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Aufsatz von Rolf Marschner - BGT

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R & P (2011) 29: 160 – 167<strong>Marschner</strong>: Aktuelles zur Zwangsbehandlung – in welchen Grenzen ist sie noch möglich?1982, 691, 692 f.; NJW 1998, 1774 = R & P 1998, 101 jeweilszur fürsorgerechtlichen Unterbringung). Eine Unterbringungund Behandlung <strong>von</strong> Personen, die nicht an einer psychischenKrankheit leiden, allein zur Besserung kommt wegen des hohenRechtsgutes der Freiheit der Person und bei Beachtung desGrundsatzes der Verhältnismäßigkeit <strong>von</strong> vornherein nicht inBetracht (BVerfGE 22, 180, 219 f. = NJW 1967, 1800).In der Europäischen Menschenrechtskonvention wird dieZwangsbehandlung am Maßstab des Art. 3 EMRK (Verbotder Folter) geprüft, in der UN-Konvention über die Rechte<strong>von</strong> Menschen mit Behinderungen sind vor allem Art. 12 undArt. 17 UN-BRK zu beachten (Gewährleistung der allgemeinenHandlungsfreiheit auch bei ärztlicher Behandlung, Schutz derkörperlichen und seelischen Unversehrtheit).3. UN-Konvention über die Rechte <strong>von</strong>Menschen mit BehinderungenBei der Zwangsbehandlung stellt sich die Frage, ob die geltendengesetzlichen Regelungen den Vorgaben der UN-BRKentsprechen, insbesondere ob eine Zwangsbehandlung psychischkranker bzw. seelisch behinderter Menschen überhauptzulässig ist und ob bei einer Zwangsbehandlung grundsätzlichoder in bestimmten Fällen der Kernbereich der Rechts- undHandlungsfähigkeit erreicht ist, in den keine Eingriffe zulässigsind.Die UN-BRK wirkt sich im Zusammenhang des BetreuungsundUnterbringungsrechts auch auf die Regelungen derZwangsbehandlung aus, unabhängig da<strong>von</strong>, ob eine Zwangsbehandlungim Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Unterbringungoder auf betreuungsrechtlicher Grundlage stattfindet(siehe hierzu BVerfG R & P 2011, 168; Lachwitz 2008, 143;<strong>Marschner</strong> 2009, 135; Baufeld 2009, 167; Aichele/<strong>von</strong>Bernstorff 2010, 199). Das Recht auf Anerkennung dervollen Rechts- und Handlungsfähigkeit im Sinn des Art. 12Abs. 2 UN-BRK, das auch die Entscheidung über die ärztlicheBehandlung betrifft, ist zwar nach überwiegender Auffassungnicht schrankenlos (a. A. Kaleck/Hilbrans/Scharmer2008). Die Grenzen der Zwangsbehandlung sind aber unterBeachtung der Vorgaben der UN-BRK zu bestimmen. Diesbedeutet einerseits, dass ein Eingriff in das Recht der körperlichenUnversehrtheit nur zulässig ist zum Schutz kollidierenderhöherwertiger Rechtsgüter, die ebenso durch die UN-BRKgeschützt sind (so Lachwitz 2008, 143; <strong>Marschner</strong> 2009,135). Zum anderen gibt es einen nicht einschränkbaren Kernbereichder Rechts- und Handlungsfähigkeit. Zu diesem Kernbereich,in den durch Dritte im Sinn einer Stellvertreterentscheidungnicht eingegriffen werden darf, gehören z. B. dieEinwilligung in nicht gemeinnützige Forschung an behindertenMenschen oder die Entscheidung über die Sterilisationwegen einer Behinderung. Der unverfügbare Kernbereich desMenschenrechts auf gleiche Anerkennung vor dem Recht istverletzt, wo die Behinderung zu einer Instrumentalisierung desbetroffenen Menschen für außerhalb seiner selbst liegendeZwecke oder zu einem irreversiblen und besonders intensivenEingriff in die Autonomie des behinderten Menschen führt(siehe Aichele/<strong>von</strong> Bernstorff 2010, 199). Es spricht vieldafür, dass dazu im Rahmen der Zwangsbehandlung die Behandlungmit Neuroleptika mit irreversiblen oder lebensgefährlichenNebenwirkungen gehört.4. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtsvom 23.03.2011Das Bundesverfassungsgericht hat nunmehr umfassend zu denrechtlichen Voraussetzungen und Grenzen der Zwangsbehandlungunter Berücksichtigung der Vorschriften der UN-BRKStellung genommen (BVerfG R & P 2011, 168). Der entschiedeneFall betrifft zwar die Zwangsbehandlung eines in Rheinland-Pfalzim Maßregelvollzug untergebrachten Betroffenen(hierzu Pollähne 2011). Die Entscheidung wirkt sich aberauch auf die Zwangsbehandlung im Vollzug der öffentlichrechtlichenUnterbringung sowie während der zivilrechtlichenUnterbringung durch den Betreuer aus. Die Entscheidung desBundesverfassungsgerichts lässt sich wie folgt zusammenfassen:ıı Bei der medizinischen Zwangsbehandlung eines Untergebrachtenmit Neuroleptika handelt es sich um einenbesonders schweren Eingriff in das Grundrecht derFreiheit der Person sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht.Dies gilt bei einer Behandlung gegen den Willen desBetroffenen unabhängig da<strong>von</strong>, ob die Behandlung mitkörperlichem Zwang durchgesetzt wird.ıı Ungeachtet der Schwere des Grundrechtseingriffs ist demGesetzgeber nicht grundsätzlich verwehrt, solche Eingriffezuzulassen. Als Rechtfertigung kommt aber nicht derSchutz Dritter, sondern nur das grundrechtliche Freiheitsinteressedes Betroffenen selbst in Betracht, wenn dieser zurEinsicht in die Schwere seiner Krankheit und die Notwendigkeit<strong>von</strong> Behandlungsmaßnahmen oder zum Handelngemäß solcher Einsicht krankheitsbedingt nicht fähig ist. Indiesen Fällen kann es ausnahmsweise zulässig sein, dietatsächlichen Voraussetzungen freier Selbstbestimmung desUntergebrachten wiederherzustellen. Dies eröffnet aberkeine »Vernunfthoheit« des Staates insbesondere in denFällen, in denen der Betroffene eine aus ärztlicher Sichterforderliche Behandlung ablehnt, ohne dass seine Entscheidungsfähigkeitkrankheitsbedingt aufgehoben ist.ıı Einer entsprechenden Auslegung steht auch nicht dieVorschrift des Art. 12 Abs. 2 UN-BRK entgegen, daArt. 12 Abs. 4 UN-BRK für solche Maßnahmen geeigneteSicherungen vorschreibt.ıı Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, dassZwangsmaßnahmen nur eingesetzt werden dürfen, wennsie im Hinblick auf das Behandlungsziel Erfolg versprechenund mildere Mittel keinen Erfolg versprechen, d. h.eine weniger eingreifende Behandlung aussichtslos ist.Daher muss vor einer Zwangsbehandlung unabhängig <strong>von</strong>der Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen der ernsthafte,mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Druck erfolgteVersuch vorausgegangen sein, die auf Vertrauen gegründeteZustimmung des Betroffenen zu erreichen.ıı Die Zwangsbehandlung darf für den Betroffenen nichtmit unverhältnismäßigen Belastungen verbunden sein.Dies ist dann der Fall, wenn die Behandlung mit einemnicht vernachlässigbaren Restrisiko irreversibler Gesundheitsschädenverbunden ist.ıı Der Betroffene muss Gelegenheit haben, vor Schaffungvollendeter Tatsachen eine gerichtliche Entscheidungherbeizuführen und zwar auch in den Fällen, in denen dieEinwilligung des gesetzlichen Vertreters vorliegt. Wegender Schwere des Grundrechtseingriffs sind besondereSicherungen des gerichtlichen Verfahrens vorzusehen.ıı Die Einschaltung eines rechtlichen Betreuers ist verfassungsrechtlichnicht geboten, da der Eingriff, der in der161

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