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Band 2 - Reimar Oltmanns

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Vergleich zu früheren Jahren durchleben wir eine Wende in Frankreich. Geprügelt und misshandelt<br />

wurde schon immer in den Familien hinter verschlossenen Türen. Und das nicht zu knapp. Nur<br />

mit dem Unterschied: Die Frauen sind jetzt couragierter geworden, verklagen ihre Ehemänner oder<br />

benennen ihre Peiniger vor Gericht. Sie flüchten und machen ihr Leid öffentlich."<br />

"Masken runter" ("Bas les Masques") hieß die erste Fernsehsendung im Jahre 1995, in der<br />

Frauen über ihr Schicksal am Tatort Familie, zugerichtet mit Handkantenschlägen , öffentlich<br />

berichteten. In Zahlen: Im Jahre 1982 registrierten Frankreichs Gerichte 2.459 Strafanzeigen wegen<br />

Vergewaltigung. Dreizehn Jahre später - im Jahre 1995 - waren es 7.069 Strafverfahren. Eine<br />

Steigerungsrate um 65 Prozent - ausnahmslos qua Strafanzeige von den Opfern angestrengt. Wobei<br />

seit dem Jahre 1994 strafverschärfend gilt, wenn ausdrücklich Ehemänner oder Lebensgefährten als<br />

Täter überführt werden.<br />

Noch in die siebziger Jahren hinein konnten Frankreichs Ehemänner ihre Frauen<br />

verdreschen, ihnen die Zähne ausschlagen - nichts geschah. Privatsache. Noch bis Mitte des<br />

neunziger Jahrzehnts mussten sich muslimische Nordafrikanerinnen vielerorts zwischen Paris und<br />

Marseille stillschweigend Beschneidungsriten unterwerfen. Schmerzhafte Misshandlungen, da nach<br />

alter Tradition in 26 afrikanischen Ländern den Mädchen im Kindesalter die Klitoris entfernt wird.<br />

Männliche Lust- und Gebärkontrolle. Immerhin kam es nach informellen Berechnungen 1992<br />

noch zu 23.000 Frauenbeschneidungen. Es gab keinerlei öffentliche Kritik.<br />

Bis in die späten achtziger Jahre war es absolute Privatsache, was sich tatsächlich in<br />

französischen Familien ereignete. Es war die Frauenbewegung im siebziger Jahrzehnt, die die<br />

Republik damals nahezu unbemerkt mit einem flächendeckenden Netz von Zufluchtsstätten,<br />

Beratungsstellen und Krisenzentren überzog. Für Französinnen wie Carole Damiani von der<br />

Pariser Opferhilfe (Aide aux victimes) kümmerten sich nicht der französische Staat, sondern<br />

"einzig und allein die aufgeschreckten Feministinnen in ihren politisch besten Jahren um<br />

malträtierte Geschlechtsgenossinnen. Sorge für Brot, Kleidung, Unterkunft, Zuwendung,<br />

Gespräche. Ohne diese Zwischenlösungen wären die Zustände auch der Tausende von Müttern<br />

unerträglich gewesen."<br />

Catherine vom Aufnahmezentrum aus Besançon hingegen richtet ihr Augenmerk auf ein<br />

neuerliche Flucht-Phänomen. "Frauen kommen zu uns und sagen, dass sie es nicht mehr aushalten,<br />

obwohl sie nicht geschlagen worden sind. Sie dürfen nichts tun in ihrem Gefängnis. Sie werden<br />

eingeschlossen und ohne Schlüssel zurückgehalten. Sie bekommen kein Geld. Sie können nicht<br />

einmal einkaufen. Sie dürfen sich nicht kleiden, wie sie wollen. Und um alles müssen sie inständig<br />

bitten." An die 150 Organisationen bieten Frauen in ganz Frankreich mittlerweile kostenlose<br />

juristische Beratung und psychische Betreuung an.<br />

Allein im Verband "Solidarité des femmes" stehen in der französischen Republik über<br />

vierzig Frauenhäuser bereit. Betreuerin Patricia Montageron von der Frauengruppe "la paranthèse"<br />

(die Klammer) verfügt in jedem Département auch noch über eine größere Anzahl von<br />

unerkannten Wohnungen. "Als Geheimwaffe allenthalben. So groß ist mittlerweile der Bedarf, weil<br />

wir Stück um Stück mit den Tabus aufgeräumt haben", beteuert die Sozialpädagogin. Dabei will es<br />

vielen Französinnen einfach nicht in den Kopf, dass sich jener Mann, den sie am Anfang als<br />

Freund und Partner erlebten, den sie liebten, irgendwann als Gewalt-Gegner entpuppte.<br />

"Aber immerhin", fährt Patricia fort, "in der Mitterrand-Ära (1981 bis 1995) ist es uns<br />

ganz gelungen, endlich die Tabus zu brechen und das Strafrecht für uns Frauen einzunehmen."<br />

Früher war Brutalität gegen Frauen, wenn überhaupt, ein Kavaliersdelikt, allenfalls ein Vergehen -<br />

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