Cornelius Cransbergen und <strong><strong>Polar</strong>NEWS</strong>-Redaktor Christian Hug halten eine Markierfahne: AM 1 steht für Amsterdam, Fangs<strong>ch</strong>iff Nummer Eins. 12 steht für den zwölften erlegten Wal. 1975 behinderten Greenpeace-Aktivisten im Nordpazifik zum ersten Mal mit Zodiaks Walfangs<strong>ch</strong>iffe. Heute ist Cornelius Cransbergen ein zufriedener Mann. Er ist seit 36 Jahren mit Hennie verheiratet, die beiden Tö<strong>ch</strong>ter sind längst ausgeflogen. Im winzigen Wohnzimmer steht eine Vitrine mit ges<strong>ch</strong>nitzten Potwalzähnen und einem Blauwal-Ohrkno<strong>ch</strong>en. An der Wand hängt ein Hakenmesser. Im Bü<strong>ch</strong>erregal stehen Ordner mit fein säuberli<strong>ch</strong> sortierten Lohnabre<strong>ch</strong>nungen der «Willem Barendsz» und sein Menü-Heft aus der damaligen Zeit. An Weihna<strong>ch</strong>ten 1961 gabs Gemüsesuppe, Kartoffeln mit Jus, Tournedos, Grüne Bohnen und Orangen zum Dessert. «I<strong>ch</strong> fühle mi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>uldig, dass die Wale heute vom Aussterben bedroht sind», sagt Cor. «Damals war alles anders. Aber i<strong>ch</strong> habe eine Stinkwut auf Länder wie Japan und Norwegen, die heute no<strong>ch</strong> mit fadens<strong>ch</strong>einigen Begründungen Wale jagen.» Vor drei Jahren reiste Cor mit Hennie auf einem Kreuzs<strong>ch</strong>iff in die Antarktis. «In Gebieten, wo wir früher Hunderte von Walen si<strong>ch</strong>teten, sah i<strong>ch</strong> auf der Kreuzfahrt nur no<strong>ch</strong> zwei weisse Fontänen.» Souvenirs aus der Walfangzeit lagern in der Wohnzimmer-Vitrine: ges<strong>ch</strong>nitzte Walkno<strong>ch</strong>en und verzierte Pottwal-Zähne. In der Vergangenheit und au<strong>ch</strong> heute gilt der Mens<strong>ch</strong> als hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Gefahr für die Wale. Während der Zeit des industriellen Walfangs von etwa 1850 bis 1965 sind die grossen Walbestände stark dezimiert worden. 1864 wurde jene Harpune erfunden, die si<strong>ch</strong> von einem S<strong>ch</strong>iff aus abfeuern lässt. Länder wie Holland, Norwegen, USA, England, Japan, Deuts<strong>ch</strong>land, Südafrika, Australien und Island operierten zunä<strong>ch</strong>st von Wal-Verarbeitungs- Fabriken auf dem Land aus. Ab 1920 kamen Fabriks<strong>ch</strong>iffe hinzu, wel<strong>ch</strong>e die erlegten Wale auf hoher See verarbeiteten. So erhöhten si<strong>ch</strong> die jährli<strong>ch</strong>en Fänge von etwa 14'000 auf 40'000 Tiere. Auf diese Weise wurden die Bestände der grossen Wal-Arten auf gerade mal 10 Prozent der ursprüngli<strong>ch</strong>en Grösse reduziert. Von mehr als einer Viertelmillion Blauwale sind no<strong>ch</strong> etwa 11'000 übriggeblieben. Von ursprüngli<strong>ch</strong> 30'000 Grönlandwalen blieben no<strong>ch</strong> 3000. Angesi<strong>ch</strong>ts dieser traurigen Entwicklung gründeten Wal fangende Länder 1946 die Internationale Walfangkommission (IWC, International Whaling Commission). Die Kommission hat es si<strong>ch</strong> zur Aufgabe gema<strong>ch</strong>t, die völlige Ausrottung der Walbestände zu verhindern. Es soll dur<strong>ch</strong>aus no<strong>ch</strong> gejagt werden, aber so reguliert, dass die derzeitigen Bestände ni<strong>ch</strong>t nur erhalten bleiben, sondern si<strong>ch</strong> sogar langsam erholen können. Nur zum Teil wirksam Bei einigen Arten gelingt dies tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>, etwa beim Grönlandwal, dem Südli<strong>ch</strong>en Glattwal und dem Grauwal. Die IWC ist also ein «Jagdverein», der die Erhaltung und langsame Erholung der Bestände zum Ziel hat. Innerhalb der IWC gibt es den «wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Auss<strong>ch</strong>uss» (Scientific Committee), dessen Aufgabe es ist, Wale zu zählen und die Bestände weltweit zu erfassen. Der Auss<strong>ch</strong>uss muss au<strong>ch</strong> einen «Managementplan» (Management Procedure) zuhanden der Kommission vors<strong>ch</strong>lagen. Seit 1986 gilt ein Moratorium für den kommerziellen Fang von Grosswalen. Die Länder 42 <strong>Polar</strong> NEWS Die IWC und wir Die Internationale Walfangkommission setzt si<strong>ch</strong> zwar für den S<strong>ch</strong>utz der Wale ein. Sie lässt aber zu, dass einzelne Mitglieder trotzdem Wale jagen. Das müssen wir ni<strong>ch</strong>t tatenlos hinnehmen. Japan und Norwegen bewegen si<strong>ch</strong> allerdings ausserhalb der Regeln, indem zum Beispiel für «wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Zwecke» gejagt wird. Dur<strong>ch</strong>aus «legal» übrigens, denn das ist die Crux der IWC: Erklärt si<strong>ch</strong> ein Mitgliedland bei einem Bes<strong>ch</strong>luss der Kommission mit demselbigen ni<strong>ch</strong>t einverstanden, muss es si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t daran halten. Immerhin wurde bis heute no<strong>ch</strong> keine einzige Wal-Art ausgerottet. Denno<strong>ch</strong> gibt es Arten, deren Tage bald gezählt sein dürften. So leben im nördli<strong>ch</strong>en Subpolargebiet nur no<strong>ch</strong> etwa 300 Nördli<strong>ch</strong>e Glattwale, au<strong>ch</strong> Nordkaper genannt. Im Norden der Sea of Cortez sind vom Vacquita-S<strong>ch</strong>weinswal nur no<strong>ch</strong> wenige hundert Tiere übriggeblieben. S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t geht es au<strong>ch</strong> den Flussdelphinen, so dem Indusdelphin in Pakistan oder dem Baiji in China. So widerli<strong>ch</strong> der Walfang au<strong>ch</strong> ist: Ledigli<strong>ch</strong> etwa 5 Prozent dieser Meeressäuger sterben heute dur<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong>enhand. Die weitaus meisten Wale verenden an den Folgen der Übernutzung der Ozeane, die überfis<strong>ch</strong>t und vergiftet werden. Wenn si<strong>ch</strong> Wale oder Delphine in den kilometerlangen Fis<strong>ch</strong>ernetzen verheddern, ertrinken sie. Dass au<strong>ch</strong> zahlrei<strong>ch</strong>e Gifte ins Meer gelangen und si<strong>ch</strong> dort anrei<strong>ch</strong>ern, wird zum Problem. Oft enthalten gestrandete tote Wale Umweltgifte wie DDT und PCB und S<strong>ch</strong>wermetalle wie Quecksilber und Cadmium in hohen Konzentrationen. Au<strong>ch</strong> zunehmender Verkehr und Lärm auf den Weltmeeren sind ein Problem. Und s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> hat die globale Klimaerwärmung eine negative Wirkung; die Erwärmung gewisser Teile des Ozeans führen zu veränderten Meeres- und Nahrungsströmen. Die Hauptgefahr für Wale und eigentli<strong>ch</strong> alle anderen Meeresorganismen droht dur<strong>ch</strong> die masslose Übernutzung der Ozeane dur<strong>ch</strong> den Mens<strong>ch</strong>en und dur<strong>ch</strong> die Plünderung unseres Planeten überhaupt. Was können wir tun? Es sind weitgehend unbequeme Dinge, die wir zum S<strong>ch</strong>utz der Wale und sämtli<strong>ch</strong>er Meeresorganismen tun sollten: Wir müssten unseren Lebensstil massiv ändern. Etwa die <strong>Polar</strong> NEWS Ein aktuelles Bild: Greepeace-Aktivisten stören ein japanis<strong>ch</strong>es Walfang-Mutters<strong>ch</strong>iff. Die Walfänger wehren si<strong>ch</strong> mit massiven Wasserstrählen gegen die Tiers<strong>ch</strong>ützer. (Bild: Greenpeace) Klimaerwärmung dur<strong>ch</strong> eine massive Reduktion im Gebrau<strong>ch</strong> von fossilen Brennstoffen bremsen. Die Walfangländer wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> boykottieren. Dur<strong>ch</strong> mässigen Konsum von na<strong>ch</strong>haltig bewirts<strong>ch</strong>afteten Fis<strong>ch</strong>beständen den Stress und die Gier in der Fis<strong>ch</strong>erei überhaupt abbauen helfen. Länder und Gebiete unterstützen, die Wale und andere Meeresorganismen s<strong>ch</strong>ützen. Das Problem der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Überbevölkerung und den dadur<strong>ch</strong> verursa<strong>ch</strong>ten Ressourcenvers<strong>ch</strong>leiss ernst nehmen. Bei allem Alarm darf die Faszination aber ni<strong>ch</strong>t zu kurz kommen. Wale s<strong>ch</strong>ützen wir besser, wenn wir sie kennen. Respektvolle Walbeoba<strong>ch</strong>tung mit viel wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Information kreiert ein starkes Bewusstsein in vielen Mens<strong>ch</strong>en und eine Zuneigung zu den grossartigen Phänomenen der Natur. Wir werden letztli<strong>ch</strong> nur das s<strong>ch</strong>ützen, was wir lieben! Ocean Defender Die weltweit operierende Umweltorganisation Greenpeace setzt si<strong>ch</strong> seit Jahren immer wieder mit spektakulären Aktionen für den S<strong>ch</strong>utz der Wale ein, indem Mitglieder unter Gefährdung ihres eigenen Lebens mit S<strong>ch</strong>nellboten die Waljäger in ihrer Arbeit stören. Wer sie unterstützen mö<strong>ch</strong>te, kann Ocean Defender, Ozean- Verteidiger werden. Mehr unter www.sosweltmeer.<strong>ch</strong>. Prof. Dr. David G. Senn ist Meeresbiologe an der Uni- versität in Basel und seit 1991 Mitglied der wissens<strong>ch</strong>aft- li<strong>ch</strong>en Auss<strong>ch</strong>usses der IWC. Er lebt am Vierwaldstättersee. www.sosweltmeer.org www.greenpeace.<strong>ch</strong> 43
Lexikon Küstensees<strong>ch</strong>walbe (Sternea paradisaea) Grösse: bis 38 cm Gewi<strong>ch</strong>t: bis 120 g Lebenserwartung: bis 11 Jahre Küstensees<strong>ch</strong>walbe 44 <strong>Polar</strong> NEWS <strong>Polar</strong> NEWS 45