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Sehr geehrter Herr Schönauer aus Ingolstadt, Ich antworte auf Ihren ...

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<strong>Herr</strong> S. vor dem heutigen Christoph-<br />

Scheiner-Gymnasium<br />

(Privatbesitz)<br />

<strong>Sehr</strong> <strong>geehrter</strong> <strong>Herr</strong> <strong>Schönauer</strong> <strong>aus</strong> <strong>Ingolstadt</strong>,<br />

<strong>Ich</strong> <strong>antworte</strong> <strong>auf</strong> <strong>Ihren</strong> Brief vom 08.10.03, den ich vom Deutsch-<br />

Tschechischen Zukunftsfond bekommen habe. <strong>Ich</strong> hätte viel erzählen können,<br />

aber mit dem Schreiben ist es nicht so einfach.<br />

Anfang des Jahres 1943 wurde ich <strong>auf</strong>gefordert, zum Arbeitsamt in Prag<br />

Po�í�í zur Musterung zu kommen. Dort sagte man mir, dass mein<br />

Arbeitsverhältnis in Prag gekündigt wurde und mir wurde befohlen, mich am<br />

15.02.43 am Hauptbahnhof einzufinden, weil ich ins Reich fahren solle, um<br />

dort zu arbeiten. <strong>Ich</strong> würde mit dem Transport NO1 ins Reich fahren.<br />

W ir sind mit einem Zug gefahren, der mit Zwangsarbeitern überfüllt war. Der<br />

Zug fuhr nach München. Der Transport kam in LAA Bayern München bei<br />

einer großen Brauerei mit großen Sälen an. W ir warteten lange, bis uns die<br />

einzelnen Firmen abtransportiert haben. Mich, (V. Š.) und F. S., hat die Firma<br />

Riebel und Söhne <strong>aus</strong> <strong>Ingolstadt</strong> gewählt. Sie brachten uns mit einem Auto in<br />

ein Lager, in eine Holzbaracke von ca. 25 m x 10 m Größe mit 3 Räumen. Ein<br />

kleines Zimmer war für den W ächter, der uns bewachte, ein noch kleineres<br />

als Küche und ein großer Raum, wo wir geschlafen und gesessen haben; ein<br />

großer Tisch und Etagenbetten, immer zwei übereinander. Es war kalt dort,<br />

und wenn es regnete, ist das W asser <strong>auf</strong> uns geflossen. Es gab dort einen<br />

kleinen Ofen, aber das Zimmer hat er nicht geheizt.<br />

Nach einem halben Jahr sind noch 5 Tschechen und 22 Franzosen<br />

angekommen, auch Arbeiter. Die Gefangenen waren woanders. Unweit von<br />

uns waren weitere Lager für die Arbeiter, für Zwangsarbeiter <strong>aus</strong> Polen und<br />

Russland. Im Lager konnte man nicht schlafen wegen des Lärms, wenn die<br />

Franzosen gestritten haben. Das Lager war umzäunt (anbei das Foto) 394 , mit<br />

einem Zaun geschlossen und in der Nacht durch den Lagerleiter bewacht.<br />

Morgens in der Früh hat er uns zur Arbeit gebracht, wir arbeiteten dann 12<br />

Stunden. Am Samstag bis 12.00 Uhr.<br />

Das Frühstück und Mittagessen hat uns eine Frau <strong>aus</strong> der Kantine<br />

vorbereitet. Das Essen war schlecht, unappetitlich, lauter Kartoffeln,<br />

Kohlrüben, Brot. Man konnte es kaum essen. Um das Abendessen mussten<br />

wir uns selbst kümmern. Es war Mangel an Brot, alles war nur mit<br />

Essensmarken zu bekommen. Auch am Sonntag mussten wir uns das Essen<br />

selbst <strong>auf</strong>treiben und vorbereiten. W as können schon junge 23jährige Jungen<br />

kochen - es war schrecklich!<br />

Ausgang hatten wir Samstagnachmittag bis 17.00 Uhr, am Sonntag bis 16.00<br />

Uhr.<br />

Für die Arbeit bekamen wir 5,50 Tschechische Kronen, wie viel Mark es<br />

waren, weiß ich nicht mehr.


Für die Arbeit wurden wir eingeschult. Die Firma stellte zunächst Sportsachen<br />

her, dann wurde alles geändert, um Sachen für den Krieg zu produzieren<br />

(Riemen, Segel u.a.). Die Arbeit war schwer.<br />

Für Bekleidung und Verpflegung haben wir keinen Zuschuss bekommen, alles<br />

waren unsere persönlichen Sachen. Wer krank war, ist 2-3 Tage im Lager<br />

geblieben. Unsere Freizeit verbrachten wir meist im Lager, später wurde es<br />

ein wenig freier, also habe ich mich einer Fußballmannschaft angeschlossen.<br />

Wir Tschechen <strong>aus</strong> den Fabriken und von der [Reichs-] Bahn sind<br />

zusammengekommen und haben Fußballwettkämpfe <strong>aus</strong>getragen. Wir haben<br />

die Franzosen und auch die Italiener 7:1 besiegt.<br />

Kontakt mit der Heimat – 1x Urlaub im Sommer. Sonst hat mir meine Mutter<br />

Essen geschickt. Es war (im Protektorat) auch nur mit Essensmarken zu<br />

bekommen, aber Brot und Gugelhupf schickte sie oft.<br />

Kontakte hatten wir dann später, als es schon freier war, mit anderen<br />

Tschechen, mit Polen, Russen, Franzosen, die wir im Lager hatten, aber zu<br />

uns kamen auch Gefangene, aber auch die haben in der Fabrik gearbeitet.<br />

Deutsch habe ich nicht gelernt, weil ich die Deutschen nicht gemocht habe,<br />

weil sie mich von der Familie, von der Heimat weggerissen hatten. Heute<br />

würde man es anders nehmen. <strong>Ich</strong> war jung und unvernünftig. Aber es gab<br />

auch gute Deutsche. Der Meister mit dem Namen <strong>Herr</strong> Langraf. <strong>Ich</strong> half ihm,<br />

Gras für die Kaninchen zu mähen, er hat mir dafür Brot gegeben. <strong>Herr</strong> R., das<br />

war ein internationaler Mensch, er hat Esperanto gesprochen, hat Radio<br />

gehört und erzählte uns die neuen Nachrichten über den Krieg. Dann hatte<br />

ich neben mir am Arbeitsplatz einen Deutschen, der mich am 24.12.44 zum<br />

Weihnachtsmittagessen in ein Dorf in der Nähe von <strong>Ingolstadt</strong> eingeladen hat<br />

und mir Weihnachtsplätzchen gab. An diesem Weihnachten waren wir im<br />

Lager nur noch 6 Franzosen und 4 Tschechen. Die anderen waren schon <strong>auf</strong><br />

verschiedene Weise nach H<strong>aus</strong>e gelangt.<br />

Unsere Befreiung, wenngleich auch eine schwierige, brachte uns der<br />

Luftangriff vom 01.03.45 <strong>auf</strong> die Stadt <strong>Ingolstadt</strong>. Es war ein schwerer Angriff,<br />

aber er traf nicht die Fabriken. Wir versteckten uns im städtischen Bunker, in<br />

der Festung der Stadt [wahrscheinlich Fronte Rechberg] 395 . Aber auch der<br />

scheinbar so feste Bunker ging kaputt. Die Bombe ist durchgeflogen, die<br />

Leute saßen <strong>auf</strong> den Bänken, die Tschechen und Franzosen standen. Der,<br />

der direkt dem Druck <strong>aus</strong>gesetzt war, war tot. Die Leute saßen <strong>auf</strong> den<br />

Bänken, <strong>aus</strong> dem Mund floss Blut und das war das Ende. Mit meinen<br />

Kameraden sind wir so gestanden, dass uns der Druck gegen die Mauer<br />

geworfen hat. Wir lebten, aber der Kopf und auch der Körper haben weh<br />

getan, wir bluteten <strong>aus</strong> dem Mund und haben erbrochen. Die Franzosen, die<br />

mit uns geredet haben und uns gegenüber standen sind, waren tot, weil sie<br />

direkt dem Druck <strong>aus</strong>gesetzt waren. Auch viele Deutsche. Die Überlebenden<br />

haben „Vater unser“ gebetet. Die Deutschen haben den Bunker gleich<br />

geräumt und die Toten vor den Bunker getragen. Vielleicht 30-50 Deutsche<br />

und 15 französische Gefangene. Nachdem unsere Wunden behandelt worden<br />

waren, gingen wir ins Lager. Aus meinem Schrank war (inzwischen) alles<br />

gestohlen worden, Geld, meine Uhr, Kleidung, alles! Die Stadt war ohne<br />

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Elektrizität, nicht einmal Wasser ist geflossen. Wir haben Wasser <strong>aus</strong> Pfützen<br />

genommen. Zur Arbeit sind wir nicht mehr gegangen, weil die Fabrik<br />

beschädigt worden war. Darum hat uns die Firma Riebel dem Arbeitsamt<br />

übergeben. Nach H<strong>aus</strong>e wollten sie uns nicht entlassen. Wir sind also am<br />

13.03.1945 geflohen, ein bisschen sind wir mit dem Zug gefahren und viel zu<br />

Fuß gegangen, weil die Züge oft von Flugzeugen angegriffen wurden. Wir<br />

fuhren bis nach Regensburg, auch mit einem Militärzug, aber noch weit vor<br />

der Grenze setzten sie uns <strong>aus</strong>. Und so sind wir über die Grenze durch Wald<br />

und Wasser in die Tschechoslowakei gekommen. Nach Budweis und Prag<br />

fuhren wir mit einem Zug. Wir haben uns das Geld für die Fahrkarten leihen<br />

müssen.<br />

In Prag haben sie mich nicht erkennen können, weil ich in so einem<br />

erbärmlichen Zustand war. Das war am 19. März. Das habe ich mir als<br />

Andenken zurückgebracht und noch einen Gürtel von den Franzosen. Auch<br />

meine Fotografie und die des Lagers, die ich beilege.<br />

Die momentane Situation von diesem Leiden sind: 3 Herzinfarkte, eine<br />

kaputte Wirbelsäule, seit dem Jahr 1960 – da war ich 40 Jahre alt! - bin ich in<br />

der Invalidenrente. So lebe ich 83 Jahre in Krankheit, aber ich lebe immerhin!<br />

<strong>Ich</strong> habe mich an den Zukunftsfond mit der Bitte gewandt, damit mir der<br />

Besitz, der mir im Lager gestohlen worden ist, bezahlt wird; das sind 3.500,00<br />

Kronen, etwa 90 Reichsmark. Der Fond wird es aber nicht <strong>aus</strong>zahlen. Meine<br />

Rente ist nicht groß, aber mit ein wenig Bescheidenheit kann man leben.<br />

Deutsch habe ich dort nicht gelernt, ich wollte <strong>aus</strong> Trotz nicht sprechen, aber<br />

jetzt sehe ich, dass es ein Fehler war.<br />

Alles kann man nicht beschreiben, es wäre ein Buch, was ich alles in<br />

Deutschland, in <strong>Ingolstadt</strong>, München, Regensburg erlebt habe. <strong>Ich</strong> wäre<br />

gerne dorthin gefahren, um alles noch einmal zu sehen, aber es gab kein<br />

Geld, und es gab auch kein Reiseangebot dorthin. Die zwei Jahre dort waren<br />

aber sehr schwer.<br />

In Erinnerung Š. V., der in <strong>Ingolstadt</strong> bei der Firma Riebel und Söhne<br />

gearbeitet hat.<br />

V. Š.<br />

106 00 Praha 10 3.11.2003


<strong>Sehr</strong> <strong>geehrter</strong> <strong>Herr</strong> Tobias <strong>Schönauer</strong><br />

Ihr Brief hat mich veranlasst mich an die schwere Zeit zu erinnern, die in<br />

meiner Jugend gekommen ist. Und Jugend, ist immer Jugend, auch später<br />

erinnert man sich an sie nicht so bitter, wie im Alter.<br />

Und heute, mit mehr als 80 Jahren, bin ich überrascht wie ich das Alles<br />

<strong>aus</strong>halten konnte, leben, lieben, alles vergessen und überleben konnte. Es<br />

zeigt sich: Der Mensch kann alles!<br />

<strong>Ich</strong> – D. E. N. 1923 geboren, Geburtsname B. Als der Krieg anfing lebten wir<br />

<strong>auf</strong> der Krim. Außer mir gab es in der Familie noch fünf Kinder, ich war die<br />

Älteste. 1942, Vater war an der Front, arbeitete ich mit meinen Schwestern,<br />

um irgendwie zu leben, als Taglöhner. Wir halfen bei der Obsternte. Dafür<br />

haben uns die Deutschen mit kostenlosem Mittagessen gefüttert 396 . Eines<br />

Tages kam ein Auto <strong>auf</strong> das Feld. Sie registrierten uns alle und befahlen uns,<br />

<strong>auf</strong> der Arbeitsburse zu erscheinen. Wir hatten Angst nicht zu gehorchen. Auf<br />

der Burse registrierten sie uns erneut und erklärten, dass wir nach<br />

Deutschland fahren müssen (sie haben nur die jungen Leute genommen).<br />

Sie transportierten uns in sehr überfüllten Güterwagons, <strong>auf</strong> der leeren<br />

Fläche. Die Tür war mit einem Vorhängeschloss zugesperrt. Im ganzen<br />

Wagon gab es nur zwei kleinere Fensterchen und es war Ende August 1942.<br />

Wir haben nur am Morgen und am Abend Halt gemacht, je 10 bis 15 Minuten<br />

in der leeren Steppe. In drei bis vier Tagen brachten sie uns in irgendein<br />

Städtchen und schickten uns in ein Bad. Nach dem Bad fuhren sie uns weiter,<br />

aber nicht lange. Sie haben uns <strong>aus</strong>geladen, Reihen gebildet und irgendein<br />

Mensch (Großgrundbesitzer) hat sich 20 Menschen <strong>aus</strong>gewählt, unter ihnen<br />

auch mich. Er brachte uns <strong>auf</strong> seinen Hof zur Kartoffelernte. Wir arbeiteten<br />

bei ihm zwei oder drei Wochen, schliefen <strong>auf</strong> Strohsäcken, aber sie haben<br />

uns gut gefüttert, drei mal am Tag. Wir arbeiteten viel und schwer ab 7 Uhr<br />

früh bis spät abends. Nachdem die Ernte eingebracht war, kam am Abend ein<br />

mit einer Plane abgedeckter LKW. Sie luden uns alle ein und fuhren los. Es<br />

hat geregnet, es war dunkel und kalt. Sie brachten uns ins Lager in der Stadt<br />

<strong>Ingolstadt</strong>. Das Lager war sehr groß, von allen Seiten mit einer hohen Mauer<br />

und Stacheldraht umzäunt. Sie brachten uns in einen großen Raum, in dem in<br />

Reihen Etagenbetten mit Matratzen und Kissen standen. Sie waren mit Stroh<br />

gefüllt und wir wohnten dort mit 70 Menschen. So bin ich also in ihre Stadt<br />

gekommen.<br />

Außer Russen, Ukrainern und anderen Sowjets gab es im Lager Polen,<br />

Tschechen, Jugoslawen, aber sie lebten getrennt von uns <strong>auf</strong> der anderen<br />

Seite.<br />

Jeden Tag haben uns Polizisten in eine Fabrik zur Arbeit geführt (<strong>Herr</strong> P. und<br />

Ludwig). In der Fabrik arbeiteten wir in den Werkstätten. <strong>Ich</strong> in der Werkstatt<br />

Nr. 36 beim Meister <strong>Herr</strong> F. Oberdirektor war <strong>Herr</strong> K. Wir arbeiteten 12<br />

Stunden am Tag an einer Drechselmaschine. Aus dem Raum zu gehen und<br />

sich frei <strong>auf</strong> dem Gelände der Fabrik zu bewegen, dazu hatten wir kein Recht<br />

ohne eine spezielle Erlaubnis.<br />

Wir bekamen drei mal am Tag Essen, aber es als Essen zu bezeichnen wäre<br />

sehr schwer. Zum Frühstück gab es Brei <strong>aus</strong> Rüben oder Mohrrüben, zum<br />

Mittagessen (wässrige) Suppe mit den gleichen Rüben und am Abend nicht<br />

viel Brot und Tee.<br />

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Am Sonntag haben sie uns ein „Sonntagsfrühstück“ gegeben, das waren<br />

d rei gekochte Kartoffeln „im Mantel“ [Pellkartoffeln] und zum Abendessen<br />

B ro t und ein Stück Zucker zum Tee.<br />

Dann, wenn der Sonntag gekommen ist, und wir zu fünft oder sechst für 3-4<br />

Stunden frei bekommen haben, sind wir zu deutschen Häusern gegangen und<br />

baten bei den Bauern um etwas zu Essen. Sie gaben uns Kartoffeln, Äpfel<br />

und Ähnliches, aber auch das war Essen und essen wollte man doch die<br />

ganze Zeit.<br />

In die Stadt, ins Zentrum, sind wir nicht gegangen, weil wir sowieso kein Geld<br />

hatten.<br />

Was die Kleidung betrifft, gaben sie uns Arbeitsmäntel mit dem Zeichen<br />

„Ostarbeiter“ und Schuhe mit einer hölzernen Sohle. Briefe nach H<strong>aus</strong>e<br />

haben wir geschrieben und auch bekommen. Kulturelle- oder auch<br />

Sportveranstaltungen gab es nicht. Am Sonntag haben sie manchmal Tanz<br />

mit einer Harmonika veranstaltet.<br />

Mit der deutschen Bevölkerung haben wir nicht verkehrt, außer bei der Arbeit.<br />

Die Sprache konnten wir fast überhaupt nicht.<br />

Befreit hat uns die Amerikanische Armee. Sie haben uns von <strong>Ingolstadt</strong> bis<br />

zur Grenze gefahren.<br />

Ja, das alles war sehr schwer und schrecklich, aber wir waren jung, hübsch<br />

und nett. Dort im Lager bin ich meiner Liebe begegnet – D. A. – einem<br />

Ukrainer <strong>aus</strong> der Stadt Zaporoschija. Es war unsere Jugend, wir haben<br />

gelebt, uns getroffen, geliebt und wollten geliebt werden.<br />

Nach H<strong>aus</strong>e kam ich schon im 9. Monat schwanger zurück. Die letzten 1 ½<br />

Monate teilten sie mich nur zur leichteren Arbeit ein.<br />

Nach der Ankunft zu H<strong>aus</strong>e haben wir mit A. unsere Heirat registriert und am<br />

29.01.1946 habe ich eine Tochter zur Welt gebracht. Aber leider hatten wir<br />

kein Familienleben und ich habe mich von A. getrennt.<br />

In der Heimat nahmen sie uns nicht besonders nett <strong>auf</strong>, weil wir verdächtigt<br />

wurden, dass wir Spionage <strong>aus</strong>geübt hätten und dass wir Verräter wären. In<br />

diesem Zusammenhang haben wir uns bemüht, unseren Aufenthalt im<br />

Deutschland nicht an die große Glocke zu hängen. Aber allmählich hat sich<br />

das Leben normalisiert. Meine Tochter ist gewachsen, ich habe zum<br />

zweitenmal geheiratet und bekam noch eine Tochter.<br />

Das ganze weitere Leben habe ich viel arbeiten müssen, um den Töchtern<br />

eine gute Bildung zu ermöglichen. Die ältere hat eine höhere Bildung<br />

beendet, die jüngere eine mittlere Spezial<strong>aus</strong>bildung. <strong>Ich</strong> habe auch eine<br />

Enkelin und einen Urenkel, er ist schon 12 Jahre alt. Im Jahr 1992 starb mein<br />

Mann, meine größte Stütze im Leben. Jetzt lebe ich mit der jüngeren Tochter<br />

und dem Schwiegersohn zusammen. Überfluss in der Familie haben wir nicht.<br />

Die Rente von uns, den Rentnern in der Ukraine, ist klein, viel kleiner als das<br />

Lebensminimum ist, aber wir leben...


Darum bin ich dem heutigen Deutschland dankbar für die Erfüllung des<br />

Versprechens der finanziellen Kompensation für unsere Arbeit in den<br />

Kriegsjahren. Dieses Geld hat uns bestimmte materielle Unterstützung in dem<br />

heutigen, auch nicht leichtem Leben geleistet.<br />

Meine Gesundheit ist schon schwach und die Beine wollen nicht mehr l<strong>auf</strong>en.<br />

Was meine Schwestern betrifft, eine von ihnen ist mit mir nach H<strong>aus</strong>e<br />

zurückgekehrt, sie lebt jetzt <strong>auf</strong> der Krim in der Stadt Simferopol. Leider ist sie<br />

erblindet. Die zweite – Marija – ist im Westen geblieben. Sie hat bei einem<br />

„Bauer“ gearbeitet, einen Jungen <strong>aus</strong> Jugoslawien kennen- und lieben<br />

gelernt, ist mit ihm gegangen, hat ihn geheiratet und lebt dort mit ihm. Sie hat<br />

drei Söhne. Der eine lebt in Australien (er ist in Deutschland geboren), der<br />

zweite in der Schweiz und der jüngste zusammen mit ihr in Bosnien.<br />

So hat uns das Leben in die Welt zerstreut.<br />

Den Brief mit meinen Erinnerungen hat meine ältere Tochter geschrieben, die<br />

ich <strong>aus</strong> Deutschland mit mir gebracht habe.<br />

Und das ist meine ganze Erzählung.<br />

Hochachtungsvoll E. N.<br />

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112<br />

<strong>Sehr</strong> <strong>geehrter</strong> <strong>Herr</strong> Tobias <strong>Schönauer</strong>,<br />

K. M. die Dritte (so haben sie mich in <strong>Ingolstadt</strong> meistens genannt). <strong>Ich</strong> habe<br />

ihren Brief erhalten. <strong>Ich</strong> bedanke mich für diese Ehre. So gut ich kann, werde<br />

ich <strong>auf</strong> ihren Brief <strong>antworte</strong>n.<br />

Im November 1942 haben sie uns in ungeschützten Güterwagons direkt nach<br />

<strong>Ingolstadt</strong> gebracht. Wir sind nicht freiwillig gefahren, wir wurden gezwungen.<br />

<strong>Ich</strong> erinnere mich, da stand ein großes Gebäude, das sie „Kantina“ genannt<br />

haben. Rundum waren Holzbaracken. Das ganze Gebiet war mit einem<br />

Holzzaun, der oben mit Stacheldraht bewährt war, umzäunt. In einem Raum<br />

waren wir 70 Leute, die alle <strong>aus</strong> der Ukraine und der Krim waren. Dort<br />

standen zwei Etagenpritschen und ein Waschbecken. Sie gaben uns zwei<br />

Decken, Matratzen und Kopfkissen gefüllt mit Holzspänen. Die Fabrik befand<br />

sich [...] von der „Kantina“.<br />

Am Tor stand ein Polizist. Am zweiten Tag brachten sie uns in die Werkstatt.<br />

Sie stellten uns hinter eine Drehmaschine und haben mir gezeigt, wie ich es<br />

machen soll. <strong>Ich</strong> habe es verstanden und angefangen selbständig zu<br />

arbeiten. <strong>Ich</strong> stellte Schrauben, Gewinde und andere Kleinteile her, und<br />

anderes was ich selber nicht kannte. Wenn etwas nicht in Ordnung war, kam<br />

ein deutscher Fachmann. Wir arbeiteten in zwei Schichten. Eine Woche am<br />

Tag, eine Woche in der Nacht. Gefüttert haben sie uns mit gekochten<br />

Mohrrüben, Rüben, Kohl, und sehr selten gab es auch Kartoffeln. <strong>Ich</strong> erinnere<br />

mich, wie wir uns gefreut haben, dass sie uns zu Ostern je zwei gekochte Eier<br />

gegeben haben. Sie gaben uns für drei Tage Brot – wenn Du es in einem Tag<br />

gegessen hast, obwohl es für drei Tage war, mehr haben wir nicht gekriegt.<br />

An den freien Tagen haben sie uns <strong>aus</strong> dem Lager in die Stadt gelassen,<br />

aber wir mussten <strong>auf</strong> der Brust das Abzeichen „OST“ angenäht haben. Wir<br />

haben einen Spaziergang durch die Stadt gemacht, sind in die Kirche<br />

gegangen, und auch in den Fluss Donau. Niemand hat versucht zu<br />

entkommen.<br />

Es gab keinen Widerstand. Alle Mädchen haben gehorcht wie die Schafe vor<br />

den Wölfen. Wenn jemand im Lager krank war, brachten sie ihn zum Arzt in<br />

die Stadt, die leicht erkrankt waren kamen zum Betriebsarzt.<br />

Schwanger waren drei Frauen. Zwei von ihnen, die keinen Mann hatten,<br />

erlaubten sie ihre Kinder zu gebären. Und eine Frau, die mit ihrem<br />

gesetzlichen Ehemann gekommen war, durfte das Kind nicht <strong>auf</strong> die Welt<br />

bringen und sie haben sie zur Abtreibung gezwungen. Sie hatten sich so sehr<br />

ein Kind gewünscht, denn sie waren 12 Jahre ohne Kinder geblieben.<br />

Briefe in die Heimat zu schreiben war erlaubt, aber nur Postkarten. Aus der<br />

Ukraine war es möglich ein Paket mit einem Gewicht bis 250 gr. zu erhalten.<br />

In 3 ½ Jahren meines Aufenthalts in Deutschland erhielten wir drei Decken,<br />

ein Hemd und eine Hose. <strong>Ich</strong> habe meine Kleidung getragen, die ich mir von<br />

zu H<strong>aus</strong>e mitgebracht hatte. Die Beziehungen zu den Deutschen waren<br />

normal. Von manchen haben wir auch gute Worte gehört, und persönlich<br />

kann ich von einem Mann, wahrscheinlich einem Polizisten namens Martin,<br />

berichten, der menschlich war.<br />

Bestraft wurde ich nie, weil ich gehorsam war. Erinnerungsstücke, die ich<br />

Ihnen schicken könnte, habe ich keine.


Befreit haben uns Amerikaner am 5. Mai 1945. In die Heimat bin ich nicht<br />

gleich zurückgekehrt, weil ich 5 Monate in der Soldatenverwaltung „Feldpost<br />

74285“ arbeitete.<br />

Im Juni 1946 habe ich meine Heimat wieder gesehen. <strong>Ich</strong> bin in mein<br />

Geburtsdorf zurück gekommen und habe dort in einer Kolchose gearbeitet bis<br />

ich in Rente ging. Sie haben dort Getreide angebaut und Zuckerrüben.<br />

<strong>Ich</strong> bin nicht ganz gesund, ich kann nicht mehr l<strong>auf</strong>en, weil ich kranke Beine<br />

habe.<br />

<strong>Ich</strong> lebe mein Leben mit meiner Tochter zu Ende, die auch in der Rente ist.<br />

Von uns „Ostarbeitjerow“ sind nicht mehr viele übrig geblieben.<br />

<strong>Ich</strong> bedanke mich bei Ihnen und bei allen Bewohnern der Stadt <strong>Ingolstadt</strong><br />

dafür, dass sie an die Sklaven <strong>aus</strong> der Ukraine gedacht haben.<br />

Gebe Gott Ihnen Gesundheit, <strong>Herr</strong> Tobias <strong>Schönauer</strong>, möge Ihnen alles was<br />

sie arbeiten gut gelingen.<br />

Mit Grüßen<br />

N. M. S. (genannt K. M. III.)<br />

15. Februar 2004<br />

113


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Ja, ich K. M. I. (wohnhaft in Sviereva), habe <strong>Ihren</strong> Brief bekommen und ich<br />

<strong>antworte</strong> <strong>auf</strong> Ihre Fragen.<br />

Sie fragen, wie sie mich nach Deutschland gebracht haben zur Zwangsarbeit.<br />

In der Nacht um 2 Uhr kamen zwei Polizisten und der Bürgermeister zu uns,<br />

haben mich <strong>aus</strong> dem Bett geholt und mitgenommen. Auf Leiterwagen<br />

brachten sie uns zum Bahnhof und dort luden sie uns in überdachte<br />

Güterwagons ein. Man brachte uns nach Polen. Sie haben eine ärztliche<br />

Untersuchung durchgeführt und uns in einem Bad gewaschen. Danach fuhren<br />

sie uns in den Güterwagons mit Schlössern an Fenstern und Türen weiter. In<br />

jedem Wagon waren 20 Menschen und das Gepäck. Aus den Wagons<br />

ließen sie nie jemanden hin<strong>aus</strong>. Von Polen <strong>aus</strong> brachten sie uns an eine<br />

Haltestelle, ich weiß nicht wie sie hieß. Nach <strong>Ingolstadt</strong> sind wir zu Fuß<br />

gegangen. Die ganze Zeit über bildeten wir einen Konvoi.<br />

In <strong>Ingolstadt</strong> bewachten uns Schäferhunde. Hier wurden wir kontrolliert und<br />

eingeschrieben. Nach der Registrierung brachten sie uns in Baracken unter.<br />

In jedem Zimmer waren 20 Leute. Das Lager bestand <strong>aus</strong> Baracken,<br />

<strong>auf</strong>geteilt in Zimmer. Es war mit einer 2 m hohen Mauer umzäunt, oben mit<br />

Stacheldraht. Bewacht war das Lager mit Schäferhunden. In die Arbeit gingen<br />

wir im Konvoi, immer drei nebeneinander. Das Lager konnte man nur mit<br />

Passierschein verlassen, den man bekommen hat. Es gab keine Verstöße<br />

gegen diese Bestimmung. Ein Passierschein galt für fünf Leute und wir sind<br />

unter Aufsicht gegangen.<br />

<strong>Ich</strong> habe in einem Lager für Schmierstoffe gearbeitet. Wir haben LKWs mit Öl,<br />

Farben und Kerosin be- und entladen und <strong>auf</strong>geräumt. Es arbeiteten 10 Leute<br />

dort. Wir arbeiteten am Tag von 6 Uhr früh bis 5 Uhr abends. Die Arbeit war<br />

sehr schwer. Einmal fütterten sie uns am Arbeitsplatz mit gekochtem Kohl und<br />

Rüben ohne Brot. Im Lager gab es zweimal am Morgen Kaffee oder Tee, am<br />

Abend Pellkartoffeln, 300 gr. Brot und Suppe mit Kleie.<br />

Als Kleidung gaben sie uns Arbeitskittel und Fußlappen als Strümpfe,<br />

hergestellt in Russland, je eine Flanellschürze und je eine Bluse. In drei<br />

Jahren einmal. Wir haben auch Schuhe bekommen, so was wie Schuhe <strong>aus</strong><br />

Holz.<br />

Als ich Grippe bekam, befreiten sie mich von der Arbeit um niemanden<br />

anzustecken. Hilfe haben wir keine bekommen. Die freie Zeit verbrachten wir<br />

im Lager. Wir haben uns mit unseren Sachen beschäftigt. Kontakte mit der<br />

Heimat waren uns nicht erlaubt und Beziehungen mit den Deutschen waren<br />

beschränkt.<br />

Flüchtlinge gab es nicht, weil man nirgendwohin entkommen konnte.<br />

Widerstand habe ich nicht geleistet. Als sie mich mitgenommen haben, war<br />

ich 17 Jahre alt.<br />

Befreit haben uns Amerikaner am 22. April 1945. Nach H<strong>aus</strong>e bin ich im<br />

Oktober 1945 zurückgekehrt. <strong>Ich</strong> habe niemanden angetroffen. Mein Vater<br />

war in der Armee, die Schwester in einer anderen Stadt. <strong>Ich</strong> habe sie nur mit<br />

Mühe gefunden.<br />

Jetzt lebe ich allein, mein Mann ist gestorben, Kinder habe ich keine.<br />

Die schweren Fässer mit Benzin haben mir die Gesundheit geraubt, darum<br />

habe ich keine Kinder bekommen können. <strong>Ich</strong> erhalte eine kleine Rente für<br />

meinen Mann 100 Grn. [Grywna = ukrainische Währung]. Das Leben ist sehr<br />

schwer, gesund bin ich nicht und ich bin schon 79 Jahre alt. <strong>Ich</strong> schicke ein


Foto. Gemacht wurde es 1943. <strong>Ich</strong> bitte es zurückzuschicken, ich habe nur<br />

das. Verzeihen Sie, dass ich so schlecht schreibe, zum einen bin ich nicht<br />

gebildet und zum anderen sehe ich sehr schlecht.<br />

Auf Widersehen.<br />

Wenn Sie irgendeine Hilfe brauchen, wenden Sie sich an mich. <strong>Ich</strong> helfe<br />

Ihnen jederzeit.<br />

115

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