<strong>Leben</strong> <strong>nach</strong> <strong>Migration</strong>Seite 4Gstaltet vom Künstler AndilGosineKarrikatur: Hayativon ‚Migranten‘ voranzutreiben.Grenzen: Muslim-TestRückständig, archaisch, vormodern oderunterdrückt sind nur einige der Begriffe,die wir in der sehr neuen Sparte von Medienberichtenzu Sexualität und <strong>Migration</strong>oft lesen. Im Vergleich zu denen, dieim Zuge des Krieges und der europäischenIntegration von ‚Ausländern‘ zu‚Muslimen‘ werden, wird die deutscheGesellschaft (mit einem Löffelchen vollAmnesie) als Paradies sexueller Freiheitvorstellbar. In der Debatte um den sogenanntenMuslim-Test in Baden-Württemberg 2006 wird Frauen- undSchwulenfreundlichkeit gar zum deutschenKernwert. Rund die Hälfte der 30Fragen beschäftigen sich mit dem Sicherheitsrisikound Terrorpotenzial sogenannter‚muslimischer‘ Bewerber/innenfür die deutsche Staatsangehörigkeit(‚Was denken Sie über die Ü-bergriffe am 11. September?‘). Die andereHälfte dreht sich um Geschlecht undSexualität (‚Was würden Sie tun, wennIhr Sohn sich als Homosexuell outenwürde?‘). Nicht nur die CDU steht hinterdem Test – unterstützt wird er auch vondem <strong>Berlin</strong>er Lesben- und SchwulenVerband Deutschland (LSVD). Somitwird aus einem Staat, der bis vor kurzemkaum ein Hehl aus seiner Abneigunggegen Homosexuelle machte, einer, derdiese vor Homophobie schützen soll.Deutschlands größte Schwulenorganisationschlägt sich nunmehr eindeutig aufdie Seite eines Systems, das die CivilRights von People of Color immer unverhohlenerunterwandert.Kriminalität: HassgewaltIn den letzten Jahren der Dekade spieltdas Drama um ‚homophobe Migranten‘vermehrt in den gentrifizierenden Innen-städten von Hamburg und <strong>Berlin</strong>, aberauch anderen westeuropäischen Großstädtenwie Oslo, Kopenhagen, Amsterdamund London, die zum Tatort derneuesten Moralpanik über ‚Hasskriminalität‘werden. In <strong>Berlin</strong> finden 2008 alleinmehrere Aufmärsche statt. Es wird zuBoykotts gegen ‚südländische‘ Läden(zuweilen gleich gegen ‚Muslime‘) aufgerufen.Gewaltsame Vorfälle werden zumKapitel, aus dem sich Medienaufmerksamkeitund staatliche Förderung schlagenlässt. Dies ist selbst dann der Fall,wenn der Wahrheitsgehalt stark umstrittenist. Auch dem schwulen Überfalltelefon,das sich als weitere Expertin zumThema ‚homophobe Migranten‘ stilisierthat, wird szene-intern vorgeworfen, ethnisierteTäterstatistiken gefälscht zu haben.Rassismus-Skandal auf dem CSDMit Judith Butlers Verweigerung des Zivilcourage-Preiseswurde die rassistischeWende Weißer deutscher Sexualpolitikenerstmals skandalisiert. Währenddie schwullesbischen Vereine sich bislangnicht zu dieser Kritik positionieren,hat die Debatte um den Skandal zu einerweiteren Stärkung von Koalitionen zwischenheterosexuellen Migrant/innen undQueers of Color geführt, die auch in diesemgemeinsam herausgegebenenNewsletter zum Ausdruck kommen. AlsQueer- und Trans Leute of Color fühlenwir uns durch diese Koalitionen ermutigtund gestärkt. Wir werden sie brauchen,um Rassismus, Homophobie, Transphobie,Militarisierung und Kriminalisierungein Ende zu bereiten.
Seite 5<strong>Leben</strong> <strong>nach</strong> <strong>Migration</strong>Das Zusammenspiel von Rassismus,Homophobie undTransphobie im <strong>Leben</strong> vonQueers of ColorAls Schwarze Menschen und People ofColor sind wir auf unterschiedliche Weisemit den Ausdrucksformen von Rassismuskonfrontiert. Er durchzieht als Macht- undUnterdrückungssystem alle gesellschaftlichenund sozialen Bereiche. Geschlecht,Gender und Sexualität bilden hierbei keineAusnahmen. Die hiesig gesellschaftlichakzeptierten Genderrollen sind durchrassistische Muster festgelegt, ebensodie Vorstellung über Sexualität oder einemgeschlechtseindeutigen Körper. Alsqueers of Color bekommen wir Formenvon Rassismus zu spüren die untrennbarmit unserer Sexualität, unserer Genderidentitätund Geschlecht verbunden sind.Vielmehr als bei einer Schnittstelle an dersich Rassismus, Homophobie, Transphobieund Sexismus wie verschiedene Formender Diskriminierung überschneiden,bedingen sie einander, schaffen sich gegenseitig.Schwarze Körper, Homophobieund RassismusEuropäische heteronormative Vorstellungenvon Männlichkeiten und Weiblichkeitensind zutiefst rassistisch.Die Geschlechterlinien die hier gezogenwerden, dienen nicht nur dazu ein binäresGeschlechtersystem zu erschaffen, sondernauch um Weißsein als weiteresMerkmal in der Geschlechterkonstruktionzu verankern.Natürlich steht beim Wettkampfsport der Körper imVordergrund. Wie viel Zeit man damit verbringt Bewegungsabläufezu trainieren, Muskelkraft aufzubauenoder Fett zu verlieren. Und dann steht manvor dieser weißen Meute und muss sich anhörenwie sie das ganze Wissen, das sie vorgeben längstvergessen zu haben, über Schwarze Muskeln, Ausdauerund Reflexe- Rassentheorien, von sich geben.Und natürlich sind deine Sexualität und deinnicht heteronormatives Erscheinungsbild zuviel fürdie Nerven deiner blonden Gegnerin im modernenSportröckchen. Als Schwarze queere/lesbische Frauhabe ich mich bewusst gegen eine Karriere im Sportentschieden.Sie werden es hassen wenn wiran einem Strang ziehenGeschlecht, Geschlechtereindeutigkeit,sexuelle Identität/Orientierung haben eineFarbe. Im Zuge der Kulturalisierung vonHomophobie, Transphobie und Sexismus,wird die individuelle Gestaltung vonGeschlecht und Sexualität ohne innereWidersprüche als ein weißes Privileg gedachtund People of Color zu Hauptverdächtigenim Kampf gegen geschlechtlicheund sexuelle Vielfalt erklärt. Eine Positionierungzu unseren Brüdern undSchwestern Of Color ist daher für uns vongroßer Wichtigkeit. Hier müssen wir unsgemeinsam mit Heteronormativität,Transphobie und Homophobie als gesamtgesellschaftlichesProblem auseinandersetzen.In meiner Arbeit (und der von vielen anderenQueers of Color) in einer anti-rassistischen Queersof Color-Organisation kommt es meistens dazu,dass ich wegen dem "Oh, "die" "Migrant_innen" sindviel, viel homophober als WIR" Argument vergesse,dass ich eine Trans/Queer of Color-Person bin, weilich die ganze Zeit damit beschäftigt bin "of Color" zusein. Meine queere Identität wird in den meistenFällen sowohl von Weißen nichttrans/heterosexuellenMenschen, als auch von WeißenQueers ausgelöscht.Weiße VerbündeteWeiße LSBT*-Organisationen haben sichin den letzten Jahren darauf spezialisiertqueers of Color vor ihren „superhomophoben“Familien of Color „retten“ zuwollen. Voller Unverständnis blicken sieauf ebenjene, die auf den Rassismus inweißen LSBT Zusammenhängen verweisen.Weiße Verbündete die sich ihrer Privilegienin Bezug auf ihr Weißsein bewusstsind, sind im Hinblick auf das gemeinsameInteresse eine Nichthomophobe,Nichttransfeindliche, NichtheteronormativeGesellschaft zu kreieren unabdinglich.Als eine weiße Verbündete ist es meine Verantwortungdie Verbindungen zwischen Rassismus, Homophobie,Transphobie und Sexismus zu suchen/verstehenund sie in verschiedenen Kontextensichtbar machen. Weiße Menschen sind im Gegensatzzu sogenannten Migrant_innen und People ofColor nicht betroffen. Wenn wir von einem WeißenPrivileg sprechen, meinen wir das Privileg rassistischeGewalt nicht jeden Tag selber zu erleben,<strong>Leben</strong> <strong>nach</strong> <strong>Migration</strong>Jahresspecial zuHomophobie undRassismusEine Kooperation des MRBBmit SUSPECT (siehe Infoboxauf S. 6)Die Texte auf den Seiten 3 bis 8stammen aus der Feder vonSUSPECT Mitgliedern unter derRedaktion von <strong>Leben</strong> <strong>nach</strong><strong>Migration</strong>.Am 09.06.2010 lehnte JudithButler den Zivilcouragepreis desCSD e.V. in <strong>Berlin</strong> ab. In der 6.Ausgabe von <strong>Leben</strong> <strong>nach</strong> <strong>Migration</strong>dieses Jahr haben wir dieAblehnungsrede abgedrucktund mit Judith Butler gesprochen.Gleichzeitig entstand die Ideefür ein Jahresspecial in Formeiner Kooperation vom MRBBund von SUSPECT.*Lesben, Schwule, Bisexuelleund Transmenschen