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8. Dokumentation 2010 - Stolpersteine Frankfurt

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wählten Hermann Zuntz, der im alter von 16 Jahren<br />

umgebracht wurde. Ich erklärte, dass Juden Steine<br />

legen, wenn sie Gräber besuchen und dass wir das auch<br />

hier tun, da diese menschen keine Grabsteine haben.<br />

Ich schlug den kindern vor, wenn sie möchten, das<br />

auch zu tun, wenn sie an dieser Stelle vorbeikommen,<br />

um an diese Familie zu denken. Benjamin und rebecca<br />

sprachen das kaddisch und wir sangen oseh Shalom<br />

zusammen. Wieder waren wir sehr bewegt über diese<br />

erfahrung.<br />

Wir mussten uns beeilen, um zur Stolperstein-verlegung<br />

von aenne levy zu fahren, die planmäßig<br />

um 15:10 uhr in einer Straße namens körnerwiese 8<br />

stattfinden sollte. Wir schafften es fast pünktlich da<br />

zu sein, nachdem wir sogar einen legalen parkplatz<br />

gefunden hatten. Dies ist auch ein Wohnviertel aber<br />

das originalgebäude steht nicht mehr. viele menschen<br />

(vielleicht 20) kamen zu dieser verlegung, auch die<br />

patin dieses Steins, lucia Stanko. nach der verlegung<br />

erklärten wir, dass es aenne levys tochter Hannah<br />

Bramson gelang, über einen „kindertransport“ nach<br />

palästina – jetzt Israel – zu fliehen, wo sie noch immer<br />

wohnt. Wir sagten auch, dass Benjamin sie und ihre<br />

Familie erst vor kurzem besucht hatte. Wie jedes mal,<br />

wenn wir von den opfern sprachen, hörten alle sehr<br />

aufmerksam zu und waren auch sehr berührt. rebecca<br />

las die erinnerungen ihres Großvaters an aenne levy.<br />

Dann lasen sie und Benjamin das kaddisch und wir<br />

sangen oseh Shalom zusammen. Wir legten unsere<br />

fünf kleinen Steine – so machte es auch lucia Stanko<br />

– nachdem wir die jüdische tradition erklärten. alle<br />

waren sehr bewegt. als wir weggingen wurden wieder<br />

Blumen um die Steine gelegt.<br />

an diesem punkt waren „unsere“ Stolperstein-verle-<br />

gungen zu einem ende gekommen, aber wir gingen<br />

noch etwa 50 meter weiter zu der nächsten verlegung<br />

für nelly Westerburger in der körnerwiese 4. Zwischen<br />

den beiden Gebäuden hatte die Stolperstein-Initiative<br />

ein großes transparent mit den Worten „Steine gegen<br />

das vergessen“ aufgehängt. nelly Westenburgers<br />

90 Jahre alter Sohn war dort und erzählte uns ihre Geschichte.<br />

Seine mutter war Jüdin und sein vater Christ.<br />

Sie wurde christlich erzogen, und ihren Sohn hatte sie<br />

ebenfalls christlich erzogen. nichtsdestotrotz wurde sie<br />

StolperSteine – <strong>Dokumentation</strong> 13<br />

festgenommen und von den nazis umgebracht während<br />

ihr Sohn als deutscher Soldat in afrika diente. er hat<br />

die Familiengeschichte in seinem Buch „Wir pfeifen auf<br />

den Schwindel“ veröffentlicht.<br />

Jetzt war es schon fast 16:00 uhr. Wir fuhren zu der<br />

Stelle, wo die <strong>Stolpersteine</strong> für die Familie karl Zuntz<br />

verlegt worden sind. Wir fanden die <strong>Stolpersteine</strong> und<br />

auch fünf kerzen unserer verwandten und eine kerze<br />

mit einem kreuz von den paten ganz nah an der Hauswand<br />

hinter den <strong>Stolpersteine</strong>n. Der Wind hatte zwei<br />

kerzen ausgeblasen, die wir wieder anzündeten.<br />

Wir stellten unser eingerahmtes Foto von karl Zuntz<br />

neben die kerzen. Wir standen vor den Steinen und<br />

pausierten eine Weile, jeder von uns reflektierte für sich<br />

selbst. Wir entschieden uns nochmals, das kaddish<br />

Gebet zu sprechen und legten unsere fünf kleinen Steine<br />

in den Sand neben und zwischen die <strong>Stolpersteine</strong>.<br />

Wir liefen zu unserem auto ungefähr 25 meter weiter<br />

und beobachteten die leute, die an den <strong>Stolpersteine</strong>n<br />

vorbeigingen. Ich war überrascht wie viele innehielten,<br />

um zu schauen. Die leute beugten ihre köpfe, um zu<br />

lesen, was auf den Steinen steht. es war als ob sie sich<br />

mit achtung verneigten. Wir waren bewegt als wir<br />

das sahen. Das passierte an der viel befahrenen kurt-<br />

Schumacher-Straße vor einem Wettbüro, wo einst das<br />

erhabene rotschildhaus gestanden hatte. noch einmal<br />

an diesem tag war ich traurig und in tränen.<br />

nun war es schon nach 16:00 uhr. unser Stolpersteintag<br />

ging langsam zu ende. rebecca, Benjamin und<br />

Yafit nahmen ihre Sachen aus dem auto, und wir<br />

verabschiedeten uns da, sie mit der Bahn nach marburg<br />

fahren wollten. Wolfgang und ich entschlossen uns,<br />

noch ein bisschen herumzulaufen, um auf unserem<br />

rückweg nach kassel nicht in die Hauptverkehrszeit<br />

hineinzugeraten. Wir liefen die Zeil entlang, die<br />

Haupteinkaufsstraße von <strong>Frankfurt</strong>, aßen eine kleinigkeit<br />

und kehrten zu unserem auto zurück und dem<br />

platz, wo die <strong>Stolpersteine</strong> für die Familie von karl<br />

Zuntz gelegt wurden. es war ca. 18:00 uhr. Wieder<br />

hatte der Wind eine kerze ausgeblasen, die wir dann<br />

wieder anzündeten. Wir waren physisch und emotional<br />

sehr müde, und wir hatten noch die Fahrt nach kassel<br />

vor uns.

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