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Aufsatz von Rolf Marschner - BGT

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R & P (2011) 29: 160 – 167<strong>Marschner</strong>: Aktuelles zur Zwangsbehandlung – in welchen Grenzen ist sie noch möglich?aufschiebbarkeit, § 14 Abs. 4 PsychKG SchlH: gegenwärtigeGefahr einer erheblichen Schädigung der Gesundheit oder desLebens des Betroffenen). Nur besonders gefährliche Behandlungensind im Sinn der Obergrenze zusätzlich an die Einwilligungdes Betroffenen und/oder seines gesetzlichen Vertretersgeknüpft (siehe die Übersicht in R & P 1988, 19 ff.). Eine ersetzendeEinwilligung durch den Betreuer kommt bei diesenRegelungen hinsichtlich der Untergrenze der Zwangsbehandlungnicht in Betracht (a. A. BayObLG R & P 2004, 33), sondernallenfalls wenn es um die Obergrenze der Zwangsbehandlunggeht.Ein anderer Teil der Bundesländer knüpft die Behandlung zunächstan die Einwilligung des Betroffenen, die im Fall der Einwilligungsunfähigkeitdurch den rechtlichen Betreuer ersetztwerden kann (so z. B. § 30 Abs. 1 Satz 1 PsychKG Berlin auchfür den Maßregelvollzug – hierzu KG R & P 2008, 39, § 18Abs. 3 PsychKG NRW bzw. § 17 Abs. 2 MVG NRW). Diejeweils gesetzlich geregelte Untergrenze im Sinn einer Gefahr fürden Betroffenen (z. B. § 18 Abs. 4 PsychKG NRW: Lebensgefahrsowie die erhebliche Gefahr für die Gesundheit des Betroffenenoder Dritter) gilt nach diesen Regelungen nur, wenn weder Betroffenernoch Betreuer wirksam einwilligen. Gegen diese Konzeptionbestehen aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts zwarkeine Bedenken. Der Betreuer hat in diesem Fall aber die obendargelegten betreuungsrechtlichen Grundsätze zu beachten. EineZwangsbehandlung gegen den Widerstand des Betroffenen istnicht möglich, da es sich jeweils um keine Unterbringung nach§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB handelt (OLG München R & P 2009,149 = BtPrax 2009, 244). Die Zwangsbehandlung mit der Anwendung<strong>von</strong> Gewalt richtet sich ausschließlich nach öffentlichrechtlichenVorschriften. Der rechtliche Betreuer kann aus denöffentlich-rechtlichen Unterbringungsregelungen keine Zwangsbefugnisseableiten, da diese insoweit bundesrechtlich abschließendim Betreuungsrecht geregelt sind (Kammeier-WagnerRn. D 138 ff.; unklar insoweit OLG München R & P 2009, 149= BtPrax 2009, 244).3. Unter- und ObergrenzenDie Unter- und Obergrenzen der Zwangsbehandlung ergebensich daher, soweit sie die Anlasskrankheit betreffen, ausschließlichaus den vorstehend beispielhaft genannten öffentlichrechtlichenVorschriften in Verbindung mit den Vorgaben derUN-BRK sowie aus der Vorschrift des § 1901 a BGB. DieBehandlung sonstiger Erkrankungen richtet sich nach Betreuungsrecht.Hinsichtlich der Unter- und Obergrenzen sindunabhängig <strong>von</strong> den gesetzlichen Formulierungen folgendeGrundsätze zu beachten:Untergrenze:ıı Rechtswidrig sind alle Regelungen, die eine Zwangsbehandlungerlauben, ohne auf die krankheitsbedingteUnfähigkeit zur Selbstbestimmung abzustellen. Dies giltgerade auch im Fall der Zwangsbehandlung zum Erreichendes Vollzugsziels. Abzustellen ist auf die <strong>von</strong> Amelungentwickelten Kriterien (1995, 24). Danach ist dieAutonomie der Willensentscheidung zu respektieren,soweit keine krankhafte Verzerrung des maßgeblichensubjektiven Wertesystems des Betroffenen vorliegt.ıı Weitergehend sind Regelungen, die eine Zwangsbehandlungim Sinn einer Duldungspflicht ohne Untergrenzeerlauben, rechtswidrig, da sie unmittelbar an die Behinderungund die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeitanknüpfen und damit gegen die Grundsätze der UN-BRKverstoßen. Ein so schwerer Eingriff wie in das Recht derkörperlichen Unversehrtheit kann erst dann gerechtfertigtsein, wenn ein höherwertiges Rechtsgut (insbesondere dasLeben im Sinn des Art. 10 UN-BRK oder in erheblichemMaß die Gesundheit im Sinn des Art. 17 UN-BRK)gefährdet ist.ıı Eine Zwangsbehandlung darf nicht der Abwehr <strong>von</strong>Gefahren für Dritte dienen (BVerfG R & P 2011, 168). DerGefahrenabwehr dient zunächst die Unterbringung selbst.Gegebenenfalls sind besondere Sicherungsmaßnahmen zuergreifen. Ebenso unzulässig ist eine Zwangsbehandlung zurAufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung in derEinrichtung (so Art. 13 Abs. 2 BayUnterbrG).ıı Zulässig ist zwar, die Einwilligung des Betroffenen ggf.durch die Einwilligung des rechtlichen Betreuers zuersetzen. Dies erlaubt aber wegen der betreuungsrechtlichenVorgaben keine Zwangsbehandlung gegen denWiderstand eines Betroffenen, der öffentlich-rechtlichoder im Maßregelvollzug untergebracht ist.Obergrenze:ıı Gefährliche Behandlungen bedürfen der Einwilligung desBetroffenen oder seines gesetzlichen Vertreters im Fall derEinwilligungsunfähigkeit, ggf. zusätzlich der Genehmigungdes Betreuungsgerichts.ıı Eine Zwangsbehandlung ist absolut unzulässig, wenninsoweit <strong>von</strong> einem nicht einschränkbaren Kernbereichder Rechte auch psychisch kranker und seelisch behinderterMenschen im Sinn des Art. 1 GG sowie der Vorschriftender UN-BRK auszugehen ist. Dies betrifft neben derArzneimittelforschung die Zwangsbehandlung mitirreversiblen oder lebensgefährlichen Nebenwirkungen.ıı Eine rechtswirksame Patientenverfügung (siehe II. 2.) istwie bei einer Unterbringung nach § 1906 BGB auch beieiner Unterbringung nach PsychKG/UG oder im Maßregelvollzugals Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts desBetroffenen beachtlich und verhindert damit gegebenenfallsjede Zwangsbehandlung (siehe hierzu Olzen 2009und Brosey 2010, 161). Dies gilt entsprechend fürWünsche des Betroffenen nach § 1901 a Abs. 2 BGB,wenn keine Patientenverfügung im Sinn des § 1901 aAbs. 1 BGB vorliegt.IV. Notwendige Gesetzesänderungenund verfahrensrechtliche AbsicherungDer gesetzgeberische Handlungsbedarf ist angesichts der vorgenanntenVorgaben immens. Alle PsychKG und Maßregelvollzugsgesetzemüssen überarbeitet werden, um klare, bestimmteund widerspruchsfreie Zwangsbehandlungsregelungenzu formulieren, auf die sich die Praxis einstellen kann. Als denVorgaben der UN-BRK sowie der aktuellen Rechtsprechungentsprechend kann nach wie vor folgende Regelung mit geringfügigenModifikationen angesehen werden (siehe <strong>Marschner</strong>/Volckart1992, 54):165

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