GEsundhEit BEOBACHTER KOMPAKT 17/2008 symbols. Erfunden hat sie es allerdings nicht: Die Geschichte des <strong>Herz</strong>ens als Zentrum des Emotionalen (und Geistigen) und als Metapher für Liebe und Erotik reicht viel weiter zurück. 3000 Jahre vor Christus habe im Land zwischen Euphrat und Tigris, im heutigen Irak und Nordostsyrien, die Weltgeschichte des symbolischen <strong>Herz</strong>ens begonnen, schreibt Nager. In den dort entstandenen sumerischen Epen werde <strong>das</strong> <strong>Herz</strong> bereits vielfältig beschworen, «fast so überschwenglich wie bei den späteren Troubadouren des <strong>Herz</strong>ens im Minnegesang, bei Goethe und in der Romantik». Im GilgameschEpos sei <strong>das</strong> <strong>Herz</strong> gar schon «<strong>das</strong> empfindende Organ schlechthin, mit dem der Mensch sich sehnt, sich fürchtet, ahnend vorausschaut, bangt, hofft und aus dessen Quellgründen er getröstet wird». Bereits vor rund 4000 Jahren wurde «nutzlos <strong>Herz</strong>blut verströmt», und es «freut sich <strong>das</strong> <strong>Herz</strong>» des Gilgamesch, «wenn er den starken Leib des Freundes erblickt». Sein heldenhaftes <strong>Herz</strong> «will viel», es «schlägt voll Stolz»; aber auch «Zweifel kehrt [ins <strong>Herz</strong>] ein». Nager ist nicht der einzige Mediziner, den <strong>das</strong> <strong>Herz</strong> nach der Pensionierung noch weiterbeschäftigt. Auch den deutschen Professor und Kardiologen Armin Dietz treiben nach jahrelanger Beschäftigung mit der rund 300 Gramm schweren Pumpe aus Muskel, Gefässen und Hohlräumen die nichtanatomischen Aspekte des menschlichen <strong>Herz</strong>ens um. Er veröffentlichte in den neunziger Jahren ein Buch, in dem es um die Geschichte des <strong>Herz</strong>ens geht, seine Symbolik und vor allem seine separaten Bestattungen, die es bis ins 20. Jahrhundert noch gab (siehe «Ewige Treue: Symbolik bis zum letzten Ende», Seite 4). Auch zehn Jahre nach Erscheinen von «Ewige <strong>Herz</strong>en. Kleine Kulturgeschichte der <strong>Herz</strong>bestattungen» (MMV Medien & Medizin Verlag, München 1998) forscht Dietz noch immer intensiv an der Kulturgeschichte des <strong>Herz</strong>ens – und er gibt gerne Auskunft, wenn es um <strong>Herz</strong>ensangelegenheiten geht. Dabei ärgert er sich auch schon mal. Etwa über die These, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> <strong>Herz</strong> einen weiblichen Hintern symbolisiere. Die PoTheorie geisterte unlängst wieder durchs Internet, nachdem ein USPsychologe behauptet hatte, <strong>das</strong> <strong>Herz</strong>symbol sei nicht Abbild des menschlichen <strong>Herz</strong>ens, sondern des Hinterns der Göttin Aphrodite, von dem die Griechen derart beeindruckt gewesen seien, <strong>das</strong>s sie ihm zu Ehren einen Tempel gebaut hätten. Das sei barer «Unsinn», sagt Dietz, der auf seinen Reisen durch Griechenland und Italien auf vielfältige und noch frühere <strong>Herz</strong>symbole gestossen ist. Auf dem Gebiet der <strong>Herz</strong>symbolForschung gebe es einfach «zu viele Esoteriker», sagt der ehemalige Professor und berichtet von weiteren skurrilen Theorien. «Eine besagt, <strong>das</strong> <strong>Herz</strong>symbol sei aus einer aufgeschnittenen Feige entstanden.» Und wieder woanders stehe, die Form sei den Kernen einer Pflanze namens Silphium nachempfunden. Diese These ist auch auf der englischen WikipediaSeite im Internet zu finden, mit dem Verweis, die Herkunft des <strong>Herz</strong>symbols sei aber nicht endgültig geklärt. Dietz sieht <strong>das</strong> anders. Für ihn ist klar, <strong>das</strong>s es nicht die Feige selber ist, von der <strong>das</strong> <strong>Herz</strong>symbol abstammt, sondern <strong>das</strong> Feigenblatt, <strong>das</strong> seit der biblischen Geschichte des Sündenfalls auch als eigenständige Metapher dient. In seinem Buch «Ewige <strong>Herz</strong>en» schreibt er: «Im Museum von Kabul in Afghanistan steht ein bauchiger Pokal aus gebranntem Ton aus der ersten Hälfte des 3. Jahrtausends vor Christus, auf dem stilisierte Feigenblätter mit weit <strong>Herz</strong>haft kopiert: Das Feigenblatt diente als Urmodell des <strong>Herz</strong>symbols (griechische Vasenmalerei, datiert auf 525 vor Christus). ausschwingenden Stielen dargestellt sind. Dieses Dekor findet sich auch auf Erzeugnissen der HarappaKultur in Baluchistan und der SothiKulturen im Industal. Auf den Gefässen erscheinen neben Motiven aus der Tierwelt häufig auch vegetabile Motive, also Blüten, Knospen, Kelche und eben Feigenblätter, die die heute bekannte <strong>Herz</strong>form vorwegnehmen. Sie sind die ersten <strong>Herz</strong>blätter, die Ahnen des heutigen <strong>Herz</strong>symbols.» Allerdings, fährt er fort, hätten diese Ornamente damals keine symbolische, sondern ausschliesslich dekorative Bedeutung gehabt. symbolischen Gehalt erkennt Dietz in der künstlerischen Darstellung des <strong>Herz</strong>blatts schliesslich bei den Griechen des 6. und 5. Jahrhunderts vor Christus: <strong>Herz</strong>förmige Blätter – am häufigsten Efeu und Weinlaub – waren dort auf Henkeln von Gefässen, auf Tempelfriesen, Grabstelen und anderen steinernen Monumenten dargestellt, teilweise in figürlichen Szenen, die Wein und Trinkgelage zeigen. Schon damals, schreibt Dietz, «ging die Bedeutung dieser Darstellungen häufig über <strong>das</strong> rein Ornamentale hinaus». Zum Beispiel sei auf einem Gefäss eine Szene mit Charakteren aus der Mythologie abgebildet, im Zentrum ein <strong>Herz</strong>blatt, auf dem der Name Sisyphos geschrieben ist. Der Mann, der <strong>das</strong> Blatt in Händen hält, ist der künftige Gatte jener Frau, die Sisyphos gerade geschwängert hat… Wer denkt da nicht sofort an Liebe, Eifersucht, Drama? Im Nationalmuseum in Athen ist Dietz ausserdem auf einen antiken Grabstein gestossen, auf dem ein Kind dargestellt ist, <strong>das</strong> seiner jung verstorbenen Mutter ein Efeublatt reicht; darunter steht: «Nike, Tochter des Dositheus, aus Thasia,/<strong>Herz</strong>teure und liebendbesorgte, lebe wohl!» Dass es <strong>das</strong> <strong>Herz</strong> als Symbol über die Grenzen Griechenlands geschafft hat, verdankt es laut Dietz dem antiken internationalen Warenhandel – Jahrtausende bevor <strong>das</strong> Wort Globalisierung erfunden wurde. So gelangten etwa bemalte griechische Ge FOTOS: ROnALD WITTEK/KEySTOnE/EPA, nIMATALLAH/AKGIMAGES
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