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Von punk zum dax - Hessischer Rundfunk

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02 | märz/april | 2009<br />

Unglaubliches Indien<br />

ausland<br />

Manipulierte Stromzähler im Keller und wilde Paviane vor der Haustür gehören <strong>zum</strong> Alltag von ARD-Fernsehkorrespondent<br />

Markus Gürne in Neu-Delhi. Seit 2008 berichtet er nicht nur aus Indien, sein Einsatzgebiet erstreckt sich von Afghanistan bis<br />

Bangladesch und von Sri Lanka bis zu den Malediven. Der hr-Reporter über die Widrigkeiten seiner neuen Heimat.<br />

Für die ARD in Südasien: hr-Korrespondent<br />

Markus Gürne Foto: hr/Ben Knabe<br />

Dunkel ist es und<br />

ziemlich kalt,<br />

wenn morgens<br />

um acht Uhr der<br />

Tag in Neu-Delhi<br />

beginnt. Winternächte<br />

in der<br />

Hauptstadt Indiens<br />

sind nicht<br />

warm, sondern<br />

um die sieben<br />

Grad kalt. Da die Wohnungen Steinböden und keine<br />

Heizungen haben, hat man eher das Gefühl, in einem<br />

Kühlschrank zu leben. Aber in vier Wochen werden es<br />

nachts wieder 30 Grad sein, wenn schlagartig von Winter<br />

auf Sommer umgeschaltet wird und die Hitze einem<br />

den Schweiß auf die Stirn treibt.<br />

Das Klima – nur einer von vielen Kontrasten zu<br />

Deutschland, nicht nur in Indien, sondern in ganz Südasien.<br />

Der Subkontinent ist so ganz anders als Europa, es<br />

braucht schon ein Jahr, um richtig anzukommen.<br />

Das gilt sowohl privat als auch beruflich. Effizienz<br />

wird in Südasien nicht wirklich groß geschrieben – es hat<br />

und dauert alles seine Zeit. Der Wocheneinkauf muss<br />

dabei ebenso gut vorbereitet sein wie ein Arztbesuch<br />

oder ein Behördengang. Der Freizeitwert ist sehr gering.<br />

In den heißen Monaten von März bis Oktober, wenn die<br />

Temperaturen auf 42 Grad steigen, sehnt man sich nach<br />

einem Schwimmbad, doch leider gibt es keins in Neu-<br />

Delhi, <strong>zum</strong>indest keins, das man bezahlen möchte. Die<br />

einzigen Pools sind die der vier großen Hotels, und für<br />

eine Jahresmitgliedschaft von 250.000 Rupien, etwa 3.900<br />

Euro, darf man zu festgelegten Zeiten schwimmen gehen.<br />

Deshalb haben wir lieber ein großes aufblasbares Kinderbecken<br />

auf den Balkon gestellt.<br />

Dreckig und aufregend<br />

Und doch, trotz all der Anstrengungen, die Neu-Delhi für<br />

eine Familie aus Deutschland bietet, sind wir alle sehr<br />

froh hier zu sein. Mit festem Wohnsitz in einer der dreckigsten<br />

und wohl auch aufregendsten Städte der Welt.<br />

Mit wilden Papageien morgens vor dem Fenster und Pavianen,<br />

die an der Hauswand herumturnen. Es ist ein Abenteuer,<br />

und zwar ein ziemlich großes. Seit ein paar Monaten<br />

sind wir „Indian Residentials“ und zahlen in Museen<br />

oder Heiligtümern nicht mehr den zehnfachen Ausländerpreis,<br />

sondern den des indischen Bürgers.<br />

Für die Arbeit eines Korrespondenten gibt es wohl kein<br />

spannenderes Berichtsgebiet als Südasien: von Afghanistan<br />

bis zu den Malediven, vom Krisengebiet <strong>zum</strong><br />

Urlaubsparadies, von kargem bergigem Land zur Wasserwelt<br />

im Indischen Ozean. So vielfältig wie die Landschaft<br />

sind die Themen, obwohl die Reisen in Krisenregionen<br />

deutlich überwiegen. Afghanistan, Pakistan, Sri Lanka,<br />

Nepal, Bangladesch und auch Indien – überall dort gibt es<br />

bewaffnete Konflikte, oder die Länder sind regelmäßig<br />

Schauplätze von Terrorakten. Nur Bhutan und die Malediven<br />

sind davon bisher verschont.<br />

Angesichts dieser Umstände<br />

muss ich immer<br />

und zu jeder Zeit reisefertig<br />

sein, ausgestattet mit allen<br />

Visa für die Länder meines<br />

Berichtsgebiets.<br />

Besonders wichtig<br />

aber ist eine Zeittabelle,<br />

denn in so ziemlich jedem<br />

Land gehen die Uhren<br />

anders. Nepal ist 15 Minuten<br />

weiter als Indien,<br />

Pakistan eine halbe Stunde zurück. Afghanistan bleibt<br />

immer 1,5 Stunden zurück und Bangladesch ... hab ich<br />

vergessen. Meine größte Sorge ist deshalb, irgendwann<br />

einmal die Beiträge zu spät nach Deutschland zu schicken.<br />

Zum Glück gibt es aber immer ein Team, mit dem<br />

man reist. Und sie beherrschen nicht nur das Handwerk,<br />

das Grundvoraussetzung sein muss – man kann<br />

sich vor allem zu hundert<br />

Prozent auf sie verlassen.<br />

Und wenn wir dann nach<br />

Tagen oder Wochen von einer<br />

Reise zurück nach Delhi kommen<br />

und zurückblicken auf<br />

das Erlebte, dann stimmt uns<br />

das sehr zufrieden. Mit diesen<br />

Erinnerungen lässt es sich<br />

auch leichter ertragen, wenn<br />

nach der Rückkehr wieder der<br />

gesamte Strom des Hauses<br />

über den Stromzähler der<br />

Deutschen läuft und keiner<br />

weiß, wie das wieder passieren<br />

konnte! Und man Ewigkeiten<br />

braucht, um das Geld<br />

wieder einzutreiben und vor<br />

allem den Zähler wieder auf<br />

eigene Kosten umzustellen.<br />

Dann weiß man auch, dass<br />

der Slogan der indischen Tourismus-Branche<br />

„Incredible<br />

India! – Unglaubliches Indien“<br />

wie die Faust aufs Auge passt.<br />

Es ist wirklich unglaublich,<br />

an diesem Ort sein zu<br />

dürfen und in einer extrem<br />

spannenden Zeit alle Seiten<br />

Indiens und Südasiens miterleben<br />

zu können: den Wandel<br />

vom armen Drittwelt- <strong>zum</strong><br />

Schwellenland und mittlerweile<br />

auf dem Weg zur Wirtschaftsmacht,<br />

das wachsende<br />

Selbstbewusstsein Indiens<br />

einerseits, Indien als Opfer<br />

von Terroranschlägen ande-<br />

Markus Gürne berichtet seit märz 2008 für die arD<br />

aus Neu-Delhi über indien, afghanistan und weitere<br />

länder Südasiens. Gürne arbeitete zuvor für die arD-<br />

Studios Kairo und Bagdad, 2005 übernahm er die leitung<br />

von „arD-aktuell“ beim hr. insgesamt berichten<br />

für die arD rund 100 Korrespondenten von 30 Orten der<br />

Welt. im auftrag des hr kommen Hörfunk-Beiträge aus<br />

Brüssel, madrid, Washington, los angeles und rabat,<br />

Fernsehberichte aus madrid und Neu-Delhi.<br />

rerseits, die noch immer<br />

riesige Kluft zwischen<br />

extremer Armut und<br />

ausuferndem Reichtum<br />

und Indien als Stabilitätsfaktor<br />

in einer instabilen<br />

Region.<br />

Indien und ganz Südasien<br />

werden in den<br />

nächsten Jahren noch<br />

viel von sich hören lassen<br />

– und wir werden<br />

darüber berichten! [Markus Gürne] n<br />

• Reportagen von Markus Gürne im ,,Weltspiegel”,<br />

das Erste, So, 22. März (Indiens neue Mittelklasse),<br />

und So, 29. März (Hebammen im Slum),<br />

jeweils 19.20 Uhr<br />

• Mehr Lust auf Indien: Probieren Sie unser<br />

indisches Rezept auf S. 16<br />

Mal prunkvoll, mal dreckig, aber immer aufregend: So lebt man im indischen Neu-Delhi,<br />

der neuen Heimat von Korrespondent Markus Gürne. Foto: pa/dpa

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