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Der Zwiespalt zwischen Politik und Technik Ein kulturelles ...

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den Quellenwert der Bücher skeptisch beurteilten 71. Vielmehr war ihr Publikumserfolg<br />

derart beeindruckend, daß sich schließlich aufmerksame Zeitgenossen fragten, was denn<br />

da eigentlich die Neugierde des Publikums erwecke, warum die Bücher Speers derartige<br />

Erfolge seien? 72<br />

In jedem Fall kann festgehalten werden, daß die breite Resonanz der Speerschen Schriften<br />

für sich einen Aussagewert hat. Hier bot einer einen vermeintlich authentischen Bericht aus<br />

dem Zentrum der Macht, hier bekannte sich einer laut zu seiner Schuld, ohne aber wirklich<br />

zu bereuen. Denn immer dann, wenn er seinen Erinnerungen freien Lauf ließ, blieb von<br />

dem Schuldbekenntnis nicht viel zurück. Hervor traten stattdessen die Begeisterung über<br />

die vergangenen Möglichkeiten der Selbstverwirklichung, der Respekt vor der eigenen<br />

Leistung <strong>und</strong> dem unter schwierigsten Kriegsbedingungen Erreichten. Schließlich verwies<br />

Speer auch immer wieder auf ökonomische <strong>und</strong> technische Sachzwänge, denen er sich zu<br />

beugen hatte. War diese Form der Selbstreflexion deshalb so erfolgreich, weil sie der<br />

kollektiven Vergangenheitsbewältigung ein Identifikationsangebot machte?<br />

In zahlreichen Kommentaren, Essays 73, selbst Büchern, die in der Zeit <strong>zwischen</strong> 1966 <strong>und</strong><br />

1981 mit <strong>und</strong> um die Person von Albert Speer entstanden sind, wird jener ambivalente<br />

"Technokrat" zitiert, den Albert Speer bereits während der Nürnberger Prozesse provoziert<br />

hatte. Gerade dieser Topos des "unpolitischen <strong>Technik</strong>ers" war der Dreh- <strong>und</strong> Angelpunkt<br />

für eine entweder positive oder aber kritisch verurteilende Bewertung der Person Speer. Bis<br />

auf den <strong>Technik</strong>historiker Karl-Heinz Ludwig, der den Rezipienten dieses Klischees eine<br />

politische Kurzsichtigkeit attestierte 74, ließ sich allerdings niemand auf die Frage ein,<br />

warum die <strong>Technik</strong>entwicklung einer eigenen Rationalität folge, wenn doch derselbe Autor<br />

gleichzeitig von einer wachsenden gesellschaftlichen Macht der <strong>Technik</strong> sprach? Auch<br />

umgekehrt wurden keine ins Detail gehende Fragen nach dem politischen Charakter der<br />

Architektur <strong>und</strong> <strong>Technik</strong> angeführt. Die architektonischen, städtebaulichen, ökonomischen<br />

<strong>und</strong> technischen Leistungen blieben gleichsam unschuldig.<br />

Selbst dann, wenn ausführlich über die Bauten Speers gesprochen wurde 75 <strong>und</strong> Speer die<br />

Frage, ob er seinen berühmten Lichtdom auch für ein anderes System komponiert hätte,<br />

mit ja beantwortete, anschließend noch zugab, daß er der "Amoral eines in seiner Sachwelt<br />

gefangenen Technokraten" verfallen gewesen sei, so folgte daraus nichts als die<br />

Feststellung selbst. Auch die ansonsten überaus kritische <strong>und</strong> ausführliche Studie des<br />

Soziologen Gert Hortleder über das Gesellschaftsbild des Ingenieurs beschränkte sich<br />

darauf, die Erinnerungen Speers "als eine der raffiniertesten Apologien des Dritten Reiches"<br />

zu bezeichnen, in denen Terror <strong>und</strong> sachbezogenes Rüstungsmanagement nebeneinander<br />

existierten. 76<br />

71 Mommsen, Hans: Spandauer Tagebücher - Bemerkungen zu den Aufzeichnungen Albert Speers<br />

im internationalen Militärgefängnis 1946-1966, in: Politische Vierteljahresschrift 17 (1976), S.<br />

108-114; Ludwig, Karl-Heinz: Die wohlreflektierten Erinnerungen des Albert Speer - <strong>Ein</strong>ige<br />

kritische Bemerkungen zur Funktion des Architekten, des Ingenieurs <strong>und</strong> der <strong>Technik</strong> im<br />

Dritten Reich, in: Geschichte in Wissenschaft <strong>und</strong> Unterricht 21 (1970), S. 695-708.<br />

72 <strong>Der</strong> Sozialpsychologe Alexander Mitscherlich, der Albert Speer bereits 1945 als<br />

Gefängnispsychologe in Nürnberg betreut hatte, kam in einer Rezension der "Spandauer<br />

Tagebücher" zu dem Schluß, daß der vermeintlich authentische Bericht aus dem Gefängnis der<br />

Öffentlichkeit wahrscheinlich als Aufforderung diene, eine verspätete Anklage gegen die<br />

Alliierten zu führen. Sie würden vermutlich weniger als Aufforderung verstanden, sich mit der<br />

eigenen Geschichte auseinanderzusetzen, statt sich einfach von ihr abzuwenden. Vgl.<br />

Mitscherlich, Alexander: Hitler blieb ihm ein Rätsel. Die Selbstblendung Albert Speers, in:<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1. November 1975.<br />

73 <strong>Ein</strong>e Zusammenstellung wichtiger Beiträge wurde von Adelbert Reif herausgegeben: Reif,<br />

Adelbert (Hg.): Albert Speer. Kontroversen um ein deutsches Phänomen, München 1978.<br />

74 Ludwig: <strong>Technik</strong> <strong>und</strong> Ingenieure (1979), S. 463; vgl. ders.: Die wohlreflektierten Erinnerungen<br />

(1970).<br />

75 so z.B. in einem Interview im Spiegel: <strong>Der</strong> Spiegel, Nr. 46, 1966, S. 53.<br />

76 Hortleder, Gerd: Das Gesellschaftsbild des Ingenieurs. Zum politischen Verhalten der<br />

Technischen Intelligenz in Deutschland, Frankfurt a.M. 1970, S. 121.<br />

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