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Nr. 1/2013 - Lebenshilfe Steiermark

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<strong>Lebenshilfe</strong> <strong>Steiermark</strong> | ThemaDown-Syndrom I Eine ChanceWas ist schon normal?Nicolette Blok ist Mutter eines Sohnes mit Down-Syndrom. In „<strong>Lebenshilfe</strong>“ schreibt sie über das Leben,die „Normalität“ und die Anmaßung, eine Entscheidung darüber zu treffen, was „lebenswert“ ist.Es ist ein paar Jahre her, mein Sohnwar ungefähr 20 Jahre alt. Mikekam in die Küche und fragte mich,warum er geboren wurde. Ich war verwirrtund während des Gesprächeswurde mir klar, dass Mike im Fernseheneine Debatte über pränatal-diagnostischeMethoden gesehen hatte. Solche Berichteveranlassen Mike über sich nachzudenkenund seine Behinderunganzusprechen: „Papas und Mamas könnenalso entscheiden, ob sie Kinder wiemich wirklich wollen?“ – „Wieso wollenEltern Kinder mit Down-Syndrom nicht?“– „Wie ist das mit Paul, der Autismus hat,konnten seine Eltern auch entscheiden?“– „Hast du, Mama, gewusst, dass ichDown-Syndrom habe?“ – „Aha nicht, wiehättest du dich entschieden?“ ...Solche Fragen freuen mich, denn Mikebegreift die Thematik. Das heißt, er kannsich mit seiner Identität auseinandersetzen.Gleichzeitig sind diese Fragen nichtleicht zu beantworten: „Ja, Mike. Elternkönnen sich entscheiden, ob sie ein Kindmit Down-Syndrom wollen.“ So eineAntwort führt allerdings zu einer Flut vonweiteren schwierigen, aber auch mutigenund konfrontierenden Fragen. Sie beinhaltenThemen wie die UN-Konvention,Selbstbestimmung und Gleichberechtigung.„Mama, was ist, wenn es uns Menschenmit Down-Syndrom bald nichtmehr gibt?“ – „Und Mama, wie könnenEltern so was überhaupt entscheiden?“ –„Und Mama, es gibt doch viel mehr Menschen,die auch ‚anders’ sind. Wie ist dasmit denen?“ ...Meine Aussagen und die ganz „normalen“andersartigen Beschreibungen über Menschen,die dann folgen, schreibe ich nicht„Mama, wäre ich amLeben, wenn du ESgewusst hättest?”auf, denn das könnte auch Sie als Leserkonfrontieren. Was ist schon „normal“?Ich habe mal in einer Integrationskindergartengruppegefragt, wer denn eigentlichbehindert sei. Die Kinder gabenschnell Antwort; allerdings wurde dasMädchen mit den „blöden Haaren“ –jenes ohne Diagnose – als „behindert“eingestuft.Wo liegt denn tatsächlich die Grenze zwischen„normal“ und „nicht normal“? Dürfenwir darüber urteilen? Gerade inletzter Zeit lese ich immer wieder voneiner neuen Methode, bei der das Blutder Mutter während der SchwangerschaftAufschluss über Behinderungengibt. Auch über Down-Syndrom … undda liegt die Schwierigkeit. Welche Maßstäbesetzen wir an, um Normalität – umdie Norm – zu definieren?Wie normal ist Mike? Mike lebt wiederzu Hause, er hat es zwar alleine versucht,hat sich aber entschieden, doch noch ein© ?Im Fernsehen wieder Diskussionen,ob ich es wert wäre zu leben.Eugenik – vorgeburtlicheDiagnostik – Euthanasieund ich denke mir: Vor 15 Jahrenwäre ich gestorben ohne denmedizinischen Fortschritt,vor 60 Jahren wäre ich vergast.Aufgrund des ideologischenFortschritts in ein paar Jahren,würde ich wegen beidem nichtgeboren werden.Wie soll ich leben, mit dieserVergangenheit in Zukunft?wenig zu Hause wohnen zu wollen. Mirscheint das ziemlich normal. Mike arbeitetbei einem Bäcker, er arbeitet mitSpaß. Die auf ihn abgestimmten Tätigkeitenmacht er gerne, zuverlässig und erlernt dazu. Auch ich habe eine Stellenbeschreibungund arbeite mal motivierter,mal unmotivierter; scheint also allesziemlich normal zu sein. Mike hat eineTeilqualifizierung als Tischler, arbeitetjetzt als Bäcker. Aber da auch sein Papaund ich immer wieder den Job wechseln,ist das ziemlich normal. Mike braucht Unterstützungim Umgang mit Geld. Werbraucht die nicht auch manchmal? Mikehat noch keinen Führerschein; das istdort wo er lebt, ziemlich ungewöhnlich.Irgendwie ist das dort nicht normal. Mikespricht nicht immer ganz verständlich;das sagen aber Wiener über Vorarlbergerauch. Mike hat allerdings eine Diagnose,die, wenn sie mittels Pränataldiagnoseentdeckt wird, manchmal dazu führt,dass Babys nicht geboren werden. Dasempfinde ich dann als nicht ganz normal.Wer unterstützt Eltern bei dieser grausamenEntscheidung? Wie halten es Menschenmit Behinderungen aus, dass übersie entschieden werden kann? Was bedeutetdas für die Identität von Menschenmit Down-Syndrom? Schon wieder Fragen... Viele Eltern von Kindern mitDown-Syndrom berichten immer wiedervon folgender: „Hast du nicht gewusst,dass du ein Kind mit Down-Syndrom bekommst?“Die Frage impliziert fast, dassdas doch nicht notwendig gewesen wäre.Mittlerweile kenne ich einige Eltern, diewährend der Schwangerschaft erfahrenhaben, dass ihr Baby Down-Syndromhaben wird. Diese Eltern wurden meistausführlich beraten. Es wurde auf alleAspekte des Down-Syndroms verwiesen,auch auf das ganz „normale“. Diese Elternkonnten sich auf ihr Kind vorbereiten,erlebten keinen Schock bei derGeburt. Das ist ein sehr wertvollerAspekt von Pränataldiagnostik (PND).Diese Familien hatten einen besserenStart. – Überhaupt sollte ich spätestenshier betonen, dass ich alle Entscheidungenrespektiere. Ich maße mir nicht an,zu behaupten, dass eine Entscheidunggegen ein Kind mit einem positiven pränatal-diagnostischenBefund, falsch ist. Esgibt sicher wohlüberlegte Gründe, sichgegen ein Kind zu entscheiden. Ich wehremich gegen die „Leichtigkeit“ wie Testsentwickelt werden und auf den Marktkommen. Ich habe im Moment kaumVertrauen, wie mit den Ergebnissen umgegangenwird. Und ich fürchte mich vorder rasanten medizinischen Entwicklung,die schneller als die ethische und menschlichevoranschreitet. PND war noch vor15 Jahre ganz besonders, jetzt wird beifast allen schwangeren Müttern die Nackenfaltedes Fötus gemessen. Aber wasbedeutet das eigentlich? Was wollen wirdenn mit diesem Screening? Ich hoffe, wirMenschen streben nicht an, den perfektenMenschen zu entwickeln.Konflikte. Ich möchte nichts Schönreden.Mike ist manchmal verärgert darüber,dass er Down-Syndrom hat. Er war16, als er gefragt hat, ob er genug Geldam Sparbuch habe, um nach Amerika zufliegen. Zumindest da sollte es dochÄrzte geben, die sein Down-Syndromentfernen könnten. Damals hat er gemeint:„16 Jahre Down-Syndrom sindgenug!“ Beim Nachfragen war völlig klar,dass nicht das Down-Syndrom an sich,sondern alles, was mühsamer war, ihn geärgerthatte. Dazu gehörten auch Dingeaus der Gesellschaft. Die Lösung solltedoch sein, an menschlichen Werten zuarbeiten, Inklusion auf allen Ebene voranzutreiben,Vielfalt willkommen zu heißenund als Qualität zu verankern. – Die Lösungkann nicht sein, Down-Syndrom alsnicht lebenswert einzustufen.Eine Frage habe ich noch nicht beantwortet.Wie hätte ich mich entschieden,wenn ich es gewusst hätte? Ich war 22Jahre alt, hatte nur das Bild von einerglücklichen Familie, als ich schwangerwurde und zum Glück musste ich michnicht entscheiden. Später einmal, alsMikes Schwester sechs Jahre alt war (undMike 9) hat sie Kindern, die sie über ihrenBruder ausgefragt hatten, erklärt: „Mikeist supercool und außerdem hat er einChromosom mehr!“ – Zurückkommendauf die Frage was ich gemacht hätte: EinLeben ohne Mike – undenkbar!Seite 8Mike und seine Schwester Nadja sind ein Herz und eine Seele. Das Leben mitMike ist wie mit jedem anderen Jugendlichen auch: abenteuerlich, aufregend,bereichernd.Seite 9

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