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Weihnachten 2010 - Nossner Rundschau

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Schüttelnd und klappernd<br />

kriecht der uralte Jeep den<br />

Gebirgszug hinauf. Wir, d. h.<br />

Angelika und Jochen Hahn,<br />

unser äthiopischer Freund<br />

Wolde Giorgis Demissie und<br />

zwei von seinen Verwandten,<br />

sitzen in einem Fahrzeug, das<br />

über 80 km/h nicht zu fahren<br />

ist, da ausgeschlagene Lenkgestänge<br />

das Fahrzeug von der<br />

Straße zu werfen drohen. Wir<br />

trauen auch unseren Ohren<br />

nicht, als uns der Vermieter des<br />

Fahrzeugs am Ende der Reise<br />

versichert: Das Fahrzeug ist<br />

völlig intakt. Alles nur Zufall:<br />

Reifenplatzer bei blanken Reifen,<br />

undichter und überkochender<br />

Kühler, „unsichtbares“<br />

Frontlicht, kaputter Akku,<br />

abgefallene Stoßstange, Federbruch,<br />

angebrochene Sitzlehne<br />

… Na ja, man ist eben in<br />

Äthiopien. Langsam das Land<br />

bereisen hat ja auch etwas.<br />

1.400 km allerdings werden<br />

dann doch zu einer gewissen<br />

Herausforderung. Im Oktober<br />

ist Frühling in Äthiopien. Das<br />

Land ist grün. Auf den Feldern<br />

gedeihen Teff, das typische<br />

Wildgetreide, Bohnen, Kichererbsen,<br />

Linsen, Hirse oder<br />

Gerste. Hin und wieder ziehen<br />

gelbe Blütenteppiche vorbei<br />

oder Flächen von gelb und<br />

orangeblühender Aloepflanzen.<br />

Das zwischen 2500 und 3500<br />

Meter hoch gelegene äthiopische<br />

Hochland bietet besonders<br />

im Norden grandiose Landschaften,<br />

flache Hochebenen,<br />

tief abfallende Schluchten,<br />

hohe Gebirgsketten und markante<br />

Tafelberge. Selbst an<br />

Steilhängen versuchen die Bauern<br />

durch Terrassierung noch<br />

28<br />

Äthiopischer Frühling, Windstromversorgung, Autopannen<br />

und Steinkirchenwunder<br />

Wartung des Windrades<br />

etwas anzubauen. Alle Arbeitsgänge<br />

erfolgen mit einfachstem,<br />

meist naturgewachsenen Holzwerkzeug.<br />

Das Ackern mit<br />

Holzhakenpflug, das Ausdreschen<br />

mit Ochsen, das Reinigen<br />

des Getreides mit<br />

geschnitzter Wurfschaufel – das<br />

alles sind Arbeitsmethoden wie<br />

vor 3000 Jahren. Tradition ist -<br />

bis auf die aufkommende<br />

„Handymanie“ – groß geschrieben.<br />

Auf dem Lande zählt das<br />

alttestamentliche Lebensideal:<br />

Leben ist dann gelungen, wenn<br />

alte Traditionen unverändert<br />

weitergegeben wurden. So gilt<br />

in Äthiopien noch der alte<br />

Kalender des Julius Cäsar, der<br />

heute das Jahr 2002 schreibt, 13<br />

Monate zählt (12 x 30 Tage,<br />

1 x 6 Tage) und Neujahr im September<br />

feiert. Die Tageszeiten<br />

sind noch wie zu den Zeiten<br />

Jesu gesetzt: Der Tag beginnt<br />

(bei uns 6.00 Uhr) 0.00 Uhr,<br />

12.00 Uhr ist es um 6.00 Uhr<br />

und abends um 18.00 Uhr ist es<br />

in Äthiopien um 12.00 Uhr.<br />

Neuen landwirtschaftlichen<br />

Produkten gegenüber ist man<br />

sehr skeptisch: Als wir (natürlich<br />

während einer Autopanne)<br />

an die umstehenden Leute<br />

Apfelstücke zum Probieren verteilten,<br />

wagte sich – trotz ausführlicher<br />

Empfehlung durch<br />

Wolde – kein einziger, in das<br />

Stück hineinzubeißen. Erstaunlich<br />

dagegen, dass es bereits um<br />

1200 n. Chr. in Äthiopien eine<br />

moderne Hochkultur der Steinmetzarbeiten<br />

gegeben hat.<br />

Davon zeugen die phänomenalen<br />

Steinkirchen im nördlich<br />

gelegenen Lalibela, die kunstfertig<br />

aus dem ganzen Felsen<br />

heraus geschlagen wurden.<br />

<strong>Nossner</strong> <strong>Rundschau</strong> I Weihnachtsausgabe <strong>2010</strong><br />

Ackern mit Holzhakenpflug<br />

Erstaunlich bei allem Traditionsbewusstsein<br />

ist die Tatsache,<br />

dass die Dorfgemeinschaft<br />

in unserem Projektdorf Debo<br />

der Elektroenergie sehr offen<br />

gegenüber steht. Licht ist ein<br />

wertvolles Gut. Das beginnt<br />

man erst dann zu schätzen,<br />

wenn bereits am frühen Abend<br />

Wohnhütten und Ställe in<br />

Dunkelheit gehüllt sind. Im<br />

Krankenhospital erweist sich<br />

das als besonders problematisch.<br />

In diesem Jahr waren nur<br />

geringfügige Arbeiten am<br />

Energiesystem zu erledigen:<br />

Der Tausch eines Wechselrichters<br />

gegen einen leistungsfähigeren<br />

und die Wartung am<br />

Windrad, das ohne Defekte<br />

läuft. Für technisch Interessierte:<br />

Hauptschwachpunkt in<br />

solch einem Inselenergiesystem<br />

bleibt der Speicherakkublock<br />

(z. Z. 10 x Solar-Gel-Akkus,<br />

verschaltet auf 24 V, 750 Ah).<br />

Bleiakkus halten die vielen<br />

Lade- und Entladezyklen nur<br />

wenige Jahre durch. Z. Z.<br />

arbeiten wir an der Option, die<br />

viel langlebigeren Nickel-<br />

Eisen-Akkus einzusetzen, die<br />

leider nur noch in China erhältlich<br />

sind (Lebensdauer von 20<br />

und mehr Jahren; gefüllt mit<br />

Kalilauge).<br />

Wie immer gibt es in Debo<br />

Rückschläge und Fortschritte:<br />

Die durch uns ausgebildeten<br />

Techniker hatten es nicht<br />

bewältigt, die selbst installierten<br />

Straßenlampen (E-Sparlampen)<br />

wasserdicht zu bekommen<br />

und gegen Windbewegung und<br />

Steinwurf der Kinder zu schützen.<br />

Dieses Problem werden<br />

wir Februar 2011 durch eine<br />

einfache Konstruktion beheben:<br />

Eine unten aufgeschnittene<br />

Plastwasserflache soll den wasserdichten<br />

und schlagfeste<br />

Schutzkolben der Straßenlampe<br />

bilden. Überraschend positiv<br />

war, dass es die „Stromkommission“<br />

in Debo erstmalig<br />

geschafft hat, spürbare<br />

Geldrücklagen zu bilden.<br />

Wie soll es weiter gehen? Mit<br />

dem Ziel der Einführung eines<br />

Standardwindenergiesystems in<br />

Äthiopien arbeiten wir in Rüsseina<br />

auch mit Hilfe professioneller<br />

Partner weiter an der<br />

Vereinfachung sämtlicher<br />

Komponenten (Elektronik,<br />

Generator, Windradmechanik,<br />

Flügelaufbau). Zudem haben<br />

wir in Äthiopien Verbindung<br />

aufgenommen mit der Entwicklungshilfeabteilung<br />

der<br />

protestantischen Mekane Yesus<br />

Kirche. Ziel ist es nun, in<br />

Zusammenarbeit mit dieser<br />

Einrichtung an einem neuen<br />

Projektstandort ein weiteres<br />

Windenergiesystem zu errichten,<br />

um perspektivisch diese<br />

Arbeit in äthiopische Hände zu<br />

übergeben. Der neue Standort<br />

ist im Süden von Addis Abeba<br />

bereits gefunden (nahe der<br />

Stadt Hosaina, Westrand des<br />

afrikanischen Grabenbruches)<br />

und scheint ausgezeichnete<br />

Windbedingungen aufzuweisen.

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