Ich kenne die Welt, in der ›Keine Angst‹ spielt, von innen - WDR.de
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6 | Ke<strong>in</strong>e Angst<br />
»<strong>Ich</strong> <strong>kenne</strong> <strong>die</strong> <strong>Welt</strong>, <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> ›Ke<strong>in</strong>e <strong>Angst‹</strong> <strong>spielt</strong>, <strong>von</strong> <strong>in</strong>nen«<br />
Regisseur<strong>in</strong> Aelrun Goette über <strong>die</strong> Vorgeschichte <strong>von</strong> »Ke<strong>in</strong>e Angst«, <strong>die</strong> Kraft <strong><strong>de</strong>r</strong> Liebe und <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Jugend und <strong>die</strong> Arbeit mit <strong>de</strong>n Schauspielern, unter <strong>de</strong>nen sich auch e<strong>in</strong>ige Laien befan<strong>de</strong>n.<br />
Wie ist das Projekt »Ke<strong>in</strong>e angst« zu ihnen gekommen?<br />
Es wur<strong>de</strong> mir vom Redakteur <strong>de</strong>s <strong>WDR</strong>,Wolf Dietrich Brücker, <strong>von</strong><br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Autor<strong>in</strong> Mart<strong>in</strong>a Mouchot und <strong><strong>de</strong>r</strong> Producer<strong>in</strong> Susanne Ottersbach-Flimm<br />
angeboten.Wir waren uns e<strong>in</strong>ig, was wir erzählen wollen.<br />
Mart<strong>in</strong>a Mouchot hat e<strong>in</strong> wun<strong><strong>de</strong>r</strong>bares Drehbuch geschrieben, das<br />
<strong>die</strong> Basis für <strong>die</strong>sen Film ist.<br />
Wie wichtig waren für <strong>die</strong>sen Film <strong>die</strong> Erfahrungen, <strong>die</strong> Sie bei <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
recherche für »<strong>die</strong> K<strong>in</strong><strong><strong>de</strong>r</strong> s<strong>in</strong>d tot« gemacht haben?<br />
<strong>Ich</strong> <strong>kenne</strong> <strong>die</strong> <strong>Welt</strong>, <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> »Ke<strong>in</strong>e Angst« <strong>spielt</strong>, <strong>von</strong> <strong>in</strong>nen. <strong>Ich</strong> weiß,<br />
wie sie kl<strong>in</strong>gt, riecht und schmeckt.<br />
Wie realistisch kann und soll e<strong>in</strong> Fernsehfilm im Vergleich zu e<strong>in</strong>er<br />
dokumentation se<strong>in</strong>?<br />
Dafür gibt es ke<strong>in</strong> Rezept. Alles ist möglich. In »Ke<strong>in</strong>e Angst« habe<br />
ich <strong>die</strong> Chance gesehen, e<strong>in</strong>e hoffnungsvolle Liebesgeschichte vor<br />
<strong>de</strong>m H<strong>in</strong>tergrund <strong>de</strong>utscher Armut zu erzählen. Und damit <strong>de</strong>n<br />
Zuschauer zu verführen, sich auf e<strong>in</strong> Stück Lebenswirklichkeit e<strong>in</strong>zulassen,<br />
das er meist nur <strong>in</strong> Form <strong>von</strong> Sensationsmeldungen o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
nüchternen Zahlen präsentiert bekommt.<br />
War es auch e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tention <strong>von</strong> ihnen darzustellen, wie sehr sich<br />
<strong>die</strong> sozialen Milieus <strong>in</strong> <strong>de</strong>utschland <strong>von</strong>e<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> entfernt haben?<br />
Eigentlich ist »Ke<strong>in</strong>e angst« ja e<strong>in</strong>e nahezu unmögliche liebesgeschichte<br />
...<br />
»Ke<strong>in</strong>e Angst« ist e<strong>in</strong>e mögliche Liebesgeschichte, weil sie <strong>von</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Liebe zwischen jungen, freien Menschen erzählt. In <strong>de</strong>m Alter besitzt<br />
man <strong>die</strong> Kraft, Grenzen zu überschreiten und Mauern e<strong>in</strong>zureißen.<br />
Wir haben das vergessen, weil wir alles daran setzen, e<strong>in</strong>en<br />
möglichst sicheren Platz <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser <strong>Welt</strong> zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n, um ihn dann ganz<br />
fest zu halten. Und damit ke<strong>in</strong>er unsere schöne <strong>Welt</strong> stört, bauen<br />
wir Mauern aus Vorurteilen, Besserwisserei und Angst um uns<br />
herum. Aber für Becky und Bente <strong>spielt</strong> es ke<strong>in</strong>e Rolle, dass sie aus<br />
unterschiedlichen <strong>Welt</strong>en kommen. Sie s<strong>in</strong>d im Inneren frei. Die<br />
Zusammenarbeit mit me<strong>in</strong>en jungen Darstellern hat mich daran<br />
er<strong>in</strong>nert, wie unglaublich lei<strong>de</strong>nschaftlich und kraftvoll sich das<br />
Leben <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Alter anfühlt. <strong>Ich</strong> durfte für e<strong>in</strong>e kurze Zeit lang<br />
<strong>die</strong> Seiten wechseln und <strong>die</strong> <strong>Welt</strong> aus ihrer Perspektive betrachten.<br />
Und da kam mir manches ziemlich absurd vor.<br />
<strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> allerletzten Kamerae<strong>in</strong>stellung sieht man noch e<strong>in</strong>mal <strong>die</strong><br />
triste Hochhaussiedlung. Sie ersche<strong>in</strong>t als unüberw<strong>in</strong>dbare trutzburg.<br />
Haben Becky und Bente überhaupt e<strong>in</strong>e Chance?<br />
Das liegt im Auge <strong>de</strong>s Betrachters. Glauben Sie an <strong>die</strong> Liebe?<br />
Wo haben Sie gedreht?<br />
Wir haben <strong>in</strong> drei verschie<strong>de</strong>nen Stadtteilen <strong>von</strong> Köln gedreht: Porz,<br />
Meschenich und Chorweiler. Das s<strong>in</strong>d so genannte soziale Brennpunkte,<br />
<strong>die</strong> es so o<strong><strong>de</strong>r</strong> so ähnlich <strong>in</strong> je<strong><strong>de</strong>r</strong> größeren Stadt Deutschlands<br />
gibt.<br />
Welchen E<strong>in</strong>druck hatten Sie <strong>von</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> sozialen lage am drehort?<br />
Der E<strong>in</strong>druck spiegelt sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Film wi<strong><strong>de</strong>r</strong>. Es ist e<strong>in</strong>e abgeschlossene<br />
<strong>Welt</strong> mit eigenen Gesetzen, <strong>die</strong> man bis zu e<strong>in</strong>em gewissen<br />
Grad respektieren muss. Es gibt zum Himmel schreien<strong>de</strong> Armut, <strong>die</strong><br />
beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s bei <strong>de</strong>n K<strong>in</strong><strong><strong>de</strong>r</strong>n schmerzt und wo man an <strong>die</strong> eigenen<br />
Grenzen <strong>de</strong>s Machbaren gerät. Es gibt Gewalt, Drogen und Perspektivlosigkeit<br />
genauso wie e<strong>in</strong>e unbändige Kraft und e<strong>in</strong>en Zusammenhalt,<br />
beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s zwischen <strong>de</strong>n Jugendlichen. Wir s<strong>in</strong>d vorurteilsfrei<br />
und offen dorth<strong>in</strong> gegangen und wollten e<strong>in</strong>e<br />
Verb<strong>in</strong>dung mit <strong>de</strong>n Menschen herstellen.<br />
Wie wur<strong>de</strong>n Sie und das Filmteam dort aufgenommen?<br />
Am Anfang schlug uns Misstrauen entgegen. In Meschenich wur<strong>de</strong><br />
e<strong>in</strong>es unserer Autos aufgebrochen, <strong>in</strong> Porz wur<strong>de</strong>n wir auf <strong><strong>de</strong>r</strong> Straße<br />
beschimpft und <strong>in</strong> Chorweiler sogar angegriffen. <strong>Ich</strong> habe das<br />
verstan<strong>de</strong>n, weil ich uns <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Pflicht gesehen habe zu beweisen,<br />
dass wir ke<strong>in</strong>en schmutzigen Film über e<strong>in</strong>e schmutzige <strong>Welt</strong> drehen<br />
wollen. Wir haben auf unterschiedlichen Ebenen versucht, <strong>die</strong><br />
Menschen vor Ort <strong>von</strong> unserem Projekt zu überzeugen. Wir s<strong>in</strong>d<br />
auf sie zugegangen, haben sie <strong>in</strong> unsere Arbeit e<strong>in</strong>gebun<strong>de</strong>n und<br />
damit e<strong>in</strong>en Kontakt zwischen <strong>de</strong>n <strong>Welt</strong>en hergestellt. Der Film<br />
lebt sehr stark <strong>von</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Kraft <strong>die</strong>ser Verb<strong>in</strong>dung.<br />
S<strong>in</strong>d bei <strong><strong>de</strong>r</strong> »Jungs-Gang« <strong>de</strong>nn auch laiendarsteller dabei gewesen?<br />
Die »Gang« setzt sich aus Abiturienten zusammen, <strong>die</strong> wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Theatergruppe gefun<strong>de</strong>n haben, und Jugendlichen, <strong>die</strong> wir <strong>in</strong> Porz<br />
auf <strong><strong>de</strong>r</strong> Strasse gecastet haben. Am Anfang gab es Kontaktschwierigkeiten<br />
zwischen bei<strong>de</strong>n Seiten, <strong>die</strong> jedoch schnell überwun<strong>de</strong>n<br />
wur<strong>de</strong>n, weil wir ke<strong>in</strong>e Unterschie<strong>de</strong> gemacht haben. Alle mussten<br />
<strong>die</strong>selben Regeln akzeptieren. Am En<strong>de</strong> zählte <strong>die</strong> schauspielerische<br />
Leistung. Und da waren <strong>die</strong> Jungs aus Porz e<strong>in</strong> Gew<strong>in</strong>n, weil<br />
sie <strong>in</strong> ihrem Spiel frei und authentisch waren. Die <strong>Welt</strong> <strong>in</strong> unserer<br />
Geschichte ist ihr Alltag. Diese Kompetenz hat uns sehr geholfen.<br />
Gleichzeitig haben <strong>die</strong> Jungs durch <strong>die</strong> filmische Ause<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong>setzung<br />
e<strong>in</strong>en Blick <strong>von</strong> außen auf sich bekommen. Es gibt zum Beispiel<br />
e<strong>in</strong>e Szene, <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>die</strong> »Gang« Melanie gegenüber gewalttätig wird.<br />
Die Jungs haben sich nach <strong>de</strong>m Dreh rührend um Carolyn gekümmert.<br />
Sie wollten wissen, wie es ihr geht, haben ihr Tee gebracht.<br />
Plötzlich haben sie sich <strong>in</strong> ihrer männlichen Übermacht schlecht<br />
gefühlt. <strong>Ich</strong> hatte <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>druck, sie konnten durch <strong>die</strong> Arbeit an <strong><strong>de</strong>r</strong>