbesondere Beiträge lei-58


Tagung VINGS: Innovation und Implementierungste zu den Bereichen „Gegenstandsbezug und mediale Umsetzung“, „GendersensibleGestaltung“ 1 , „Qualifizierung von Lehrenden und Studierenden für das Lehren undLernen im Netz“, „Qualifizierung von Lehrenden für eigenständige mediale Umsetzung“,„Intensivierung der Lehr-Lern-Situation“ sowie „tool-unterstützte Kooperation“und „Wissensmanagement“.Mit der Entwicklung des umfangreichen Studienprogramms Virtual InternationalGender Studies, der Produktion von Studienmodulen für die computergestützte Lehrein medial bisher noch wenig bearbeiteten Lehrgebieten habe das Projekt VINGSals einziges derzeit bekanntes Projekt im Rahmen des Verbundes seinen Auftrag vollerfüllt und zudem, ebenfalls eine Rarität, mit seinem gesamten, auf zwei Studienjahreangelegten Programm einen sehr erfolgreichen Probelauf durchgeführt. Die Lehrveranstaltungenwürden zudem begleitend intern und extern evaluiert.VINGS sei jedoch damit konfrontiert, dass die Integration virtueller Elemente indie Hochschullehre noch am Anfang stehe. Trotz wegweisender Empfehlungen derHochschulrektorenkonferenz und der Bund-Länder-Kommission 2 würden die Potentialedieser Entwicklungen bisher nur von wenigen Hochschulen erkannt und aufgegriffen.Die Hochschulen seien noch wenig vorbereitet auf virtuelle Lehre, insbesonderewenn sie dann auch noch kooperativ sei.Da zudem der betreuende Projektträger die Regeln, nach denen er berate, teilweiseerst begleitend entwickelt habe und seinerseits mit ständig wechselnden Rahmenbedingungenkonfrontiert gewesen sei 3 – vom kontinuierlichen Wechsel der stets engagiertenAnsprechpartnerInnen für VINGS einmal ganz zu schweigen –, habe VINGSunter dem Motto „Probleme als Herausforderungen begreifen“ zu einem Projekt werdenmüssen, das sich seine Durchführungsbedingungen fortwährend selbst erschaffenhat.Als eine dieser Herausforderungen nannte Prof. Dr. Ursula Müller auch den unerwartetenUmstand, dass eine wesentliche Voraussetzung, nämlich die Bereitstellung einerden Anforderungen des Projekts angemessenen Lernplattform, nicht wie erwartet zuKursbeginn vom dafür zuständigen Partner, der Fernuniversität Hagen, bereitgestelltwerden konnte, weshalb in Bielefeld eine Lernplattform 4 auf eigene Faust installiertwurde, um den Start des Studienprogramms möglich zu machen und den Projektablaufzu sichern.Bezogen auf die Nachhaltigkeit gelte insbesondere die Prozesshaftigkeit der Rahmenbedingungen:Bis heute seien wichtige Rechtsfragen nicht nur auf Projektebene,sondern generell ungeklärt bzw. in der Praxis der virtuellen Lehre schwierig zu lösen.Dies betreffe z.B. die Anerkennung von Zertifikaten, welche in der Theorie gegeben,in der Praxis gewöhnungsbedürftig sei. Deputatsregelungen für Lehrende, die die Mehrbelastungdurch mediale Umsetzung und kooperative Lehre ausgleichen könnten, seienunbefriedigend bzw. mehrheitlich nicht vorhanden. Urheber- und Nutzungsrechteseien – insbesondere für Kooperations-Projekte – eine so vielschichtige und komplexeMaterie, dass im Grunde über die realen Bedingungen nachhaltiger Nutzung heutenoch wenig gesagt werden könne. Vor diesem Hintergrund sei der Erfolg des Projektsumso beachtenswerter.Frauen ausgrenzende Strukturen im E-Learning verhindernDas erste Grundlagenreferat hielt Frau Prof. Dr. Britta Schinzel vom Institut für <strong>Info</strong>rmatikund Gesellschaft der Universität Freiburg zum Thema „Good practice für gendersensitivee-learning Projekte“. Wie Frau Schinzel ausführte, führen Erfahrungenim Bereich des Teleteaching einerseits und die Beschäftigung mit curricularen Fragendes Einschlusses von Frauen in <strong>Info</strong>rmatik und Mathematik andererseits dazu, bei derHerstellung von Gendersensitivität das Feld zu öffnen für die Diversität von Lernsti-1 VINGS hat zwischenzeitlichden 2. Preis füraktive Frauenförderung derUniversität Hannovergewonnen und ist als„Gender Good Practice-Projekt“ des BMBF-Begleitprojekts „GenderMainstreaming“ ausgezeichnetworden (vgl. S.67).2 vgl. Strategiepapier derBund-Länder-Kommissionfür Bildungsplanung undForschungsförderung (BLK)vom 17. Juni 2002 zumbreiten Einsatz von NeuenMedien in der Hochschule.URL: http://www.blkbonn.de/neue_medien_hochschule.htm3 Der Projektträger war zuBeginn bei der GMD -Forschungszentrum<strong>Info</strong>rationstechnik GmnHangesiedelt, im weiterenProjektverlauf zurFraunhofer-Gesellschaft undschließlich zu DeutschenVereinigung für Luft- undRaumfahrt gewechselt.4 Die VINGS-Lernumgebungbasiert auf dem SystemC::Web der BielefelderAMMMa AG(www.ammma.de.), das ander Universität Bielefeld u.a. auch in der Bioinformatikund im Zentrum fürwissenschaftliche Weiterbildungeingesetzt wird,<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>59


Berichte und Beiträge aus dem <strong>IFF</strong>5 Der sehr detaillierteFoliensatz von BrittaSchinzel ist als PDF-Dateiauf der VINGS Website(www.vings.de) abgelegt undkann von dort heruntergeladen werden.len, Interessen, Erfahrungen und Orientierungen, und weniger dazu, eine spezifischeDidaktik für Frauen zu fordern. Durch eine „frauenspezifische“ Didaktik würdenFrauen erneut auf ein rollenspezifisches Verhalten festgelegt, dem sie wohlmöglichdurch die Beschäftigung mit Neuen Medien und Natur- und Technikwissenschaftenzu entkommen suchen.Es wäre allerdings falsch, sich mit einer Kritik an der androzentrischen Kultur derNatur- und Technikwissenschaften, verstärkt durch die der <strong>Info</strong>rmationstechnik, zubegnügen und (lediglich) aufzuzeigen, wie diese Strukturen, Gewichte und Symbolesetzt. Die Neuen Medien eignen sich nach Meinung von Frau Schinzel besonders fürdie Bedienung unterschiedlicher kognitiver Stile, Interessen und Orientierungen, dasie gleichzeitig alternative Angebote erlauben, wobei sich die Alternativen auf Orte,Personen, Medienwechsel und Interaktivität beziehen können. 5 Dieser neu eröffneteRaum kann dazu genutzt werden, die Herausbildung von frauenausgrenzenden Strukturenim Bereich der E-Lehre zu verhindern. Dies ist jedoch ein komplexes Unterfangen,wie sich an der folgenden Systematisierung der Einflussgrößen auf Gender undE-Lehre zeigt:Strukturierte Komplexität: Das VINGS-CurriculumIn ihrem Beitrag „Strukturierte Komplexität – Das VINGS-Curriculum“ bezeichneteDr. Paula Villa, Universität Hannover, Virtual International Gender Studies als einkomplexes, heterogenes und außerordentlich interdisziplinäres Feld: Gender Studiesthematisierten immer auch grundsätzliche Fragen der je vertretenen Disziplinen undfokussierten diese zugleich anhand eines Gegenstands (Gender), der seinerseits hochgradigreflexiv verhandelt werde. Eine zentrale Frage von Gender Studies sei demnachdie nach der raum-zeitlichen, historischen, kulturellen, ökonomischen, individuellen,sozio-politischen Verfasstheit von Geschlecht. Die Bearbeitung dieser Komplexitätsprenge in produktiver Weise traditionelle disziplinäre Curricula. Um Studierendenicht mit einem akademischen „Alles-hängt-mit-allem-Zusammen“-Chaos zu über-60


Tagung VINGS: Innovation und Implementierungfordern, habe VINGS in Anlehnung an bisherige Erfahrungen mit der Lehre vonGender Studies und in Anknüpfung an gegenstandsbezogene Systematisierungen einmodularisiertes Curriculum entwickelt, dass den Anspruch erhebt, Komplexität instrukturierter Weise zu vermitteln. Studierende sollen anhand von Propädeutika, Querschnitts-und nach thematischen Schwerpunkten geordneten Kursen herangeführtwerden an ein wissenschaftliches Feld, das sich zwar nicht gänzlich in einem Curriculumabschließend aneignen lasse, aber doch mit den entsprechenden Grundlagen systematischüberschaut werden könne. Die curriculare Struktur von VINGS in Zusammenhangmit den Inhalten und den zusätzlichen Schlüsselqualifikationen, die durchdas Online-Studium erworben werden, zeigt die folgende Grafik:Potentiale von InternationalitätIn ihrem Beitrag „Vernetztes Lehren und Lernen: Chancen von internationalen virtuellenGender Studies“ befasste sich Prof. Dr. Ilse Lenz, Ruhr-Universität Bochum, mitden Anforderungen und den Potentialen von „Internationalität“. Sie erörterte Internationalitätin drei Bezügen: der internationalen curricularen Entwicklungs-Zusammenarbeitvon VINGS mit WissenschaftlerInnen und Institutionen in Russland, der Schweiz,Österreich, den USA, Australien und Korea; der Nutzung, dem Aufbau und der Pflegeinternationaler <strong>Info</strong>rmationsressourcen; und schließlich den Herausforderungen,die Internationalisierung für die mediendidaktische Umsetzung von Gender Studiesbedeutet. Für diese sei die Entwicklung kritischer Kompetenz und Reflexionsfähigkeitzentral, sowohl bezogen auf die sozialen Konstruktionen von Kultur wie von Geschlecht;beide verwiesen auf die Notwendigkeit der Herausbildung eines kritischenKulturbegriffs. Die mit dieser konzeptionellen Arbeit verbundene Mühe werde durcheine Reihe von Vorzügen der internationalen Lehre belohnt; wichtige Vorteile bötenzum einen in erkenntnistheoretischer Perspektive die Nutzung von Vergleich undUniversalisierung als methodische Leitprinzipien, zum anderen die Herausbildung internationalerKompetenz als Schlüsselqualifikation der Zukunft.<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>61


Berichte und Beiträge aus dem <strong>IFF</strong>Brücke von der Wissenschaft in die Praxis der GleichstellungsarbeitEinblicke in einen weiteren Arbeitsbereich von VINGS gaben AOR Ulrike Schultzund Ass. jur. Kirsten Pinkvoss von der Fernuniversität Hagen in ihrem Beitrag „Theorie-Praxisbezug: Das weiterbildende Studium VINGS.qualifizieren“. Das neben dem Studienprogammim Projektrahmen entwickelte und erprobte Weiterbildungsangebot wolleeine Brücke schlagen zwischen Wissenschaftlerinnen einerseits, Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten,Politikerinnen sowie in Vereinigungen und Organisationen engagiertenFrauen andererseits.Das weiterbildende Studienangebot biete allen, die mit Frauenförderung, Gleichstellungund dem europäisch vorgegebenen Ziel des Gender Mainstreaming befasst sind,die Möglichkeit, ein wissenschaftliches Fundament und praktische Grundlagen fürihre Tätigkeit zu erwerben, über Fragestellungen der Praxis zu reflektieren und sichauszutauschen. Damit leiste VINGS.qualifizieren einen Beitrag zur Professionalisierungder Gleichstellungsarbeit. Das gebührenpflichtige einjährige Weiterbildungsprogrammist als Fernstudienangbot (mit einigen Präsenzphasen) an der Fernuniversität Hagenkonzipiert. Das Internet werde dabei zur Kommunikation und Distribution von schriftlichenMaterialien eingesetzt, die dem Medium entsprechend gestaltet und aufbereitetseien.Innovative Formen vernetzter KooperationIn ihrem Beitrag „VINGS: kooperatives Lehren und Lernen im Netz“ setzte sich SiljaPolzin, Universität Bielefeld und zentrale Koordinatorin von VINGS, mit dem inVINGS formulierten Anspruch auseinander, eine virtuelle Lernumgebung zu schaffenund medial vermittelte Lernarrangements zu gestalten, die Anwendungsbedingungenund Lernanforderungen weiblicher und männlicher Studierender gerecht werde.Kommunikation und Kooperation spielten dabei eine Schlüsselrolle – sowohl in dendidaktischen Szenarien medial vermittelten Lehrens und Lernens als auch im komplexenImplementierungsprozess im Rahmen einer länderübergreifenden Hochschulkooperation.Der erst lange nach Projektbeginn vom Projektträger verteilte Gender Mainstreaming-Leitfadenzur gender-sensitiven Gestaltung von E-Learning enthalte Anregungen,die VINGS in der Gestaltung seiner Lernumgebung bereits vorab berücksichtigthabe.In ihrem Vortrag beleuchte Frau Polzin innovative Formen der Kooperation inVINGS auf verschiedenen Ebenen: der Ebene der vernetzten Zusammenarbeit imVerbundprojekt, der Ebene der vernetzten Lehre und der Ebene vernetzten Lernens.VINGS sei, wie die Ergebnisse zeigten, eine außerordentlich erfolgreiche Kooperation.Kooperative Lern- und Arbeitsprozesse – noch dazu an verteilten Standorten –bedeuteten für alle Beteiligten einen Gewinn durch Synergien, führten aber auch zuReibungsverlusten, die es zu minimieren gelte; oder sie stießen auf Grenzen, die nichtimmer im kurzen Lebenszyklus eines Projekts überwindbar seien. VINGS habe dabeiauf vielen Ebenen mit kooperativen Arbeits-, Lehr- und Lernprozessen experimentiert.Neben den hochschulübergreifenden, interdisziplinären und auch internationalenLehrkooperationen via Internet sei hier auf die interuniversitäre Zusammenarbeitvon drei Präsenzhochschulen mit einer FernUniversität mit ihren unterschiedlichendidaktischen Konzeptionen und institutionellen Strukturen zu verweisen.Als innovativen Ansatz der Bearbeitung von Projektaufgaben nannte Frau Polzindie Einrichtung standortübergreifend kooperierender, interdisziplinärer Arbeitsgruppen(Curriculum, Mediendidaktik, Technik, Evaluation). Damit unterscheide sichVINGS deutlich vom Lösungsmuster anderer Projekte, die die Anforderungen aneine hochschulübergreifende Kooperation durch eine strikte standortbezogene Problem-und Arbeitsteilung zu bewältigen trachteten. Bei der Contententwicklung und62


Tagung VINGS: Innovation und ImplementierungMedienproduktion habe VINGS ein Konzept qualifizierender Multi-Kompetenzteamsumgesetzt. Quer zu hierarchischen und institutionellen Strukturen wurden interdisziplinärbesetzte Arbeitsgruppen gebildet, in denen Designerin, Mediendidaktikerin,<strong>Info</strong>rmatikerin, Fachexpertinnen und Lehrende zusammenarbeiteten. Die Praktizierungdieses Modells verfolgte zwei Ziele: die Entwicklung medialer Studienmodule undeine über die Projektlaufzeit hinaus wirkende Weiterqualifizierung im Bereich des Einsatzesneuer Medien in der Lehre.Auf der Ebene des Lehrens und Lernens in Computernetzen seien vornehmlichvon kommunikativen und kooperativen Prozessen getragene didaktische Szenarienkonzipiert und erprobt worden. Daher sei die funktionale Integration der dazu notwendigenWerkzeuge, wie webbasierte Diskussionsforen, Chat, Instant Messenger undBSCW, bei der Realisierung der VINGS-Lern- und Kursumgebung von zentraler Bedeutunggewesen.Gegenstandsbezug und mediale UmsetzungProf. Dr. Gudrun-Axeli Knapp, Universität Hannover, setzte in ihrem Beitrag „Gegenstandsbezugund mediale Umsetzung“ die vordergründig anwendungsorientierte Fragenach der medialen Gestaltung von Lerninhalten in den größeren Kontext der Grundlagenforschung.Aufgabe der Deutungswissenschaften sei es, die kulturellen Implikationendes Wandels zur Mediengesellschaft auch in ihren Tiefenschichten kritisch zudurchleuchten.Dies gelte ebenso in Bezug auf allgemeine Entwicklungstrends wie mit Blick aufbesondere Konstellationen. Dazu gehörten auch praktische Forschungs- und Entwicklungsprojekte,die in einer anwendungsorientierten Perspektive ausloten wollen, woim Gegenstandsbereich der Geistes- und Sozialwissenschaften Möglichkeiten und Grenzendes Einsatzes der neuen Medien liegen. Der Freiburger Soziologe Frank Welzhabe das genannt, den Spieß umzudrehen: „Fachwissen und Fachlehre sollen nichtden neuen Bildungsmedien, sondern vielmehr die Nutzung der neuen Bildungsmediender Eigenart der Sozialwissenschaftslehre angepasst werden.“Dabei legten nicht nur disziplinäre Traditionen, sondern auch spezifische Problembereicheund Gegenstände unterschiedliche Nutzungsformen der neuen Medien nahe. Aberdie Frage nach einem gegenstandsaffinen Einsatz der neuen Medien gehöre zu deneher unterbelichteten Bereichen der Diskussion über den Einsatz dieser Technologienin der geistes- und sozialwissenschaftlichen Hochschullehre.Über Fragen der medialen Übersetzung reflektierte Frau Knapp anhand von Beispielenaus der VINGS-Werkstatt an der Universität Hannover. Dort wurden LehrundLernmaterialien im Umfang kompletter Seminare didaktisch konzipiert, medialumgesetzt und auf CD-ROM gebrannt, so dass sie sich für den Einsatz in unterschiedlichenLehr-Lernarrangements eignen: für Online-Kurse, blended learning undals ergänzende Medien in der Präsenzlehre. Neben theoretischen Überlegungen zumVerhältnis von Gegenstand und Medium standen dabei Erfahrungen mit der Einbeziehungvon Studierenden in solche Übersetzungsprozesse im Mittelpunkt. 6Concept-maps als Mittel der VisualisierungZum gleichen Kontext, aber in anderem Zugriff auf die Thematik, referierte Prof.Dr. Regina Becker-Schmidt, Universität Hannover, in ihrem Beitrag „Concept-mapsals Mittel der Visualisierung in der Online-Lehre“. Concepts-maps (Novak) seien Versuche,komplexe theoretische Konstruktionen im wörtlichen Sinn „einsichtig“ zu machen.Sie dienten dem Zweck, das Gedächtnis durch optisches Memorieren zu aktivieren.Unter der Bezeichnung „Begriffslandschaften“ (Jüngst) sei das Verfahren auch indeutschen Universitäten eingeführt worden, um Lernprozesse kognitiv zu unterstützen.6 Die von Gudrun-AxeliKnapp und anderen erstellteCD „Denkverhältnisse“, anderen Beispiel sie ihr Themaerläuterte, wird demnächstkäuflich erwerbbar sein.Näheres bald auf derVINGS-Webseite:www.vings.de.<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>63


Berichte und Beiträge aus dem <strong>IFF</strong>7 Auch die von ReginaBecker-Schmidt erstellte CD„Arbeitsverhältnisse –Geschlechterverhältnisse“, inder sie concepts-mapsverwendet und derenEntstehungsgeschichte ineinem ausführlichen Exkurserläutert, wird demnächstkäuflich erwerbbar sein. Wirwerden darüber auf derVINGS-Webseite(www.vings.de) informieren.8 <strong>Info</strong>rmationen über allevom Bundesministerium fürBildung und Forschunggeförderten E-Learning-Projekte bietet die Webseitedes Projektträgers „NeueMedien in der Bildung +Fachinformationen“,www.medien-bildung.net.9 Der im Gender-Arbeitskreis des Begleitprojektsentwickelte „GenderMainstraming Leitfaden“findet sich unterwww.pt-dlr.de/PT-DLR/nmb/Leitfaden_Empfehlungen_aktuell_2006032.pdf„Begriffslandschaften“ seien vor allem nützlich bei der Erschließung von Wissensbeständen,die in ihrer Logik konsistent sind. Für den Umgang mit sozialen Konstellationen,in denen gegenläufige Entwicklungen und widersprüchliche Strukturierungenzu untersuchen seien , wie z.B. Geschlechterverhältnisse, habe eine neue Zeichenspracheerfunden werden müssen. Soziale Relationen verwiesen auf Formen der Separierungund Verbundenheit, auf einseitige und reziproke Abhängigkeiten, auf Interdependenzenbei gleichzeitiger Hierarchisierung, u.a.m.Frau Becker-Schmidt stellte die von ihr entwickelte topologische Zeichenspracheam Anwendungsbeispiel multimedialer Studien- und Lermaterialien zur komplexenThematik „Geschlechterverhältnisse – Arbeitsverhältnisse“ vor, die im Rahmen vonVINGS konzipiert, produziert und in der Lehre eingesetzt worden sind. Dabei sei derRahmen der üblichen concept-maps durch die Einbeziehung von Anschauungsmaterialienaus der bildenden Kunst, durch Sequenzen aus Dokumentarfilmen und Fotoserienüberschritten worden. Durch unterschiedlich gestaltete sub-maps und sub-scriptsließen sich verschiedene Ebenen eines Problemzusammenhanges entdecken und diemit digitalen Medien erschließbare virtuelle Räumlichkeit für die Analyse von Tiefenstrukturennutzen. 7Gender Mainstreaming und BildungsmedienEin in vielerlei Hinsicht „quer“ liegendes Projekt im Förderprogramm „Neue Medienin der Bildung“ ist das von Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel und Dipl.-Soz. Marion Kamphans,Universität Dortmund, vorgestellte Vorhaben „Gender Mainstreaming – Medial“.Seine Aufgabe lag in der gender-bezogenen Beratung und Evaluierung von etwa100 Forschungskonsortien mit insgesamt über 500 Teilprojekten 8 ; aktiv bereit zurEvaluierung war allerdings nur ein kleiner Teil dieser Projekte. Das Begleitprojekt hatferner den Auftrag, einige Projekte des Förderprogramms als „good-practice-Beispiele“auszuwählen.Der Beitrag ging von der These aus, Lehren und Lernen rückten beim Einsatzdigitaler Medien stärker aneinander, da auch die Lehrenden lernen (müssen), wie siedie Entwicklung von Lernmodulen und virtuellen Studienelementen gestalten undeinsetzen können. Viele Studierende hätten einen Vorsprung vor den Lehrenden inder Nutzung dieser Medien. Der Generationen-Gap sei möglicherweise bedeutsamerals der Gender-Gap. In Anlehnung an die Genderdebatte und als work in progresswurde diskutiert, welche Formen des Lehrens und der studentischen Beteiligung lernförderlichsind und welche Rolle die (geschlechtsbezogenen) „Bilder im Kopf“ bei Lehrendenund Lernenden spielen. Im zweiten Teil wurde vorgestellt, wie die Einbindungeiner Gender-Perspektive im Bereich digitaler Medien in der Umsetzung aussehenkönne. Generell zeige sich, dass die Gender-Perspektive von den Überlegungen zueiner nutzer/innen -freundlichen Didaktik nicht getrennt werden könne. Als Felder,in denen die Genderdimension eine Rolle spiele, nannten sie höchst unterschiedicheEbenen und Inhaltsbereiche: Projektorganisation & Kommunikation, Technik & Design,Lehr- & Lerninhalte, Didaktik & Mediendidaktik sowie Evaluation. In einem imProjektrahmen entwickelten Leitfaden sind Ansätze einer Konkretisierung von GenderMainstreaming in der Praxis von E-Learning-Projekten zusammengefasst. 9Podiumsdiskussion Implementierung von E-Learning und Virtual GenderStudies in PräsenzuniversitätenModeriert von Prof. Dr. Brigitte Young, Universität Münster, diskutierten zum Thema„Implementierung von E-Learning in Präsenzuniversitätem mit Blick auf die Integrationvirtueller Gender Studies“ zwei Prorektoren der an VINGS beteiligten Universitäten,Prof. Dr. Gerhard Sagerer, Prorektor für Lehre Bielefeld und Prof. Dr. Uwe64


Tagung VINGS: Innovation und ImplementierungSchimank, Prorektor für Lehre Hagen, die Konsortialführung des VINGS-Projekts,Prof. Dr. Ursula Müller, als Vertreterin der Prorektorin Bochum und aktiv in VINGSLehrende Jun. Prof. Dr. Cilja Harders, Dr. Bernd Kleimann vom PT-Begleitprojektzu Nachhaltigkeitsstrategien für E-Learning an Hochschulen, HIS Hannover, Dipl.-Päd. Cornelia Schneider vom Projektträger „Neue Medien in der Bildung + Fachinformation“sowie Andreas Wolfrum vom Universitätsverbund MultiMedia NRW.In ihren Diskussionsbeiträgen gingen die Teilnehmenden der Podiumsdiskussionaus unterschiedlichen Perspektiven auf die Problematik ein, dass der Bund mit seinemFörderprogramm eine riesige Anschubleistung erbracht habe in der Erwartung, dieProjekte würden sich, falls sie überzeugend ausfielen, in der recht kurzen Projektlaufzeitvon drei Jahren auf eine selbsttragende Grundlage stellen können. Diese Erwartungerwies sich als verfehlt, wie Frau Schneider vom Projektträger einräumte undHerr Kleimann anhand einer Online-Befragung aller Projekte zur bisher erreichtenNachhaltigkeit untermauern konnte. Nur wenige Projekte verfügen bereits über entwickelteGeschäftsmodelle, und nur wenige Hochschulen haben bisher deutliche Schrittein Richtung Verstetigung getan.Angesichts sich verschärfender Rahmenbedingungen sehen die Hochschulen, wiebeide Prorektoren betonten, ihre Möglichkeiten als sehr begrenzt an. Nicht viel andersstellte es sich bei der Initiative des Landes NRW dar, so Andreas Wolfrum vomUniversitätsverbund Multimedia NRW. Andererseits sei die Bedeutung von E-Learningnicht zu bestreiten, und angesichts des Bologna-Prozesses (Umstellung aller Studiengängein der EU auf ein BA/MA/PhD-System bis 2010) gewönne die Entwicklung auchin der Hinsicht an Fahrt, dass sich die Unterschiede zwischen Präsenz- und Fernuniversitätentendenziell anglichen (Schimank).Auch Ursula Müller und Cilja Harders sowie Diskutantinnen aus dem Publikumthematisierten den Bologna-Prozess mit Bezug auf Fragen nach der disziplinären vs.interdisziplinären Verortung der Gender Studies sowie der angemessenen Berücksichtigungder Genderperspektive und der Geschlechterforschung insgesamt.Aus Sicht des Projektträgers bedarf die Nachhaltigkeit der Projekte der Unterstützung,wie Cornelia Schneider betonte. Im Frühjahr 2003 sei ein Arbeitskreis zumThema Nachhaltigkeit ins Leben gerufen worden, der die Aufgabe habe, für die Projekteeinen Leitfaden zur Implementierung virtueller Lehre zu entwickeln. Um einerlangfristigen Förderstrategie im Bereich Neuer Medien in der Hochschullehre denBoden zu bereiten, die Erfahrungen und Ergebnisse der Projekte integriere, werdederzeit im Auftrag des BMBF ein Audit durchgeführt, in dem Expertinnen und Expertendie laufenden Fördermaßnahmen begutachten und Empfehlungen für zukünftigeFördermaßnahmen abgeben. Diese und weitere Ergebnisse der Gesamtfördermaßnahmensollen in einem Abschlussworkshop im September <strong>2004</strong> präsentiert werden. 1010 Die Podiumsdiskussionin redaktionell überarbeiteterFassung ist in ganzer Längezu sehen unter www.vings.de.Umsetzung von Gender Mainstreaming in der Praxis von E-Learning-ProjektenPrometheusDie Projektkoordination des Verbundprojekts „prometheus“, Dr. Ute Verstegen,Kunsthistorisches Institut der Universität zu Köln, nannte ihren Vortrag „Männer inder Minderheit – Genderaspekte im BMBF-Projekt“. Im Rahmen des Projekts „Prometheus“wurde ein netzbasiertes Verbundarchiv aufgebaut, das Studierenden undLehrenden die Suche und Nutzung digitaler Bilder in den Bereichen Archäologie, KunstundDesigngeschichte ermöglicht.Projektwebseite: http://www.prometheus-bildarchiv.de<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>65


Berichte und Beiträge aus dem <strong>IFF</strong>Educational MediaIlke Nübel und Dipl.-Päd. Britta Voß, Universität Duisburg-Essen, Institut für Erziehungswissenschaften,stellten das Projekt „Educational Media“ vor. Der Beitragdokumentierte die Strategien des Projekts, Gender Mainstreaming in Konzeption,Umsetzung und Durchführung eines weiterbildenden Online-Studienprogramms einzubinden.Dabei beleuchteten sie exemplarisch die Projektorganisation im Sinne einerparitätische Besetzung des Educational Media Teams und der Durchführung einesGendertrainings, sowie die Inhalte und Materialien, die gendersensibel überarbeitetwurden. Hinsichtlich Technologie, Design und Mediendidaktik betonten sie die zielgruppengerechteAufbereitung von und Zugangsmöglichkeiten zu <strong>Info</strong>rmationen sowieindividualisiertes Feedback der Studierenden über ihren Leistungsstand.Projektwebseite: http://online-campus.net/emPhysik multimedialDipl.-Inf. Helmut Schottmüller, Universität Bremen, berichtete über das Projekt „Physikmultimedial – Lehr- und Lernmodule für das Studium der Physik als Nebenfach“. Zuden Projektaufgaben gehörte die Erstellung einer internet-gestützten Lehr- und Lernumgebung,die von Lehrenden und Studierenden mit den unterschiedlichsten Eingangskompetenzengenutzt wird. Während der Projektlaufzeit seien Workshops und Evaluationendurchgeführt worden, um auf die spezifischen Wünsche und Bedürfnisse vonNutzerinnen und Nutzern, in zwei Fällen sogar explizit auf die Wünsche und Bedürfnisseweiblicher Nutzerinnen einzugehen und diese in die Inhalte und die technischeUmsetzung einzuarbeiten, erläuterte der Referent, der Mitglied im Arbeitskreis desBegleitprojekts „Gender Mainstreaming in den neuen Medien in der Bildung“ gewesenist.Projektwebseite: http://www.physik-multimedial.deRION - Rechtsinformatik onlineIn dem Beitrag von Dr. Bernd Remmele, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, derdas Projekt „RION – Rechtsinformatik online“ vorstellte, ging es um gendersensitiveTransformationen bei der Virtualisierung des RION-Verbundseminars. Er präsentierteerste Ergebnisse und Schlussfolgerungen zur geschlechtsspezifischen Nutzungvon IuK-Technologien in spezifischen „Experimentierfeldern“ des Projekts, das denBeteiligten die Möglichkeit geboten habe, die Form des RION-Verbundseminars relativfrei zu entwickeln. Auf diese Weise seien insbesondere die kommunikativen Potentialeder IuK-Technik voll ausgeschöpft worden, um damit dem spezifischen genderbiasder Technik, wie er in eher distributiv ausgerichteten E-Learning-Modellen zumTragen komme, entgegenzuwirken. Zu Lehr- und Lernzwecken sei ein MOO (JurMOOhttp://moo1.iig.uni-freiburg.de:7000/) aufgebaut und dessen Nutzung untersuchtworden.Projektwebseite: http://www.ri-on.deProf. Dr. Ursula Müller und Silja Polzin M.A.Interdisziplinäres Frauenforschungs-Zentrum (<strong>IFF</strong>)Universität Bielefeld,Postfach 100131, 33501 BielefeldEmail: silja.polzin@uni-bielefeld.de66


Tagung VINGS: Innovation und ImplementierungFür die beispielhafte Umsetzumg des Gender Mainstreaming-Konzepts wurde VINGS als Good PractiseProjekt ausgezeichnet<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>67


Kurzmeldungen aus dem <strong>IFF</strong>Im Rahmen des Tempus-Projektes - ein Gemeinschaftsprojekt des <strong>IFF</strong> der Universität Bielefeld, dem Institut fürPolitikwissenschaften der Universität Wien und der Fakultät für Soziologie der Universität St. Petersburg -"Geschlechterstudien als Bestandteil soziologischer Lehre. Curriculumentwicklung im Bereich Geschlechterstudienmit den Schwerpunkten Sozialpolitik, Bürgerinitiative und Sozialarbeit in der russischen Transformationsgesellschaft"waren zu einem Studien- und Forschungsaufenthalt im Wintersemester 2003/<strong>2004</strong> die Studentinnen Dariya Wassilewa,Maria Alekseeva und Ekatarina Golik ( v.l.) zu Gast am <strong>IFF</strong>.Neu erschienen in der <strong>IFF</strong> ForschungsreiheAnina MischauAkzeptanz monoedukativer Studiengänge/-elemente bei jungenFrauen – Bestandsaufnahme und exemplarische BefragungGutachten im Auftrag des Bundesministeriumsfür Bildung und Forschung<strong>IFF</strong> Forschungsreihe, Band 15Bielefeld <strong>2004</strong>103 Seiten, 5,50 €, ISBN 3-932869-14-1Preis zuzüglich Porto von 1,50 €Bestellung bitte an:Interdisziplinäres Frauenforschungs-ZentrumUniversität BielefeldPostfach 10 01 31, 33501 BielefeldFon: 0521-1064574, Fax: 0521-1062985Email: iff@uni-bielefeld.de68


Wie wird „Entwicklung“ gemacht?Petra Dannecker und Anna SpiegelWie wird „Entwicklung“ gemacht?Am Forschungsschwerpunkt Entwicklungssoziologie/Sozialanthropologie an der Fakultätfür Soziologie, Universität Bielefeld, wurde Ende letzten Jahres mit dem Forschungsprojekt„Wie wird „Entwicklung“ gemacht? Handlungsspielräume und translokale Netzwerke vonFrauenorganisationen in muslimischen Gesellschaften“ begonnen. Das von der VolkswagenStiftungfinanzierte Projekt untersucht die Aushandlung von Entwicklungskonzeptenin drei muslimischen Ländern. Im Sudan, in Malaysia und im Senegal wird den Fragennachgegangen, wie globale Entwicklungskonzepte, wie z.B. Armutsbekämpfung, Menschenrechteoder Geschlechtergleichheit, lokal ausgehandelt werden. Das Zusammenspiel der verschiedenenAkteure, d.h. staatlicher Institutionen, transnationaler Entwicklungsorganisationenund zivilgesellschaftlicher Gruppen, steht dabei im Zentrum des Interesses. Dabei gehen dieForscherinnen davon aus, dass neue Räume in der Aushandlung von Entwicklungskonzeptengeschaffen und insbesondere von Frauen genutzt werden. Ziel des Projektes ist es, zu einembesseren Verständnis von Entwicklungsprozessen und Entwicklungskonzepten beizutragen,gerade in Ländern, in denen der Islam als Vehikel für Partikularisierungen und Konfrontationenan Bedeutung zugenommen hat.EinleitungGlobalisierung ist kein eindimensionaler Prozess. Vielmehr verbergen sich hinter diesemSchlagwort eine Vielzahl komplexer Prozesse, die auf verschiedenen Ebenen stattfindenund widersprüchliche Auswirkungen haben können. So lassen sich empirischPhänomene kultureller Vereinheitlichung und eine globale Ausbreitung universalistischerKonzepte und Organisationsmuster beobachten. Gleichzeitig finden jedoch auchProzesse der Heterogenisierung in Form der Wiederentdeckung und Neuinszenierungpartikularer nationaler und ethnischer Identitäten statt. Diese scheinbar gegenläufigenEntwicklungen verlaufen nicht unabhängig voneinander, sondern bedingen sichgegenseitig. Vorstellungen von einer gewünschten gesellschaftlichen Entwicklung stellenin diesem Zusammenhang ein besonders interessantes Forschungsfeld dar, um genaudiese Widersprüchlichkeiten als grundlegenden Bestandteil von Globalisierungsprozessenzu untersuchen.So werden auf der einen Seite von global agierenden Institutionen Entwicklungskonzepteund Visionen formuliert, die universelle Gültigkeit und Umsetzung beanspruchen,wie z.B. das Konzept der Menschenrechte, die Idee der Geschlechtergleichheitoder das entwicklungspolitische Ziel der Armutsbekämpfung. Auf der anderen Seitewird genau dieser Anspruch auf Allgemeingültigkeit von verschiedenen politischenAkteuren und Bewegungen kritisiert und infrage gestellt, wobei mit einem Instrumentariumkultureller und ethnischer Differenz operiert wird, das dazu dient, einen Gegenpolzu „westlicher“ Kultur zu formulieren.Globalisierung und IslamisierungIm Kontext aktueller Islamisierungsprozesse haben Bewegungen, die sich explizit vom„Westen“ abgrenzen und Alternativen zu entsprechenden Entwicklungsvorstellungenartikulieren, an Bedeutung gewonnen. Gleichzeitig wird „Der Islam“ und „Die muslimischeWelt“ aus westlicher Perspektive als homogene Kategorie konstruiert und stehtdamit sinnbildlich für die „Anderen“, die durch ein Entwicklungsdefizit gekennzeichnetsind. Darin kommt eine doppelte Abgrenzungslogik zum Ausdruck.Handlungsspielräume und translokale Netzwerke von Frauenorganisationenin muslimischen Gesellschaften<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>69


Berichte und Beiträge aus der Universität und Fachhochschule BielefeldGlobale Entwicklungskonzepte wie Menschenrechte werden besonders in muslimischenKontexten kontrovers diskutiert und bieten dort eine Folie, vor der Aspektekultureller Eigenständigkeit und eine Distanzierung zu westlichem Lebensstil thematisiertwerden. Den als kulturell fremd definierten Konzepten werden lokale Visionenvon Entwicklung entgegengesetzt. Diese lokalen Visionen von Entwicklung und ihreKonstruktionsprozesse in sozialen geschlechtsspezifisch strukturierten Räumen zuuntersuchen, ist das Ziel des Forschungsprojektes „Negotiating Development: TranslocalGendered Spaces in Muslim Societies“ am Forschungsschwerpunkt Entwicklungssoziologie/Sozialanthropologieder Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld.Die Aushandlung von EntwicklungsprozessenEntwicklungsprozesse lassen sich nicht am Reißbrett entwerfen und dann Punkt fürPunkt exakt umsetzen. Vielmehr werden sie in Interaktionen zwischen Akteuren verschiedenerEbenen ausgehandelt und nehmen erst dabei Gestalt an. Die Aushandlungvon Entwicklungsprozessen findet heute zwischen globalen, translokalen und lokalenOrganisationen und Institutionen statt. Der Fokus auf die durch Interaktionsprozessekonstituierten Arenen ermöglicht es, zu untersuchen, wie die Vorstellungen und Erwartungender beteiligten Akteure sich wechselseitig bedingen und beeinflussen. DieseWechselwirkungen bleiben sonst allzu oft in den jeweiligen exklusiven und essentialistischenKonstruktionen, z.B. in der Gegenüberstellung der „muslimischen Welt“ unddes „Westens“, ausgeblendet.Durch translokale Netzwerke, getragen von Entwicklungsorganisationen, Nichtregierungsorganisationenund sozialen Bewegungen, werden globale Konzepte und Visionenauf lokaler Ebene angeeignet und in lokale Diskurse übersetzt, wobei sich ihreBedeutungen entsprechend verändern. In muslimischen Gesellschaften werden westlicheKonzepte sozialer, ökonomischer und politischer Entwicklung vor allem hinsichtlichihrer Vereinbarkeit mit sogenannter „lokaler Kultur“ und einer spezifisch islamischenIdentität diskutiert.Diese Diskussionen finden auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen statt.Austausch, Vernetzungsprozesse und Interaktionen zwischen verschiedenen Akteurenwie lokalen und transnationalen NGOs, dem Staat, ausländischen Geber-Institutionenund supra-nationalen Institutionen (UNO, WHO, Weltbank) tragen zur Entstehungneuer (sozialer) Räume bei.Mit sozialem Raum ist hier eine von den Subjekten in ihrem Alltagshandeln geschaffeneSinnstruktur gemeint, in der materielle und symbolische Elemente der Lebensweltzueinander in Bezug gesetzt werden. Dieser Raum ist Schauplatz vielfältiger Aushandlungsprozessevon Identitäten, mittels derer sich die Akteure im jeweiligen Kontextpositionieren.Entwicklung, Geschlecht und IslamDer Bezug zur jeweiligen nationalen, kulturellen oder islamischen Identität wird hinsichtlichder Unterstützung oder Ablehnung spezifischer Entwicklungsvorstellungenrelevant. Eine Vielzahl von Akteuren und sozialen Kräften mit unterschiedlichen Orientierungenpräsentieren sich auf lokaler Ebene und konkurrieren um den „richtigen“Weg und die „richtige“ Strategie, um ihre Vision von Entwicklung zu realisieren.Oft stehen Geschlechterbeziehungen im Zentrum dieser Auseinandersetzungen. Hinsichtlichislamischer Identitätspolitik ist die Kategorie Geschlecht von entscheidenderBedeutung. Auch auf globaler Ebene dient die Konstruktion von Geschlecht undGeschlechterbeziehungen der Grenzziehung zwischen „westlichen Kulturen“ und denmuslimischen „Anderen“. Dabei sind Frauen trotz ihrer Instrumentalisierung im Zugeder Konstruktion nationaler islamischer Identitäten in unterschiedlichen gesellschaftli-70


chen Räumen als Akteurinnen wesentlich an der Umsetzung und auch an der Veränderungder islamistischen Restrukturierung des öffentlichen Raumes beteiligt.Das ForschungsprojektDas von der VW-Stiftung für einen Zeitraum von zwei Jahren (01.10.03 - 01.10.05)geförderte Forschungsprojekt „Negotiating Development: Trans-local Gendered Spacesin Muslim Societies“ ist in den Forschungsschwerpunkt Entwicklungssoziologie/Sozialanthropologieder Fakultät für Soziologie an der Universität Bielefeld eingebettet. ImZentrum des Projektes stehen Prozesse der Aushandlung von Entwicklungskonzeptenund Visionen in drei Regionen, in denen Islamisierungsprozesse ganz unterschiedlicherAusformung ablaufen (Ostafrika, Südostasien und Westafrika). Dabei werden diesozialen Akteure und ihre Strategien, Vernetzungen und die entsprechende Konstitutionsozialer Räume untersucht. Die Analyse geht dabei nicht von gegebenen sozialenStrukturen aus, sondern von den Perspektiven der Akteure, ihren Handlungsrationalitätenund Strategien. Ziel ist es, die Konstruktionsprozesse lokaler Visionen von Entwicklungund deren Einbettung in von Frauenorganisationen aufgebaute translokaleNetzwerke zu untersuchen. Indem die komplexen Beziehungsgeflechte zwischen Regionenaufgezeigt werden, die häufig in vereinfachender Weise als getrennte kulturelleRäume behandelt werden, können gängige Dichotomien hinterfragt werden.Die FragestellungKonkret soll das Forschungsprojekt über folgende Fragen Aufschluss geben:• Wie werden Entwicklungskonzepte im Zusammenspiel der verschiedenen Akteure– staatlicher Institutionen, transnationaler Entwicklungsorganisationen und zivilgesellschaftlicherGruppen – lokal ausgehandelt?• Welche neuen Räume werden in der Aushandlung von Entwicklungskonzepten intranslokalen Netzwerken geschaffen und wie werden sie von Frauen genutzt?• Welche Rolle spielen Aushandlungsprozesse von Entwicklungskonzepten für dieIdentitätskonstruktionen unterschiedlicher Gruppen?Wie wird „Entwicklung“ gemacht?Die ForschungsmethodeUm diese Ziele zu erreichen, ist interkulturelle und interdisziplinäre Kooperation dieVoraussetzung. Methodologisch wird ein interpretatives, qualitatives Vorgehen angewandt.In drei Ländern, dem Sudan, Malaysia und Senegal, werden intensive empirischeFeldforschungen durchgeführt, um Frauenorganisationen und -gruppen zuidentifizieren und über teilnehmende Beobachtungen ihre Entwicklungsvorstellungen,ihre translokalen Vernetzungen und die Interaktionsprozesse mit anderen Akteuren,z.B. dem Staat, internationalen oder zivilgesellschaftlichen Organisationen, zu untersuchen.Qualitative Interviews mit relevanten Akteuren in den jeweiligen Arenen werdennach einem speziellen Design (theoretical sampling) durchgeführt. Außerdemwerden typische biographische Verläufe (trajectories) von Frauen nachgezeichnet, dieaktiv an der Aushandlung von Entwicklungsprozessen und Identitätskonstruktionenpartizipieren.Eine vergleichende Perspektive wird eingenommen um herauszuarbeiten, unter welchensozialen, ökonomischen und politischen Bedingungen Entwicklungskonzepte indem jeweiligen Kontext eine spezifische Bedeutung erlangen. Über die Kontextualisierungdes empirischen Materials und den Vergleich der einzelnen Fallstudien sollzu einem besseren Verständnis von Entwicklungsprozessen und Entwicklungskonzeptenbeigetragen werden. Dies ist insbesondere für Regionen von aktuellem Interesse,in denen der Islam als Vehikel für Partikularisierungen und Konfrontationen an Bedeutungzugenommen hat.ForscherinnenteamDr. Petra Dannecker(petra.dannecker@unibielefeld.de)Prof. Gudrun Lachenmann(gudrun.lachenmann@unibielefeld.de)Dr. Salma Nageeb(snageeb@yahoo.com)Dr. Nadine Sieveking(nadine.sieveking@unibielefeld.de)Anna Spiegel(anna.spiegel@unibielefeld.de)<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>71


Berichte und Beiträge aus der Universität und Fachhochschule BielefeldChristiane MaschetzkeFachtagung „Berufsorientierung inunübersichtlichen Zeiten:Anforderungen, Strategien, Konzepte“Die Arbeitswelt befindet sich in einem rasanten Umbruch und mit ihr verändern sichauch Anforderungen an Jugendliche und junge Erwachsene im Übergang von der Schulein Ausbildung und Beschäftigung. Die Verhältnisse werden unübersichtlicher und derBedarf an Orientierung steigt. Was können Schule und Arbeitsamt, Unternehmen undUniversitäten anbieten, um Jugendlichen in ihrer Berufsorientierung zu unterstützen?Mit diesen und anderen Fragen befasste sich die zweitägige Fachtagung „Berufsorientierungin unübersichtlichen Zeiten“ am 11. und 12. Dezember 2003, zu der über 100Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus Wissenschaft und Praxis ins JugendgästehausBielefeld gekommen waren. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler präsentiertenaktuelle Forschungsergebnisse, Experten und Expertinnen aus verschiedenen Bereichenstellten einschlägige Praxisprojekte vor.Veranstaltet wurde die Tagung von Prof. Dr. Mechtild Oechsle und den ProjektmitarbeiterinnenDr. Helen Knauf, Christiane Maschetzke und Elke Rosowski, die Ergebnisseihrer Studie über Berufsorientierung undLebensplanung von Abiturientinnen und Abiturientenpräsentierten. Eröffnet wurde dieTagung durch Prof. Dr. Mechtild Oechsle(Universität Bielefeld), Professor Dr. ChristophGusy (Rektorat der Universität Bielefeld),sowie Ministerialrat Ulrich Thünken(Ministerium für Schule, Jugend und Kinderdes Landes NRW). Die Tagung wurde gefördertvom Zentrum für Lehrerbildung,dem Ministerium für Wissenschaft und Forschungdes Landes NRW und dem InterdisziplinärenFrauenforschungs-Zentrum (<strong>IFF</strong>).In der Plenarveranstaltung am DonnerstagNachmittag standen Strukturveränderungender Arbeitswelt und veränderte Orientierungenvon Jugendlichen im MittelpunktVeranstalterinnen und ReferentInnen der Tagung„Berufsorientierung in unübersichtlichen Zeiten“der Vorträge. Prof. Dr. Günter Voß (UniversitätChemnitz) skizzierte den „Arbeitskraftunternehmer“als neuen Typus von Arbeitskraft in einer postfordistischen Arbeitsweltund empfahl eine radikale Subjektivierung von Berufsorientierung und Berufsberatung.Dr. Martin Griepentrog (Hochschulteam Arbeitsamt Bielefeld) beschrieb aufdem Hintergrund eigener Beratungserfahrung eine zunehmende Erlebnisorientierungbei Berufswahlentscheidungen und skizzierte Konsequenzen für die Berufsberatung.Prof. Dr. Mechtild Oechsle (Zentrum für Lehrerbildung, Universität Bielefeld) gabeinen Einblick in die Bandbreite von Orientierungen und Strategien von AbiturientInnenzwischen Arbeitsmarktorientierung und Selbstverwirklichung und forderte eine stärkereIndividualisierung der Angebote zur Berufsorientierung. Dr. Barbara Stauber(Universität Tübingen) beschäftigte sich mit neuen Lernformen von Jugendlichen als72


Fachtagung „Berufsorientierung in unübersichtlichen Zeiten“Ressource für den Übergang in die Arbeitswelt. Alle Vorträge machten deutlich, dassBerufsfindungsprozesse sich ausdifferenziert und individualisiert haben, und dass Angebotezur Berufsorientierung sich weniger denn je auf <strong>Info</strong>rmation beschränkenkönnen und mehr an individueller Beratungund Orientierung bieten müssen.Am Freitag Vormittag wurden in drei parallelenWorkshops ausgewählte Aspekte vonBerufsorientierung diskutiert.Workshop I „Berufsorientierung und Geschlecht:Neue Orientierungen – alte Konzepte?“befasste sich mit dem Einfluss von Geschlechtauf Berufsorientierungsprozesse unddiskutierte die Frage, welche Konzepte geeignetsind, Mädchen und junge Frauen inihren Berufswahlentscheidungen zu unterstützen.Stephanie Große (Universität Göttingen)beschrieb biographische Lernprozesse alsAushandlungsprozess zwischen subjektiv motiviertemHandeln einerseits und sozialen Strukturen, institutionellen Mustern und normativenVorgaben anderseits. Elke Rosowski (Universität Bielefeld) stellte in ihremBeitrag die Frage nach dem möglichen Einfluss von privater Lebensplanung auf beruflichePläne und Orientierungen von jungen Frauen und Männern. Dr. Agnes Dietzenund Gisela Westhoff (BIBB, Bonn) befassten sich mit den Chancen einer neuenBeruflichkeit für Frauen am Beispiel der IT-Berufe. Ergebnisse aus den Projekten„Girls’ Day – Mädchen-Zukunftstag“ und „idee-it“ präsentierten Ulrike Struwe undWenka Wentzel (Kompetenzzentrum Bielefeld).Der zweite Workshop beschäftigte sich mit der Frage „Institutionelle Angebote zurBerufsorientierung – was leisten Schule und Universität, Arbeitsamt und Unternehmen?“Prof. Dr. Gerd Famulla (Universität Flensburg) eröffnete die Vortragsreiheund fragte auf dem Hintergrund des Projektverbundes „Schule-Wirtschaft/Arbeitsleben“nach den Kompetenzen, die Jugendliche im Übergang Schule-Arbeitswelt benötigenund wie sie gefördert werden können. Die Analyse schulischer Angebote zurBerufsorientierung stand bei Dr. Helen Knauf (Universität Bielefeld) im Vordergrund,während Christian Strijewski (Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg) über die zukünftigeRolle von Berufsorientierung und Berufsberatung in einer reorganisierten Bundesagenturfür Arbeit berichtete. Dr. Wolfgang Eimer (Weidmüller Stiftung, Detmold)stellte erfolgreiche Kooperationsprojekte zwischen Schulen und Unternehmen vor.Frauke Isenberg (Universität Heidelberg) berichtete über das Heidelberger Tutorenprogramm„Abitur – und was dann?“, das AbiturientInnen bei der Klärung ihrerberuflichen Interessen und Neigungen unterstützt.Der dritte Workshop stand unter dem Thema „Eltern und Peers: Welchen Einflusshaben sie auf die Berufsorientierung?“ Prof. em. Dr. Lothar Beinke (Osnabrück) berichteteüber die aktuelle Bedeutung der Peer-Group und der Eltern im Prozess derBerufsorientierung. Christiane Maschetzke (Universität Bielefeld) analysierte in ihremBeitrag direkte und indirekte Einflüsse der Eltern auf den Berufswahlprozess. Dr.Christoph Heine (HIS, Hannover) untersuchte den Einfluss von sozialer Herkunft undGeschlecht auf Studienentscheidungen und präsentierte hierzu aktuelle Daten einerHIS-Studie. Dr. René Bendit (Deutsches Jugendinstitut München) unterstrich in seinemabschließenden Vortrag noch einmal die wichtige Rolle der Familie beim ÜbergangJugendlicher in das Beschäftigungssystem und stellte Ergebnisse einer internationalvergleichenden Studie vor.<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>73


Berichte und Beiträge aus der Universität und Fachhochschule BielefeldEine Podiumsdiskussion beschloss die Tagung. Dr. Wolfgang Eimer (Weidmüller Stiftung,Detmold), Prof. Dr. Gerd Famulla (Universität Flensburg), Renate Hendricks(Vorsitzende des Bundeselternrates, Bonn), Dr. Jutta Obbelode (Schulleiterin Anne-Frank-Gesamtschule, Gütersloh), Christian Strijewski (Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg)und Prof. Dr. Günter Voss (Universität Chemnitz) diskutierten gemeinsam mitden TagungsteilnehmerInnen darüber, welche Kompetenzen Jugendliche für den ÜbergangSchule-Arbeitswelt brauchen und wie sie durch institutionelle Angebote und dassoziale Umfeld unterstützt werden können. Moderiert wurde die lebhafte Diskussionvon Christiane Wauschkuhn (Rudolf-Rempel Berufskolleg, Bielefeld).Nähere <strong>Info</strong>rmationen zur geplanten Tagungsdokumentation sowie zum Projekt„Berufsorientierung und Lebensplanung – Jugendliche in der Sekundarstufe II“ undzum Folgeprojekt „Abitur und was dann? Biographische Verläufe und Orientierungsprozessenach dem Abitur“ sind erhältlich unter www.berufsorientierung-undlebensplanung.deoder bei Prof. Mechtild Oechsle, Telefon 106-4235, 4248 (Sekretariat).Die Ergebnisse des Forschungsprojekts werden im Frühjahr bei Leske + Budrichveröffentlicht.Christiane MaschetzkeZentrum für LehrerbildungUniversität Bielefeld,Postfach 10 01 3133501 BielefeldEmail: christiane.maschetzke@uni-bielefeld.de74


FrauenräumeCornelia ThielsFrauenräumeZunächst zum Titel dieses Essays. Vor zweierlei möchte ich warnen. Erstens glaubeich, dass es nur wenig wirklich Frauenspezifisches gibt bei der „Gestaltung öffentlicherRäume und Arbeitsplätze“ (so der Titel einer Veranstaltungsreihe an der UniversitätBielefeld, die Anlass für diese Überlegungen war). Eine der Ausnahmen ist diemeist unzureichende Anzahl von Damentoiletten in Kulturbauten etwa, so dass Frauenmeist während Konzert-, Theater- oder Opernpausen in entwürdigender Weise inoder vor Waschräumen Schlange stehen.Stillräume sind möglicherweise ein weiteres geschlechtsspezifisches Bedürfnis, wobeiich mich allerdings frage, ob Frauen ihrem Kind nicht mindestens so pläsierlichauf einer weniger abgeschotteten Sitzgelegenheit die Brust geben können. Nur rauchfreiund ein wenig gemütlich dürfte dieser Platz schon sein. Aber welche nicht stillendePerson würde sich nicht auch über derartige Einrichtungen freuen. Vielleicht könnteman dann sogar wieder durch Stufenlagerer unbehindert die Treppen der Universitätund Fachhochschule ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung entsprechend nutzen.Falls doch Verborgenheit und Stille beim Stillen gewünscht wird, wäre ein Ruheraumgeeignet. Es soll sogar einen an der Universität Bielefeld geben. Nur ist er so versteckt,dass wenige von ihm wissen und gerade Erschöpfte ihn nicht finden. Ich sehe übrigenskeinen Grund, warum nicht auch Männern Ruheräume zur Verfügung stehensollen, womit sich die vermeintliche Geschlechtsspezifität von Stillräumen wieder inNichts auflöst. Das erinnert mich an die deutlich als solche ausgeschilderten Rampenfür Behinderte oft an abgelegenen Stellen. Sie könnten ebenso in viele Treppen integriertwerden, vielleicht sogar als ein formal reizvolles architektonisches Element, wodurchKinderwagen Schiebende und andere Behinderte (im Sinne von behindert werden)nicht auch räumlich zur Randgruppe degradiert würden.Ich warne aber davor, die Forderung nach Wickeltischen, Spielräumen und -plätzen,Kindergärten, Tagesstätten, kinderwagengerechten Möglichkeiten, um Höhenunterschiedezu überwinden und dergleichen, zu einem Frauenproblem zu machen. Wennso genannte „Mütterräume“ in Damentoiletten integriert sind, kann selbst der engagiertesteVater nicht die Windeln wechseln, ohne Anstoß zu erregen. Natürlich könnenFrauen sich für die Belange von Eltern einsetzen. Wir müssen aber darauf achten,dass wir es nicht in einer Weise tun, die Väter aus ihrer Pflicht entlässt.Weitere Warnungen bezüglich des Titels betreffen den Trugschluss, dass es bei derGestaltung von Arbeitsplätzen im Wesentlichen um die Gestaltung von öffentlichen Räumengehe, und dass sich soziale Fragen in erster Linie architektonisch beantwortenließen. Gebautes kann bestenfalls den Rahmen für soziales Geschehen bieten unddieses dadurch anregen und erleichtern. Erzwingen kann Architektur aber kaum etwas,auch keine Kommunikation durch einen Gemeinschaftsraum. Schon eher kannetwa der Bau einer Schnellstraße durch ein Wohngebiet nachbarschaftliche Beziehungenzwischen den beiden Seiten dieser Schneise behindern. Dennoch halten es (meistmännliche) Politiker im Allgemeinen für ihre Karriere dienlich, (aus Steuern) finanzierteBauwerke einzuweihen. Es hat sich aber hoffentlich inzwischen herumgesprochen,dass selbst mit den besten technischen Geräten ausgestattete Krankenhäusernur dann vollen Nutzen erbringen, wenn ausreichend Personal zur Belegung aller Bettenvorhanden ist. Analog sind Kindergärten und Tagesstätten mit jahrelanger Wartelisteauch bei ansprechendster Bauweise wenig hilfreich. Das Einsetzen einer Arbeitskraftzur Bedarfsermittlung halte ich in diesem Zusammenhang für zynische Augen-Gedanken zur Universität Bielefeld und anderenöffentlichen Räumen und Arbeitsplätzen für Frauen<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>75


Berichte und Beiträge aus der Universität und Fachhochschule Bielefeld1 Jacobs, J (1961): Thedeath and life of greatAmerican cities. NewYork, Vintage Books2 Newman, O (1973):Defensible space: crimeprevention through urbandesign. New York,Collier Bookswischerei und Verschwendung von Steuergeldern. Auch kann es bei der „Gestaltungöffentlicher Räume und Arbeitsplätze für Frauen“ nicht um Blümchentapeten undrosa Vorhänge gehen, sondern um flexible und Teilzeit Arbeitsangebote für Frauenund Männer, um gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit und gleiche Aufstiegschancenbei gleicher Qualifikation.Dennoch will ich mich dem Thema „Gestaltung öffentlicher Räume für Frauen“ widmenund dabei mit Fragen der Sicherheit beginnen, die Frauen tatsächlich mehr betreffenwegen ihrer geringeren Muskelkraft, und weil die meist männlichen Täter sichmeist weibliche Opfer suchen. Spätestens seit den Klassikern „ The death and life ofgreat American cities“ (1961) von Jane Jacobs 1 und „Defensible Space“ (1973) vonOskar Newman 2 ist bekannt, dass Sicherheit von Raum durch die Augen, die auf ihmruhen, zu gewährleisten ist. Im privaten Bereich ergibt sich das meist aus dem Eigeninteresseder Besitzer, der Überschaubarkeit des Geländes und den zum Zutritt berechtigtenPersonen. Die Sicherheit öffentlicher Räume dagegen wird durch die ständigeAnwesenheit potentieller Zeugen und Verteidiger – also durch die gemischte Nutzungrund um die Uhr statt reinen Büro- und Geschäftszentren – gefördert. Dannbesteht auch die Aussicht, dass Zivilisten zur Sicherung ausreichen. Es kann im öffentlichenaber – im Gegensatz zum privaten – Raum auch Polizei zur Verhinderungvon Straftaten eingesetzt werden. Am gefährlichsten sind Räume, die weder eindeutigprivat noch öffentlich und zudem schlecht einsehbar sind. Treppen- und Parkhäuser,Wohnsilos ab einer gewissen kritischen Geschoss- und Wohnungszahl sowie üppigbewachsene Grünanlagen sind unerfreuliche Beispiele dafür. In diesen Fällen ist einarchitektonischer Beitrag zur Lösung eines gesellschaftlichen Problems möglich.Sichtbarmachung von Territorialgrenzen ermutigt zur Übernahme persönlicher Verantwortungfür den eigenen Bereich, was zusätzlich durch Gestaltungsmöglichkeitenfür ständige Benutzer gefördert wird. Gute Beleuchtung, Vermeidung toter Winkelund halbprivater oder halböffentlicher Zonen und die bereits erwähnte gemischte,zeitlich gestaffelte und intensive Nutzung schützen, da Täter im Allgemeinen nichtgesehen werden wollen.Auch dem Vandalismus, der allerdings nicht nur Frauen betrifft, als Täter sogardeutlich weniger als Männer, kann durch die „Gestaltung öffentlicher Räume“ vorgebeugtwerden. Liebevoll gepflegte Einrichtungen sind selten das Ziel von Zerstörungswut,wenn nicht ein finanzieller Gewinn anreizt wie etwa bei Automaten und Münzfernsprechern.Primäre Prävention besteht also in der Schaffung und Erhaltung ansprechenderund widerstandsfähiger Einrichtungen und von Karten- statt Münztelefonen.Zigarettenautomaten sollten ohnehin aus gesundheitspolitischen Gründen abgeschafftwerden. Falls aber doch ein Sitz aufgeschlitzt oder eine gelungen gestalteteFläche durch Graffiti verunziert wird, muss zur Sekundärprävention sofort repariertoder überstrichen werden. Denn nichts reizt so zum Vandalismus wie bereits teilweiseZerstörtes. Graffiti an Manifestationen staatlichen Unrechts wie der Berliner Maueroder optischer Gewalt wie manchen Fußgängerunterführungen (zur größeren Bequemlichkeitder Autofahrer) halte ich für phantasievolles Aufbegehren, das man nichtdirekt, sondern an seinen Wurzeln bekämpfen sollte.Bei der übrigen „Gestaltung öffentlicher Räume und Arbeitsplätze“ geht es meinesErachtens nicht darum, dies speziell für Frauen zu tun, sondern eher darum, der infast allen Kulturen anerkannten und genutzten Fähigkeit von Frauen, ein Heim unddamit Innenräume zu gestalten, freiere Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten. Leidersind – gerade öffentliche – Gebäude meist von männlichen Architekten geschaffen.Einige Ausnahmen in Deutschland sollen aber nicht ungenannt bleiben: Zaha Hadidsderzeit als Stuhlmuseum genutzte Feuerwache des Vitra Design Museums in Weil amRhein, Gesine Weinmillers Bundesarbeitsgericht in Erfurt, Ingeborh Kuhlers Muse-76


Frauenräumeum der Arbeit in Mannheim. Im Großraum Berlin finden sich das „Weiberwirtschaft“genannte Gründerinnen- und Gewerbezentrum von Inken Baller (Berliner Festspieleund Architektenkammer Berlin 1999), Felicitas Mossmanns Spielhaus für Jugendliche(Berliner Festspiele und Architektenkammer Berlin 1999), Mara Pinardis Kindergartenin Karow, Karola Schäfers Kindergärten ebendort und in Biesdorf sowie ihreGrundschule Landstadt Gatow, Gabriele Ruoffs Studentenwohnheim am AugustenburgerPlatz und Regina Polys Theodor-Wolff-Park in Berlin (Berliner Festspiele undArchitektenkammer Berlin 1999). Viele Architektinnen arbeiten in Bürogemeinschaften.Beispielweise hat Charlotte Frank mit Axel Schultes das Kanzleramt (Berliner Festspieleund Architektenkammer Berlin 1999 3 ) entworfen, wurde aber von der „FrankfurterAllgemeinen Zeitung“ lange Zeit nicht genannt. Die beiden haben auch das wenigerumstrittene Krematorium in Berlin-Treptow entworfen. Matthias Sauerbruch undLouisa Huttons werden erfreulicherweise gemeinsam für die Hauptverwaltung derGemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft (GSW) gepriesen (BerlinerFestspiele und Architektenkammer Berlin 1999). Sie ist zwar nicht öffentlich imengeren Sinn, aber weithin aufs Angenehmste sichtbar.Auf ihre Karriere bedachte Architekten legen oft Wert darauf, dass ihre Kreationensich so gut fotografieren lassen, dass sie auf dem Titelblatt eines Architekturmagazinserscheinen und damit auch den nicht zu ihnen Pilgernden bekannt werden. Außerdemist es vielen Baumeistern wichtiger, von ihren Kollegen anerkannt zu werden als denBenutzern einen Dienst zu erweisen. So sind auch die In-jokes und architekturhistorischenVerweise der Postmoderne zu verstehen, z. B. an James Stirlings schauerlichtürkis-rosa gestreiftem Wissenschaftszentrum (von den respektlosen Berlinern „Schwulengefängnis“getauft). Gerade die erfolgreicheren Architekten fühlen sich oft als Künstler,die den Gesetzen der Inspiration oder berühmten Vorbildern folgen, anstatt sichmit den psychologischen und soziologischen Erkenntnissen vertraut zu machen, dievorauszusagen helfen, welche Bauten die größte Aussicht haben, ihren Zweck zu erfüllen.An dieser Stelle möchte ich eine Anmerkung über das Missverständnis des Begriffes„Funktionalismus“ in der Architektur einfügen. Die Funktion eines Gebäudes istes keineswegs nur, Schutz vor Witterungseinflüssen und Lebewesen zu bieten undbestimmte Handlungen zu ermöglichen. Die Befriedigung ästhetischer Bedürfnisse,der Ausdruck kultureller Zugehörigkeit und nicht zuletzt Statusdemonstration sindandere Funktionen, die von manchen sich „Funktionalisten“ Nennenden geleugnetwerden. Beispiele aus der Arbeitswelt sind Raum- und Schreibtischgröße, die meistwenig mit der darin oder daran verrichteten Tätigkeit zu tun haben, aber viel mit derStellung des Nutzers. Auf den riesigen Schreibtischen großer Industriebosse stehthäufig nur eine kostbare Schreibgarnitur. Aber solch ein Möbel schafft Distanz zumGesprächspartner und soll beeindrucken. Insofern halte ich es auch für müßig zudiskutieren, ob Frauen schwere schwarze Ledersessel mögen. Sollten sie wirklich einmalChefin werden, nähmen sie solche Ungetüme entweder gern in Kauf oder wärenin der Lage, sie durch Ansprechenderes ersetzen zu lassen.Es kommt mir also nicht darauf an, eine spezifisch weibliche Raumästethik zuermitteln und dann zur Ausstattung von Vorzimmern zu fordern. Ich möchte nurnoch einmal darauf hinweisen, dass Frauen im Allgemeinen eher als Männer in derLage sind, ihrer Umgebung eine persönliche Note zu geben, falls das – meist vonMännern entworfene – Gebäude sie dabei nicht zu sehr behindert. Frauen verbringenselten viele Stunden des Tages umgeben von kahlen Wänden, Aktenbergen und einemComputer, wie man das gelegentlich bei anderweitig gebildeten und begabten Männernbeobachtet. Aber es gibt Räume, denen nur mit größter Mühe beizukommen istwie etwa durch einen selbst beschafften Teppich, der dann vom Reinigungspersonal3 Berliner Festspiele undArchitektenkammerBerlin (1999): Berlin:Offene Stadt.Nicolaische Verlagsbuchhandlung<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>77


Berichte und Beiträge aus der Universität und Fachhochschule Bielefeldnicht angerührt wird. Da wäre es natürlich günstiger, von vornherein graue Pegulan-Platten zu vermeiden und zwar nicht nur an Arbeitsplätzen für Frauen. Wände, andenen sich nur mit Hilfe eines Schlagbohrers Bilder aufhängen lassen, setzen ebenfallseiner Personalisierung großen Widerstand entgegen.Wichtig erscheint mir also die Veränderbarkeit. Selbst wenn wir wüssten, dass 70%aller Frauen besonders zufrieden und leistungsmotiviert in hellgelb gestrichenen Räumenarbeiten, wäre damit noch lange nicht den übrigen 30% gedient.Eine andere Möglichkeit besteht darin, die zukünftigen Nutzer schon in die Planungeines neuen Gebäudes oder Umbaus einzubeziehen. Dabei ergeben sich allerdingsgerade im öffentlichen Raum Schwierigkeiten. Anders als beim Entwurf einesEinfamilienhauses ist der zukünftige Benutzer oft nicht bekannt und wechselt auchhäufiger. Das erklärt vielleicht unter anderem, warum viele Architekten zumindest einpassables Einfamilienhaus zustande gebracht, aber selbst berühmte Baumeister wie leCorbusier und Scharoun Vorschläge zur Stadtplanung gemacht haben, deren Realisierunguns zum Glück erspart blieb.Die zweite Schwierigkeit besteht darin, dass viele Menschen nur ungenaue Vorstellungenhaben, in welchen noch nicht existierenden Räumen sie sich wohl fühlen könnten.Deshalb sollten meiner Meinung nach wohlmeinende Bestrebungen wie „DemokratieBauherr“ und Mietermitbestimmung nicht über ihr Ziel hinausschießen. Es empfiehltsich nicht einfach abstimmen zu lassen, wie hoch der schlanke Turm eines ansonsteneher niedrigen Wohnhauses werden darf. Dabei geraten – wie beispielsweise derspanische Beitrag zur zweiten Internationalen Bauausstellung in Berlin und der Baumit der Dreiecksfahne von Kleihues gegenüber dem Theater des Westens in Berlinzeigen – elegante Entwürfe zu unproportionierten Manifestationen des jeweils herrschendenAberglaubens, in diesem Falle, dass hohe Gebäude grundsätzlich von Übelseien.Aber nicht nur künftige Nutzer sind modischen Strömungen unterworfen. Auchoder gerade wohlmeinende Baumeister sind oft ideologieanfällig. Ein besonders abschreckendesBeispiel war die im Süden von Amsterdam liegende Trabantenstadt Bijlmermeer.Anfang der 1970er Jahre wurden dort Wohnblocks mit viel Licht und Luft,ausgedehnten Grünanlagen, direkter U-Bahnanbindung, unverstopften Zubringernund ausreichend Parkplatz gebaut. Stinkende und lärmende Autos in unmittelbarerNähe von Wohnungen sowie hässliche, kapitalistische Reklame waren zunächst verboten.Wer würde nicht vermuten, dass bei Erfüllung all dieser auch heute noch für vielegültigen Kriterien wahrhaft sozialen Bauens ein Paradies entstand? Nur wollte niemanddort wohnen. Eine Zeit lang konnte das Verlustobjekt mit Immigranten ausehemaligen niederländischen Kolonien gefüllt werden, was seine Attraktivität für andereMieter nicht eben steigerte. Mitte der 1980er Jahre versuchte man schließlich durchverzweifelte Anbiederung die ökonomische Notwendigkeit eines euphemistisch „Rückbau“genannten Abtragens oberer Stockwerke zu verhindern, wie er in einem ähnlichenFall in Schweden durchgeführt wurde. In der Bundesrepublik und in Großbritanniensind sogar ganze Nachkriegswohnblöcke abgerissen worden. Ironischerweise wurdein Bijlmermeer genau das geändert, worauf die Schöpfer so stolz gewesen waren.Frauen brauchen jetzt nicht mehr den Einkauf für die ganze Familie von dem ohnehinkriminalitätsgefährdeten Parkdeck bis zu einen Kilometer weit in ihre Wohnungschleppen. Jeder darf jetzt vor der Haustür parken. Die üppig angewachsenen Büscheund Bäume wurden gerodet, um die Grünanlagen wieder von Fenstern und Balkonenaus einsehbar zu gestalten. Unter dem Sichtschutz der Blätter waren nämlich so vieleVerbrechen geschehen, dass sich niemand mehr in dieses Stückchen Natur traute.Jegliche Werbung wurde zugelassen und die aller vulgärste machte sich breit. Mieterdurften bestimmen, wie die schlicht einfarbigen, wohlproportionierten Fassaden ge-78


Frauenräumestrichen werden sollten. Das wahllos bunte Ergebnis hat zumindest mir nicht gefallen.Die Kunst besteht wohl darin, durch intensive Auseinandersetzung mit den künftigenNutzern und ihrer Kultur, durch verhaltenswissenschaftliche Kenntnisse und natürlichauch durch ästhetisches Empfinden und Kreativität etwas zu schaffen, das dieBedürfnisse der unmittelbaren Benutzer erfüllt, sondern ebenso allgemeineren ästhetischenAnforderungen genügt. Denn auch Vorübergehende oder -fahrende und zukünftigeGenerationen sind Nutzer im weitesten Sinne. Beispiele wie das Sydney OperaHouse und das Frankfurter Kunstgewerbemuseum zeigen, dass wirklich gute Architekturauch heute allen Bevölkerungsschichten, Nationalitäten und Altersgruppen gerechtwerden kann.Ich fasse zusammen: Architektur allein kann soziale Probleme nicht lösen und darfnicht als Alibi missbraucht werden. Es gibt nur wenige frauenspezifische Anforderungenan Architektur. Sie sollten diskret erfüllt werden und nicht zur Ausgrenzung führen.Frauen sind durchaus in der Lage, zumindest Innenräume eher besser zu gestaltenals Männer. Man(n) muss sie nur lassen. Menschen sind unterschiedlich, wobeisich Frauen und Männer im Geschmack weniger voneinander unterscheiden als verschiedeneSozialschichten und Nationalitäten. Außerdem sind Menschen und ihre Bedürfnissewandelbar. Architektur sollte deshalb vielfältig und flexibel sein und all ihrenNutzern im weitesten Sinn dienen, anstatt nur den Bauherren, Schöpfern undanderen Eingeweihten. Zu allen Zeiten hat wirkliche Baukunst – ohne sich anzubiedern– fast alle beglückt, nicht zuletzt Frauen.DanksagungGabriele Ruoff nannte mir etliche Namen von Architektinnen und ihre Projekte.Dr. Volker Heise informierte mich über die Entstehungszeit der hier beschriebenenTrabantenstadt Bijlmermeer.Prof. Dr. med. Cornelia ThielsFachhochschule Bielefeld, Fachbereich SozialwesenKurt-Schumacher-Str. 633615 BielefeldTel. 0521/132822, E-Mail: cornelia.thiels@fh-bielefeld.de<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>79


Berichte und Beiträge aus NRWChristiane NackSchnupperstudium für Schülerinnen imnatur- und ingenieurwissenschaftlichenBereichDie Veranstaltung ging in die zweite Runde und stieß zumwiederholten Mal auf positive ResonanzAuf Initiative der Gleichstellungsbeauftragten und des Projektes „Frauen gestalten die<strong>Info</strong>rmationsgesellschaft“ der Universität Paderborn wurde auch im Herbst 2003 wiederein Schnupperstudium speziell für Mädchen und junge Frauen initiiert. Schülerinnen derJahrgangsstufen 10 bis 13 aus den unterschiedlichsten Teilen der Region erhielten an dreiTagen die Gelegenheit, sich über die Studiengänge Chemie, Elektrotechnik, <strong>Info</strong>rmatik,<strong>Info</strong>rmationstechnik, Maschinenbau, Mathematik, Physik, Wirtschaftsinformatik undWirtschaftsingenieurwesen direkt an der Universität zu informieren. Ziele des Schnupperstudiumsbestehen in der Erweiterung des Berufs- und Studienwahlspektrums jungerFrauen und im Abbau möglicher Hemmschwellen in Bezug auf naturwissenschaftlichtechnischeInhalte sowie insgesamt in der Weitergabe gezielter <strong>Info</strong>rmationen über dieentsprechenden Studiengänge.Große NachfrageDas Pilotprojekt, das im Herbst 2002 an der Paderborner Universität startete (vgl.<strong>IFF</strong> <strong>Info</strong> 20. Jg., <strong>Nr</strong>. 25/2003), erhielt auch 2003 durchweg positive Resonanz.Besonders herausragend waren die Anmeldezahlen:Bereits im Vorjahr wurde dieAnzahl der Plätze von sechzig auf knappneunzig Plätze erhöht; im Herbst 2003konnten dann jedoch letztendlich über120 Anmeldungen verzeichnet werden.Die Evaluation zeigt, dass die Teilnahmean diesem Projekt für viele Schülerinnenmit einem direkten Interesse an denverschiedenen vorgestellten Fächern einhergingsowie als <strong>Info</strong>rmationssuche undEntscheidungshilfe für die Zukunft genutztwerden sollte. Schülerinnen zeigen demnachein zunehmendes Interesse an naturwissenschaftlich-technischenFächern undmöchten sich vorab genauer über einzelneStudiengänge „vor Ort“ informieren.Erstmalig wurden gezielt auch Schülerinnender 10. Jahrgangsstufe angesprochen.120 interessierte Schülerinnen in der EinführungsveranstaltungHintergrund ist, dass Schülerinnen bereitsvor der Wahl der Leistungskurse Gelegenheit bekommen sollen, Einblicke in naturwissenschaftlich-technischeBereiche zu erhalten, und die daraus gewonnenen positivenErfahrungen eine mehr und mehr von geschlechtsspezifischen Prägungen freieFachwahl in der Oberstufe ermöglichen.80


SchnupperstudiumVorlesungen, Workshops, Rahmenprogramm...Die Studienrichtungen und die entsprechenden Berufsfelder wurden wie im vorangegangenenJahr in speziell konzipierten Vorlesungen vorgestellt, die die Schülerinnenneben allgemeinen <strong>Info</strong>rmationsveranstaltungen rund ums Studium (z.B. zum ThemaBafög, zu Jobmöglichkeiten, Freizeitangebotefür Studierende etc.) vormittags besuchten.Neben den genannten Vorträgenkonnten die Schülerinnen auch die Möglichkeitnutzen, ausgewählte reguläre Vorlesungender Fachrichtungen für die Anfangssemesterzu besuchen, um – ihreWünsche vom Vorjahr berücksichtigend– einen Eindruck davon zu gewinnen, „wiedas richtige Uni-Leben aussieht“. Außerdemkonnten persönliche Gesprächsterminemit der Studienberatung vereinbart werden.Am Nachmittag hieß es: Selber aktivausprobieren. Es bestand die Möglichkeitverschiedene Aufgaben mit einem Miniroboterin dem Workshop „KünstlicheWesen“ durchzuführen, ein virtuelles „Marionettentheaterim Internet“ oder auchchemische Experimente im WorkshopSchülerinnen im Chemie-Workshop „Vom Erdöl zum Aspirin“„Vom Erdöl zum Aspirin“ zu entwickeln.Aufgrund der positiven Rückmeldungen der Schülerinnen der Pilotveranstaltung imHerbst 2002 wurde auch wieder eine Talkrunde initiiert. Hier erhielten die Teilnehmerinnendie Möglichkeit, Einblicke in die persönlichen Erfahrungen, Studien- und Berufswegeverschiedener Frauen aus der Berufspraxis (u. a. in ortsansässigen Firmenwie Benteler, Bosch, E.ON Westfalen Weser, Hella GmbH, INCONY AG, FujitsuSiemens tätig) zu gewinnen, Realisierungsmodelle zur Vereinbarkeit von Beruf undFamilie und letztendlich positive weibliche Vorbilder kennen zu lernen.Abgerundet wurde das Schnupperstudium mit einem neuem Programmpunkt, einerFührung durch die Stadt, die auch die „Lebenswege berühmter Paderborner Frauen“integrierte. Auf diese Weise konnten gerade auch die angereisten Teilnehmerinnendas Umfeld der Paderborner Universität näher kennen lernen. Eine „Uni-Rallye“ begleitetedas Gesamtprogramm und lieferte den Schülerinnen die Möglichkeit, einzelnehochschulinterne Institutionen und Anlaufstellen kennen zu lernen und für richtigeRallye-Ergebnisse letztendlich in der Abschlussrunde einen Preis zu erhalten.Von Schülerinnen produzierte Radiosendung zum „Berufsbild der <strong>Info</strong>rmatikerin“Schülerinnen des Projekts „Jetzt bist Du dran! MiM – Mädchen in Medienberufe“erhielten die Gelegenheit, eine einstündige Radiosendung über das Berufsbild der „<strong>Info</strong>rmatikerin“zu produzieren und das Schnupperstudium für ihre Recherchen zunutzen. Hinter dem Projekttitel „MIM“ steht ein praxis- und produktorientiertes Kompaktseminarder Landesarbeitsgemeinschaft Lokale Medienarbeit NRW, das vom Schulministeriumgefördert wird und erstmalig mit großem Erfolg mit dem Schnupperstudiumverzahnt wurde. So lernten die Schülerinnen, wie Interviews geführt und Radiobeiträgegeschrieben, wie „O-Töne“ geschnitten und Sendungen moderiert werden undstellten in einem regionalen Radiobeitrag die interessanten und vielseitigen Berufsmöglichkeiteneiner <strong>Info</strong>rmatikerin heraus.<strong>Info</strong> 20.Jg. <strong>Nr</strong>.25/200381


Berichte und Beiträge aus NRWSchnupperstudium als „klasse Entscheidungshilfe“In der abschließenden Feedback-Runde wurde vor allemdas große Angebot an <strong>Info</strong>rmationsmöglichkeiten von denSchülerinnen positiv bewertet und „dass man so viele Freiheitenhatte, sich das auszusuchen, was einen wirklich interessiert hat.“Den Schülerinnen gefielen auch die Workshops, die nebenHintergrundinformationen praktische studienrelevante Anteilegeboten haben: „Die Workshops waren echt toll. Erst wurdenuns die Grundlagen erklärt, dann konnten wir selber Dingeausprobieren, die auch später im Studium vorkommen.“ Für rund85% der Teilnehmerinnen ging das Schnupperstudium insgesamtmit neuen Denkanstößen und einer genaueren Vorstellungvon einem Studium in diesen Bereichen einher.„Das Schnupperstudium ist eine klasse Entscheidungshilfe für Schülerinnen,damit wir uns leichter entschließen, einen naturwissenschaftlichenStudiengang zu belegen! Wir fühlten uns hier sehr gut aufgehoben,haben neue <strong>Info</strong>rmationen bekommen und dadurch auch neueDenkanstöße. Es hat mir bei meiner Berufsentscheidung sehr geholfen.“Aufgrund der positiven Resonanz und der großen Nachfrageist eine Weiterführung des Projekts im Herbst <strong>2004</strong>geplant.Schülerinnen in einer VorlesungKontakt:Christiane Nack, Frauenbüro, Universität Paderborn,Tel.: 0 52 51/60-32 96, E-Mail: c.nack@hrz.upb.de.82


Von der Mädchenschule zum Nobelpreis?Gisela Steins, Britta Blum, Alexandra Bremkens, Ann-KathrinFleurkens, Pia Grensemann, Melanie Platzköster, Christiane Roth,Sven Sach, Benedikt Sunderhaus & Melanie UnglaubVon der Mädchenschule zum Nobelpreis?Die Berufswünsche von Abiturientinnen monoedukativer Gymnasien sowie Jungen und Mädchenkoedukativer Gymnasien werden miteinander verglichen. Die Ergebnisse der Forschungin diesem Bereich weisen Inkonsistenzen auf, die in der vorliegenden Untersuchung ebenfallsauftreten und unter dem Aspekt weiterführender Forschung in diesem Bereich diskutiertwerden.Die folgende Untersuchung wurde durch die Diskussion verschiedener Beobachtungssträngeim Bereich der geschlechtsspezifischen Identitätsentwicklung angeregt, nämlichdurch (1) die statistischen Befunde zur Berufswahl von Jungen und Mädchen, (2)die innerhalb der Koedukationsdebatte zusammengetragenen Ergebnisse und (3) denVersuch der weiterführenden Schulen in NRW, Profile auszubilden.Geschlechtsspezifische BerufswahlDer Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Ungleichverteilung von Jungen undMädchen auf verschiedene Berufsfelder (Statistisches Bundesamt 2003). Die Zahlenhierzu zeigen, dass trotz der durchschnittlich besseren Schulleistungen von Mädchenim Vergleich zu Jungen, Jungen eine Berufswahl zu treffen scheinen, die ihnen, biographischbetrachtet, längerfristig stärkere Anerkennung, bessere Aufstiegschancen, einhöheres Gehalt und größeres Prestige sichert (Stainton Rogers/Stainton Rogers 2001,Steins 2003). Der Zusammenhang zwischen schulischer Leistung und späterem beruflichenErfolg ist also bei Männern proportional, bei Frauen disproportional. Dieseungleichen Zusammenhänge kommen vor allem dadurch zustande, dass Jungen vorwiegendklassisch männliche Berufe wählen, die in unserer Gesellschaft auf mehr Anerkennungstoßen, Mädchen hier jedoch zurückhaltend sind, und ihre Präferenzen überwiegendauf weibliche Domänen beschränken, die längerfristig weniger Anerkennungversprechen (Maccoby 2000, Steins 2003).Ko- und MonoedukationDie Debatte um Vor- und Nachteile der Mono- bzw. Koedukation geht grundsätzlichdarum, bereits im schulischen Vorfeld Bedingungen zu schaffen, in denen Mädchenmehr Selbstvertrauen in die eigenen Kompetenzen in Hinblick auf klassisch männlicheDomänen entwickeln können, also insbesondere im mathematisch-naturwissenschaftlichenBereich (Hannover/Kessels 2001) und neuerdings auch im Bereich der<strong>Info</strong>rmationstechnologien. Die Forschung hierzu zeigte jedoch, dass es, auch wennman die methodisch immensen Probleme jeder Feldforschung berücksichtigt (Rost/Pruisken 2000), hierzu keine einheitlichen Ergebnisse gibt (vgl. z.B. Stürzer/Roisch/Hunze/Cornelißen 2003, Rendtorff 2003). Im Rahmen der reflexiven Koedukation(Faulstich-Wieland 1991) geht man deshalb davon aus, dass der Faktor Geschlecht fürden Lehrkörper ein Thema sein sollte, um die Bedingungen für Mädchen und Jungengleichberechtigt zu gestalten (Kraul/Horstkemper 1999).Eine Untersuchung und neue Überlegungen zur Debatte Monoedukation-KoedukationProfilbildung weiterführender Schulen in NRWUmso erstaunlicher ist es, dass im Zuge der Profilbildung der weiterführenden Schulenin NRW die bisherigen Ergebnisse der Koedukationsdebatte dennoch einseitig<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>83


Berichte und Beiträge aus NRW„vermarktet“ werden. In einer Reihe von Profilen von Mädchengymnasien wird Monoedukationals ein klarer Vorteil dargestellt, der darin bestehe, dass Mädchen unterMädchen mehr Selbstvertrauen in den klassisch männlichen Domänen entwickelnkönnten.Vorliegende FragestellungDie Ergebnisse der Koedukationsdebatte lassen sich nicht so einfach zusammenfassenwie es aus der Profilbildung monoedukativer Gymnasien hervorgeht, sondernführen zu dem Ausgangspunkt, dass es eine Vielzahl von Faktoren gibt, die Bedingungenfür Jungen und Mädchen gleich förderlich machen; Bedingungen, die möglicherweisenicht nur durch den Faktor Geschlecht zu beschreiben sind.Um den jetztigen Stand der Dinge auch empirisch zu schärfen, starteten wir imJanuar <strong>2004</strong> die vorliegenden Untersuchungen in Essen. Wir wählten zunächst für dieerste Untersuchung ein Einzugsgebiet in Essen aus, in dem sich zwei koedukativeGymnasien und ein monoedukatives Gymnasium befinden. Innerhalb dieser verschiedenenSchularten führten wir eine Befragung in den Leistungskursschienen der jeweiligenGymnasien durch. Der Charakter unserer Untersuchungen war explorativ: Folgenwir der Argumentation im Profil der monoedukativen Schulen sollten wir dorthäufiger als in koedukativen Schulen beobachten können, dass Mädchen hier eineBerufswahl treffen wollen, die in klassisch männlichen Domänen liegt. Folgen wirhingegen den Ergebnissen der Koedukationsdebatte, sollte es sehr wahrscheinlichsein, dass wir keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen finden.VorgehensweiseBerufswahlMit verschiedenen Methoden haben wir versucht, den Berufswunsch der Schüler undSchülerinnen zu erfassen. Zunächst sollten sie eine Prioritätenliste von unterschiedlichenBerufsfeldern erstellen. Die Frage war: „In welchem Bereich möchtest Du später arbeiten?“Es wurden elf verschiedene Bereiche aufgeführt, die nach ihrer Beliebtheit von 1(der Bereich, der dich am meisten interessiert) bis 11 (der Bereich, der dich am wenigsteninteressiert) geordnet werden sollten. Die Bereiche lauteten: musikalisch-künstlerisch,sprachlich, sportlich, mathematisch-naturwissenschaftlich, technisch, handwerklich,gesellschaftlich-geisteswissenschaftlich, kaufmännisch-wirtschaftlich, sozial, medizinisch.Der letzte Bereich wurde für individuelle Nennungen offen gelassen.Danach folgten die Fragen „Was ist Dein Berufswunsch?“ und „Wenn Du ein Studiummachen möchtest, welches?“.Aktuelle fachliche InteressenUm <strong>Info</strong>rmationen über die derzeitigen fachlichen Interessen zu bekommen fragtenwir nach den belegten Leistungskursen und dem Lieblingsfach.KontrollvariablenWir hatten zwar im Vorfeld darauf geachtet, dass die in die Untersuchung einbezogenenSchulen ein vergleichbares Einzugsgebiet aufweisen, dennoch entschieden wiruns dafür, weitere Variablen zu erheben, die möglicherweise die späteren Berufsinteressenbeeinflussen könnten: (1) das Geschlecht und das Fach des/der Lieblingslehrers/in, (2) welche Schulform (mono- oder koedukativ) Vater/Mutter/Geschwister besuchthaben, (3) das Berufsfeld des Vaters/der Mutter/der Geschwister.84


Das Setting der BefragungIn Absprache mit der jeweiligen Direktion haben wir Mitte Januar <strong>2004</strong> insgesamt 174Schüler/innen befragt. Die koedukativen Gymnasien liegen in unmittelbarer Nachbarschaftund kooperieren wegen knapp belegter Leistungskurse, so dass hier von einerVergleichbarkeit ausgegangen werden kann. 46 Schüler/innen (82.1%) stammen ausder einen Schule, 10 Mädchen (17.9%) aus der anderen Schule. Es gibt hinsichtlich dererhobenen Variablen keinerlei Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen, so dasssie im weiteren als eine Gruppe betrachtet wird. In einem ähnlichen Einzugsgebietliegt das Mädchengymnasium, in dem wir die Parallelerhebung durchgeführt haben.Das Erhebungsgebiet der Schulen spiegelt ein eher bürgerliches und ökonomisch gehobenesMilieu wieder.Die Schüler/innen füllten in den jeweiligen Kursen den Fragebogen jeweils in Anwesenheitdes/der jeweiligen Lehrers/Lehrerin und einer Person unserer Arbeitsgruppeaus, die für Rückfragen zur Verfügung stand. Sie bekamen vorab die sowohl mündlichals auch schriftlich kurz gehaltene Instruktion, sie würden zu ihren beruflichen Interessenbefragt werden.ErgebnisseÄquivalenz der StichprobenInsgesamt nahmen an der Befragung 174 Schüler/innen teil. Die Mädchen der monoedukativenSchule waren durchschnittlich 18.9 Jahre alt (SD = 0.87; N = 58), dieMädchen der (2) koedukativen Schulen 18.57 Jahre (SD = 0.60; N = 56), die Jungender koedukativen Schulen 18.88 (SD = 0.67; N = 60). Die Anzahl der Geschwister inbeiden Gruppen ist vergleichbar (M MonoMäd= 1.40, SD = 1.01; M KoMäd= 1.21, SD =1.06; M KoJun= 1.30, SD = 0.94). Auch bezüglich der Berufsfelder, die für die Elternangegeben wurden, ergaben sich keinerlei Unterschiede.Vorab ist anzumerken, dass weder die Berufsfelder der Eltern, noch das Geschlechtder Lieblingslehrperson bedeutsam mit den Berufs-, Studienwünschen oder Fächerwahlender Schüler/innen einherging.Klassisch männlich oder nicht?Die Angaben zur Berufswahl lassen sich unter mehreren Gesichtspunkten auswerten.Für die vorliegende Fragestellung schätzen wir ein, ob ein klassisch männliches Berufsfeldals Tätigkeitsbereich gewünscht wird oder nicht. Hierfür wurden die jeweiligenBerufsfelder/Berufs- und Studienwünsche sowie Fächer der Oberstufe von unsererArbeitsgruppe blind als klassisch männlich oder nicht klassisch männlich eingeschätzt. DieBereiche sportlich, mathematisch-naturwissenschaftlich, technisch, handwerklich, kaufmännisch-wirtschaftlichund medizinisch wurden als klassisch männliche Berufsfelderbetrachtet.Die Berufe wurden entsprechend ihres Hauptmerkmals in Bezug auf diese Felderebenfalls als klassisch männlich oder nicht klassisch männlich eingeschätzt. „Der Arzt“ istbeispielsweise noch immer der gängigere Begriff als „die Ärztin“. Auch ist „der Profisportler“im Alltagsbewusstsein präsenter als „die Profisportlerin“. Der Lehrberufhingegen ist nicht unbedingt ein klassisch männlicher Beruf, auch nicht Modedesigner.Die Fächer ließen sich ebenfalls so einordnen: Physik, Chemie, Mathematik und Sportsind eher klassisch männliche Fächer.Die beruflichen BereicheBetrachten wir hier die jeweiligen Häufigkeiten für die Einschätzungen 1 (größtesInteresse) und 11 (geringstes Interesse) zeigt sich, dass sich die drei Gruppen in ihrenVon der Mädchenschule zum Nobelpreis?<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>85


Berichte und Beiträge aus NRWAngaben nur hinsichtlich dreier Berufsfeldern statistisch bedeutsam unterscheiden.Wie zu erwarten lehnen bedeutsam mehr Jungen (N Jun= 19) als Mädchen (N MonoMäd=6; N KoMäd= 5) einen Beruf im musikalisch-künstlerischen Bereich ab und geben seltenerhierfür eine Präferenz an (N Jun= 7; N MonoMäd= 10; N KoMäd= 11; χ 2 (4) = 10.42, p


Von der Mädchenschule zum Nobelpreis?Die LeistungskurswahlDie Häufigkeitsverteilungen hinsichtlich der Leistungskurswahl weicht sowohl für Leistungskurs1 (χ 2 (2) = 9.25, p < .01) als auch für Leistungskurs 2 (χ 2 (2) = 7.59, p < .02)signifikant von der erwarteten Häufigkeitsverteilungab. Die Abweichungen ergeben sichaus der Wahl der Mädchen des koedukativenGymnasiums. Die Mädchen der koedukativenGruppen wählen relativ selten einen Leistungskursaus einem klassisch männlichen Feld(N Jun= 16; N MonoMäd= 16; N KoM äd=4 für LK1;N Jun= 8; N MonoMäd= 12; N KoMäd= 2 für LK2)und entsprechend häufiger einen Leistungskursaus einem nicht klassisch männlichenBereich (N Jun= 44; N MonoMäd= 42; N KoMäd=52für LK1; N Jun= 46; N MonoMäd= 54; N KoMäd= 54für LK2). Sie unterscheiden sich daher signifikantvon den anderen Schülerinnen (χ 2 (1) =8.23, p < .004 für LK1 und χ 2 Abb.3: Leistungskurswahl in Abhängigkeit von Mono- bzw. Koedukation(1) = 7.75,p < .005 für LK2), die mit den Jungen vergleichbarePräferenzen aufweisen. In Abbildung 3 sind die Häufigkeiten für die Kombinationder Leistungskurswahl wiedergegeben (siehe auch Tabelle 1). Die beiden Mädchengruppenunterscheiden sich statistisch hoch signifikant voneinander.Das LieblingsfachEs gibt keine statistisch bedeutsamen Unterschiede in Bezug auf das Lieblingsfachder Schüler/innen. Jeweils 12 Personen aus den drei Gruppen präferieren ein Fachaus einem klassisch männlichen Bereich. Die Mehrzahl aller Schüler und Schülerinnenpräferiert jedoch ein Fach aus einem nicht klassisch männlichen Bereich. Gleicht mandas Lieblingsfach inhaltlich mit der Leistungskurswahl ab, so zeigt sich, dass nur 19Jungen ihr Lieblingsfach als Leistungskurs gewählt haben (36.5%), im Gegensatz zu31 Mädchen der mono- (46.9%), und 23 Mädchen der koedukativen Schule (57.4%).33 Jungen haben nicht ihr Lieblingsfach als Leistungskurs gewählt (63.5%). Dies giltauch für 23 Mädchen der mono- (53.1%), und 26 Mädchen der koedukativen Schule(42.6%).ZwischenbilanzDie Befunde sind teilweise erwartungskonträr. Wenn wir Unterschiede aufgrund derProfilbildung monoedukativer Gymnasien erwartet hätten, dann nicht in die Richtung,dass Mädchen monoedukativer Schulen weitaus seltener als Mädchen koedukativerSchulen einen Beruf und ein Studium in einer klassisch männlichen Domäne anstreben.Erwartungskonsistent mit der Profilbildung von Mädchengymnasien fällt hingegendie Wahl der Leistungskursfächer aus. Es ist auffallend, wie deutlich die beiden Mädchengruppenhier voneinander abweichen: Die Mädchen der monoedukativen Schule zeigenein mit den Jungen der koedukativen Schule vergleichbares Präferenzverhalten.Dennoch finden wir keine Unterschiede hinsichtlich des Lieblingsfaches. Wie könnenwir dieses Datenmuster bewerten?Die Ergebnisse zur Studiums- und Berufswahl lassen keinesfalls den einfachenSchluss zu, dass Mädchen auf koedukativen Schulen freier ihre maskulinen Fähigkeitenentfalten können, weil dies durch die Leistungskurswahl nicht bestätigt werdenkann, jedoch wiederum durch ihre Interessen für den sportlichen Bereich. Gleicher-<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>87


Berichte und Beiträge aus NRWweise gilt dies für die Mädchen der monoedukativen Schule. Auch hier kann eineInterpretation auf den ersten Blick, Mädchen wären in einem geschützteren Raum, indem sie sich freier entfalten könnten – wie sich durch die Wahl der Leistungskurse zubestätigen scheint – nicht gehalten werden, wenn wir uns die Studiums- und Berufswünschegenauer anschauen und ebenfalls die Interessen für den sozialen Bereich. Interessantist jedoch, dass die Studiums- und Berufswünsche und auch die Wahl der Leistungskursenicht unbedingt konsistent mit dem Lieblingsfach der befragten Schülerund Schülerinnen ist – dies gilt für alle drei Gruppen gleichermaßen.Kann es also sein, dass Jungen und Mädchen unter einem bestimmten Druck stehen,einem bestimmten Profil zu entsprechen und sich deshalb in ihrem aktuellenKontext dementsprechend anpassen? Die Bewertung der Ergebnisse fällt besondersschwer, weil dieses Datenmuster konträr zu unserem breiten Erwartungsspektrumliegt und wir nur ein einziges monoedukatives Gymnasium in die Befragung einbezogenhatten. Aus diesem Grund entschlossen wir uns für eine Nacherhebung, die EndeJanuar erfolgte.NacherhebungHierzu wurde ein weiteres Mädchengymnasium kontaktiert, welches aus Mangel anAlternativen einen anderen Einzugsbereich als das bereits beschriebene Mädchengymnasiumumfasst. Der Einzugsbereich dieser Schule zeichnet sich dadurch aus, dass ersich über das gesamte Stadtgebiet erstreckt. In zwei Kursen wurden insgesamt 35Tab .1: Überblick über die gesamten Ergebnisse: Statistische KennwerteMädchen befragt, die durchschnittlich 18.60 Jahre (SD = 0.69) alt waren. Wenn wir dieWerte in Tabelle 1 betrachten, dann erstaunen die Unterschiede zwischen den beidenmonoedukativen Mädchengruppen hinsichtlich des gewünschten Berufes und des gewünschtenStudiums.Mehr als doppelt soviel der bei der Nacherhebung befragten Mädchen wünscheneinen Beruf in einem klassisch männlichen Feld als bei den Mädchen der monoedukativenGruppe der ersten Befragung. Ein vergleichbares Datenmuster finden wir fürdie Studiumswünsche. Bezüglich Berufs- und Studiumswunsch verhalten sich die Mäd-88


chen der koedukativen Schule und diejenigen der Nacherhebung vergleichbar. Aucheine vergleichbar hohe Zahl hat ihr Lieblingsfach zum Leistungskurs gewählt (N = 19;61.3%). Hinsichtlich der Wahl der Leistungskurse finden wir auch in dieser Gruppewie in der anderen monoedukativen Gruppe, dass die Wahl der LKs häufiger in eineklassisch männliche Domäne fällt als bei den Mädchen der koedukativen Schule.GesamtdiskussionInsgesamt spiegeln die Daten folgendes Muster wieder:1. Es gibt keinen systematischen Zusammenhang zwischen dem Faktor Ko-/Monoedukationund den Berufs- und Studienwünschen der befragten Mädchen.2. Mädchen auf monoeduaktiven Gymnasien wählen auffallend häufiger als Mädchenauf koedukativen Gymnasien Leistungskurse, die in eine klassisch männliche Domänefallen.3. Insgesamt finden wir bei einem Vergleich von Jungen und Mädchen, dass Jungenauffallend häufiger als Mädchen – egal welchen Schultyps – ein Studium anstreben,das in eine klassisch männliche Domäne fällt.SchlussfolgerungenWir ziehen aus diesen drei Beobachtungen zunächst folgende Schlüsse:1. Mädchen genießen keine eindeutig definierbaren Vor- und Nachteile einerko-/monoedukativen Schulbildung. Es müssen andere Beeinflussungsfaktoren wirksamsein, sonst würden wir die Unterschiede in dieser Deutlichkeit nicht bei denbeiden monoedukativen Gruppen beobachten können.2. Die vergleichbare LK-Wahl der Mädchen auf den monoedukativen Gymnasien(trotz der deutlich unterschiedlichen beruflichen und studienbezogenen Interessen)könnte darauf hinweisen, dass im Rahmen der Schule Mädchen monoedukativerSchulen ein breiteres Interessenspektrum entwickeln. Möglicherweise werden sievon dem jeweiligen Lehrkörper aber auch eher dazu angehalten, sich im Sinne einerProfilbildung der Schule so zu verhalten.3. Die Unterschiede zwischen den Jungen und der Gesamtheit der Mädchen bezüglichdes angestrebten Studiums zeigen, dass Jungen zu einem relevanten Zeitpunkt ihrerBiographie (kurz vor dem Abitur) eine Ausbildung planen, die ihnen, falls sieauch beruflich auf diesem Felde tätig werden sollten, ein höheres Prestige und einhöheres Einkommen verschaffen wird.AusblickUnsere Untersuchung hat bei uns mehrere Fragen aufgeworfen. Die Berufswünscheund Studienwünsche könnten auch nach anderen Gesichtspunkten als lediglich nachklassisch männlich oder nicht eingeteilt werden, so zum Beispiel nach dem Gehalt(vgl. Steins/Sprehe 2003). Auch die subjektiven Gründe für die beruflichen und ausbildungsbezogenenInteressen wären interessant.Abschließend verweist die Untersuchung vor allem auf einen Punkt: Die durchgeführte,kleine Befragung führt zu den klassischen Problemen des Untersuchungsfeldes.Die Kontrolle der grundsätzlich wirksamen Variablen kann erst erfolgen, wenn diesedeutlich werden. Deshalb könnte es ein hilfreicher Grundsatz für die Forschung indiesem Bereich sein, die Kategorie Geschlecht nicht mehr als entscheidende Variablezu betrachten, sondern stets als Variable in Wechselwirkung mit grundlegenden Prozessen.Ein solcher grundlegender Prozess könnte ein subtiler Erwartungsdruck der Umgebungsein, der differenziert mit dem Faktor soziales Geschlecht interagiert.Ein Anhaltspunkt hierfür in den vorliegenden Daten ist darin zu finden, dass dieMädchen der monoedukativen Gymnasien sich ganz im Sinne der jeweiligen Profilbil-Von der Mädchenschule zum Nobelpreis?<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>89


Berichte und Beiträge aus NRWdung ihrer Schulen verhalten: Während das erste Gymnasium hier den Schwerpunktauf Sozialverhalten legt und wir finden, dass die Mädchen auch in diesem Bereich einstarkes berufliches Interesse entwickeln, finden wir analog, dass die Mädchen der zweitenmonoedukativen Schule mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaften hier ein großesberufliches Interesse entwickeln. Mädchen und Frauen sind konformistischer –im Sinne einer expressiv-interpersonellen Ausrichtung sind sie an den Wünschen dersozial relevanten Umgebung orientiert (Alfermann 1994). Möglicherweise gelingt dieseEichung auf das Profil einer Schule besonders gut, wenn die Gruppe homogen ist,also Mädchen unter sich sind. Eine komplexe Analyse solcher grundlegenden Prozesseund ihrer Wechselwirkungen mit dem sozialen und biologischen Geschlecht wirdlängerfristig zu mehr Klarheit in diesem Forschungsgebiet führen.Könnte unsere These einer Wechselwirkung der höheren Beeinflussbarkeit mit demsozialen Geschlecht in einer homogenen Umgebung nachgewiesen werden, müsstenEltern und Lehrkörper die Profilbildung und deren Umsetzung äußerst ernst nehmen.Diese hätte nämlich dann einen so enormen Einfluß auf die Schüler/innen, dassSchulen möglichst bald angehalten werden sollten, ihre Arbeit zu evaluieren.Halten wir zunächst als gewagte und provokant formulierte These – die unserezukünftige Forschung auf diesem Gebiet leiten wird – fest: Wenn Sie eine Tochter haben,die Nobelpreisträgerin der Mathematik werden soll, wählen Sie eine Mädchenschule und achten Sieauf deren Profil. Ansonsten wird Sie wahrscheinlich „nur“ Mathematiklehrerin.Prof. Dr. Gisela Steins,Universität Duisburg-Essen, FB 2,Universitätsstraße 12,45117 Essen,Email: gisela.steins@uniessen.de.LiteraturAlfermann, Dorothee: Geschlechterrollen und geschlechtstypisches Verhalten, München, 1994.Faulstich-Wieland, Hannelore: Koedukation – enttäuschte Hoffnungen? Darmstadt 1991.Gemein, Elisabeth: Auf dem Weg zur geschlechterbewussten Schule. Konzept der Mädchenförderungam Mädchengymnasium Essen-Borbeck – Verbindung mit der Arbeit amSchulprogramm, in: Barbara Koch-Priewe (Hrsg.), Schulprogramme zur Mädchen- undJungenförderung, Weinheim 2002.Hannover, Bettina/Kessels, Ursula: Monoedukativer Anfangsunterricht in Physik in der Gesamthochschule,in: Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie,33, 2001, S. 201-215.Kauermann-Walter, Jaqueline/Kreienbaum, Maria Anna/Metz-Göckel, Sigrid: Formale Gleichheitund diskrete Diskriminierung: Forschungsergebnisse zur Koedukation, in: Rolff, Hans-Günter/Klemm, Klaus/Pfeiffer, Hermann/Rösner, Ernst (Hrsg): Jahrbuch derSchulentwicklung (Band 5, 157-188), Weinheim 1988.Kraul, Margret/Horstkemper, Marianne: Reflexive Koedukation in der Schule. Evaluation einesModellversuchs zur Veränderung von Unterricht und Schulkultur, Mainz 1999.Maccoby, Eleanor E.: Psychologie der Geschlechter, Stuttgart 2000.Rendtorff, Barbara: Kindheit, Jugend und Geschlecht, Berlin 2003.Rost, Detlef H./Pruisken, Christiane.: Vereint schwach? Getrennt stark? Mädchen und Koedukation,in: Zeitschrift für Pädagogische Psychologie 14, 2000, S. 177-193.Stainton Rogers, Wendy/Stainton Rogers, Rex: The psychology of gender and sexuality. Philadelphia,2001.Statistisches Bundesamt: Zur Berufswahl junger Frauen. Pressemitteilung vom 6. Mai 2003.www/destatis.de/presse/deutsch/pm2003/p1780071.htm.Steins, Gisela: Die Entwicklung von Mädchen zu Frauen und Jungen zu Männern. Perspektivenauf die Entwicklung geschlechtsspezifischer Identität, Lengerich 2003.Steins, Gisela/Sprehe, Birgit: Maskulin oder schön, Mann oder Frau? Maskulin schön!, in:Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum, Jg. <strong>Nr</strong>. 25, 2003, S. 7-15.Stürzer, Monika/Roisch, Henrike/Hunze, Annette/Cornelißen, Waltraud: Geschlechterverhältnissein der Schule, Opladen 2003.90


Tagungsbericht„Women’s Studies in the New Milennium: Does thefuture belong to us?“Denkt man an Zypern, ist damitmeist der griechische Teil vonZypern gemeint, zumeist verbundenmit Bildern von Meer,Strand und Urlaub. Dass es einennördlichen und südlichenTeil gibt, der durch eine für dieZypriotInnen selbst nahezu undurchlässigeGrenze mit einersogenannten Green Line getrenntist, rückte wohl erst inletzter Zeit (wieder oder erstmalsso richtig) durch die Diskussionum den geschlossenen Beitrittder Gesamtinsel in die EU insBewusstsein. Ein Beitritt, derdurch die negative Abstimmungim südlichen, d.h. griechischen Teil der Insel verhindertwurde. Bislang unbekannt war uns auch, dass esin der TRNC (Turkish Republic of Northern Cyprus)an einer der sechs Universitäten ein Women’s StudiesCenter gibt, auf das wir nun erstmals durch die Einladungzur Konferenz „Women’s Studies in the New Milennium:Does the future belong to us?“ aufmerksamwurden; einer Einladung, der wir gerne gefolgt sind.Das Center for Women’s Studies an der Eastern MediterraneanUniversity in Farmagusta wurde vor sechsJahren gegründet. Laut seiner Selbstbeschreibung undden Erzählungen der dort arbeitenden Frauen, fördertdas Zentrum vor allem Diskussionen der Frauen- undGeschlechterforschung, in dem es z.B. entsprechendeAssoc. Prof. Dr. Gül Celkan, Direktorin des EMU-Centre of Women’sStudies (3. von links) und ihr TeamVortrags- und Austauschprogrammeorganisiert. Es widmet sich darüberhinaus gleichstellungspolitischenFragen inner- aber auch außerhalbder Universität und bietetvor allem für den weiblichen wissenschaftlichenNachwuchs spezielle(Förder-)Programme an, um dieseauf Führungsaufgaben in allen gesellschaftlichenBereichen vorzubereitenund speziell bei einer akademischenKarriere zu unterstützen.Ziel dieser ersten internationalenKonferenz des Zentrums war es,Projekte und Initiativen der FrauenundGeschlechterforschung aus unterschiedlichenLändern zusammenzu bringen und die internationaleVernetzung des Zentrums mit anderen Institutionender Frauen- und Geschlechterforschung auszubauen.An der Konferenz nahmen 65 Wissenschaftlerinnenaus 15 Ländern und unterschiedlichen Disziplinen(Sozialwissenschaft, Erziehungswissenschaften, Geschichtswissenschaft,Sprach- und Literaturwissenschaften,Wirtschaftswissenschaften) teil.Einen Schwerpunkt der Tagung bildeten Beiträgezur Situation von Frauen in (Nord-)Zypern und derTürkei. Diese, in der Mehrzahl von WissenschaftlerInnenaus den beiden Ländern selbst gehaltenen Beiträge,vermittelten einen guten Ein- und Überblick überderzeitige Forschungsschwerpunkte der Frauen- undGeschlechterforschung in Nordzypernund der Türkei. Gleichzeitigwurde deutlich, dass sich die Forschungsfragenund -themen der zypriotischenund türkischen KollegInnenim Wesentlichen nicht vonunseren eigenen Forschungsfragenund -themen oder denen anderer„westlicher“ KollegInnen unterscheiden.In diesen thematischenBlock gehörten z.B. Vorträge zurSelbstwahrnehmung weiblicher Managerinnen,über Auswirkungen derPrivatisierung und Globalisierungauf die weibliche Erwerbstätigkeit inder Türkei, zur Entwicklung und<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>91


TagungsberichtVeränderung der weiblichen Erwerbstätigkeit in Nordzypern,über Modelle des Dual-Carreer Lifestyle in derTürkei, zur Reproduktion von Geschlechterverhältnissenin und durch die Medien, zur Rolle der Frauen inder zypriotischen Minderheit der Roma und Sinti, zum„klassischen“ Problemfeld der Work-Life-Balance.Weitere Themenblöcke der Tagung,auf denen Beiträge aus unterschiedlichenLändern präsentiertwurden, waren: Frauen in Naturwissenschaftund Technik, Einkommenund Geschlecht, Repräsentationenvon Geschlechterbildern in der Literatur,Mutterschaft in unterschiedlichenKulturen sowie Frauen, Karriereund Führung. Im Rahmen dieserSchwerpunkte hielten auch wirunsere beiden Vorträge; BirgittaWrede zu ihrem Forschungsschwerpunkt„Money and Gender“ undAnina Mischau aus ihrem laufendenForschungsprojekt „Doing Genderin Mathematics“.Kritisch ist leider anzumerken,dass etwa die Hälfte der Beiträge,trotz des internationalen Anspruchsder Tagung, auf türkisch gehaltenwurden. Bei diesen, parallel zu denenglischsprachigen Veranstaltungen stattgefundenenSessions blieben die türkischsprachigen Teilnehmerinnenzwangsläufig unter sich, was den intendierten internationalenAustausch erschwerte. Auf den vielen englischsprachigenSessions, in denen auch türkische undzypriotische KollegInnen mit Beiträgen vertreten waren,in den Pausen und anderen „Social Spaces“ warder wissenschaftliche und interkulturelle Austausch dagegensehr groß. Hier sind, neben Ideen zu gemeinsamenForschungsprojekten, die Grundlagen für einenweiteren Austausch und den Aufbau einer Vernetzunggeschaffen worden, an dessen Ausbau das <strong>IFF</strong> in Zukunftaktiv beteiligt sein wird.Die überaus offene und warmherzige Atmosphäre währenddes gesamten Kongresses und nicht zuletzt dasKonferenzdinner in dessen späteren Verlauf die zypriotischenund türkischen KollegInnen uns „Ausländerinnen“in traditionelle nationale Tänze „einwiesen“,lässt sich wohl am besten mit dem Satz beschreiben:Der Kongress tanzt„Wir kamen als Fremde und gingen als Freunde“. Allesin allem eine überaus gelungene Tagung, die deneigenen wissenschaftlichen wie kulturellen „Horizont“der TeilnehmerInnen deutlich erweiterte. Es bleibt zuhoffen, dass die geplante Wiederholung in zwei Jahrenrealisiert werden kann.Anina Mischau und Birgitta WredeInterdisziplinäres Frauenforschungs-Zentrum (<strong>IFF</strong>)Universität BielefeldEmails: anina.mischau@uni-bielefeld.de undbirgitta.wrede@uni-bielefeld.de92


RezensionenArlie Russell Hochschild: Keine Zeit. Wenn dieFirma zum Zuhause wird und zu Hause nurArbeit wartet. Opladen, Leske + Budrich 2002,305 Seiten, 18,00 €, ISBN: 381003620XKeine Zeit – Ein Blick in die Innenwelt amerikanischerFamilien und eine mögliche Zeitreise indie Zukunft deutschen Familienlebens„Während meiner erstenRecherchewochefür dieses Buch gab eseinen Moment, in demes mir schien, dass derGegenstand meiner Untersuchungwomöglichgar nicht existierte“(Hochschild 2002, S.XXV)Mit diesem Rückblickauf den eigenen ForschungsprozessbeginntHochschilds Einleitungzu ihrer Studie „KeineZeit“ („The TimeBind“). Geplant hatte Hochschild eine Fallstudie überdie Umsetzung des Work-Life-Balance Programmes beiAmerco, einem amerikanischen Unternehmen, das indem Ruf stand, Vorreiter einer familienfreundlichenPersonalpolitik zu sein. Untersucht werden sollte dieUmsetzung dieses Programms, seine Akzeptanz bei denBeschäftigten und die Folgen für das Familienleben.Dieses ‚Best Practice –Beispiel‘ hatte einen einzigenSchönheitsfehler – obwohl die Eltern über Zeitnot klagten,nutzten sie die Möglichkeiten dieses Programmskaum.„Nur drei Prozent aller Beschäftigten mit Kindernvon 13 Jahren und jünger arbeiteten Teilzeit. Ein Prozentmachte Job Sharing. Ein Prozent nutzte die Möglichkeitdes flexiblen Arbeitsplatzes. Ein Drittel der berufstätigenEltern machte Gebrauch von flexiblen Arbeitszeiten,aber viele arrangierten nur einen unverändertenNeun- oder Zehnstundentag um ihre übrigenAlltagstermine herum. Ein paar junge Väter hatten sichinformell beurlauben lassen, aber im ganzen Unternehmengab es nur einen Mann, der ganz offiziell im Elternurlaubwar. Ich stand vor einem Rätsel“ (Hochschild2002, S. XXVI).Wie Arlie Russel Hochschild dieses Rätsel löst undwelche Einblicke sie nicht nur in das Familienleben undden Arbeitsalltag der Beschäftigten, sondern auch indie Unternehmenskultur von Amerco gewinnt, das alleinmacht dieses Buch zu einer Fundgrube nicht nurfür die Familiensoziologie. Dass dieses Buch aber weitmehr als eine sorgfältige Fallstudie über die letztlichgescheiterte Umsetzung eines Work-Life-Balance Programmsist, ist dem wissenschaftlichen Spürsinn, derBeobachtungsgabe und der soziologischen Phantasievon Hochschild zu verdanken. Dank ihrer Fähigkeit,neue Fragen aufzuwerfen und an Einzelfällen gesellschaftlicheTrends wie im Brennglas sichtbar zu machen,ist dieses Buch, das in den USA längst zu einemBestseller geworden ist, zu einer Studie über die kulturelleDominanz der Erwerbsarbeit und die Folgen fürdas Familienleben geworden.In eindrucksvollen und spannend geschriebenenPortraits beschreibt Hochschild das Alltagsleben derBeschäftigten am Arbeitsplatz und zu Hause und sienimmt dabei alle Ebenen der betrieblichen Hierarchiein den Blick, von den untersten Rängen in der Fertigungbis in die Chefetagen. Sie beschränkt sich nichtdarauf, die Beschäftigten am Arbeitsplatz zu befragen,sie folgt ihnen auf dem Nachhauseweg, begleitet siebeim Abholen der Kinder, nimmt am Abendessen teilund beobachtet die abendlichen Familienrituale. Sie untersuchtaber auch die mikropolitischen Aushandlungsprozesseim Betrieb, die Bedeutung von Familienfotosauf den Schreibtischen von Managern und weiblichenAngestellten, sie nimmt an firmeninternen Meetingsund Workshops teil und wertet Firmenstatistiken aus.Und sie verknüpft ihre Beobachtungen zu Hauseund am Arbeitsplatz in einer Weise, die ein neues Lichtauf beide Lebensbereiche wirft. Sie stellt fest, dass fürdie Befragten der Arbeitsplatz zu einem Ort der Anerkennungund der Wertschätzung geworden ist, zu einemOrt vielfältiger sozialer Beziehungen, freundschaftlicherVerbundenheit, emotionaler Unterstützungund Momenten der Entspannung, die es zu Hauseimmer weniger gibt. Im Gegenzug wird die Zeit zuHause immer knapper und stressiger. Verkürzt aufwenige Stunden „Quality Time“am Abend und am Wochenendegerät das Familienleben zunehmend unterein tayloristisches Zeitregime. Familiale Tätigkeiten werdenverdichtet und rationalisiert und in immer kürzereZeiteinheiten gepackt, Familienleben findet auf Knopfdruckund in einem engen Zeitkorsett statt. Obgleichdiese zweite oder gar dritte Schicht, wenn die Folgendieses Zeitdrucks wieder aufgefangen werden müssen,von den Eltern ein Höchstmaß an Anstrengung abverlangt,bleibt sie in gewisser Weise unsichtbar, es gibtkeine Anerkennung dafür, keine Anstecknadeln wie beiAmerco, keine Rituale der Anerkennung und Wertschät-<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>93


Rezensionenzung. Die Folge davon ist, dass die von HochschildBefragten das Zuhause mehr und mehr wie einen Arbeitsplatzerleben, während sie sich am Arbeitsplatzwie zu Hause fühlen, nicht zuletzt dank einer Unternehmenskultur,die Elemente des Familienlebens aufgegriffenund in die betriebliche Arbeitswelt integriert hat.Diese emotionale Umpolung zwischen der Arbeitund dem Zuhause sieht Hochschild als wesentliche Ursachefür die geringe Inanspruchnahme des Work-Life-Balance Programms von Amerco, vor allem der Elemente,die dazu beitragen sollten, mehr Zeit für dasFamilienleben zu schaffen. Die emotionale Anziehungskraftder Erwerbsarbeit gilt für beide Geschlechter unddas Muster einer zunehmenden Familienflucht findetsich auch bei Frauen, verbunden mit ambivalenten Orientierungenund einem schlechten Gewissen gegenüberden Kindern. Die langen Arbeitszeiten führen zueinem Zeitkrieg zwischen den Geschlechtern, der aufdem Rücken der verletzlichsten Mitglieder dieses Systems,den Kindern und anderen pflegebedürftigen Personen,ausgetragen wird.An dieser Stelle Hochschild misszuverstehen, wärebedauerlich. Sicher, sie fragt nach den Kosten diesesZeitarrangements für das Familienleben und vor allemfür die Kinder. Aber nichts liegt ihr ferner, als dieseKosten auf das Konto der Erwerbsbeteiligung vonFrauen zu verbuchen. Sie zeigt, warum für Männer wiefür Frauen die Erwerbsarbeit so attraktiv ist, sie analysiert,wie im Zuge einer neuen Unternehmenskulturund der damit verbundenen Anerkennung der Arbeitsplatznoch mehr an Anziehungskraft gewinnt – unddas Zuhause an Attraktivität verliert. Sie beschreibt eindringlichdie Folgen dieses Wertewandels für die Familieund fragt, wieviel Elternzeit Kinder brauchen undwieviel Betreuung durch Institutionen. Diese Fragerichtet sich jedoch an beide Geschlechter gleichermaßen.Sie ignoriert keineswegs die kulturellen und institutionellenRahmenbedingungen dieser Werteverschiebung,zeichnet aber akribisch nach, wie Individuen sichangesichts dieser Parameter orientieren und welche Entscheidungensie treffen.Arlie Hochschild macht aber auch deutlich, dass esbei der Zeitfalle um mehr geht als um individuelles Zeitmanagementoder um individuelle biographische Entscheidungen.Sie skizziert mögliche Ziele und Akteureeiner neuen Zeitbewegung und betont die Notwendigkeiteiner gesellschaftlichen Regulierung von Arbeitszeit.Nur auf diese Weise kann es zu einer Balance zwischender Erwerbsarbeit und dem Zuhause, zwischender Arbeitszeit und der Zeit für Familienleben und derSorge für Andere.Die emotionale Umpolung zwischen dem Zuhause undder Arbeit wird durch neue Leitbilder von Kindheitflankiert. Hochschilds Streifzug durch die amerikanischeRatgeberliteratur hinterlässt ein Gefühl der Beklemmung.Im Mittelpunkt dieser Ratgeberliteratur mitTiteln wie „So lernt Ihr Kind, allein zu Haue zu sein“,„Ich komme allein zurecht“ steht das autonome, dasselbstständige Kind, das sich selbst betreut und vondem erwartet wird, dass es sich an den Arbeitszeitrhythmusder erwerbstätigen Eltern anpasst und, gleichsamals kindliche Entsprechung des Zero-Drag-Angestellten,keine Reibungsverluste durch querliegende kindlicheBedürfnisse und Zeitansprüche produziert. Im Fokusder Aufmerksamkeit dieser Ratgeber steht mehrdie Seelenruhe der Erwachsenen als die Gefühlslageder Kinder; den Eltern sollen Schuldgefühle und Unsicherheitgenommen werden und den Kindern wirdRücksicht auf die Gefühle ihrer Eltern nahegelegt. EinRatgeber empfiehlt den Kindern, morgens keinen Streitmit den Eltern anzufangen, weil das „deine Mutter unddeinen Vater sonst noch einen guten Teil des Tagesbeunruhigt“. (Hochschild 2002, S. 246). Auch Lehrersind in dieser Perspektive Erwachsene, auf deren ArbeitsbelastungenKinder Rücksicht nehmen sollen. DerRatgeber empfiehlt:„Geh nicht zu früh zur Schule, nurweil du nicht gerne alleine zu Hause bleibst. Die Lehrersind mit Unterrichtsvorbereitungen beschäftigt, undes wird auch nicht von ihnen erwartet, dass sie sich vordem offiziellen Unterrichtsbeginn um die Schüler kümmern“(ebd.). Für Hochschild ist diese kulturelle Konstruktionvon Kindheit Teil einer Strategie der Gefühlsaskese,des emotionalen Downsizing angesichts der zunehmendenAnforderungen der Arbeitswelt.Hochschilds Thesen sind auch in den USA nichtunumstritten. Während Autoren wie etwa Reich (2002)oder schon Schor (1992) zu ähnlichen Einschätzungenhinsichtlich der Auswirkungen langer Arbeitszeitenauf das Familienleben kommen, sehen andere Autorendas Problem weniger dramatisch und kommen zuoptimistischeren Aussagen. Das vielleicht prominentesteBeispiel ist Galinsky, die in ihrer Studie„Ask the Children.What America’s Children really think about WorkungParents“ ein repräsentatives Sample von Kindernmit Hilfe eines standardisierten Fragebogens über ihreWünsche und Bedürfnisse befragt hat (Galinsky 1999).Sie stellt u.a. fest, dass gemeinsame Zeit mit Eltern nichtoben auf der Wunschliste der Kinder steht. Nur 10%der befragten Kinder wollen mehr Zeit mit ihren Mütternund 15,5% mit ihren Vätern als ersten Wunsch.Diese Statistiken sind mehrfach in den Medien in denUSA zitiert worden. Lange (2003) hat auf mögliche94


RezensionenFehlinterpretationen dieser Daten hingewiesen: „Esheißt nicht, dass nur zehn Prozent der Kinder mehrZeit mit ihren Müttern wollen! Es bedeutet vielmehr,dass zehn Prozent diesen Wunsch zum Topwunsch gemachthaben. Dazu kommt, dass die anderen Wunschäußerungenmit der Elternzeit eng verknüpft sind: Kinderwünschten sich für die Mütter, dass diese mehrGeld verdienten (23%), weniger von der Arbeit gestresstwürden, und weniger müde von der Arbeit kämen(14%)“ (Lange 2003). Immerhin 31% der Kinder warender Meinung, dass sie „zu wenig Zeit“ mit ihrenEltern hätten. Galinsky selbst relativiert diese Zahl mitdem Hinweis auf den wesentlich höheren Anteil vonerwerbstätigen Eltern (nämlich 53 %), die die Zeit fürihre Kinder als zu gering einschätzen. Die Botschaft,die dahinter steht, ist, dass Eltern das Problem überschätzenund dass Kinder sehr viel weniger unter einemMangel an Zeit mit ihren Eltern leiden, als diesEltern selbst annehmen.Polatnik (2002), die im Rahmen einer qualitativenStudie Kinder über ihre Wünsche nach Zeit mit denEltern gefragt hat, bezweifelt, ob mit generellen Item-Formulierungen wie bei Galinsky Wünsche und Bedürfnisseder Kinder zu diesem emotional wichtigemThema adäquat erfasst werden können. Sie stellt fest,dass die Gefühle der Kinder hinsichtlich der Zeit mitden Eltern komplex und widersprüchlich sind. In denqualitativen Interviews werden emotionale Turbulenzensichtbar, die im Rahmen standardisierter Erhebungennicht auftauchen. Besonders ältere Kinder wissen,dass ihre Wünsche bezüglich der Elternzeit in Verbindungmit ökonomischen Notwendigkeiten gesehenwerden müssen. Bis zu einem gewissen Grad stellendie Arbeitszeiten und –arrangements der Eltern für dieKinder Rahmenbedingungen dar, die sie nicht ändernkönnen und die sie deshalb akzeptieren (vgl. Lange2003). Die „Galinsky-Polatnick-Kontroverse“ machtdie besonderen methodischen Probleme deutlich, diemit der Erforschung des Themas elterliche Arbeitszeitenund die Auswirkungen auf Kinder verbunden sindund auf die Lange kürzlich im Rahmen einer Tagungder Hans-Böckler-Stiftung über „Familienpolitik fürmoderne Familien“ hingewiesen hat (ebd.).Die Zeitnöte amerikanischer berufstätiger Eltern, dieHochschild so eindrücklich beschreibt und analysiert– inwieweit sind sie auf die Situation in der Bundesrepublikübertragbar? Sind diese überlangen Arbeitszeitenund die damit verbundene Zeitkultur nicht ein amerikanischesPhänomen, weit entfernt von der bundesrepublikanischenWirklichkeit mit einer tariflichen Wochenarbeitszeitvon teilweise 35 Stunden, bis zu 30 TagenJahresurlaub, 14 Wochen bezahltem Mutterschutzund drei Jahren Elternzeit? Auch familiale Erwerbsmusterund die Erwerbsintegration von Frauen in den USAund Deutschland sind nur bedingt miteinander zu vergleichen.Trotz einer gestiegenen Erwerbsbeteiligungvon Frauen kann, zumindest für Westdeutschland, nochimmer von der Dominanz eines wenn auch modernisiertenmännlichen Ernährermodells ausgegangen werden.Auch dies ist sicher ein Grund dafür, dass dasProblem einer Balance von Arbeit und Leben in deramerikanischen Gesellschaft früher zum Gegenstandeines öffentlichen Diskurses geworden ist.Ist Hochschilds Beschreibung der Zeitfalle aufDeutschland also nicht übertragbar? Die große Resonanz,die die deutsche Übersetzung von „The TimeBind“ gefunden hat, lässt anderes vermuten. Sie sprichtdafür, dass Hochschilds Diagnose auch bei uns einenNerv getroffen hat. Schleichende und offene Arbeitszeitverlängerung,eine zunehmende Deregulierung undFlexibilisierung von Arbeitszeiten haben dazu geführt,dass auch Deutschland nicht mehr das arbeitszeitpolitischeParadies ist, das Hochschild in Deutschlandzumindest zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von„The Time Bind“ 1997 noch gesehen hat. Trotz allergewerkschaftlichen Bemühungen um weitere Arbeitszeitverkürzunggibt es seit längerem eine Stagnationbei der tariflichen Arbeitszeitverkürzung und in den1990er Jahren eine Verlängerung der effektiven Arbeitszeitenin einigen Bereichen. Eine jüngst erschieneneStudie geht davon aus, „dass die 40-Stundenwoche inDeutschland günstigstenfalls weiterhin die faktischeDurchschnittsarbeitszeit für Vollzeitkräfte ist und vielleichtsogar davon ausgegangen werden muss, dass die40-Stunden-Schwelle ungefähr die Mitte zwischen tariflichenund tatsächlichen Arbeitszeiten in Deutschlandmarkiert“ (Bosch u.a. 2002, S. 39). Seit Mitte der 1990erJahre lassen sich Tendenzen einer offenen Arbeitszeitverlängerungauch im Bereich tariflicher Vereinbarungenfeststellen und insgesamt eine zunehmende Spreizungsowohl bei der tariflich vereinbarten wie der effektivenDauer der Arbeitszeit bei verschiedenen Beschäftigtengruppen(Rinderspacher 2003). Flankiert wird dieseAusweitung der Arbeitszeiten durch einen Diskurs,der die Verlängerung der alltäglichen wie der Lebensarbeitszeitzur ökonomischen Notwendigkeit erklärtund innerhalb kurzer Zeit zu einer Erosion und Delegitimierungbislang gültiger Standards geführt hat.Die Verlängerung von Arbeitszeiten ist eingebettetin einen Prozess zunehmender Flexibilisierung, nichtnur im Bereich traditioneller Formen wie Teilzeit, Gleitzeit,Schicht und Wochenendarbeit, sondern verstärkt<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>95


Rezensionenin Form von Arbeitszeitkonten und Vertrauensarbeitszeit.Die mit der Flexibilisierung von Arbeitszeiten verbundeneHoffnung auf mehr Zeitsouveränität und bessereMöglichkeiten der Vereinbarkeit, die, neben derAngst um den eigenen Arbeitsplatz, sicher auch zurAkzeptanz flexibler Arbeitszeitmodelle beigetragen hat,ist inzwischen einer deutlichen Skepsis und Ernüchterunggewichen. Bislang vorliegende Studien fürDeutschland zeigen, dass die Flexibilisierung von Arbeitszeitenin ihren Auswirkungen auf das Familienlebenhöchst ambivalent einzuschätzen ist. Arbeitszeitkontenerweisen sich nicht selten als „Konten ohneVollmacht“ (Jürgens 2002); weitergehende Formen vonArbeitszeitflexibilisierung wie die Vertrauensarbeitszeit,bei der vollständig auf eine betriebliche Zeiterfassungverzichtet wird und Leistung und Anwesenheit überZielvereinbarungen kontrolliert werden, führen eherzu einem „Arbeiten ohne Ende“ (Pickshaus 2000) alszu einer besseren Balance von Arbeit und Leben. Wiesich solche Arbeitszeitmodelle auf die Vereinbarkeitauswirken, hängt nicht zuletzt von der Arbeitszeitkulturder jeweiligen Unternehmen ab (vgl. Böhm/Herrmann/Trinczek2002) und auch hier zeichnen sich ähnlicheTendenzen in Richtung postfordistischer Managementstrategienund Unternehmenskulturen ab, wie sieHochschild beschrieben hat, die eher auf eine Steigerungvon Leistungsnormen als auf eine Begrenzungvon Verfügbarkeit für das Unternehmen abzielen.Die deutsche Übersetzung von Hochschilds „TimeBind“ trifft auf eine Situation, in der postfordistischeVerhältnisse den Druck auf die alltägliche Lebensführungvon Familien eher verschärfen und das Themaeiner besseren Balance von Arbeit und Leben eine neueBrisanz gewonnen hat. Ob der aktuelle Diskurs überWork-Life-Balance mehr ist als ein Etikettenschwindelund entsprechende Angebote in den Betrieben mehrsind als punktuelle Benefits zur Mitarbeiterbindung,bleibt kritisch zu prüfen. Sicher gibt es handfeste ökonomischeGründe dafür, dass Unternehmen in eine bessereBalance von Arbeit und Leben investieren (Erler<strong>2004</strong>) und es ist wichtig zu zeigen, dass sich solche Investitionenauch rechnen.Wenn wir der kulturellen Dominanz der Erwerbsarbeitund der Dominanz des Marktes als Zeitgeber (Rinderspacher2003) etwas entgegensetzen wollen, dannbrauchen wir jedoch einen Blick auf Familie, der dasProblem der Balance von Arbeit und Leben nicht nurvon der Seite der Erwerbsarbeit her denkt und Familienicht nur auf eine Arbeitsmarkt- und Konsumfunktionin der globalen Wirtschaft reduziert und dies auch nochals Familienfreundlichkeit verkauft (Ostner 2002). Dannmüssen wir uns mit der Frage auseinandersetzen, welchenZeitrythmen das Familienleben folgt und welcheQuantität und Qualität an Zeit Kinder und ihre Elternbrauchen. Solche Fragen in aller Schärfe aufgeworfenzu haben, ist das besondere Verdienst von Hochschilds„Keine Zeit“. Ihr Blick in das Innenleben von Familienkonfrontiert uns mit unangenehmen Erkenntnissen.Gerne würden wir Beispiele gelungener Zeitarrangements,einer gelungenen Balance von Arbeit undFamilie lesen, aber das Bild, das Hochschild uns zeigt,steht in schmerzhaftem Widerspruch zu den Hochglanzbroschüren,die uns eine spielend gelingende Balanceversprechen. Ihre Analyse der Strategien der Gefühlsaskese,des Outsourcings von Familie und der Vertagungdes Familienlebens auf einen imaginären Zeitpunkt,an dem wir endlich ‚Zeit haben‘, konfrontiertuns mit der Frage, wie weit sich Familie eigentlichmarktförmig organisieren lässt und wo mögliche Grenzender Vermarktlichung von Familienfunktionen liegen.Sind Familien Organisationen, die effizient gemanagtwerden müssen, mit einer möglichst weitgehendenDelegation familialer Funktionen an professionelleFachkräfte (Priddat 2002) oder ist Familie doch mehr?Was kommt nach der fordistischen Familie (Bertram2002), die in der Tat kein brauchbares Modell für dieZukunft liefern kann, beruht sie doch auf einer asymmetrischengeschlechtlichen Arbeitsteilung, die mit derzunehmenden Erwerbsintegration von Frauen obsoletwird.Die Auseinandersetzung mit solchen Fragen scheintim bundesrepublikanischen Kontext besonders schwierigzu sein. Das strukturelle Defizit an Betreuungsmöglichkeitenin Deutschland hat wie in einigen anderenLändern zu einem starken Rückgang der Geburtenrategeführt und dem Thema der Familienpolitik eine neuedemographisch Brisanz verliehen. Auf dem Hintergrunddieser Rückständigkeit, was die Institutionalisierungvon Kinderbetreuungsmöglichkeiten betrifft,könnte die Frage nach der Zeit, die Kinder und Elternbrauchen, um nicht nur den Alltag „auf die Reihe zukriegen“, sondern einen gemeinsamen Lebenszusammenhangals Familie herzustellen und zu bewahren (Jürgens2003) leicht als Versuch mißverstanden werden,Frauen auf ihre Zuständigkeiten in der Familie zu verweisen– und in Teilen des öffentlichen Diskurses überFamilie schwingt ein solcher Tonfall durchaus mit. Vielleichtgibt es gerade wegen dieser Rückständigkeit aberauch die Chance, aus den Erfahrungen anderer Ländermit höherer Frauenerwerbsquote und einem besserenAngebot an Kinderbetreuungsmöglichkeiten zu lernen.96


RezensionenSo stellt Matthies auf dem Hintergrund des finnischenModells die Frage, „ob man die „Rückständigkeit(West)Deutschlands mit Modellen zu beseitigen versucht,die sich denen der DDR oder von Skandinavienvor 15 Jahren annähern oder ob man sich noch mehrModernisierung in der Gleichstellungsfrage und in derfamilienfreundlichen Politik zumutet“ (Matthies 2002,S. 2). Sie weist darauf hin, dass sich in Finnland vorallem junge Eltern mehr Zeitwohlstand wünschen unddass es in der finnischen Gesellschaft eine neue Kontroverseüber die Erweiterung öffentlicher Verantwortunghinsichtlich der Nachmittagsbetreuung von Kinderneinerseits und Forderungen nach Arbeitszeitverkürzungund einem familienfreundlicheren Arbeitslebeninsbesondere für Vater auf der anderen Seite gibt.Auf diesem Hintergrund hält sie es für wünschenswert,„dass man in Deutschland bei den an sich berechtigtenbildungs- und familienpolitischen Forderungendas skandinavische Modell nicht nur einholt, sondernvielleicht zu überholen im Stande ist – bezogenauf einige Fehlentwicklungen des skandinavischenModells“ (Matthies 2002, S. 3).Welchen Gewinn können wir aus Hochschilds Studiefür die Diskussion in Deutschland über familienfreundlicheArbeitszeiten, über Möglichkeiten einer besserenBalance von Arbeit und Leben, die auch Zeit lässtfür andere zivilgesellschaftliche Aufgaben, und über Essentialsvon Familienpolitik ziehen? Hochschilds „KeineZeit“ gibt uns keine einfachen und mühelos in diePraxis umzusetzende Antworten und vielleicht sind dieFragen, die sie stellt, noch wichtiger als ihre Antworten.Hochschilds Blick in die Innenwelt amerikanischerFamilien könnte uns helfen, neue Fragen zu stellen,genauer hinzusehen, wenn wir das „doing family“ inden Mikroprozessen familialer Lebensführung unterBedingungen postfordistischer Entgrenzungen (Jurczyk2002) untersuchen. Auch wenn ihre Stichprobe begrenztist und ihre Diagnose umfassender geprüft werdenmüsste, so kann sie uns doch für bestimmte Entwicklungstendenzenim Bereich familialer Lebensführungsensibilisieren. Die Lektüre von „Keine Zeit“schärft den Blick für die Kosten einer postfordistischenArbeitswelt, die Anerkennung und Wertschätzung inder Arbeit verspricht und immer mehr an Energien undZeit absorbiert, Zeit und Energie, die zu Hause immerknapper werden. Im Vorwort zur deutschen Ausgabeseines Buches The Future of Success. Wie wir morgen arbeitenwerden betont Robert Reich (2002), dass die deutscheGesellschaft ebenso wie andere Gesellschaften Europasentscheiden muss, ob sie den von ihm beschriebenenKapitalismus amerikanischer Prägung übernehmenund den damit verbundenen Preis in Form eines„Schwunds“ an Familien- und Gemeinschaftsleben bezahlenmöchte. Die Lektüre von „Keine Zeit“ kannuns die Tragweite solcher Entscheidungen bewusst machenund unsere Wahrnehmung für den Preis bestimmterEntwicklungen im Verhältnis von Erwerbsarbeit undZuhause schärfen.Literatur:Böhm, S./Herrmann, Ch./Trinczek, R. (2002): Löst Vertrauensarbeitszeitdas Problem der Vereinbarkeit von Familieund Beruf? In: WSI-Mitteilungen H.8, S. 435-441Bosch, G. u.a. (2002): Zur Zukunft der Erwerbsarbeit. EinePositionsbestimmung auf der Basis einer Analyse kontroverserDebatten (Arbeitspapier der Hans Boeckler Stiftung<strong>Nr</strong>. 43) DüsseldorfBertram, H. (2002): Die multilokale Mehrgenerationenfamilie.In: Berlinder Journal für Soziologie, H. 4, S. 517-529Erler, G.A. (<strong>2004</strong>) Work-Life-Balance – Stille Revolution oderEtikettenschwindel? Erscheint <strong>2004</strong> im Schwerpunktheftder Zeitschrift für Familienforschung „Arbeitszeit,Familienzeit, Lebenszeit – Verlieren wir die Balance?“,hrsg. von Mechtild Oechsle und Anina MischauGalinsky, E. A. (1999): Ask the Children. What America’sChildren Really Think About Working Parents. New YorkJürgens, K. (2002): Arbeitszeitflexibilisierung. Marktanpassungoder neue Balance von Familie und Beruf? In:Diskurs, „Moderne Zeiten. Zur Entgrenzung von Arbeitund Leben“, 12. Jg., H. 3, S. 17-23Jurczyk, K./Lange, A. (2002): Familie und die Vereinbarkeitvon Arbeit und Leben. Neue Entwicklungen, alte Konzepte.In: Diskurs „Moderne Zeiten. Zur Entgrenzungvon Arbeit und Leben“, 12. Jg. H. 3, S. 9-16Lange, A. (2003): Ansprüche von Kindern und Jugendlichenan Arbeits- und Familienzeiten ihre Eltern. Einesoziologsche Perspektive. VortragsmanuskriptOstner, I. (2002): Am Kind vorbei – Ideen und Interessen inder jüngeren Familienpolitik. In: Zeitschrift für Soziologieder Sozialisation und Erziehung, H. 3, S. 249-266Pickshaus, K. (2000): Arbeiten ohne Ende und ohne Maß.In: Computer Fachwissen, H. 4, S. 14-17Polatnick, M.R. (2002): Quantity Time: Do Children WantMore Time with Their Fulltime Employed Parents? Centerfor Working Families, Working Paper <strong>Nr</strong>. 37, Universityof California, BerkeleyPriddat, B. P. (2002) Mama macht Überstunden. ÜberlasteteEltern, verwirrte Kinder: Es wird Zeit, die Familie professionellzu organisieren. In: Die Zeit 35/2002Reich, R. (2002): The Future of Sucess. Wie wir morgenarbeiten werden. München; ZürichRinderspacher, J. (2003): Arbeits- und Lebenszeiten im Wandel.Ansätze zu einer Politik der zeitstrukturellen Balance.In: ZSE, 23. Jg., H. 3, S. 236-250Shor, Juliet B. (1992): The Overworked American: TheUnexpected Decline of Leisure. New YorkProf. Dr. Mechtild Oechsle, Interdisziplinäres Frauenforschungs-Zentrum(<strong>IFF</strong>), Universität Bielefeld,Email: m.oechsle@uni-bielefeld.deDer Beitrag erscheint auch in der Zeitschrift für Familienforschung.<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>97


RezensionenEszter Belinszki, Katrin Hansen, Ursula Müller(Hg.) Diversity Management. Best Practices iminternationalen Feld, Managing Diversity Bd. 2,LIT Verlag, Münster 2003, 360 Seiten, 20.90 €,ISBN 3-8258-6097-3Diversity ist in deutschenArbeits- undBildungsorganisationenein nahezu unbekanntesKonzept.Das belegt die in diesemSammelbandpräsentierte Forschungempirisch undeindrücklich (Hansen/Belinszki).ZuUnrecht, wie die glänzendeEinordnungvon Möglichkeitenund Grenzen diesesPolitik-Konzeptes inden Rahmen von Globalisierung, Organisationsreformen(Hansen/Müller) und Recht (Susanne Baer)herausstellt. Zu Unrecht auch, wenn man die Lernprozessein den wenigen in Deutschland agierenden Unternehmenbetrachtet, die Diversity-Management praktizieren.Diese Prozesse sind spannend, weil widersprüchlichund praxisnah in Interviews unter der ÜberschriftBest Practices nachzulesen. Hilfreich sind auchdie Aufsätze mit Erkenntnissen aus den USA, wo dasKonzept Anfang der 1980er Jahre aus Anti-Diskriminierungs-und Affirmative Action-Programmen entstand(Loriann Roberson, Regina Caines, Redia Anderson).Im Gegensatz zu Deutschland ist es in denUSA weit verbreitet: 70% der umsatzstärksten und36% aller Unternehmen praktizieren Diversity.Im besten Fall bedeutet das ganzheitliches organisationalesLernen. Jeder und Jede soll ihre Persönlichkeitin die Organisation einbringen können. Das setztWertschätzung und Offenheit gegenüber der Vielfaltder MitarbeiterInnen voraus und zwar im Prinzip inBezug auf alle denkbaren Unterschied: Geschlecht, ethnischeund kulturelle Herkunft, sexuelle Orientierung,Alter, Behinderungen, Weltanschauungen, soziale Herkunft,Temperament, Arbeitsstil, Lebensform, Religionund so weiter. Dazu ist auch eine positive Haltunggegenüber den Spannungen nötig, die aus diesen Unterschiedenentstehen können. Dahinter steht eine gewaltigeEntwicklung von der traditionellen westlichen Auffassungvon nützlichen Arbeitskräften seit dem 19. Jahrhundertals homogen, meist männlich, verheiratet, jung,weiß etcetera, wie sie in Deutschland noch viel stärkerverankert ist als in den USA.Die Best Practices-Interviews in den deutschen Unternehmendrehen sich stark um die Frage, wie dort gegenalle Widerstände für den Nutzen dieser neuen Auffassunggeworben werden kann. In ihrer Einleitung begründenKatrin Hansen und Ursula Müller den Nutzenvon Diversity mit durch Globalisierung sowieso erforderlichenOrganisationsreformen: „Organisationssoziologischist der Gedanke zentral, dass Organisationenin Zeiten einer immer komplexer werdendenUmwelt um so überlebensfähiger sind, je höher ihreEigenkomplexität ist“ (S. 15). Bei zunehmenden internationalenVerflechtungen sei „die Öffnung einer Organisationfür Diversity sogar ein Gebot der Stunde“ (ebd.).Durch bessere Leistungen der MitarbeiterInnen stelleDiversity einen realen Wert dar. Vor allem aber schafftes einen in der globalen Shareholder-Ökonomie überauswichtigen symbolischen Wert. Die Übernahme vonSchlüsselfunktionen durch Frauen und Angehörige ethnischerMinderheiten symbolisiert Innovationsfähigkeit,eine gute internationale Vernetzung und Kompetenzfür die Anforderungen der Globalisierung. Dieswiederum kann zu höheren Bewertungen bei Analystenführen.Diversity ist also auch ein Konzept zur Gewinnmaximierung,ein business case, wie es in der Unternehmensspracheheißt. Genau hierin liegen seine Chancen undseine Grenzen. Was könnte es für einen stärkeren Motorfür einen Wandel geben, als die Erwartung, dass sicheine Reform finanziell auszahlt? So bietet Lufthansaneuerdings sieben Tage in der Woche eine Ausnahmebetreuungfür Kinder an. Dadurch sollen Eltern wenigerfehlen – was überprüft wird. Doch je enger undkurzfristiger dieser wirtschaftliche Nutzen verstandenwird, umso begrenzter gestaltet sich auch das DiversityManagement. Häufig wird es zur schnellen Ressourcenmobilisierungpraktiziert, und ebenso rasch wieder verworfen.Die US-amerikanische Forschung ordnet Diversity-Ansätze in drei Kategorien ein. Die weitestgehende istdie bereits skizzierte Form des organisationalen Lernens.Das setzt eine mittelfristiger Perspektive vorausund bedeutet, vielfältige Arbeitskräfte aufzubauen, zupflegen und ihre Unterschiedlichkeit als bereicherndanzusehen. Dagegen geht es beim häufiger anzutreffendenkurzfristigen Denken darum, Vielfalt zu nutzenoder auszubeuten. Beim Fairness & Discrimination-Ansatzversuchen Unternehmen mit Quoten und formalenGleichstellungs-Programmen beispielsweise Frau-98


Rezensionenen oder ethnische Minderheiten zu fördern. Die Politikrichtet sich gegen Diskriminierungen und es herrschtein „politisch korrekter“ Ton. Gleichzeitig werden Hierarchienund Machtverhältnisse verschleiert und es gibtkeine Öffnung für neue Denk- und Handlungsweisen.Dies wirkt häufig zermürbend auf die Mitglieder vonMinderheiten, die die – zum Beispiel – scheinbar frauenfreundlicheOrganisation oft wegen versteckter Diskriminierungwieder verlassen. „In allen untersuchten Unternehmenkonnte der Unternehmensleiter mit einemBeispiel aufwarten, wie er plötzlich auf unerklärlicheWeise eine Senkrechtstarterin verlor, die er für großartighielt und in die er viel investiert hatte. (S. 23)“.Besonders stark begründen die Unternehmen denAufbau diversifizierter MitarbeiterInnen mit dem Ziel,dadurch den Bedürfnissen eines ebenso vielfältigenKundenkreises näher zu kommen und neue Marktsegmentezu erschließen. Diese Begründung fällt in denvon der Forschung Access and Legitimacy genanntenDiversity-Ansatz. Auch wenn es zu begrüßen ist, dassMinderheiten dadurch Positionen und Arbeitsplätze bekommen,ist es fraglich, ob beispielsweise Frauen alsKundinnen weibliche Geschäftspartnerinnen vorziehen.Außerdem werden die MitarbeiterInnen leicht daraufreduziert, für „ihre“ Gruppe zuständig zu sein.Dies lädt zu Stereotypisierungen und damit dem Gegenteilvon Vielfalt als Lernprozess ein. Einer solchen Wertschätzungvon MitarbeiterInnen kann wieder dieGrundlage entzogen werden, wenn der Kundenkreis,den sie repräsentieren, für das Unternehmen nicht mehrinteressant ist – sei es auf Grund von Markverschiebungenoder Kaufkraftverlust. In diesem Zusammenhangbemerken die Herausgeberinnen, dass keines deruntersuchten Unternehmen soziale Herkunft oderKlasse als Wert für sein Diversity-Management nannte.Geschlecht, Alter, ethnische Herkunft, Religion: Aufden ersten Blick erscheinen die unendlich ergänzbarenKategorien von Diversity starr und und unhandlich.Doch in der Praxis setzt jedes Unternehmen Prioritäten:Vor allem Geschlecht und ethnische Herkunft –in Deutschland meist in dieser Reihenfolge, in den USAhäufig in der umgekehrten. Es hängt auch stark vonden Beschäftigten ab, welche Gruppe sich „Anerkennungverschafft“. So haben in der Deutschen Bank 150schwule und lesbische MitarbeiterInnen eine Rainbow-Group gegründet und durchgesetzt, dass Lebenspartnerschaftendie gleichen Vergünstigungen bekommenwie Ehepaare. Dafür bekam die Deutsche Bank 2002dann auch prompt den Preis des Bundesverbandes derschwulen Manager. In den meisten anderen deutschenUnternehmen dagegen ist sexuelle Orientierung nochein Tabu.Der Sammelband thematisiert auch die Frage der Konkurrenzvon Vielfalts-Kategorien. Wenn Geschlecht nurein Merkmal unter vielen ist, dann verliert es seinenzentralen Stellenwert im Vergleich zu anderen Konzeptenwie Gleichstellung und Gender-Mainstreaming. Andererseitsist es aus frauenpolitischer Sicht positiv zu bewerten,dass eine Person mehreren Identitätsgruppenangehören kann. Dadurch werden MitarbeiterInnennicht mehr auf duale Gegensätze reduziert, wie aufihr Frau- oder Mann-Sein. Teilzeitmodelle zum Beispielgelten dann nicht mehr als Vergünstigung – unddamit oft Hindernis – für Mütter, oder aufgeklärter,für Mütter und Väter, sondern eröffnen Möglichkeitenfür alle Angehörige des Unternehmens, also fürdie gesamte Organisation. Hinzu kommt, dass Frauen,MigrantInnen oder Alte im Diversity-Managementkeine Benachteiligten sind, sondern hochgeschätzte Potentiale.Sie sind nicht die zu Fördernden, sondern bringendurch Vielfalt einen neuen Wert. Allein diese Wertschätzungwürde etwas Grundlegendes verändern. Dasbelegt der Aufsatz von Eszter Belinszki, in der sie äußerstaufschlussreiche Untersuchungen in deutschenUnternehmen vorstellt. Ihr deprimierendes Fazit lautet:„In der Wahrnehmung überwiegt die Defizit-Perspektive,indem die mangelnde Eignung, fehlende Ausbildungund geringe Motivation als wichtige Barrierenfür die berufliche Karriere von Frauen, nicht-deutschstämmigenMitarbeiterInnen und Behinderten in denMittelpunkt gestellt wird“ (S. 234).Die Mehrdimensionalität von Diversity-Managementkann sich aber nur dann positiv entfalten, wenn wirklichOffenheit und Lernbereitschaft besteht. Unternehmenin Deutschland sind weit von einer Wertschätzungvon Vielfalt entfernt, wie auch die nicht erfüllteBehindertenquote zeigt. Chronisch fehlende Ausbildungsplätzebelegen, dass daran nicht einmal mittelfristigeGewinnerwartungen (als welche man Auszubildendeauch betrachten kann) etwas ändern. Daher ist denHerausgeberinnen darin zuzustimmen, dass DiversityManagement kein Ersatz für eine gesellschaftliche Gleichstellungspolitiksein kann, die auch Personen einbezieht,deren Arbeits-, oder Konsumkraft gar nicht für Unternehmenverwertbar sind. Dennoch: Im Gegensatz zuden meisten im Augenblick diskutierten Reformen istDiversity-Management ein integratives Konzept und politisch,praktisch als auch intellektuell bereichernd.Karin Gabbert, Berlin,Email: KarinGabbert@gmx.net<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>99


RezensionenChristiane Erlemann: Ich trauer meinemIngenieurdasein nicht mehr nach. WarumIngenieurinnen den Beruf wechseln – einequalitative empirische Studie, Kleine Verlag,Bielefeld 2002, 433 Seiten,24,90 € ,ISBN 3-89370-370-5,Warum gibt es, trotzzahlreicher Maßnahmenzur Steigerung des Frauenanteilsin ingenieurwissenschaftlichenStudiengängenoder auchzur Integration vonFrauen in entsprechendeBerufsfelder, nachwie vor so wenige Ingenieurinnenin Deutschland?Warum wird technischeGestaltungs- undDefinitionsmacht nahezuungebrochen mit „Männlichkeit“ oder dem Bild „desIngenieurs“ verknüpft? Warum zeigt sich die ingenieurwissenschaftlicheFachkultur, wie die Fachkulturforschungim ingenieurwissenschaftlichen Feld selbst, alsbesonders „resistent“ oder „widerständig“ gegen dieKategorie Geschlecht? Diesen spannenden und politischprovokanten Fragen geht Christiane Erlemannnach. In ihrem Buch rekonstruiert sie die Hinwendungzum, die Auseinandersetzung mit dem und letztlich dieAbwendung vom ingenieurwissenschaftlichen Feldanhand biographisch orientierter narrativer Interviewsmit Ingenieurinnen, die ihren Beruf „an den Nagelgehängt“ haben.Ausgangspunkt, Fragestellung und MethodeIn den ersten drei Kapiteln ihres Buches skizziert Erlemanndie Fragestellung ihrer qualitativ empirischen Studie,verortet diese in den bestehenden Diskurs über„Frauen und Technik“ und steckt den von ihr gewähltentheoretischen wie methodischen Bezugsrahmen ab.In Kapitel 1 geht sie noch einmal auf die unterschiedlichenFacetten der Situation von Frauen im Ingenieurstudiumund im Ingenieurberuf ein und setzt sich dabeisehr fundiert und kritisch mit den bisherigenSchwerpunkten dieses Forschungsfeldes auseinander.Sehr überzeugend legt die Autorin dar, dass sich dasForschungsinteresse und der gleichstellungspolitischeDiskurs bislang nahezu ausschließlich auf die Fragekonzentriert haben, wie der Frauenanteil in Ingenieurstudiengängenerhöht und den Absolventinnen der Berufseinstieg„erleichtert“ werden kann. Bedingungen,Ursachen und (individuelle wie strukturelle) Prozesse,die zu einem Verbleib oder einem Ausstieg von Frauenaus dem Ingenieurberuf führen, blieben bis heute einweitgehend vernachlässigtes Thema. Innovativ sind ohneZweifel Erlemanns Überlegungen zu einem Perspektivwechselin der empirischen (Fachkultur-)Forschung;diese in den wissenschaftlichen Diskurs aufzunehmenund weiterzuführen, hält die Rezensentin für ein ebensonotwendiges wie vielversprechendes und lohnenswertesUnterfangen. Kapitel 2 bietet eine kurze Zusammenfassungzentraler Aspekte der feministischen Kritikan Naturwissenschaft und Technik. Wichtig für dieVerortung von Erlemanns Forschungsinteresse ist vorallem die Diskussion um eine Re-Kontextualisierungvon Naturwissenschaft und Technik und die sich anschließendeFrage nach den politischen Konsequenzeneiner solchen Re-Kontextualisierung, die u. a. dieNotwendigkeit einer Thematisierung von Geschlechtzur Ergründung, Erklärung und ggf. Veränderung„frauendiskriminierender“ bzw. „frauenausschließender“Strukturen, Bilder und Einstellungen im ingenieurwissenschaftlichenFeld impliziert. In Kapitel 3 schließlichführt Erlemann in die von ihr gewählte Methodeder interpretativen Textanalyse narrativer Interviewsein. Darüber hinaus beschreibt sie kurz ihr Sample unddie Auswahlkriterien für die in ihre Studie aufgenommenen„Biographinnen“.Von der Kunst wissenschaftlicher InterpretationKapitel 4, das immerhin die Hälfte des gesamten Buchesumfasst, stellt den eigentlichen Kern der wissenschaftlichenArbeit von Erlemann dar. In diesem interpretiertdie Autorin die beruflichen Einstiegs-, Umstiegs-und Ausstiegsverläufe dreier Ingenieurinnen.Insgesamt hat Erlemann im Rahmen ihrer Studie mit12 „ausgestiegenen“ Ingenieurinnen biographisch orientierteInterviews geführt. Zu ihrer Entscheidung, geradedie Lebensgeschichten dieser drei Frauen in denMittelpunkt ihrer Studie zu rücken, kann man der Autorinnur gratulieren. Kontrastreicher kann das Datenmaterialwohl kaum sein, sowohl hinsichtlich der „Hintergrundvariablen“(z. B. räumliche Herkunft, Herkunftsfamilie,Familienstatus, Bildungsweg, Fachrichtung,Berufsfeld) als auch mit Blick auf die Bandbreiteder lebensgeschichtlichen Erfahrungen dieser Frauen.Dabei geht es der Autorin nicht um das Nacherzählenvon (am Ende noch „typischen“) Berufs- und Ausstiegsbiographienvon Ingenieurinnen. Der Anspruchder Autorin ist vielmehr, das in den Interviews gewonneneDatenmaterial in einen wissenschaftlichen Kon-100


Rezensionentext zu stellen und innerhalb dieses Bezugrahmens neuzu deuten. Sie will die von den Frauen erzählten Geschichten,in denen diese unausweichlich ihre Erfahrungen,bestimmte (Lebens-)Ereignisse und eigene Handlungenwie die Dritter, bereits auf eine (für sie schlüssige)Sinnstruktur hin interpretiert haben, quasi „gegenden Strich bürsten“. Erlemann will gerade die Diskrepanzzwischen erlebter und erzählter Lebensgeschichtesichtbar machen. Ihr geht es im wissenschaftlichenInterpretationsprozess darum, die soziale Konstruiertheitder Deutung der eigenen Lebensgeschichte durchdie Frauen aufzudecken und gleichsam als Gegengewichtzu deren Selbstpräsentation, ausgehend von derlatenten Sinnstruktur der Erzähltexte, eine Rekonstruktionder Lebensverläufe dieser drei Ingenieurinnen vorzunehmen.Ein wahrlich hoher Anspruch, nicht nuran die eigene wissenschaftliche Arbeit, sondern auchan die LeserInnen, die diesen Interpretationsprozessletztlich „mitgehen“ und nachvollziehen (können) sollen.Man kann sich sicherlich trefflich darüber streiten,ob Erlemann in der Darstellung ihrer wissenschaftlichenAnalyse- und Interpretationsschritte manchmalnicht etwas zu akribisch vorgegangen ist und damit zumindestden Lesefluss in diesem Kapitel stellenweisegehörig ins Stocken bringt und ob die Autorin ihre Interpretationsrasteran einigen Stellen nicht etwas zu engmaschiggezogen hat und dabei punktuell vielleicht auchzu Überinterpretationen oder einer übertriebenen Pedanterietendiert. Dies jedoch sollen andere tun. DieRezensentin selbst war beim Lesen beeindruckt vonder Dokumentationsfülle, Transparenz, Nachvollziehbarkeitund Schlüssigkeit der einzelnen Interpretationsschritte.Die Autorin weist sich mit diesem Teil der Arbeitnicht nur als fundierte Kennerin, sondern auch alsüberaus gewissenhafte Anwenderin qualitativer Methodender Sozialforschung aus. Ihrem formulierten wissenschaftlichenAnspruch wird sie dabei allemal gerecht.Leider ist es im Rahmen dieser Rezension nicht möglich,detailliert auf die jeweils sehr ausführlichen Interpretationender drei Lebensverläufe einzugehen; diesesollten die geneigten LeserInnen besser selbst auf sichwirken lassen. Eindrücklich sind in jedem Fall die erstdurch die Interpretationsleistung der Autorin aus derTiefe der Erzähltexte an die Oberfläche geholten unddadurch sichtbar gewordenen Gemeinsamkeiten (odercharakteristischen Mosaiksteine) in den Einstiegs-,Umstiegs- und Ausstiegsverläufen der Frauen in bzw.aus dem Ingenieurberuf. Diese sind z.B. ihre Umdefinitionoder Glättung von „Brüchen“ als Anpassungsfähigkeitenan wechselnde Gegebenheiten des Lebens,die wiederkehrende Entdramatisierung von eigentlich„einschneidenden“ Ereignissen und/oder Erfahrungen,der eher passive Umgang mit Diskriminierungserlebnissen,ihre (eher zögerliche Akzeptanz der) Erkenntnis,dass man als Frau auch oder gerade in „Männerberufen“das Geschlecht nicht ablegen kann und inerster Linie immer als Frau wahrgenommen wird, undletztlich ihre Tendenz, den Einstieg in und den Ausstiegaus dem Ingenieurberuf irgendwie als fremdattribuiertund keineswegs als selbstbestimmt erscheinenzu lassen.Fallvergleich und Diskussion?Kapitel 5, in dem ein Fallvergleich gezogen werden soll,und Kapitel 6, in dem die Ergebnisse diskutiert werden,fallen in der Qualität gegenüber Kapitel 4 deutlichab. Einen Fallvergleich nimmt Erlemann leider nichtvor. Was in Kapitel 5 folgt, ist nur eine nach den Einzelfällensortierte Zusammenfassung der Ergebnisse zuzwei zentralen forschungsleitenden Fragen der Autorin:der nach der Resonanz von biographischer Strukturund Fachstruktur und der nach der Berufsfähigkeitim Kontext der gesamten Lebensplanung der Frauen,wobei die Reflexion der Sonderstellung als Frau in einem„Männerberuf“ eine besondere Beachtung findet.Erlemann bleibt hier weit hinter ihren eigenen Potentialenzurück und schafft es nicht, die Beantwortung dieserFragen von der individuellen Ebene zu lösen unddamit über die rekonstruierten Einzelfälle hinaus aufeine gesellschaftliche Ebene oder Strukturdiskussionzu heben. In Kapitel 6 diskutiert die Autorin die ausden Fallrekonstruktionen gewonnenen Ergebnisse.Nicht schlüssig ist, warum sie diese plötzlich mit Aussagenaus weiteren Interviews ergänzt und z.T. relativunvermittelt mit Untersuchungsergebnissen angrenzenderForschungsfelder in Beziehung setzt. Diese Vorgehensweiseerweckt den Eindruck, die Autorin „traue“ihrer eigenen Analysekraft nicht und müsse ihre Ergebnisseirgendwie „absichern“. Schade drum: Was dieAutorin z.B. unter den Stichworten „Isolation“, „mütterlicheDelegation“, „Ingenieurstudium als Fortschrittsträgerund Emanzipationsgarant“ und „Reibungspunktemit der Fachkultur“ eigentlich anhand dervon ihr in Kapitel 4 geleisteten Arbeit hätte diskutierenkönnen, ist weit mehr als sie hier getan hat.ResümeeEin Verdienst von Erlemann ist es, gründlich mit einemMythos, den auch die Frauen- und Geschlechterforschungreproduziert und der unbeirrt in frauen- undgleichstellungspolitischen Diskursen hochgehalten<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>101


Rezensionenwird, aufzuräumen. Mehr als alles andere zeigt ihre Analyseder Einstiegs-, Umstiegs- und Ausstiegsverläufeder von ihr interviewten Ingenieurinnen, dass es ebennicht reicht, nur Maßnahmen zur Erhöhung der Studentinnenanteilein den ingenieurwissenschaftlichen Fächernoder zur Erleichterung des Berufeinstiegs derAbsolventinnen zu ergreifen, um eine nachhaltige Demokratisierungder Geschlechterverhältnisse im ingenieurwissenschaftlichenFeld zu erreichen. Mit ihrerStudie öffnet sie die Augen dafür, dass Bedingungenund Strategien, die den Hochschulabschluss und denBerufseinstieg ermöglichen, nicht notwendigerweiseauch für den langfristigen und erfolgreichen Verbleibvon Frauen im Ingenieurberuf geeignet sind. Alleinaus diesem Grund ist die Studie von Erlemann wirklichlesenswert. Darüber hinaus ist sie eine methodischsehr gelungene Arbeit. Schwächen zeigen sich leider inder Diskussion der erarbeiteten Ergebnisse und in derSkizzierung daraus zu ziehender gleichstellungspolitischerKonsequenzen; beides bleibt im Vergleich zumRest der Studie etwas „blutleer“.Dr. Anina Mischau, Interdisziplinäres Frauenforschungs-Zentrum (<strong>IFF</strong>), Universität Bielefeld,Email: anina.mischau@uni-bielefeld.deDer Beitrag wurde auch veröffentlicht in:Querelles-Net. Rezensionszeitschrift für Frauen- undGeschlechterforschung, http://www.querelles-net.de,Nummer 12, März <strong>2004</strong>Hildegard Macha, Claudia Fahrenwald (Hg.):Körperbilder zwischen Natur und Kultur. InterdisziplinäreBeiträge zur Genderforschung,Leske + Budrich, Opladen 2003, AugsburgerReihe zur Geschlechterforschung, 201 Seiten,19.90 €, ISBN 3-8100-3679-XEinen pluralen undaktuellen Überblickgeben die HerausgeberinnenHildegardMacha und ClaudiaFahrenwald über deninterdisziplinärenDiskurs zur Genderforschung.Das Buchist im Rahmen derAugsburger Reihe zurGeschlechterforschungerschienenund in drei Bereichegegliedert.Im ersten Teil geht es um „Körperbilder in systematischerPerspektive“ und infolgedessen um den „Körperim Diskurs“. Hier geben u. a. die beiden Herausgeberinnenals Autorinnen eine umfassende Einführungin die pädagogisch-anthropologische Diskussion.Sie erkennen diesbezüglich drei Argumentationsperspektiven,wenn der Körper zum Thema der Frauenforschungwird: den „Essentialismus“, die „Konstruktion“und die „Inkarnierung“. Eine weitere Perspektivegibt Elisabeth Truider, wenn diese vom „Körper alsKonstruktionsschauplatz“ spricht.Der zweite Teil beschäftigt sich mit „Körperbilderin historischer Perspektive“. Hier ist insbesondere derArtikel von Simone Hess bestechend. Sie stellt „neueBildungsanforderungen zwischen Körper, Geschlechtund Biographie“ fest.Abschließend werden aktuelle Situationen von Frauenin den Lebensbereichen von Gesundheit, Sport undKrankheit dargestellt.Zudem offenbaren sich kritische Selbstreflexionender Wissenschaftlerinnen, die zu einer erkenntnisreichenund anregenden Gender-Debatte beitragen.Prof. Dr. Cornelia Muth, Fachhochschule BielefeldEmail: cornelia.muth@fh-bielefeld.de102


NeuerscheinungenNeuerscheinungen aus den Graduiertenkollegs, an denendas <strong>IFF</strong> beteiligt istDas Graduiertenkolleg „Geschlechterverhältnis und sozialer Wandel“, von 1991 bis 1997 von der DFG gefördert (gemeinschaftlichesProjekt der Universitäten Bielefeld, Bochum, Dortmund, Essen; Sprecherinnen: Sigrid Metz-Göckel und Ursula Müller) hat in 2002 einen lesenswerten Sammlband mit seinen Erträgen vorlegt, der eineVielfalt neuer Impulse für die Geschlechterforschung enthält (Eva Schäfer/Bettina Fritzsche/Claudia Nagode(Hrsg.), Geschlechterverhältnisse im sozialen Wandel. Interdisziplinäre Analysen zu Geschlecht und Modernisierung,Reihe Geschlecht und Gesellschaft, Bd. 26, Leske + Budrich, Opladen 2002). In diesem Band sindBeiträge der beteiligten Hochschullehrerinnen sowie der Kollegiatinnen versammelt. Das Kolleg wirkt jedochauch nach seiner Beendigung weiter. Immer noch erscheinen weitere Publikationen, denen Dissertationen zugrundeliegen, die im Rahmen dieses Kollegs finanziell oder ideell gefördert worden sind. In 2003 sind dieDissertationen von Edelgard Kutzner und Christa Schmalzhaf-Larsen neu erschienen, die wir im Folgendenkurz vorstellen.Das von der Heinrich-Böll-Stiftung geförderte Promotionskolleg „Geschlechterdemorkatie und Organisationsreform imglobalisierten Kontext“ wurde als Pilotvorhaben drei Jahre lang bis 2002 gefördert (gemeinschaftliches Projekt derUniversitäten Bielefeld und Bochum; Sprecherinnen: Ursula Müller und Ilse Lenz). Im Rahmen dieses Kolleg ist2003 die Dissertation von Sabine Marx abgeschlossen worden, die im Anschlss ebenfalls vorgestellt wird.Edelgard Kutzner: Die Un-Ordnung der Geschlechter.Industrielle Produktion, Gruppenarbeitund Geschlechterpolitik in partizipativenArbeitsformen, Rainer Hampp Verlag, Münchenund Mering 2003, 308 Seiten, 29,80 €,ISBN 3-87988-752-7Profitieren Frauen von Gruppenarbeit? Verlieren Produktionsarbeiterinnennicht doch alle ihre Arbeitsplätze?Ist es überhaupt attraktiv für Frauen, um (andere)Arbeitsplätze in der Produktion zu kämpfen? Was istdurch die Beteiligung von Frauen an der Gestaltungihrer Arbeit veränderbar?In diesem Buch geht es um Arbeiterinnen und Arbeiter,um Betriebsrätinnen und Betriebsräte, um Frauenund Männer in Vorgesetztenpositionen und im Management.Es wird gezeigt, wie sie die Arbeit gestalten,wie sie sich am Prozess der betrieblichen Umstrukturierungbeteiligen, wie sie ihre unterschiedlichen Interessendurchsetzen, welche Vorstellungen ihr Handeln beeinflussen.Umstrukturierungen sind Prozesse, die durch allerleiWendungen und Brüche gekennzeichnet sind. Hierverlieren traditionelle Formen der Arbeitsorganisationund mit ihnen auch bestehende Geschlechterdifferenzenals ordnende Strukturen ihren „Gesetzescharakter“.Mit der Einführung von Gruppenarbeit werden alteGrenzziehungen zwischen Frauen und Männern erklärungsbedürftig.Die Folgen sind Gleichzeitigkeiten vonVeränderung, Beharrung und Wiederherstellung.Das zentrale Ergebnis der vorliegenden Arbeit kannmit dem Begriff der Un-Ordnung der Geschlechterbeschrieben werden. Un-Ordnung verstanden als Ausdruckder Hin- und Herbewegung, als Ausdruck einesAuseinandersetzungsprozesses, als Ausdruck von Irritation.Akribisch und differenziert wird der Gestaltungsprozessvon Gruppenarbeit in fünf Unternehmen der Metall-und Elektroindustrie, der Nahrungsmittelindustrieund der chemischen Industrie nachgezeichnet und analysiert.Dabei werden Prozesse, Aushandlungen undAuseinandersetzungen „unterhalb“ der offiziellen Betriebsrealitätsichtbar gemacht, das scheinbar Selbstverständlicheenthüllt.Die vorliegenden Ergebnisse sind aufschlussreich füralle, die sich mit betrieblicher Umstrukturierung befassen.Das Buch richtet sich an Leserinnen und Leseraus Wissenschaft und Praxis.Christa Schmalzhaf-Larsen: Geschlechtersozialisationim Kontext. Eine Perspektive aufdie mittlere Kindheit und die frühe Adoleszenz ,Schriften zur Sozialisationsforschung, Bd. 1,Verlag Dr. Kovac Hamburg <strong>2004</strong>, 416 Seiten,ISBN 3-8300-1296-9Mit brilliantem soziologischen Sachverstand und einemhohen Maß an soziologischer Phantasie schafft die Autorindieses Buches inhaltliche Verbindungen zwischen<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>103


Neuerscheinungenzwei bisher unverbunden Forschungssträngen, die zudemverschiedenen Theorietraditionen entstammen.Bisher liefern vor allem konstruktivistisch inspirierteempirische Studien Erkenntnisse über das subjektiveund kollektive Verständnis vom Mädchen- bzw. Junge-Sein,wenn Prozesse der Geschlechtersozialisationin Peergruppen bei Kindern in der mittleren Kindheit(8-10 Jahre) und Jugendlichen in der Frühadoleszenz(12-14 Jahre) betrachtet werden. Das Betrachtungsfeldsolcher Arbeiten ist auf den Mikrokosmos Peergruppebeschränkt. Mögliche Wirkungen der Kontexte, in welchendiese Peergruppen verortet sind, werden in dieserForschungstradition nicht berücksichtigt.Demgegenüber arbeitet die sozial-strukturell ausgerichteteKindheits- und Jugendforschung vor allem überdie Wirkungen der familiären und der regionalen Umgebungenauf den Zugang zu Peergruppen in Schulen,Vereinen, auf Spielplätzen oder beim Sport. Prozesseinnerhalb dieser Peergruppen, besonders die geschlechtlichrelevanten, finden in dieser Forschungstraditionkeine Berücksichtigung.Mit ihrem sozialstrukturellen Zugang spezifiziert dieAutorin in diesem Band Mikroprozesse innerhalb vonPeergruppen so, dass sie sozialstrukturell anschlussfähigwerden. Das Ergebnis dieses Vorgehens ist das hochinnovative Modell ‚kontextualisierte Geschlechter-sozialisationvon Kindern und Jugendlichen in situiertenPeergruppen’.Die Autorin zeigt, dass Prozesse der Geschlechtersozialisationin Peergruppen sowohl direkt als auch indirektdurch die Umgebungen, in welchen die Peergruppensituiert sind, beeinflusst werden. Als indirektenEinfluss macht sie den familiären und den regionalenHintergrund von Kindern und Jugendlichen aus:Diese Komponenten der Herkunft sind entscheidenddafür, welche Peerorte überhaupt zugänglich sind.Peerorte ihrerseits stellen darüber hinaus eine Rahmungdar und zwar für Prozesse der Geschlechtersozialisation,die in den dort situierten Peergruppen stattfinden.Bei den Rahmungen handelt es sich entweder um einesogenannte ‚vergeschlechtlichte’ oder um eine sogenannte‚geschlechtsneutrale’ Kodierung einzelner Peerorte.Der direkte Einfluss der Peerorte besteht in derAnalyse dieses Buches darin, dass Mädchen und Jungensich an ‚vergeschlechtlichten’ Peerorten in Prozessender Geschlechtersozialisation als Differente erfahren,während sie sich an ‚geschlechtsneutralen’ Peerortenals Gleiche konstruieren.Indirekte und direkte Umgebungseinflüsse werdenvon der Autorin konstruktiv zusammengeführt, so dasssich für Kinder und Jugendliche je nach familiärer undregionaler Herkunft unterschiedliche Kombinationenvon Gleichheits- und Differenzerfahrungen an den ihnenzur Verfügung stehenden Peerorten eröffnen. Auszwei zentralen Dimensionen der Sozialstruktur, nämlichdem familiären Status und der regionalen Zugehörigkeit,entwickelt die Autorin eine innovative Beschreibungsozial-strukturell variierender Konstitutionsbedingungenvon Geschlecht.Sabine Marx: Kommunikation im Arbeitsteam.Eine Fallstudie mit Ingenieurinnen und Ingenieuren,Campus Verlag, Frankfurt/M./New York2003, 324 Seiten, 34,90 €, ISBN 3-593-37349-1Kommunikation kommt in der Neu/Gestaltung vonOrganisationen eine Schlüsselrolle zu. Dabei stellen sicheinige grundlegende Fragen:Wie „funktioniert“ überhaupt menschliche Kommunikation?Wie lassen sich kommunikative Ressourcenin Organisationen erfolgreich nutzen? Wie entfaltet sichkommunikative Kompetenz?Diesen Fragen geht das Buch aufgrund einer Fallstudiemit Ingenieurinnen und Ingenieuren nach. Untersuchtwurde die Zusammenarbeit in multiprofessionellenTeams. Es entstanden lebendige Porträts aktuellerTeamarbeit, die Einblick geben in den Berufsalltagder Beteiligten jenseits von Managementrhetorik.Die Autorin schildert die Auflösung wesentlicherOrientierungsfiguren wie Berufs- und Unternehmensidentität,Geschlechterordnung, Zukunft als zentraleHerausforderung an die Akteure. Die in der Studieangewandte Methode der Gruppendiskussion wirdausführlich dargelegt, besonders in ihrem Nutzen fürdie Organisationsberatung.104


NeuerscheinungenWeitere Neuerscheinungen:Mechthild Rumpf, Ute Gerhard, Mechtild M.Jansen (Hg.): Facetten islamischer Welten.Geschlechterordnungen, Frauen- und Menschenrechtein der Diskussion, transcriptVerlag, Bielefeld 2003, 319 Seiten, 24,80 €,ISBN: 3-89942-153-1Mit Blick auf die Geschlechterverhältnissewird der Islam häufig alsmodernitätsfeindlichesreligiöses und kulturellesSystem verstanden undeinem westlichen Emanzipationsverständnisgegenübergestellt.Die Beiträgedieses Bandes zeigen,wie unverzichtbardifferenzierende und interdisziplinärePerspektivensind, die sich auf dieVielfalt des Islam (auchin Europa), seine unterschiedlichenreligiösen Strömungen, Lebensformenund Vorstellungen von Geschlechterordnungen richten.Diskutiert wird die Beziehung zwischen Islam, Geschlechtund Menschenrechten. Dabei kommt dasPotenzial der reform-islamischen Ansätze zur Sprache,die nicht nur eine Herausforderung für die politischenRichtungen des Islam darstellen, sondern sich auch amKonzept der Gleichheit bei der Auslegung des islamischenRechts im Hinblick auf die Geschlechterverhältnisseorientieren.Metz-Göckel, Sigrid: Exzellenz und Eliteim amerikanischen Hochschulsystem, ReiheGeschlecht und Gesellschaft Bd. 30, Leske +Budrich, Opladen <strong>2004</strong>, 300 Seiten, 24,90 €;ISBN: 3-8100-3711-7Anstalten zu Ausbildungsstätten entwickelt, die jungeFrauen auf erfolgreiche Berufstätigkeiten vorbereiten.Inzwischen beanspruchen einige, eine bessere Ausbildungals die koedukativen Einrichtungen anzubieten.Das Buch untersucht am Beispiel des Wellesley-College,wie diese Programmatik umgesetzt wird und beschreibtdas Auswahlverfahren und die Konstruktioneines Studienjahrgangs, die Leitung und Alumnaekultur,das Studien- und Lehrprogramm sowie das studentischeCampus-Leben. Es basiert auf Recherchen undInterviews mit Studentinnen, Lehrenden und Verwaltungund gibt als datengestützte ethnographische Studieeinen bisher einmaligen Einblick in die Collegekulturder USA. Damit knüpft es an die aktuelle Diskussionum die Einführung der Bachelor- und Master-Studiengänge in der Bundesrepublik Deutschland an.Brück, Brigitte: Frauen und Rechtsradikalismusin Europa. Eine Studie zu Frauen in Führungspositionenrechtsradikaler Parteien in Deutschland,Frankreich und Italien, (Reihe Geschlechtund Gesellschaft Bd. 32), Leske + Budrich,Opladen <strong>2004</strong>, 220 Seiten, 15,90 €, ISBN: 3-8100-3857-1Das Buch führt in die zeitgenössische Rechtsextremismusforschung– sofern sie eine Geschlechterperspektiveberücksichtigt – ländervergleichend ein. Anhandvon Leitfadeninterviews mit Politikerinnen in Führungspositionenrechtsradikaler Parteien in Deutschland,Frankreich und Italien werden das Selbstverständnisund die politische Positionierung dieser Aktivistinnenuntersucht. Gemeinsamkeiten und Unterschiededieser Politikerinnen im Mittelpunkt werden analysiert.Dabei wird die Rolle der Politikerinnen in der Traditionsbildungund der Modernisierung ihrer Parteiennachgezeichnet. Das Buch bietet einen fundierten Überblicküber rechtsextreme Frauen in Europa und einenEinblick in die geschlechterkritische komparativeRechtsextremismusforschung.In den USA stehen die knapp 80 Women’s Colleges ineiner existenziellen Konkurrenz zu den koedukativenColleges. Sie mussten ihr Selbstverständnis seit den 70erJahren grundlegend ändern, um überhaupt bestehenzu können. Einige haben sich von Höheren Töchter-<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>105


<strong>Info</strong>s<strong>Info</strong>sKongress „Frauen in Naturwissenschaften undTechnik“ FiNuT <strong>2004</strong> no limits?!20. - 23. Mai <strong>2004</strong>,Zürcher Hochschule WinterthurFrauen in Naturwissenschaft und Technik begegnenGrenzen. Grenzen im Kopf, im Raum, in der Zeit.Grenzen die sie behindern, die sie herausfordern unddie Frauen immer wieder überschreiten. Frauen durchstoßenalte Vorurteile und bestimmen mit in naturwissenschaftlicherForschung und technischen Berufen.Frauen brechen wissenschaftliche Grenzen auf undbringen ihre Vorstellungen zu Themen ein, die bisherweitgehend von Männern gestaltet wurden. Frauenüberschreiten Grenzen, die sie sich auch oft selbst setzen.Der Kongress gliedert sich in vier Schwerpunkte:Grenzen für Frauen: Wie finden Frauen Zugang zuNaturwissenschaft und Technik? Wo liegen die weiblichenBarrieren in diesen Disziplinen? Wie werdenKarrieremöglichkeiten der Frauen behindert? Wie werdenFrauen durch gesellschaftliche Strukturen begrenzt?Grenzen des Raumes: Welchen Raum wollen wir? Wosind die Grenzen der Verdichtung, die Grenzen derMobilität? Welchen Freiraum möchten wir? Wie siehtein lebenswertes Umfeld aus der Sicht der an der Planungbeteiligten Fachdisziplinen aus? Wir möchtenFrauen und Aspekte aus den Fachbereichen Verkehrsplanung,Ökologie, Landschaftsarchitektur, Architektur,Soziologie etc. zu Wort kommen lassen. Wir möchtenauch neue Ansätze, z.B. neue Wohnformen diskutierenund viel Freiraum für weitere verwandte Themenlassen.Grenzen des Körpers: Wo ist die Grenze zwischenMensch und Maschine? Welche Träume vom künstlichenMenschen treiben uns an? Was sieht frau/mannwenn sie in ihren Körper hineinschauen? Wo setzt derweibliche Körper Grenzen? Können und sollen Grenzendes Körpers überwunden werden? Wie hat sichdas Körperempfinden der Frauen gewandelt? Wie istder ärztliche Blick auf den weiblichen Körper?Grenzen der Ressourcen: Welche Grenzen setzt uns dieTatsache, dass die natürlichen Ressourcen unseres Planetenbegrenzt sind? Wie geht der Mensch, insbesondereaber die Frauen mit diesem Faktum um? Sind dieseGrenzen Chancen? Wenn ja, wie können wir sienutzen?<strong>Info</strong>rmation und Anmeldung unter:http://www.finut<strong>2004</strong>.chMultiple Marginalities – Gender and educationin the global, local and transnational world2. - 4. June <strong>2004</strong>, Department of Education,University of HelsinkiWe invite you to the first interim Gender and EducationConference in order to discuss multiple dimensionsof marginalization in educational theories, processesand practices. Our aim is to generate dialogue on howthe global, local and transnational are played out in diverseeducational sites and spaces. How are marginalitieslived, embodied, experienced and transgressed and howcan they be challenged and transformed? Themes suchas pedagogical practices, youth cultures, space, embodiment,sexuality, activism, disabilities and age will bediscussed from multiple disciplinary perspectives, suchas education, sociology, psychology, women’s studies,youth studies and history.The Conference is organized by EDDI (Education andDifference researchers in Finland), in association withthe Gender and Education Association, Departmentof Education, Department of Sociology, HelsinkiCollegium for Advanced Studies, Finnish YouthResearch Network and Christina Institute for Women’sStudies.Further informations:http://www.helsinki.fi/ktl/gened/towards powerFrauen in Entscheidungspositionen in derWirtschaft16. - 18. Juni <strong>2004</strong>, Maritim pro Arte Hotel BerlinDie „gläserne Decke“, die den Aufstieg von Frauen indie Führungsetagen verhindert, beschreibt ein mehrdimensionalesProblem, das von den betroffenen Frauenvielfach als geschlechter-spezifische Diskriminierungerlebt wird. Fehlende Akzeptanz weiblicher Führungskräfte,geringere Förderung und Entlohnung als männlicheKollegen bei gleichzeitig höheren Leistungsanforderungen,Probleme bei der Balance von Familie undBeruf sind nur einige der Hürden, die Frauen auf demWeg in Entscheidungspositionen zu überwinden haben.Im Focus der Konferenz „TOwards Power – Frauenin Entscheidungspositionen in der Wirtschaft“ stehtder Erfahrungsaustausch auf europäischer Ebene, mitVertretern und Vertreterinnen aus Unternehmen, Unternehmensverbänden,Gewerkschaften, Wissenschaftund Politik und die Vorstellung erfolgreicher Beispieleaus der Praxis, wobei folgende Themenschwerpunkte106


<strong>Info</strong>sin Vorträgen und Podien vertieft werden:Themenschwerpunkt 1: Frauen in Entscheidungspositionenin der Wirtschaft – Zahlen, Fakten und Perspektiven,Themenschwerpunkt 2: Gleichstellung vonFrauen und Männern – Die rechtliche Situation in denEU-Mitgliedstaaten, Themenschwerpunkt 3: Balancevon Familie und Arbeitswelt, Themenschwerpunkt 4:Good practice – Unternehmensbeispiele und Beispieleder Arbeitnehmer-Vertretungen zur Förderung vonFrauenWeitere <strong>Info</strong>rmationen:http://www.towards-power.de/web/de/index.htmVeranstalter: Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und JugendOrganisation und Koordination:FrauenComputerZentrumBerlinCuvrystraße 1, 10997 Berlin, Tel: +49-30-617 970-23,E-Mail: towards-power@fczb.deMonoedukative Lehrformen für ein frauenorientiertesStudium in der <strong>Info</strong>rmatik undTechnik17. - 18. Juni <strong>2004</strong>, Fachhochschule KarlsruheZiel des Seminars ist ein Austausch über den Ansatzder monoedukativen Lehre in der <strong>Info</strong>rmatik und Technik.In diesem Seminar sollen einerseits neue Anregungenfür eine lebendige und motivierende Lehre gegebenund diskutiert werden. Gleichzeitig ist dieses Seminarals Dozentinnenkonferenz Teil der Vorbereitungfür die im September in Bremen und Furtwangen stattfindendenSommerstudien für Frauen in der <strong>Info</strong>rmatik– der <strong>Info</strong>rmatica Feminale. Neben Impulsen durchVorträge steht der Austausch von Erfahrungen mit monoedukativenLehrkonzepten im Mittelpunkt.Die <strong>Info</strong>rmatica Feminale motiviert Studentinnenin informationstechnischen Studiengängen durch zusätzlicheAngebote im Rahmen des Lernens unter Frauenund soll sie in ihrer Studienentscheidung unterstützen.Die monodukative Lehre stellt eine besondereLernform dar, mit der den Bedürfnissen von FrauenRechnung getragen werden soll. Die wissenschaftlichenHintergründe die für und gegen eine monoedukativeLehre sprechen sollen beleuchtet und deren Besonderheitendiskutiert werden. Anhand einer praktischenÜbung lernen die Teilnehmerinnen am Freitagnachmittagdas Themenfeld „Frauen in der Technik“ näherkennen machen und sich mit der Thematik näher vertraut.Zielgruppe: Professorinnen, Assistentinnen und Frauenbeauftragtean Fachhochschulen in Baden-Württembergsowie Frauen, die als Dozentin in einem Sommerstudiumfür Frauen in der <strong>Info</strong>rmatik tätig waren oderan diesem Projekt interessiert sind.Weitere <strong>Info</strong>rmationen und Anmeldung:Netzwerk Frauen.Innovation.Technik Baden-Württemberg,Tel: 07720 / 307-375,E-Mail: vge@fh-furtwangen.de,http://www.netzwerk-fit.deGIST – Gender Perspectives IncreasingDiversity for <strong>Info</strong>rmation Society TechnologyInternationales Symposium24. - 26. Juni <strong>2004</strong> in BremenErgebnisse der Forschung und Entwicklung von Technologienfür die <strong>Info</strong>rmationsgesellschaft (IST) sollenmit denen der Gender-Forschung verbunden werden,um so Potentiale für Synergien und Innovationen auszulotenund IST-Entwicklung auf nachhaltige Weisezu beeinflussen.Dies ist die Absicht des im Juni <strong>2004</strong> in Bremenstattfindenden Internationalen Symposiums GIST. DieHauptziele sind: Beeinflussung der IST Entwicklungund das Formen von IST aus der Geschlechtperspektive,Steigerung der Vielfältigkeit in der Entwicklungvon IST, Erweiterung der Perspektiven in den Anwendungenund in den Kontexten von IST, Diskussionüber Technologische Unterstützung und Aus-/Bildung,entworfen für die Notwendigkeiten beider Geschlechter,Errichtung und Verstärkung relevanter Netze, umdiese Ziele zu erzielen.Das Symposium „GIST – Gender Perspectives OpeningDiversity for <strong>Info</strong>rmation Society Technology“wird organisiert von dem GIST Team unter der Leitungvon Prof. Dr. Heidi Schelhowe (ArbeitsgruppeDiMeB – Digitale Medien in der Bildung-, Fachbereich<strong>Info</strong>rmatik der Universität Bremen). Ein Komitee internationalerExperten wird den Vorsitz des Symposiumsübernehmen. Die Vorbereitung des Symposiums wirddurch eine elektronische Plattform gestützt, die in einerpartizipatorischen Weise als der Ausgangspunkt fürein elektronisches Netzwerk errichtet wird.Weitere <strong>Info</strong>rmationen und die Online-Registrierungsind zu finden unter:http://www.e-gist.net<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>107


<strong>Info</strong>s„Gender Studies und Naturwissenschaften“ –Eine Bestandsaufnahme von Initiativen undAktivitäten an Hochschulen in Deutschland,Österreich und der Schweiz“25./26. Juni <strong>2004</strong>, Universität HamburgDiese Tagung wird vom Projekt Degendering Science– Ein Projekt zur Erweiterung des Wissenschaftsverständnissesund Curriculums der Naturwissenschaften(http://www.erzwiss.uni-hamburg.de/degende ring_science/) am Fachbereich Erziehungswissenschaften,Universität Hamburg in Kooperation mit dem Zentrumfür Frauen-, Geschlechter- und Queer-Forschungorganisiert.Im deutschsprachigen Raum gibt es unterschiedlicheInitiativen, den bisher marginalisierten Bereich derGender & Science Studies zu fördern und zu institutionalisieren,sowie Brücken zwischen den Gender Studiesund den Naturwissenschaften zu schlagen. Ziel dieserTagung ist es, eine Bestandsaufnahme und Vernetzungderjenigen Aktivitäten zu leisten, Forschung und Lehreim Bereich der Gender & Science Studies betreiben,entwickeln und fördern, ohne sich in Gleichstellungsmaßnahmenfür die Naturwissenschaften zu erschöpfen.Die Tagung richtet sich in erster Linie an Lehrendeund Forschende in Bereich Gender Studies & Naturwissenschaften,die ihre Aktivitäten interessiertenKollegInnen vorstellen und andere Projekte und Initiativenkennen lernen möchten oder generell an einemErfahrungsaustausch interessiert sind. Gleichstellungsbeauftragteund MultiplikatorInnen, die diesenBereich an ihren Hochschulen fördern möchten, sindals TeilnehmerInnen willkommen.Kontakt:Robin Bauer, Universität Hamburg,Fachbereich Erziehungswissenschaft,Projekt Degendering Science,Email: Bauer.Robin@erzwiss.uni-hamburg.deFrauen, Gründung, FörderungTransfer zwischen Wissenschaft und Praxis derFörderung28./29. Juni <strong>2004</strong>, Universität HohenheimZiel dieser Tagung ist es, im gemeinsamen Dialog vonpraxisnaher Forschung und forschungsnaher FörderungspraxisWissen über Gründerinnen zu erwerbenund weiter zu entwickeln. Damit soll der Grundsteinfür einen dauerhaften Dialog gelegt werden, der letztendlichder effizienteren Förderung weiblichen Gründungsverhaltensdienen soll. Themenschwerpunkte derTagung sind: 1. Individuelle Merkmale von Gründerinnen,2. Gründungsaktivitäten von Frauen im internationalenVergleich, 3. Infrastrukturelle Bedingungen derGründung von Frauen, 4. Netzwerkaktivitäten im Zusammenhangder Gründung von Frauen. Im Rahmender Tagung finden sowohl Einzelvorträge wie dreiWorkshops zu folgenden Themen statt: Workshop I:Förderkonzepte – Pro und Contra, Workshop II:Gründerinnenpraxis – Quo Vadis?, Workshop III:Wissenschaft – Forschungsbedarf.Mit dieser Tagung wenden wir uns vor allem an Wissenschaftlerinnenund Wissenschaftler, die sich mitGründerinnen beschäftigen sowie an Vertreter/-innenvon Gruppen, Organisationen, Verbänden, welche dieFörderung von Gründerinnen betreiben.Veranstalterinnen: Bundesweite Agentur für Gründerinnen(IBH GmbH und LGA – ifex), Center ofEntrepreneurship der Universität Hohenheim undHeidelberger Institut für Interdisziplinäre Frauen- undGeschlechterforschung (HIFI) e.V. (Heidelberg).Weitere <strong>Info</strong>rmationen zum Tagungsprogramm undAnmeldung bei:Christina Laib, Universität Stuttgart, SOWI – Abteilungfür Soziologie III, Seidenstr. 36, 70174 Stuttgart,Email: christina.laib@soz.uni-stuttgart.de„Wir bewegen uns – Ver.di bringt Gender in denMainstream! ...und wie läuft das in der Praxis?!“Genderpolitische Fachtagung für Betriebs- undPersonalrätinnen1./2. Juli <strong>2004</strong>, Magdeburg, Hotel RatswaageVeranstalter: ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschafte. V., Ressort 2 – Bereich Genderpolitik2 Jahre ist ver.di jung ñ eines unserer Ziele ist und war,Geschlechterdemokratie durch konsequente Anwendungvon Gender Mainstreaming zu fördern und zuverwirklichen. Nun wollen wir Resumee ziehen: Washat sich bewegt, welche Veänderungen in Politik undTagesarbeit haben stattgefunden, was läuft wo, wo gibtes Stolpersteine, welche Vorbildfunktion haben Führungskräfte?Anhand guter Beispiele soll deutlich werden,welchen Nutzen Gewerkschaft und Betriebe durchdie Anwendung von Gender Mainstreaming in der Alltagsarbeithaben und welche Instrumente und Grundlagendazu notwenig sind.108


<strong>Info</strong>sDie Tagung versteht sich insbesondere als Auftakt fürdie Ausweitung des Prozesses der Anwendung vonGender Mainstreaming aus der gewerkschaftlichen indie betriebliche Ebene, in das Alltagsgeschäft von Betriebs-und PersonalrätInnen. Dazu wollen wir inteilnehmerInnenorientierten Arbeitsformen Ideen entwickelnund Beispiele bearbeiten. Unterstützt werdenwir durch ExpertInnen aus unterschiedlichen Fachgebietenzur Verknüpfung von Fachkompetenz und Genderkompetenz.Wir laden herzlich dazu ein, an zwei Tagen gemeinsamzu erproben, wie in Betrieben und Verwaltungenund in ver.di mehr Demokratie zwischen den GeschlechternAlltagspraxis werden kann.Weitere <strong>Info</strong>rmationen unter:http://www.verdi.de/genderpolitik/veranstaltungen_seminare/genderpolitische_fachtagungoder bei: Stefanie Liebe, ver.di Bundesverwaltung,Ressort 2 – Bereich Genderpolitik,Email: stefanie.liebe@verdi.de,„Geschlechterstudien im deutschsprachigenRaum – Weiterentwicklung in Zeiten der Umstrukturierungvon Hochschulen“2./3. Juli <strong>2004</strong>, Universität Bremen(Kooperationsveranstaltung des Zentrums für feministischeStudien der Universität Bremen (ZFS)mit demZentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschungder Carl von Ossietzky Universität OldenburgIm letzten Jahr fand veranstaltet vom Zentrum fürtransdisziplinäre Geschlechterstudien der HumboldtUniversität zu Berlin die 1. Arbeitstagung der GenderStudies Programme im deutschsprachigen Raum statt.Der in Berlin begonnene Austausch und die Vernetzungder Geschlechterstudien sollen mit der 2. Arbeitstagung„Geschlechterstudien im deutschsprachigenRaum – Weiterentwicklung in Zeiten der Umstrukturierungvon Hochschulen“ (Arbeitstitel) am 2./3. Juli<strong>2004</strong> an der Universität Bremen fortgeführt werden.Weitere <strong>Info</strong>rmationen unter:http://www.zfs.uni-bremen.de/oder über Email: zfs@uni-bremen.deMasterstudiengang „Gender und Arbeit“ derHamburger Hochschule für Wirtschaft undPolitik (HWP)Die Hamburger Hochschule für Wirtschaft undPolitik ( HWP) besitzt seit 2001 einen interdisziplinären,hochschulübergreifenden MasterstudiengangMA „Gender und Arbeit“, der seit diesem Jahr ohneAuflagen akkreditiert wurde. Im Wintersemester<strong>2004</strong> beginnt der 3. Durchgang im Gender und Arbeit-Master.Als bisher einziger Masterstudiengang im Genderbereichin Deutschland bietet das viersemestrigeStudium die Chance Genderkompetenz sowohl für wissenschaftlicheBereiche als auch für die Praxis mitdem Fokus auf den Bereich der Arbeit zu erwerben.Theoretische Module enthalten die Konstruktionund Dekonstruktion von Geschlecht und Methodender Geschlechterforschung. PraxisorientierteModule die Anwendung von Genderwissen in Praxisfeldern:u.a. geschlechtsspezifischen Unterschiedein der Struktur und den Verfahren des Wohlfahrtsstaats,Gender (Mainstreaming) im Betrieb, dieZukunft der Arbeit aus Genderperspektive sowiespezifische Berufsfeldern. Das Masterprogrammwird hochschulübergreifend angeboten.Das Angebot richtet sich an Frauen UND Männer,die sich gezielt in den genannten Themen weiterqualifizierenwollen und/oder diejenigen, dieGenderkompetenz als einer zukünftigen Schlüsselqualifikationentwickeln und ausbauen möchten.Ziel ist es, analytische und praktische Fähigkeitenzu vermitteln, um die Prozesse erkennen undverändern zu lernen, über die soziale Positionen, Arbeitund Verantwortung, Bezahlung und Anerkennunggeschlechtsspezifisch zugeordnet und zugewiesenwerden. Durch die Wahl eines von vier Zusatzangebotendes Masterprogramms besteht die Möglichkeitsich entweder stärker praxis- oder stärker theoretischauszurichten, je nach den angestrebten Berufsperspektiven.Der Praxisbezug wird zudem für alle Studierendeüber eine zweisemestrige Lernwerkstatt, einzweimonatiges Praktikum sowie Gender Traininghergestellt.Bewerbungsfrist für das Wintersemester <strong>2004</strong>/05ist der 15. Juni <strong>2004</strong>.Für nähere <strong>Info</strong>rmationen wenden Sie sich anSonja Nielbock : NielbockS@hwp-hamburg.deoder 42838-3065.<strong>Info</strong> 21.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>27</strong>/<strong>2004</strong>109


<strong>Info</strong>s110

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