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Der Zwiespalt zwischen Politik und Technik Ein kulturelles ...

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<strong>Politik</strong>verständnis vieler Deutscher ab, welches "<strong>Politik</strong>" nur auf den Bereich von Staat <strong>und</strong><br />

Regierung konzentriert sah, ein <strong>Politik</strong>feld, was darüber hinaus ungefragt den<br />

traditionellen Eliten der Staatsbeamten, Juristen, Theologen <strong>und</strong> Offiziere überlassen<br />

wurde.<br />

Nach dem Ersten Weltkrieg, der in bislang nicht gekanntem Ausmaß "das machtpolitische<br />

Prestige der <strong>Technik</strong> bei Siegern <strong>und</strong> Besiegten" 22 ins Bewußtsein gerufen hatte, wurden<br />

Forderungen nach größerer politischer <strong>Ein</strong>flußnahme für die technischen Berufe laut. Und<br />

da sich die Ingenieursvertretungen nicht den Vorwurf gefallen lassen wollten, die deutsche<br />

Niederlage sei auf eine unzulängliche <strong>Technik</strong> zurückzuführen, konterten sie mit der<br />

Mahnung, mehr Fachleute aus den eigenen Reihen in politische Führungspositionen zu<br />

lassen. "Es muß in Deutschland dahin kommen, daß mit der gleichen<br />

Selbstverständlichkeit, mit der heute Militär <strong>und</strong> Jurist maßgebend sind, der Ingenieur als<br />

Führer des Volkes gilt", hatte der Vorsitzende des Vereins Deutscher Ingenieure bereits<br />

Ende 1917 proklamiert. 23<br />

Albert Speer war einer der ganz wenigen Absolventen eines technischen Studiums, dem in<br />

den darauffolgenden Jahrzehnten eine bilderbuchartige Karriere in höchste<br />

Staatspositionen gelingen sollte. Im Vergleich zu diesem phänomenalen Aufstieg eines<br />

Vertreters der technischen Intelligenz scheiterten die allgemeinen Bestrebungen, das<br />

Juristenmonopol in der höheren Staatsverwaltung zugunsten von akademisch gebildeten<br />

Vertretern technischer Fächer zu brechen. Lediglich in die mittleren Ebenen der Stadt- <strong>und</strong><br />

Kommunalverwaltungen, die mit einer ausdifferenzierten arbeitsteiligen<br />

Verwaltungsstruktur auf all jene kommunalen technischen Infrastrukturaufgaben zu<br />

reagieren suchten, die mit der zentralen Gas-, Wasser- <strong>und</strong> Stromversorgung, der<br />

Verkehrsplanung <strong>und</strong> sonstigen öffentlichen Bauprogrammen den Städten anwuchsen,<br />

fanden die Vertreter der technischen Disziplinen eine große Anzahl von Arbeitsplätzen <strong>und</strong><br />

konnten gelegentlich auch in höhere Positionen vordringen. 24 Weitaus wirkungsvoller<br />

wurden seit der Jahrh<strong>und</strong>ertwende diejenigen Kompetenzen <strong>und</strong> Funktionen popularisiert,<br />

die aus der immer dichter werdenden Verzahnung von <strong>Technik</strong>, Industrie <strong>und</strong><br />

Wissenschaft erwuchsen. Besonders <strong>Technik</strong>er <strong>und</strong> Ingenieure konnten sich Haltungen wie<br />

die Fähigkeit zur kalkulierten Wirtschaftlichkeit, Zweck-Mittel-Relationen, Rationalität,<br />

Vernunft, Objektivität, Sachlichkeit <strong>und</strong> unparteiische Sachverständigkeit zugute schreiben.<br />

In der Rationalisierungseuphorie der Weimarer Jahre erreichten solche technokratischen<br />

Vorstellungen einer der "Gemeinwirtschaft" dienenden Rationalisierung von "Stoff- <strong>und</strong><br />

Menschenströmen" 25 einen vorläufigen Höhepunkt, der dann innerhalb der<br />

nationalsozialistischen Bewegung auf die Spitze getrieben wurde <strong>und</strong> zu all jenen<br />

irrationalen <strong>und</strong> brutalen Programmen geführt hat, die wie die Euthanasie- oder<br />

Sterilisationsprogramme ohne die Mitwirkung wissenschaftlich-technischer Hilfe nicht<br />

möglich gewesen wären. Innerhalb der national-sozialistischen Bewegung - insbesondere<br />

nach der parteiinternen Niederlage der noch eher als anti-technokratisch einzustufenden<br />

SA gegenüber der SS - gewannen technokratische Gruppierungen in allen Machtblöcken<br />

des insgesamt polykratisch strukturierten Dritten Reiches an <strong>Ein</strong>fluß mit der Folge, daß<br />

nach der Gleichschaltung ihrer Organisationen auch die Arbeit von Naturwissenschaftlern<br />

<strong>und</strong> <strong>Technik</strong>ern stärker gewürdigt wurde. So schien die Beschäftigung von <strong>Technik</strong>ern,<br />

Ingenieuren oder im vorliegenden Fall eines Architekten in den allerhöchsten Rängen der<br />

Manfred: Kulturfragen der <strong>Technik</strong>. Versuch einer kritischen Sichtung des Schrifttums, in: Z-<br />

VDI 77 (1933), S. 349-353.<br />

22 Radkau: <strong>Technik</strong> in Deutschland (1989), S. 239.<br />

23 zit. nach: Ludwig, Karl-Heinz: <strong>Technik</strong> <strong>und</strong> Ingenieure im Dritten Reich, Düsseldorf 1979, S. 50.<br />

24 Bolenz, Eckart: Vom Baubeamten zum freiberuflichen Architekten. Technische Berufe im<br />

Bauwesen (Preußen/Deutschland, 1799-1931), Frankfurt a.M. 1991.<br />

25 Vgl. Sachse, Carola: Siemens, der Nationalsozialismus <strong>und</strong> die moderne Familie. <strong>Ein</strong>e<br />

Untersuchung zur sozialen Rationalisierung in Deutschland im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert, Hamburg 1990.<br />

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