Minimax Heft 47

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M Rat & Tat Wer ist hier schwierig?! ...oder: Muss anders immer gleich krank sein? Immer wieder geistern sie durch die Medien: die „schwierigen“ Kinder, die aus dem Rahmen fallen, sich nicht einfügen können/ wollen, die ihre Eltern, Lehrer oder Erzieher an den Rand der Verzweiflung treiben... Wahlweise werden dann gerne Krankheitsbilder wie AD(H)S, Wahrnehmungsstörungen, Entwicklungsverzögerungen und dergleichen als Erklärungsversuche herangezogen und die Eltern starten nicht selten eine Odyssee von Therapeut zu Therapeut, oder die ganzen „Schwierigkeiten“ werden als hysterisches Getue überforderter oder zu anspruchsvoller Eltern abgetan. Viel zu oft geraten bei diesem Wettstreit zwischen Pathologisieren und Ignorieren die „schwierigen“ Kinder in ihrer tatsächlich „schwierigen“ Situation unter die Räder. Was helfen könnte, wäre ein differenzierter Blick auf die gesamte Situation dieser Kinder: Warum gelten sie denn als schwierig? Und haben sie tatsächlich selbst Schwierigkeiten, die eventuell behandlungsbedürftig sind? Ein Thema unter vielen ist hier immer wieder der Bereich Wahrnehmung und Intelligenz. In fast jeder Gruppe oder Klasse gibt es ein, zwei Kinder, die Schwierigkeiten haben oder machen, weil sie in der Wahrnehmung ihres Körpers und der Umwelt sensibler sind als der Durchschnitt oder weil sie schneller oder komplexer denken als ihre Altersgenossen. Früher hießen sie Klassenkasper und trotteliger Professor, waren vielleicht etwas anstrengender oder ein bisschen Außenseiter, aber sie gehörten ganz selbstverständlich genauso dazu wie der Dicke und die Brillenschlange. Und heute? "Da fällt mir immer die EU-Richt- linie für Salatgurken ein", so Familienberaterin Dr. Stefanie Weitnauer. "Da wurden und werden tonnenweise leckere Gurken weggeschmissen, nur weil sie zu groß, zu klein, zu dick. zu krumm....sind! Hätte früher auch keiner gemacht, oder?" Unseren Kindern geht es in der momentanen Normierungs- und Vermarktungswut leider immer öfter wie den Gurken: alles, was zu weit vom Standard abweicht, wird aussortiert. Die Eltern hören im Kindergarten, auf 16 dem Spielplatz oder von Ärzten: Das ist nicht normal, da müssen Sie was machen, der oder die braucht Ergotherapie, Ritalin, Psychomotorik oder sonstwas. Dabei ist oft das Einzige, was man wirklich machen müsste, die Mühe, einer krummen oder zu langen Gurke gerecht zu werden und ihren Wert zu schätzen. Dazu bedürfte es oft nur z. B. eines Lehrers, der bereit ist, eine zu lange Gurke mal diagonal in den Karton zu packen oder zur Not ein kleines Loch in eine Stirnwand zu schneiden. Stattdessen wird von der Gurke verlangt, sich entweder zu verbiegen oder gar auf ein Viertel ihres Wesens zu verzichten, nur damit sie zu allen anderen in die Kiste passt! Dass eine solche Gurke weder glücklich noch zufrieden sein kann und anfängt, sich zu wehren, ist eigentlich ganz normal... Und dann gilt es eben, genau hinzuschauen: ist ein Kind schwierig, weil die Kiste nicht passt, oder fehlt der Gurke entweder von Anfang an oder durch den Druck in der Kiste wirklich etwas, so dass nicht nur die Kiste angepasst, sondern auch der Gurke geholfen werden muss? Vielleicht lässt sich das an einer wahren Geschichte verdeutlichen: Ein Junge kommt ein bisschen schwierig und ein bisschen zu früh auf die Welt, entwickelt sich aber erst mal prächtig. Im Alter von 4 Monaten hört er aber auf, die Hände vor dem Körper zusammenzunehmen, er schaut nur noch zu einer Seite und schläft immer schlechter: Nach 3 Wochen geht die Mutter zum Kinderarzt, fragt, ob das so normal sei und wird mit einem „das verwächst sich schon“ getröstet. Nach weiteren 3 Wochen wird sie wieder vorstellig, weil das Kind inzwischen quasi halbseitig gelähmt im Stubenwagen liegt und nur noch mit größter Mühe zum Einschlafen gebracht werden kann. Auf ihre Anfrage, ob sie das Kind bei ihrem Orthopäden zu einer chiropraktischen Behandlung vorstellen soll, bekommt sie eine Standpauke über angeblich lebensgefährliche Behandlungsmethoden und hysterische Akademikermütter, die bei jeder Schwierigkeit nach Therapien rufen. Zum Glück hatte die Mutter genug Mut, auch ohne Überweisung zum Orthopäden zu gehen, dieser löste eine massive Blockade am Halswirbel und der Junge konnte sich endlich wieder frei bewegen und sich weiter entwickeln. Kleinreden kann also nicht die Lösung sein. Umgekehrt ist es genauso falsch, aus jeder Mücke einen Elefanten zu machen. Der gleiche Junge kam mit zweieinhalb Jahren in einen Spielkreis, weil er anfing, sich zu Hause zu langweilen. Er konnte stundenlang konzentriert alleine spielen, war sprachlich seinen Altersgenossen weit voraus und brauchte dringend mehr Anregung. Nun waren aber in diesem Spielkreis wie üblich nur Kinder zwischen zwei und dreieinhalb, und kaum eines konnte auch nur annähernd so gut sprechen oder so intensiv und konzentriert spielen. Der Junge wandte sich deshalb fast ausschließlich der Erzieherin zu oder stand in einer Ecke und beobachtete. Auf Dauer machte ihn diese ständige Unterforderung ziemlich unglücklich, er konnte natürlich noch nicht verstehen, dass die anderen Kinder nicht nicht mit ihm spielen wollten, sondern es nur nicht so konnten wie er. Noch dazu hatte er wahrscheinlich durch die Blockade große Schwierigkeiten mit der Feinmotorik, so dass er vieles, was er sich vorstellte, nicht umsetzen konnte. In seiner Verzweiflung wurde er zu Hause zuneh- mend aggressiv, schmiss seine Spielsachen durch die Gegend und fing an, wieder in die Hose zu machen. Auf Anraten einer Erzieherin rief die Mutter bei einer Psychologin an, um sich Rat zu holen. Als diese von den vollen Hosen hörte, schlug sie der Mutter allen Ernstes vor, sich sofort in einer psychiatrischen Notaufnahme zu melden, da der Verdacht auf sexuellen Missbrauch gegeben sei! Dabei war alles, was es brauchte, der Eintritt in den Waldkindergarten, mit einer altersgemischten Gruppe und vielfältigen Erlebnis- und Forscherangeboten. Hier hat es völlig gereicht, die "Kiste" etwas anzupassen. In diesem Spannungsfeld zwischen Übertherapie, Vernachlässigung und Standardisierungsdruck versuchen Fachleute wie Ergotherapeutin Lena Große oder Familienberaterinnen wie Birgit Volkerding oder Stefanie Weitnauer, Kindern und ihren Eltern angemessen und individuell beizustehen. Lena Große arbeitet als integrative Ergotherapeutin und geht möglichst ganzheitlich
auf das jeweilige Kind und seine Situation ein. Denn auch hier gilt es, genau hinzuschauen: woher kommen Auffälligkeiten in der Motorik oder Wahrnehmung? Reicht ein Stiftetraining wirklich oder gilt es, tieferliegende Schwierigkeiten zu finden und zu beheben? Wichtig ist, auch den Eltern den nötigen Werkzeugkoffer für etwas speziellere Kinder mitzugeben, so dass diese sich (wieder) selbst helfen können. Konkret kann das heißen: wenn ein Kind wegen taktiler Wahrnehmungsstörungen zur Ergotherapie kommt, muss man den Eltern, die oftmals schon mit den Nerven am Ende sind, erklären, was das für sie im Alltag bedeutet: Der Versuch, ein solches ständig überreiztes Kind am Abend mit einem Bad in der Wanne zu beruhigen, muss in der Katastrophe enden! Und wenn es hilft, hat es eben erstmal das ganze Jahr dünne Handschuhe an, auch wenn es eigentlich schon zu warm ist... Es kann auch sein, dass jeder Körperkontakt schon Stress pur für das Kind bedeutet, dann wird eben nicht ohne Vorwarnung gekuschelt und über den Kopf gestrichen! Solche einfachen Tipps und Erklärungen können oft schon ganz viel Druck aus einer Familie nehmen und das Zusammenleben für alle wieder erfreulicher machen. Wo das noch nicht ganz ausreicht, weil Familien schon zu lange einer andauernden Belastung ausgesetzt sind oder eine akute Veränderung oder Krise dazu führt, dass „der Laden nicht mehr läuft“, setzt die ressourcenorientierte Familienberatung von Dr. Stefanie Weitnauer an. Dabei geht es darum, be- und überlasteten Familien mit einer Kurzzeitberatung (zwei bis drei Treffen, evtl. Hausbesuch) neue Wege aufzuzeigen und die Abwärtsspirale durch kleine Impulse wieder in eine aufsteigende zu verwandeln. In jeder Familie gibt es Ressourcen und Stärken, die sich zur Lösung solcher Krisen nutzen lassen, nur fehlt in der akuten Situation oft der Blick dafür. Hier kann ein Anstoß von außen sehr hilfreich sein und schnell zu einer grundlegenden Verbesserung der Situation aller Beteiligten führen. Außerdem bietet sie eine geleitete Selbsthilfegruppe für Eltern von Kindern mit besonderer Wahrnehmung und Intelligenz an, wo es vor allem um Austausch, konkrete Tipps für den Alltag und gegenseitige Unterstützung geht. Eine umfassende integrative Familienbegleitung bietet Birgit Volkerding an. Sie schaut lösungsorientiert auf die mitgebrachten Probleme der Familien. Alle Probleme haben einen Kontext – so ist ein Kind z. B. in der Familie unauffällig, in der Schule dagegen auffällig. Dann ist es auch wichtig, sich den Kontext Schule anzuschauen und mit den Eltern und Lehrern Lösungen zu suchen. Manchmal ergibt sich aus dem Beratungskontext auch eine Paarproblematik oder ein biographisches Problem, welches dann bearbeitet werden kann. Menschen miteinander in eine Lösung begleiten, respektvoll und liebevoll - so versteht sie ihre Tätigkeit. Kontakt: Lena Große & Birgit Volkerding, Integrative Ergotherapie und Familienbegleitung Tel. 04188 / 899 81 80 Dr. Stefanie Weitnauer, Beratung für Familien, Tel. 0 41 87 / 26 14 7 17 Rat & Tat Fortbildungsangebote für Erziehende Programmhighlights in der Nordheide Seit Gründung vor über 25 Jahren steht der Tagesmütter und –väter e.V. des Landkreises Harburg für eine umfassende und hochwertige Qualifizierung nach DJI, interessante und informative Fortbildungen und Tagesseminare sowohl für Mitglieder als auch Nichtmitglieder. Kinderängste, naturnahe Pädagogik, Auszeit oder auch das breite Spektrum rechtlicher Rahmenbedingungen sind nur einige der Themen, die in diesem Jahr behandelt werden. Neben den jährlich stattfindenden Qualifizierungskursen bietet der Verein außerdem noch regelmäßige Kurse zum Thema 1. Hilfe am Kind und Babysitter-Au- Pair-Kurse an. Ein ganz besonderes Highlight soll das Wochenendseminar „Bevor der Kragen platzt“ darstellen: Jeder kennt Situationen, in denen wir vor Wut, Erschöpfung und Überforderung aus der Haut fahren möchten. Manchmal passieren Dinge, die nicht gewollt sind und wir fühlen uns schlecht! Was sind das für Situationen und welche Auslöser führen zu diesen Konflikten? Was brauche ich, um angemessen mit Überforderungen umzugehen bzw. diese gar nicht erst entstehen zu lassen? Das Wochenendseminar dient dazu, sich Zeit für diese und viele andere Fragen zu nehmen und gemeinsam Antworten zu finden, aber auch zum Lachen, viel Spaß haben und Kräfte tanken. Es findet vom 16. – 18. November 2012 statt, im Hotel „Verdener Hof“ in Verden a.d. Aller. Nähere Informationen unter www.tagesmuetter-vaeter.de. Fachleute aus der Region kommen zu Wort, wenn der Verein zu einem seiner Fortbildungsabende einlädt. So zeigt Dipl. Sozialpädagogin Silvia Rau am 26. Juni Wege aus der Brüllfalle auf, wenn Eltern sich durchsetzen müssen und Dipl.-Sozialpädagogin Nicole Hauff referiert am 11. Juli über Kinder und ihren Umgang mit Angst. Spannende rechtliche Fragen im Bereich Tagespflege lassen sich am 17. Oktober mit Rechtsanwälting Isgard Rhein klären. Und Kontaktpolizist Markus Kaulbarsch gibt am 14. November Tipps zur Prävention von Gewalt. Alle Fortbildungsabende finden an den angegeben Terminen von 20.00 – 22.15h statt (mit Ausnahme des Angebots am 17.10.2012) und kosten für Nicht-Mitglieder € 10,-. Eine Teilnahmebestätigung wird erteilt. Auch Tagesseminare zu verschiedenen Themenbereichen stehen 2012 in der Vereinsagenda. Veranstaltungsort für alle Angebote sind die Geschäftsräume des Tagesmütter und – väter e.V. des Landkreises Harburg in der Steinbecker Str. 52 in 21244 Buchholz i.d. Nordheide. Anmeldungen werden bitte bis 14 Tage vor Veranstaltungsbeginn an den Tagesmütter und –väter e.V. des Landkreises Harburg, Steinbecker Str. 52 in 21244 Buchholz i.d. Nordheide, per Mail an Heidi.Kummer@tagesmuetter-vaeter.de oder aber per Fax an 04181/36678 erbeten. Nähere Informationen zu den verschiedenen Angeboten, Qualifizierungs-Kursen und entsprechende Anmeldeformulare stehen unter www.tagesmuetter-vaeter.de zur Verfügung. 17 M
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