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Am 07.10.2010 gab es im Bundestag eine Debatte über das Thema

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Ich rufe den Tag<strong>es</strong>ordnungspunkt 12 auf:Beratung d<strong>es</strong> Antrags der Abgeordneten Anette Kramme, Katja Mast, Ulla Bur-chardt, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der SPDMind<strong>es</strong>tlohn für die Weiterbildungsbran-che– Drucksache 17/3173 –Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozial<strong>es</strong> (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschungund Technikfol-genabschätzungNach <strong>eine</strong>r interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache <strong>eine</strong> halbe Stunde vorg<strong>es</strong>e-hen. – Dazu höreich k<strong>eine</strong>n Widerspruch. Dann ist <strong>das</strong> so b<strong>es</strong>chlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Katja Mast für die SPD-Fraktion <strong>das</strong> Wort.Katja Mast (SPD):Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kol-legen! Wer die Bildungsrepublik ausruft, wird <strong>das</strong> Echo „faireArbeitsbedingungen in der Bil-dungsrepublik“ bekommen. Genau hier, bei fai-ren Arbeitsbedingungen in derBildungsrepublik, versagt Ursula von der Leyen als Ministerin; denn sie lehnt Mind<strong>es</strong>tlöhne für die Ausschreibungender Bund<strong>es</strong>agentur für Arbeit ab. Be-gründung: Die Mind<strong>es</strong>tlöhne liegen nicht <strong>im</strong> öf-fentlichen Inter<strong>es</strong>se.Dabei geht <strong>es</strong> um Löhne von 12,28 Euro für ausgebildete Fachkräfte, die Kurse <strong>im</strong> Auftrag der Bund<strong>es</strong>agentur fürArbeit durchführen. Also verhindert Ursula von der Leyen Mind<strong>es</strong>tarbeitsbedingungen der Behörde1/12


Bund<strong>es</strong>agentur für Arbeit, für die sie die Rechtsaufsichthat, mit der Begründung: kein öffentli-ch<strong>es</strong>Inter<strong>es</strong>se. Wenn <strong>das</strong> kein öffentlich<strong>es</strong> Inter<strong>es</strong>seist, was soll denn dann öffentlich<strong>es</strong> Inter<strong>es</strong>se sein?(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIEGRÜNEN)Das ist aus m<strong>eine</strong>r Sicht Bildung nach dem Motto„Geiz ist geil“, hat aber be<strong>im</strong> <strong>Thema</strong> Bil-dungnichts zu suchen; denn Bildung bildet Menschen.Da darf <strong>es</strong> nicht um „Geiz ist geil“ gehen, sondernda braucht <strong>es</strong> Qualität. Es muss darum gehen,<strong>das</strong>s Qualität ihren Preis hat.(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIEGRÜNEN)Ich bin dem Diakonischen Werk Württembergdankbar, <strong>das</strong> Frau von der Leyen, nachdem sieden Mind<strong>es</strong>tlohn in der Weiterbildungsbrancheabgelehnt hat, dazu aufgefordert hat, nun dochden Mind<strong>es</strong>tlohntarifvertrag zu unterzeichnen unddamit faire Arbeitsbedingungen in der Weiterbildungsbranchezu schaffen.Ich weiß ganz genau, was gleich nach m<strong>eine</strong>rRede in Bezug auf den Antrag der SPD passie-renwird:(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Der Staatssek-retärwird sprechen!)Die nachfolgenden Redner von Schwarz-Gelbwerden sprechen – <strong>das</strong> ist richtig, Kollege Lehrieder–, und sie werden Folgend<strong>es</strong> tun: Siewerden den Mind<strong>es</strong>tlohn in der Weiterbildungsbrancheablehnen, mit dem Argument: kein öffentlich<strong>es</strong>Inter<strong>es</strong>se.(Dr. Peter Röhlinger [FDP]: Da könnte ja je-derkommen!)Auf <strong>das</strong> öffentliche Inter<strong>es</strong>se bin ich in m<strong>eine</strong>rRede schon eingegangen. Viel schl<strong>im</strong>mer als dieAblehnung d<strong>es</strong> Mind<strong>es</strong>tlohns empfinde ich aber,<strong>das</strong>s die nachfolgenden Redner von Schwarz-Gelb(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Christlich-Liberale,Frau Kollegin!)k<strong>eine</strong> Alternative aufzeigen werden, wie wir zufairen Arbeitsbedingungen in der Weiterbildungsbranchekommen können.(Beifall bei der SPD und dem BÜND-NIS 90/ DIEGRÜNEN – Zuruf von der FDP: Haben Sie <strong>eine</strong>Glaskugel da-bei?)Außerdem werden einige sagen: Die SPD hatdoch elf Jahre den Arbeitsminister g<strong>es</strong>tellt. Warumist <strong>es</strong> denn so, wie <strong>es</strong> heute ist? – Auch da gilt,<strong>das</strong>s wir heute überhaupt nur d<strong>es</strong>wegen über<strong>eine</strong>n Mind<strong>es</strong>tlohn für die Weiterbildungs-branchereden können, weil die SPD in der Gro-ßenKoalition dafür g<strong>es</strong>orgt hat, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Arbeitnehmer-Entsendeg<strong>es</strong>etzauf di<strong>es</strong>e Brancheausgedehnt wurde(Beifall bei der SPD)und <strong>das</strong> Mind<strong>es</strong>tarbeitsbedingungeng<strong>es</strong>etz verabschiedetworden ist, <strong>das</strong>s also die rechtlichenGrundlagen für Mind<strong>es</strong>tlöhne in der Weiterbildungsbrancheg<strong>es</strong>chaffen worden sind.Ich will an di<strong>es</strong>er Stelle den Lehrkräften in derWeiterbildung danken; denn sie sind <strong>es</strong>, die durchihr alltäglich<strong>es</strong>, unermüdlich<strong>es</strong> Engage-ment fürlebenslang<strong>es</strong> Lernen und Chancen-vermittlung indi<strong>es</strong>er G<strong>es</strong>ellschaft sorgen. Sie sind <strong>es</strong>, die ofttrotz schlecht bezahlter Arbeit dafür sorgen, <strong>das</strong>setwa Langzeitarbeitslose, Fachkräfte,Arbeitsuchende Chancen in di<strong>es</strong>er G<strong>es</strong>ellschaftbekommen. Hier ein herzlich<strong>es</strong> Dank<strong>es</strong>chön andie Lehrkräfte in der Weiterbil-dungsbranche!(Beifall bei der SPD sowie bei Ab-geordneten derLINKEN und d<strong>es</strong> BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)Ich verspreche Ihnen allen: Wir von der SPDwerden nicht aufhören, für den Mind<strong>es</strong>tlohn zukämpfen, weder <strong>im</strong> Bereich Weiterbildung nochauf dem Gebiet der Leiharbeit, noch in anderenBranchen. Wir wollen <strong>eine</strong>n flächendeckendenMind<strong>es</strong>tlohn.(Beifall bei der SPD)Ich weiß, <strong>das</strong>s Sie, Schwarz-Gelb, <strong>das</strong> nicht vertretenkönnen; aber Sie können für faire Bedingungenin der Weiterbildung über <strong>das</strong> Arbeitnehmer-Entsendeg<strong>es</strong>etzsorgen. Sorgen Sie dafür,<strong>das</strong>s 12,28 Euro zu <strong>eine</strong>m fairen Lohn in derWeiterbildung werden. Das ist unsere gemeinsameVerantwortung, um die Würde der Arbeit inder Weiterbildung zu schützen.In di<strong>es</strong>em Sinne: Glück auf!(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Agn<strong>es</strong> Alpers[DIE LINKE])Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:Das Wort hat nun der ParlamentarischeStaatssekretär Ralf Brauksiepe.(Beifall bei der CDU/CSU)Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei derBund<strong>es</strong>ministerin für Arbeit und Sozia-l<strong>es</strong>:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen!Frau Kollegin Mast, Sie haben, was in der Tatnicht sehr gewagt ist, angekündigt, <strong>das</strong>sunmittelbar nach Ihnen Vertreter der christlichliberalenKoalition sprechen werden. Jetzt sprichtzunächst einmal ein Vertreter der Bund<strong>es</strong>regierung.Di<strong>es</strong>er Unterschied ist nicht ganzunbedeutend. Denn Sie haben als frei gewählteAbgeordnete in <strong>eine</strong>m freien Land <strong>das</strong> Recht, hierall Ihre persönlichen Befindlichkeiten auszubreiten.Di<strong>es</strong><strong>es</strong> Recht hat die Bund<strong>es</strong>regie-rung,in di<strong>es</strong>em Fall die Bund<strong>es</strong>arbeitsministerin, be<strong>im</strong>Erlass von Verordnungen so nicht. DieBund<strong>es</strong>regierung ist an Recht und G<strong>es</strong>etz gebunden,wenn sie Verordnungen erlässt, und nichtnur an ihre BefindlichkeitenDeutscher Bund<strong>es</strong>tag – 17.Wahlperiode – 65. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 7. Oktober2010 69172/12


.(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)Sie fordern <strong>eine</strong>n Mind<strong>es</strong>tlohn in der Weiter-bildung.Ich halte di<strong>es</strong>e Forderung <strong>im</strong> Grundsatz für richtig.Um dafür den Rahmen zu schaffen, ist <strong>das</strong>Arbeitnehmer-Entsendeg<strong>es</strong>etz da. Frau KolleginMast, die Erweiterung d<strong>es</strong> Arbeitneh-mer-Entsendeg<strong>es</strong>etz<strong>es</strong> ist in der letzten Legislaturperiodevon der Großen Koalition b<strong>es</strong>chlos-senworden. Die Große Koalition hat auch <strong>eine</strong>Mind<strong>es</strong>tlohnverordnung unter b<strong>es</strong>t<strong>im</strong>mte g<strong>es</strong>etzlicheVoraussetzungen g<strong>es</strong>tellt, und zwar mit denSt<strong>im</strong>men der SPD-Fraktion. Es waren nicht Sie, diedie Branche ins Arbeitnehmer-Entsendeg<strong>es</strong>etzaufgenommen hat, und die CDU/CSU-Fraktion, die<strong>das</strong> an Bedingungen geknüpft hat, sondern diefrühere Regierung und die sie tragenden Fraktionenhaben gemeinsam di<strong>es</strong>e Branche ins Arbeitnehmer-Entsendeg<strong>es</strong>etz aufgenommen und gleichzeitig denErlass <strong>eine</strong>r Mind<strong>es</strong>tlohnverordnung durch dieRegierung an b<strong>es</strong>t<strong>im</strong>mte, wohldurchdachteVoraussetzungen geknüpft, und die sind leider nichterfüllt. D<strong>es</strong>wegen konnte <strong>es</strong> hier nicht zum Erlass<strong>eine</strong>r Mind<strong>es</strong>tlohnverordnung kommen. Das ist dieWahrheit, m<strong>eine</strong> Damen und Herren, nicht aber dieLegendenbildung, die von anderer Seite betriebenwird.(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)Die Zweckgemeinschaft von Mitgliedsunter-nehmend<strong>es</strong> Bund<strong>es</strong>verband<strong>es</strong> der Träger Be-ruflicherBildung, die Vereinte Dienstleistungs-gewerkschaftund die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschafthaben am 12. Mai letzten Jahr<strong>es</strong> <strong>eine</strong>nMind<strong>es</strong>tlohntarifvertrag abge-schlossen und fürdi<strong>es</strong>en Tarifvertrag be<strong>im</strong> Bun-d<strong>es</strong>ministerium fürArbeit und Sozial<strong>es</strong> die Allgemeinverbindlicherklärungbeantragt. DasBund<strong>es</strong>ministerium für Arbeit und Sozial<strong>es</strong> hat unterLeitung d<strong>es</strong> damaligen Ministers Olaf Scholz denTarifausschuss an di<strong>es</strong>em Verfahren beteiligt.Di<strong>es</strong>er Ausschuss hat sich in s<strong>eine</strong>r Sitzung am 31.August letzten Jahr<strong>es</strong> mit die-sem <strong>Thema</strong> befasst.Die drei Arbeitgebervertre-ter haben gegen, die dreiArbeitnehmervertreter für den Verordnungserlassg<strong>es</strong>t<strong>im</strong>mt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, <strong>im</strong> Gegen-satz zudem, was g<strong>es</strong>tern von der grünen Frak-tionbeispielsweise <strong>im</strong> Ausschuss fälschlicher-weisebehauptet wurde, nämlich <strong>das</strong>s <strong>das</strong> die generelleLinie der BDA und der Arbeitgeber-verbände sei, istdi<strong>es</strong>e Entscheidung <strong>im</strong> letzten Jahr die Ausnahmegew<strong>es</strong>en, und zwar die ein-zige Ausnahme. Wirhaben <strong>das</strong> Arbeitnehmer-Entsendeg<strong>es</strong>etz <strong>im</strong> letztenJahr um mehrere Branchen erweitert, und wir habenin der Gro-ßen Koalition vereinbart, <strong>das</strong>s diejenigenBran-chen, die erstmals <strong>eine</strong>n Tarifvertragschließen und die Allgemeinverbindlicherklärungbeantra-gen, mit ihren Verträgen dann auch durchden Tarifausschuss müssen. Di<strong>es</strong> waren fünfBran-chen. Es hat <strong>im</strong> letzten Jahr drei 6 : 0-Entscheidungen gegeben. Bei den textilenDienstleistungen, bei den Bergbauspezialarbei-tenund in der Entsorgungswirtschaft war <strong>es</strong> Konsens<strong>im</strong> Tarifausschuss, di<strong>es</strong>e Branchen insEntsendeg<strong>es</strong>etz aufzunehmen, und so ist <strong>es</strong>passiert. In zwei Branchen <strong>gab</strong> <strong>es</strong> k<strong>eine</strong>n Konsens.Bei den Sicherheitsdienstleistungen habendie Gewerkschaftsvertreter d<strong>es</strong> DGB dagegeng<strong>es</strong>t<strong>im</strong>mt und damit verhindert, <strong>das</strong>s Menschen,die <strong>im</strong> Sicherheitsbereich tätig sind, deutlich höhereMind<strong>es</strong>tlöhne bekommen, die der CGB gegenüberden Verdi-Tarifverträgen in verschiedenenLändern ausgehandelt hat. Das war di<strong>es</strong>ouveräne Entscheidung der Gewerkschaftsvertreter.Nur bei der Weiterbildungsbranche hat dieBDA dagegeng<strong>es</strong>t<strong>im</strong>mt. Das Ergebnis derAbst<strong>im</strong>mungen war also dre<strong>im</strong>al 6 : 0 und zwe<strong>im</strong>al3 : 3; einmal <strong>gab</strong> <strong>es</strong> Gegenst<strong>im</strong>men der Arbeitgeber,einmal Gegenst<strong>im</strong>men der Gewerkschafter.Das zeigt, <strong>das</strong>s sich die Mitglieder d<strong>es</strong>Tarifausschuss<strong>es</strong> mit den einzelnen Branchendurchaus sorgfältig b<strong>es</strong>chäftigt haben.Es ist Auf<strong>gab</strong>e d<strong>es</strong> Bund<strong>es</strong>arbeitsministe-riums,zu prüfen, ob <strong>eine</strong> Allgemeinverbindli-cherklärung<strong>im</strong> öffentlichen Inter<strong>es</strong>se liegt. Da-bei ist ganz klar<strong>das</strong> Inter<strong>es</strong>se derer, die die Allgemeinverbindlichkeitbeantragen, gegen <strong>das</strong>Inter<strong>es</strong>se derjenigen abzuwägen, die durch ein<strong>es</strong>olche Verordnung dann auch gebunden wür-den.Das war die Auf<strong>gab</strong>e, die sich für <strong>das</strong> Bund<strong>es</strong>ministeriumfür Arbeit und Sozial<strong>es</strong> g<strong>es</strong>tellthat.In di<strong>es</strong>em Zusammenhang spielt selbstverständlichdie Tarifbindung <strong>eine</strong> wichtige Rolle. ZurErmittlung der Tarifbindung hat <strong>das</strong> Bund<strong>es</strong>arbeits-und -sozialministerium in <strong>eine</strong>maufwendigen Verfahren und mit sorgfältiger Prüfungalle erreichbaren Statistiken ausg<strong>es</strong>chöpft,was in di<strong>es</strong>er Branche deutlich schwieriger ist alsin anderen. Trotz intensiver Prüfung war ein<strong>es</strong>ichere Datenbasis nicht zu erlangen, aber selbstunter Zugrundelegung der von den Tarifvertragsparteiend<strong>es</strong> Mind<strong>es</strong>t-lohntarifvertrag<strong>es</strong>vorgetragenen und für sie günstigsten Zahlenergibt sich, <strong>das</strong>s die Tarifbindung allenfalls 25Prozent beträgt. Ein Tarifvertrag mit ver-gleichbarniedriger Tarifbindung ist in der Ver-gangenheitnoch nie Gegenstand <strong>eine</strong>r Verord-nung nachdem Arbeitnehmer-Entsendeg<strong>es</strong>etz gew<strong>es</strong>en. Dasist k<strong>eine</strong> neue Politik der christ-lich-liberalenKoalition, sondern <strong>es</strong> ist <strong>eine</strong> Kon-6918 DeutscherBund<strong>es</strong>tag – 17. Wahlperiode – 65. Sitzung, Berlin,Donnerstag, den 7. Oktober 20103/12


tinuität in der Politik der Bund<strong>es</strong>regierung auchaus der vergangenen Zeit, weil jede Bund<strong>es</strong>regierungan Recht und G<strong>es</strong>etz gebunden ist undnicht an persönliche Befindlichkeiten einzelnerAkteure. Darum geht <strong>es</strong> hier.(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)M<strong>eine</strong> Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, <strong>das</strong> geteilte Votum d<strong>es</strong> Tarifausschuss<strong>es</strong>unterstreicht von daher die Einschätzung,<strong>das</strong>s die erforderliche Repräsentativität derMitglieder der Zweckgemeinschaft und damit <strong>das</strong>erforderliche öffentliche Inter<strong>es</strong>se am Erlass derVerordnung nicht gegeben sind. Das ist kei-negenerelle Linie <strong>eine</strong>r Tarifvertragspartei, ei-n<strong>es</strong>Teils d<strong>es</strong> Tarifausschuss<strong>es</strong>, sondern <strong>das</strong> war <strong>im</strong>letzten Jahr in di<strong>es</strong>em Ausnahmefall ein Votum,sicherlich auch vor dem Hintergrund derRepräsentativität.Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:Herr Kollege, wollen Sie Ihre Redezeit verlängern?Die Kollegin Kramme möchte Ihnen noch<strong>eine</strong> Frage stellen.Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei derBund<strong>es</strong>ministerin für Arbeit und Sozia-l<strong>es</strong>:Sehr gern. Bitte schön.Anette Kramme (SPD):Vielen Dank, Herr Brauksiepe. – Ich habe folgendeFrage an Sie: Ist <strong>es</strong> richtig, <strong>das</strong>s ein Beamterd<strong>es</strong> Ministeriums für Arbeit und Sozial<strong>es</strong> inder Ausschusssitzung am g<strong>es</strong>trigen Tag er-klärthat, bei der Auslegung d<strong>es</strong> Begriffs „öffent-lich<strong>es</strong>Inter<strong>es</strong>se“ gebe <strong>es</strong> <strong>eine</strong>n politischen Erm<strong>es</strong>sensspielraum?Ist di<strong>es</strong>e Aussage nur dahingehend zu verstehen, <strong>das</strong>s die Möglichkeit b<strong>es</strong>teht,di<strong>es</strong>en Tarifvertrag für allgemeinverbind-lichzu erklären?(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Rechtlich b<strong>es</strong>teht die Möglichkeit!)Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei derBund<strong>es</strong>ministerin für Arbeit und Sozia-l<strong>es</strong>:Frau Kollegin Kramme, <strong>es</strong> ist g<strong>es</strong>tern <strong>im</strong> Ausschussvon allen damit befassten Vertretern derBund<strong>es</strong>regierung zu Recht darauf hingewi<strong>es</strong>enworden, <strong>das</strong>s der Begriff d<strong>es</strong> öffentlichen Inter<strong>es</strong>s<strong>es</strong>selbstverständlich <strong>eine</strong>r Ausfüllung be-darf;<strong>das</strong> ist kein Gehe<strong>im</strong>nis. Nicht nur <strong>das</strong> Sozi-al- und<strong>das</strong> Arbeitsrecht haben <strong>eine</strong> Fülle vonunb<strong>es</strong>t<strong>im</strong>mten Rechtsbegriffen. In vielen G<strong>es</strong>etzensteht <strong>das</strong> Wort „angem<strong>es</strong>sen“, <strong>das</strong> konkretisiertwerden muss. Natürlich muss auch der Begriff„öffentlich<strong>es</strong> Inter<strong>es</strong>se“ konkretisiert werden.G<strong>es</strong>tern <strong>im</strong> Ausschuss ist <strong>das</strong> deutlich gewor-den,was ich hier noch einmal sagen will: Für uns istbei der Beurteilung, ob ein öffentlich<strong>es</strong> Inter<strong>es</strong>seb<strong>es</strong>teht, w<strong>es</strong>entlich – <strong>das</strong> ist nichts Neu<strong>es</strong> –: Wersoll über wen entscheiden, und wie wird <strong>das</strong> vonden branchenübergreifendenTarifvertragsparteien g<strong>es</strong>ehen? – Wenn <strong>im</strong>günstigsten Fall 25 Prozent über 75 Prozententscheiden sollen, dann ist <strong>das</strong> für uns kein öffentlich<strong>es</strong>Inter<strong>es</strong>se,(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist <strong>es</strong>!)vor allem wenn gleichzeitig <strong>im</strong> Tarifausschussk<strong>eine</strong> Mehrheit ein öffentlich<strong>es</strong> Inter<strong>es</strong>se f<strong>es</strong>tstellt.(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Jetzt hat die FrauKramme wieder was gelernt!)Nichts ander<strong>es</strong> ist g<strong>es</strong>tern <strong>im</strong> Ausschuss g<strong>es</strong>agtworden, und <strong>das</strong> ist auch sachgerecht.(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)Die Frage von Mehrheit und Minderheit spielt also<strong>eine</strong> Rolle. Hier gibt <strong>es</strong> k<strong>eine</strong> Mehrheit, dietarifgebunden ist. Alle di<strong>es</strong>e Fakten sind denAntragstellern seit mehr als <strong>eine</strong>m Jahr bekanntund sind mehrfach <strong>im</strong> G<strong>es</strong>präch mit ihnen erörtertworden.Insb<strong>es</strong>ondere der Arbeitgeberverband ist jetztgefordert, s<strong>eine</strong> Basis zu verbreitern, zusätzlicheMitglieder zu gewinnen, um so zu <strong>eine</strong>r höherenTarifbindung in der g<strong>es</strong>amten Branche zu kommen.Das Ministerium konnte zum jetzigen Zeit-punktnichts ander<strong>es</strong> tun, als di<strong>es</strong><strong>es</strong> Verfahren mit <strong>eine</strong>rAblehnung abzuschließen,(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Sie sagen selber, <strong>das</strong>s <strong>es</strong> Ihre Interpretation war!)weil <strong>es</strong> an G<strong>es</strong>etz und Recht gebunden ist. DieBindung an G<strong>es</strong>etz und Recht wird <strong>das</strong> Handelnd<strong>es</strong> Bund<strong>es</strong>arbeitsministeriums auch weiter b<strong>es</strong>t<strong>im</strong>men.Herzlichen Dank.(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – BrigittePothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das istBeleidigung der Intellektualität! – Kai Gehring[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schwe-rerlogischer Fehler!)Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:Das Wort hat nun Agn<strong>es</strong> Alpers für die Frakti-onDie Linke.(Beifall bei der LINKEN)Agn<strong>es</strong> Alpers (DIE LINKE):Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrteKolleginnen und Kollegen! M<strong>eine</strong> Damen undHerren! Frau von der Leyen hat am Montag denDeutscher Bund<strong>es</strong>tag – 17. Wahlperiode – 65. Sitzung, Berlin,Donnerstag, den 7. Oktober 2010 69194/12


Branchenmind<strong>es</strong>tlohn in der Weiterbildung beerdigt,einfach so; k<strong>eine</strong> G<strong>es</strong>präche mit denVerbänden, k<strong>eine</strong> ausreichende Begründung.G<strong>es</strong>tern hat Herr Staatssekretär Brauksiepe <strong>im</strong>Ausschuss für Arbeit und Sozial<strong>es</strong> die Entscheidungdamit begründet, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> öffentlicheInter<strong>es</strong>se fehlt. Allerdings stellte ein Referent ausdem Ministerium kurz darauf f<strong>es</strong>t, <strong>das</strong>s <strong>das</strong>öffentliche Inter<strong>es</strong>se gar nicht definiert ist.Ich schließe daraus: Sie hätten, wenn Sie gewollthätten, Herr Brauksiepe, trotz „25 Prozent“ – <strong>es</strong> istnicht definiert! – den Bran-chenmind<strong>es</strong>tlohn durch<strong>eine</strong> Rechtsverordnung erlassen können. Sie hättenhandeln können. Sie haben gehandelt, aberpolitisch. Sie wollen nämlich k<strong>eine</strong>nBranchenmind<strong>es</strong>tlohn in der Weiterbildung. Di<strong>es</strong>,Herr Brauksiepe, erklären Sie doch bitte mal m<strong>eine</strong>nKolleginnen und Kol-legen in Bremen!(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-netender SPD)Herr Brauksiepe, erinnern Sie sich noch? An-fangvergangenen Jahr<strong>es</strong>, als die Weiterbildungsbrancheins Entsendeg<strong>es</strong>etz aufgenom-menwurde, haben Sie g<strong>es</strong>agt:D<strong>es</strong>halb ist di<strong>es</strong>er Tag heute ein großer Tag für diechristlich-soziale Bewegung in Deutschland. … Esist <strong>im</strong>mer schon der Anspruch der Christdemokratengewe-sen … <strong>das</strong> Richtige zu tun.(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist <strong>es</strong>! – Dr.Heinrich L. Kolb [FDP]: So pathe-tisch hat er <strong>das</strong>g<strong>es</strong>agt?)Aber hier zählen k<strong>eine</strong> Ansprüche, m<strong>eine</strong> Damenund Herren von der CDU/CSU; hier zäh-len Taten.(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-netender SPD)Ihre Taten gehen genau in die falsche Richtung.Heute verhindern Sie den Mind<strong>es</strong>tlohn, und morgenkommt auch noch Ihr sogenannt<strong>es</strong> Sparpaket in derArbeitsförderung. Die Bund<strong>es</strong>-regierung will da <strong>im</strong>nächsten Jahr um 2 Milliarden Euro kürzen. DieQualität wird schlechter, der Kampf um denniedrigsten Preis wird härter, und die Löhne werdengeringer. Das ist weder christlich noch sozial.(Beifall bei der LINKEN sowie d<strong>es</strong> Abg. Dr. ErnstDieter Rossmann [SPD])Dennoch ist <strong>es</strong> erstaunlich, <strong>das</strong>s der vorlie-gendeAntrag ausgerechnet von der SPD kommt. Noch <strong>im</strong>Januar 2009 brüstete sich ihr damaligerArbeitsminister Scholz mit der Auf-nahme derWeiterbildungsbranche in <strong>das</strong> Ent-sendeg<strong>es</strong>etz. Eskönne nicht sein, <strong>das</strong>s ausge-bildeteAkademikerinnen und Akademiker zu Löhnenb<strong>es</strong>chäftigt werden, die nicht in Ordnung sind, umErwerbslosen gute Berufe beizubringen und zuzeigen, wie man gut arbeitet. Irgendwie komisch.Dabei haben Sie unter Rot-Grün mit derEinführung der Hartz-G<strong>es</strong>etze bei den Weiterbildungsmaßnahmen<strong>im</strong> SGB II und III massivgekürzt und durch <strong>das</strong> Ver<strong>gab</strong>erecht die Preisegedrückt.(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann hätte die FrauKollegin Mast hier gar nicht den Mund so vollnehmen dürfen!)Seitdem gingen dadurch bund<strong>es</strong>weit über 30 000sozialversicherungspflichtige Arbeitsplät-zeverloren. Die übrigen B<strong>es</strong>chäftigten hattenLohneinbußen von bis zu 30 Prozent.(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich bin ent-setzt! –Gegenruf der Abg. Katja Mast [SPD]: Ich auch!)Nun sitzen Sie hier und spielen den großen Retterder Weiterbildungsbranche. Dabei hätten Sie dochschon in der letzten Wahlperiode in der GroßenKoalition den Mind<strong>es</strong>tlohn durchsetzen können.(Zuruf von der FDP: Das st<strong>im</strong>mt!)Ich frage Sie: Wo ist der Unterschied zwischenIhnen und der CDU/CSU sowie der FDP, wenn <strong>es</strong>um die Taten geht?(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP: GuteFrage!)Die Linke fordert die Bund<strong>es</strong>regierung auf, dieAblehnung der Einführung ein<strong>es</strong> Mind<strong>es</strong>tlohns indi<strong>es</strong>em Bereich rückgängig zu machen und <strong>das</strong>Ver<strong>gab</strong>erecht der Bund<strong>es</strong>agentur zu ändern.Preisdiktate in Ausschreibungsverfahren führen beiBildungsträgern zwangsläufig zu Qualitätseinbruchund Dumpinglöhnen.Für uns Linke bleibt <strong>es</strong> dabei: Einführung ei-n<strong>es</strong>Mind<strong>es</strong>tlohns und gute Tarife für alle.Vielen Dank.(Beifall bei der LINKEN)Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:Das Wort hat Johann<strong>es</strong> Vogel für die FDP-Fraktion.(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne-ten derCDU/CSU)Johann<strong>es</strong> Vogel (Lüdenscheid) (FDP):Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen!Liebe Kollegin Mast, ich habe mich sehr gefreut,<strong>das</strong>s Sie eben so empathisch, ruhig und mit klarenWorten Ihren Antrag vorgebracht ha-ben.6920Deutscher Bund<strong>es</strong>tag – 17. Wahlperiode – 65. Sitzung, Berlin,Donnerstag, den 7. Oktober 20105/12


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was ist noch einmalder Unterschied zwischen empathisch undsympathisch?)– Empathisch und sympathisch liegen nahe beieinander,müssen aber nicht <strong>im</strong>mer identischsein. Ich würde aber so weit gehen, zu sagen: Beider Kollegin Mast ist <strong>es</strong> identisch.(Katja Mast [SPD]: Hört! Hört! – Weitere Zu-rufevon der SPD und der FDP)– Ich würde mich freuen, wenn mich auch dieeigene Fraktion eventuell zum <strong>Thema</strong> kommenließe.Ich finde aber, <strong>das</strong>s <strong>es</strong> nicht angeht, wie sich dieSPD ansonsten zum <strong>Thema</strong> eingelassen hat. DieKollegin Kramme ist zwar <strong>im</strong>mer für deutlicheWorte gut; aber wenn sie sagt, die Re-gierungverweigere die Unterschrift oder <strong>das</strong> sei einSkandal und ein Schlag ins G<strong>es</strong>icht der B<strong>es</strong>chäftigten:Sie von der SPD holzen hier schonziemlich.(Katja Mast [SPD]: Ja!)Da fällt mir <strong>das</strong> gute Goethe-Wort ein: „DurchHeftigkeit ersetzt der Irrende, was ihm an Wahrheitund an Kräften fehlt.“(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aha! – Weiterer Zurufvon der FDP: Sehr gut!)Ich habe <strong>das</strong> Gefühl, <strong>das</strong> trifft auch hier zu; dennwenn Sie so heftige Worte wählen müssen, wird<strong>es</strong> dafür auch <strong>eine</strong>n Grund geben.Ehe Sie von Hungerlöhnen sprechen, wäre <strong>es</strong>vielleicht als erster Schritt für <strong>eine</strong> ernsthaftereB<strong>es</strong>chäftigung mit dem <strong>Thema</strong> gut, wenn Sie unsbelastbare Daten zur Lohnsituation in derWeiterbildung vorlegen würden.(Zuruf der Abg. Anette Kramme [SPD])Es <strong>gab</strong> ja <strong>eine</strong> entsprechende Anfrage der Linkenan die Bund<strong>es</strong>regierung. Deren Antwort stütztsich auf Daten aus dem Dezember 2009. Ichmöchte nur einige Aussagen daraus vortra-gen:Wir haben 215 000 Personen in der Weiterbildung,155 000 davon arbeiten sozialversicherungspflichtigin Vollzeit, 13 000 davon, einkl<strong>eine</strong>r, aber nennenswerter Teil, bezieht ergänzendeLeistungen aus dem Arbeitslosengeld II. All<strong>das</strong> ist richtig. Es liegen uns allerdings kei-nerleiDaten über den Haushaltskontext der Betroffenenvor. Wenn man dann berücksichtigt,<strong>das</strong>s di<strong>es</strong>e 13 000 Personen <strong>im</strong> Durchschnitt 700Euro ergänzend<strong>es</strong> ALG II beziehen, ist <strong>es</strong> wohleher nicht so, <strong>das</strong>s <strong>es</strong> sich um alleinste-hendePersonen handelt, die in Vollzeit oder Teilzeitarbeiten, aber zu niedrige Löhne be-kommen.Di<strong>es</strong><strong>es</strong> wirkt eher so, als sei der Ans-pruchentstanden, weil di<strong>es</strong>e Personen <strong>eine</strong> Familie mithohen Ansprüchen haben und <strong>eine</strong> großeBedarfsgemeinschaft bilden.(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: 1 200 Euro für Lehrkräfte!)Natürlich ist jed<strong>es</strong> einzelne Lohnproblem ei-n<strong>es</strong> zuviel. Aber wenn Sie hier alle über <strong>eine</strong>n Kammscheren, von Hungerlöhnen sprechen undbehaupten, <strong>das</strong> Problem sei mit <strong>eine</strong>m fürallgemeinverbindlich erklärten Mind<strong>es</strong>tlohn zulösen, dann machen Sie <strong>es</strong> sich zu einfach.(Beifall bei der FDP sowie bei Ab-geordneten derCDU/CSU – Abg. Katja Mast [SPD] meldet sich zu<strong>eine</strong>r Zwi-schenfrage)– Liebe Kollegin Mast, ich war eben so nett zuIhnen, ich möchte aber jetzt an di<strong>es</strong>er Stelle weiterkommen.Die Zeit ist durch <strong>das</strong> kl<strong>eine</strong> charmanteGeplänkel eben leider schon sehr weitfortg<strong>es</strong>chritten.Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:Herr Kollege, g<strong>es</strong>tatten Sie <strong>eine</strong> Zwischenfra-geder Kollegin Mast?Johann<strong>es</strong> Vogel (Lüdenscheid) (FDP):Nein, ich habe ihr gerade erklärt, warum nicht.Ich will zur nächsten Behauptung kommen: DieBund<strong>es</strong>regierung verweigere <strong>eine</strong> Unter-schrift.Ich bin großer Anhänger der Gewalten-teilung;dazu können wir gerne politische Posi-tionenaustauschen. Die Bund<strong>es</strong>regierung kannjedenfalls <strong>im</strong>mer noch selbst entscheiden, ob sieetwas für allgemeinverbindlich erklärt oder ebennicht. Das muss sie natürlich auf der Grundlagevon klaren Kriterien und <strong>eine</strong>r gründlichen Prüfungmachen.Liebe Kollegin Mast, ich würde schon sagen – derParlamentarische Staatssekretär hat <strong>es</strong> ebenausgeführt –, <strong>das</strong>s <strong>es</strong> gute Gründe gibt, <strong>im</strong> Falleder Weiterbildungsbranche zu sagen: Hier istmöglicherweise weder Repräsentativität nochöffentlich<strong>es</strong> Inter<strong>es</strong>se gegeben.(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)Im Tarifausschuss <strong>gab</strong> <strong>es</strong> nämlich k<strong>eine</strong> Mehr-heitfür <strong>eine</strong> entsprechende Regelung. Die Kol-leginMüller-Gemmeke wird b<strong>es</strong>t<strong>im</strong>mt gleich daraufhinweisen, <strong>das</strong>s <strong>es</strong> nach dem Arbeit-nehmer-Entsendeg<strong>es</strong>etz k<strong>eine</strong> Mehrheit <strong>im</strong> Tarifausschussgeben muss.(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Genau!)Trotzdem muss die Regierung klare Kriteriensuchen.(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Was ist denn ein Kriterium, wenn nicht<strong>das</strong> allgem<strong>eine</strong> Inter<strong>es</strong>se?)Deutscher Bund<strong>es</strong>tag – 17.Wahlperiode – 65. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 7. Oktober2010 69216/12


Lieber Herr Kollege Schaaf, Sie werben <strong>im</strong>-merfür faire Löhne. Ich glaube, wir alle wollen faireLöhne.(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Da bin ich mirnicht so sicher bei Ihnen!)Es geht aber auch um faire Regeln in der Demokratie.Die faire Regel lautet hier: Eine Erklärungder Allgemeinverbindlichkeit – <strong>das</strong> ist einEingriff – kann <strong>es</strong> nur geben, wenn der Verfahrensweg,der vereinbart worden ist, eingehaltenwird, nämlich wenn <strong>es</strong> zunächst <strong>eine</strong> Befassung<strong>im</strong> Tarifausschuss dazu gibt und die Bund<strong>es</strong>regierungauf der Grundlage di<strong>es</strong>er Befassungentscheiden kann. Die Zusammensetzung derBund<strong>es</strong>regierung folgt demokratischen Regeln.Insofern kann ich hier k<strong>eine</strong> Minderheitsblocka-dedurch die FDP erkennen. Wir haben nämlich einvereinbart<strong>es</strong> demokratisch<strong>es</strong> Verfahren, <strong>das</strong>eingehalten wird.(Beifall bei der FDP)Insofern glaube ich, <strong>das</strong>s Ihre Frage ins Leere geht. Ichfinde <strong>es</strong> richtig, <strong>das</strong>s die Bund<strong>es</strong>regierung klareKriterien hat, um zu definieren, ob ein öffentli-ch<strong>es</strong>Inter<strong>es</strong>se vorliegt. D<strong>es</strong>halb orientiert sie sich amVotum d<strong>es</strong> Tarifausschuss<strong>es</strong>, der dafür da ist – ich habe<strong>es</strong> schon g<strong>es</strong>agt –, die volkswirtschaftliche G<strong>es</strong>amtsichtherzustellen. Auch in di<strong>es</strong>em Fall geht <strong>es</strong> um<strong>eine</strong> Wirtschaftsbranche, auch wenn hier öffentli-cheAuftraggeber <strong>im</strong> Spiel sind. Sie haben <strong>das</strong> Ver-fahrendoch erfunden.(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja!)Es ist richtig, <strong>das</strong>s wir <strong>es</strong> vernünftig anwendenund nicht behaupten, <strong>das</strong>s Minderheiten Mehrheitenetwas diktieren können.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ichhabe <strong>das</strong> Gefühl, <strong>das</strong>s Ihr Antrag – Herr KollegeSchaaf, Sie können sich setzen; ich komme zumSchluss – insg<strong>es</strong>amt eher auf die Innenwirkung abzielt.Ich glaube, <strong>es</strong> ist <strong>eine</strong> Art Olaf-Scholz-Gedächtnisantrag. Sie wollen nachträglich legit<strong>im</strong>ieren,<strong>das</strong>s in der letzten Legislaturperiode alle Registergezogen wurden, um verschiedene Branchen einzubringen,und täuschen die Öffentlichkeit mit Ihremrhetorischen Geholze.(Katja Mast [SPD]: Aber jetzt so unchar-mant,Kollege?)Das finde ich unredlich.Sie übersehen, <strong>das</strong>s all<strong>es</strong> dagegenspricht: Mankann weder von grassierenden Dumping-löhnenin der Branche sprechen,(Anette Kramme [SPD]: Ha! Ha! – Katja Mast[SPD]: Reden Sie mal mit den Leuten! Sie habenk<strong>eine</strong> Ahnung!)noch gibt <strong>es</strong> <strong>eine</strong> Repräsentativität. Wir wolleneben nicht, <strong>das</strong>s Minderheiten Mehrheiten etwasdiktieren. Es gibt auch kein öffentlich<strong>es</strong> Inter<strong>es</strong>-se,weil der Tarifausschuss nicht dafür ist. Inso-fernfreue ich mich auf die Diskussion <strong>im</strong> Aus-schuss.Es gibt noch spannende Detailfragen zu klären. Wirkönnen unseren Disput <strong>im</strong> Aus-schuss gernefortsetzen.(Katja Mast [SPD]: Werden wir auch!)Um die Koalition bzw. die FDP von Ihrem Antrag zuüberzeugen, müssen Sie sich schon noch b<strong>es</strong>sereArgumente einfallen lassen.Vielen Dank.(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:Das Wort hat nun Beate Müller-Gemmeke für dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen.Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nenund Kollegen! Der Weg ist frei für <strong>eine</strong>n Min-d<strong>es</strong>tlohn,so lautete Anfang 2009 die frohe Botschaft, als dieWeiterbildungsbranche ins Entsendeg<strong>es</strong>etzaufgenommen wurde. Nun ist die Euphorie verflogen.<strong>Am</strong> letzten Montag ging der Brief der Bund<strong>es</strong>regie-rungan die Antragsteller heraus. In ihm heißt <strong>es</strong> lapi-dar: Einöffentlich<strong>es</strong> Inter<strong>es</strong>se liegt nicht vor. Der Mind<strong>es</strong>tlohnist abgelehnt. – Es wurde k<strong>eine</strong> Begrün-dung genannt.Da verschlägt <strong>es</strong> mir fast die Sprache.(Beifall be<strong>im</strong> BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)G<strong>es</strong>tern <strong>im</strong> Ausschuss – <strong>es</strong> wurde schon ang<strong>es</strong>prochen– hat Herr Staatssekretär Brauksie-peauf Nachfrage <strong>das</strong> fehlende Inter<strong>es</strong>se mit derniedrigen Tarifbindung begründet. Ich kann nursagen: Ich finde <strong>es</strong> unglaublich, <strong>das</strong>s dem Ministeriumwohl nicht bekannt ist, welche Kriterien beider Prüfung d<strong>es</strong> öffentlichen Inter<strong>es</strong>s<strong>es</strong> an-gelegtwerden müssen. Laut <strong>eine</strong>r Grundsatzentscheidungd<strong>es</strong> Bund<strong>es</strong>verfassungsgerichts ausdem Jahre 1977 liegt ein öffentlich<strong>es</strong> Inter-<strong>es</strong>sevor, wenn <strong>eine</strong> Gefährdung d<strong>es</strong> Arbeits-friedensdurch <strong>eine</strong> Aushöhlung d<strong>es</strong> Tarifver-trags vorliegtoder wenn durch <strong>eine</strong> AVE für Au-ßenseiter, alsoB<strong>es</strong>chäftigte ohne Tarifvertrag, angem<strong>es</strong>seneArbeitsbedingungen g<strong>es</strong>ichert und damitLohndrückerei und sogenannteSchmutzkonkurrenz b<strong>es</strong>eitigt werden können.(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]:Hört! Hört!)Die niedrige Tarifbindung ist also kein Ablehnungsgrund,<strong>im</strong> Gegenteil.(Beifall be<strong>im</strong> BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN sowiebei Abgeordneten der SPD – Brigitte Pothmer[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Gegenteil!)Legt man die Kriterien d<strong>es</strong> Bund<strong>es</strong>verfassungsgerichtsan, dann ist der Mind<strong>es</strong>tlohn in der Wei-Deutscher Bund<strong>es</strong>tag – 17. Wahlperiode – 65. Sitzung, Berlin,Donnerstag, den 7. Oktober 2010 69238/12


terbildungsbranche sehr wohl <strong>im</strong> öffentlichenInter<strong>es</strong>se.(Katja Mast [SPD]: Genau!)Die Prüfung d<strong>es</strong> Bund<strong>es</strong>arbeitsministeriums istalso völlig verfehlt.Ein paar Worte zur Branche selbst. Sie betonen <strong>im</strong>merwieder: Bildung, Arbeitsmarktintegration, aber auch derFachkräftemangel stehen <strong>im</strong> Mittel-punkt Ihrer Politik.– Doch nun müssen viele Lehr-kräfte weiter unterschlechten oder sogar prekären Bedingungen arbeiten.Wir dürfen nicht verg<strong>es</strong>sen: Wir reden überB<strong>es</strong>chäftigte, deren Auf<strong>gab</strong>e <strong>es</strong> ist, erwerbslose odervon Arbeitslosigkeit bedrohte Men-schen zuqualifizieren. Ich kenne die Branche. Ich war nämlichfrüher dort tätig. Anhaltender Preisver-fall fürBildungsmaßnahmen, beispiellos<strong>es</strong> Lohn-dumping undmassive Tarifflucht der Arbeitgeber – <strong>das</strong> ist dieRealität. Die B<strong>es</strong>chäftigten haben zum großen Teil<strong>eine</strong>n Hochschul- oder Fachhochschulab-schluss, unddoch werden sie behandelt wie Pädago-gen zweiterKlasse.(Beifall be<strong>im</strong> BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowiebei Abgeordneten der SPD)Bedenken Sie auch, <strong>das</strong>s der Mind<strong>es</strong>tlohn nur <strong>eine</strong>rster Schritt in die richtige Richtung wäre; dennviele, die in di<strong>es</strong>er Branche arbeiten, sindSelbstständige und Honorarkräfte. Auch siemüssen Arbeitsbedingungen und Honorare hinnehmen,die all<strong>es</strong> andere als angem<strong>es</strong>sen sind.D<strong>es</strong>wegen sind neben Mind<strong>es</strong>tlöhnen auch Mind<strong>es</strong>thonorarenotwendig, um di<strong>es</strong>er b<strong>es</strong>onderenBranche gerecht zu werden. Ich appelliere an dieRegierungsfraktionen und übrigens auch an dieGewerkschaften: Befassen Sie sich auch mitdi<strong>es</strong>em <strong>Thema</strong>! Vor allem aber revidieren Sie Ih-reMeinung zum Mind<strong>es</strong>tlohn! Setzen Sie sich für dieEinführung d<strong>es</strong> Mind<strong>es</strong>tlohns ein!(Beifall be<strong>im</strong> BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowiebei Abgeordneten der SPD)Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, am letzten Donnerstag sag-teMinisterin von der Leyen bei Maybrit Illner, <strong>es</strong> seiabsolut richtig, <strong>das</strong>s Arbeitgeber und GewerkschaftenMind<strong>es</strong>tlöhne für Einzelbranchenaushandeln können.Warum zeigen Sie eigentlich k<strong>eine</strong> G<strong>es</strong>chlossenheit?Warum unterstützen Sie Ihre Ministerinnicht? Warum setzen Sie sich nicht einmal ge-gendie FDP durch? Ich gehe davon aus, <strong>das</strong>s die FDPauch bei di<strong>es</strong>em Mind<strong>es</strong>tlohn wieder auf derBremse stand.(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aha!)Zeigen Sie der FDP bei di<strong>es</strong>em <strong>Thema</strong> endlicheinmal Kante. Ich kann Ihnen auf jeden Fall versichern:Wir Grünen werden bei di<strong>es</strong>em <strong>Thema</strong>nicht aufgeben. Wir streiten so lange mit Ihnen,bis Sie endlich die Realität auf dem Arbeitsmarktzur Kenntnis nehmen und Mind<strong>es</strong>tlöhne <strong>im</strong> Sin-neder B<strong>es</strong>chäftigten einführen.Vielen Dank.(Beifall be<strong>im</strong> BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN und beider SPD sowie bei Ab-geordneten der LINKEN –Paul Lehrie-der [CDU/CSU]: Streiten können Sieja!)Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:Liebe Kollegin, Sie haben uns pünktlich zu Ih-rem50. Geburtstag <strong>das</strong> G<strong>es</strong>chenk <strong>eine</strong>r Redegemacht. Herzlichen Dank und Gratulation zuIhrem Geburtstag!(Beifall)Ich erteile nun Kollegen Ulrich Lange für die CDU/CSU-Fraktion <strong>das</strong> Wort.(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – PaulLehrieder [CDU/CSU]: Ein sehr guter Mann!)Ulrich Lange (CDU/CSU):Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Frau Kollegin Müller-Gemmeke, auch ich gratuliere Ihnen herzlich zuIhrem Geburtstag. Wir b<strong>es</strong>chäftigen uns heutemal wieder mit dem <strong>Thema</strong> Mind<strong>es</strong>tlohn.(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Solange, bis Sie <strong>es</strong> endlich lernen!)Frau Müller-Gemmeke, <strong>es</strong> geht Ihnen nicht nurum die Weiterbildungsbranche, sondern auch um<strong>das</strong> <strong>Thema</strong> „Mind<strong>es</strong>tlohn <strong>im</strong> Allgem<strong>eine</strong>n“.(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Genau!)Dagegen möchte ich m<strong>eine</strong>n heutigen Beitragganz konkret auf die Branche b<strong>es</strong>chränken. DerStaatssekretär Brauksiepe hat die Daten bereitsvorgelegt. Es steht k<strong>eine</strong> Entscheidung aus. DerTarifausschuss hat mit 3 : 3 abg<strong>es</strong>t<strong>im</strong>mt. 3 : 3heißt: k<strong>eine</strong> positive Entscheidung.(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist <strong>es</strong>!)Bevor wir jetzt in die Diskussion über <strong>das</strong> öffentlicheInter<strong>es</strong>se einsteigen, sollten wir uns <strong>eine</strong>mkl<strong>eine</strong>n Grundlagenseminar zum <strong>Thema</strong>Tarifrecht widmen. Ich habe mir g<strong>es</strong>tern Abenddie Mühe gemacht, den Kommentar von Däublerzum TVG herauszusuchen. Ich bin froh, <strong>das</strong>s ichihn mitgenommen habe, und hoffe, <strong>das</strong>s ich hiernicht in die falsche Ecke g<strong>es</strong>tellt werde.(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Wir reden aber über <strong>das</strong>Arbeitnehmer-Entsendeg<strong>es</strong>etz! Das wissen Sieauch!)– Ja. Aber wichtig <strong>im</strong> Zusammenhang mit derAllgemeinverbindlicherklärung ist die Definition6924 Deutscher Bund<strong>es</strong>tag – 17. Wahlperiode – 65. Sitzung,Berlin, Donnerstag, den 7. Oktober 20109/12


d<strong>es</strong> Begriffs „öffentlich<strong>es</strong> Inter<strong>es</strong>se“. – Es ist ganzklar f<strong>es</strong>tzuhalten, <strong>das</strong>s die Exekutive, also <strong>das</strong>Ministerium, di<strong>es</strong>e Frage in völlig eigens-tändigerVerantwortung prüft;(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: St<strong>im</strong>mt!)<strong>das</strong> hatte der Herr Kollege Vogel vorhin schoneinmal in aller Deutlichkeit g<strong>es</strong>agt.Frau Kollegin Kramme, in der g<strong>es</strong>trigen Ausschusssitzungwaren wir uns alle einig, <strong>das</strong>s <strong>es</strong><strong>eine</strong>n breiten Beurteilungsspielraum und einweit<strong>es</strong> normativ<strong>es</strong> Erm<strong>es</strong>sen gibt. Sie werden demMinisterium am Ende nicht vorhalten kön-nen –nur dann b<strong>es</strong>tünde der Anspruch –, <strong>das</strong>s einNullerm<strong>es</strong>sen oder ein Erm<strong>es</strong>sensfehlge-brauchvorliegt. Ich glaube nicht, <strong>das</strong>s Sie zu di<strong>es</strong>erEinschätzung kommen können. Nur dann, wenn<strong>das</strong> Ergebnis schlechthin unvertret-bar ist, würdeüberhaupt ein Anspruch auf die Einführung ein<strong>es</strong>Mind<strong>es</strong>tlohn<strong>es</strong> über die Allge-meinverbindlichkeitb<strong>es</strong>tehen – sonst nicht.(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Agn<strong>es</strong>Alpers [DIE LINKE]: L<strong>es</strong>en Sie mal § 7Entsendeg<strong>es</strong>etz!)– Wir sind gerade bei der Definition d<strong>es</strong> öffentlichenInter<strong>es</strong>s<strong>es</strong>.(Paul Lehrieder [CDU/CSU], an Abg. Agn<strong>es</strong> Alpers[DIE LINKE] gewandt: Haben Sie nicht zugehört,oder was?)Ich habe gerade g<strong>es</strong>agt, <strong>das</strong>s wir <strong>im</strong> Ausschussgerne ein Grundlagenseminar abhalten können,bevor wir hier wirr durcheinanderreden und überBegriffe reden, die wir manchmal nicht richtigausfüllen können.(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist <strong>es</strong>!)Schreiben Sie sich bitte ganz dick in Ihr Buchhinein: Die Allgemeinverbindlichkeit ist Ausdruckder Subsidiarität und kann nur in di<strong>es</strong>er Funktionkonkretisiert werden. Auch <strong>das</strong> müssen Sie in dieAbwägung einbeziehen. Genau <strong>das</strong> hat <strong>das</strong>Ministerium getan.(Beifall bei der CDU/CSU)Im Rahmen di<strong>es</strong>er Abwägung spielt <strong>es</strong> natür-lich<strong>eine</strong> Rolle, ob Repräsentativität gegeben ist odernicht. Bitte bedenken Sie, <strong>das</strong>s wir hier über eingrundg<strong>es</strong>etzlich g<strong>es</strong>chützt<strong>es</strong> Recht sprechen. Wirreden über die Koalitionsfreiheit, auch über dienegative Koalitionsfreiheit, <strong>eine</strong>m Tarifvertrag nichtbeizutreten. Das müssen Sie in die Abwägungeinbeziehen.(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)Wir werden nicht die Hand dazu reichen, denVorrang der autonomen Regelungsmacht derTarifvertragsparteien durch <strong>eine</strong> rundum gültigeAllgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen auszuhöhlen.Sie versuchen, damit durch die Hin-tertür deng<strong>es</strong>etzlichen flächendeckenden Min-d<strong>es</strong>tlohneinzuführen.(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ungeheuer-lich!)Bitte halten Sie sich an Recht und G<strong>es</strong>etz! Manchmalhilft auch ein Blick in <strong>das</strong> Grundge-setz.(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)Liebe Kollegin Mast, Sie hatten in <strong>eine</strong>m Punkt recht:Die SPD hatte <strong>das</strong> BMAS viele Jah-re in Händen.(Katja Mast [SPD]: Sehen Sie? Wusste ich <strong>es</strong> doch!)Ich werde jetzt ein paar Zahlen nennen, um deutlich zumachen, wie die Situation wirklich ist: 2009, als Sie denBund<strong>es</strong>arbeitsminister stell-ten, hatten wir inDeutschland rund 71 000 Tarifverträge. 2009 hatten wir463 für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge; <strong>das</strong>sind 0,65 Prozent. Di<strong>es</strong>e Tarifverträge galten in ersterLinie für die Baubranche <strong>im</strong> Rahmen von AusgleichsundUrlaubskassen. Wir haben aber nur – <strong>das</strong> gilt fürIhre Zeit – 44 Tarifverträge <strong>im</strong> Entgeltbereich <strong>im</strong>engeren Sinn; di<strong>es</strong>en Bereich wollen Sie hier regeln.Also tun Sie nicht so, als hätten wir <strong>eine</strong> Lückeg<strong>es</strong>chaffen oder als wür-den wir <strong>eine</strong> Lücke nichtschließen. Sie hätten di<strong>es</strong>e Lücke längst schließenkönnen, wenn Sie damals di<strong>es</strong>er Ansicht gew<strong>es</strong>enwären.(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Katja Mast[SPD]: Die Frage ist, was Sie tun, nicht, was Si<strong>es</strong>agen!)Ich fasse zusammen: Bund<strong>es</strong>arbeitsministerin von derLeyen hat von ihrem Recht Gebrauch gemacht. Sie hatordnungsgemäß geprüft. Sie weigert sich aber – wirweigern uns auch –, <strong>eine</strong> Allgemeinverbindlicherklärungnach politischen Opportunitätsg<strong>es</strong>ichtspunktenabzugeben. Nehmen Sie <strong>im</strong> Sinne von Recht undG<strong>es</strong>etz Ih-ren Antrag zurück!Herzlichen Dank.(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:Als letztem Redner zu di<strong>es</strong>em Tag<strong>es</strong>ord-nungspunkterteile ich Kollegen Michael Gerd<strong>es</strong> für die SPD-Fraktion <strong>das</strong> Wort.(Beifall bei der SPD)Michael Gerd<strong>es</strong> (SPD):Herr Präsident! M<strong>eine</strong> Damen und Herren! Herr Lange,zunächst einmal herzlichen Dank für die Nachhilfe inSachen öffentlich<strong>es</strong> Inter<strong>es</strong>-se. Ich komme gleichdarauf zurück und sage, wie ich <strong>das</strong> definierenwürde.Deutscher Bund<strong>es</strong>tag – 17. Wahlperiode – 65. Sitzung,Berlin, Donnerstag, den 7. Oktober 2010 692510/12


Wir haben in di<strong>es</strong>er Woche <strong>eine</strong> Hiobsbot-schafterhalten: Frau von der Leyen hat <strong>es</strong> ab-gelehnt, denTarifvertrag für B<strong>es</strong>chäftigte in der Aus- undWeiterbildung <strong>im</strong> Rahmen von SGB II und III fürallgemeinverbindlich zu erklären. Die Regierunglehnt also <strong>eine</strong>n Mind<strong>es</strong>tlohn ab und schaut damitdem Lohndumping in di<strong>es</strong>er Bran-che tatenlos zu.So muss man <strong>das</strong> sehen.(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIEGRÜNEN)Herr Vogel, da hilft auch kein Zitat von Goe-the. DieBegründung für die Entscheidung d<strong>es</strong> BMAS bleibtnicht nachvollziehbar. Es liegt kein öffentlich<strong>es</strong>Inter<strong>es</strong>se vor? Liegt <strong>es</strong> nicht <strong>im</strong> öf-fentlichenInter<strong>es</strong>se, Bildungsanbieter für ihre Arbeitangem<strong>es</strong>sen zu bezahlen? Gute Bildung brauchtQualität, und – <strong>das</strong> haben wir gerade von Frau Mastgehört – Qualität hat ihren Preis. Herr StaatssekretärBrauksiepe, liegt tatsächlich kein öffentlich<strong>es</strong>Inter<strong>es</strong>se vor, wenn der Tarif-vertrag für mehr als 23000 B<strong>es</strong>chäftigte gelten würde? Das ist völliginakzeptabel. 23 000 Menschen sind k<strong>eine</strong> kl<strong>eine</strong>Gruppe. Hier geht <strong>es</strong> um Tausende Ausbilder,Meister, Lehrkräfte und Sozialpädagogen. Da hilftkein Schönreden. Was sagen Sie den Betroffenen?(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-ten derLINKEN)Wir erwarten äußerst viel von der Weiterbildungsbranche:Sie soll Berufstätige weiterqualifizieren,sie soll den drohenden Fachkräfteman-gelabwenden, sie soll Arbeitslose für den Wiedereinstiegin den Arbeitsmarkt fitmachen, und si<strong>es</strong>oll Menschen mit Migrationshintergrund in unsereG<strong>es</strong>ellschaft integrieren. Kurz g<strong>es</strong>agt: Die Branchewird in politischen Sonntagsreden zum Heilsbringerhochstilisiert und soll helfen, unsere dringendsteng<strong>es</strong>ellschaftlichen Proble-me zu lösen. Weiterbildungwird mit Wohlstand und Teilhabe gleichg<strong>es</strong>etzt. Dasind wir uns alle einig, <strong>im</strong> Handeln aber nicht. In derPraxis kön-nen Weiterbilderinnen und Weiterbilderihre Auf-<strong>gab</strong>en nicht erfüllen, weil ihnen schlichtwegdie Mittel fehlen. Das fängt be<strong>im</strong> Unterrichtsmaterialan und hört bei den Gehältern auf. Die notwen-digenInv<strong>es</strong>titionen in die Weiterbildung sind un-terblieben.Wenn Weiterbildung <strong>eine</strong> echte und tragfähige Säulein unserem Bildungssystem werden soll, müssen wirfür <strong>eine</strong> solide Finanzie-rung sorgen.(Beifall bei der SPD)Nachhaltig finanzierte Weiterbildung ist die b<strong>es</strong>-teForm der aktiven Arbeitsmarktpolitik.Viele hochqualifizierte Lehrkräfte müssen trotzHochschulabschluss mit <strong>eine</strong>m Bruttoein-kommenzwischen 1 200 und 1 800 Euro aus-kommen.Manche sind gezwungen, ihren Le-bensunterhaltdurch Leistungen nach dem SGB II aufzustocken.Ich frage Sie: Ist <strong>das</strong> nicht an der Grenze zumHungerlohn?(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das istHungerlohn!)– „Das ist Hungerlohn“, sagt mein Kollege.(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie sollten nicht all<strong>es</strong>glauben, was Ihr Kollege sagt!)Die SPD-Bund<strong>es</strong>tagsfraktion fordert gemein-sammit den Gewerkschaften <strong>eine</strong>n Mind<strong>es</strong>tlohn für dieWeiterbildungsbranche.(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-ten d<strong>es</strong>BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-NEN)Ich habe den Eindruck, <strong>das</strong>s einige Redebeiträ-genicht von praktischer Erfahrung getragen sind.D<strong>es</strong>wegen möchte ich m<strong>eine</strong> Gründe für di<strong>es</strong>eForderung darlegen. Mind<strong>es</strong>tlöhne sind einGarant für faire Arbeitsbedingungen, weil sie dieExistenz sichern. Mind<strong>es</strong>tlöhne verhindernLohndumping. Mind<strong>es</strong>tlöhne verhindern Altersarmutund machen unabhängig von staatlichenTransferleistungen.(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Und die Erde ist <strong>eine</strong>Scheibe!)Mind<strong>es</strong>tlöhne wirken sich positiv auf die Marktwirtschaftaus, weil sie die Nachfrage stärken.Und Mind<strong>es</strong>tlöhne fördern die Gleichberechtigung,weil momentan vor allem Frauen vonNiedriglöhnen betroffen sind. So viele Argumen-t<strong>es</strong>ind kein öffentlich<strong>es</strong> Inter<strong>es</strong>se?Zu Ihrer Anmerkung, die Erde sei <strong>eine</strong> Schei-be,möchte ich sagen: Di<strong>es</strong> war über viele Jahre <strong>eine</strong>anerkannte Lehre. Irgendwann hat sich et-wasgeändert, und wir haben f<strong>es</strong>tg<strong>es</strong>tellt, <strong>das</strong>s dieErde eben k<strong>eine</strong> Scheibe ist, Herr Kollege,sondern rund.(Beifall bei der SPD sowie bei Ab-geordneten d<strong>es</strong>BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L.Kolb [FDP]: Eben!)D<strong>es</strong>wegen haben Sie vielleicht noch die Chan-ce,irgendwann f<strong>es</strong>tzustellen, <strong>das</strong>s Mind<strong>es</strong>tlöhneeuropaweit anerkannt sind und in der EU alsSelbstverständlichkeit gelten.(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Ob die FDP <strong>das</strong> jemals lernt?)M<strong>eine</strong> Damen und Herren, Herr Lange, wirwerden jedenfalls nicht mal wieder, sondern<strong>im</strong>mer wieder an di<strong>es</strong>em <strong>Thema</strong> f<strong>es</strong>thalten.Herzlichen Dank.(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-ten d<strong>es</strong>BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-NEN)6926 DeutscherBund<strong>es</strong>tag – 17. Wahlperiode – 65. Sitzung, Berlin,Donnerstag, den 7. Oktober 201011/12


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:Ich schließe die Aussprache zu di<strong>es</strong>em Ta-g<strong>es</strong>ordnungspunkt.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/3173 an die in der Tag<strong>es</strong>-ordnungaufgeführten Ausschüsse vorg<strong>es</strong>chla-gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist of-fensichtlich derFall. Dann ist die Überweisung so b<strong>es</strong>chlossen.12/12

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