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Der Zwiespalt zwischen Politik und Technik Ein kulturelles ...

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Lebensbereiche tat die publizistische Öffentlichkeit sich schwer, die Naturwissenschaften<br />

<strong>und</strong> die <strong>Technik</strong> als Ausdruck einer gemeinsamen Kultur zu begreifen, mehr noch diese<br />

nicht einfach in eine eigene Welt zu verweisen, deren Anwender oder Nutznießer man<br />

gegebenenfalls ist. Die Besorgnis vor einer Übermacht technokratischen Handelns <strong>und</strong> die<br />

Verantwortungsethik, wie sie von Albert Speer wie von seinen Rezipienten geäußert<br />

wurde, behält in historischer Sicht kaum mehr als eine ideologische Bedeutung. Freilich, für<br />

das Schicksal des Albert Speer war eine reklamierte <strong>und</strong> reflektierte Verantwortung mehr<br />

als hilfreich, insofern auch authentisch. Betrachtet man dagegen die literarische Diskussion<br />

<strong>und</strong> Deutung seiner Geschichte seit den sechziger Jahren, so bleibt letztlich der <strong>Ein</strong>druck,<br />

daß sich im Zeichen einer neuen Prosperität <strong>und</strong> eines vehementen Wiederaufbau-<br />

Pragmatismus, der Westintegration <strong>und</strong> Wiederaufrüstung die von Albert Speer<br />

aufgebrachte <strong>Technik</strong>kritik allenfalls in einem globalen Jargon ziemte, ohne Rückschlüsse<br />

auf zu dieser Zeit stattfindenden Technisierungsschübe zuzulassen. Selbst in den Schriften<br />

seiner Kritiker, die diese Zusammenballung von politischer, militärischer <strong>und</strong> technischer<br />

Macht im Verhältnis von Hitler <strong>und</strong> seinen technokratischen Vasallen problematisierten,<br />

waren kaum in der Lage, diese Erkenntnisse auf den Boom des Wiederaufbaus <strong>und</strong> der<br />

Modernisierung der b<strong>und</strong>esdeutschen Gesellschaft in den Nachkriegsjahrzehnten<br />

anzuwenden.<br />

Wenngleich es also an mahnenden Stimmen nicht fehlte, die in den technokratischen<br />

Zügen des NS-Systems einen einschneidenden Höhepunkt in den<br />

Rationalisierungsschüben moderner Gesellschaften ausmachten, so blieben sie - jedenfalls<br />

aus historischer Sicht - folgenlos. "Technokratie" oder das "apolitische Bewußtsein" von<br />

<strong>Technik</strong>ern <strong>und</strong> Naturwissenschaftlern sind demnach mit Vorsicht einzusetzende Termini<br />

für die historische Forschung.<br />

VI. Epilog<br />

Niemand geringerer als Albert Speer selbst, hat die Kurzsichtigkeit seiner Argumentation<br />

wenige Jahre vor seinem Tod schließlich eingesehen. <strong>Ein</strong>mal mehr bezeugte er seine<br />

brillante Analysefähigkeit, als er seiner Biographin Gitta Sereny zur Kritik der Historiker an<br />

seinem im Nürnberger Abschlußplädoyer gezeichneten Bild von Nazideutschland als einer<br />

technokratischen Gesellschaft <strong>und</strong> sich selbst als Prototyp des Technokraten sagte: "Heute<br />

weiß ich, daß ich mit einschließen hätte sollen, wovon ich doch so sehr überzeugt war,<br />

nämlich daß es unsere Gesellschaft war, die diese Schrecken erzeugt hatte, oder besser<br />

gesagt, die Menschenschindern die Lizenz für ihre Greueltaten gab, nicht infolge<br />

technischer Vervollkommnung, sondern infolge unseres moralischen Zerfalls. Ich habe es<br />

nicht gesagt, <strong>und</strong> das war falsch." 97<br />

97 Sereny: Ringen mit der Wahrheit (1995), S. 687.<br />

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