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Kinder übernehmen Verantwortung für ihr Lernen - Ganztagsschule ...

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<strong>Kinder</strong> <strong>übernehmen</strong> <strong>Verantwortung</strong> <strong>für</strong> <strong>ihr</strong> <strong>Lernen</strong><br />

Schülersprechtag und Entwicklungsstern als dialogische Methoden<br />

individueller Lernbegleitung<br />

Uwe Hehr<br />

u.hehr@gts-tenever.de<br />

F 6.3<br />

Die Arbeit mit dem Entwicklungsstern ist ein dialogischer Prozess zwischen Schülern und Lehrkräften.<br />

Im Rahmen eines Schülersprechtags „verhandelt“ der Schüler im Dialog mit der Lehrkraft<br />

über seinen Lernstand. Dabei wird die Einschätzung des Kindes ernst genommen, es bekommt die<br />

Möglichkeit, sich zu erklären und Einfluss auf das Ergebnis zu nehmen. Es wird keine Beurteilung<br />

gesetzt, die das Kind zu akzeptieren hat. So wird der Ansatz „<strong>Kinder</strong> <strong>übernehmen</strong> <strong>Verantwortung</strong><br />

<strong>für</strong> Ihr <strong>Lernen</strong>“ real und bleibt nicht nur eine pädagogische Maßnahme.<br />

Gliederung Seite<br />

1. Individualität und Selbstbestimmung – unser Schulkonzept 2<br />

2. Die neue Idee: Von Schülersprechtagen und Entwicklungssternen 4<br />

3. Dokumentation im Portfolio 8<br />

4. Wie die Idee zum Leben erwachte 10<br />

5. Positive Erfahrungen 12<br />

6. Arbeitshilfen 14<br />

Protokoll zum Schülersprechtag 14<br />

Beschlussvorlage zur Einführung von Schülersprechtagen 15<br />

Unterrichtsqualität Grundschule 1 09 10 08 1


F 6.3 Methodenkoffer „Unterrichtsqualität“<br />

Leistungsbewertung und Feedback<br />

Unser Leitbild<br />

Jeder auf seine Art<br />

<strong>Verantwortung</strong><br />

<strong>übernehmen</strong><br />

1. Individualität und Selbstbestimmung –<br />

unser Schulkonzept<br />

Die <strong>Ganztagsschule</strong> Andernacher Straße liegt am Stadtrand von Bremen<br />

in einem Stadtteil, in dem viele Menschen von staatlicher Unterstützung<br />

leben. Über 90 % unserer Schüler haben einen Migrationshintergrund.<br />

Seit 2003 ist die Schule <strong>Ganztagsschule</strong>. Lehrkräfte und<br />

Erzieher schaffen <strong>für</strong> die <strong>Kinder</strong> des Stadtteils einen Lern- und Lebensraum,<br />

der ihnen einiges vermittelt, was ihnen im Lebensalltag<br />

fehlt.<br />

Wertschätzung und Respekt als Leitbild <strong>für</strong> unsere Arbeit …<br />

... sind oberstes Gebot <strong>für</strong> alle in unserer Schule. Damit ist gemeint:<br />

Jede Person ist achtenswert, vollwertig und gleichberechtigt und es<br />

wird <strong>ihr</strong> stets wohlwollend begegnet. Dazu gehören Höflichkeit, Takt<br />

und Freundlichkeit. Die Grundregel <strong>für</strong> unsere Schule lautet „friedlich<br />

– freundlich – fair“. Von jedem wird erwartet, daraus angemessenes<br />

Verhalten abzuleiten und einen guten Umgang mit anderen zu<br />

pflegen. Den Erwachsenen kommt in <strong>ihr</strong>er Vorbildfunktion eine besondere<br />

Bedeutung zu. Sie leben das vor, was sie von den <strong>Kinder</strong>n<br />

erwarten.<br />

Die pädagogische Arbeit der Schule lehnt sich eng an das reformpädagogische<br />

Konzept einer Pädagogik vom Kinde aus an. Wir arbeiten an<br />

einer veränderten Schul- und Lernkultur, in der <strong>Kinder</strong> und Jugendliche<br />

– eingebunden in eine verlässliche Gemeinschaft – <strong>Verantwortung</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>ihr</strong> <strong>Lernen</strong> und <strong>ihr</strong>e persönliche Entwicklung <strong>übernehmen</strong>. Das<br />

Individuum steht im Mittelpunkt der Unterrichtsplanung. Alle arbeiten<br />

<strong>für</strong> eine Schule, in der <strong>Kinder</strong> ohne Noten und ohne Selektion gemeinsam<br />

lernen und dadurch individuell bestmögliche Leistungen erreichen<br />

können.<br />

Individuelles <strong>Lernen</strong> und Selbstbestimmung<br />

Welche Leistung in welchem Maß gefordert wird, hängt von den individuellen<br />

Voraussetzungen jedes einzelnen Kindes ab. Jedes Kind<br />

lernt auf seine Art – diese Erkenntnis ist längst eine Selbstverständlichkeit<br />

geworden. Trotzdem sind wir in Deutschland weit von einer<br />

konsequenten Umsetzung entfernt.<br />

Erfolgreiches <strong>Lernen</strong> kann nur gelingen, wenn die Anforderungen<br />

dem individuellen Entwicklungsstand und dem Reifestand des Kindes<br />

entsprechen. Sowohl Über- als auch Unterforderung frustrieren und<br />

demotivieren Schüler und führen zu Lernversagen (vgl. Largo/<br />

Beglinger 2009). Individuelles <strong>Lernen</strong> in einem sozialen Umfeld, in<br />

einer anregenden Lernumgebung gelingt auch nur dann, wenn <strong>Kinder</strong>n<br />

<strong>Verantwortung</strong> <strong>für</strong> <strong>ihr</strong> Tun, <strong>für</strong> <strong>ihr</strong> <strong>Lernen</strong> gegeben wird.<br />

2 Unterrichtsqualität Grundschule 1 09 10 08


Methodenkoffer „Unterrichtsqualität“ F 6.3<br />

An unserer Schule steht das Kind im Mittelpunkt. Sein sozialer Bezugspunkt<br />

ist die Lerngruppe mit festen Bezugspersonen. Hier erwirbt<br />

es Kompetenzen <strong>für</strong> soziales Miteinander und lernt nach seinen individuellen<br />

Möglichkeiten in einer sorgfältig gestalteten Lernumgebung<br />

lesen, schreiben, rechnen. Über den Klassenrat wird es an der Gestaltung<br />

der Lernprozesse beteiligt. Jahrgangsübergreifende Projekte,<br />

Arbeitsgemeinschaften und selbstbestimmte Zeit schaffen viele Möglichkeiten,<br />

über die Lerngruppe hinaus besondere Begabungen und<br />

Interessen zu entwickeln. Die Lerngruppen sind eingebettet in ein<br />

aktives Schulleben – die Schule ist Teil eines Stadtteilnetzwerks und<br />

beteiligt sich an der Gestaltung der Aktivitäten im Stadtteil.<br />

Abb. F 6.3-1 Schulkonzept:<br />

Individualisierung im sozialen Umfeld<br />

Leistungsbewertung und Feedback<br />

Das Kind im Mittelpunkt<br />

Unterrichtsqualität Grundschule 1 09 10 08 3


F 6.3 Methodenkoffer „Unterrichtsqualität“<br />

Leistungsbewertung und Feedback<br />

Schüler und Lehrer<br />

im Dialog<br />

Lernprozess<br />

beschreiben<br />

2. Die neue Idee: Von Schülersprechtagen<br />

und Entwicklungssternen<br />

Wenn <strong>Kinder</strong> <strong>Verantwortung</strong> <strong>für</strong> <strong>ihr</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>übernehmen</strong> sollen, müssen<br />

sie auch an der Beurteilung und Bewertung <strong>ihr</strong>es Tuns und <strong>ihr</strong>er<br />

Leistungen beteiligt werden. Dazu brauchen sie räumliche und zeitliche<br />

Möglichkeiten und eine kindgerechte Struktur.<br />

Schülersprechtage als Baustein unseres Schulkonzepts<br />

Zum Konzept unserer Schule gehört der Baustein „Schülersprechtage“ –<br />

konsequent durchgeführt als dialogischer Prozess zwischen Schülern<br />

und Pädagogen.<br />

Schülersprechtag<br />

An einem Schülersprechtag bekommt jeder Schüler einen Termin<br />

bei seiner Lehrkraft, um gemeinsam seinen individuellen Lern- und<br />

Entwicklungsstand zu erörtern und wichtige Ziele <strong>für</strong> die weitere<br />

Entwicklung festzulegen. Dabei bestimmt das Kind seine nächsten<br />

Ziele weitgehend selbst.<br />

<strong>Kinder</strong>, gefragt nach <strong>ihr</strong>er Einschätzung, beschreiben den Schülersprechtag<br />

sehr treffend:<br />

• „Liebe Lehrerinnen und Lehrer, der Schülersprechtag ist toll und<br />

der Schülersprechtag sagt euch, was <strong>ihr</strong> verbessern könnt.“<br />

• „Schülersprechtag – ich fand es gut, dass die Lehrerinnen genauso<br />

gedacht haben wie ich und ich finde den Schülersprechtag wichtig,<br />

weil die <strong>Kinder</strong> dann wissen, wie die Lehrerinnen über einen Schüler<br />

denken.“<br />

Entwicklungsstern als Grundlage <strong>für</strong> Schülersprechtage<br />

Als Grundlage <strong>für</strong> den Dialog im Schülersprechtag dient ein sogenannter<br />

Entwicklungsstern. Diese Methode leitet sich aus einem Diagnoseverfahren<br />

von Margaret Carr (2001) ab. In <strong>ihr</strong>em Ansatz der „learning<br />

stories“ geht es darum, das <strong>Lernen</strong> von <strong>Kinder</strong>n zu beschreiben und<br />

auf Basis dieser Beschreibungen den Lernprozess zu unterstützen und<br />

zu fördern. Der Lernprozess des Kindes wird zum Gegenstand von<br />

Beobachtung und Dokumentation.<br />

4 Unterrichtsqualität Grundschule 1 09 10 08


Methodenkoffer „Unterrichtsqualität“ F 6.3<br />

Abb. F 6.3-2 Entwicklungsstern nach Margaret Carr (2001)<br />

Die Fachkräfte schätzen die Lerndisposition des einzelnen Kindes ein<br />

und markieren in einem kreisförmigen Profil je nach Intensität einen<br />

Punkt mit entsprechendem Abstand vom Mittelpunkt (siehe Abb.<br />

F 6.3-2). Entwickelt der Schüler Interesse, kann er sich auf ein Thema<br />

einlassen, bleibt er bei der Sache (standhalten), kann er sich selbst<br />

einschätzen, übernimmt er <strong>Verantwortung</strong> oder tauscht sich mit anderen<br />

aus? Werden die Punkte miteinander verbunden, entsteht der Entwicklungsstern.<br />

Ein Kreis wäre das optimale Ergebnis. Leicht lässt<br />

sich ablesen, wo ein Kind Stärken bzw. Schwächen hat, wo möglicherweise<br />

Ansatzpunkte <strong>für</strong> Unterstützungsangebote zu finden sind.<br />

Dieser Stern bzw. diese Methode wurde von Fridolin Sickinger weitergedacht<br />

und es entstand ein dialogisches Verfahren <strong>für</strong> die Einzelfallarbeit<br />

mit <strong>Kinder</strong>n (vgl. Freie Hansestadt Bremen 2009). Die Entwicklung<br />

eines Sterns im Dialog mit den <strong>Kinder</strong>n ist eine entscheidende<br />

Weiterentwicklung und macht diese Methode zu einem vielseitigen<br />

Instrument <strong>für</strong> die Arbeit mit Schülern. Ein komplexes Problem erhält<br />

eine klare und überschaubare Struktur – ähnlich wie ein Mind Map<br />

aber <strong>für</strong> <strong>Kinder</strong> leichter verständlich – und einzelne Bestandteile treten<br />

deutlich hervor. Mit Beteiligung der Schüler lassen sich hieraus kleine<br />

erreichbare und damit durch Erfolgschancen auch motivierende Ziele<br />

ableiten.<br />

Leistungsbewertung und Feedback<br />

Individuelle Stärken<br />

und Schwächen<br />

Eigene Kompetenzen<br />

erkennen<br />

Unterrichtsqualität Grundschule 1 09 10 08 5


F 6.3 Methodenkoffer „Unterrichtsqualität“<br />

Leistungsbewertung und Feedback<br />

Entwicklungsstern<br />

Der Entwicklungsstern ist eine Methode, um den Entwicklungsstand<br />

eines Schülers, seine Stärken und Schwächen einzuschätzen<br />

und zu analysieren. Der Stern bildet ein Fähigkeitsprofil ab. Jeder<br />

Zacken des Sterns (siehe Abb. F 6.3-3) steht <strong>für</strong> eine exemplarische<br />

Kompetenz wie z. B. „richtig schreiben“. Dazu gehört wiederum<br />

Rechtschreibhilfen verwenden, Wörterbuch nutzen, Rechtschreibhilfen<br />

des Computers kritisch nutzen. Jedes Kind kennzeichnet<br />

an seinem Stern, als wie weit entwickelt es selbst seine<br />

jeweiligen Kompetenzen einschätzt. Die Lehrkraft vergleicht die<br />

Einschätzungen des Schülers mit <strong>ihr</strong>en eigenen und zieht Schlüsse<br />

über Angebote, die sie zur Unterstützung der Lernwege des Schülers<br />

machen kann.<br />

Abb. F 6.3-3 Entwicklungsstern einer Schülerin<br />

6 Unterrichtsqualität Grundschule 1 09 10 08


Methodenkoffer „Unterrichtsqualität“ F 6.3<br />

So geht’s: Diagnose und Zielvereinbarung im Dialog<br />

Die Methode ist ganz einfach. Jeder Zacken des Sterns steht <strong>für</strong> eine<br />

Kompetenz. An einem Zacken steht z. B.: „Ich kann mich gut im Unterricht<br />

melden, wenn ich etwas mitteilen möchte.“ Jetzt ist das Kind<br />

gefragt: Wie schätze ich mich selbst ein? Ich kann es immer, dann<br />

male ich den ganzen Zacken aus. Ich kann es manchmal, dann male<br />

ich den halben Zacken aus etc. Nach unseren Erfahrungen schätzen<br />

sich <strong>Kinder</strong> fast immer richtig ein.<br />

Abb. F 6.3-4 Entwicklungsstern eines Schülers<br />

Im nächsten Schritt spiegelt die Lehrkraft <strong>ihr</strong>e Einschätzung mit der<br />

Sicht des Kindes. Fast immer liegen die Einschätzungen gleich. Sollte<br />

das nicht der Fall sein, besteht Erklärungsbedarf. Es folgt ein Gespräch<br />

zwischen Lehrkraft und Schüler. Besonders wichtig ist dabei<br />

der nächste Schritt: Der Schüler wählt aus, in welchem Bereich er<br />

seine Leistungen oder sein Verhalten verbessern möchte und wie er<br />

dabei unterstützt werden kann. Dies wird als Zielvereinbarung festgehalten.<br />

Der Schüler entscheidet selbst in einem dialogischen Prozess<br />

Leistungsbewertung und Feedback<br />

Lernstand besprechen<br />

und Ziele ableiten<br />

Unterrichtsqualität Grundschule 1 09 10 08 7


F 6.3 Methodenkoffer „Unterrichtsqualität“<br />

Leistungsbewertung und Feedback<br />

Gesprächsgrundlage<br />

Hilfsmittel: Protokoll<br />

ohne Belehrung oder Monolog seitens der Pädagogen wo er hin möchte,<br />

wo er sich verändern möchte.<br />

Beim Schülersprechtag besprechen Schüler und Lehrkraft anhand des<br />

Entwicklungssterns den Lernstand bezüglich der einzelnen Kompetenzen<br />

(Zacken). Die Erfahrungen zeigen, dass die Einschätzungen in<br />

der Regel übereinstimmen. Wenn nicht, haben beide Seiten die Möglichkeiten,<br />

<strong>ihr</strong>en Standpunkt zu erläutern. Dabei geht es letztendlich<br />

nicht darum, wer Recht hat. Entscheidend ist, dass der Schüler gehört<br />

und wahrgenommen wird und sich eigene Ziele <strong>für</strong> die Weiterarbeit<br />

setzt. Der Blick wird auf die Stärken gerichtet und der Schüler, der<br />

sehr wohl seine Schwächen erkennen kann, entscheidet sich selbst <strong>für</strong><br />

den nächsten Entwicklungsschritt. Dabei kann er selbst äußern, welche<br />

Unterstützung und Hilfen er braucht, erhält aber auch Vorschläge<br />

von der Lehrkraft. Die Ergebnisse des Gesprächs werden zu Überprüfung<br />

protokolliert.<br />

Protokoll zum Schülersprechtag<br />

Als notwendige Ergänzung dazu wurde ein Protokollformular <strong>für</strong> den<br />

Schülersprechtag entwickelt (siehe Formblatt F 6.3-1, S. 14). Das<br />

Protokoll wird während des Gesprächs geführt und enthält drei wesentliche<br />

Punkte:<br />

1. An welchem Punkt gibt es eine gravierende Differenz in der Einschätzung?<br />

2. An welchem Punkt möchtest du dich in der nächsten Zeit verbessern<br />

und welche Unterstützung benötigst du da<strong>für</strong>?<br />

3. Welches persönliche Anliegen hast du an die Lehrerin oder an die<br />

Klasse und was können wir tun?<br />

Dieses Protokoll wird von allen Beteiligten unterschrieben und gemeinsam<br />

mit den Entwicklungssternen in einem Portfolio aufbewahrt.<br />

3. Dokumentation im Portfolio<br />

<strong>Lernen</strong>twicklung dokumentieren<br />

Entwicklungssterne und Protokoll des Schülersprechtags werden in<br />

einem Ordner gesammelt und bilden einen wichtigen Baustein <strong>für</strong><br />

ein Portfolio, das die Entwicklung jedes Kindes dokumentiert.<br />

8 Unterrichtsqualität Grundschule 1 09 10 08


Methodenkoffer „Unterrichtsqualität“ F 6.3<br />

Einer Vereinbarung entsprechend ist das Portfolio eindeutig Eigentum<br />

des Kindes und darf nur mit seiner ausdrücklichen Genehmigung eingesehen<br />

oder anderweitig verwendet werden. Sollte es als Grundlage<br />

<strong>für</strong> Elterngespräche dienen, muss dazu die Erlaubnis des Kindes eingeholt<br />

werden. Wir gehen natürlich davon aus, dass das in der Regel<br />

kein Problem ist – trotzdem ist es wichtig, aus Respekt vor den <strong>Kinder</strong>n<br />

auch formal korrekt damit umzugehen.<br />

Die Inhalte, die das Portfolio letztendlich enthalten soll, werden in der<br />

Schule gerade diskutiert. Es gibt dazu folgende Vorschläge:<br />

Offizielle bzw. halb-offizielle Dokumente:<br />

• Vereinbarung zwischen Eltern und Schule: Wie gestaltet sich die<br />

Zusammenarbeit? Was erwarten Eltern von der Schule? Und was<br />

erwartet die Schule von den Eltern?<br />

• Entwicklungssterne und Protokolle<br />

• Originale oder Kopien der Zeugnisse<br />

Vom Kind ausgewählte Dokumente der individuellen Entwicklung:<br />

• besonders gelungene Arbeitsergebnisse<br />

• Urkunden und Zertifikate (Sportfest, Vorlesewettbewerb, Zertifikat<br />

der Teilnahme an einem Atelier)<br />

• Zeitungsartikel zu Projekten, an denen das Kind beteiligt war<br />

Besondere individuelle Leistungen:<br />

• Arbeitsergebnisse werden in einer „Schatzkiste“ bzw. einem Ordner<br />

gesammelt. Oft handelt es sich um gegenständliche Produkte,<br />

die dann <strong>für</strong> das Portfolio fotografiert werden.<br />

• Etwa ein Mal im Monat suchen die <strong>Kinder</strong> <strong>ihr</strong> bestes Produkt aus<br />

diesem Zeitabschnitt aus und legen es im Portfolio ab. Bei gegenständlichen<br />

Produkten entsprechend ein Foto.<br />

• Die Auswahl einer Arbeit soll vom Kind begründet werden.<br />

So entsteht im Laufe der Grundschulzeit ein Ordner mit den wichtigsten<br />

Dokumenten und Produkten in einer Form, die vielleicht weit über<br />

die Schulzeit hinaus ein wichtiges Entwicklungsdokument <strong>für</strong> die<br />

betreffende Person sein kann.<br />

Leistungsbewertung und Feedback<br />

Inhalte des Portfolios<br />

Unterrichtsqualität Grundschule 1 09 10 08 9


F 6.3 Methodenkoffer „Unterrichtsqualität“<br />

Leistungsbewertung und Feedback<br />

Der Blick über<br />

den Tellerrand<br />

Methoden –<br />

Input von außen<br />

Einzelne Bausteine<br />

kombinieren<br />

4. Wie die Idee zum Leben erwachte<br />

Das erste Puzzleteil: Selbsteinschätzung und Beteiligung<br />

Damit Schüler mehr <strong>Verantwortung</strong> <strong>für</strong> <strong>ihr</strong>en eigenen Lernprozess<br />

<strong>übernehmen</strong> können, machten einzelne Kolleginnen ursprünglich Versuche,<br />

mit Schülerverträgen und Zielvereinbarungen zu arbeiten und<br />

forderten da<strong>für</strong> eine Zeitressource ein. Diese Ideen fanden aber keine<br />

Mehrheit im Kollegium. Durch unsere Kontakte zu skandinavischen<br />

Schulen erfuhren wir, dass dort sehr viel mit der Selbsteinschätzung<br />

der Schüler gearbeitet wird. <strong>Kinder</strong> werden immer gefragt, was sie<br />

gelernt haben, was sie besonders gut können, was sie sich anders wünschen.<br />

Das heißt die <strong>Verantwortung</strong> <strong>für</strong> das eigene <strong>Lernen</strong>, die Beteiligung<br />

an der Gestaltung des <strong>Lernen</strong>s hat dort eine andere Bedeutung.<br />

Wir versuchten, diese Ideen auch in unserer Schule zu verbreiten,<br />

noch fehlte aber ein verbindliches Konzept.<br />

Das zweite Puzzleteil: Entwicklungsstern als Methode<br />

Dann wurden wir über die benachbarten Kitas auf eine neue Methode<br />

aufmerksam: Warum nicht die <strong>Lernen</strong>twicklung an einem Entwicklungsstern<br />

aufzeigen? Die Idee, die einfache Durchführbarkeit und<br />

innere Logik mit dem Entwicklungsstern in der Einzelfallhilfe hatten<br />

das gesamte Kollegium sehr beeindruckt und einige Kolleginnen<br />

machten sich sofort daran, diese Methode auszuprobieren. Und es kam<br />

wie es im Schulalltag oft kommt: Ein gutes Verfahren aber auf die<br />

gesamte Klasse kaum umsetzbar. Viele <strong>Kinder</strong>, viel Zeit, die nicht zur<br />

Verfügung steht. Alle Rückmeldungen waren positiv aber die Umsetzbarkeit<br />

und damit Nachhaltigkeit wurden durch den harten Schulalltag<br />

sehr begrenzt.<br />

Das Puzzle fügt sich zusammen: Schülersprechtag plus Entwicklungssterne<br />

In dieser Situation wurden wir während einer Hospitation in einer<br />

anderen Schule mehr zufällig mit der Durchführung von Schülersprechtagen<br />

konfrontiert. Und plötzlich setzten sich mehrere lang gesuchte<br />

Puzzleteile zusammen, die hervorragend zu unseren pädagogischen<br />

Ansprüchen passten und zu einem wichtigen Baustein unseres<br />

Konzepts wurden:<br />

– Beteiligung der <strong>Kinder</strong>,<br />

– <strong>Verantwortung</strong> <strong>für</strong> das eigene <strong>Lernen</strong>,<br />

– selbstbestimmte Ziele,<br />

10 Unterrichtsqualität Grundschule 1 09 10 08


Methodenkoffer „Unterrichtsqualität“ F 6.3<br />

– ein wenig aufwändiges und leicht zu verstehendes Verfahren <strong>für</strong><br />

alle Beteiligten (<strong>Kinder</strong>, Eltern, Lehrkräfte) und<br />

– authentische Dokumente zum Leistungsstand und zur Entwicklung<br />

eines Kindes.<br />

Wir beschlossen, sogenannte Fachsterne <strong>für</strong> die Selbsteinschätzung<br />

der <strong>Kinder</strong> zu <strong>ihr</strong>en schulischen Leistungen als Grundlage <strong>für</strong> die Gespräche<br />

mit den <strong>Kinder</strong>n an einem Schülersprechtag zu nehmen.<br />

Schritt <strong>für</strong> Schritt zur Umsetzung<br />

Einige Lehrkräfte probierten die Methode „Entwicklungsstern“ in<br />

<strong>ihr</strong>en Klassen aus. Gemeinsam mit den <strong>Kinder</strong>n entwickelten sie einen<br />

Stern und diskutierten mit ihnen, welche Items in den Bereichen<br />

Deutsch, Mathematik, Englisch und Verhalten in der Klasse (Sozialstern)<br />

in diesem Schuljahr wichtig waren bzw. was in diesen Fächern<br />

gelernt wurde. Mühelos wurden so die Bildungsstandards auf Schülerebene<br />

heruntergebrochen. Das heißt die Schüler formulierten mit <strong>ihr</strong>en<br />

eigenen Worten exemplarisch die Kompetenzen, die in den Bildungsstandards<br />

formuliert sind.<br />

Jedes Kind erhielt dann ein leeres Blatt und wurde aufgefordert, die<br />

Zacken zu beschriften und entsprechend der eigenen Einschätzung<br />

auszumalen. In keiner Jahrgangsstufe war das ein wirkliches Problem.<br />

Die Kleinen verwendeten bekannte Symbole zur Beschriftung der<br />

Zacken oder entwickelten neue. Innerhalb einer Stunde gab es von<br />

allen <strong>Kinder</strong>n eine ernsthafte und gut nachvollziehbare Einschätzung<br />

<strong>ihr</strong>er individuellen Leistungen. Und weitestgehend gab es eine Übereinstimmung<br />

mit der Einschätzung der Lehrerin.<br />

Diese Erfahrungen überzeugten auch die letzten skeptischen Kolleginnen<br />

und im Kollegium wurde auf einer Gesamtkonferenz einstimmig<br />

die Durchführung von zwei Schülersprechtagen pro Jahr auf dieser<br />

Grundlage beschlossen. Diese Beschlüsse wurden entsprechend<br />

vom Elternbeirat, vom Schülerparlament und von der Schulkonferenz<br />

bestätigt (siehe Formblatt F 6.3-2, S. 15).<br />

Leistungsbewertung und Feedback<br />

Das Konzept im Alltag<br />

Überzeugung durch<br />

Erfolg<br />

Unterrichtsqualität Grundschule 1 09 10 08 11


F 6.3 Methodenkoffer „Unterrichtsqualität“<br />

Leistungsbewertung und Feedback<br />

Ein voller Erfolg<br />

5. Positive Erfahrungen<br />

An der Schule wurden bisher zwei Schülersprechtage durchgeführt.<br />

Einer nach den Herbstferien und einer nach den Osterferien. Die Akzeptanz<br />

war eindeutig. In der Woche vor dem Sprechtag wurden in<br />

allen Klassen die Sterne entwickelt und ausgefüllt. Wie beim Elternsprechtag<br />

wurden Termine vergeben und selten erlebten wir eine größere<br />

Ernsthaftigkeit. Alle <strong>Kinder</strong> kamen und alle waren besonders<br />

pünktlich. Teilweise wurden die <strong>Kinder</strong> von den Eltern gebracht. Sie<br />

waren schick angezogen und machten damit die Besonderheit des<br />

Ereignisses deutlich.<br />

Am zweiten Sprechtag wurde auf die Ergebnisse des ersten Sprechtags<br />

Bezug genommen und die Fortschritte der <strong>Kinder</strong> wurden gewürdigt.<br />

Im Anschluss an die Gespräche haben wir einige <strong>Kinder</strong> und Eltern<br />

interviewt und nach <strong>ihr</strong>er Meinung gefragt. Es gab ausnahmslos positive<br />

Resonanz.<br />

Das sagen unsere Schüler zum Schülersprechtag …<br />

• Liebe Lehrerinnen und Lehrer, der Schülersprechtag<br />

ist toll und der Schülersprechtag sagt euch was <strong>ihr</strong><br />

verbessern könnt.<br />

• Ich fand es gut, dass die Lehrerin genauso gedacht<br />

hat wie ich und ich finde den Schülersprechtag wichtig,<br />

weil die <strong>Kinder</strong> wissen können, wie die Lehrerinnen<br />

über sie denken.<br />

• Schülersprechtag ist wichtig. Dann weiß ich, wie viel<br />

ich schon kann und was ich noch lernen muss.<br />

• Ich finde den Schülersprechtag super toll, denn da<br />

verbessere ich mein Lesen und ich bin jetzt schon<br />

besser beim Lesen.<br />

• Für mich ist der Schülersprechtag was Besonderes, weil da kann ich wissen, ob ich gut oder<br />

schlecht bin oder ob ich was verbessern muss. Und ich habe mir vorgenommen, dass ich zuhöre<br />

und weniger quatsche und rede.<br />

• Der Schülersprechtag ist sehr wichtig, weil Lehrerin und <strong>Kinder</strong> sich einschätzen können.<br />

• Ich finde gut, dass wir Sterne haben. Da können wir gucken, wo wir schon sind.<br />

• Schülersprechtag ist <strong>für</strong> mich was Besonderes, weil ich wissen will, wie ich im Unterricht war.<br />

• Der Schülersprechtag ist sehr schön, weil man dann sehen kann, wie gut man arbeiten kann.<br />

• Der Schülersprechtag ist was Besonderes <strong>für</strong> mich. Da redet man, was ich verbessern will. Also<br />

da redet man, was zum Beispiel <strong>für</strong> mich schwer war.<br />

• Ich finde den Schülersprechtag sehr schön, weil wir da Zeit haben, mit den Lehrerinnen zu reden<br />

und es ist sehr schön – danke.<br />

12 Unterrichtsqualität Grundschule 1 09 10 08


Methodenkoffer „Unterrichtsqualität“ F 6.3<br />

Viele Teile ergeben ein Ganzes!<br />

Schule ist vergleichbar mit einem lebendigen Organismus: Die isolierte<br />

Betrachtung eines einzelnen Bausteins greift zu kurz. Wie die Hand<br />

sich nur in Verbindung mit dem Gehirn bewegt, so entsteht auch der<br />

Erfolg eines schulischen Bausteins nur in der Verbindung mit anderen<br />

Bausteinen.<br />

Ein Kollegium muss eine Haltung zur Beteiligung von <strong>Kinder</strong>n an der<br />

Gestaltung von Schule, zur respektvollen Wahrnehmung der Persönlichkeit<br />

eines Kindes entwickeln und beständig daran arbeiten. In diesem<br />

Beitrag wurden viele Bausteine unseres Konzepts erwähnt ohne<br />

sie weiter zu erläutern. Vielleicht ist aber deutlich geworden, dass<br />

auch so eine simple Methode wie ein Entwicklungsstern erst dann <strong>ihr</strong>e<br />

Bedeutsamkeit entwickeln kann, wenn eine starke Vernetzung zu anderen<br />

Bausteinen des Systems besteht.<br />

Wenn Sie mehr erfahren wollen …<br />

Weitere Informationen zu unserem Schulkonzept und unserer<br />

Schulentwicklung sind auf unserer Homepage dokumentiert:<br />

www.gts-tenever.de<br />

Literatur<br />

[1] Carr, Margaret 2001: Assessment in Early Childhood Settings. Learning Stories.<br />

London: SAGE.<br />

[2] Largo, Remo H./Beglinger, Martin 2009: Schülerjahre. Wie <strong>Kinder</strong> besser lernen.<br />

München: Piper.<br />

[3] Freie Hansestadt Bremen (Hrsg.) 2009: TransKiGs. Gestaltung des Übergangs<br />

von der Kita in die Schule. Für eine kontinuierliche kindliche Bildungsbiografie.<br />

Leistungsbewertung und Feedback<br />

Vernetzung<br />

von Einzelteilen<br />

Unterrichtsqualität Grundschule 1 09 10 08 13


F 6.3 Methodenkoffer „Unterrichtsqualität“<br />

Leistungsbewertung und Feedback<br />

Protokoll zum Schülersprechtag<br />

Teilnehmer:<br />

6. Arbeitshilfen<br />

Datum:<br />

_______________________________________________________________________________<br />

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_______________________________________________________________________________<br />

1. Das haben wir zu meiner Selbsteinschätzung besprochen:<br />

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2. Das haben wir verabredet, hier werde ich mich besonders anstrengen:<br />

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_______________________________________________________________________________<br />

3. Welche Unterstützung brauche ich? Was ist mein Anliegen an den Lehrer/die Lehrerin/die Klasse?<br />

_______________________________________________________________________________<br />

_______________________________________________________________________________<br />

_______________________________________________________________________________<br />

_______________________________________________________________________________<br />

____________________ ____________________<br />

Lehrkraft Schüler<br />

Formblatt F 6.3-1 Protokoll zum Schülersprechtag<br />

14 Unterrichtsqualität Grundschule 1 09 10 08


Methodenkoffer „Unterrichtsqualität“ F 6.3<br />

Beschlussvorlage<br />

Einführung von Schülersprechtagen<br />

Leistungsbewertung und Feedback<br />

Datum:<br />

Vorlage bei folgenden Gremien:<br />

Klassensprecherversammlung, Mitarbeiterkonferenz, Elternbeirat, Schulkonferenz<br />

Ab dem Schuljahr werden an der Name der Schule neben den bestehenden Elternsprechtagen<br />

zwei verbindliche Schülersprechtage eingeführt. Sie finden jeweils nach den Herbst- und nach<br />

den Osterferien statt.<br />

Die Schüler und Schülerinnen haben jeweils an einem Tag unterrichtsfrei. Die Schule bietet einen<br />

Notdienst an. Alle <strong>Kinder</strong> werden zu Einzelgesprächen eingeladen.<br />

Inhalt der Gespräche sind die Leistungen der <strong>Kinder</strong> im Arbeits- und Sozialverhalten, in Deutsch<br />

und Mathematik und ab der 3. Klasse in Englisch.<br />

Grundlage <strong>für</strong> die Gespräche ist eine Selbsteinschätzung des Kindes in den verschiedenen Bereichen<br />

(Deutsch, Mathematik, Englisch und Verhalten in der Klasse, also soziale und kommunikative<br />

Kompetenzen) sowie die Einschätzung durch die Klassenteams.<br />

In einem Gesprächsprotokoll werden …<br />

– gravierende Differenzen in den Einschätzungen,<br />

– eine konkrete Verabredung <strong>für</strong> die weitere Arbeit und<br />

– besondere Anliegen des Kindes festgehalten.<br />

Die Einschätzungen sowie die Gesprächsprotokolle werden in einem Portfolio <strong>für</strong> jedes Kind gesammelt<br />

und dokumentieren die <strong>Lernen</strong>twicklung des Kindes.<br />

Formblatt F 6.3-2 Beschlussvorlage zur Einführung von Schülersprechtagen<br />

Unterrichtsqualität Grundschule 1 09 10 08 15


F 6.3 Methodenkoffer „Unterrichtsqualität“<br />

Leistungsbewertung und Feedback<br />

16 Unterrichtsqualität Grundschule 1 09 10 08

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