Auf zur Apotheke! - Hanfjournal
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#78 9<br />
cooltour<br />
Rolys Silberscheiben des Monats Januar<br />
Roland Grieshammer<br />
Keb Darge: Digs For P&P Records<br />
(suss’d)<br />
Als sich der damals 14-jährige Schotte dem örtlichen RAF Taek<br />
Wan Do Club anschloss, wusste er noch nicht, was ihn noch sein<br />
ganzes Leben lang begleiten sollte. Die britischen RAF-Boys<br />
tanzten auf ihren Parties zu jener Musik, die als Northern Soul<br />
in die Annalen einging und an eben jenen Soul verlor der junge<br />
Keb Darge sein Herz. In einer Zeit, in der London musikalisch<br />
gesehen absolut uninteressant war, zog es ihn dorthin. Doch der<br />
Soul blieb in seinem Herz und so dauerte es nicht lange bis Keb<br />
Darge, angetrieben von der nicht enden wollenden Mod-Welle,<br />
zusammen mit zwei Freunden die 6Ts-Night im 100 Club aufzuziehen.<br />
Dort packte ihn dann auch endgültig das DJ-Fieber<br />
und Keb wurde kurzer Hand zum #1 Northern-Soul-DJ gewählt.<br />
Funkplatten, die er günstig aus Amerika besorgte, verkaufte er<br />
an Roy the Roach und Norman Jay. Heute ist Keb Darge wohl<br />
einer der berühmtesten Funk-DJs und Plattensammler weltweit,<br />
und aus den umfangreichen Archiven des legendären New Yorker<br />
Labels P&P, das vom Produzenten Patrick Adams und dem<br />
ultimativen Hustler Peter Brown in Harlem gegründet wurde,<br />
wählte er jetzt seine 30 Favoriten aus. Die erste CD legt ihren<br />
Schwerpunkt auf rare Funk-Stücke der späten 1960er und frühen<br />
70er. Die zweite CD wiederum hat den Fokus auf Disco-Funk-<br />
Perlen aus der Zeit zwischen 1974 und 1980. Sehr, sehr groovy!<br />
www.sussd.com<br />
www.grooveattack.com<br />
Wu-Tang Clan: 8 Diagrams<br />
(bodog music)<br />
Neun Herren aus Staten Island und Brooklyn machten sich 1992<br />
auf, ein Rap-Imperium aufzubauen, das die Welt aus den Angeln<br />
heben sollte und einen musikalisch neuen, düsteren und<br />
surrealen Stil im HipHop etablierte. Der Clan ist nach dem als<br />
Heimat der inneren Kampfkünste bekannten Wudang-Gebirge<br />
in China benannt, Staten Island taucht in den Lyrics oft als Shaolin<br />
auf. Die Verortung in cineastischen Traditionen ist es, die<br />
beim Wu-Tang Clan traditionell so etwas wie der ideologische<br />
Überbau ist. Sechs lange Jahre nach der Veröffentlichung des<br />
letzten gemeinsamen Albums „Iron Flag“ wird davon auch das<br />
fünfte Studioalbum „8 Diagrams“ geprägt. „8 Diagram Pole<br />
Fighter“ ist ein Kung-Fu-Film, in dem ein Kung-Fu-Meister vor<br />
allem damit beschäftigt ist, Güte und Gerechtigkeit zu predigen.<br />
Clan-Mastermind RZA zieht eine Parallele zum Alltag Amerikas.<br />
Erneut positioniert sich die Gruppe als spiritueller Ratgeber, als<br />
mystisches Gegengewicht <strong>zur</strong> kapitalistischen Warenwelt, die<br />
das Genre traditionell beherrscht. Die erste Single „The Heart<br />
Gently Weeps“ basiert auf dem Beatles-Klassiker und glänzt<br />
mit Dhani Harrisson, John Frusciante an der Leadgitarre, und<br />
die Hookline singt Neo-Soul-Diva Erykah Badu. Neben neuen<br />
Tracks von RZA, GZA, Method Man, Inspektah Deck, Ghostface<br />
Killah, Raekwon, U-God und Masta Killa gibt’s auf dem Reunion<br />
Album auch bisher unveröffentlichtes Material von ODB (2004<br />
verstorben), sowie den ewig angekündigten Tribute Track „Life<br />
Changes“ zu hören. Die erwachsene Souveränität paart sich hier<br />
mit einem inneren Feuer und zementiert die zeitlose Position des<br />
Clans, die sich gewissermaßen auf einer Aussichtsplattform vor<br />
und außerhalb des Rapgames befindet. Eastcoast-Fledermaus-<br />
HipHop to the fullest!<br />
www.myspace.com/wutang<br />
www.wumusicgroup.com<br />
www.wutang-corp.com<br />
Moon: Gorsky Park<br />
(mole listening pearls)<br />
Diesmal geht’s nicht um den Himmelskörper, der manche Menschen<br />
zum Schlafwandeln animiert, obwohl der Titel des Albums<br />
einen direkten Bezug dazu hat. Moon ist ein musikalischer<br />
Satellit, der aus drei kreativen Köpfen besteht, die seit 2003 an ihrer<br />
gemeinsamen Vision arbeiten. Nach mehreren hörenswerten<br />
Einzelveröffentlichungen und fast zwei Jahren Arbeit tritt nun<br />
das Aachener Trio <strong>zur</strong> Reise auf den Mond an. Das von Alex Jacobi<br />
produzierte Debüt-Album „Gorsky Park” versammelt die<br />
Songs in sich, die nach langen Schüben zwischen Laptop und<br />
mobilen Festplatten ihren Platz gefunden haben. Martin Lowis<br />
und Oliver Beier sind die Astronauten - ihre wegweisende Sirene<br />
heißt Verena Johann, die sich in diesem Zusammenspiel<br />
mit ihrer hellen, klaren Stimme schon Vergleichen mit Björk<br />
oder Roisin Murphy ausgesetzt sah, wobei mich der ganze Vibe<br />
mehr an Kosheen oder Lamb erinnert. Schnell erliegt man dem<br />
Charme einer liebevoll zusammengestellten Komposition aus<br />
vierzehn kleinen Geschichten, die von zwischenmenschlichen<br />
Beziehungen, Realität und Fiktion abstammen und von filmisch<br />
klingenden Atmosphären mit intelligenten Effekten umrahmt<br />
werden – melancholisch angehaucht, melodiös, verspielt und<br />
stilistisch vielfältig. Ohne Zweifel, die Schublade – falls es eine<br />
gibt – wird nahe an deiner Seele und deinem Herzen liegen,<br />
denn dieser Mond erhellt nicht nur die Nacht. Good Luck, Mr.<br />
Gorsky!<br />
www.myspace.com/moonac<br />
www.mondseite.de<br />
www.mole.de<br />
Raz Ohara & The Odd Orchestra: Raz Ohara & The<br />
Odd Orchestra<br />
(get physical)<br />
Eben noch hat der Berliner Sänger Patrick Rasmussen aka Raz<br />
Ohara, auf dem grandiosen Apparat-Album „Walls“ den ebenso<br />
superben Track „Hold On“ gesungen und tourt als Stimme dieser<br />
Band durch Europa. Nach „Real Time Voyeur“ (1999) und<br />
„The Last Legend“ (2001) erscheint nun mit „Raz Ohara & The<br />
Odd Orchestra“ ein Album, um das sich laut vertrauenswürdiger<br />
Quellen doch einige der etablierten Indies gebalgt haben.<br />
Get Physical haben schließlich den Zuschlag gekriegt und beginnen<br />
damit, das Label auch für nicht club-basierte Musik zu<br />
öffnen. Raz Ohara ist ein Wanderer zwischen den Welten, der<br />
sich sowohl im Songwriter/Pop Genre als auch in der Electro-<br />
Szene zuhause fühlt. Mit diesem Werk und seinen herzzerreißenden<br />
und lupenrein produzierten Melodien und der straffen,<br />
stimmigen Songauswahl beginnt eine neue, reifere Phase in Raz’<br />
Karriere. Er präsentiert elf wundervoll arrangierte, elektroakustische<br />
Popkleinode, die zeitloser und berührender kaum sein<br />
könnten. Trotz der eher düsteren Thematik – romantische Enttäuschung<br />
– die das Album durchzieht, schöpft es eben daraus<br />
seine rare Schönheit und Kraft. Beflügelt wird Raz von den subtilen<br />
Akzenten des Odd Orchestras, hinter dem der Film- und<br />
Theaterkomponist Oliver Doerell steckt, der als eine Hälfte von<br />
Swod die Klavier-Figuren von Stephan Wöhrmann elektronisch<br />
weiter prozessiert, ebenso aber auch Gitarre und Bass spielen<br />
kann. Durchzogen von echter, künstlerischer Integrität schenkt<br />
Raz den Connaisseurs eleganter, zeitloser Popmusik ein wundervolles<br />
Album für diese dunklen Tage.<br />
www.physical-music.com<br />
Gold<br />
Warum nicht?<br />
Aus dem gesammeltem<br />
Bleigras nehmen wir uns<br />
vor Gold zu machen.<br />
Und zwar ohne es zu verkaufen,<br />
wie manch skrupelloser<br />
Dealer, sondern<br />
mit Alchemie (Hokus Pokus)...<br />
Dr. Ring Ding: Nice Again<br />
(kingstone records)<br />
Nach Ausflügen <strong>zur</strong> Rotterdam Ska Foundation und zu King<br />
Django ins New York Version City Studio besinnt sich der Doc<br />
aus Münster mit seinem dritten Abstecher in einem Jahr auf seine<br />
alte Liebe. Gerade in den letzten Jahren tingelte er mit dem<br />
Reggae Vibe im Blut sehr häufig mit Soundsystems durch die<br />
Landen um seine Message weiterzutragen: „Dancehall Nice<br />
Again!“ – Mit seinem neuen Album stellt er seine Werke zusammen,<br />
die nach seiner „Senior Allstars“ Zeit entstanden. „Doctor’s<br />
Darling“ lief weltweit in den Reggae Tanzhallen und sein Song<br />
gab den Namen für die dazugehörige Riddim Reihe, die von<br />
Seeed und Pionear produziert wurde und mit „It’s A Pity“ von<br />
Tanya Stephens ihren Top-Hit vorzuweisen hatte. Aber auch andere<br />
Produktionen finden sich auf dem Album wieder und zeigen<br />
die andere Seite des Dr. Ring Ding klar auf: Kein Ska, dafür<br />
mehr Dancehall, mehr Deutsch und aber trotzdem auch internationaler.<br />
Meine Favoriten sind „Sneakers“ (feat. Nikki Deelite),<br />
„Ruff Like A Rock“, „Friendly Fiyah“, „Millionaire“, „Wer kennt<br />
die Frau“, „Badness“ und „Hartchor“ (feat. Ragga Fränkie &<br />
Natty U). Als Zugabe gibt es den Dancehall-Mix von „Ruff Like<br />
A Rock“, der ersten Single des Albums, welche aus einem Viva<br />
Trailer entstand und durch die grosse Resonanz zu einem vollen<br />
Song ausgearbeitet wurde. Dr. Ring Ding beweist erneut seine<br />
Entertainment-Qualitäten!<br />
www.myspace.com/drringding<br />
www.ringding.de<br />
www.kingstone.de<br />
I-Fire: Vom Schatten ins Licht<br />
(i-fire empire)<br />
Das Eckthema<br />
www.hanfjournal.de<br />
Sowohl in kleinen Clubs als auch auf großen Open-Air-Festivals<br />
haben sich die Jungs in den letzten drei Jahren einen Namen als<br />
Power-Reggae-Band erspielt. Das zehnköpfige Offbeat-Kollektiv<br />
aus Bergedorf bei Hamburg bietet auf ihrem Debüt-Album „Vom<br />
Schatten ins Licht“ einen abwechslungsreichen partytauglichen<br />
Mix aus treibenden Reggae Riddims, jamaicanischen Roots, Ska<br />
und Hip-Hop mit vorwiegend deutschsprachigem Gesang. Lediglich<br />
der eine oder andere Chorus kommt auf Englisch bzw.<br />
Patois daher. Zwölf eingängige Texte verbreiten Sommerfeeling<br />
und strahlen auch Zuversicht und Lebensfreude aus. Besonders<br />
hervor hebt sich „Es geht voran“, der durch äußerst entspannten<br />
Riddims daherkommt und inhaltlich vom schnellen<br />
Großstadtleben erzählt, dem sich der I-Fire-Sound entgegensetzt<br />
und versucht, dem grauen Alltag mehr Gelassenheit zu verleihen.<br />
Neben dem soundtechnisch zwischen Reggae und souligen<br />
Einflüssen changierende Highlight „B-Town Boogie“ geht mir<br />
der Ohrwurm „Policeman a pass“ („Light di ganja spliff when<br />
policeman a pass“) gerade nicht mehr aus dem Kopf. Im hohen<br />
Norden bereits eine gefeierte Instanz, macht sich die neunköpfige<br />
Truppe nun auf, den Rest der Republik mit guter Laune und<br />
positiven Vibes zu versorgen.<br />
www.myspace.com/ifire<br />
www.i-fire-sound.com