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Dabei hatte Laurence ihre Strafe schon verbüßt, sich - wieder in Freiheit - bei der<br />
Wiedereingliederungs-Organisation ARAPEGE, beim Bewährungshelfer - um Unterkunft und<br />
beim Arbeitsamt gar um einen Job als Verkäuferin bemüht. Doch wie immer widerfuhren ihr<br />
Absagen - Fehlanzeigen über Fehlanzeigen in diesen bedrückenden Jahren der<br />
Massenarbeitslosigkeit.<br />
Vielleicht zählte Laurence in Fleury-Mérogis zu jenen Frauen, die im Knast letztendlich<br />
ihr Zuhause fanden. Meist, wenn Laurence wieder eingeliefert wurde, soll sie sich lauthals mit dem<br />
Hinweis getröstet haben: "Wenn man hier rauskommt - das ist das Schlimmste. Wir lernen hier<br />
nämlich nicht zu leben. Im Gegenteil. Wir lernen, uns suchtzerfressen an die Tabletten zu halten,<br />
auf die Post, auf das Essen, auf den Hofgang, auf die Kommandos zu warten. In der Freiheit bleibt<br />
mir nur der Straßenstrich. Für Bauch und Kiff reicht das schon."<br />
Als Laurence aus der Haftanstalt entlassen wurde, brachte man ihre Zellennachbarin Joelle<br />
gleich für acht Tage in Isolierhaft. Sie hatte es gewagt, eine Wärterin als "unterversorgtes<br />
Arschloch" zu beschimpfen. Andere Häftlinge, wie beispielsweise Chantal, weigerten sich<br />
wiederholt, "ihr Aspirin" einzunehmen. Die Gefängnisleitung hat das Recht, weibliche Häftlinge bis<br />
zu 45 Tage ohne rechtsstaatliche Kontrolle in eine spezielle Abteilung verfrachten zu lassen. Und<br />
Isolierhaft (le mitard) bedeutet in Fleury-Mérogis leere, durchnässte, abgedunkelte Zellen, ohne<br />
Decken, kein Besuch, keine Beschäftigung, kein Spaziergang, kein menschlicher Blickkontakt. -<br />
Essen wird unter der Tür durchgeschoben.<br />
Joelle, 28 Jahre alt, ist wegen ihrer Taschenspielertricks hierher gekommen - immer<br />
wieder, immer länger. Mittlerweile riskiert sie gar schon einem kleinen Rück-blick. "Als ich hier<br />
ankam", erzählt Joelle, "bin ich fast durchgedreht. Ich habe nicht kapiert, was hier vor sich geht.<br />
Ich bin mit acht oder zehn jungen Mädchen zusammengekommen, die sich alle kannten. Ich, so<br />
blöd wie ich war, hatte gedacht, dass sie wegen der gleichen Sache hier sind. Aber sie kannten sich<br />
allesamt aus Fleury-Mérogis. Ich habe erst hier verstanden, was das bedeutet, im Knast zu leben.<br />
Sie waren hochgradig rückfällig. Seit einem Jahr sehe ich sie weggehen und wiederkommen." -<br />
Fleury-Maronis ein Durchlauferhitzer.<br />
Fleury-Mérogis - das größte Frauengefängnis in Europa. Haftrevolten, Ausbrüche,<br />
Geiselnahme überziehen ansonsten die französische Republik vielerorts: in Paris, Nancy,<br />
Dunkerque oder Nimes. Und immer wieder sind Polizeieinheiten oder gar Kompanien der<br />
französischen Armee in Aktion. Nur in Fleury-Mérogis herrscht Fried hofsruhe. Kein Politiker<br />
verliert ein Wort über die Zu- stände im französischen Strafvollzug, mahnt gar Reformen an.<br />
Lediglich die Sprecherin der französischen Grünen, die Ärztin Dominique Voynet (Ministerin für<br />
Umwelt und Naturschutz 1997-2001), mag sich über die Innenausstattung französischer<br />
Gefängnisse erregen. Einzelkämpferin. "Entsetzliche Missstände", schimpft sie. "Die meisten<br />
Frauen in Fleury-Mérogis gehören nämlich nicht in den Knast, sondern ins Krankenhaus , in eine<br />
Langzeittherapie. Nein", fährt sie fort, "Frankreich ist dabei, seine Gefängnisse aus Kostengründen<br />
für Aids-Kranke als Warteschleifen auf dem Wege zum Tod umzufunktionieren."<br />
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