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Der Zwiespalt zwischen Politik und Technik Ein kulturelles ...

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denen seine politische Machtposition zu bröckeln begann, schlüpfte Speer also in die Rolle<br />

des Architekten, dem eine völlig falsche Aufgabe gestellt worden war, wie er es<br />

beispielsweise in seiner Stellungnahme gegen den Führerbefehl "Verbrannte Erde" vom 19.<br />

3. 1945 formuliert hatte. Und solche Momente sollten mit dem drohenden Zusammenbruch<br />

des Dritten Reiches zunehmen. Die Karriere der rhetorischen Figur vom unpolitischen<br />

Fachmann nahm ihren Anfang genau genommen also bereits Mitte 1944, wie Karl-Heinz<br />

Ludwig bemerkt 54, als das Organisationsprinzip der "Selbstverantwortung der Industrie" in<br />

der Rüstungsherstellung nicht mehr funktionierte, die Balance <strong>zwischen</strong> Wirtschaft <strong>und</strong><br />

<strong>Politik</strong> verlorenging, die parteiinternen Intrigen gegen Speer zunahmen <strong>und</strong> Speer<br />

Unterstützung bei den Gauleitern suchen mußte, um sich gegen diese zu verwehren. In<br />

diesem Durcheinander staatlicher <strong>und</strong> industrieller Auflösungserscheinungen brauchte<br />

Speer bis Frühjahr 1945, um sein gespaltenes Bewußtsein zu überwinden, das ihn einerseits<br />

jedwede erdenkliche Maßnahme ergreifen ließ, um die Rüstungsproduktion in Gang zu<br />

halten, während ihm andererseits aber längst klar war, daß der Krieg verloren war.<br />

Während er kurz vor Weihnachten 1944 der Kernspaltungsforschung <strong>und</strong> dem Bau der<br />

Uranmaschine noch jegliche Unterstützung zur Überwindung der durch die Luftangriffe<br />

überaus erschwerten Arbeitsbedingungen versprach 55, hatte er gegenüber den<br />

beschäftigungslos gewordenen Mitarbeitern seines Ministeriums das politische Scheitern<br />

des NS-Staates längst zugegeben <strong>und</strong> ihnen freigestellt, sich an der Planung von<br />

"Friedensmaßnahmen" zu beteiligen, bis er schließlich im Februar 1945 einen vergeblichen<br />

Attentats-Versuch gegen Hitler unternahm <strong>und</strong> ab März 1945 zur offenen<br />

Befehlsverweigerung überging, die <strong>Politik</strong> der Selbstzerstörung aktiv zu verhindern<br />

suchte. 56<br />

Daß ihm in dieser Phase erstmalig Gedanken über eine wachsende Herrschaft der <strong>Technik</strong><br />

in den Kopf kamen, während er sich gleichzeitig nach einer Rolle als "Nur"-Architekt<br />

zurücksehnte, kann als Ausdruck einer zunehmenden Fassungslosigkeit über den eigenen<br />

Machtverlust <strong>und</strong> die wachsende Hilflosigkeit gedeutet werden, die umso verwirrender<br />

wirken mußten, je größer der <strong>Ein</strong>flußbereich eines politischen Funktionärs gewesen war.<br />

Für den erfolgsverwöhnten Albert Speer muß diese Erfahrung neu <strong>und</strong> zermürbend<br />

gewesen sein. Während er jedoch seine Übersicht <strong>und</strong> sein Organisationstalent nie verlor,<br />

vielmehr ganz im Sinne der von Karl-Heinz Ludwig formulierten These von der<br />

"Selbstmobilisierung der Wissenschaft" 57 auf die Widrigkeiten der letzten Kriegsmonate mit<br />

noch größeren Anstrengungen reagierte <strong>und</strong> außerdem nach der Kapitulation <strong>und</strong> in den<br />

23 Tagen der Regierung Dönitz im Mai 1945 schnell wieder zu seinem pragmatischen<br />

Machtbewußtsein zurückfand 58, sollten seine Reflexionen über die <strong>Technik</strong> nicht<br />

nachlassen, ganz im Gegenteil zu einem gewichtigen Part in seiner nunmehr notwendigen<br />

Verteidigungstrategie werden.<br />

In den Nürnberger Verhören sollten Verweise zur Bedeutung der Herrschaft der <strong>Technik</strong><br />

<strong>und</strong> eine Betonung des im In- <strong>und</strong> Ausland angesehenen "anständigen, unpolitischen<br />

Fachmann" immer wieder Erwähnung finden. Das hatten Speer <strong>und</strong> sein Verteidiger<br />

Flächsner als Verteidigungsstrategie ausgehandelt <strong>und</strong> daran hielten sich sowohl der<br />

Angeklagte, wie auch sein Verteidiger. 59 Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der Anklagepunkte<br />

"Verbrechen gegen den Frieden" <strong>und</strong> "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" setzten Speer<br />

<strong>und</strong> seine Verteidigung darauf, daß die politisch vermeintlich weniger brisante<br />

54 Vgl. Ludwig: <strong>Technik</strong> <strong>und</strong> Ingenieure (1979), S. 464.<br />

55 Walker, Mark: Die Uranmaschine. Mythos <strong>und</strong> Wirklichkeit der deutschen Atombombe, Berlin<br />

1990, S. 167.<br />

56 Vgl. Ludwig: <strong>Technik</strong> <strong>und</strong> Ingenieure (1979), S. 471, Sereny: Ringen mit der Wahrheit (1995), S.<br />

529ff<br />

.<br />

57 Ebd., S. 241.<br />

58 Vgl. Schmidt: Albert Speer (1982), S. 159-168.<br />

59 Dies hat der Anwalt Flächsner Anfang der 80er Jahre dem Historiker Matthias Schmidt in<br />

Interviews zu erkennen gegeben. Vgl. Schmidt: Albert Speer (1982), S. 189.<br />

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