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Privatgalerien in der DDR zwischen Eigensinn und ... - Galerie Laterne

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Katalogbeitrag <strong>Galerie</strong> <strong>Laterne</strong> – Yvonne Fiedler<br />

„Hunger nach Antworten“<br />

<strong>Privatgalerien</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>zwischen</strong> Eigens<strong>in</strong>n <strong>und</strong> Illegalität<br />

Seit Mitte <strong>der</strong> siebziger Jahre, so stellte e<strong>in</strong> Leipziger Stasi-Offizier 1988 fest, würden Gruppen junger<br />

Künstler kont<strong>in</strong>uierlich versuchen, die Kulturpolitik <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> zu unterlaufen. Mehr noch, sie gründeten<br />

sogar eigene Institutionen: „Im Mittelpunkt dabei stand immer <strong>der</strong> Versuch <strong>der</strong> Schaffung von staatlicher<br />

<strong>und</strong> parteilicher E<strong>in</strong>flussnahme bzw. Kontrolltätigkeit freier <strong>Galerie</strong>- <strong>und</strong> Kunsthandelstätigkeit.“ 1 Was <strong>der</strong><br />

Leiter <strong>der</strong> Abteilung XX/7 hier <strong>in</strong> grammatikalisch verw<strong>in</strong>kelter Form beschrieb, war <strong>der</strong> seit Gründung <strong>der</strong><br />

<strong>DDR</strong> nie versiegte Wille e<strong>in</strong>zelner Kulturschaffen<strong>der</strong> <strong>und</strong> -för<strong>der</strong>er, die Präsentation <strong>und</strong> den Verkauf von<br />

Kunst selbst <strong>in</strong> die Hand zu nehmen. Nicht erst seit Mitte <strong>der</strong> 70er Jahre, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> den gesamten 40<br />

Existenzjahren <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> gab es Akteure, die <strong>in</strong> ihrer Wohnung, ihrem Atelier o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Abrisshäusern private<br />

<strong>Galerie</strong>n betrieben. Sie verhalfen nonkonformer Kunst zu e<strong>in</strong>er Öffentlichkeit, die ihr im staatlichen<br />

Kulturbetrieb versagt blieb. Mancher Künstler von heute <strong>in</strong>ternationalem Ruf – so beispielsweise Jörg<br />

Herold, Cornelia Schleime <strong>und</strong> Via Lewandowsky – hat se<strong>in</strong>e Karriere <strong>in</strong> <strong>Privatgalerien</strong> begonnen.<br />

Individuelles Engagement war <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kulturpolitik <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> we<strong>der</strong> vorgesehen noch erwünscht. Das<br />

galt sowohl für künstlerische Inhalte als auch für die Organisation des Kulturbetriebs. Stattdessen schrieb die<br />

SED <strong>der</strong> Kunst e<strong>in</strong>e klare gesellschaftliche Funktion zu: Sie sollte „über die Entwicklung des sozialistischen<br />

Bewußtse<strong>in</strong>s auf die Herausbildung sozialistischer Persönlichkeiten, Verhaltensweisen, die Entfaltung <strong>der</strong><br />

Gefühle“ wirken <strong>und</strong> damit „e<strong>in</strong>en wichtigen Entwicklungsfaktor <strong>der</strong> sozialistischen Gesellschaft“ bilden. 2<br />

Sie konnte sowohl Erziehungs<strong>in</strong>strument als auch Gefahr se<strong>in</strong> <strong>und</strong> wurde daher sorgfältig gesteuert.<br />

Wer sich <strong>der</strong> sozialistischen Kunstideologie nicht beugen wollte, suchte abseits <strong>der</strong> staatlichen<br />

Strukturen nach Freiräumen für <strong>in</strong>dividuelles Schaffen. Obwohl dieses Streben nach Autonomie nicht selten<br />

ideologische E<strong>in</strong>flussversuche, Überwachung, Ausstellungs- <strong>und</strong> Auftrittsverbote nach sich zog, bildete sich<br />

e<strong>in</strong>e virile <strong>und</strong> gut vernetzte Alternativkultur. Sie war weniger e<strong>in</strong>e Gegen-, son<strong>der</strong>n vor allem e<strong>in</strong>e<br />

Parallelbewegung, e<strong>in</strong>e „ausgegrenzte Kultur“ 3 .<br />

<strong>Privatgalerien</strong> wurden zu zentralen Plattformen dieser Alternativkultur. Wenngleich die Akteure sich<br />

bei ihrer Arbeit <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie von ihrer Kunstleidenschaft leiten ließen <strong>und</strong> ke<strong>in</strong>e politisch-oppositionellen<br />

Ambitionen hegten, wurden sie von <strong>der</strong> SED argwöhnisch beobachtet <strong>und</strong> vom M<strong>in</strong>isterium für<br />

Staatssicherheit (MfS) als „fe<strong>in</strong>dlich-negative Elemente“ e<strong>in</strong>gestuft. Dort, wo <strong>der</strong> künstlerische Eigens<strong>in</strong>n<br />

<strong>der</strong> Galeristen <strong>und</strong> <strong>der</strong> staatliche Anspruch auf Kulturhoheit aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> trafen, kam es zu ständigen<br />

Reibungen, die vom Versuch <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>nahmung bis zur offenen Repression reichen konnten.<br />

Trotz Überwachung, trotz begrenzter räumlicher, technischer <strong>und</strong> zeitlicher Ressourcen <strong>und</strong> trotz e<strong>in</strong>es<br />

oft selbstru<strong>in</strong>ös hohen F<strong>in</strong>anzaufwandes entstanden während <strong>der</strong> Existenzzeit <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> m<strong>in</strong>destens 41 4<br />

<strong>Privatgalerien</strong>. Sie bildeten e<strong>in</strong>en Gegenpol zu den <strong>Galerie</strong>n des Kulturb<strong>und</strong>es, <strong>der</strong> Künstlergenossenschaften<br />

1


Katalogbeitrag <strong>Galerie</strong> <strong>Laterne</strong> – Yvonne Fiedler<br />

<strong>und</strong> des staatlichen Kunsthandels, die dem sozialistischen Realismus verpflichtet waren <strong>und</strong> oft konservative<br />

bis bie<strong>der</strong>e Programme fuhren. 5 <strong>Privatgalerien</strong> entstanden vornehmlich <strong>in</strong> größeren Städten wie Berl<strong>in</strong>,<br />

Dresden, Halle, Leipzig, Erfurt <strong>und</strong> Karl-Marx-Stadt, <strong>in</strong> denen e<strong>in</strong>e dichte kulturelle Infrastruktur <strong>und</strong><br />

Tradition existierte. Aber auch <strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>städten wie Wismar <strong>und</strong> Weimar gab es e<strong>in</strong>zelne Initiativen (siehe<br />

Karte).<br />

Ihre Hochzeit hatten die <strong>Privatgalerien</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>. Vor allem <strong>in</strong> den späten 80er<br />

Jahren lassen sich nach <strong>der</strong>zeitigem Kenntnisstand bis zu 15 dieser autonomen Ausstellungsorte gleichzeitig<br />

nachweisen (siehe Diagramm 1). Die Existenzdauer <strong>der</strong> privaten <strong>Galerie</strong>n war höchst unterschiedlich:<br />

Manche – so die <strong>Galerie</strong> Konkret <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> (1960) – kamen über e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Ausstellung nicht h<strong>in</strong>aus,<br />

an<strong>der</strong>e – wie die Erfurter Ateliergeme<strong>in</strong>schaft (1963 – 1974), die EP-<strong>Galerie</strong> Jürgen Schwe<strong>in</strong>ebraden <strong>in</strong><br />

Berl<strong>in</strong> (1974 – 1980) o<strong>der</strong> die Selbsthilfegalerie r-g <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> (1982 – 1990) – präsentierten über Jahre<br />

h<strong>in</strong>weg e<strong>in</strong> dichtes Programm (siehe Diagramm 2). E<strong>in</strong>ige <strong>in</strong> den späten 80ern gegründete Initiativen<br />

existieren bis heute, darunter die Eigen + Art <strong>in</strong> Leipzig, die <strong>Galerie</strong> Gebrü<strong>der</strong> Lehmann <strong>in</strong> Dresden (ehemals<br />

Artefakt), die Wohnmasch<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> <strong>und</strong> die ACC-<strong>Galerie</strong> Weimar.<br />

Viele <strong>Galerie</strong>betreiber waren selbst Künstler. E<strong>in</strong>ige kamen jedoch auch aus branchenfremden<br />

Berufen, waren Heilgymnasten wie Ursula Bar<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Dresden, Psychologen wie Jürgen Schwe<strong>in</strong>ebraden <strong>in</strong><br />

Berl<strong>in</strong>, Pädagogen <strong>und</strong> Mathematiker wie Ingrid <strong>und</strong> Dietrich Bahß <strong>in</strong> Magdeburg. Die meisten Akteure<br />

g<strong>in</strong>gen tagsüber Brotberufen nach <strong>und</strong> organisierten den <strong>Galerie</strong>betrieb <strong>in</strong> ihrer Freizeit. Ihre reguläre<br />

Beschäftigung zugunsten <strong>der</strong> – nicht angemeldeten – Arbeit mit Kunst aufzugeben, hätte die Betreffenden ab<br />

1968 mit dem so genannten Asozialen-Paragraphen <strong>in</strong> Konflikt gebracht. Er drohte demjenigen, <strong>der</strong> „das<br />

gesellschaftliche Zusammenleben <strong>der</strong> Bürger o<strong>der</strong> die öffentliche Ordnung <strong>und</strong> Sicherheit bee<strong>in</strong>trächtigt,<br />

<strong>in</strong>dem er sich aus Arbeitsscheu e<strong>in</strong>er geregelten Arbeit entzieht“ im schweren Fall e<strong>in</strong>e Freiheitsstrafe von<br />

bis zu zwei Jahren an. 6<br />

Motivation, künstlerische Idee <strong>und</strong> Programm <strong>der</strong> Galeristen unterschieden sich je nach Lebensweg,<br />

Bildung <strong>und</strong> persönlichen Vorlieben, es lassen sich jedoch drei große Zeitabschnitte ausmachen, <strong>in</strong>nerhalb<br />

<strong>der</strong>er sich das Selbstverständnis <strong>der</strong> Protagonisten <strong>und</strong> ihre Haltung zum kulturpolitischen System jeweils<br />

ähneln.<br />

Die 50er <strong>und</strong> 60er Jahre: Idealistische Neuanfänge <strong>zwischen</strong> Kunsthandel <strong>und</strong> Salon<br />

Die erste Generation von Privatgaleristen war noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Weimarer Republik sozialisiert worden <strong>und</strong><br />

bildungsbürgerlich geprägt. Viele Akteure <strong>der</strong> 50er <strong>und</strong> 60er Jahre pflegten e<strong>in</strong> humanistisches<br />

Kunstverständnis; sie waren motiviert von dem Wunsch, dem schöpferischen Potential zeitgenössischer<br />

Künstler unabhängig von <strong>der</strong>en politischer Anerkennung e<strong>in</strong>e Plattform zu geben. Es s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> dieser frühen<br />

Phase nur wenige re<strong>in</strong>e <strong>Privatgalerien</strong> nachweisbar; <strong>in</strong> vielen Fällen handelte es sich stattdessen um Buch-<br />

o<strong>der</strong> Antiquitätenhandel mit angeschlossener Verkaufsgalerie, für die leichter e<strong>in</strong>e Zulassung zu erhalten war<br />

2


Katalogbeitrag <strong>Galerie</strong> <strong>Laterne</strong> – Yvonne Fiedler<br />

<strong>und</strong> mit denen sich wirtschaftlich arbeiten ließ. In <strong>der</strong> Leipziger Klostergasse beispielsweise betrieb Kurt<br />

Engewald e<strong>in</strong>e private Buchhandlung mit Antiquariat <strong>und</strong> zeigte <strong>in</strong> den Nebenräumen kle<strong>in</strong>e Ausstellungen.<br />

Zu den wenigen re<strong>in</strong>en <strong>Galerie</strong>betrieben zählte die <strong>Galerie</strong> Henn<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Halle. 7 Von 1947 bis wenige<br />

Monate vor se<strong>in</strong>em Freitod 1962 organisierte <strong>der</strong> Kunstverleger <strong>und</strong> –händler Eduard Henn<strong>in</strong>g e<strong>in</strong> dichtes<br />

Expositions- <strong>und</strong> Katalogprogramm. Die monatlich wechselnden Ausstellungen widmeten sich vor allem <strong>der</strong><br />

Gegenwartskunst. Henn<strong>in</strong>g zeigte unter an<strong>der</strong>em Karl Hofer, Max Pechste<strong>in</strong> <strong>und</strong> Karl-Schmidt-Rottluff, die<br />

im Nationalsozialismus als „entartet“ gegolten hatten. Aber auch für bis dato unbekannte Künstler war die<br />

Präsentation ihrer Werke <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Galerie</strong> e<strong>in</strong> Sprungbrett. Henn<strong>in</strong>gs künstlerisches Programm <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e<br />

zahlreichen <strong>in</strong>ternationalen Kontakte waren <strong>der</strong> SED von Beg<strong>in</strong>n an e<strong>in</strong> Dorn im Auge. Ab 1957 erhielt er <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>DDR</strong>-Presse nur noch vernichtende Kritiken; im Dezember 1961 fand die letzte Ausstellung statt.<br />

Henn<strong>in</strong>gs Ehefrau beantragte nach dem Tod ihres Mannes die Weiterführung <strong>der</strong> <strong>Galerie</strong>, was ihr jedoch<br />

verwehrt wurde.<br />

Ebenfalls re<strong>in</strong>en Kunsthandelscharakter trug die Privatgalerie Kühl <strong>in</strong> Dresden. Sie war schon 1924<br />

von He<strong>in</strong>rich Kühl gegründet worden; 1965 übernahm Sohn Johannes die Geschäfte. Er war Maler, hatte<br />

aber bereits seit Jahren im väterlichen Betrieb gearbeitet. Die <strong>Galerie</strong> genoss dank ihrer langen Tradition<br />

<strong>in</strong>ternationales Ansehen, hatte über das Ende <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> h<strong>in</strong>aus Bestand <strong>und</strong> wird heute von <strong>der</strong> Enkel<strong>in</strong> des<br />

Grün<strong>der</strong>s geleitet. Johannes Kühl wurde – wie erst die Zeitgeschichtsforschung nach 1989 ermittelte – von<br />

1963 bis 1989 als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) <strong>der</strong> Staatssicherheit geführt. 8 Das MfS wollte se<strong>in</strong>e<br />

vielfältigen Kontakte <strong>in</strong> die Künstlerszene abschöpfen. Bis <strong>in</strong> die 80er Jahre h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> bemängelten die<br />

Führungsoffiziere jedoch stetig, dass Kühls Berichte denkbar knapp ausfielen <strong>und</strong> wenig operativ Relevantes<br />

enthielten. Er lehnte es ab, sich schriftlich zu verpflichten <strong>und</strong> ließ reihenweise Treffterm<strong>in</strong>e platzen. Die<br />

umfangreiche IM-Akte legt über weite Teile den E<strong>in</strong>druck nahe, dass Johannes Kühl se<strong>in</strong>e <strong>Galerie</strong> durch<br />

kluges Taktieren über die Jahre gerettet habe, ohne dabei Relevantes über Dritte preiszugeben. 9 In den 80er<br />

Jahren allerd<strong>in</strong>gs berichtete er bereitwilliger <strong>und</strong> weit umfassen<strong>der</strong> über Geschäftspartner, Künstler <strong>und</strong><br />

an<strong>der</strong>e Galeristen; bis <strong>in</strong> den November 1989 h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> fanden Treffs mit dem Führungsoffizier statt. Se<strong>in</strong>e<br />

Ausstellungspläne stellte Kühl langfristig auf <strong>und</strong> ließ sie vom Rat <strong>der</strong> Stadt Dresden genehmigen. Das MfS<br />

wie<strong>der</strong>um prüfte, welche Ausstellungen es für „operativ relevant“ hielt <strong>und</strong> for<strong>der</strong>te dazu gegebenenfalls<br />

Berichte an. Das große Interesse <strong>der</strong> Staatssicherheit an den Kontakten von Johannes Kühl war vermutlich<br />

för<strong>der</strong>lich für den Fortbestand <strong>der</strong> <strong>Galerie</strong>. 10<br />

An<strong>der</strong>e Initiativen fielen repressiven Maßnahmen des MfS zum Opfer. Dieses Schicksal traf die<br />

Dresdner Privatgalerist<strong>in</strong> Ursula Bar<strong>in</strong>g, die <strong>zwischen</strong> 1959 <strong>und</strong> 1963 <strong>in</strong> den Räumen ihrer Physiotherapie<br />

Ausstellungen zeigte <strong>und</strong> Gesprächssalons organisierte. Ursula Bar<strong>in</strong>g hatte <strong>in</strong> Leipzig, Kiel, Berl<strong>in</strong> <strong>und</strong><br />

Paris studiert (Deutsch, Geschichte, Französisch <strong>und</strong> Leibesübungen), bevor sie sich auf Wunsch ihres<br />

Vaters zur Krankengymnast<strong>in</strong> ausbilden ließ. Das im Studium gewachsene Interesse an Kunst <strong>und</strong> Kultur<br />

blieb ihr jedoch erhalten, <strong>und</strong> Ursula Bar<strong>in</strong>g versammelte langsam e<strong>in</strong>en Fre<strong>und</strong>eskreis um sich, <strong>der</strong> ihre<br />

3


Katalogbeitrag <strong>Galerie</strong> <strong>Laterne</strong> – Yvonne Fiedler<br />

Leidenschaft teilte <strong>und</strong> regelmäßig zu musikalischen <strong>und</strong> literarischen Abenden zusammenkam. Schon ab<br />

1948 zeigte die Physiotherapeut<strong>in</strong> <strong>in</strong> ihrem Gymnastiksaal <strong>in</strong> <strong>der</strong> Oskarstraße graphische Blätter. Als sie<br />

Ende <strong>der</strong> 50er Jahre zusätzliche Räume im Souterra<strong>in</strong> desselben Gebäudes mieten konnte, präsentierte sie<br />

dort Personalausstellungen Dresdner Künstler. 11 Die Staatssicherheit wurde im selben Jahr auf die <strong>Galerie</strong><br />

aufmerksam, legte aber erst 1962 e<strong>in</strong>en Operativen Vorlauf an. „Bei <strong>der</strong> B. trifft sich <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Zeitabständen die reaktionäre Gruppe <strong>der</strong> bildenden Kunst“, heißt es <strong>in</strong> <strong>der</strong> entsprechenden Akte. „Bei<br />

diesen Zusammenkünften werden Ausstellungen organisiert mit dem Ziel die altbürgerliche-dekadente Kunst<br />

beizubehalten <strong>und</strong> beson<strong>der</strong>s auch unter den [sic!] Nachwuchs zu verbreiten, da e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> Besucher sehr<br />

junge Menschen s<strong>in</strong>d.“ 12 Aus <strong>der</strong> unbeholfenen Sprache <strong>und</strong> fehlerhaften Grammatik <strong>der</strong> MfS-Dokumente<br />

ist abzulesen, dass <strong>der</strong> zuständige Mitarbeiter <strong>in</strong> kulturellen Fragen offenbar völlig unqualifiziert war <strong>und</strong> die<br />

Motive <strong>der</strong> Galerist<strong>in</strong> nicht e<strong>in</strong>zuordnen vermochte: Ermittelt wurde wegen „Hetze (Verherlichung <strong>der</strong><br />

kapilatal. Verh.)“ [Verherrlichung <strong>der</strong> kapitalistischen Verhältnisse, Anm. d. V.]. 13 Obwohl die<br />

Staatssicherheit lange Zeit Probleme hatte, e<strong>in</strong>en Geheimen Mitarbeiter (GM) im Umfeld von Ursula Bar<strong>in</strong>g<br />

zu platzieren <strong>und</strong> dementsprechend nur über spärliche Informationen verfügte, war die Furcht <strong>der</strong> Galerist<strong>in</strong><br />

vor repressiven Maßnahmen offenbar groß. Nach e<strong>in</strong>er Befragung auf dem Volkspolizeikreisamt – geführt<br />

von MfS-Mitarbeitern unter Legende – <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em Besuch <strong>der</strong> Staatssicherheit <strong>in</strong> ihrer Wohnung im Sommer<br />

1963 stellte sie ihr Ausstellungsprogramm e<strong>in</strong>. 14 Angehörige berichten außerdem, dass sie aus Vorsicht fast<br />

sämtliche Schriftstücke, die <strong>in</strong> Zusammenhang mit ihrer Privatgalerie standen, verbrannte.<br />

Die 70er <strong>und</strong> frühen 80er Jahre: Zielstrebige Ausstellungsmacher unter rigi<strong>der</strong> Kontrolle<br />

Die Folgegeneration <strong>der</strong> Privatgaleristen, die ab Anfang <strong>der</strong> 70er Jahre bis <strong>in</strong> die 80er Jahre h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ung trat, war bereits <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> sozialisiert <strong>und</strong> kannte diese als ihr persönliches <strong>und</strong> künstlerisches<br />

Bezugssystem. Ihre Protagonisten waren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel Akademiker <strong>und</strong> hatten teilweise kunstferne<br />

Ausbildungen <strong>und</strong> Berufe. In vielen Fällen schufen sie ihre privaten Ausstellungszentren praktisch aus dem<br />

Nichts. Die <strong>Galerie</strong>n fanden e<strong>in</strong> breites Publikum <strong>und</strong> strahlten häufig weit über ihre jeweilige Stadt aus.<br />

Auch Mitarbeiter von Vertretungen ausländischer Staaten <strong>in</strong>teressierten sich für die Privat<strong>in</strong>itiativen – für die<br />

staatlichen Organe e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong> zu beson<strong>der</strong>er Wachsamkeit, vermuteten sie doch h<strong>in</strong>ter jedem Kontakt groß<br />

angelegte Spionagepläne. War das MfS <strong>in</strong> den 50er <strong>und</strong> 60er Jahren noch vergleichsweise dezent <strong>in</strong><br />

Ersche<strong>in</strong>ung getreten, g<strong>in</strong>g es gegen die Galeristen des folgenden Zeitabschnitts aggressiv vor <strong>und</strong> reagierte<br />

mit Zersetzungsmaßnahmen <strong>und</strong> Liquidierungsplänen. Dabei arbeitete es mit <strong>der</strong> SED, den Räten <strong>der</strong> Städte<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Bezirke zusammen.<br />

E<strong>in</strong>e solche groß angelegte Liquidierungsmaßnahme traf die Magdeburger Privatgaleristen Ingrid <strong>und</strong><br />

Dietrich Bahß, die von 1981 bis 1983 <strong>in</strong> ihrer Wohnung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hegelstraße <strong>in</strong>sgesamt 14 Ausstellungen<br />

zeigten. „Am Ende stand <strong>der</strong> Rausschmiss“, kommentiert Ingrid Bahß heute. „Am Anfang stand e<strong>in</strong> ganz<br />

schlichter, e<strong>in</strong>facher Gedanke.“ 15 Nach eigenen literarischen <strong>und</strong> zeichnerischen Versuchen habe sie e<strong>in</strong>e Art<br />

Trick gef<strong>und</strong>en, sich künstlerisch auszudrücken: Sie stellte Kunst aus, die sie persönlich ansprach, ihre<br />

eigenen Fragen an die Welt <strong>und</strong> das Leben wi<strong>der</strong>spiegelte: „E<strong>in</strong> Ansatzpunkt, <strong>der</strong> nur mit mir zu tun hatte<br />

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Katalogbeitrag <strong>Galerie</strong> <strong>Laterne</strong> – Yvonne Fiedler<br />

<strong>und</strong> gar nichts mit Politik.“ Die Fünfraumwohnung <strong>der</strong> Familie Bahß, <strong>in</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong> separat erreichbares Zimmer<br />

als Ausstellungsraum diente, wurde zum Treffpunkt für Künstler <strong>und</strong> Kunst<strong>in</strong>teressierte aus <strong>der</strong> gesamten<br />

<strong>DDR</strong>. Andreas Thielemann aus Leipzig stellte hier aus, Cornelia Schleime aus Berl<strong>in</strong> <strong>und</strong> Ralf W<strong>in</strong>kler alias<br />

A.R. Penck aus Dresden. Der Schriftsteller Lutz Rathenow las ebenso wie <strong>der</strong> namhafte Theaterautor He<strong>in</strong>er<br />

Müller. Diplomaten <strong>der</strong> US-amerikanischen <strong>und</strong> <strong>der</strong> griechischen Botschaft sowie <strong>der</strong> Ständigen Vertretung<br />

<strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik <strong>in</strong> Ostberl<strong>in</strong> besuchten die Vernissagen, zu denen nach Schätzung <strong>der</strong> Betreiber stets 60<br />

bis 80, manchmal mehr als 100 Menschen kamen. Sie trieb e<strong>in</strong> „Hunger nach Antworten, nach Fragen, nach<br />

Informationen“, glaubt Ingrid Bahß.<br />

In den Augen <strong>der</strong> Staatssicherheit waren solche Veranstaltungen schlicht „Vorfel<strong>der</strong>sche<strong>in</strong>ungen <strong>der</strong><br />

politischen Untergr<strong>und</strong>tätigkeit“. 16 Sie stellte die Familie Bahß unter Operative Personenkontrolle (OPK),<br />

Deckname „Spektrum“, <strong>und</strong> schätzte 1981 e<strong>in</strong>: „B. ist bestrebt mit Unterstützung se<strong>in</strong>er Ehefrau <strong>und</strong> ihm<br />

politisch-ideologisch gleichges<strong>in</strong>nter Bekannter e<strong>in</strong> eigenes kulturpolitisches Zentrum gegensätzlich zur<br />

sozialistischen Kulturpolitik, unabhängig <strong>und</strong> unkontrolliert von Partei, staatlichen Stellen o<strong>der</strong><br />

Massenorganisationen, aufzubauen <strong>und</strong> dieses zum Sammelbecken von Personen zu gestalten, die e<strong>in</strong>e <strong>der</strong><br />

sozialdemokratisch-reformistischen Strömungen vertreten, e<strong>in</strong>en gewissen Intelligenzgrad besitzen <strong>und</strong><br />

kulturästhetisch gebildet s<strong>in</strong>d.“ 17 Wenige Monate später wurde die OPK <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Operativen Vorgang (OV)<br />

umgewandelt. Den Betreibern war klar, dass sie unter Beobachtung standen. „Liebend gern hätten wir an<br />

unsere Haustür draußen e<strong>in</strong> Schild gemacht: <strong>Galerie</strong> Bahß“, sagt Dietrich Bahß. „Aber damit hätten wir<br />

schon den ersten Punkt erfüllt, um wegen Ordnungswidrigkeiten 18 gesetzlich belangt zu werden.“ Also<br />

stellten die Privatgaleristen ihre E<strong>in</strong>ladungen <strong>in</strong> abendlicher Handarbeit her <strong>und</strong> verschickten sie nur an e<strong>in</strong>en<br />

ausgewählten Kreis von Interessenten. Trotz des Gefühls, nichts Unrechtes zu tun, wollten sie sich im<br />

Ernstfall auf den privaten Charakter <strong>der</strong> Veranstaltungen zurückziehen können.<br />

Während die Galeristen e<strong>in</strong>en Programmplan bis September 1983 aufstellten, arbeitete die<br />

Staatssicherheit im Sommer 1982 bereits an e<strong>in</strong>er „Konzeption zur Durchführung offensiver legendierter<br />

Maßnahmen zur Liquidierung <strong>der</strong> sogenannten ‚Privatgalerie’“. 19 Die erste Fassung dieses Konzepts wurde<br />

zwar verworfen, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong> vorgangführenden Abteilung XX dachte sogar über e<strong>in</strong>e mögliche<br />

Offizialisierung <strong>der</strong> <strong>Galerie</strong> nach, um „diesen Konzentrationspunkt politisch negativer Personenkreise unter<br />

Kontrolle zu bekommen“. 20 Die SED-Bezirksleitung erklärte das jedoch für „politische[n] Wahns<strong>in</strong>n“ 21 ,<br />

sodass im Februar 1983 neue Pläne für e<strong>in</strong>e „operative Komb<strong>in</strong>ation“ zur Auflösung <strong>der</strong> <strong>Galerie</strong> aufgestellt<br />

wurden. 22 Die Vorbereitung zog sich mehrere Monate h<strong>in</strong>; <strong>in</strong><strong>zwischen</strong> waren auch an<strong>der</strong>e staatliche Organe<br />

<strong>und</strong> Institutionen aufmerksam geworden. „Künstler <strong>und</strong> Geistesschaffende werden me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach<br />

nicht zur Bereicherung <strong>der</strong> Kunstszene, son<strong>der</strong>n zur Schürung e<strong>in</strong>es Anti-<strong>DDR</strong>-Verhältnisses<br />

zusammengeführt“, schrieb <strong>der</strong> Bezirksleiter des Kulturb<strong>und</strong>es im September 1983 an den 1. Sekretär <strong>der</strong><br />

SED-Bezirksleitung über die Ausstellungen. „Ich halte e<strong>in</strong>e solche Situation auf die Dauer für bedenklich.“ 23<br />

5


Katalogbeitrag <strong>Galerie</strong> <strong>Laterne</strong> – Yvonne Fiedler<br />

Am 15. September 1983, zwei Tage vor <strong>der</strong> geplanten Eröffnung e<strong>in</strong>er großen Gruppenausstellung<br />

zum Thema Frieden, wurde das Ehepaar Bahß zum Volkspolizeikreisamt vorgeladen. „Da wurde uns nahe<br />

gelegt, die ganze Sache abzublasen. Mit <strong>der</strong> Option, […] dass wir sonst mit ganz schwierigen Konsequenzen<br />

zu rechnen hätten“, er<strong>in</strong>nert sich Ingrid Bahß. Dennoch reisten am 17. September zahlreiche Besucher an, die<br />

Ausstellung füllte alle Räume <strong>der</strong> Wohnung. Nur das umfangreiche Eröffnungsprogramm, das über mehrere<br />

St<strong>und</strong>en geplant war, entfiel beziehungsweise fand <strong>in</strong> Teilen an an<strong>der</strong>er Stelle statt. Nach <strong>der</strong> Veranstaltung<br />

gab es e<strong>in</strong>e erneute Aussprache bei <strong>der</strong> Volkspolizei; Dietrich Bahß war sich schon damals sicher, dass er<br />

dort <strong>in</strong> Wirklichkeit mit e<strong>in</strong>em MfS-Offizier sprach. Eigentlich trug sich die Familie seit mehreren Monaten<br />

mit dem Gedanken, nach Berl<strong>in</strong> umzuziehen. „Und dann haben die wirklich zu uns gesagt: Sie kriegen<br />

ke<strong>in</strong>en Fuß mehr auf die Erde. Könnten Sie sich nicht vorstellen, dass <strong>der</strong> Möbelwagen <strong>in</strong> die an<strong>der</strong>e<br />

Richtung fährt?“ Mit dieser verdeckten Auffor<strong>der</strong>ung, die <strong>DDR</strong> zu verlassen, hätten sie nicht gerechnet, so<br />

Dietrich Bahß. Die Drohung, an<strong>der</strong>enfalls <strong>in</strong> Haft zu enden, sei aber so deutlich gewesen, dass die Familie<br />

e<strong>in</strong>en Ausreiseantrag unterschrieb. Nur drei Monate später, am 29. Dezember 1983, siedelte sie nach Köln<br />

über. Über ihre Zeit als Galerist<strong>in</strong> sagt Ingrid Bahß im Rückblick: „Es war e<strong>in</strong> Weg […], <strong>der</strong> mir auch<br />

geholfen hat, dah<strong>in</strong> zu kommen, wo ich heute b<strong>in</strong>.“<br />

Die späten 80er Jahre: Ausstieg aus dem System <strong>und</strong> Mut zur Öffentlichkeit<br />

Während sich die Akteure <strong>der</strong> 70er <strong>und</strong> frühen 80er Jahre noch an <strong>der</strong> geistigen Enge des staatlichen<br />

Kunstbetriebes rieben, g<strong>in</strong>g die neue Generation <strong>der</strong> Galeristen ab Mitte <strong>der</strong> 80er Jahre eigene Wege. Diese<br />

„H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geborenen“ 24 bezogen sich kaum noch auf das bestehende System <strong>und</strong> setzten selbstbewusst ihre<br />

Interessen um. Wenngleich auch sie geschickt taktierten, um nicht wegen Gesetzesverstößen <strong>und</strong><br />

Ordnungswidrigkeiten belangt werden zu können, verfolgten sie <strong>in</strong>sgesamt weniger Vorsichtsmaßnahmen<br />

<strong>und</strong> Vermeidungsstrategien als ihre Vorgänger <strong>und</strong> g<strong>in</strong>gen offensiver <strong>in</strong> die Öffentlichkeit. E<strong>in</strong>ige bauten<br />

von Anfang an professionelle <strong>Galerie</strong>betriebe auf, <strong>in</strong> denen neben <strong>der</strong> re<strong>in</strong>en Präsentation auch <strong>der</strong> Handel<br />

mit Kunst e<strong>in</strong>e wesentliche Rolle spielte. Charakteristisch ist e<strong>in</strong>e hohe Aff<strong>in</strong>ität zu alternativen<br />

Kunstformen von Performances bis h<strong>in</strong> zur Autoperforationsartistik; Vernissagen waren oft regelrechte<br />

Partys mit bis zu 300 Besuchern. Die staatlichen Organe reagierten zurückhaltend bis hilflos – über manchen<br />

Galeristen <strong>der</strong> späten 80er Jahre legte das MfS nicht e<strong>in</strong>mal mehr e<strong>in</strong>en Vorgang an.<br />

Zur Ateliergalerie von Andreas Schüller <strong>in</strong> Karl-Marx-Stadt existiert lediglich e<strong>in</strong> dünner Band,<br />

gefüllt mit „Operativem Material“ <strong>und</strong> ratlosen Bemerkungen zum künstlerischen Programm. „Auf dem Bild<br />

von Gitte Spr<strong>in</strong>gmühl, das ‚Aus <strong>der</strong> Serie: Der gelbe Frosch` hieß, war überhaupt nicht mit gelber Farbe<br />

gemalt worden“, hatte e<strong>in</strong> IM für die Staatssicherheit anlässlich e<strong>in</strong>er Vernissage am 11. November 1987<br />

notiert. 25<br />

Nur wenige Monate vorher, im Juni 1987 hatten Andreas Schüller <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Künstlerkollegen<br />

Matthias Ste<strong>in</strong> <strong>und</strong> Jean Schmiedel die erste Ausstellung eröffnet. In Schüllers Atelier <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fritz-Reuter-<br />

Straße 20 zeigten sie Werke Schmiedels. „Das war mehr so e<strong>in</strong>e spontane Idee“, er<strong>in</strong>nert sich Schüller. „Ich<br />

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Katalogbeitrag <strong>Galerie</strong> <strong>Laterne</strong> – Yvonne Fiedler<br />

hatte damals e<strong>in</strong> bisschen mit mir selbst zu kämpfen, ich hatte ke<strong>in</strong>e Ideen. Und weil ich selbst nicht konnte,<br />

<strong>in</strong> dem Moment, habe ich gesagt: Gut, dann stelle ich eben an<strong>der</strong>e aus.“ 26 Ganz unverbissen sei das<br />

<strong>Galerie</strong>programm <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folgezeit entwickelt worden, <strong>in</strong>teressierte Künstler boten sich oft selbst für e<strong>in</strong>e<br />

Ausstellung an.<br />

Während das MfS reflexartig konstatierte, die Privatgalerie entwickle sich zu e<strong>in</strong>em „Treffpunkt<br />

oppositioneller <strong>und</strong> fe<strong>in</strong>dlich-negativer Kräfte“ 27 , g<strong>in</strong>g es den Initiatoren vor allem darum,<br />

Ausstellungsmöglichkeiten zu schaffen. Sie <strong>und</strong> viele junge Künstlerkollegen hätten zwar gelegentlich<br />

e<strong>in</strong>zelne Blätter <strong>in</strong> städtischen o<strong>der</strong> Genossenschaftsgalerien zeigen können, wünschten sich aber e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>zelausstellung. Auf entsprechende Angebote ihrer Dachorganisation, des Verbandes Bilden<strong>der</strong> Künstler<br />

(VBK), konnten sie offenbar nicht hoffen, wenngleich den Funktionären bekannt war, „daß e<strong>in</strong>e Gruppe<br />

junger Kollegen (vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sektion Malerei/Grafik) wenig Möglichkeit <strong>der</strong> öffentlichen Wirkung hat<br />

<strong>und</strong> auch kaum Aufträge bzw. Ankäufe vorweisen kann.“ 28<br />

In Schüllers Ateliergalerie stellten im ersten Jahr vornehmlich Karl-Marx-Städter Künstler wie<br />

Gudrun Höritzsch, Wolfgang Hartzsch <strong>und</strong> Andreas Stelzer aus, 1988 kamen mit Dirk Fechner <strong>und</strong> Matthias<br />

Sommerfeld auch Gäste aus Berl<strong>in</strong>. Hauptsächlich aber war die <strong>Galerie</strong> e<strong>in</strong>e Plattform für die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Szene vor Ort, <strong>und</strong> auch das Publikum, so er<strong>in</strong>nert sich Schüller, bestand aus E<strong>in</strong>heimischen. Offensive<br />

Werbung füllte die beiden Ausstellungsräume zuverlässig mit 60, manchmal 100 Besuchern. In <strong>der</strong> Regel<br />

druckten die Künstler selbst E<strong>in</strong>ladungen <strong>und</strong> Plakate, die Galeristen verteilten sie anschließend unter<br />

an<strong>der</strong>em im Theaterclub <strong>und</strong> an an<strong>der</strong>en öffentlichen Stellen. Staatlichen Organen blieben die<br />

Veranstaltungen somit nicht verborgen. Für das MfS notierte e<strong>in</strong> Inoffizieller Mitarbeiter, er habe Plakate <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Galerie</strong> oben <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Galerie</strong> Schmidt-Rotluff gesehen. 29 „Das war sowieso unsere Strategie“, beschreibt<br />

Schüller den bewussten Gang <strong>in</strong> die Öffentlichkeit. „Die konnten doch ruhig gucken kommen.“<br />

Tatsächlich nahm außer <strong>der</strong> Staatsicherheit offenbar niemand Anstoß an <strong>der</strong> Privatgalerie: „Durch den<br />

Verband [Bilden<strong>der</strong> Künstler, Anm. d. Verf.] wurde ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>fluß auf die Zurückdrängung dieser Aktivitäten<br />

genommen. Durch die KP „Schill<strong>in</strong>g“ wurde am 10.11.87 die Abteilung Kultur des RdB [Rat des Bezirkes] –<br />

Gen. Epphardt – <strong>in</strong>formiert. Über e<strong>in</strong>geleitete Maßnahmen liegen ke<strong>in</strong>e Erkenntnisse vor“, notierte <strong>der</strong><br />

zuständige MfS-Mitarbeiter ernüchtert. 30 Drohungen o<strong>der</strong> gar Repressionen waren die Galeristen nie<br />

ausgesetzt, dennoch stellten sie das Ausstellungsprogramm Ende 1988 e<strong>in</strong>. Die Belastung sei irgendwann<br />

schlicht zu groß gewesen, habe die Zeit für das eigene Kunstschaffen stark e<strong>in</strong>geschränkt, so Andreas<br />

Schüller. Dass die Staatssicherheit unter dem Decknamen „Boykott“ ermittelte, br<strong>in</strong>gt den Galeristen heute<br />

zum Lachen. „Wir wollten Bil<strong>der</strong> malen, Bil<strong>der</strong> ausstellen. Wir wollten die D<strong>in</strong>ger e<strong>in</strong>fach mal hängen<br />

sehen.“ Provokation o<strong>der</strong> gar Boykott hätten nicht zu ihren Intentionen gehört.<br />

„Es war e<strong>in</strong>fach nur noch Des<strong>in</strong>teresse“, beschreibt auch Ralf Lehmann, Mitbegrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Dresdner<br />

Privatgalerie Artefakt, se<strong>in</strong> Verhältnis zur <strong>DDR</strong>. „Da gab es auch gar ke<strong>in</strong>e Reibungen mehr, außer dass<br />

7


Katalogbeitrag <strong>Galerie</strong> <strong>Laterne</strong> – Yvonne Fiedler<br />

man beobachtet wurde. Aber es hat niemand mehr aus <strong>der</strong> Generation das Gefühl gehabt, etwas für o<strong>der</strong><br />

gegen den Staat zu machen. Das war e<strong>in</strong>fach un<strong>in</strong>teressant.“ 31 Geme<strong>in</strong>sam mit se<strong>in</strong>em jüngeren Bru<strong>der</strong> Frank<br />

<strong>und</strong> befre<strong>und</strong>eten Künstlern richtete Ralf Lehmann 1988 drei Zimmer se<strong>in</strong>er Fünfraumwohnung <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Institutsgasse als Ausstellungsräume her. Der ersten Ausstellung – e<strong>in</strong>er am 16. Januar eröffneten<br />

Geme<strong>in</strong>schaftsschau unter dem Titel „Figur“ – folgten bis Ende 1989 <strong>in</strong> fast monatlichem Wechsel 17<br />

weitere. „Da <strong>der</strong> Enthusiasmus so groß war, ist das e<strong>in</strong>fach so e<strong>in</strong> Selbstläufer gewesen“, beschreibt Ralf<br />

Lehmann die Motivation <strong>der</strong> Akteure.<br />

Die Kreisdienststelle für Staatssicherheit Dresden eröffnete im Februar 1989 den Operativen Vorgang<br />

„Elegie“ gegen die Brü<strong>der</strong> Lehmann, nachdem sie bereits e<strong>in</strong> Jahr lang Berichte von Inoffiziellen<br />

Mitarbeitern zu den Vernissagen gesammelt <strong>und</strong> gegen Frank Lehmann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Operativen<br />

Personenkontrolle ermittelt hatte. Auch <strong>in</strong> diesem Fall konnte sich das MfS e<strong>in</strong> persönliches Kunst<strong>in</strong>teresse<br />

als Motiv für die <strong>Galerie</strong>tätigkeit offenbar nicht vorstellen, son<strong>der</strong>n unterstellte, „daß die Verdächtigen<br />

bestrebt s<strong>in</strong>d, unter Missbrauch von Ausstellungen <strong>und</strong> ähnlichen Veranstaltungen, Personen aus dem<br />

Bereich des politischen Untergr<strong>und</strong>es zusammenzuführen“ 32 <strong>und</strong> vermutete „H<strong>in</strong>termänner bzw.<br />

Inspiratoren <strong>und</strong> Organisatoren im Operationsgebiet“ 33 – e<strong>in</strong>er Chiffre für die B<strong>und</strong>esrepublik. Ermittelt<br />

wurde wegen Verdachts auf Verstoß gegen die Paragraphen 218 „Zusammenschluss zur Verfolgung<br />

gesetzwidriger Ziele“ <strong>und</strong> 220 „Öffentliche Herabwürdigung“ des Strafgesetzbuches <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>. 34 Für diese<br />

Tatbestände waren im schweren Fall Freiheitsstrafen von bis zu fünf beziehungsweise drei Jahren angedroht.<br />

Dass sie überwacht wurden, sei für die Beteiligten immer klar gewesen, sagt Ralf Lehmann: „Man hat<br />

im H<strong>in</strong>terkopf gehabt, dass eigentlich alles weiter getragen wird <strong>und</strong> deshalb war es ke<strong>in</strong> Problem mehr. Wir<br />

hatten ja auch nicht vor, etwas Illegales zu machen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Randale.“ Auch als Opposition habe er se<strong>in</strong>e<br />

Tätigkeit nie verstanden, den Leuten höchstens gesagt, „dass sie die Grenzen selbst viel zu eng ziehen <strong>und</strong><br />

die Selbstdiszipl<strong>in</strong>ierung zu groß ist.“ Als die Volkspolizei im Herbst 1988 bei e<strong>in</strong>er Veranstaltung erschien,<br />

tat das dem Publikums<strong>in</strong>teresse an <strong>der</strong> Privatgalerie ke<strong>in</strong>en Abbruch: Während <strong>der</strong> Vernissagen war die<br />

Wohnung <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> Lehmann stets übervoll – das MfS g<strong>in</strong>g von etwa 100 Besuchern an e<strong>in</strong>em Abend aus,<br />

die Gastgeber selbst von 300 bis 400. Auch e<strong>in</strong>e Geldstrafe wegen Ruhestörung hielt die Galeristen nicht von<br />

ihren Plänen ab: Sie veranstalteten e<strong>in</strong>e Auktion mit eigens hergestellten Bil<strong>der</strong>n befre<strong>und</strong>eter Künstler <strong>und</strong><br />

zahlten aus dem Erlös das Ordnungsgeld.<br />

Im Februar 1989 stellte das MfS e<strong>in</strong>en umfassenden Operativplan auf, um weitere Ausstellungen bei<br />

Artefakt zu unterb<strong>in</strong>den. Neben dem E<strong>in</strong>satz von fünf Inoffiziellen Mitarbeitern, Postkontrolle <strong>und</strong> geplanter<br />

Telefonabhörung am Arbeitsplatz wollte die Staatssicherheit außerdem die SED-Stadtleitung, den<br />

Oberbürgermeister <strong>und</strong> den Stadtrat für Kultur Dresdens e<strong>in</strong>schalten, damit diese „Maßnahmen <strong>der</strong><br />

Diszipl<strong>in</strong>ierung <strong>und</strong> vorbeugenden E<strong>in</strong>flußnahme“ ergreifen. 35 Bei Artefakt waren <strong>in</strong><strong>zwischen</strong> die<br />

Vorbereitungen für Ausstellungen mit Künstlern aus Prag <strong>und</strong> Köln sowie das groß angelegte Projekt<br />

„Literarische Visionen – Visuelles <strong>und</strong> Literatur“, dessen zweite Station die <strong>Galerie</strong> Eigen + Art Leipzig se<strong>in</strong><br />

8


Katalogbeitrag <strong>Galerie</strong> <strong>Laterne</strong> – Yvonne Fiedler<br />

sollte, im Gange. Weitere E<strong>in</strong>- o<strong>der</strong> Übergriffe von staatlicher Seite gab es nicht, dennoch stellten die<br />

Gebrü<strong>der</strong> Lehmann beim Rat <strong>der</strong> Stadt e<strong>in</strong>en Antrag auf Offizialisierung <strong>der</strong> <strong>Galerie</strong>. „Wir haben das eher<br />

als Spaß aufgefasst. E<strong>in</strong>fach mal testen: Wie gehen die damit um?“ beschreibt Ralf Lehmann die Motive für<br />

diesen Schritt. Im handschriftlichen Entwurf für das e<strong>in</strong>gereichte Konzept notierten die Galeristen als<br />

For<strong>der</strong>ung: „Anerkennung <strong>der</strong> gesellschaftlich wichtigen Tätigkeit � Zuerkennung für Gewerberäume <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>er staatlichen Lizenz, jedoch muß <strong>der</strong> private Charakter <strong>und</strong> ihre Eigenständigkeit auch mit staatlicher<br />

Zustimmung erhalten bleiben […] Arbeit darf nicht als Provokation, son<strong>der</strong>n als produktive Ergänzung /<br />

Bereicherung angesehen werden.“ 36 Vom Rat <strong>der</strong> Stadt gab es daraufh<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>e Reaktion.<br />

Mitte 1989 habe man darüber nachgedacht, wie lange die <strong>Galerie</strong> bestehen könne. „Weil es<br />

irgendwann ke<strong>in</strong>en Spaß mehr gemacht hätte mit diesen Wi<strong>der</strong>ständen, <strong>und</strong> immer alles nur halblegal“,<br />

er<strong>in</strong>nert sich Ralf Lehmann. Als sich mit dem politischen Umbruch <strong>der</strong> Jahre 1989/90 jedoch die<br />

Möglichkeit zum legalen, professionellen Arbeiten auftat, zögerten die Brü<strong>der</strong> nicht. Heute behauptet sich<br />

die <strong>Galerie</strong> im freien Kunstmarkt, hat neben dem Dresdner Stammsitz e<strong>in</strong>e Dependenz <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> <strong>und</strong> vertritt<br />

Künstler aus <strong>der</strong> ganzen Welt.<br />

Die Grenzen <strong>der</strong> Diktatur: <strong>Privatgalerien</strong> setzten Zeichen gegen vorauseilenden Gehorsam<br />

Sechs <strong>Privatgalerien</strong> haben die <strong>DDR</strong> überdauert <strong>und</strong> behaupten sich heute am gesamtdeutschen<br />

Kunstmarkt. Fünf davon s<strong>in</strong>d Gründungen aus <strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>der</strong> 80er Jahre. E<strong>in</strong> Son<strong>der</strong>fall ist nur die<br />

schon erwähnte Kunsthandlung Kühl, die bereits seit <strong>der</strong> Weimarer Republik existiert. Alle an<strong>der</strong>en privaten<br />

Initiativen fanden noch im sozialistischen System ihr Ende: Weil ihre Betreiber <strong>in</strong> die B<strong>und</strong>esrepublik<br />

ausreisten, sich dem Druck staatlicher Organe <strong>und</strong> <strong>der</strong> Repression durch die Staatssicherheit beugten o<strong>der</strong><br />

weil <strong>der</strong> Zeitaufwand zu hoch wurde.<br />

Welche Spuren haben die Privatgaleristen mit ihren nonkonformen Programmen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Kunstlandschaft <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> h<strong>in</strong>terlassen? Die Thesen dazu reichen von <strong>in</strong>novativ <strong>und</strong> Identitäten prägend<br />

e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> vorrangig durch e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Fe<strong>in</strong>dbild (den staatlichen Zensurapparat) am Leben<br />

gehalten an<strong>der</strong>erseits.<br />

Zweifelsohne lässt sich sagen: <strong>Privatgalerien</strong> waren Orte, an denen künstlerisch freier gedacht <strong>und</strong><br />

somit spannen<strong>der</strong> <strong>und</strong> zwangfreier kuratiert werden konnte. Für manchen Künstler bildeten sie die e<strong>in</strong>zige<br />

Plattform, um ihr Werk überhaupt <strong>der</strong> Öffentlichkeit vorzustellen, weil sie nicht im Verband Bilden<strong>der</strong><br />

Künstler organisiert waren beziehungsweise dort mit unkonventionellen Arbeiten ke<strong>in</strong>e Anerkennung<br />

fanden. Die privaten <strong>Galerie</strong>n schufen auch e<strong>in</strong> Podium für zeitgenössische Ausdrucksformen wie<br />

Performances <strong>und</strong> Happen<strong>in</strong>gs, die im staatlichen Kulturbetrieb ke<strong>in</strong>en Platz fanden. Die hohen<br />

Besucherzahlen <strong>in</strong> vielen <strong>Privatgalerien</strong> lassen darauf schließen, dass diese e<strong>in</strong> starkes Bedürfnis <strong>der</strong><br />

Bevölkerung nach ideologisch unverbrauchten künstlerischen Formen <strong>und</strong> Inhalten aufgriffen.<br />

9


Katalogbeitrag <strong>Galerie</strong> <strong>Laterne</strong> – Yvonne Fiedler<br />

Der private Status war nicht automatisch e<strong>in</strong>e Garantie für qualitätvolle, <strong>in</strong>novative Programme.<br />

Manche Ausstellungen zeigten auch Unausgegorenes, Konservatives. Als Faktoren im Kunsthandel <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

spielten die <strong>Galerie</strong>n – bis auf wenige Ausnahmen – ke<strong>in</strong>e wahrnehmbare Rolle. Auch e<strong>in</strong>en spürbaren<br />

E<strong>in</strong>fluss auf den offiziellen Kunstdiskurs <strong>und</strong> –begriff hatten sie kaum, dafür war ihre Strahlkraft noch zu<br />

ger<strong>in</strong>g.<br />

Dennoch schufen sie bei aufgeschlossenen Teilen <strong>der</strong> Bevölkerung e<strong>in</strong> Bewusstse<strong>in</strong> dafür, dass Kunst<br />

nicht nur Kampfauftrag, Erziehungs<strong>in</strong>strument, Lob <strong>der</strong> Werktätigen, Hohelied des Sozialismus se<strong>in</strong> konnte,<br />

son<strong>der</strong>n vor allem <strong>in</strong>dividuelle, kreative Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> Lebensumwelt. Nicht zuletzt setzten die<br />

<strong>Privatgalerien</strong> e<strong>in</strong> beispielgebendes Zeichen für privates Engagement <strong>und</strong> gegen vorauseilenden Gehorsam,<br />

waren Orte, an denen die SED-Diktatur mit ihrem allumfassenden Kontroll- <strong>und</strong> Steuerungswahn an ihre<br />

Grenzen stieß.<br />

1 Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Leipzig, Abteilung XX/7: Informationsbericht zur <strong>Galerie</strong> „Eigen + Art“ vom<br />

03.02.1988, <strong>in</strong>: BStU, MfS, BV Ddn. AOP 3130/88, Bd. 3, Bl. 66.<br />

2 Kulturpolitisches Wörterbuch, 2. Aufl. Berl<strong>in</strong> 1978, S. 432.<br />

3 Michael, Klaus: Alternativkultur <strong>und</strong> Staatssicherheit 1976 – 1989, <strong>in</strong>: Materialen <strong>der</strong> Enquete-Kommission „Aufarbeitung<br />

von Geschichte <strong>und</strong> Folgen <strong>der</strong> SED-Diktatur <strong>in</strong> Deutschland“ (12. Wahlperiode des Deutschen B<strong>und</strong>estags), Bd. III, 3,<br />

Baden-Baden 1995, S. 1637.<br />

4 Diese Anzahl ist nach aktuellem Forschungsstand e<strong>in</strong>deutig nachweisbar. Für 14 weitere <strong>Privatgalerien</strong> liegen H<strong>in</strong>weise aber<br />

noch ke<strong>in</strong>e genauen Daten vor.<br />

5 Ausnahmen waren beispielsweise die <strong>Galerie</strong> oben <strong>in</strong> Karl-Marx-Stadt, die <strong>Galerie</strong> Arkade <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> <strong>und</strong> die <strong>Galerie</strong> am<br />

Sachsenplatz <strong>in</strong> Leipzig. Hier wurden häufig auch Nonkonformes präsentiert.<br />

6 §249 „Bee<strong>in</strong>trächtigung <strong>der</strong> öffentlichen Ordnung <strong>und</strong> Sicherheit durch asoziales Verhalten“, <strong>in</strong>: Strafgesetzbuch <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

(StGB), hrsg. vom M<strong>in</strong>isterium <strong>der</strong> Justiz <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>. 5. Aufl. Berl<strong>in</strong> 1981, S. 93f.<br />

7 Zu dieser <strong>Galerie</strong> vgl. Müller-Wenzel, Christ<strong>in</strong>: Die <strong>Galerie</strong> Henn<strong>in</strong>g, <strong>in</strong>: Rataiczyk, Matthias (Hrsg.): E<strong>in</strong> hallescher Kosmos<br />

auf E<strong>in</strong>heitsformat. Malerei auf Henn<strong>in</strong>gkarton. Katalog zur Ausstellung vom 29. November 2007 bis 20. Januar 2008. Halle<br />

(Saale) 2007, S. 51 – 64.<br />

8 BStU, MfS, BV Ddn. AIM 6316/90, Teil I <strong>und</strong> II.<br />

9 Vgl. Popp, Sigrid: Informelle Malerei <strong>und</strong> Inoffizielle Mitarbeiter. Die künstlerische Avantgarde Dresdens im Blickfeld <strong>der</strong><br />

Staatssicherheit, <strong>in</strong>: Hofer, Sigrid (Hrsg.): Gegenwelten. Informelle Malerei <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>. Das Beispiel Dresden. Frankfurt am<br />

Ma<strong>in</strong> / Basel 2006, S. 79.<br />

10 Die Staatssicherheit führte auch e<strong>in</strong>e Reihe weiterer Privatgaleristen als IM, darunter Sören Naumann, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Wohnungsgalerie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Dresdner Neustadt betrieb (BStU, MfS, BV Ddn. AIM 392/90), Wolfgang Opitz, Mitbetreiber <strong>der</strong><br />

Dresdner <strong>Galerie</strong> Lücke frequentator (BStU, MfS, BV Ddn, AIM 341/81) <strong>und</strong> Peter Feller, Betreiber <strong>der</strong> Friedrichshagener<br />

Bil<strong>der</strong>kneipe (BStU, MfS, BV Bln. AIM 3477/88).<br />

11 Zum Lebensweg von Ursula Bar<strong>in</strong>g vgl.: Aus <strong>der</strong> Sammlung Ursula Bar<strong>in</strong>g. Ausstellung vom 15. Mai bis 8. August 1997 im<br />

Kupferstich-Kab<strong>in</strong>ett Dresden. Dresden 1997.<br />

12 Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Dresden, Abteilung V/1: Beschluss zum Anlegen e<strong>in</strong>es operativen Vorlaufes vom<br />

22.01.1962, <strong>in</strong>: BStU, MfS, BV Ddn. AOP 3271/63, S. 5.<br />

13 Ebd, S. 4.<br />

14 Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Dresden, Abteilung V/1: Protokoll zu e<strong>in</strong>er Aussprache mit Ursula Bar<strong>in</strong>g vom<br />

14.08.1963, <strong>in</strong>: BStU, MfS, BV Ddn. AOP 3271/63, S. 292.<br />

15 Alle Zitate <strong>der</strong> Galeristen aus e<strong>in</strong>em Interview <strong>der</strong> Autor<strong>in</strong> mit Ingrid <strong>und</strong> Dietrich Bahß am 11.11.2009 <strong>in</strong> Köln.<br />

16 Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Magdeburg, Abteilung XX/7: Bericht zum Anlegen e<strong>in</strong>er OPK vom 21.03.1981, <strong>in</strong>:<br />

BStU, MfS, BV Mgb. AOPK 1889/85, Bd. 1, S. 27.<br />

17 Ebd, S. 47.<br />

18 Beispielsweise wegen Verstoß gegen die Verordnung über die Durchführung von Veranstaltungen vom 26.11.1970, <strong>in</strong>:<br />

Gesetzblatt <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>, Jg. 1971, Teil II, Nr. 10 vom 22.01.1971, S. 69 – 71.<br />

19 Bezirksverwaltung Magdeburg, Abteilung XX/7: Konzeption zur Durchführung offensiver legendierter Maßnahmen zur<br />

Liquidierung <strong>der</strong> sogenannten „Privatgalerie“, <strong>der</strong> im OV „Spektrum“, Reg.-Nr. VII/1373/81 bearbeiteten Personen vom<br />

14.07.1982, <strong>in</strong>: BStU, MfS, BV Mgb. AOPK 1889/85, Bd. 6, S. 73ff.<br />

20 Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Magdeburg, Abteilung XX/7: Vermerk zu e<strong>in</strong>er Beratung über den OV Spektrum vom<br />

29.07.1082, <strong>in</strong>: BStU, MfS, BV Mgb. AOPK 1889/85, Bd. 1, S. 126.<br />

21 Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Magdeburg, Abteilung XX/7: Vermerk zu e<strong>in</strong>em Gespräch mit Dr. Paul Schubert,<br />

Abteilungsleiter Wissenschaft, Volksbildung <strong>und</strong> Kultur <strong>der</strong> SED-Bezirksleitung Magdeburg vom 15.09.1982, <strong>in</strong>: BStU,<br />

MfS, BV Mgb. AOPK 1889/85, Bd. 1, S. 129.<br />

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Katalogbeitrag <strong>Galerie</strong> <strong>Laterne</strong> – Yvonne Fiedler<br />

22 Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Magdeburg, Abteilung XX/7: Konzeption zur Durchführung offensiver legendierter<br />

Maßnahmen zur Liquidierung <strong>der</strong> sogenannten „Privatgalerie“, <strong>der</strong> im OV „Spektrum“, Reg.-Nr. VII/373/81 [sic!]<br />

bearbeiteten Personen vom 15.02.1983, <strong>in</strong>: BStU, MfS, BV Mgb. Abt. XX 2526, S. 28 – 34.<br />

23 Brief von Kurt Gehrmann, 1. Bezirkssekretär <strong>der</strong> Bezirksleitung des Kulturb<strong>und</strong>es <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>, an Werner Eberle<strong>in</strong>, 1. Sekretär<br />

<strong>der</strong> SED-Bezirksleitung, vom 06.09.1983, <strong>in</strong>: Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Rep. 13, Nr. 18483, S. 6f.<br />

24 Der Begriff, <strong>der</strong> auf e<strong>in</strong>en Gedichttitel des Schriftstellers Uwe Kolbe zurückgeht (Kolbe, Uwe: H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geboren. Gedichte<br />

1975 – 1979. Berl<strong>in</strong> / Weimar 1980), wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> zeitgeschichtlichen Forschungsliteratur breit verwendet, vgl. u. a. Kaiser,<br />

Paul; Petzold, Claudia: Boheme <strong>und</strong> Diktatur <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>. Gruppen, Konflikte, Quartiere 1970 – 1989. Berl<strong>in</strong> 1997, S. 66.<br />

25 Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Karl-Marx-Stadt: Bericht IM „Doris Endler“ vom 11.11.1987, <strong>in</strong>: BStU, MfS, BV,<br />

KMST, Chm. Abt. XX 1873, S. 61.<br />

26 Alle Zitate des Galeristen aus e<strong>in</strong>em Interview <strong>der</strong> Autor<strong>in</strong> mit Andreas Schüller am 30.09.2009.<br />

27 Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Karl-Marx-Stadt, Abt. XX/7: Operative Auskunft zur Privatgalerie KMSt F.-Reuter-<br />

Str. 20 vom 22.11.1988, <strong>in</strong>: BStU, MfS, BV, KMST, Chm. Abt. XX 1873, S. 6.<br />

28 Informationsbericht des VBK Karl-Marx-Stadt an den Zentralverband vom 12.08.1987, <strong>in</strong>: StA Chemnitz, VBK KMS,<br />

Bestand 32673, Nr. 32 (unpag<strong>in</strong>iert).<br />

29 Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Karl-Marx-Stadt: IM-Bericht „Jürgen Hendel“ vom 23.06.1988, <strong>in</strong>: BStU, MfS, BV,<br />

KMST, Chm. Abt. XX 1873, S. 89.<br />

30 Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Karl-Marx-Stadt, Abt. XX/7: Operative Auskunft zur Privatgalerie KMSt F.-Reuter-<br />

Str. 20 vom 22.11.1988, <strong>in</strong>: ebd, S. 7.<br />

31 Alle Zitate des Galeristen aus e<strong>in</strong>em Interview <strong>der</strong> Autor<strong>in</strong> mit Ralf Lehmann vom 29.10.2009.<br />

32 Kreisdienststelle für Staatssicherheit Dresden-Stadt, Referat XX/7: Eröffnungsbericht zum OV „Elegie“ vom 13.02.1989, <strong>in</strong>:<br />

BStU, MfS, BV Ddn. AOPK 5989/90, S. 9.<br />

33 Ebd, S. 10.<br />

34 StGB <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>, S. 88.<br />

35 Kreisdienststelle für Staatssicherheit Dresden-Stadt, Referat XX/7: Operativplan zur zielgerichteten politisch-operativen<br />

Bearbeitung des OV „Elegie“ vom 13.02.1989, <strong>in</strong>: BStU, MfS, BV Ddn. AOPK 5989/90, S. 11 – 13.<br />

36 Entwurf für e<strong>in</strong> Konzept zur Offizialisierung <strong>der</strong> <strong>Galerie</strong> Artefakt, <strong>und</strong>atiert, <strong>in</strong>: Archiv <strong>Galerie</strong> Gebr. Lehmann.<br />

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