InterviewZehn Überraschungen des Jahres 2013Jedes Jahr blickt unser Gastautor Dr. Martin Hüfner zum Jahresende in die Zukunft und präsentiert zehn Überraschungendie uns eventuell im kommenden Jahr begegnen werden.■■Was in den Prognosen für das kommende Jahr nicht steht, aber trotzdem eintreten könnte.■■Ein paar Beispiele: Der amerikanische Präsident Obama gibt den Friedensnobelpreis zurück. Der russische KonzernGazprom übernimmt RWE.■■Benzin wird nicht teurer, sondern billiger. Der Euro erlebt einen Höhenflug und steigt auf USD 1,60.Überraschungen sind keine Prognosen.Prognosen sind Entwicklungen und Ereignisse,die man für wahrscheinlich hält undauf die man sich einrichtet. Überraschungensind das Gegenteil. Mit ihnen rechnet mannicht und man stellt sich nicht auf sie ein.Seit acht Jahren schreibe ich nun diese„Überraschungen“ des kommenden Jahres.Meist treffen ein oder zwei ein, manchmalauch erst Jahre später. Die Vorhersagequalitätdieser „Überraschungen“ istdamit eher mager. Das liegt einmal daran,dass das Potenzial der Überraschungenpraktisch unendlich ist. Hier kann man allesaufführen, was einem einfällt. Ich greifeaber nur zehn Möglichkeiten heraus. Zumanderen zeigt es aber auch, dass die üblichenPrognosen – entgegen allem, wasgesagt wird – doch gar nicht so schlechtsind. Je besser die Prognosen, umso wenigerÜberraschungen gibt es.Eigentlich wollte ich in diesem Jahr keine„Überraschungen“ mehr schreiben.Wenn man etwas zu lange macht, drohtes zur Routine zu werden. Aber dann habenmich viele Leser doch gedrängt. Zweischickten mir, vielleicht um mich zu motivieren,sogar eigene Vorschläge für Überraschungen.Ich danke ihnen dafür (undhabe sie zum Teil auch übernommen). Esscheint also doch ein Interesse an solchenThesen zu geben. In Technik undNatur tun wir alles, um Überraschungenzu vermeiden. Niemand möchte davonüberrascht werden, dass eine Brücke einstürzt.Im wahren Leben (und in der Ökonomie)ist das anders. Hier ist die Suchenach Überraschungen (so sehr sie dasGeschäft von Unternehmern, Politikernund Anlegern erschweren) vielleicht auchein Teil der Lust am Leben. Wie langweiligwäre das Frühstück, wenn die täglicheZeitung keine Neuigkeiten brächte.Seite 10 Januar 2013
InterviewHier also zehn Punkte, die im Jahr2013 eintreten könnten:Erstens:Der amerikanische Präsident gibt seinenFriedensnobelpreis zurück. Er zeigt damit,dass sich die Hoffnungen, die sich an das„Yes, we can“ knüpften, weder in den USAnoch für die Welt als Ganzes erfüllt haben(oder sich überhaupt erfüllen lassen).Zweitens:Der russische Energiekonzern Gazpromübernimmt eine Beteiligung am deutschenVersorger RWE. Unternehmerischist das eine gute Kombination, zumal dieAktien von RWE so stark gesunken sind.Die Bundesregierung versucht es mit allenMitteln zu verhindern, um die Abhängigkeitvon russischer Energie nicht zugroß werden zu lassen.Drittens:Viele glauben, dass das Problem Griechenlandim Euroraum gelöst ist. Könnte es sein,dass die sozialen Unruhen in Athen zunehmen,die Regierung Samaras zurücktretenmuss und die Antieuropäer bei der OppositionsparteiSiriza durchsetzen, dass dasLand die Union doch verlässt?Viertens:In Europa wird ein Nachfolger für denbisherigen Präsidenten Van Rompuygesucht. Die deutsche Bundeskanzlerinwird dafür ins Gespräch gebracht, weilsie als einer der dienstältesten Regierungschefsin Europa über die meisteErfahrung verfügt und weil sie von allengeschätzt wird (und vielleicht auch, weilmancher glaubt, mit einem Nachfolger inBerlin „ein leichteres Spiel“ zu haben).Frau Merkel überlegt sich das. In Berlinbeginnt die Suche nach Nachfolgern.Fünftens:In der arabischen Welt, vor allem in Ägyptenund Syrien, hält die Eskalation noch eineWeile an, dann entspannt sich die Situationaber. Der arabische Frühling kommt wieder.Die Eskalation zeigt, wie schwierig und blutigder Weg zur Demokratie ist. Vor allemaber dauert er länger, als viele meinen.Sechstens:Auf den Devisenmärkten steigt der Euro aufUSD 1,60. Statt stolz zu sein, dass sich dieGemeinschaftswährung erholt und internationalwieder geschätzt wird, setztin Europa allgemeines Wehklagenein. Der europäische Export leidetund die Anpassungen in den Peripherieländernwerden schwerer.Die Amerikaner freuen sich.Siebtens:Alle rechnen in einer wachsendenWeltwirtschaft mit steigendenÖlpreisen (derzeit 110 Dollarje Barrel Brent). Könnte essein, dass Energie stattdessenbilliger wird, weil in den USA durch dasFracking immer mehr Öl und Gas gefördertwird? Das stärkt die Kaufkraft derVerbraucher und hilft der Konjunktur.Achtens:Der Goldpreis (derzeit USD 1.700) sinktkräftig, weil China einen Teil seiner Goldbeständeauf den Markt wirft. AusländischeZentralbanken, die in den letztenJahren ihre Dollarbestände in Gold getauschthatten, überlegen, nunmehr diechinesische Währung in ihre Portefeuillesaufzunehmen. Die USA, aber auch privateGoldbesitzer stehen im Regen. Die Chinesenfreuen sich, weil es die Bedeutungihrer Währung aufwertet.Neuntens:Überraschung im deutschen Bundestagswahlkampf.Der Herausforderer vonBundeskanzlerin Merkel stößt in seinereigenen Partei auf Widerstand. Bei der Bevölkerunggelingt es ihm nicht, genügendSympathien aufzubauen. Die SPD muss inaller Eile einen neuen Kandidaten küren.Zehntens:Cyber-Unfall in einer deutschen Großstadt.Für fast eine Woche fallen nicht nurStrom und Heizung aus, sondern alle digitalenVerbindungen. Bei den Menschenmacht sich eine tiefe Depression breit, dasie nicht mehr mit anderen kommunizieren,vor allem niemandem von ihrem Unglückerzählen können.Ich wünsche Ihnen viel Glück (und viele positiveÜberraschungen im nächsten Jahr).Dr. Martin W. Hüfner, ChefvolkswirtAssenagon Asset Management S.A.Seite 11 Januar 2013